12,99 €
Vielfach gehen Angehörige bei der Pflege an ihre Grenzen und darüber hinaus. Obwohl es zwischenzeitlich viele unterstützende Leistungen gibt, werden diese von den Pflegenden oft nicht wahrgenommen.
Der Ratgeber Rechte und soziale Absicherung pflegender Angehöriger erklärt zustehende Leistungen und wie diese am besten in Anspruch genommen werden:
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 366
2., aktualisierte. Auflage
© WALHALLA Fachverlag, Regensburg
Dieses E-Book ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert, vervielfältigt oder verbreitet werden. Eine entgeltliche oder unentgeltliche Weitergabe oder Leihe an Dritte ist nicht erlaubt. Auch das Einspeisen des E-Books in ein Netzwerk (z. B. Behörden-, Bibliotheksserver, Unternehmens-Intranet) ist nicht erlaubt. Sollten Sie an einer Serverlösung interessiert sein, wenden Sie sich bitte an den WALHALLA-Kundenservice; wir bieten hierfür attraktive Lösungen an (Tel. 0941/5684-210).
Hinweis: Unsere Werke sind stets bemüht, Sie nach bestem Wissen zu informieren. Eine Haftung für technische oder inhaltliche Richtigkeit wird vom Verlag aber nicht übernommen. Verbindliche Auskünfte holen Sie gegebenenfalls bei Ihrem Rechtsanwalt ein.
Kontakt: Walhalla Fachverlag Haus an der Eisernen Brücke 93042 Regensburg Tel. (09 41) 56 84-0 Fax. (09 41) 56 84-111 E-Mail [email protected] Web
Vielfach gehen Angehörige bei der Pflege an ihre Grenzen und darüber hinaus. Obwohl es zwischenzeitlich viele unterstützende Leistungen gibt, werden diese von den Pflegenden oft nicht wahrgenommen.
Der Ratgeber Rechte und soziale Absicherung pflegender Angehöriger erklärt zustehende Leistungen und wie diese am besten in Anspruch genommen werden:
Auskunftsrechte, dauerhafte Pflegeberatung, kostenlose PflegekurseFinanzielle Hilfe in Akutsituationen durch PflegeunterstützungsgeldAuszeit vom Beruf durch Freistellung, Pflegezeit und FamilienpflegezeitAuszeit von der Pflege mithilfe von Verhinderungs-, KurzzeitpflegeAlltagsunterstützung durch EntlastungsbetragSoziale Absicherung durch Unfall-, Renten-, ArbeitslosenversicherungRalf Hauner ist Krankenkassenbetriebswirt, Dozent und Fachautor.
Vorwort
1. Rechtliche Grundlagen für die Ansprüche von Pflegepersonen
2. Aufklärung, Auskunft
3. Auszeit vom Beruf
4. Auszeit von der Pflege
5. Soziale Sicherung
Auszüge aus referenzierten Vorschriften
Ansprüche von Pflegepersonen
Abkürzungen
Die Gründung der Pflegeversicherung im Jahr 1995 erfolgte mit dem Ziel, das Risiko der Pflegebedürftigkeit abzusichern. Von Anfang an beinhaltete die Pflegeversicherung allerdings auch Schutzvorschriften für die Personen, die Pflegebedürftige ehrenamtlich pflegen, also die Pflegenden.
Die hohe Bedeutung der Pflegenden in Deutschland wird daran deutlich, dass von ca. 4,9 Millionen pflegebedürftigen Menschen im Sinne der Pflegeversicherung rund 80 Prozent in häuslicher Umgebung gepflegt werden und davon der überwiegende Teil von ihren Angehörigen.
Die Pflege von Menschen ist harte Arbeit. Eine entsprechende Vergütung gibt es für Familienangehörige und andere ehrenamtlich tätige Personen, wie z. B. Nachbarn oder Freunde, nicht oder nur in sehr geringem Maße. Deshalb ist es sachgerecht, dass der Gesetzgeber wenigstens für Versicherungsansprüche im Rahmen der Sozialversicherung sorgt.
Daneben gibt es zwei Ergänzungsgesetze, nämlich das Pflegezeitgesetz und das Familienpflegezeitgesetz. Sozialversicherungsrechtlich erfolgen in verschiedenen Bereichen Absicherungen für Pflegende. Hierbei handelt es sich um die Bereiche Renten-, Arbeitslosen- und Unfallversicherung.
Die Pflege ist und bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die soziale Pflegeversicherung ist eine wichtige Säule bei der Schaffung bedarfsgerechter Angebote. Sie stellt als Teilleistungssystem eine Absicherung in Form von unterstützenden Hilfeleistungen zur Verfügung, die Eigenleistungen der Versicherten jedoch nicht unentbehrlich machen. Die Weiterentwicklung der Pflegeversicherung ist eine der Hauptaufgaben der Regierung. Am 01.07.2023 ist das Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG) in Kraft getreten. Wesentliche Inhalte des Gesetzes sind die Staffelung der Beitragssätze zur Pflegeversicherung je nach Kinderzahl und Leistungsverbesserungen im Bereich der häuslichen und stationären Pflege ab dem 01.01.2024.
Diese Änderungen wurden neu in das Buch integriert und ausführlich dargestellt.
Dabei gilt es, die Situation der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen zu verbessern, sie vor wirtschaftlicher Überforderung zu schützen sowie die Beitragssatzstabilität abzusichern
Aufgrund der Vielzahl von Ansprüchen von Pflegepersonen ist es für den Einzelnen schwierig, seine Ansprüche zu kennen und durchzusetzen. Dabei will dieses Buch Hilfestellung bieten. Es erläutert alle Leistungsansprüche pflegender Personen gegen die Pflegeversicherung, aber auch gegen die anderen Sozialversicherungsträger.
Rechte und Ansprüche von Pflegepersonen werden im Einzelnen in den folgenden Kapiteln behandelt. Dazu zählen u. a.:
Aufklärung, Pflegeberatung und Auskunft
Pflegezeit
kurzzeitige Arbeitsverhinderung und Pflegeunterstützungsgeld
Familienpflegezeitgesetz
Verhinderungs- und Kurzzeitpflege
Entlastungsbeträge
Leistungen der gesetzlichen Unfall-, Renten- und Arbeitslosenversicherung
München, im Dezember 2023
Ralf Hauner
Häusliche Pflege als Grundlage der Pflegeversicherung
Begriff der Pflegebedürftigkeit
Begriff der Pflegepersonen
Pflegegeld als finanzielle Anerkennung
„Die Pflegeversicherung soll mit ihren Leistungen vorrangig die häusliche Pflege und die Pflegebereitschaft der Angehörigen und Nachbarn unterstützen, damit die Pflegebedürftigen möglichst lange in ihrer häuslichen Umgebung bleiben können.“ – so der Wortlaut von § 3 Satz 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI). Diese Vorschrift stellt eines der wesentlichen Ziele der Pflegeversicherung heraus: in besonderem Maße die häusliche Pflege zu unterstützen und zu fördern. In Satz 2 bestimmt § 3 SGB XI zudem den Vorrang der häuslichen Pflege und teilstationären Pflege sowie der Kurzzeitpflege gegenüber den Leistungen der vollstationären Pflege.
Diese Leitgedanken des SGB XI zeigen auf, dass die Pflegeversicherung ein Teilkaskosystem ist, mit dem Hilfebedarfe bei Pflegebedürftigen mitfinanziert, aber niemals ganz abgedeckt werden. Der Staat verlässt sich vielmehr darauf, dass Angehörige oder sonstige Freiwillige/Ehrenamtliche die Pflege- und Betreuungsarbeit übernehmen (sog. Laienpflege).
Derzeit werden in Deutschland 70 Prozent der Pflegebedürftigen im häuslichen Umfeld gepflegt. Dies zeigt den hohen Stellenwert der häuslichen Pflege und den großen Wunsch der Pflegebedürftigen, im häuslichen Umfeld verbleiben zu können.
Der Vorrang der häuslichen Pflege führt nicht zu einer eingeschränkten Berücksichtigung der individuellen Pflegesituation bei der Leistung. Berechtigten Wünschen (vgl. § 2 Abs. 2 SGB XI, § 33 SGB I) des Pflegebedürftigen ist Rechnung zu tragen. Der Vorrang häuslicher Pflege hat dort seine Grenzen, wo bedingt durch die familiären oder sozialen Verhältnisse eine angemessene Versorgung und Betreuung im häuslichen Bereich nicht sichergestellt ist. Wird festgestellt, dass die häusliche Pflege nicht in geeigneter Weise durchgeführt werden kann, so ist darauf hinzuwirken, dass diese zweckentsprechend erfolgt.
Aus dem Vorrang der häuslichen Pflege folgt, dass auch teilstationäre Leistungen und Kurzzeitpflege gegenüber den Leistungen bei nicht nur vorübergehender vollstationärer Pflege vorrangig sind. Diese Leistungen ergänzen oder ersetzen die häusliche Pflege. Sie stellen sicher, dass die enge Beziehung des Pflegebedürftigen zu seiner Familie und seinem Wohnbereich aufrechterhalten bleibt.
Die Leistungen der Pflegeversicherung werden als Dienst-, Sach- oder Geldleistungen sowie als Kostenerstattung erbracht. Sie sollen dazu beitragen, den Bedarf des Pflegebedürftigen an körperbezogenen Pflegemaßnahmen und pflegerischen Betreuungsmaßnahmen sowie an Hilfen bei der Haushaltsführung zu decken.
Zu den körperbezogenen Pflegemaßnahmen gehören die notwendigen pflegerischen nichtmedizinischen Hilfe- und Unterstützungsleistungen in den in § 14 Abs. 2 Nr. 1 und § 4 SGB XI aufgeführten Bereichen sowie die Anleitung der Ausführung dieser Aktivitäten oder die Anleitung zur Selbstvornahme. Ziel der Hilfe ist die Beseitigung und Minderung der Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten oder die Vermeidung der Verschlimmerung der Pflegebedürftigkeit.
Pflegerische Betreuungsmaßnahmen umfassen Unterstützungsleistungen zur Bewältigung psychosozialer Problemlagen oder Gefährdungen (Selbst- oder Fremdgefährdung), bei der Orientierung, bei der Tagesstruktur, bei der Kommunikation, bei der Aufrechterhaltung sozialer Kontakte, bei der bedürfnisgerechten Beschäftigung im Alltag sowie Maßnahmen zur kognitiven Aktivierung. Sie dienen auch der alltäglichen Freizeitgestaltung. Die pflegerischen Betreuungsmaßnahmen können auch durch Anwesenheit einer geeigneten Pflegekraft, die jeweils bei Bedarf situationsgerecht Unterstützung leistet, erbracht werden.
Die Behandlungspflege bei häuslicher Pflege (z. B. medizinische Hilfeleistungen wie Verbandswechsel, Medikamentengabe) stellt keine Leistung der Pflegeversicherung dar; sie wird weiterhin durch die gesetzliche Krankenversicherung erbracht. Die Behandlungspflege in teil- und vollstationären Pflegeeinrichtungen sowie in Kurzzeitpflegeeinrichtungen ist Bestandteil der Leistungen der Pflegeversicherung.
Soweit sich Pflegebedürftige in teil- und vollstationären Pflegeeinrichtungen sowie in Kurzzeitpflegeeinrichtungen befinden, umfasst das Leistungsspektrum auch die Betreuung.
Pflegebedürftig i. S. d. SGB XI sind Personen, die aufgrund von gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten nach Maßgabe der im Gesetz abschließend definierten Kriterien in den sechs Bereichen des § 14 Abs. 2 SGB XI der Hilfe anderer bedürfen, auf die im Folgenden näher eingegangen wird. Der Hilfebedarf muss auf den in den Kriterien beschriebenen, gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten beruhen; andere Ursachen für einen Hilfebedarf bleiben außer Betracht. Die Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten werden personenbezogen und unabhängig vom jeweiligen (Wohn-)Umfeld ermittelt. Dabei sind nur solche Personen pflegebedürftig, die körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen sowie gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbstständig kompensieren oder bewältigen können. Die Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten und der Hilfebedarf durch andere müssen zumindest in der in § 15 SGB XI festgelegten Schwere und auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, bestehen.
Liegt der erforderliche Hilfebedarf nur kurzzeitig oder unterhalb der Schwelle der geringen Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten bzw. bei Kindern im Alter bis 18 Monaten nach § 15 Abs. 7 Nr. 1 SGB XI vor, ist dieser nicht von der Solidargemeinschaft der Pflegeversicherten zu finanzieren. Für diesen Hilfebedarf kann und soll der Einzelne – entsprechend dem Grundsatz der Subsidiarität solidarischer Hilfen gegenüber der Eigenverantwortung – selbst einstehen.
Der Leistungsanspruch nach dem SGB XI setzt eine auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, bestehende Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten des Antragstellers mit daraus resultierendem Bedarf an Hilfe durch andere voraus. Der Einschub „voraussichtlich für mindestens sechs Monate“ präzisiert den Begriff „auf Dauer“ in mehrfacher Hinsicht. Zum einen wird festgelegt, dass nur Zeiträume von mindestens sechs Monaten die Voraussetzung „auf Dauer“ erfüllen. Zum anderen wird verdeutlicht, dass bereits vor Ablauf von sechs Monaten eine Entscheidung über das Vorliegen von Pflegebedürftigkeit getroffen werden kann, wenn vorhersehbar ist, dass der Zustand der Beeinträchtigung mindestens sechs Monate andauern wird. Pflegebedürftigkeit auf Dauer ist auch gegeben, wenn die Beeinträchtigung der Selbstständigkeit nur deshalb nicht über sechs Monate hinausgeht, weil die zu erwartende Lebensspanne voraussichtlich weniger als sechs Monate beträgt.
Bei der Bestimmung des Sechs-Monats-Zeitraums ist vom Eintritt der Beeinträchtigung und nicht vom Zeitpunkt der Begutachtung auszugehen.
Liegen die Voraussetzungen für die Zuordnung zu einem Pflegegrad für mindestens sechs Monate vor und ist mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass sich die gesundheitliche Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder Fähigkeiten des Antragstellers, z. B. durch therapeutische oder rehabilitative Maßnahmen, pflegegradrelevant verringert, kann die Zuordnung zu einem Pflegegrad auf Empfehlung des Medizinischen Dienstes (MD) oder des von der Pflegekasse beauftragten Gutachters auf die Dauer der wahrscheinlichen Pflegebedürftigkeit befristet werden.
Maßgeblich für das Vorliegen von Pflegebedürftigkeit sind gesundheitliche Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten in den in § 14 Abs. 2 SGB XI genannten sechs Bereichen. Diese umfassen jeweils eine Gruppe artverwandter Kriterien oder einen Lebensbereich. Sie stellen einen abschließenden Katalog der zu berücksichtigenden Kriterien dar, anhand derer Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten festgestellt werden sollen. Die einzelnen Kriterien sind in den Begutachtungsrichtlinien nach § 17 SGB XI in der Fassung ab dem 01.01.2017 durch den GKV-Spitzenverband pflegefachlich konkretisiert. Insbesondere sind in diesen die fachlichen Hintergründe und Inhalte der Kriterien hinterlegt, an die die Gutachter des MD und die von der Pflegekasse beauftragten Gutachter bei der Begutachtung bundesweit gebunden sind. Es handelt sich dabei um die folgenden Kriterien.
Maßgeblich ist, ob der Antragsteller in der Lage ist, ohne personelle Unterstützung bestimmte Körperhaltungen einzunehmen und sich fortzubewegen. Es werden lediglich Aspekte wie Körperkraft, Balance, Bewegungskoordination etc. beurteilt und nicht die zielgerichtete Fortbewegung. Es werden nicht die Folgen kognitiver Beeinträchtigungen berücksichtigt. Der Bereich beinhaltet die folgenden Kriterien:
Positionswechsel im Bett
Halten einer stabilen Sitzposition
Umsetzen
Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs
Treppensteigen
In diesem Bereich werden ausschließlich kognitive und kommunikative Fähigkeiten und Aktivitäten betrachtet. Maßgeblich sind Aspekte des Erkennens, Entscheidens oder des Steuerns von Aktivitäten und nicht deren motorische Umsetzung. Es ist unerheblich, ob ein zuvor selbstständiger Erwachsener eine Fähigkeit verloren oder nie ausgebildet hat. Der Bereich beinhaltet die folgenden Kriterien:
Erkennen von Personen aus dem näheren Umfeld
örtliche Orientierung
zeitliche Orientierung
Erinnern an wesentliche Ereignisse oder Beobachtungen
Steuern von mehrschrittigen Alltagshandlungen
Treffen von Entscheidungen im Alltagsleben
Verstehen von Sachverhalten und Informationen
Erkennen von Risiken und Gefahren
Mitteilen von elementaren Bedürfnissen
Verstehen von Aufforderungen
Beteiligen an einem Gespräch
In diesem Bereich werden Verhaltensweisen und psychische Problemlagen als Folge von Gesundheitsproblemen betrachtet, die immer wieder auftreten und personelle Unterstützung erforderlich machen. Im Mittelpunkt steht die Frage, inwieweit der Antragsteller sein Verhalten ohne personelle Unterstützung steuern kann. Von fehlender „Selbststeuerung“ ist auch dann auszugehen, wenn ein Verhalten zwar nach Aufforderung abgestellt wird, aber danach immer wieder aufs Neue auftritt, weil das Verbot nicht verstanden wird oder die Person sich nicht erinnern kann. Zu den Problemen gehören:
motorisch geprägte Verhaltensauffälligkeiten
nächtliche Unruhe
selbstschädigendes und autoaggressives Verhalten
Beschädigen von Gegenständen
psychisch aggressives Verhalten gegenüber anderen Personen
verbale Aggression
andere pflegerelevante vokale Auffälligkeiten
Abwehr pflegerischer und anderer unterstützender Maßnahmen
Wahnvorstellungen
Ängste
Antriebslosigkeit bei depressiver Stimmungslage
sozial inadäquate Verhaltensweisen
sonstige pflegerelevante inadäquate Handlungen
In diesem Bereich ist maßgeblich, ob die nachfolgend genannten Handlungen praktisch durchgeführt werden können. Es ist unerheblich, ob die Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit aufgrund von Schädigungen somatischer oder mentaler Funktionen bestehen. Die Kriterien sind wie folgt:
Waschen des vorderen Oberkörpers
Körperpflege im Bereich des Kopfes
Waschen des Intimbereichs
Duschen und Baden einschließlich Waschen der Haare
An- und Auskleiden des Oberkörpers
An- und Auskleiden des Unterkörpers
mundgerechtes Zubereiten der Nahrung und Eingießen von Getränken
Essen
Trinken
Benutzen einer Toilette oder eines Toilettenstuhls
Bewältigen der Folgen einer Harninkontinenz und Umgang mit Dauerkatheter und Urostoma
Bewältigen der Folgen einer Stuhlinkontinenz und Umgang mit Stoma
Ernährung parenteral oder über Sonde
bei der Nahrungsaufnahme bei Kindern im Alter von bis zu 18 Monaten: Bestehen gravierender Probleme, die einen außergewöhnlich pflegeintensiven Hilfebedarf auslösen
In diesem Bereich geht es um die Durchführung ärztlich verordneter Maßnahmen, die gezielt auf eine bestehende Erkrankung ausgerichtet und für voraussichtlich mindestens sechs Monate erforderlich sind. Maßgeblich ist, ob der Antragsteller die jeweilige Aktivität praktisch durchführen kann. Ist dies nicht der Fall, wird die Häufigkeit der Hilfe durch andere Personen dokumentiert (oftmals identisch mit der ärztlich angeordneten Häufigkeit). Es ist unerheblich, ob die Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit aufgrund von Schädigungen somatischer oder mentaler Funktionen bestehen. Lösungsansätze sind:
Medikation
Injektionen
Versorgung intravenöser Zugänge (Port)
Absaugen und Sauerstoffgabe
Einreibungen sowie Kälte- und Wärmeanwendungen
Messung und Deutung von Körperzuständen
körpernahe Hilfsmittel
Verbandwechsel und Wundversorgung
Versorgung mit Stoma
regelmäßige Einmal-Katheterisierung und Nutzung von Abführmethoden
Therapiemaßnahmen in häuslicher Umgebung
zeit- und technikintensive Maßnahmen in häuslicher Umgebung
Arztbesuche
Besuche anderer medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen (bis zu drei Stunden)
zeitlich ausgedehnte Besuche medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen (länger als drei Stunden)
Einhalten einer Diät oder anderer krankheits- oder therapiebedingter Verhaltensvorschriften
Besuch von Einrichtungen zur Frühförderung bei Kindern
Maßgeblich ist, ob der Antragsteller die nachfolgend genannten Aktivitäten praktisch durchführen kann. Es ist unerheblich, ob die Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit aufgrund von Schädigungen somatischer oder mentaler Funktionen bestehen. Die Kriterien im Einzelnen sind wie folgt:
Gestaltung des Tagesablaufs und Anpassung an Veränderungen
Ruhen und Schlafen
sich beschäftigen
Vornehmen von in die Zukunft gerichteten Planungen
Interaktion mit Personen im direkten Kontakt
Kontaktpflege zu Personen außerhalb des direkten Umfelds
Zusätzlich wird erfasst, ob eine besondere Bedarfskonstellation vorliegt. Besondere Bedarfskonstellationen betreffen Antragsteller mit schwersten Beeinträchtigungen und einem außergewöhnlich hohen bzw. intensiven Hilfebedarf, der besondere Anforderungen an die pflegerische Versorgung aufweist. Das Vorliegen einer besonderen Bedarfskonstellation ist in den Begutachtungsrichtlinien definiert. Hier wird das Kriterium Gebrauchsunfähigkeit beider Arme und Beine berücksichtigt.
Der Pflegegrad orientiert sich an der Schwere der Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten. Insgesamt gibt es fünf Pflegegrade:
Pflegegrad 1: geringe Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten
Pflegegrad 2: erhebliche Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten
Pflegegrad 3: schwere Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten
Pflegegrad 4: schwerste Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten
Pflegegrad 5: schwerste Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung
Die Ermittlung des Pflegegrades erfolgt mithilfe eines Begutachtungsinstruments (vgl. Begutachtungsrichtlinien). Dieses ist in sechs Module gegliedert, die den soeben genannten sechs Bereichen
Mobilität,
kognitive und kommunikative Fähigkeiten,
Verhaltensweisen und psychische Problemlagen,
Selbstversorgung,
Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen sowie
Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte
in § 14 Abs. 2 SGB XI entsprechen. Zusätzlich umfasst es die Bereiche außerhäusliche Aktivitäten und Haushaltsführung. Diese werden zwar festgestellt, sie gehen jedoch nicht in die Ermittlung des Pflegegrades mit ein. In den einzelnen Kriterien der Module 1 bis 6 werden die Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten bewertet und für jedes erhobene Kriterium je nach Schweregrad der Beeinträchtigungen Einzelpunkte vergeben. Zudem werden die Module zueinander gewichtet, um körperliche, kognitive und psychische Beeinträchtigungen anhand eines übergreifenden Maßstabs der Schwere der Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten in ein Verhältnis zu stellen, das die verschiedenen Arten von Beeinträchtigungen angemessen berücksichtigt. Aus dem so ermittelten Gesamtpunktwert wird der Pflegegrad abgeleitet.
Die Konkretisierung der Kategorien der Module, der jeweiligen Einzelpunkte, Summe der Einzelpunkte und gewichteten Punkte in jedem Modul ist in den jeweiligen Anlagen 1 und 2 zu § 15 SGB XI festgelegt.
Zunächst werden in den Modulen 1 bis 6 für jedes Kriterium der Bereiche des § 14 Abs. 2 SGB XI die Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten erhoben. Mit Ausnahme von Modul 5 ist für die Bewertung der Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit und der Fähigkeiten eine Skalierung von vier Schweregraden vorgesehen. Je nach Ausprägung des Kriteriums wird eine entsprechende Punktzahl vergeben.
In den Modulen 1, 4 und 6 wird der Grad der Selbstständigkeit des Antragstellers anhand einer vierstufigen Skala von selbstständig, überwiegend selbstständig, überwiegend unselbstständig bis unselbstständig zugeordnet.
Selbstständig: Selbstständig ist ein Antragsteller, wenn er die Aktivität in der Regel selbstständig durchführen kann. Möglicherweise ist die Durchführung erschwert oder verlangsamt oder nur unter Nutzung von Hilfsmitteln möglich. Entscheidend ist jedoch, dass der Antragsteller keine personelle Hilfe benötigt. Vorübergehende oder nur vereinzelt auftretende Beeinträchtigungen sind nicht zu berücksichtigen.
Überwiegend selbstständig: Überwiegende Selbstständigkeit liegt vor, wenn der Antragsteller den größten Teil der Aktivität selbstständig durchführen kann. Dementsprechend entsteht nur ein geringer, mäßiger Aufwand für die Pflegeperson.
Überwiegend unselbstständig: Überwiegende Unselbstständigkeit des Antragstellers liegt vor, wenn die Aktivität nur zu einem geringen Anteil selbstständig durchgeführt werden kann. Es sind aber Ressourcen vorhanden, sodass eine Beteiligung möglich ist. Dies setzt ggf. ständige Anleitung oder aufwändige Motivation auch während der Aktivität voraus oder Teilschritte der Handlung müssen übernommen werden. Zurechtlegen und Richten von Gegenständen, wiederholte Aufforderungen oder punktuelle Unterstützungen reichen nicht aus.
Unselbstständig: Unselbstständigkeit liegt vor, wenn der Antragsteller die Aktivität in der Regel nicht selbstständig durchführen bzw. steuern kann, auch nicht in Teilen. Es sind kaum oder keine Ressourcen vorhanden. Ständige Motivation, Anleitung und Beaufsichtigung reichen auf keinen Fall aus. Die Pflegeperson muss alle oder nahezu alle Teilhandlungen anstelle des Antragstellers durchführen. Eine minimale Beteiligung ist nicht zu berücksichtigen (z. B. wenn sich der Antragsteller in sehr geringem Umfang mit Teilhandlungen beteiligt).
Im Modul 2 wird die Intensität einer funktionalen Beeinträchtigung bezüglich kognitiver und kommunikativer Fähigkeiten einer vierstufigen Skala zugeordnet:
Fähigkeit vorhanden bzw. unbeeinträchtigt
Fähigkeit größtenteils vorhanden
Fähigkeit in geringem Maße vorhanden
Fähigkeit nicht vorhanden
Fähigkeit vorhanden bzw. unbeeinträchtigt: Die Fähigkeit ist (nahezu) vollständig vorhanden.
Fähigkeit größtenteils vorhanden: Die Fähigkeit ist überwiegend (die meiste Zeit über, in den meisten Situationen), aber nicht durchgängig vorhanden. Der Antragsteller hat Schwierigkeiten, höhere oder komplexere Anforderungen zu bewältigen.
Fähigkeit in geringem Maße vorhanden: Die Fähigkeit ist stark beeinträchtigt, aber erkennbar vorhanden. Der Antragsteller hat häufig und/oder in vielen Situationen Schwierigkeiten. Er kann nur geringe Anforderungen bewältigen. Es sind Ressourcen vorhanden.
Fähigkeit nicht vorhanden: Die Fähigkeit ist nicht oder nur in sehr geringem Maße (sehr selten) vorhanden.
Im Modul 3 wird die Häufigkeit des Auftretens bezüglich der Verhaltensweisen einer vierstufigen Skala zugeordnet:
nie oder sehr selten
selten, das heißt ein- bis dreimal innerhalb von zwei Wochen
häufig, das heißt zweimal bis mehrmals wöchentlich, aber nicht täglich
täglich
Im Modul 5 werden verschiedene Kategorien bewertet, also das Vorkommen, die Häufigkeit des Auftretens und die Selbstständigkeit des Antragstellers bei der Durchführung.
Die Einzelpunkte der jeweiligen Kategorien eines Moduls sind in Anlage 1 zu § 15 SGB XI festgesetzt. Die so ermittelten Einzelpunkte werden zu einem Gesamtwert aufsummiert. Dieser Gesamtwert wird je nach Schwere der Beeinträchtigungen einem gewichteten Punktwert zugeordnet, der das Ausmaß der Beeinträchtigung der Selbstständigkeit des jeweiligen Moduls widerspiegelt. Der gewichtete Punktwert ist in Anlage 2 zu § 15 SGB XI festgesetzt. Die Module werden wie folgt gewichtet:
Mobilität: 10 Prozent
kognitive und kommunikative Fähigkeiten sowie Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: 15 Prozent
Selbstversorgung: 40 Prozent
Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen: 20 Prozent
Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte: 15 Prozent
Es ist unerheblich, ob die Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit aufgrund von Schädigungen somatischer oder mentaler Funktionen bestehen.
ModuleSchweregrad der Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeitenkeinegeringeerheblicheschwereschwerste01234Mobilität(10 Prozent)Summe der Punkte Modul 10–12–34–56–910–15Gewichtete Punkte Modul 102,557,510Kognitive und kommunikative FähigkeitenSumme der Punkte Modul 20–12–56–1011–1617–33Verhaltensweisen und psychische ProblemlagenSumme der Punkte Modul 301–23–45–67–65Höchster Wert aus Modul 2 oder 3 (15 Prozent)03,757,511,2515Selbstversorgung (40 Prozent)Summe der Punkte Modul 40–23–78–1819–3637–54Gewichtete Punkte Modul 4010203040Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen (20 Prozent)Summe der Punkte Modul 5012–34–56–15Gewichtete Punkte Modul 505101520Aus der Zusammenführung aller gewichteten modulspezifischen Punkte ergibt sich der Gesamtpunktwert, der das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit bestimmt und auf dessen Grundlage sich der Pflegegrad ableitet. Eine Besonderheit besteht darin, dass nicht beide Werte der Module 2 und 3, sondern nur der höchste der beiden Werte in die Berechnung eingeht.
Auf der Basis der ermittelten Gesamtpunktzahl ist der Antragsteller in einen der Pflegegrade einzuordnen. Pflegebedürftigkeit liegt vor, wenn der Gesamtpunktwert mindestens 12,5 Punkte beträgt. Der Grad der Pflegebedürftigkeit bestimmt sich wie folgt:
Pflegegrad 1: ab 12,5 bis unter 27 Gesamtpunkte
Pflegegrad 2: ab 27 bis unter 47,5 Gesamtpunkte
Pflegegrad 3: ab 47,5 bis unter 70 Gesamtpunkte
Pflegegrad 4: ab 70 bis unter 90 Gesamtpunkte
Pflegegrad 5: ab 90 bis 100 Gesamtpunkte
Pflegebedürftige mit besonderen Bedarfskonstellationen aufgrund der Gebrauchsunfähigkeit beider Arme und Beine werden unabhängig vom Erreichen des Schwellenwertes von 90 Punkten dem Pflegegrad 5 zugeordnet.
Personen, die nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen bei Krankheit und Pflege Anspruch auf Beihilfe oder Heilfürsorge haben, erhalten die jeweils zustehenden Leistungen zur Hälfte; dies gilt auch für den Wert der Sachleistungen.
Das Verfahren zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit ist in den Begutachtungsrichtlinien verbindlich geregelt. Die Entscheidung über das Vorliegen von Pflegebedürftigkeit und die Zuordnung in einen Pflegegrad ist von der Pflegekasse unter maßgeblicher Berücksichtigung des Gutachtens des MD oder des von ihr beauftragten Gutachters zu treffen. Der Pflegekasse obliegt auch die Entscheidung über die zu erbringenden Leistungen nach dem SGB XI.
Die Pflegekasse hat – trotz evtl. vorliegender eindeutiger Aussagen – bei Eingang des Leistungsantrags des Versicherten eine Prüfung durch den MD oder durch einen von ihr beauftragten Gutachter zu veranlassen. Ausnahmsweise kann die Einschaltung des MD oder des von der Pflegekasse beauftragten Gutachters unterbleiben, wenn die Anspruchsvoraussetzungen auch ohne eine Begutachtung von vornherein verneint werden können.
Als Leistungsantrag ist die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über die Pflegebedürftigkeit oder die Notwendigkeit bestimmter Leistungen nicht erforderlich. Häufig wird aus den Unterlagen der Krankenkasse ersichtlich sein, dass eine Pflegebedürftigkeit oder die Notwendigkeit zur Erbringung bestimmter diesbezüglicher Leistungen besteht. Gegebenenfalls wird die Pflegekasse auf Initiative der Krankenkasse tätig. Ausreichend ist auch die mit Einwilligung des Versicherten erfolgte Unterrichtung der Pflegekasse durch Dritte.
Die Pflegekassen übermitteln die Aufträge zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit an den Medizinischen Dienst oder an die von ihnen beauftragten Gutachter. Die Übermittlung eines Auftrags hat innerhalb von drei Arbeitstagen ab Eingang des Antrags auf Pflegeleistungen in gesicherter elektronischer Form zu erfolgen. Der Medizinische Dienst Bund regelt im Benehmen mit dem Spitzenverband Bund der Pflegekassen in den Richtlinien, welche Unterlagen zwingend zur Beauftragung der Feststellung von Pflegebedürftigkeit erforderlich sind.
Die Pflegekasse hat dem Antragsteller im Regelfall innerhalb von 25 Arbeitstagen nach Antragseingang die Entscheidung über seinen Antrag schriftlich mitzuteilen.
Grundsätzlich gilt: Der Gutachter des MD oder ein externer Gutachter soll innerhalb von 20 Arbeitstagen ab Antragstellung eine Begutachtung vornehmen. Ist innerhalb dieser Frist keine Begutachtung erfolgt, sind dem Antragsteller durch die Pflegekasse mindestens drei unabhängige Gutachter vorzuschlagen, aus denen er wählen kann.
Für besondere Fallgestaltungen, in denen Leistungsentscheidungen kurzfristig erforderlich sind, um die Weiterversorgung zu organisieren oder ergänzende Ansprüche realisieren zu können, sieht die gesetzliche Regelung explizite Fristen für die Begutachtung durch den MD oder den von der Pflegekasse beauftragten Gutachter vor. So ist die Begutachtung unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche nach Eingang des Antrags bei der zuständigen Pflegekasse durchzuführen, wenn
sich der Versicherte in einer Einrichtung (im Krankenhaus, in einer stationären Rehabilitationseinrichtung) befindet und Hinweise vorliegen, dass zur Sicherstellung der ambulanten oder stationären Weiterversorgung und Betreuung eine Begutachtung in der Einrichtung erforderlich ist, oder
die Inanspruchnahme von Pflegezeit nach dem Pflegezeitgesetz gegenüber dem Arbeitgeber der pflegenden Person angekündigt wurde oder
mit dem Arbeitgeber der pflegenden Person eine Familienpflegezeit nach § 2 Abs. 1Familienpflegezeitgesetz vereinbart wurde.
Eine Begutachtung ist spätestens innerhalb von zehn Arbeitstagen nach Eingang des Antrags bei der Pflegekasse durchzuführen, wenn der Antragsteller zu Hause lebt, ohne palliativ versorgt zu werden, und die (zukünftige) Pflegeperson beim Arbeitgeber Pflegezeit angekündigt oder Familienpflegezeit vereinbart hat.
In den Fällen der verkürzten Begutachtungsfrist muss die Empfehlung der Gutachter nur die Feststellung enthalten, ob Pflegebedürftigkeit vorliegt und ob mindestens die Voraussetzungen des Pflegegrades 2 erfüllt sind. Die vollständige Begutachtung ist unverzüglich nachzuholen.Folgt auf einen Krankenhaus- oder Reha-Aufenthalt des Versicherten eine Kurzzeitpflege, hat die abschließende Begutachtung spätestens am 10. Arbeitstag nach Beginn der Kurzzeitpflege in der Einrichtung zu erfolgen.
Hält die Kasse die verkürzten Begutachtungsfristen oder die Entscheidungsfrist von 25 Arbeitstagen nicht ein, muss sie dem Antragsteller für jede begonnene Woche der Fristüberschreitung unverzüglich 70 Euro zahlen. Das gilt jedoch nicht, wenn der Antragsteller sich in stationärer Pflege befindet und bereits in Pflegegrad 2 oder höher eingestuft ist oder wenn die Pflegekasse die Verzögerung nicht zu vertreten hat.
Hat die Pflegekasse den Grund für die Verzögerung nicht zu vertreten, so ist die Frist so lange unterbrochen, bis die Verzögerung beendet ist. Danach läuft die Frist weiter. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Begutachtungstermin abgesagt werden muss, weil der Antragsteller im Krankenhaus ist.
Fordert die Pflegekasse nach der Antragstellung noch zwingend erforderliche Unterlagen vom Antragsteller an, werden die Fristen ebenfalls so lange unterbrochen, bis die geforderten Unterlagen bei der Pflegekasse eingegangen sind. Die Unterbrechung beginnt mit dem Tag, an dem dem Antragsteller die Anforderung der Unterlagen zugeht. Mit dem Eingang der geforderten Unterlagen bei der Pflegekasse läuft die Frist weiter.
Diese Frist kann in regionalen Vereinbarungen verkürzt werden. Befindet sich der Versicherte in einem Hospiz oder wird ambulant palliativ versorgt, gilt ebenfalls die verkürzte Begutachtungsfrist von einer Woche.
In diesen Fällen ist es umso wichtiger, dass die Pflegekasse dem MD oder dem von ihr beauftragten Gutachter bei Eingang des Antrags oder aufgrund anderer vorliegender Hinweise die relevanten Unterlagen für die Durchführung der Begutachtung unverzüglich, z. B. per Fax, zur Verfügung stellt.
Durch das Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz wurde zum 01.07.2023 die Möglichkeit einer dauerhaften telefonischen Begutachtung zur Ermittlung eines Pflegegrades durch den MD oder einen anderen Gutachter ermöglicht. Allerdings nicht in allen Situationen und nur, wenn der Versicherte damit einverstanden ist. Es muss allerdings die Begutachtungsrichtlinie entsprechend geändert werden.
Im SGB XI arbeitet der Gesetzgeber mit zwei Begriffen: dem „Angehörigen“ und der „Pflegeperson“. Das kann, muss aber nicht immer dieselbe Person sein. Je nachdem, welcher Begriff verwendet wird, ergeben sich unterschiedliche Leistungen und Ansprüche.
Aus § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB XI ergibt sich, dass die Pflegekassen für Angehörige unentgeltlich Schulungskurse durchführen müssen, an denen diese kostenlos teilnehmen können.
Aus § 45 Abs. 1 Satz 3 SGB XI ergibt sich, dass auf Wunsch der Pflegeperson die Schulung in der häuslichen Umgebung des Pflegebedürftigen stattfinden muss.
In derselben Vorschrift werden also beide Begriffe verwendet. Anspruch auf eine individuelle Einzelschulung zu Hause beim Pflegebedürftigen hat aber nur die Pflegeperson.
Pflegeperson im Sinne dieses Buches sind Personen, die nicht erwerbsmäßig einen Pflegebedürftigen im Sinne des § 14 in seiner häuslichen Umgebung pflegen.
Eine Tätigkeit einer Pflegeperson gilt dabei als nicht erwerbsmäßig, wenn sie dafür keine Vergütung erhält.
Ausgenommen ist dabei das Pflegegeld, das der Pflegebedürftige in den Pflegegraden 2 bis 5 erhält. Dieses dient dazu, Pflegebedürftige in die Lage zu versetzen, Angehörigen, dem Lebenspartner und sonstigen Pflegepersonen eine materielle Anerkennung für die mit großem Einsatz und Opferbereitschaft im häuslichen Umfeld erbrachte Pflege und Betreuung zukommen zu lassen.
Häusliche Umgebung kann der eigene Haushalt, der Haushalt der Pflegeperson oder ein Haushalt sein, in dem der Pflegebedürftige aufgenommen wurde (z. B. Altenheim). Ausgenommen ist die vollstationäre Pflege in einem Pflegeheim.
Die Aufnahme der Tätigkeit als Pflegeperson bedeutet nicht, dass man alles für diese erledigen kann. Im Rechtsverkehr mit Behörden und Banken, bei ärztlichen Angelegenheiten, bei Öffnung der Post und vielen weiteren Belangen, die das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen tangieren, sind Vollmachten notwendig. Dies gilt auch, wenn ein Angehöriger die Pflege übernimmt. Ggf. ist auch eine rechtliche Betreuung notwendig.
Betroffene und Angehörige sollten sich unbedingt beraten lassen, welche Formen der Vollmachten es gibt und in welchen Lebenssituationen diese sinnvoll sind.
Qualifizierte Beratung dazu führen örtliche Betreuungsvereine durch. Sie haben dazu einen gesetzlichen Auftrag. Über die Sozialämter oder Amtsgerichte vor Ort können die Kontaktdaten erfragt werden.
Der Pflegekasse des Pflegebedürftigen muss bekannt sein, wer als Pflegeperson nach § 19 SGB XI die Pflege und Betreuung des Versicherten übernimmt, um ihrer Pflicht nachkommen zu können, die in der Renten- und Unfallversicherung sowie in der Arbeitslosenversicherung zu versichernde Pflegeperson dem zuständigen Renten- und Unfallversicherungsträger sowie der Bundesagentur für Arbeit zu melden.
Eine Pflegeperson erhält Leistungen zur sozialen Sicherung, wenn sie
eine oder mehrere pflegebedürftige Personen wenigstens zehn Stunden wöchentlich,
verteilt auf regelmäßig mindestens zwei Tage in der Woche
pflegt. Nähere Informationen erhalten Sie dazu im Kapitel „Soziale Sicherung durch Sozialversicherungsträger“.
Pflegegeld wird gezahlt, wenn Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 in häuslicher Umgebung gepflegt werden. Unbeachtlich ist, ob die Pflege durch Angehörige, den Lebenspartner, sonstige ehrenamtliche Pflegepersonen, erwerbsmäßige Pflegekräfte oder eine vom Pflegebedürftigen angestellte Pflegeperson erbracht wird. Voraussetzung ist aber, dass der Pflegebedürftige mit dem Pflegegeld, dessen Umfang entsprechend, die erforderlichen körperbezogenen Pflegemaßnahmen und pflegerischen Betreuungsmaßnahmen sowie Hilfen bei der Haushaltsführung in geeigneter Weise sicherstellen kann. Ist dies – z. B. nach einer Feststellung des MD – nicht der Fall, kann das Pflegegeld nicht gezahlt werden. Gegebenenfalls obliegt der Pflegekasse die Verpflichtung darauf hinzuwirken, dass der Pflegebedürftige eine wirksame und wirtschaftliche Pflegeleistung erhält.
Mit dem Pflegegeld soll der Pflegebedürftige in die Lage versetzt werden, Angehörigen, dem Lebenspartner und sonstigen Pflegepersonen eine materielle Anerkennung für die mit großem Einsatz und Opferbereitschaft im häuslichen Bereich erbrachte Pflege und Betreuung zukommen zu lassen.
Die häusliche Pflege wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Pflegebedürftige in einem Altenwohnheim oder einer Altenwohnung lebt. Hierbei ist es unerheblich, ob der Pflegebedürftige die Haushaltsführung eigenverantwortlich regeln kann oder nicht.
Der Anspruch auf das Pflegegeld ist grundsätzlich ausgeschlossen, wenn es sich bei der Einrichtung, in der sich der Pflegebedürftige aufhält, um ein Pflegeheim handelt. In diesem Fall besteht für Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 ein Anspruch auf Leistungen für vollstationäre Pflege. Hält sich der Pflegebedürftige in einer nicht zugelassenen vollstationären Pflegeeinrichtung auf, besteht aufgrund der insoweit selbst sichergestellten Pflege ein Anspruch auf Pflegegeld.
Ist ein pflegebedürftiger Schüler von Montag bis Freitag in einer Einrichtung (nicht Einrichtungen und Räumlichkeiten i. S. d. § 71 Abs. 4 SGB XI, z. B. Krankenhäuser, Rehabilitationseinrichtungen, Werkstätten und Wohnheime für behinderte Menschen, Kindergärten) internatsmäßig untergebracht, besteht ein Anspruch auf Pflegegeld. Für diese Zeit kann unterstellt werden, dass der Schwerpunkt der häuslichen Pflege erhalten bleibt.
Demgegenüber ist von einer dauerhaften Internatsunterbringung auszugehen, wenn der Pflegebedürftige nicht regelmäßig jedes Wochenende in den Haushalt der Familie zurückkehrt, da in diesen Fällen der Lebensmittelpunkt innerhalb des Internats anzunehmen ist. Dennoch kann ein anteiliges Pflegegeld für die Zeiträume gezahlt werden, in denen sich der Pflegebedürftige im Haushalt der Familie aufhält. Dies gilt insbesondere auch für die Ferienzeiten, in denen der Pflegebedürftige im häuslichen Bereich gepflegt wird.
Die Höhe des Pflegegeldes ist abhängig vom Grad der Pflegebedürftigkeit und beträgt je Kalendermonat ab dem 01.01.2024
332,00 Euro im Pflegegrad 2,
573,00 Euro im Pflegegrad 3,
765,00 Euro im Pflegegrad 4 und
947,00 Euro im Pflegegrad 5.
In Anlehnung an das BSG-Urteil vom 25.10.1994 – 3/1 RK 51/93 – wird das Pflegegeld monatlich im Voraus gezahlt.
Das an Pflegebedürftige gezahlte Pflegegeld und das Pflegegeld aus der PKV stellen keine Einnahmen zum Lebensunterhalt und kein Gesamteinkommen dar, das bei der Prüfung der Familienversicherung nach § 10 SGB V und bei der Belastungsgrenze nach § 62 SGB V zu berücksichtigen ist. Gleiches gilt in Bezug auf die Pflegeperson, und zwar ungeachtet dessen, ob der Pflegebedürftige das Pflegegeld in voller Höhe oder nur teilweise an die Pflegeperson weiterleitet (vgl. Art. 26 Nr. 1 PflegeVG; Urteil des BSG vom 08.12.1992 – 1 RK 11/92 –, USK 9273).
Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Pflege im Rahmen eines zwischen Pflegebedürftigen und Pflegeperson bestehenden Beschäftigungsverhältnisses erbracht wird. Ggf. bestimmt sich die notwendige Berücksichtigung bei der Anwendung der §§ 10 und 62 SGB V nach dem vom Pflegebedürftigen gezahlten Arbeitsentgelt im Sinne des § 14 SGB IV und nicht danach, inwieweit dieses tatsächlich aus dem Pflegegeld bestritten wird.
Die voranstehenden Ausführungen gelten nicht für das Pflegeunterstützungsgeld. Dieses gilt als Lohnersatzleistung für entgangenes Arbeitsentgelt wie auch andere Entgeltersatzleistungen (z. B. Krankengeld, Kinderkrankengeld oder Verletztengeld) als Einnahme zum Lebensunterhalt. Somit wird das Pflegeunterstützungsgeld als Einkommen bei Sozialleistungen, deren Gewährung von anderen Einkommen abhängig ist, berücksichtigt.
Wird Pflegegeld nach § 37 SGB XI oder eine vergleichbare Geldleistung an eine Pflegeperson weitergeleitet, bleibt dies bei der Ermittlung von Unterhaltsansprüchen und Unterhaltsverpflichtungen der Pflegeperson unberücksichtigt.
Das Ehepaar Meier ist geschieden. Die Frau betreut das gemeinsame behinderte Kind, das in Pflegegrad 4 eingestuft ist. Das Pflegegeld in Höhe von monatlich 765,00 Euro, das direkt auf das Konto der Frau überwiesen wird, darf nicht auf den Unterhaltsanspruch gegenüber dem geschiedenen Ehemann angerechnet werden. Das Pflegegeld mindert den Unterhaltsanspruch also nicht.
Diese Regelung steht nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit den Anspruchsvoraussetzungen, der Höhe und der Zahlungsweise des Pflegegeldes. Nach den Gesetzesmaterialien soll sichergestellt werden, dass die Pflegeperson das Pflegegeld möglichst ungeschmälert erhält.
Die Weiterleitung des Pflegegeldes an die pflegende Person ist von der Einkommensteuer befreit. Der Gesetzgeber belohnt damit das pflegerische Engagement. Steuerbefreit sind Zahlungen an:
Angehörige im Sinne von § 15 Abgabenordnung (Verlobte, Ehegatten, gleichgeschlechtliche Lebenspartner, Verwandte und Verschwägerte gerader Linie, Geschwister, Kinder der Geschwister, Ehegatten oder Lebenspartner der Geschwister und Geschwister der Ehegatten oder gleichgeschlechtliche Lebenspartner, Geschwister der Eltern, Pflegeeltern)
andere Personen als Angehörige, die damit eine sittliche Pflicht erfüllen (z. B. Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft)
Zur Nutzung des Pflegepauschbetrages müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
Pflegebedürftigkeit: Ab 2021 fordert das Finanzamt als Nachweis der Pflegebedürftigkeit eine Einstufung der Pflegekasse in einen der Pflegegrade 2 bis 5.
unentgeltliche Pflegeleistung: Wichtigste Voraussetzung ist eine unentgeltliche Pflegeleistung. Das heißt, Sie dürfen für die Betreuung oder für die Pflegetätigkeit keine Bezahlung erhalten – auch kein Pflegegeld. Wenn Sie als pflegender Angehöriger durch einen ambulanten Pflegedienst bei der Pflege Ihres pflegebedürftigen Angehörigen unterstützt werden, können Sie trotzdem den Pflegepauschbetrag geltend machen. Ob Sie die Pflegeleistung über das ganze Jahr hinweg oder lediglich innerhalb eines kurzen Zeitfensters erbracht haben, ist für die Bewilligung des Pflegepauschbetrags unerheblich.
enge Beziehung zum Pflegebedürftigen: Zwischen Ihnen als Pflegendem und dem Pflegebedürftigen muss eine enge Beziehung bestehen. Wer eine pflegebedürftige Person betreut, muss allerdings nicht zwingend mit ihr verwandt sein, um Anspruch auf einen Pflegepauschbetrag zu haben. Das Finanzamt erkennt auch eine enge freundschaftliche Beziehung an. Dazu zählen z. B. Ehe- und Lebenspartner, Kinder, Enkel, Geschwister, Tante oder Onkel, Schwager oder Schwägerin, Schwiegereltern, Stiefeltern, gute Freunde oder Nachbarn.
Pflege in der häuslichen Umgebung: Die Betreuung muss entweder in der Wohnung des Hilfsbedürftigen oder in der Wohnung der pflegenden Person stattfinden
Zum 01.01.2021 wurden die Pflegepauschbeträge erhöht und nun auch für die Pflegegrade 2 und 3 eingeführt. Die neuen Beträge betragen seit 2021
bei Pflegegrad 2 600,00 Euro,
bei Pflegegrad 3 1.100,00 Euro,
bei Pflegegrad 4 oder 5 1.800,00 Euro.
Voraussetzung für die Gewährung des Pflegepauschbetrags ist die Angabe der erteilten Steueridentifikationsnummer (§ 139b der Abgabenordnung) der gepflegten Person in der Einkommensteuererklärung des Steuerpflichtigen.
Wird ein Pflegebedürftiger von mehreren Steuerpflichtigen im Veranlagungszeitraum gepflegt, wird der Pflegepauschbetrag gemäß der Zahl der Pflegepersonen, bei denen die Voraussetzungen der Sätze 1 bis 4 vorliegen, aufgeteilt.
Der Verwendungszweck muss nachgewiesen werden können. Sinnvoll ist es daher, ein eigenes Konto einzurichten, auf das das Pflegegeld eingezahlt wird.
Aufklärungs-, Beratungs- und Auskunftsansprüche in der Sozialversicherung
Pflegeberatung
Pflegekurse
Das erste Buch des Sozialgesetzbuches (SGB I) regelt für alle weiteren Bücher des Sozialgesetzbuches und damit auch für die soziale Pflegeversicherung (SGB XI) die rechtlichen Voraussetzungen über Aufklärung, Beratung und Auskünfte durch die Sozialleistungsträger. Es handelt sich dabei um die §§ 13–15 SGB I.
§ 13 SGB I regelt die Aufklärung. Die Leistungsträger, ihre Verbände und die sonstigen in diesem Gesetzbuch genannten öffentlich-rechtlichen Vereinigungen sind verpflichtet, im Rahmen ihrer Zuständigkeit die Bevölkerung über die Rechte und Pflichten nach diesem Gesetzbuch aufzuklären.
Unter Aufklärung ist die generelle, allgemeine Unterrichtung der Bevölkerung über soziale Rechte und Pflichten zu verstehen.
Nach § 14 SGB I hat jeder Versicherte Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach diesem Gesetzbuch. Zuständig für die Beratung sind die Leistungsträger, denen gegenüber die Rechte geltend zu machen oder die Pflichten zu erfüllen sind. Das bedeutet, dass Pflegepersonen, die von der Versicherungspflicht in der Unfall- und Rentenversicherung sowie der Arbeitsförderung erfasst werden, sich an die Leistungsträger dieser Versicherungszweige wenden können, wenn sie Beratungsbedarf haben.
Nach § 15 SGB I sind die nach Landesrecht zuständigen Stellen, die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung, verpflichtet, über alle sozialen Angelegenheiten nach diesem Gesetzbuch Auskünfte zu erteilen. Die Auskunftspflicht erstreckt sich auf die Benennung der für die Sozialleistungen zuständigen Leistungsträger sowie auf alle Sach- und Rechtsfragen, die für die Auskunftssuchenden von Bedeutung sein können und zu deren Beantwortung die Auskunftsstelle imstande ist. Die Auskunftsstellen sind verpflichtet, untereinander und mit den anderen Leistungsträgern mit dem Ziel zusammenzuarbeiten, eine möglichst umfassende Auskunftserteilung sicherzustellen.
Häufig kann der Einzelne gar nicht überblicken, welche Sozialleistungen für ihn in Betracht kommen und an welchen Leistungsträger er sich wenden muss. Damit der Betroffene nicht von einer Institution an die nächste verwiesen wird und durch die Gliederung und Vielschichtigkeit des Sozialleistungssystems Nachteile erleidet, wurde dieses Kooperationsgebot in § 15 SGB I aufgenommen.
Der Versicherte darf sich auf eine unrichtige, missverständliche oder unvollständige Auskunft des Versicherungsträgers nicht verlassen, wenn er hierzu vorsätzlich oder grob fahrlässig beigetragen hat.
Bei der Auskunft handelt es sich um eine Verwaltungsäußerung ohne unmittelbare Rechtswirkung, in der die Verwaltung den Antragsteller über Sach- und Rechtsfragen aufklärt. War die Auskunft falsch, ist der Leistungsträger nicht verpflichtet, sich künftig entsprechend der Falschinformation und damit gesetzeswidrig zu verhalten.
Die Sozialversicherungsträger haben die Pflicht, nicht nur richtige, sondern auch klare und sachdienliche Auskünfte zu erteilen, damit der Versicherte entsprechend disponieren kann. Diese Pflicht ergibt sich aus einem konkreten – z. B. durch einen Sozialleistungsantrag begründeten – Sozialrechtsverhältnis. Verletzt ein Leistungsträger diese Verpflichtung, wird der Versicherte so gestellt, als wäre das Verwaltungshandeln korrekt gewesen, das heißt, er haftet nicht für die fehlerhafte Auskunft des Sozialversicherungsträgers.
Die Verletzung allgemeiner Aufklärungspflichten nach § 13 SGB I kann nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nach sich ziehen. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass die Verpflichtung des Trägers zur allgemeinen Aufklärung nach § 13 SGB I darauf abzielt, die Allgemeinheit in genereller Form über grundlegende sozialrechtliche Sachverhalte zu informieren. Der Aufklärungspflicht des jeweiligen Trägers steht kein individueller Aufklärungsanspruch des einzelnen Versicherten gegenüber, der verletzt werden und zu einem individuellen Ausgleich im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs führen könnte.
Lediglich dann, wenn ein Träger allgemeine Informationen herausgegeben hat, diese aber irreführend oder fehlerhaft sind und zu einem nachteiligen Verhalten des einzelnen Versicherten führen, kann im Einzelfall ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch gegeben sein.
Die Pflegekassen haben die Aufgabe, das von den Versicherten nach § 6 SGB XI erwartete eigenverantwortliche Handeln zu fördern. Dies erfolgt durch Aufklärung und Auskunft über Leistungen der Pflegeversicherung und anderer Träger im Rahmen von Mitgliederzeitschriften und Informationsbroschüren sowie persönlich durch Mitarbeiter der Pflegekassen. Hierzu gehören auch Auskünfte zu individuellen Leistungsansprüchen und vor Ort bestehenden Versorgungsstrukturen.
Aufklärung und Auskunft müssen ausdrücklich den Hinweis auf die unentgeltliche Pflegeberatung nach § 7a SGB XI, den nächstgelegenen Pflegestützpunkt nach § 7c SGB XI sowie die Leistungs- und Preisvergleichslisten beinhalten. Auf Anforderung des Antragstellers oder seiner Angehörigen hat die Pflegekasse die Leistungs- und Preisvergleichslisten in geeigneter Form zu übermitteln, das heißt per E-Mail oder auf dem Postweg zu schicken bzw. auszuhändigen.
Der Hinweis auf die Leistungs- und Preisvergleichslisten soll Transparenz hinsichtlich der bestehenden Versorgungsangebote, zwischen denen der Pflegebedürftige frei wählen kann, schaffen. Die Vergleichslisten müssen mindestens die geltenden Festlegungen der Vergütungsvereinbarungen mit zugelassenen Pflegeeinrichtungen sowie die regional verfügbaren Angebote zur Unterstützung im Alltag i. S. d. § 45a SGB XI enthalten.
Darüber hinaus hat die Pflegekasse auf ihrer Internetseite Informationen über die in ihren Verträgen zur integrierten Versorgung getroffenen Festlegungen zu Art, Inhalt und Umfang der Leistungen und der für die Versicherten entstehenden Kosten zu veröffentlichen.
Zudem sind der Versicherte, seine Angehörigen und sein Lebenspartner darüber aufzuklären, dass sie einen Anspruch auf Übermittlung des Gutachtens des MD oder des von der Pflegekasse beauftragten Gutachters sowie der gesonderten Präventions- und Rehabilitationsempfehlung gemäß § 18a Abs. 1 SGB XI haben.
Die Unterrichtung und Information haben in einfacher Sprache zu erfolgen, sodass diese auch für die Versicherten und ihre Angehörigen verständlich ist, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Dies gilt insbesondere auch für schriftliche Informationen der Pflegekassen.
Die Angehörigen bzw. Lebenspartner und beteiligte Dritte sind im Bedarfsfall einzubeziehen. Dies ist insbesondere gegeben, wenn
die Pflege ehrenamtlich (z. B. von Angehörigen, Lebenspartnern oder Nachbarn) erbracht wird,
die Art oder Schwere der Erkrankung eine Kontaktaufnahme mit dem Pflegebedürftigen erschwert oder
eine Leistungspflicht nach § 44 SGB XI besteht.
Die Aufklärung/Auskunft hat unverzüglich zu erfolgen, damit ein nahtloser Übergang zur Pflege, insbesondere im häuslichen Bereich, sowie die bestmögliche frühzeitige Nutzung aller zur Verfügung stehenden Pflegeleistungen gewährleistet werden. Durch eine frühzeitige Aufklärung/Auskunft wird auch gewährleistet, dass der Pflegebedürftige z. B. vor Inanspruchnahme eines ambulanten Pflegedienstes selbst – ggf. unter Einbeziehung seiner Angehörigen und seines Lebenspartners – überprüfen kann, welches Angebot für ihn in seiner persönlichen Situation geeignet bzw. bedarfsgerecht ist.