Temple of Swoon - Jo Segura - E-Book

Temple of Swoon E-Book

Jo Segura

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Beschreibung

Ihre Mission: Finde die Verlorene Stadt des Mondes im Amazonas-Regenwald.
Sein Auftrag: Beschütze den heiligen Tempel ... und dein Herz.


Dr. Miriam »Miri« Jacobs soll die Expeditionsleitung zur sagenumwobenen Verlorenen Stadt des Mondes übernehmen, weil ihre Mentorin Dr. Corrie Mejía ausfällt – ihre große Chance, sich zu beweisen! Journalist Rafael »Rafa« Monfils begleitet das Team, um die Expedition zu dokumentieren. In Wahrheit will er die Gruppe von der Stadt fernhalten und das Erbe seiner Mutter schützen. Sein Plan: Sie auf den falschen Weg führen. Doch jede falsche Fährte befeuert nur Miris Entschlossenheit. Und ehe er sichs versieht, verdreht die eigenwillige Archäologin ihm den Kopf. Noch während sie sich durch den gefährlichen Amazonas schlagen, merken die beiden, dass es noch jemanden gibt, der nach der Stadt des Mondes sucht. Plötzlich sind ihre aufkeimenden Gefühle füreinander nicht mehr ihre einzigen Sorgen...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 476

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Zum Buch

»Der letzte Bus vom Aeroporto Internacional de Manaus nach Manacapuru fuhr außer Sicht.

Dreckmist. Heute war der erste Tag von Miris neuem Auftrag – einer Expedition, die sich auf die Suche nach der verlorenen Stadt des Mondes machte –, und sie würde das allererste Meeting verpassen.

›Shit!‹

Beim Klang der Männerstimme blickte Miri auf, und …

Heilige Scheiße, ist denn in diesem Land jeder ein Supermodel?

Der Mann starrte die leere Straße hinunter, in die der Bus verschwunden war. Mit einer Hand rieb er sich die Stirn, direkt unter dem Haaransatz. Und was für Haar! Üppige … glänzende … gewellte … zum Sterben schöne … tiefschwarze Locken. Sein graues Henley-Hemd spannte sich eng über der Brust, der dünne Stoff überließ praktisch nichts der Fantasie.

›Ich fürchte, ich kenne die Antwort bereits, aber … war das eben der Bus nach Manacapuru?‹«

Zur Autorin

Jo Segura lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Hunden im pazifischen Nordwesten der USA. Ihre Geschichten handeln von starken, leidenschaftlichen Heldinnen und greifen Aspekte ihres Lebens auf, wie ihre Liebe zu gutem Essen und ihre Faszination für Archäologie. Wenn sie nicht gerade schreibt, arbeitet Jo Segura als Juristin, mixt einen verdammt guten Cocktail oder vertreibt sich die Zeit in ihrem Garten.

@josegurabooks

Lieferbare Titel

Raiders of the Lost Heart

Temple of Swoon

Roman

Aus dem Amerikanischen von Maike Hallmann

WILHELMHEYNEVERLAGMÜNCHEN

Die Originalausgabe Temple of Swoon erschien erstmals 2025 bei Berkley, an imprint of Penguin Random House LLC, New York.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Deutsche Erstausgabe 06/2025

Copyright © 2025 by Jo Segura

© 2025 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

[email protected]

(Vorstehende Angaben sind zugleich

Pflichtinformationen nach GPSR)

Redaktion: Janine Malz

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design

unter Verwendung von Bildmaterial von Camila Gray/ IllustrationX

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-32865-8V001

www.heyne.de

Für Rachel und Brandon.

Wir haben als Freunde angefangen. Jetzt sind wir eine Familie.

1

Dr. Miriam »Miri« Jacobs hetzte durch den wild wuchernden Dschungel, wich Hindernissen aus und duckte sich bei Gefahren. Du schaffst das. Du schaffst das, wiederholte sie in Gedanken immer wieder ihr Mantra, während ihr die Tasche im Takt ihrer weiten Sätze gegen den Rücken schlug. Der Boden schien unter ihren Füßen nachzugeben. Sie schlitterte. Raste an Kreaturen aller Formen und Größen vorbei. Schweiß lief ihr übers Gesicht, aber sie verschwendete weder Zeit noch Energie darauf, ihn wegzuwischen, sondern konzentrierte sich mit aller Kraft darauf, ihr Ziel zu erreichen, bevor es zu spät war.

Fast geschafft!

Sie streckte die Hand nach dem silbernen Türgriff aus, ihre Fingerspitzen streiften das Metall, und …

Wuuusch!

Der Bus fuhr los, dreckiges Pfützenwasser spritzte auf Miris nagelneue wasserabweisende Patagonia-Wanderhose, und ihre imaginäre Kulisse verblasste.

»Halt!«

Doch gegen das Dröhnen der ein- und ausfahrenden Busse und den Lärm der Flieger über ihr kam ihre Stimme nicht an, und gleich darauf bog der letzte Bus, der heute vom Aeroporto Internacional de Manaus nach Manacapuru, Brasilien, fuhr, um die nächste Straßenecke und verschwand außer Sicht.

Dreckmist. Heute war der erste Tag ihres neuen Auftrags – eine Expedition, die sich auf die Suche machte nach der Cidade Perdida da Lua, die man auch die verlorene Stadt des Mondes nannte –, und sie würde das allererste Meeting verpassen. Nicht gerade der Start, den sie sich erhofft hatte … zumal ihre ganze Karriere von der Angelegenheit abhing.

Großartiger erster Eindruck.

Es grenzte ohnehin schon an ein Wunder, dass man sie überhaupt für diese Expedition ausgewählt hatte. Klar half es, dass sie an der UC Berkeley unter der berühmten Archäologin Dr. Socorro »Corrie« Mejía arbeitete, aber bisher hatte Miri nur an einer Handvoll Ausgrabungen teilgenommen, und auch die hatten lediglich an bereits erschlossenen Fundstätten stattgefunden. Als sie mit acht Jahren beschlossen hatte, Archäologin zu werden, hatte sie geglaubt, eines Tages um die ganze Welt zu reisen, uralte Skelette auszubuddeln und verborgene Schätze zu finden. Nie im Leben hätte sie geglaubt, dass ihre Arbeit als Archäologin vor allem darin bestehen würde, die Entdeckungen anderer Archäologen von Dreck zu befreien. Klar, jeder Archäologe fing mal klein an … aber Miri kam es vor, als würde sie nie wirklich vom Fleck kommen. Im Gegensatz zu den allermeisten Professoren und Professorinnen der Anthropologieabteilung der UC Berkeley konnte Miri in ihrem Lebenslauf bisher leider absolut nichts Bemerkenswertes vorweisen.

Ganz anders als beispielsweise Dr. Mejía, die kein Risiko scheute und zu einer weltberühmten Archäologin geworden war. Dass ausgerechnet sie Miri für diesen Auftrag ausgewählt hatte, verschaffte ihr automatisch einen Vorschuss an Glaubwürdigkeit. Als würde diese Verbindung allein schon bedeuten, dass sie ebenso irrwitzige Fähigkeiten haben musste wie Corrie.

Schade nur, dass Miris herausragendsten Fähigkeiten darin bestanden, Dinge auswendig zu lernen und Karten richtig zu lesen. Sie trug zwar eine Brille, aber trotzdem kam es ihr manchmal vor, als hätte sie einen Laserblick; ihr fiel vieles auf, was anderen entging. Zum Beispiel ein Buch, das nicht am richtigen Platz im Regal stand. Oder ein Ziegelstein, der falsch herum in einer Mauer steckte. Oder wenn irgendeinem Typen der Hosenstall offen stand.

Das entging ihr tatsächlich praktisch nie.

Etwas sickerte durch ihre Hose, kalt und nass, und sie blickte an sich hinunter und seufzte. Na toll. So viel also zu dieser hundert Dollar teuren Hose.

Geistige Notiz an mich selbst: Wasserabweisend ist nicht dasselbe wie wasserdicht.

Vielleicht war es nicht Miris klügste Entscheidung gewesen, sich ausgerechnet im Outdoor-Outlet eine neue Garderobe zuzulegen, die diese Reise garantiert nicht heil überstehen würde, aber sie wollte zumindest versuchen, wie eine knallharte, mit allen Wassern gewaschene Archäologin auszusehen. Ihre normalen Grabungsoutfits bestanden aus Yogahosen und einer Handvoll Columbia-Wanderhemden, die sie im Ausverkauf bei TK Maxx ergattert hatte. Also praktisch ihre normale Alltagskleidung, wenn man ehrlich war. Doch jetzt wollte sie in große Fußstapfen treten beziehungsweise jemanden mit großen Fußstapfen beeindrucken. Und außerdem eiferte sie nun mal hoffnungslos ihrem Idol nach, und ihr Idol sah stets knallhart und verdammt heiß aus und zugleich so, als gäbe sie sich dafür nicht die geringste Mühe.

Miri kauerte sich auf den Boden und wühlte in ihrem Rucksack nach einem Feuchttuch, da tauchte plötzlich eine Gestalt neben ihr auf.

»Shit!«

Beim Klang der Stimme blickte sie auf, und …

Heilige Scheiße, ist denn in diesem Land jeder ein Supermodel?

Der Mann sah aus, als wäre er direkt einem Werbespot mit Alessandra Ambrosio oder Marlon Teixeira entsprungen. Miri hätte sofort jedes Produkt gekauft, das er bewarb – Surfbretter, Kölnisch Wasser, Herrenunterwäsche, völlig egal. Er starrte die leere Straße hinunter, in die der Bus verschwunden war, und schien Miri nicht mal zu bemerken. Eine Hand stützte er in die Hüfte, mit der anderen rieb er sich die Stirn, direkt unter dem Haaransatz. Und was für Haar! Üppige … glänzende … gewellte … zum Sterben schöne … tiefschwarze Locken. Sein graues Henley-Hemd spannte sich eng über der Brust, der dünne Stoff überließ praktisch nichts der Fantasie. Dank der hochgekrempelten Ärmel sah sie, wie die straffen Muskeln seiner Unterarme spielten, als wollten sie Miri dazu verlocken, sie zu berühren. Er musste fast eins neunzig groß sein, schätzte sie aus ihrer geduckten Haltung heraus. Aber es war schwer zu sagen, immerhin ragte er hoch neben ihr auf, und außerdem war sie sehr damit beschäftigt, sein unglaublich gutes Aussehen zu bewundern.

Miri schluckte schwer und befahl sich selbst streng, ihn nicht weiter anzugaffen, aber es half nichts, seine Gegenwart schlug sie vollkommen in den Bann. Deshalb! Genau deshalb verabredete sie sich nicht mit Männern! Weil sie wie ein Reh im Scheinwerferlicht reagierte, sobald sie einen Mann attraktiv fand. Und dann wurde sie angestarrt, als würde mit ihr irgendwas nicht stimmen. Woraufhin sie immer nach Luft schnappte wie ein Fisch auf dem Trockenen. Und dann wurden die Blicke verwirrt, weil ihr Gegenüber überlegte, ob sie wohl Hilfe brauchte. An dem Punkt lief Miri dann immer knallrot an. Und kurz darauf war der Mann auf und davon …

Die Szene, die sich in Miris Kopf abspielte, nahm sie so sehr in Beschlag, dass sie nicht bemerkte, wie eine Dose Pringles – Geschmacksrichtung Sour Cream and Onions – aus dem Rucksack fiel und auf den Fuß des Manns zukullerte.

Mit einem dumpfen Laut rollte sie gegen seinen Stiefel, und Miri beobachtete, wie er den Kopf senkte und hinunterblickte. Hastig wollte sie die flüchtigen Chips einfangen, aber als sie danach griff, fiel ihr Rucksack um, und der Inhalt ergoss sich auf den Gehweg: mehrere Müsliriegel, eine Tüte Studentenfutter, ein paar mit Cheddar gefüllte Cracker, M&Ms mit Erdnussbutterfüllung und die dringend benötigten Pfefferminzbonbons gegen den Sour-Cream-and-Onion-Mundgeruch.

Er bückte sich und wollte ihr helfen, aber Miri kramte ihre Sachen hastig selbst zusammen. »Beachten Sie mich gar nicht. Ich betreibe hier nur meinen eigenen kleinen Kiosk«, sagte sie mit einem überspannten Lachen.

Zur Antwort erntete sie mal wieder das Starren.

»Ach so, sorry«, sagte sie. Wahrscheinlich hatte er sie nicht verstanden, und sie klang in seinen Ohren wie eine dumme Amerikanerin, die Kauderwelsch von sich gab. »Inglês?«

Der Mann schüttelte rasch den Kopf, als würde er aus einem Tagtraum erwachen. »Äh … ja. Ja, ich spreche Englisch.«

Miri hörte die Andeutung eines Akzents aus seiner Stimme heraus, wenn auch nicht den portugiesischen, den sie erwartet hatte. Als er mit tiefbraunen Augen ihr Gesicht musterte, verspürte sie ein leichtes Flattern im Magen.

»Sorry«, sagte er. »Ich war kurz abgelenkt, als ich gesehen habe, wie gut Sie bestückt sind.«

So viel zum leichten Flattern. Jetzt flatterte es, aber so richtig.

Er hob die Hände. »Also nicht Sie, sondern Ihr Laden, meine ich. Wirklich ein gut sortiertes Angebot.«

»Auf internationalen Reisen gibt es nichts Besseres als die guten alten Snacks von zu Hause, oder? Was nehmen Sie?« Sie breitete die Hände über den Knabbereien aus, wie um sie zu präsentieren.

»O nein. Das kann ich nicht annehmen.« Abwehrend hob er die Hände.

»Ich bestehe darauf. Nur nicht die Pringles.«

»Warum das denn?« Er neigte den Kopf und musterte sie neugierig.

»Sie wissen doch, was man sagt: Einmal gepoppt, nie mehr gestoppt … Tja, und ich habe bereits gepoppt und kann nicht mehr damit aufhören«, sagte sie und bereute ihren dämlichen Witz sofort.

Da ist es wieder … das Starren. Gleich haut er ab.

Warum? Warum konnte sie sich nicht wie ein normaler Mensch benehmen?

Doch zu ihrer Überraschung breitete sich auf seinem absurd hübschen Gesicht ein Lächeln aus, und er schüttelte amüsiert den Kopf. Immerhin – ihre Albernheit schlug ihn nicht sofort in die Flucht, wie sonst immer, wenn sie auf der Weihnachtsfeier ihres Fachbereichs Witze machte.

Oder bei Sommerpicknicks. Hochzeiten. Und in Bars …

»Dann nehme ich die«, sagte er und schnappte sich die M&Ms. »Danke.«

»Vielen Dank für Ihren Einkauf«, trällerte sie mit schräg gelegtem Kopf, warf den Rest ihrer Sachen wieder in den Rucksack und zog die Kordel zu, um weitere Fluchtversuche zu unterbinden.

Er warf einen Blick auf die Uhr, und seine unbekümmerte Stimmung verflog. »Ich fürchte, ich kenne die Antwort bereits, aber … war das eben der Bus nach Manacapuru?« Er nickte in die Richtung, in die der Bus verschwunden war.

»Ja. Wir haben ihn knapp verpasst, vielleicht so um zwanzig Sekunden?« Es war eigentlich gar keine Frage, aber sie hoffte, ihr Tonfall würde den herben Schlag ein wenig abmildern.

»Zwanzig Sekunden …« Er verstummte und stieß einen tiefen Seufzer aus, ehe er sein Handy zückte und wie wild drauflosschrieb. Vermutlich hatte er einen wichtigen Model-Auftritt verpasst oder so. Obwohl Models wahrscheinlich nicht mit schäbigen alten Bussen in der Weltgeschichte herumreisten. Während sie sein frustriertes Tippen beobachtete, nutzte Miri die Zeit, um Hose und Hände sauber zu wischen. Irgendwann schaltete er das Handy mit einem übertrieben festen Druck seines Daumens aus, steckte es in die Tasche seiner anthrazitfarbenen Hose und musterte die vorbeikommenden Passanten.

»Entschul…, ich meine, perdona?« Er streckte die Hand nach einem älteren Herrn aus, aber der schnaubte nur verächtlich, brummte etwas Unverständliches in sich hinein und ging einfach weiter.

Hm. Vielleicht war er ja doch kein Brasilianer. Oder kam zumindest nicht aus dieser Gegend. »Es heißt com licença«, sagte Miri hilfsbereit. »Man spricht hier Portugiesisch.«

»Oh, stimmt ja. Danke.«

»Com licença«, fragte er einen anderen Passanten. »Billetes?«

Knapp daneben. Zu seinem Glück verstand der Mann seinen portugiesisch-spanischen Mischmasch und wies ihm den Weg zum Fahrkartenschalter. Kurz überlegte Miri, ihm zu sagen, dass es reine Zeitverschwendung war. Dass der verpasste Bus der letzte gewesen war, der heute noch nach Manacapuru fuhr. Aber es ging sie ja eigentlich nichts an. Vielleicht wollte er ganz woandershin, und Manacapuru war für ihn nur ein Zwischenstopp.

Vielleicht wäre er Miri aber auch so dankbar für ihre Hilfe, dass er sie fragen würde, ob sie vielleicht zusammen einen Kaffee trinken gingen. Und aus dem Kaffee würde ein Stadtbummel werden. Dann eine Happy Hour. Und dann ein gemeinsames Abendessen. Und dann würden sie …

»Nochmals vielen Dank«, sagte der Mann und winkte ihr lächelnd mit der Tüte M&Ms zu, ehe er im Flughafengebäude verschwand und ihre Fantasie damit abrupt beendete.

Seufz.

Der Austausch mit Mr. M&Ms war eine angenehme Ablenkung gewesen, aber Miri hatte dringend wichtigere Dinge zu erledigen. Zum Beispiel musste sie unbedingt ihre durchnässte Hose loswerden und herausfinden, wie sie jetzt nach Manacapuru kam. Aber sie überlegte, diese Begegnung als Sieg in ihrem Wie-ich-mit-heißen-Typen-rede-Handbuch zu verbuchen – auch wenn es sie ihre M&Ms gekostet hatte.

Mit dem letzten Rest Energie, die ihr nach ihrem Sprint verblieben war, raffte sie sich auf, warf ihren Rucksack über die Schulter und sah noch ein letztes Mal bewundernd Mr. M&Ms hinterher, der lässig Richtung Fahrkartenschalter schlenderte. Dann wandte sie sich in die andere Richtung und verschwand im Waschraum. Sie stellte den Rucksack vor sich auf den Waschbeckenrand, betrachtete sich im Spiegel und schrak zurück.

Ach du Scheiße. Kein Wunder, dass Mr. M&Ms sie so angestarrt hatte.

Ihre Wangen waren von der Rennerei quer durch den Flughafen knallrot. Das hellbraune gewellte Haar stand wild in alle Richtungen ab, abgesehen von ihrem Pony, der ihr schweißnass in der Stirn klebte. Auf den dicken Gläsern ihrer gelb eingefassten Brille waren unidentifizierbare Flecken. Und ihre Klamotten? Verschmutzt, schweißfleckig und – sie neigte den Kopf, um zu schnuppern – uff. Sie stank.

Pfui Teufel. Sie hatte definitiv schon mal besser ausgesehen.

Andererseits … sie hatte auch definitiv schon mal schlechter ausgesehen. Punkt für Miri! Nichts auf der Welt konnte das eine Mal übertreffen, als sie in den Wischeimer des Hausmeisters gekracht war, weil sie zur Verteidigung ihrer Dissertation spät dran und deshalb den Flur entlanggerannt war.

Sie wusste nicht, was ihrer Karriere mehr schaden würde – in diesem Zustand zum Team-Kick-off-Meeting zu erscheinen oder gar nicht aufzutauchen. Vielleicht war die Verspätung ja das kleinere Übel.

Mit einem schweren Seufzer legte sie ihre Brille auf den Waschtisch, zog das T-Shirt aus und drehte ihr Haar zu einem unordentlichen Knäuel auf dem Kopf zusammen. Spritzte sich Wasser ins Gesicht und unter die Achseln, dann nahm sie Seife aus dem Spender und wusch sich, so gut es eben ging. Mit ein paar Papiertüchern trocknete sie sich ab.

So … das muss reichen. Reiß dich zusammen. Du kannst genauso ein Badass sein wie Corrie Mejía. Du schaffst das. Finde eine Mitfahrgelegenheit, schlaf dich ordentlich aus und …

Die Tür des Waschraums öffnete sich, und kein Geringerer als Mr. M&Ms höchstpersönlich trat ein. Als er sie nur mit BH und Hose bekleidet vor dem Spiegel stehen sah, riss er die Augen auf.

Miri schrie auf, schnappte sich ihr schmutziges Shirt vom Waschbeckenrand und presste es sich vor die Brust.

»Excusez«, stieß er hervor und wandte hastig den Blick ab. Und so schnell, wie er gekommen war, war er auch schon wieder verschwunden.

Uuuund ich sollte mir wohl mal was anziehen.

Sie blickte an sich hinunter und ärgerte sich über ihre todlangweilige Wäsche – ein schlichter marineblauer T-Shirt-BH, der ihre ohnehin schon nicht besonders imposanten B-Körbchen kaum zur Geltung brachte. Okay, gut … Körbchengröße A. An guten Tagen B. Warum bloß hatte sie heute Morgen keinen schöneren BH angezogen?

Ach ja. Weil sie keinen besaß. Schöne BHs waren dazu da, sie zu zeigen, aber dazu hatte Miri keinen Grund mehr gehabt, seit … seit … na ja … Hm. Seit wann denn eigentlich?

Sie verdrängte den Gedanken an ihr nicht vorhandenes Liebesleben und zog sich wieder an. Ehe sie den Waschraum verließ, spähte sie durch die Tür und vergewisserte sich, dass die Luft rein war. Nicht, dass es wirklich eine Rolle spielte, aber sie wollte nicht, dass ein heißer Typ sie in diesem unvorteilhaften Zustand sah. Das Letzte, was sie gebrauchen konnte, war noch ein mitleidiger Blick von Mr. M&Ms; davon hatte sie sich für heute definitiv schon genug eingehandelt.

Tja … es wurde Zeit, dass sie sich überlegte, wie sie heute Abend nach Manacapuru kam. Als sie sich draußen umsah, entdeckte sie einen Taxistand, vor dem ein einziges Taxi parkte. Puh. Es gab also noch eine Chance, dass sie es rechtzeitig zum Team-Essen schaffte.

»Com licença, fala inglês?«, fragte sie in passablem Portugiesisch den Fahrer, der neben seinem Wagen stand.

»Um pouco.«

Ihre angespannten Schultern lockerten sich. »Könnten Sie mich nach Manacapuru fahren?«

»Sim. Trezentos.«

Miri versuchte, sich an die portugiesischen Zahlen zu erinnern, und rechnete nach. Tre… trezentos in brasilianischen Real. Wie viel macht das … so fünfzig … 54 US-Dollar? Das war deutlich teurer als die Busfahrkarte, aber das war Miri im Augenblick herzlich egal. Sie musste unbedingt vor Einbruch der Dunkelheit in Manacapuru sein.

Sie zog die US-Scheine aus ihrem Geldgürtel, die sie bisher noch nicht umgetauscht hatte, und zählte sie ab. 55, 50 … 52.

»Wären 52 Dollar auch okay?«

Der Mann schüttelte den Kopf. »Não. 300 Americano«, sagte er mit überdeutlicher Betonung.

Miri fielen fast die Augen aus dem Kopf. »Drei… 300 US-Dollar?« Sie verschluckte sich fast an den Worten.

Er nickte.

»Das ist ungeheuerlich!«

Er zuckte mit den Schultern.

»Bitte. Ich muss unbedingt heute Abend noch nach Manacapuru. Könnten Sie dieses eine Mal eine Ausnahme machen?«

»Trezentos.«

Scheiße, Scheiße, Scheiße. Denk nach, Miri. Denk nach. Was würde Corrie Mejía tun? WWCMT?

Nun ja … Corrie wäre wahrscheinlich gar nicht erst in diese blöde Lage geraten. Und selbst wenn Corrie einen Bus verpasste – was unwahrscheinlich war – und einen Taxifahrer bat, sie zu fahren, würde der sie nur kurz ansehen und dann praktisch darum betteln, sie fahren zu dürfen. Und zwar gratis. Miri hingegen? Na ja. Selbst an ihren besten Tagen wirkte Miri wie ein schlichter kleiner Haussperling im Vergleich zu dem schönen, sexy, eleganten Schwan namens Corrie Mejía.

Aber Spatzen waren immerhin niedlich, oder?

»Was wäre, wenn … was wäre, wenn ich Ihnen jetzt 52 gebe, und den Rest bekommen Sie, wenn wir dort sind?« Bestimmt würde die Crew ihr aushelfen.

Der Mann schnaubte. »Ich nehme dich mit, und dann verschwindest du einfach. Nichts da.«

»Nein, ich verspreche es! Ich hau nicht einfach ab«, sagte sie und verschränkte flehend die Hände vor der Brust. »Wenn wir beim Hotel sind, kann ich meinen Chef um das Geld bitten.«

Diesmal würdigte er sie nicht mal einer Antwort, sondern grunzte nur, zog sein Handy aus der Tasche und lehnte sich gegen seinen Wagen, ohne sie weiter zu beachten.

»Gut. Gut, dann suche ich mir jemand anderen, der mich fährt.« Als würde ihn das interessieren.

Er musterte sie flüchtig und schnaubte. »Viel Glück.«

Miri hob das Kinn. »Was soll das denn heißen?«

»Niemand fährt ein Straßenkind für weniger.«

Straßenkind? Autsch. Sie sah schlimm aus, aber so schlimm doch wohl auch wieder nicht, oder?

»Hör zu, Kumpel, ich sehe ganz bestimmt nicht schlimmer aus als dieser dreckige Schrotthaufen, in dem du Menschen herumkutschierst!«

Falsche Antwort.

Mit einem kaum hörbaren Schnauben drehte der Mann ihr den Rücken zu. Tja … das war’s dann wohl. Jetzt hatte sie es endgültig versaut. Sie ließ die Schultern sinken und steckte die Dollarscheine zurück in ihren Geldgürtel. Während sie darüber nachdachte, ob sie ihr bisschen Geld lieber sparen oder stattdessen versuchen sollte, ein billiges Hotel zu finden, streifte sie ein leichter Luftzug.

Mr. M&Ms.

Er ging an Miri vorbei direkt auf den Taxifahrer zu. »Können Sie mich noch heute Abend nach Manacapuru fahren?«, fragte er.

Der Fahrer warf einen kurzen Blick auf Miri, die geschlagen abseits stand.

»Sim. 300. Americano.«

»Na schön.« Mr. M&Ms reichte ihm das Geld, und der Taxifahrer öffnete den Kofferraum, ehe er einstieg. Mr. M&Ms warf sein Gepäck in den Kofferraum und gab dann Miri ein Zeichen. »Kommen Sie mit?«

Miri richtete sich hoch auf, dann sah sie sich um. Legte eine Hand auf die Brust. »Reden Sie mit mir?«

»Ja, Pringles. Sie wollten doch nach Manacapuru, nicht wahr?«

»Äh – nein. Die nicht«, rief der Fahrer aus dem Fenster und starrte sie böse an.

»Sie gehört zu mir«, sagte Mr. M&Ms, und eine Hitzewelle lief Miri übers Gesicht. Sie gehört zu mir. Der Klang dieser Worte gefiel ihr.

»Sie nennt mein Auto einen dreckigen Schrotthaufen.«

Mr. M&Ms reckte den Hals, blickte in den Wagen und rümpfte die Nase. »Tja, es ist tatsächlich schmutzig.« Doch ehe der Fahrer erneut protestieren konnte, fügte Mr. M&Ms hinzu: »Ich gebe Ihnen einen Hunderter extra.«

»Was? Nein, das kann ich nicht zulassen«, rief Miri, aber es war bereits zu spät – Mr. M&Ms drückte dem Fahrer Geld in die fordernd aus dem Fenster gestreckte Hand und besiegelte damit den Deal.

»Betrachten Sie es als Bezahlung für die M&Ms«, sagte er mit einem sexy Lächeln. »Also, kommen Sie jetzt, oder nicht? Déguédine. Das Geld ist sowieso weg, egal ob Sie mitkommen oder nicht.«

Miris Gedanken überschlugen sich, tausend Szenarien blühten in ihrer Fantasie auf, wie das Ganze enden könnte, von einer Romanze bis hin zu einer Entführung. Moment mal … passierte das gerade wirklich? Denn sonst nahmen Männer sie nur in ihrer Fantasie überhaupt wahr, jedenfalls Männer wie er. Wunderschönes Gesicht. Fantastisches Haar. Lange Gliedmaßen. Große Hände. Und dieser Akzent?

Miri kniff sich in die Haut zwischen Daumen und Zeigefinger, um ganz sicher zu sein, dass sie nicht träumte. Nope. Sie war wach. Hellwach.

WWCMT?

Auf jeden Fall würde sie nicht tatenlos hier rumstehen, so viel war sicher.

Was jetzt?

Rasch erwog sie ihre Alternativen (keine). Analysierte die Wahrscheinlichkeit, dass es gewaltig schiefging (äh … unabsehbar). Und befragte ihr Bauchgefühl (auf das vermutlich überhaupt kein Verlass war angesichts des gewaltigen Brodelns und Flatterns in ihrem Magen bei Mr. M&Ms prachtvollem Anblick). Nein … wenn einem nur die Wahl blieb zwischen einem heißen Kerl und der Aussicht, auf dem Flughafen zu übernachten und gefeuert zu werden, vertraute man wohl besser nicht auf sein Bauchgefühl.

»Ich bin dabei.«

2

Global Geography würde es sicherlich nicht freuen zu hören, dass sich Rafael für 300 Dollar eine völlig überteuerte Taxifahrt gegönnt hatte. Aber als er seinem Chef geschrieben hatte, dass der Bus ihm vor der Nase weggefahren war, hatte der nur geantwortet: »Sieh zu, dass du nach Manacapuru kommst, egal wie.« Das interpretierte er als Erlaubnis, das Geld von GloGeo so auszugeben, wie er es für richtig hielt. Aber einen Hunderter mehr auszugeben, damit eine völlig Fremde mitfahren durfte? Tja.

Aber was hätte er sonst tun sollen? Sie einfach zurücklassen? Offenbar hatte sie einen noch viel schlimmeren Tag gehabt als er. Jeder barmherzige Samariter hätte dasselbe getan. Es lag kein bisschen daran, dass er völlig von ihr bezaubert war.

Okay, na gut. Es lag allein daran und an sonst gar nichts.

Er hatte nicht vorgehabt, sie anzustarren, als er sich nach den ausgebüxten Pringles bückte, aber dann hatten ihre saphirblauen Augen hinter der Brille hervorgeblitzt und ihn in den Bann geschlagen. Und als dann all diese gewitzten Kommentare aus ihrem Mund gesprudelt waren wie Wasser aus einem Hahn, den man nicht mehr abstellen konnte, was eindeutig kein Versuch gewesen war, ihn zu beeindrucken, tja … da war er regelrecht fasziniert gewesen. Außerdem hatte irgendwas an dieser Kombination aus Streberbrille und Dutt es ihm angetan.

Nicht, dass er in Brasilien war, um sich nach einer Romanze umzuschauen. Aber angesichts der höllischen Wochen, die ihm unfreiwilligermaßen bevorstanden, hatte er sich eine kleine Ablenkung ja wohl redlich verdient.

»Hier.« Die Frau reichte ihm ein Bündel Bargeld aus der Tasche, die sie unter dem T-Shirt trug. »Ich habe gerade nur 52 Dollar, aber ich kann Ihnen den Rest geben, sobald wir in Manacapuru sind.«

Er winkte ab. »Ach was, machen Sie sich deswegen keine Gedanken. Betrachten Sie es einfach als kleine Wiedergutmachung.«

Fragend neigte sie den Kopf.

»Wegen dem Waschraum vorhin«, erklärte er und dachte an ihr völlig entgeistertes Gesicht. »Keine Sorge, ich habe nichts gesehen.«

Sie errötete heftig. »Versprochen?«

»Versprochen. Sie haben blitzschnelle Reflexe.«

»Sie hätten mal sehen sollen, wie ich vorhin dem Bus hinterhergerannt bin, den wir beide verpasst haben«, sagte sie, halb kichernd, halb mit einer peinlich berührten Grimasse.

»War es sehr elegant?«

»Oh, eleganter geht es wohl kaum.« Sie lächelte und schob eine ihrer hellbraunen Locken hinters Ohr. »Vielen Dank übrigens. Ich bin Miriam, aber Sie können mich Miri nennen«, sagte sie und streckte ihm die Hand hin.

»Rafael. Aber Sie können mich Rafa nennen. Und wir können uns gern duzen.« Er ergriff ihre Hand und kämpfte gegen den Drang an, sie anzugaffen. »Amerikanerin?«

»Ist es so offensichtlich?« Sie verzog das Gesicht, und er lachte.

»Ich kann Nein sagen, wenn dir das lieber ist.«

Sie stieß die Luft aus, dass ihr langer Pony flatterte. »Was hat mich verraten? Mein vornehmer Akzent? Die stylischen Klamotten? Meine auffallende Unbekümmertheit beim Umziehen in einer öffentlichen Toilette?«

»Die Gürteltasche.« Er versuchte, ganz neutral dreinzublicken, aber unwillkürlich zuckten seine Mundwinkel.

»Hey. Das ist ein Geldgürtel, vielen Dank auch«, sagte sie, warf sich in die Brust und lächelte ihn an.

»Ganz genau.« Wenn das mal nicht ein umwerfendes Lächeln war. Auch wenn diese Frau eine Gürteltasche trug, fand er sie ganz und gar hinreißend.

»Du bist also kein Amerikaner?«

Er schüttelte den Kopf. »Kanadier.«

Sie zog die Augenbrauen hoch. »Kanadier, aye?« Ihre Imitation klang eher nach einem Piraten als kanadisch.

»Québécois«, antwortete er, während sein Blick auf sie gerichtet war. »Ich bin in Montreal aufgewachsen, lebe aber jetzt in Washington, DC. Avez vous déjà été?«

»Oh.« Sie hatte offensichtlich keine Ahnung, dass er sie gerade gefragt hatte, ob sie jemals dort gewesen war, aber ihr hungriger Blick hing an seinen Lippen. Das passierte immer – und war auch genau so beabsichtigt –, wenn er sein französisch-kanadisches je ne sais quoi zum Besten gab. Je-des Mal. Es war unmöglich, so auszusehen und zu klingen wie er und nicht zu wissen, wie man auf Frauen wirkte.

Und es von Zeit zu Zeit zu seinem Vorteil zu nutzen.

»Im ersten Moment dachte ich, du wärst vielleicht ein Einheimischer«, sagte sie.

»Ich bin zum ersten Mal hier. Allerdings war meine Mutter Brasilianerin.«

»Bist du hier, um deine Familie zu besuchen?«

Er überlegte einen kurzen Moment, was er antworten sollte. Sie war zwar nur eine x-beliebige Fremde … aber es durfte nun mal niemand wissen, dass er in Brasilien war, und erst recht nicht, was er hier tat.

Denn der Grund für seine Reise war streng geheim. Er sollte eine privat finanzierte archäologische Expedition im Amazonasgebiet dokumentieren, die der Suche nach der verlorenen Cidade da Lua galt. Sein Arbeitgeber – Global Geography, das Magazin für Weltkultur, Reisen und Entdeckungen – hatte durch den Finanzier des Teams von der Exkursion erfahren: ein wohlhabender Geschäftsmann namens Eugene Larity, der über dieses bedeutsame Ereignis berichten wollte. Beziehungsweise: dieses potenziell bedeutsame Ereignis. Dutzende von Forschern hatten sich bereits vergeblich auf dieselbe Suche begeben. Aber GloGeo war an vielen großen Entdeckungen beteiligt gewesen, und offenbar war Mr. Larity mit Rafas Arbeit als preisgekrönter Journalist und erfahrener Fotograf vertraut.

Zu schade, dass er anscheinend nicht wusste, dass Rafa vor Kurzem versucht hatte, seinen Job zu kündigen.

Aber nach dieser Expedition war er endgültig raus. Eine letzte Mission, und dann war Schluss. Jedenfalls wenn er seinen Vater davon überzeugen konnte, dass es keinesfalls beruflicher Selbstmord war, die GloGeo zu verlassen, um sich dem Schreiben von Romanen zu widmen.

Frisch zurückgekehrt von seinem letzten Auftrag und mit nicht mal einer Woche Vorlaufzeit hatte Rafa also seine Koffer gepackt, ein paar recht rudimentäre Nachforschungen über die Mondstadt angestellt und sich auf den Weg gemacht zu seinem nächsten – und hoffentlich letzten – Abenteuer.

Tschau, DC, olá, Brasilien.

Es war zwar sehr unwahrscheinlich, dass Miri a) wüsste, wovon er überhaupt sprach, oder b) sich genug dafür interessierte, um deswegen irgendwas zu unternehmen … aber er konnte nicht riskieren, dass sie auch nur ganz nebenbei Freunden oder Familie von dem GloGeo-Journalisten erzählte, den sie unterwegs getroffen hatte und der auf dem Weg zur Cidade da Lua war.

»Ja, ich treffe mich mit meinem Onkel und einigen Cousins«, antwortete er schnell, damit die Pause nicht verdächtig lang wurde. »Und ich hoffe, dass ich während meines Aufenthalts dazu komme, auch ein wenig die Heimat meiner Mutter zu erkunden.«

Klingt das glaubwürdig? Ehrlich gesagt wäre es tatsächlich schön, wenn er dazu käme, endlich mal seine eigenen Wurzeln zu ergründen. Er wusste kaum etwas über die mütterliche Seite seines Stammbaums, nur das, was sein Vater ihm erzählt hatte. Und das war nicht viel, denn seine Eltern hatte nur eine stürmische Romanze verbunden. Vor vielen Jahren hatte Rafa ein bisschen zu recherchieren versucht, ob es Verwandte in Brasilien gab, aber natürlich war selbst die beste Website zur Ahnenforschung nicht besonders ergiebig, wenn man nur den Vornamen der Mutter kannte: Andressa. Kein Geburtsort. Keine früheren Adressen. Nicht mal einen Nachnamen, denn offenbar hatte sie auf seiner Geburtsurkunde falsche Angaben gemacht.

Aber jetzt, da er vor Ort war … nun, vielleicht würde er endlich doch ein paar Antworten finden.

»Das ist ja toll«, unterbrach Miri seine Gedanken. »Das wollte ich auch schon immer mal machen – den Geburtsort meiner Eltern besuchen.«

Puh. Er atmete auf, dankbar, dass er sie offenbar überzeugt hatte. Lügen war nicht gerade seine Stärke. Bestimmt war es eine gute Idee, etwas Übung zu bekommen, bevor die Expedition losging.

»Und welcher Ort wäre das?«

»Poulsbo, Washington. Nicht annähernd so sexy wie Brasilien, aber es soll wunderschön sein. Sie haben sich dort in der siebten Klasse kennengelernt, und … na ja, du weißt ja, wie man so schön sagt.«

Fragend zog er eine Braue hoch.

»Der Rest ist Geschichte«, klärte sie ihn auf. »Sorry, vielleicht sagt man das in Kanada nicht?«

»Doch, in Kanada sagen wir das auch«, sagte er lachend. »Also, was hält dich davon ab? Von einem Besuch in Poulsbo, meine ich?«

»Ach, du weißt schon. Das Übliche. Zeit. Geld. Motivation.«

»Aber jetzt gerade bist du immerhin in Brasilien. Manch einer würde sagen, das ist alles andere als das Übliche.« Er sagte es mit einem Lächeln, aber ihr Blick verdunkelte sich, und ihre Wangen färbten sich rot.

»Ich, äh … ich bin aus beruflichen Gründen hier, das zählt also nicht.«

»Was machst du denn beruflich?«

»Oh …« Sie wich seinem Blick aus. Hmm. »Ich, äh … ich bin Beraterin«, sagte sie.

»Was für eine Beraterin denn?«

»Äh … ich …«, murmelte sie und verschränkte die Hände in ihrem Schoß. »Ich, äh, bin … Rucksackberaterin.«

Rucksackberaterin? Rafa legte den Kopf schief. »Ist das ein richtiger Beruf?«, fragte er.

»Ja, das ist ein richtiger Beruf«, erwiderte sie mit gerunzelter Stirn.

»Entschuldigung, ich wollte dich nicht beleidigen. Ich habe nur noch nie davon gehört.«

»Es gibt Berater für absolut alles.«

Er nickte. »Das kann schon sein. Was macht man denn als Rucksackberaterin?«

»Ach, du weißt schon …« Sie sah überallhin, nur nicht in sein Gesicht.

Nein, das wusste er definitiv nicht.

»Wir testen Rucksäcke für die Hersteller und sagen ihnen, was funktioniert und was nicht.«

»Du willst also mit dem Rucksack durch Brasilien reisen?«

»Ja.«

»Allein?« Der Amazonas kam ihm nicht gerade vor wie ein besonders gastfreundlicher Ort für so einen Testlauf mit seinen riesigen grünen Anakondas, rotbäuchigen Piranhas, Zitteraalen und haufenweise giftigen Käfern, Fröschen und Schlangen. Ganz zu schweigen von all den giftigen Pflanzen und den Kanonenkugelbäumen, die ahnungslosen Touristen riesige bowlingballgroße Früchte auf den Kopf fallen ließen. Schon in einer Expeditionsgruppe reiste man gefährlich – Rafa wollte sich lieber nicht ausmalen, wie es wäre, all diesen Gefahren allein zu begegnen.

Sie legte den Kopf schief und setzte ein übertrieben selbstbewusstes Lächeln auf. »Glaubst du etwa, ich kann nicht auf mich aufpassen? Muss ich dich vielleicht an meine blitzschnellen Reflexe erinnern?«

Eins musste er ihr lassen … sie hatte wirklich Mumm. »Ich ziehe meine letzte Frage zurück.«

Wo kam diese Frau auf einmal her? Vielleicht war ihre Begegnung ja ein Zeichen?

Wofür genau es ein Zeichen sein sollte, wusste er selbst nicht so genau. Aber im Leben seines Vaters war die Reise nach Brasilien ein wichtiger Wendepunkt gewesen. Es war das Land, wo er einen Sinn gefunden hatte. Wo er … Liebe gefunden hatte.

Rafa warf Miri einen raschen Blick zu, dann schüttelte er den lächerlichen Gedanken schnell ab. Träumte er jetzt ernsthaft von der Liebe, 4 000 Meilen von zu Hause entfernt und nur wenige Stunden vor dem Aufbruch zu einem Abenteuer in den unerforschtesten Winkeln des Amazonasbeckens? Er hatte diese Frau doch gerade erst kennengelernt. Arrête d’être niaiseux.

»Adresse?«, rief der Fahrer und riss Rafa aus seinen Gedanken.

»Moment«, sagte Rafa, zückte sein Handy und rief eine Nachricht auf dem Bildschirm auf. »Hotel dos Sonhos.«

»Stopp mal«, sagte Miri und legte die Hand auf Rafas Unterarm, wobei ihn ein angenehmer Schauer überlief. »In dem Hotel wohne ich auch.«

Er drehte sich zu ihr um. »Du … du wohnst im selben Hotel?«

»Es sei denn, es gibt mehr als ein Hotel mit diesem Namen?«

»Nur eins«, rief der Fahrer.

Das ist definitiv ein Zeichen.

Nein … nein. Rafa weigerte sich, den absurden Gedanken weiterzuverfolgen. Er hatte seine Gründe gehabt, diesen Job anzunehmen, und er konnte nicht einfach seine Pläne über den Haufen werfen, nur weil diese Frau ihn in nicht mal dreißig Minuten gut ein halbes Dutzend Mal zum Lächeln gebracht hatte. Außerdem … man sollte man ja ein Buch niemals nach seinem Umschlag beurteilen, aber Miri wirkte auf ihn nicht gerade wie eine, die sich auf unverbindliche Begegnungen mit Fremden einließ. Und sie konnte ihn kaum ansehen, ohne zu erröten … das vertrug sich nicht gut mit der Wir treffen uns in einer Stunde in meinem Zimmer-Routine, die er sich in seinem Job angewöhnt hatte.

Und doch konnte Rafa sich nicht vorstellen, dass das Universum sie beide nur so zum Spaß auf denselben Bussteig mitten in Brasilien geschickt hatte, von wo aus sie zum selben Hotel fahren wollten.

»Also …« Rafa klopfte auf seinen Oberschenkel und überlegte, was er tun sollte. Es kam ihm vor, als würde die Zeit sich ganz eigenartig verlangsamen, fast als halte das Universum den Atem an. Was nun? Würden sie jetzt noch eine Stunde lang nebeneinandersitzen und sich anschweigen, bis Miri sich beim Abschied für seine Einladung zur Taxifahrt bedankte? Würde sie ihm noch ein schönes Leben und einen tollen Familienbesuch wünschen, und er würde anschließend die nächsten wer weiß wie vielen Wochen im verdammten Regenwald verbringen, durchnässt und elend, während ihn nachts die Erinnerung an ihre saphirblauen Augen wärmte und ihn mit Bedauern erfüllte, weil er die Gelegenheit verpasst hatte, noch ein wenig mehr Zeit miteinander zu verbringen?

Nein, beschloss er. Das kam ihm nicht richtig vor. Und es musste nicht mit einem Händedruck enden, auch dann nicht, wenn sein Job Vorrang hatte und sie ein ganz anderer Typ war als die Frauen, mit denen er üblicherweise ins Bett ging. Vielleicht … vielleicht musste er dem Universum einfach seinen Lauf lassen.

Und er hörte besser auf, Vermutungen darüber anzustellen, ob Miri in sein übliches Beuteschema passte. Vielleicht war sie ja eine Rucksackberaterin, die sich nachts in eine Schlafzimmerberaterin verwandelte.

Hmm …

Sie starrten sich eine Weile wortlos lang an, während Rafa sorgfältig überlegte, was er als Nächstes sagen sollte.

»Ich habe heute Abend schon was vor, aber …«, begann er, und gleichzeitig sagte sie: »Wusstest du, dass das Amazonasgebiet die Heimat von …«

Sie hielten inne. Mist. Offenbar hatte er sich verschätzt. »Sag du zuerst«, forderte er sie auf.

»Nein, du zuerst. Ich bestehe darauf.«

Na schön. Was hatte er schon zu verlieren, abgesehen davon, dass die restliche Taxifahrt ein bisschen unangenehm werden konnte?

»Ich wollte sagen, dass ich heute Abend noch zu einer Veranstaltung muss, aber ich habe mich gefragt, ob du vielleicht Lust hast, danach noch etwas mit mir trinken zu gehen. Und was wolltest du sagen?«

»Ich … ich …«

Angesichts ihres Zögerns spürte Rafa, wie er sich anspannte. Was … was war das denn für ein Gefühl? Bei Frauen war er noch nie nervös gewesen. Und so selten es auch vorkam, dass eine Frau ihm einen Korb gab, es hatte ihn nie gestört. Und schon gar nicht wurde er unruhig, wenn er auf eine Antwort wartete.

»Ich wollte dich fragen, ob du wusstest, dass das Amazonasgebiet die Heimat einiger toller Bars ist, und ob du vielleicht heute Abend etwas mit mir trinken gehen würdest.«

Unauffällig atmete er auf. »Nein, das wolltest du nicht sagen.« Er lächelte sie an. Aber ein süßer Versuch von ihr.

»Stimmt.« Sie erwiderte sein Lächeln. »Eigentlich wollte ich fragen, ob du wusstest, dass das Amazonasgebiet Heimat von zweieinhalb Millionen Insektenarten ist. Aber … ich gehe gern etwas mit dir trinken.« Sie errötete. »Es sei denn, nach der langen Taxifahrt bist du zu dem Schluss gekommen, dass du diese geballte Großartigkeit nicht aushalten kannst. Und mit Großartigkeit meine ich das hier.« Sie strich demonstrativ mit beiden Händen über ihre Gürteltasche wie die Moderatorin beim Glücksrad.

Rafa brach in Gelächter aus und sah im Rückspiegel, wie der Fahrer die Brauen hochzog. Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten, dachte er. »Ich komme nur mit, wenn deine Gürteltasche auch mitkommt, Pringles. Und vergiss deine Snackbar nicht.«

»Du hast Glück, mein québécoasischer Freund. Dieses Ding dient zufällig auch als Snackbeutel.«

Er neigte den Kopf, um sein Lächeln zu verbergen, zumindest ein bisschen. »Klingt gut.«

Er war zwar zum Arbeiten hier, aber es sprach nichts dagegen, nach der Teambesprechung noch ein wenig Spaß zu haben. Wer wusste schon, wie lange es dauern würde bis zur nächsten Gelegenheit, sich ein bisschen auszutoben?

Aber danach würde er sich voll und ganz auf seine Aufgabe konzentrieren. Denn Rafa war nur aus einem einzigen Grund in Brasilien: um alle Versuche von Mr. Laritys Archäologenteam, die verlorene Stadt des Mondes zu finden, zu sabotieren.

3

Es gab überraschend viele Sicherheitsvorkehrungen bei dieser Expedition.

ID-Prüfung. Abtasten. Passwort. Warum nicht gleich einen geheimen Händedruck?

Eine Dame mit Klemmbrett in der Hand hakte Rafas Namen auf einer Liste ab, nachdem er ihr die Angaben in einer mit »R. Monfils« beschrifteten Mappe bestätigt hatte, und reichte ihm ein Namensschild. »Schreiben Sie Ihren vollständigen Namen darauf, Ihre Berufsbezeichnung und Ihren Arbeitgeber.«

Namensschilder? Das passte eher zu einem Networking-Event als zu einer streng geheimen archäologischen Expedition. Aber er war nicht zum Diskutieren hier, also beschriftete er das weiße Klebeschild und pappte es sich auf die Brust:

Name: Rafael Monfils

Beruf: Journalist/Fotograf

Arbeitgeber: Global Geography

Er sah sich um und betrachtete die Namensschilder der anderen: Archäologen, Feldmitarbeiter, Grabungstechniker, Historiker und Ausrüstungstechniker von verschiedenen Universitäten und Museen aus der ganzen Welt. Er war der Einzige, der keiner archäologischen Einrichtung angehörte. Das war in seinen Jahren bei GloGeo schon oft vorgekommen, aber normalerweise war er auch nicht für Fotos und Story verantwortlich. Offensichtlich wollte man die Zahl der Teilnehmer möglichst gering halten. Mehr Leute bedeuteten mehr Gerüchte. Rafa machte gute Fotos, aber ganz sicher nicht so gute wie die Fotografen, die normalerweise für solche Jobs engagiert wurden. Und er hatte auch noch nie eine Expedition direkt vom Anfang bis zum hoffnungsvollen (oder vielmehr: hoffnungslosen) Ende dokumentiert. Aber diesmal schon … und es konnte Wochen oder Monate dauern.

Auf der Dachterrasse des Hotels waren außer ihm mindestens ein weiteres Dutzend Leute, dazu noch das Personal, das gerade das Abendbüfett aufbaute. Zufällig hörte er, wie die Dame mit dem Klemmbrett (ANISSADAVIES, PROJEKTKOORDINATORIN, ARCHAEOLOGICALINSTITUTEOFAMERICA) dem Personal mitteilte, dass sämtliche Hotelangestellten die Dachterrasse verlassen mussten, sobald sich die Crew zum Essen setzte. Offenbar meinten sie es todernst mit dieser ganzen Geheimniskrämerei.

Auf dem Dach waren mehrere Tische aufgestellt, davor stand ein Rollwagen mit Laptop und Beamer-Leinwand. Toll, dachte er miesepetrig. Klar, eine Präsentation wäre bestimmt total hilfreich, aber er hoffte doch sehr, dass dieses Meeting sich nicht allzu sehr in die Länge zog, damit er es noch rechtzeitig zum Treffen mit Miri an der Hotelbar schaffte. Er wusste noch nicht recht, was er von dieser angeblichen Rucksackberaterin halten sollte, aber er konnte sich nicht erinnern, wann er zum letzten Mal beim Plaudern mit einer Frau so viel gelächelt hatte.

Er schüttelte den Kopf. Himmel, er konnte nicht fassen, dass er Miri echt mit dieser Québécois-Nummer gekommen war. Er würde sich bei ihr entschuldigen, weil er sich aufgeführt hatte wie ein schmieriges Arschloch.

»Global Geography also, was?«

Rafa drehte sich um und stand einem Mann Anfang vierzig gegenüber, der wie Crocodile Dundee gekleidet war, komplett mit Hut und allem Drum und Dran. Ernsthaft? Waren die Leute nicht inzwischen mal über diese ganze Archäologie-Cosplay-Scheiße hinweg?

Name: Dr. Bradley Quinn

Beruf: Archäologe, Doktor und Professor für Archäologie

Arbeitgeber: Joukowsky-Institut für Archäologie und die antike Welt, Brown University

Finden Sie das nicht selbst ein bisschen dick aufgetragen, Dr. Quinn? Rafa gab sein Bestes, nicht vorschnell zu urteilen, aber die Dinosaurierzahn-Kette – an einem Archäologenhals – machte echt keinen guten Eindruck.

»Hallo, ja. Rafa Monfils«, sagte er und streckte dem Mann die Hand entgegen.

»Dr. Bradley Quinn. Archäologe.«

Ja, Kumpel, schon verstanden.

»Wo ist der Rest Ihrer Crew?«, fragte Bradley und sah sich auf der Dachterrasse um.

»Die gesamte Crew steht vor Ihnen.«

Bradley starrte ihn mit gerunzelter Stirn an. »Kein Kameramann? Ich hatte darauf gehofft, mit ihm über ein paar Aufnahmen sprechen zu können, die ich gern von dieser Expedition hätte.«

Innerlich verdrehte Rafa die Augen. »Den Job erledige ich allein.« Demonstrativ schwenkte er die Kameratasche nach vorn, die er über der Schulter trug. Außerdem ließ sich Rafa bestimmt nicht von seinen Motiven herumkommandieren. »Sind Sie der Projektleiter?«

Bradley blies sich auf, und der Anflug eines Lächelns umspielte seinen Mund. »Tatsächlich ist es so, dass …« Er hielt inne, als ob ihm gerade klar wurde, dass er das, was ihm auf der Zunge lag, besser nicht sagte, bevor er fortfuhr: »Ich habe einfach nur ein gutes Auge für so etwas, das ist alles.«

Und schon gar nicht ließ sich Rafa von Wichtigtuern wie Bradley herumkommandieren. Wenn der Projektleiter einen besonderen Wunsch hatte, konnte Rafa gern versuchen, darauf einzugehen, solange das gewünschte Bild nicht inszeniert aussah … aber sicher nicht für diesen Typen.

»Gut, dass ich ebenfalls ein gutes Auge dafür habe. Ich sage Ihnen Bescheid, wenn ich mal Hilfe brauche.«

Also: niemals.

Bradley stierte ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Wahrscheinlich war es nicht die schlaueste Idee, sich gleich zu Beginn Feinde zu machen, aber Rafa wollte auch nicht, dass der gute Dr. Quinn unrealistische Erwartungen entwickelte. Normalerweise klappte es am besten, wenn Rafa den Leuten nicht in ihre Arbeit reinredete und umgekehrt. Denn Rafa verstand garantiert deutlich mehr von Fotografie als Brad, der Archäologe.

»Also dann«, verkündete Anissa lautstark. »Bedienen Sie sich bitte am Büfett, und nehmen Sie Ihre Plätze ein, damit wir anfangen können.«

»Man sieht sich«, sagte Rafa, klopfte Brad auf den Arm und ging zum Büfett rüber.

Die Expeditionsteilnehmer bildeten zwei Reihen links und rechts vom Büfetttisch, und alle füllten ihre Teller mit köstlichen regionalen Speisen. Rafa war völlig ausgehungert; er hatte in den letzten Stunden nur eine kleine Tüte mit Salzgebäck gegessen, die im Flieger ausgeteilt worden war – und Miris M&Ms hob er sich für den Notfall auf. Oder vielleicht, um sie später mit ihr zu teilen.

Er belud seinen Teller turmhoch, völlig auf die vor ihm ausgebreiteten Speisen konzentriert, und ignorierte die ringsum klappernden Teller und das Geschnatter des restlichen Teams. Kartoffeln, Fleischspieße, Reis mit einer dunklen, dicken Soße, Empanadas … er wollte alles haben, obwohl er jetzt schon wusste, dass er sich heillos überfressen würde. Aber wenn er mit Miri etwas trinken gehen wollte, brauchte er dringend eine solide Basis. Auf gar keinen Fall wollte er auf fast leeren Magen trinken.

»Meine Güte, Miriam. Geht das auch noch langsamer?«, rief eine Männerstimme.

Miriam?

Rafa blickte auf und stellte fest, dass vor ihm genau jene Frau stand, die er nicht aus dem Kopf bekam. Sie war frisch geduscht, hatte das noch feuchte Haar hochgesteckt und trug ein dunkelblaues T-Shirt in derselben Farbe wie der BH, von dem er behauptet hatte, ihn gar nicht gesehen zu haben. In einer Hand hielt sie einen Teller, der ebenso reichlich beladen war wie seiner. Sie schnitt dem Typen neben ihr eine Grimasse – es war Brad, wer sonst –, nahm eine Kelle voll brauner Soße und wollte sie gerade auf ihren Teller schöpfen.

»Miri?«, sagte Rafa.

Sie sah auf und erstarrte. »Rafa?« Langsam drehte sich ihr Handgelenk, und sie schüttete den Inhalt der Kelle neben ihren Teller. Die Soße spritzte auf den Boden.

»Passen Sie doch auf!«, rief Brad, und Miri warf die Schöpfkelle hastig zurück in die Metallschale. Mehrere Leute reichten ihr hilfsbereit Servietten, und nach einem letzten fragenden Blick in sein Gesicht war sie vom entstehenden Trubel abgelenkt.

Tja, das erklärte wohl einiges.

Weil Miri sowieso nicht mehr auf ihn achtete, arbeitete sich Rafa durch den Rest des Büfetts, obwohl sein Appetit urplötzlich wie weggeblasen war, und suchte sich einen Platz. Die ganze Zeit über starrte er zu Miri hinüber, in der Hoffnung, sie würde schnell fertig werden und einen der anderen drei Plätze an seinem Tisch einnehmen, aber daraus wurde nichts. Bevor sie die Chance dazu hatte, saßen längst andere Leute dort, und sie ergatterte den letzten freien Platz auf der gegenüberliegenden Seite der Dachterrasse – wo er sie immerhin ausgezeichnet sehen konnte. Die anderen am Tisch unterhielten sich miteinander, als wäre er gar nicht da. Währenddessen suchte er Miris Blick, versuchte, ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen, aber ihr Blick wanderte überallhin, nur nicht in seine Richtung.

Sie mied ihn offensichtlich. Wollte sie das jetzt etwa ernsthaft so durchziehen?

»Wo sind Dr. Mejía und Dr. Matthews? Ich dachte, sie würden diese Expedition leiten?«, lenkte jemand am Tisch das Gespräch auf ein neues Thema, aber Rafa hörte kaum hin.

»Vielleicht kundschaften sie schon die Gegend aus?«

»Ich kann es kaum erwarten, sie persönlich kennenzulernen. Haben Sie das Interview gesehen, das sie letzten Monat bei Good Morning America gegeben haben?«

»Sie sind so cool.«

»Hey, essen Sie das noch?« Jemand klopfte ihm leicht auf den Unterarm, und endlich riss er den Blick von Miri los.

»Was?«

»Ich habe gefragt, ob Sie das noch essen«, sagte sein Gegenüber, ein schlanker junger Schwarzer, und zeigte auf die Empanadas auf Rafas Teller. »Es gibt keine mehr, aber die sind sooo gut.«

»Bedienen Sie sich«, sagte Rafa und schob ihm seinen Teller rüber.

»Danke, Mann. Ich bin übrigens Felix.«

Rafa warf einen Blick auf sein Namensschild:

Name: Felix Richardson

Beruf: Ausrüstungstechniker

Arbeitgeber: Field Museum, Chicago, IL

»Rafa.«

»Kennen Sie hier irgendwen?« Er kaute auf einer Empanada herum, starrte Rafa an und wartete auf eine Antwort.

Rafa warf einen Blick in Miris Richtung, und diesmal erwischte er sie dabei, wie sie ihn anstarrte. Hastig sah sie weg. »Nicht wirklich. Und Sie?«

»Nein. Aber mein Chef im Field Museum ist mit Dr. Mejía und Dr. Matthews befreundet, den Expeditionsleitern. Er redet ständig von ihnen. Ich kann nicht fassen, dass ich mit ihnen arbeiten werde. Das wird verdammt großartig.«

Rafa hatte die Namen der Projektleiter nicht im Vorhinein erfahren, sonst hätte er vielleicht nicht nur zur Mondstadt recherchiert, sondern auch zu den beiden. Jetzt bedauerte er es, dass er nicht mehr Details von seinem Chef eingefordert hatte – der ihn praktisch dazu genötigt hatte, diesen Job anzunehmen. Alle redeten über Dr. Mejía und Dr. Matthews, als handle es sich um Prominente.

»Was hat es mit den beiden auf sich?«, fragte Rafa.

Felix räusperte sich. »Sie sind momentan gewissermaßen die berühmtesten Archäologen der Welt. Haben Sie von der Ausgrabung in Mexiko vor anderthalb Jahren gehört? Die so übel in die Hose gegangen ist? War überall in den Nachrichten. Die Geschichte mit den Schmugglern und den sterblichen Überresten dieses uralten Aztekenkriegers?«

Jetzt, da er darüber nachdachte … ja, Rafa hatte tatsächlich davon gehört. Er war zu dem Zeitpunkt gerade auf einem Einsatz im nördlichen Nova Scotia gewesen, hatte also nicht viel mitbekommen, aber er entsann sich noch, dass es eine ziemlich verrückte Geschichte gewesen war.

»Ja, das war ihre Expedition. Und Dr. Mejía ist eine echt heiße Schnitte«, sagte ein anderer Typ am Tisch.

Rafa hob eine Augenbraue und musterte ihn. »Wie professionell«, sagte er. Der Mann lief knallrot an. Wenn er auf der Suche nach jemandem war, mit dem er Männergespräche führen konnte, war er bei Rafa an der falschen Adresse.

»Wenn ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten dürfte«, verkündete Anissa von ihrem Tisch ganz vorn. »Ich weiß ja, Sie alle dürsten danach, mehr über die Expedition zu erfahren. Die beiden Projektleiter sind heute Abend leider nicht hier, aber sie haben uns eine Videonachricht geschickt, die ich Ihnen jetzt gern vorspielen möchte.«

Rafa blickte zu Miri hinüber und begegnete ihrem Blick, wenn auch nur für einen Sekundenbruchteil. Fragte mit geneigtem Kopf und hochgezogener Braue, was er nicht mit Worten fragen konnte: Tun wir so, als wären wir uns noch nie begegnet? Aber ihre Miene gab keine Antwort.

Dann richtete sie den Blick genau wie alle anderen auf den Bildschirm, offenbar entschlossen, ihm keinerlei Hinweise zu geben, und er seufzte stumm. Wahrscheinlich war es besser, wenn er jetzt ebenfalls aufpasste.

»Guten Abend, liebes Team. Ich bin Dr. Socorro Mejía, und das ist mein Partner Dr. Ford Matthews …«

Hm. Vom Bildschirm aus blickte ein ziemlich attraktives Duo in die Runde, und jetzt begriff Rafa, was die anderen eigentlich mit Dr. Mejía hatten – sie war tatsächlich heiß. Verdammt heiß sogar. Und er hatte kein Problem damit, zuzugeben, dass auch Dr. Matthews echt gut aussah. 

Aber Rafas Gedanken galten noch immer einem ganz bestimmten Paar saphirblauer Augen.

»Sie fragen sich wahrscheinlich, wo wir stecken, und wir werden gleich auf diese Frage eingehen. Aber zunächst möchten wir Ihnen näher erklären, weshalb Sie eigentlich hier sind«, fuhr Dr. Mejía fort. »Sie wurden ausgewählt, um ein Expeditionsteam aus zwölf Personen zu bilden, das nach der Cidade Perdida da Lua sucht – der verlorenen Stadt des Mondes.«

Leises Raunen ringsum. Interessant. Offenbar hatte nicht jeder im Vorfeld gewusst, worum es bei diesem Auftrag ging.

»Wir gehen davon aus, dass Sie alle schon mal von der Cidade da Lua gehört haben, aber falls nicht, hier eine kleine Einführung«, sagte Dr. Matthews. »Seit Jahrhunderten suchen Forscher weltweit nach dieser sagenumwobenen alten Stätte. Niemand weiß genau, wo sie sich befindet, aber allen Hinweisen nach dürfte die Mondstadt irgendwo im Amazonasgebiet zu finden sein. Die Legende besagt, dass die Stadt im Mondlicht glitzert. Die frühesten Berichte stammen von Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts. Die Mondstadt soll viele Schätze beherbergt haben: Edelmetalle, Edelsteine, kostbare Keramiken und Textilien. Sie blühte und gedieh etwa von Mitte bis Ende des fünfzehnten Jahrhunderts, doch dann verließen die Einwohner die Stadt und flohen in die Nachbarländer. Eine Erklärung dafür gibt es bis heute nicht, und man weiß auch nicht, wer sie eigentlich waren. Man vermutet, dass sie Nachfahren der Inka oder sogar Vorfahren der Yanomami oder Kayapo waren, aber genau weiß das niemand.«

»Denn es weiß auch niemand«, schaltete sich Dr. Mejía ein, »ob die Mondstadt wirklich existiert hat. Wir möchten Ihnen ganz klar sagen: Es ist gut möglich, dass diese Expedition ein Reinfall wird …«

Ja. Vor allem, wenn Rafa sein Ziel erreichte. Er kannte all diese Geschichten schon von seinem Vater, der ihn beschworen hatte: Du musst sie beschützen, mein Sohn. Beschütze die Cidade da Lua und das Erbe deiner Mutter.

Seine Stimme hallte in Rafas Kopf wider, warnte ihn davor, dass die heilige Stadt nicht in die Hände der westlichen Welt fallen durfte, die sie entweihen würde. Die Stadt war genau aus diesem Grund verlassen worden – um ihre Reichtümer gegen die Invasion der Spanier zu schützen. Um sie zu schützen vor Leuten wie Mr. Larity, Dr. Mejía und Dr. Matthews. Er durfte nicht zulassen, dass sie die Mondstadt zerstörten. Auf gar keinen Fall wollte er seinen Vater enttäuschen.

Es hatte immer nur sie beide gegeben, Rafa und seinen Vater. Sein Vater hegte eine tiefe Faszination für Archäologie und eine Vorliebe für Weltreisen und hatte Rafa schon früh daran teilhaben lassen. Er war es auch gewesen, der ihm den Job bei Global Geography verschafft hatte – ein Traumjob für jeden Journalisten.

Rafa hatte bereits mehr als hundert Länder bereist. Hatte die sieben Weltwunder gesehen, manche nicht nur einmal. Hatte die Schönheit der Erde bestaunt und bei seinem ersten Sonnenuntergang in der Hạ Long Bay in Vietnam beinahe geweint. Und jahrelang glaubte er, das große Los gezogen zu haben. Wer würde denn auch Nein sagen zu all diesen Möglichkeiten?

Doch während Rafas Vielfliegerstatus immer schwindelerregendere Höhen erklomm, erlosch langsam, aber stetig seine Begeisterung für das Leben als Weltenbummler. Mit jedem Land, das er besuchte, verpasste er eine weitere Party bei Freunden, jede Expedition kostete ihn ein Date. Er lebte aus Koffern und ernährte sich, wenn er nicht gerade unterwegs war, von Mikrowellengerichten und Essen vom Lieferdienst. Zu Hause wartete niemand auf ihn, bis auf seinen Vater – der jedoch dank seines philanthropischen Engagements und seiner Arbeit in unterschiedlichsten Gremien und Ausschüssen die Hälfte der Zeit nicht in der Stadt war, wenn Rafa nach Hause kam.

Rafa war müde. Reisemüde. Er war es leid, ständig in eine leere Wohnung zurückzukehren, manchmal nur für wenige Tage, ehe er auch schon wieder aufbrach. Früher einmal hatte er dieses Leben aufregend gefunden, jetzt kam es ihm rastlos vor. Er wünschte sich ein anderes Leben. Freunde, die er regelmäßig sah. Wollte eine Frau kennenlernen und mehr als nur wenige Male mit ihr ausgehen, ehe er wieder wochen- oder monatelang verschwand. Einen Job, den er sich selbst erarbeitet und nicht nur deshalb bekommen hatte, weil sein Vater im Vorstand saß. Selbst wenn das bedeutete, noch mal von vorn anzufangen.

Doch als er gekündigt hatte, hatte sein Chef seinen Vater angerufen, und der war mit einer besonderen Bitte an seinen Sohn herangetreten:

Rafael, es wird Zeit, dass du die Wahrheit über deine Herkunft erfährst. Die protetores da lua beschützen die Cidade da Lua, seit sie vor Hunderten von Jahren verlassen wurde. Man sagt, sie sind die Einzigen, die wissen, wo sich die Stadt wirklich befindet. Sie sind überall. Leben mitten unter uns wie ganz normale Menschen. Lauschen den Gerüchten. Beobachten alles. Warten darauf, dass der nächste Entdecker die Mondstadt ins Visier nimmt. Und deine Mutter … sie war eine von ihnen.

Ich verlasse mich auf dich. Du musst die Stadt vor diesen Schatzsuchern retten. Für deine Mutter.

Endlich war die Chance gekommen, herauszufinden, wer er wirklich war.

»Und nun zu der Frage, wo wir beide stecken«, fuhr Dr. Mejía fort, und Rafa richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Bildschirm. »Wir hatten ursprünglich vor, mit von der Partie zu sein und die Expedition zu leiten. Sie durch den Amazonas-Regenwald zu führen …«

»… und gemeinsam mit Ihnen vor Schwarzen Kaimanen und Zitteraalen zu flüchten«, sagte Dr. Matthews und warf Dr. Mejía einen liebevollen Blick zu. Sie stieß ihm spielerisch einen Ellbogen in die Rippen, und er zuckte zusammen.

»Aber …« Ein Kameraschwenk zeigte Dr. Matthews’ eingegipsten Arm. »Ford musste sich ja gestern unbedingt verletzen. Im Ernst … nur Ford bringt es fertig, beim Rasenmähen von einer ein Meter hohen Stützmauer zu stürzen und sich den Arm zu brechen«, sagte Dr. Mejía mit einem gutmütigen Augenrollen.

»Hey, das ist mir vorher noch nie passiert«, erwiderte er im selben Tonfall.

Hmm … wie soll das mit der Expedition denn dann funktionieren?

»Sie fragen sich wahrscheinlich, wie das mit der Expedition dann funktionieren soll«, sagte Dr. Mejía.

Anscheinend konnten sie Gedanken lesen. Vielleicht waren sie tatsächlich Superhelden.

»Angesichts der Herausforderungen des Amazonasgebiets«, sagte Dr. Matthews, »hielten wir es nicht für sinnvoll, dass ich diese Expedition begleite.«

»Und da Ford im Moment eine wandelnde Katastrophe ist …«

»Katastrophe?«, fragte er und schnitt ihr eine Grimasse.

»Babe, du hast dir heute Morgen schon beim Aufstehen den Zeh gestoßen.«

Hier und da kicherte jemand.

»Korrekt«, sagte er.

»Was ich sagen wollte, ist«, fuhr Dr. Mejía fort, »momentan werde ich hier gebraucht. Deshalb werden wir beide an dieser Expedition nicht persönlich teilnehmen.«

Sie sahen einander liebevoll an. Rafa konnte sich nicht erinnern, dass ihn jemand jemals so angesehen hatte.

»Zum Glück steckt unser handverlesenes Team voller Talente«, sagte Dr. Mejía. »Also haben wir unter Ihnen einen würdigen Ersatz für uns ausgewählt. Darf ich vorstellen: Dr. Bradley Quinn …«

Rafa kämpfte dagegen an, die Augen zu verdrehen, als Brad aufstand und sich selbst auf die Schulter klopfte – und ja, das tat er wirklich. Die allgemeine Aufmerksamkeit richtete sich auf ihn, während Dr. Matthews auf dem Bildschirm Brads Qualifikationen und seine berufliche Erfahrung pries. Rafa verschränkte die Arme vor der Brust. Expeditionsleitung hin oder her – er hatte trotzdem nicht vor, sich von Brad herumkommandieren zu lassen.

»Aber selbst wenn Dr. Quinn seine Aufgabe wohl auch allein bravourös meistern würde, braucht jeder gute Archäologe einen Partner. Jemanden, mit dem er sich austauschen kann«, sagte Dr. Matthews.

Brads Schultern sanken ein wenig, und Rafa grinste schadenfroh.

»Und der ihn korrigiert, wenn er mal falschliegt«, sagte Dr. Mejía und stupste Dr. Matthews in die Seite. »Wir stellen Ihnen hiermit Dr. Miriam Jacobs vor, Doktor der Archäologie und meine Kollegin an der UC Berkeley.«

Die Blicke aller Anwesenden richteten sich auf Miri, die erschrocken die Augen aufriss. Brads Reaktion deutete darauf hin, dass die plötzliche Wendung ihn nicht unvorbereitet getroffen hatte, aber Miri sah aus wie vom Donner gerührt. Nein, das war offensichtlich nicht so geplant gewesen. Und offenbar war ihre plötzliche Beförderung ihr auch nicht sonderlich willkommen – ebenso wenig wie Dr. Brad.