Reden wir über Politik - Sebastian Kurz - E-Book

Reden wir über Politik E-Book

Sebastian Kurz

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Beschreibung

Erstmals spricht der ehemals jüngste Regierungs chef der Welt und zweimalige Bundeskanzler der Republik Österreich über die hellen und die dunklen Seiten der Spitzenpolitik.

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Sebastian Kurz

Conny Bischofberger

Reden wir über Politik

Alle Rechte vorbehalten

© 2022 edition a, Wien

www.edition-a.at

Coverfoto: Remo Neuhaus

Covergestaltung: Valeriya Gridneva

Satz: Isabella Starowicz

Gesetzt in der Premiera

Gedruckt in Deutschland

12345—25242322

ISBN 978-3-99001-618-3

eISBN 978-3-99001-619-0

SEBASTIAN KURZ

MIT CONNY BISCHOFBERGER

REDEN WIR ÜBER POLITIK

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort

1. Frühstück mit Niki Lauda

2. Daheim

3. Wie alles begann

4. Plötzlich Politiker

5. Morgenmensch

6. In den Slums

7. Machtkämpfe

8. Kaffee mit Kern

9. Links und Rechts

10. Message Control

11. Merkel

12. Putin

13. Trump

14. Xi

15. Ibiza

16. Social Media

17. Grünes Experiment

18. Lockdown

19. Die Terrornacht

20. Chats

21. Israel

22. Konstantin

23. Unternehmer

24. Die Welt von morgen

VORWORT

Am Mittag des 15. Mai 2022 betrat ein jugendlich wirkender Mann in Jeans, Turnschuhen und einem dunkelblauen Hoodie die Lobby des Hotels, in dem ich mich einquartiert hatte, um dieses Buch zu schreiben. Ich erkannte ihn nicht sofort, denn ich wartete auf Sebastian Kurz, den ich bis dahin fast ausschließlich in Slim-Fit-Anzug und weißem Hemd gesehen hatte.

Beim Eingang fragten ihn zwei junge Touristinnen: »You’re the prime minister, aren’t you?«

»Not any more«, stellte er klar, lächelte für ein Selfie in die Smartphones und führte ein bisschen Small Talk. Es war ein Sonntag, er war mit der U-Bahn aus Meidling in die Wiener Innenstadt gekommen.

Bei unserem Gespräch am Tisch neben dem Piano erzählte er mir später, dass ihn noch immer viele Menschen mit »Herr Bundeskanzler« grüßen, wenn er durch Wien geht. Diesen Titel streift man in Österreich nicht einfach ab wie ein Sakko.

An diesem Sonntag erinnerte mich der zweifache Ex-Kanzler, der im November 2021 nach Korruptionsvorwürfen und der Geburt seines Sohnes von allen politischen Ämtern zurückgetreten war, an unsere erste Begegnung in der Osterwoche elf Jahre zuvor. Kurz sprach wieder mit jener Zielstrebigkeit, mit der er bereits damals über seinen Einstieg in die Spitzenpolitik gesprochen hatte. Diesmal über die Chancen, die er nun in der Privatwirtschaft sieht, und seinen gesellschaftlichen Beitrag.

Es war der Gründonnerstag des Jahres 2011, an dem der damalige Bundespräsident Heinz Fischer einen erst 24-Jährigen als Staatssekretär für Integration der neuen ÖVP-Regierungsriege von Michael Spindelegger angelobte. Sebastian Kurz war drei Jahre lang Chef der Jungen ÖVP gewesen und sollte nun das von der FPÖ besetzte Ausländerthema neu positionieren. Die Medien mokierten sich über sein Alter, nicht ahnend, dass dieser Jungpolitiker der Republik in den darauffolgenden Jahren seinen Stempel aufdrücken würde.

24 Stunden später traf ich ihn am Wiener Donaukanal zum ersten Interview. In hellblauem Hemd und Jeans posierte er vor Graffitis, in der Bar Urania bedankte er sich zunächst höflich »für diese Chance«. Dann sprachen wir über Migration und Werte, Jugendsünden wie das »Geilomobil« und seine Freundin Susanne. Ich erfuhr, dass er CSI: Miami und Bücher von Zukunftsforschern mag. Dass er kein Auto besitzt, dass er nie geraucht hat und keine Krawatte trägt. Das Interview erschien in der Ostersonntagsausgabe und war eines von zahlreichen langen Gesprächen, die ich in den zehn Jahren seiner Regierungstätigkeit mit dem Politiker Sebastian Kurz geführt habe. Er war der zehnte Bundeskanzler der Republik Österreich, den ich im Laufe meiner journalistischen Karriere erlebt und interviewt habe. Aus unterschiedlichen Gründen stechen in dieser Reihe von Persönlichkeiten einige für mich besonders hervor: Bruno Kreisky, Franz Vranitzky, Wolfgang Schüssel. Sie waren sehr selbstbewusste und auch sehr gestaltende Politiker, die Österreich geprägt haben. Sebastian Kurz gehört ganz gewiss in diese Kategorie.

Rückblickend lassen die Titelfragen meiner Interviews mit ihm eine Dramaturgie seiner politischen Laufbahn erkennen. 2012, als er für die angeschlagene Volkspartei als Hoffnungsträger galt: Können Sie die ÖVP retten? 2013, als er jüngster Außenminister der Welt wurde: Trauen Sie sich alles zu? 2015, als er den Islamismus in Wiener Kindergärten anprangerte: Gießen Sie Öl ins Feuer? 2017, zur harten Migrationslinie befragt: Haben Sie kein Herz für Kinder? 2018, zum Jahrestag der türkis-blauen Koalition: Wie lange bleiben Sie Kanzler? 2020, nach Ausbruch der Pandemie: Kippt die Stimmung? 2021, als Ermittlungen gegen ihn aufgenommen wurden: Kommen Sie da wieder raus?

Elf Jahre und sieben Regierungen später landete im Oktober 2021, nachdem diese Laufbahn geendet hatte, eine SMS auf meinem Handy. Sebastian Kurz bedankte sich – wieder genauso höflich wie bei unserer ersten Begegnung – für viele faire Gespräche und einen respektvollen Austausch trotz unterschiedlicher Positionen.

Nahezu zeitgleich kontaktierte mich mein Verleger Bernhard Salomon, dem nach dem jähen Ende dieser bemerkenswerten Karriere ein Buch vorschwebte, wie ich es 2015 gemeinsam mit Niki Lauda geschrieben hatte. Es hieß Reden wir über Geld. Er fragte: »Warum redest du mit Sebastian Kurz nicht über Politik?« Das reizte mich natürlich.

Zum Jahreswechsel 2021/2022 schlug ich dem Ex-Kanzler dieses Projekt vor. Er habe den 2019 verstorbenen Formel-1-Weltmeister und Flugunternehmer immer außerordentlich geschätzt, meinte Kurz und erbat sich Bedenkzeit. Am Mittag des 24. Februar 2022, als gerade die ersten russischen Truppen in der Ukraine einmarschiert waren, sagte er zu.

Unsere Gespräche begannen am 6. März und endeten am 18. August. Insgesamt waren es 24, so viele, wie dieses Buch Kapitel hat. Meist fanden sie an Vormittagen in der Bar des Hotels Le Méridien am Burgring statt. Um diese Zeit war dort noch nicht so viel los. Wenn Kurz auf Reisen war, haben wir telefoniert. Seine Anrufe kamen aus Abu Dhabi, Tel Aviv und Los Angeles. Manchmal hörte ich im Hintergrund »Last Calls« aus Flughafen-Lautsprechern, dann wieder die Stimme seines kleinen Sohnes und Vogelgezwitscher aus einem Garten.

Die Themenblöcke legten wir jeweils im Vorhinein fest. Uns war beiden wichtig, immer gut vorbereitet zu sein.

Seine Sprache war mir aus meiner journalistischen Arbeit vertraut. Präzise Formulierungen, immer wiederkehrende Botschaften perfekt kommuniziert, den Blickwinkel stets auf das ihm wesentlich erscheinende große Ganze gerichtet. Ihm hingegen war meine Liebe zu Details wohlbekannt und wenn er sich wieder einmal nicht an einen speziellen Moment erinnern konnte, dann waren wir uns schnell einig, dass wir in diesem Punkt wohl nie zusammenfinden würden.

Was macht den Politiker und Menschen Sebastian Kurz aus?

Aus seinen Erzählungen kristallisierte sich für mich immer mehr heraus, dass er eine Form von Unverletzlichkeit entwickelt haben muss, die es ihm ermöglicht, seine Ziele fokussiert und vollkommen unbeeinflusst von Emotionen zu verfolgen. Dies zeigte sich unter anderem deutlich, nachdem der Nationalrat im Mai 2019 erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik eine Regierung abgewählt hatte: In den Reihen der ÖVP flossen die Tränen, während Sebastian Kurz unberührt und freundlich winkend das Hohe Haus verließ. Sieben Monate später kam er als Bundeskanzler noch einmal, noch stärker für zwei Jahre zurück.

Während der Zeit, in der dieses Buch entstand, tauchte immer wieder das Bild des »Corpo Fechado« vor meinen Augen auf. Es stammt aus afrobrasilianischen Religionen und beschreibt einen Zustand, in dem der »verschlossene Körper« mithilfe von Ritualen unverwundbar werden soll. Ähnlich wie bei Kampfsportlern, die sich in einen Zustand versetzen können, in dem sie sogar Schmerzen ausblenden. So habe ich auch Sebastian Kurz erlebt: Stets das Ziel vor Augen, hoch konzentriert, sein Innenleben schützend zeigte er scheinbar niemals Schwäche.

Und so ist es kein Zufall, dass das erste Kapitel dieses Buches von Niki Lauda handelt. Auch er war ein extrem fokussierter Mensch mit »null« Emotionen, wie er selbst gern betonte, aber einem unzerstörbaren Willen, zu überleben. Im Cockpit eines Ferrari Angst oder Gefühle zu empfinden, hätte den Tod bedeuten können.

Dieser Niki Lauda machte Sebastian Kurz Mut, in die Politik zu gehen. Mut auch, nach seinem Rückzug aus der Spitzenpolitik als Unternehmer neu zu starten.

Bücher über Sebastian Kurz gibt es viele. In diesem Buch legt der ehemalige Kanzler erstmals seine Sicht der Dinge dar. Meine Rolle war die der Zuhörerin. Meine journalistische Aufgabe war es, seine Positionen zu erfragen und seine Gedanken möglichst präzise festzuhalten.

Reden wir über Politik ist natürlich kein Schlussstrich, es ist lediglich eine Zwischenaufnahme. Das Lebensbuch – möglicherweise mit anderen Fragestellungen – über Sebastian Kurz wird später geschrieben werden.

Wien, am 9.9.2022Conny Bischofberger

1

FRÜHSTÜCK MIT NIKI LAUDA

»Bei unseren Gesprächen ging es immer wieder um Risiko. Welches Risiko soll man eingehen, welches nicht?«

1976, als Niki Lauda den Feuerunfall auf dem Nürburgring überlebt hat, war ich noch gar nicht auf der Welt. Meine ersten Erinnerungen an ihn sind mit dem Flugzeugabsturz über dem Dschungel von Thailand verknüpft. Dort stürzte 1991 eine Boeing 767-300 der Lauda Air ab. Alle Passagiere und Crewmitglieder an Bord starben.

Ich habe noch immer dieses Bild im Kopf, auf dem Niki Lauda das unwegsame Gelände nördlich von Bangkok nach Wrackteilen seiner Maschine durchforstet. Das rote Kapperl, sein entschlossener Blick. Da stellt sich ein Mensch als Unternehmer der größten denkbaren Katastrophe. Da muss jemand, der 15 Jahre davor selbst fast verbrannt wäre, zur Kenntnis nehmen, dass 223 Menschen das Unglück nicht überlebt haben. Und als Chef der Airline trägt er dafür die Verantwortung.

Im Mai 1991 war ich noch nicht einmal fünf Jahre alt und ich kann daher nicht genau zuordnen, ob ich dieses Bild schon mit fünf oder erst mit zehn Jahren gesehen habe. Eindrücke speichert man nicht unbedingt chronologisch. Es gibt auch viele schöne Bilder und Momente, an die ich mich heute im Zusammenhang mit Niki Lauda erinnere, aber die Bilder des Absturzes sind jene, die sich am stärksten eingeprägt haben. Weil sie zeigen, wie schnell eine Katastrophe alles ändern kann. Besonders für die Angehörigen der 223 Toten.

Wie ich erst viel später erfahren habe, wurde Niki Lauda am späten Abend des 26. Mai von der ORF-Moderatorin Danielle Spera telefonisch über das Unglück informiert. Er fuhr sofort zum Flughafen, um einen Notfallplan zu machen. Es waren schon Journalisten dort und es riefen Angehörige an. Niki Lauda wusste zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht, was genau passiert war und vor allem warum. Am nächsten Morgen flog er selbst nach Thailand zur Unfallstelle.

Diese Geschichte beweist, mit welcher Entschlossenheit Lauda auch in größten Krisen gehandelt hat. Er kommunizierte immer direkt und klar. Er hat sich nie versteckt oder verstellt. Und er war mutig. Diese Haltung war beeindruckend.

Persönlich habe ich Niki Lauda viele Jahre später, als ich schon Außenminister war, an einem Abend am Pogusch in der Steiermark kennengelernt. Wir haben uns relativ schnell sehr gut verstanden, waren gleich per Du und sind seither in Kontakt geblieben. Im Advent 2014 ist er überraschend bei der »Punsch & Maroni«-Weihnachtsfeier meines Teams auf der Wiener Freyung aufgetaucht. In der Folge haben wir uns dann regelmäßig zum Frühstück getroffen.

Der Ort sowie der Ablauf waren jedes Mal genau gleich. Um acht Uhr morgens im Café Imperial am ersten Tisch links im hinteren Bereich, das war sein Stammplatz. Niki hatte meist schon gegessen, als ich kam. Sein Frühstück – Schnittlauchbrot, weich gekochtes Ei, gerissener Apfel mit Joghurt, dazu eine Melange – steht ja für immer auf der Speisekarte des legendären Ringstraßenhotels. Ich habe nie groß gegessen. Ich war vor allem dort, um diesem ganz großen Österreicher zuzuhören.

Niki Lauda war in vielen unterschiedlichen Bereichen sehr erfolgreich, konnte aber auch in einer einzigartigen Art und Weise mit Rückschlägen umgehen. Für mich war er ein charakterlich starker, integrer, direkter und dadurch begeisternder Mensch. Ich mochte ihn sehr und ich glaube, ohne dass das jetzt anmaßend klingen soll, er mochte mich auch.

Bei unserem ersten Treffen bin ich genau zum vereinbarten Zeitpunkt gekommen. Da saß Niki schon an seinem Tisch und ich hatte das Gefühl, pünktlich ist bei ihm schon fast zu spät. Beim zweiten Mal wollte ich ihn nicht warten lassen und war schon zehn Minuten früher da. Er saß trotzdem schon dort. Beim dritten Mal habe ich mir gedacht, jetzt schlag ich ihn in Sachen Überpünktlichkeit, und bin eine halbe Stunde vorher gekommen. Wieder saß er bereits da und wartete.

Ich war schon immer ein relativ pünktlicher Mensch. Aber nur, weil ich nicht unhöflich sein will. Niki Lauda aber war ein Zeitökonom. In kürzester Zeit das Maximum erreichen, das war nicht nur in der Formel 1 seine Maxime. Unsere Treffen haben nicht viel länger als jeweils dreißig Minuten gedauert. Dann war alles gesagt. Trotz der knappen Zeit hat er mich und auch alle seine anderen Gesprächspartner immer viel mitnehmen lassen. Ich mochte diese präzise und direkte Art. Ohne Small Talk kam er immer gleich zum Punkt. Ich fand das angenehm. Nicht lange herumreden, sondern seine Meinung immer von Anfang an klar kundtun. Lange hadern oder zögern, aus Sorge, es könnte vielleicht nicht gut ankommen oder eine negative Konsequenz haben, bringt nichts. Was mich darüber hinaus mit Niki Lauda verbunden hat, war vielleicht eine gewisse Disziplin.

Bei unseren Gesprächen ging es immer wieder um Risiko. Welches Risiko soll man eingehen, welches nicht? Lauda wäre niemals dreifacher Formel-1-Weltmeister geworden, wenn er nicht in der Lage gewesen wäre, Risiken genau einzuschätzen. Das bewies er vor allem 1976 in Fuji: Beim Großen Preis von Japan hatte es in Strömen geregnet, die Sicht war praktisch null. Lauda stieg aus, obwohl der WM-Titel für ihn in greifbarer Nähe war. Seine Sicherheit war ihm wichtiger als der Sieg. Das hat mir großen Respekt abgerungen.

An einem kühlen Morgen im Jänner 2017 war ich wieder unterwegs zum Kärntner Ring 16 zu meinem rückblickend vielleicht wichtigsten Frühstück mit Niki Lauda. Der Bundeskanzler hieß damals Christian Kern, Vizekanzler und ÖVP-Obmann war Reinhold Mitterlehner. Es war die Phase, in der sehr viele – die Partei, ganz viele Unterstützer, viele Wegbegleiter, viele Wählerinnen und Wähler und auch die Medien – bereits davon ausgingen, dass ich als Spitzenkandidat in die nächste Wahl gehen würde. So viel zum großen Geheimplan der Machtübernahme. Damals war überhaupt nichts geheim, fast alle haben gewusst, wie es um die Partei steht. Dass ich Obmann werden sollte, stand quasi fest, ohne dass ich es entschieden hatte. Das war ein einschneidendes Erlebnis für mich und ein merkwürdiges Gefühl. Zu wissen, dass etwas für andere bereits als fix galt, was für mich aber nicht fix war. Über meine Zweifel konnte ich nicht reden, denn Zweifel sind nicht unbedingt das, was man sich von einem Spitzenpolitiker erwartet. Ich hatte aber diese Zweifel. Ich habe mich gefragt, ob ich den Schritt an die Parteispitze wirklich machen soll, ob ich mich das wirklich trauen soll. Da war auch die Frage, ob ich es mir vielleicht gar nicht aussuchen kann, weil es ohnehin bereits entschieden ist. Das hat mich damals sehr beschäftigt und ich entschloss mich, Niki Lauda um Rat zu fragen.

Ich weiß nicht mehr, um wie viel früher ich an jenem Wintermorgen ins Imperial gekommen bin. Niki saß jedenfalls schon wieder an seinem Tisch und wartete auf mich. Diesmal war er es, der mehr zuhörte, als selber zu reden. Es war wohltuend, mit ihm ganz offen über mein Dilemma zu sprechen.

Als ich fertig war, fragte er knapp: »Wie hoch ist das Risiko?«

Ich überlegte kurz. Wenn man mit dem Führungsanspruch antritt, gibt es nur zwei Optionen: gewinnen oder verlieren. Das Risiko, gegen Christian Kern zu verlieren, schätzte ich als gering, auf etwa dreißig Prozent, ein.

»Die Chance auf einen Sieg ist also siebzig Prozent«, meinte Niki. »Ganz klar. Mach es!«

Nach einer kurzen Pause sagte er noch etwas anderes, das ich sehr schön fand: »Und wenn du es machst, dann werde ich dich unterstützen.«

Er hat mich nicht nur gewählt, sondern auch andere ermutigt, das zu tun – und das sogar öffentlich. Das hat mich wirklich berührt, weil Lauda um Politik immer einen großen Bogen gemacht und sich nie dafür hergegeben hat, eine bestimmte Partei zu unterstützen.

Niki blieb während meiner Zeit als Bundeskanzler stets ein Vorbild für mich. In einem Rennauto fast zu verbrennen und sich dann wieder ins Cockpit zu setzen und ein drittes Mal Weltmeister zu werden, ist eine unvorstellbare Leistung. Sein Spruch, dass extreme Erfahrungen einen auch extrem weiterbringen, ist, denke ich, wahr.

Niki Lauda starb 2019, drei Tage nach Bekanntwerden des Ibiza-Videos. Damals kontaktierte mich Birgit Lauda. Sie fragte mich, ob ich beim Requiem im Stephansdom eine kurze Rede halten könnte. Laudas Begräbnis fand zwei Tage nach der Abwahl der türkis-blauen Regierung im Parlament statt.

Mein Team hat die zwei DIN-A4-Blätter mit den handschriftlichen Notizen zur Rede, zusammen mit dem Programmheft der Totenmesse, bis heute aufbewahrt. Dort stehen folgende Stichworte: »Willensstärke«, »Schicksalsschläge«, »Vorbild«, »Freund«. Bei der Verabschiedung am Sarg wurde John Lennon gespielt: »Imagine there’s no heaven, It’s easy if you try, No hell below us, Above us, only sky.« Am 20. Mai 2019 ist ein ganz großer Österreicher von uns gegangen. Niki Lauda hat vielen Menschen Kraft gegeben. Auch mir.

2

DAHEIM

»Daheim sein bedeutet für mich, den Anzug abzulegen und Zeit mit der Familie oder mit meinen engsten Freunden zu verbringen.«

Sebastian Kurz, geboren am 27. August 1986, Einzelkind. Die Mutter ist Deutsch- und Geschichtslehrerin, der Vater Ingenieur bei Philips. Aufgewachsen in einer Wohnanlage mit 14 Stiegen in Wien-Meidling. Der Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier beschreibt den ehrgeizigen Jungpolitiker später fälschlicherweise so: »Sebastian Kurz verkörpert den Typus des mit dem goldenen Löffel im Mund aufgewachsenen Hietzingers.« Wien-Hietzing gilt als elitärer Nachbar des Arbeiterbezirks Wien-Meidling.

Als Kind habe ich nie erlebt, dass das Geld knapp war, aber es wurde auch nicht leichtfertig ausgegeben. An goldene Löffel kann ich mich schon gar nicht erinnern. Ich bin in Wien in den Kindergarten und in die Schule gegangen, aber die Sommerferien und auch viele Wochenenden habe ich auf dem Bauernhof meiner Großeltern in Zogelsdorf im niederösterreichischen Waldviertel verbracht. Dort gab es alles, was zu einem Bauernhof dazugehört: Katzen, Hasen und einen Zwergziegenbock. Und natürlich einen Hund.

Geschwister hatte ich zwar keine, aber eine große Verwandtschaft und viele Freunde. Ich habe es geliebt, gemeinsam mit anderen unterwegs zu sein. Das hat mich geprägt. Bis heute bin ich jemand, der nur in Teams funktioniert, und das Schlimmste wäre, wenn ich mich als Einzelkämpfer durchs Leben schlagen müsste.

Zogelsdorf im Waldviertel ist eine von zehn Katastralgemeinden von Burgschleinitz-Kühnring im Bezirk Horn, Niederösterreich. Der Ort ist nur 3,5 Quadratkilometer groß und zählt 158 Einwohner. Die Großeltern von Sebastian Kurz besitzen hier einen Bauernhof, auf dem der spätere Bundeskanzler viele Wochenenden und Sommerferien verbringt. Die Mutter beschreibt ihren Sohn als »ausgesprochen lebhaft, immer in Bewegung« – kleine Unfälle und aufgeschlagene Knie inklusive.

Wenn meine Mutter unseren kleinen Konstantin heute sieht, sagt sie, sie wünscht uns nicht, dass er in dieser Hinsicht nach mir gerät. Und ich denke mir manchmal, mich würde der Schlag treffen, wenn Konstantin sich an einen Schäferhund dranhängt und sich von ihm durch den Garten schleifen lässt, so wie ich es als Kind geliebt habe.

Mein Vater hat in einer sehr liebevollen Art und Weise versucht, mir Technik näherzubringen, indem er mir oft Bastelspielzeug geschenkt hat. Einmal brachte er eine Werkbank nach Hause, daran kann ich mich noch gut erinnern. Er wollte mich in die Welt der Technik einführen. Mir ist stets eine große Bewunderung für alle jene Menschen geblieben, die handwerklich oder technisch begabt sind, auch wenn bei mir der Funke leider nie so recht übergesprungen ist. Ich habe gelernt, zu akzeptieren, dass mir dieses Talent einfach fehlt.

Meine Mutter, die Lehrerin war, hat mich sehr gefördert, mir viel vorgelesen und mir vor allem ein Interesse für Sprachen, Geschichte und die Welt mitgegeben. Sie war im Erziehungsalltag präsenter, trotzdem hatte ich immer zu beiden Eltern ein enges Verhältnis.

Ich habe eine ganz normale öffentliche Schule im 12. Bezirk besucht, mit sehr engagierten Lehrern. Wir waren eine kleine, eingeschworene Klassengemeinschaft, hatten sehr viel Spaß und lernten trotzdem. Soweit ich weiß, hat jeder von uns seinen Weg gemacht.

Alles in allem bin ich sehr liberal aufgewachsen. Seit ich selbst Vater bin, weiß ich, dass das keineswegs selbstverständlich ist. Ich habe sowohl meine Mutter als auch meinen Vater immer als hundertprozentig unterstützend erlebt. Sie haben mir vertraut und mir viele Freiheiten eingeräumt. Verboten war eigentlich kaum etwas, aber das war ihre Erziehungsmethode, mir auf diese Art und Weise Verantwortungsbewusstsein zu lehren.

Meine Eltern sind heute für mich ein Vorbild bei der Erziehung unseres Sohnes. Wenn es gelingt, dass er genauso unbeschwert und trotzdem behütet aufwächst, dann wäre ich sehr zufrieden. Auch als ich sehr früh begonnen habe, abends auszugehen, nahmen meine Eltern das mit einer gewissen Gelassenheit zur Kenntnis.

Ich wurde zwar nicht streng katholisch erzogen, aber der Glaube war und ist dennoch für mich sehr oft Anker, Triebfeder und Kompass. Gerade in schwierigen Situationen meines Lebens konnte ich auch durch den Glauben immer wieder die Kraft schöpfen, weiterzumachen und nach vorne zu schauen. Für meine Zeit in der Politik war der Glaube auch Inspiration und hat mir Leitlinien für das politische Handeln gegeben. Ich bin der festen Überzeugung, dass der Zusammenhalt unserer Gesellschaft erst dann stark ist und funktioniert, wenn man auch seine Religion ohne Unterdrückung und Verfolgung frei ausüben kann, was leider immer noch in vielen Teilen der Welt nicht der Fall ist. Mir war es dann als Regierungsmitglied immer wichtig, den Kontakt zu den Religionsgemeinschaften und Vertretern der unterschiedlichen Religionen im In- und Ausland zu halten.

Während meiner Amtszeit hatte ich auch die Gelegenheit, Papst Franziskus zweimal bei einer Privataudienz zu erleben. Es war mir aber auch besonders wichtig, zu den anderen Vertretern der Religionsgemeinschaften gute Kontakte zu pflegen. So traf ich während meiner Amtszeit unter anderem den Dalai Lama oder auch den ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomäus I. Daheim in Österreich hat mir immer wieder der Austausch mit Persönlichkeiten der katholischen Kirche wie Kardinal Christoph Schönborn, Peter Schipka von der Österreichischen Bischofskonferenz, Vorarlbergs Bischof Benno Elbs, dem Bischof von St. Pölten Alois Schwarz, Abt Columban und Prior Maximilian vom Stift Göttweig, Dompfarrer Toni Faber oder vielen anderen ein Stück weit Entschleunigung und Besinnung in dem von Hektik und Aufregung gefüllten Politalltag gebracht.

In meinem Büro im Kanzleramt hing zwischen den Bildern von Leopold Figl und Bruno Kreisky stets ein kleines Kreuz. Dieses Kreuz begleitete mich seit meinem ersten Tag als Staatssekretär und hängt heute auch in meinem neuen Büro.

Abseits von Glaube, Familie und Freunden ist vor allem der Sport bis heute, gerade in herausfordernden Phasen, ein wichtiger Ausgleich geblieben. Ich kann Gott sei Dank mit wenig Schlaf auskommen und nächtelang durcharbeiten, solange dann ab und zu mal Zeit für eine Radtour, Laufen oder Bergsteigen ist.

Apropos Bergsteigen: Eine Bergtour erinnert mich immer daran, wie hart und unvorhersehbar ein Weg manchmal sein kann. Es gibt Markierungen am Weg, aber sonst keine Vorgaben. Manchmal sieht man das Gipfelkreuz schon aus dem Tal und manchmal bleibt das Ziel lange im Verborgenen. Manche Wege sind beschwerlicher als gedacht, andere sind dann plötzlich doch halb so wild. Das Gefühl, den Gipfel zu erreichen, ist unvergleichlich. Aber man darf auch den Weg zurück ins Tal nicht unterschätzen.

Nach der Matura im Jahr 2004 leistet Sebastian Kurz den Grundwehrdienst beim Österreichischen Bundesheer ab. Als prägendes Erlebnis bezeichnet er als eines der wenigen privaten Themen, die der Politiker öffentlich macht, die Arbeitslosigkeit seines Vaters. Am 23. Dezember 2005 verliert Josef Kurz nach über dreißig Jahren Firmenzugehörigkeit im Zuge einer Werksabsiedelung seinen Job bei Philips. Einige Zeit später schafft er den Neueinstieg und ist heute mit über siebzig noch immer berufstätig.

Nach dem Beginn des Studiums der Rechtswissenschaften habe ich auch gleich begonnen, zu arbeiten. Das war mir wichtig, weil ich gleich meinen eigenen Lebensunterhalt verdienen wollte. Einen konkreten Berufswunsch hatte ich damals noch nicht. Spitzenpolitiker zu werden, war jedenfalls nicht mein Plan.

Ich glaube, meine Freundin hätte sich einen entspannteren Weg und damit vielleicht ein einfacheres Leben gewünscht. Aber so, wie Susanne meinen Weg immer mitgetragen hat, so habe auch ich respektiert, dass sie im Hintergrund bleiben will. Sie hat nie mediale Präsenz angestrebt, das ist für mich auch gut nachvollziehbar. Aber für einen Politiker gehört das dazu. Nachdem sich das Leben bei mir in diese Richtung entwickelt hat und die Verantwortung schrittweise immer größer geworden ist, sind wir da ein Stück weit gemeinsam hineingewachsen.

Unser Privatleben haben wir auch weiter privat gehalten. Wir versuchen beide, den Alltag wie jedes andere normale Paar zu bewältigen. Dazu gehört auch, dass die Politik daheim wenig Platz hatte. Viele Politiker nutzen in der Positionierung und zum Sammeln von Sympathiepunkten die mediale Inszenierung in sogenannten »Homestorys«. Politiker beim Kochen, Minister beim Einkaufen, Parteichefs beim Christbaumdekorieren. Diese Form der politischen Kommunikation kam für uns nie infrage. Medienanfragen zu »Was wird am Heiligen Abend gegessen?« oder »Wo und mit wem verbringen Sie Silvester?« mögen vielleicht für manche Medien interessant erscheinen. Für uns selbst waren es die uninteressantesten und mühsamsten Fragen zugleich.

Es war auch nie mein persönlicher Anspruch, meine politische Arbeit über das Leben zu Hause am Küchentisch zu definieren. So professionell und gewissenhaft ich meine Arbeit in allen politischen Funktionen immer angegangen bin, so wichtig war mir auch die wenige Zeit privat mit meiner Freundin und Familie in den eigenen vier Wänden ohne die Scheinwerfer der Öffentlichkeit. Damit sind wir bis heute sehr gut gefahren und konnten somit unsere wenige gemeinsame Zeit auch sehr gut für uns nutzen.

Der Falter hat meine Freundin auf seinem »Best of Böse«-Cover als nackte Muttergottes gezeigt und der Presserat, der von der ehemaligen SPÖ-Justizministerin Maria Berger geleitet wird, sah dies als medienethisch zulässig an. Ich habe viel erlebt und darum bringt mich so schnell nichts aus der Fassung, aber Familienmitglieder, die noch dazu nicht politisch tätig sind und sich nie politisch zu Wort gemeldet haben, in eine politische Auseinandersetzung hineinzuziehen, ist meiner Ansicht nach nicht notwendig. Durchaus bemerkenswert finde ich es jedenfalls, dass oftmals diejenigen, die sich selbst als besonders korrekt, feministisch und moralisch überlegen sehen, immer wieder gewisse Grenzen überschreiten.

Susanne war es letztlich egal, mir auch und mehr Energie wollten wir der Sache nicht schenken. Wir haben uns damals so sehr über die Geburt unseres Sohnes gefreut und wollten unsere ohnehin recht kostbare private Zeit in erster Linie mit ihm verbringen. Das hat auch mit seelischer Hygiene zu tun. Je unsachlicher die Kritik, desto weniger Sinn macht es, sich damit zu beschäftigen. Dem Negativen soll man keine Energie geben, das war unser Zugang.