Reise Know-How KulturSchock Portugal - Silvia Baumann - E-Book

Reise Know-How KulturSchock Portugal E-Book

Silvia Baumann

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Beschreibung

Dieses Buch beschäftigt sich mit den vielen Facetten des portugiesischen Lebens, seinen Gegensätzen, Eigenarten und Kuriositäten. Es gibt praxistaugliche Orientierungen und geht auf sozialkritische Hintergründe ebenso ein wie auf die Besonderheiten der "alma lusa", der "portugiesischen Seele". Dazu: Verhaltenstipps A-Z mit vielen Hinweisen für angemessenes Verhalten, Verweise auf ergänzende und unterhaltsame Multimedia-Quellen im Internet, Literaturempfehlungen zur Vertiefung u.v.m. ++++ Aus dem Inhalt: - Aufbruch zu unbekannten Ufern: mit Entdeckergeist zur Kolonialmacht - Land der drei F: Fado, Fußball, Fátima - Faschismus und Salazarismus: stolz und allein - Portugal und die EU – eine Zweckverbindung mit gemischten Gefühlen - Ein- und Auswanderung - Alltag: Geduld und Warten als Überlebenstaktik - Portugiesisch – Weltsprache mit Tücken - Als Fremde in Portugal: das Bild von Touristen und Deutschen - Alma Lusa – tiefgründige Volksseele mit komplexer Wirkung - Einkommensverhältnisse und Sozialsysteme - Trabalho – Arbeitsleben - Traditionen und Bräuche - Problemfall "Água" - Begegnungen, Begrüßungen, Verabschiedung - Lusitanische Machos und gestresste Frauen - Religion und Kirche - Nationale Identität und Patriotismus ++++ KulturSchock - die besonderen und mehrfach ausgezeichneten Kultur-Reiseführer von REISE KNOW-HOW. Fundiert, unterhaltsam und hilfreich im fremden Alltag unter dem Motto: Je mehr wir voneinander wissen, desto besser werden wir einander verstehen.

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Seitenzahl: 494

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Vorwort

Portugal steht für Entdeckergeist, Melancholie und Tradition. Doch das heutige Portugal ist alles andere als rückwärtsgewandt. Vor allem die wirtschaftlichen und politischen Demütigungen der letzten Jahre haben dazu geführt, dass sich die älteste Nation Europas gerade neu erfindet. Trotzig werden die Ärmel für die Zukunft hochgekrempelt. Das „Land am Westrand Europas“ entdeckt sich selbst und wird von vielen neu entdeckt. Ein Besucherrekord jagt den anderen, nie zuvor kamen so viele Touristen, Langzeitreisende und Aussteiger auf der Suche nach dem Glück. Noch nie gab es so große weltweite Aufmerksamkeit. Alle schwärmen von der Gastfreundschaft und dem Charme des abwechslungsreichen Reiseziels. Portugal ist sympathisch. Was ist passiert? Bisher fokussierten doch die Schlagzeilen auf Finanzkrise, Rettungsschirm und EU-Problemkind.

Spätestens seit der Fußball-Europameisterschaft 2016 und dem Eurovision Song Contest 2017 ist ins kollektive Bewusstsein eingedrungen, dass Portugal kein iberisches Anhängsel von Spanien ist.

Was aber hat es auf sich mit dieser einst großen Seefahrernation, die noch bis vor wenigen Jahren kaum auf der Weltbühne präsent war? Nun werden mehr und mehr Menschen auf Portugal aufmerksam und fragen sich: Wer und wie sind die Portugiesen eigentlich? Und welche Kulturschocks sollte es überhaupt geben in einem demokratischen EU-Land, das von der Mehrheit der Besucher als positiv empfunden wird?

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Seit der ersten Auflage dieses Buches hat sich Portugal wesentlich verändert. Vieles ist besser geworden, manche Probleme sind zäh und einiges trotzt dem Lauf der Zeit. Der boomende Tourismus hilft der Wirtschaft, bringt gleichzeitig aber auch Herausforderungen mit sich. Dennoch, die Grundstimmung ist gut wie schon lange nicht mehr. Nach den harten Jahren der Einschränkungen sehen die Portugiesen erstmals optimistisch in die Zukunft. Vor allem die junge Generation tritt selbstbewusst und zielgerichtet auf. Man besinnt sich auf den tief verwurzelten Pioniergeist der „Portugalidade“. Noch nie waren Berufseinsteiger in Portugal so gut ausgebildet wie heute. Viele wanderten während der Finanzkrise aus, doch so mancher nutzte die drohende Arbeitslosigkeit als Chance und nahm die Zukunft selbst in die Hand, sei es im Tourismus, der Gastronomie oder in anderen Bereichen wie den digitalen Medien.

Das Ferienziel wird mit touristischen Auszeichnungen und Prämien geradezu überhäuft. 2016 wurde Portugal zum ersten Mal in seiner Geschichte Fußballeuropameister, Cristiano Ronaldo gewinnt sowieso meist den Weltfußballer- und alle anderen Titel, der UN-Generalsekretär heißt seit 2017 António Guterres und war früher portugiesischer Regierungschef, über Europas Finanzen wacht seit 2018 der portugiesische Volkswirt und Finanzminister Mário Centeno als Euro-Gruppen-Chef. Und dann war da noch der 13. Mai 2017: Ein Millionenpublikum verfolgte am Vormittag den Besuch von Papst Franziskus zum 100. Jahrestag der Marienerscheinungen im Wallfahrtsort Fátima. Am gleichen Abend gewann der verträumte Adelsspross Salvador Sobral mit seinem durch und durch portugiesischen und gänzlich untypischen ESC-Beitrag zur Überraschung aller (und vor allem der Portugiesen) den Eurovision Song Contest. „Portugal 12 points“ aus allen Ecken Europas – das gab es noch nie. Das mag manchem banal erscheinen, doch in Portugal kam dies schon fast einem Wunder gleich: Wetten, dass hier die Jungfrau Nossa Senhora de Fátima ihre Hand im Spiel hatte!

Es läuft gut für Portugal, die Daumen zeigen nach oben. Die Schattenseiten waren verheerende Waldbrände im Sommer und Herbst 2017 mit einer tragischen Bilanz von 115 Todesopfern, schleppende Reformen in Justiz-, Bildungs- und Gesundheitswesen, immer noch große soziale Ungerechtigkeiten und medienträchtige Korruptionsskandale wie jener um den einstigen Politstar und Premierminister José Sócrates.

Dieses Buch beleuchtet die portugiesische Mentalität aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Um die tiefgründige Seele Portugals zu verstehen, ist eine Zeitreise in die Geschichte des Landes hilfreich und notwendig. Vom Niedergang der einstigen Seemacht, die zwischen sich und Spanien die Welt aufteilte, zu einem der ärmsten Länder Europas, von 40 Jahren Isolation und Repression der Salazar-Diktatur, die Spuren und Narben in der portugiesischen Gesellschaft hinterließ. Von Aus- und Einwanderung bis hin zum Aufbäumen gegen den Armutsstempel.

Doch gibt es überhaupt den typischen Portugiesen bzw. die typische Portugiesin? Was macht die Portugiesen eigentlich aus: Bacalhau essen und Portwein trinken, Fußballverrücktheit und Fado singen …? Was unterscheidet den portugiesischen Alltag von unserem? Und was ist das für ein Volk aus dem Süden, dessen Nationalgericht Stockfisch aus dem hohen Norden ist, das seinem verlorenen Weltreich mit der melancholischen Wehmut der saudade nachtrauert und das doch modern und zukunftsorientiert die Gegenwart meistert?

Möglicherweise empfinden Nordeuropäer ganz andere Dinge „schockierend“ als Südländer. Was für die einen fehlende Organisation sein mag, ist für die anderen vielleicht Kreativität etc. Letztendlich tragen wir alle unser kulturelles Gepäck mit uns herum und bewerten uns fremd anmutende Dinge instinktiv aufgrund unserer Mentalität. Manchmal hilft es auch, einfach jegliche Klischees aus dem Kopf zu verbannen und sich vorurteilslos auf alles einzulassen, was denn da kommen mag.

Die Portugiesen selbst sind sich weitgehend einig, wenn es um die Definition des Portugiesischseins (Ser Português) geht. Sie glauben an die Einzigartigkeit ihrer Wesensart und sind überzeugt davon, dass ein Nichtportugiese diese nicht nachempfinden kann. Wohl deshalb gibt es auch keine wörtliche Übersetzung für das Wort saudade, den Ausdruck für die nationale Melancholie.

Portugal scheint seit einigen Jahren nicht nur für die Portugiesen selbst, sondern auch für viele Reisende zu einem „Sehnsuchtsland“ zu werden, einer Oase inmitten der turbulenten, aus der Spur geratenen Weltordnung. Was macht dieses Land so besonders und wieso wollen jetzt so viele Menschen hier leben, von Madonna über französische Investoren und chinesische Kaufleute bis hin zu alternativen jungen Familien und Wohngemeinschaften?

All dies und vieles mehr zu Tücken, Fettnäpfchen, Eigenarten und Freud und Leid des portugiesischen Lebens behandelt dieser Titel. Dabei kommen einheimische wie ausländische Stimmen zu Wort.

Wer sich darauf einlässt, auch einmal hinter die zugezogenen Vorhänge und unter den Teppich zu schauen, darf gespannt sein. Denn Portugal ist so viel mehr als nur Fado, Fußball und Fátima.

Bem-vindo!

Silvia Baumann

Extrainfos im Buch

ergänzen den Text um anschauliche Zusatzmaterialien, die vom Autor aus der Fülle der Internet-Quellen ausgewählt wurden. Sie können bequem über unsere spezielle Internetseite www.reise-know-how.de/kulturschock/portugal18 durch Eingabe der jeweiligen Extrainfo-Nummer (z. B. „#1“) aufgerufen werden.

Inhalt

Vorwort

Verhaltenstipps A–Z

Ein Blick zurück – bis heute

Pré-História – Vorgeschichte

Lusitanos und Romanos (5. Jh. v. Chr. bis 6. Jh. n. Chr.)

Mouros und Cristianos (8. Jh. bis 13. Jh.)

Reconquista und das Königreich Portucale (12. Jh. bis 14. Jh.)

Aufbruch zu unbekannten Ufern: mit Entdeckergeist zur Kolonialmacht (15. Jh. bis 17. Jh.)

Monarquias und Repúblicas – von der Monarchie zur Republik (16. Jh. bis 20. Jh.)

Faschismus und Salazarismus: „Stolz und allein“ (1928–1974)

Die Nelkenrevolution (25. April 1974)

Portugal als EU-Land (seit 1986)

Die Geschichte Portugals im Überblick

„Bagagem Cultural“ – kulturelles Gepäck

Ethnische Einflüsse, Ursprünge der Bevölkerung

Leben am Rand Europas

Religion und Kirche

Glaube und Aberglaube

Feste, Bräuche, Traditionen

Ser e Sentir – vom Sein und Fühlen

Nationale Identität und Patriotismus

Alma Lusa – tiefgründige Volksseele mit komplexer Wirkung

Educação – das portugiesische Bildungssystem

Die Gesellschaft – Staat, Politik, Wirtschaft

Staatsaufbau, Regierungsform und Parteien

Außenpolitik

Gesetz und Korruption

Kriminalität

Justiz – die Mühlen der Gerechtigkeit mahlen langsam

Wirtschaftslage und Konjunktur

Einkommensverhältnisse und Sozialsysteme

Stadt und Land

Ein- und Auswanderung

O dia a dia – der Alltag in Portugal

Vícios – Alkohol, Rauchen, Drogen

Trabalho – Arbeitsleben

Hygiene

Kunst und Kultur

Medien

Mode und Zeitgeschmack

Natur- und Umweltschutz

„Goooolo!“ – Sport, Freizeit, Urlaub

Sprache

Tagesrhythmus

Telefon und Kommunikation

Morar – Wohnen

Mulheres, homens, familia – Frauen, Männer und Familie im Fokus

Demografische Entwicklung

Lusitanische Machos und gestresste Frauen

Frauen in der portugiesischen Gesellschaft

A Vida: Geburt, Jugend, Alter, Tod

Estrangeiros – als Fremder in Portugal

Das Bild von Touristen

Typisch portugiesisch

Begegnungen, Begrüßungen, Verabschiedung

Gastfreundschaft

Verabredungen und Ausgehen

Zu Gast in der Familie

Essen und Trinken

Einkaufen

Namen und Anrede

Gesprächsverhalten

Konfliktverhalten

Behörden und Polizei

Zeitverständnis, Professionalität, Verbindlichkeit

Sicherheit

Arbeitskollegen

Umgang mit Tieren

Verkehr und Transportmittel

Auswandern nach Portugal

Enfim – zu guter Letzt

Anhang

Glossar

Para Ler – zum Lesen

Portugal im Kino

Informatives aus dem Internet

Musikalische Melancholie zum Einstimmen

Register

Übersichtskarte Portugal

Die Autorin

Exkurse zwischendurch

Lenda da Amendoeira – das Mandelbaum-Märchen

Inês de Castro – Königin nach dem Tod

Das Geschäft mit Menschen

Os Lusíadas – mittelalterliches Entdeckerepos

Manuelinik – portugiesischer Einfallsreichtum

Dom Sebastião – die verloren gegangene Zukunft

Stichwort Erdbeben

Marquês de Pombal – aufgeklärter Erneuerer

António de Oliveira Salazar

Portugiesen und Spanier – ungleiche Geschwister

„Nortenhos“ – die Menschen aus dem Norden

Entschleunigung im Alentejo

Europas größter Stausee

Der Wallfahrtsort Fátima

Das Fest der „Mãe Soberana“ („Höchste Muttergottes“) in Loulé

Stierkampf auf Portugiesisch

Fernando Pessoa – ein einsames Genie

Coimbra – viel besungene Universitätsstadt am Rio Mondego

Die portugiesische Flagge

Der Fall José Sócrates – vom Regierungschef zum Angeklagten

Aldeias Históricas – historische Dörfer in neuem Gewand

António Guterres vs. José Manuel Durão Barroso

Freimaurer versus Opus Dei

Aussterbende portugiesische Handwerksberufe

Nobelpreisträger José Saramago (1922–2010)

Stichwort Azulejo-Kunst

Erosion – eine Gefahr für die portugiesische Küste

Waldbrände gefährden Portugals Zukunft

Problemfall „Água“

Vorsicht Falle – Tücken der portugiesischen Sprache

Pyramidendächer und arabische Türen

Kuriositäten zum Wohnen in Portugal

Häusliche Gewalt

As Três Marias – Die Drei Marias

Kulinarisches Mini-Lexikon

Bacalhau – eine Freundschaft fürs Leben

Weinland Portugal

Kleines Kaffeelexikon à la Portugal – Vamos beber um café

Spitznamen – „alcunha“

Verhaltenstipps A–Z

Aberglaube: Es gibt zig portugiesische Bauernregeln zum Thema superstição. In ländlichen und stärker katholisch geprägten Regionen sind die Menschen noch eher abergläubisch. Die Zahl 13 ist auch in Portugal mit azar (Pech) verknüpft, schwarzen Katzen geht man gerne aus dem Weg. In ein Haus sollte man immer mit dem rechten Fuß eintreten, wenn das linke Ohr rot und heiß wird, redet jemand schlecht über einen … Mehr dazu im Kapitel „Glaube und Aberglaube“ (s. S. 117).

AIDS: In Portugal „SIDA“ genannt, sind HIV-Infektionen immer noch ein aktuelles Thema. Die Zahl Neuinfizierter ist zwar seit 2008 stetig prozentuell gesunken, dennoch weist Portugal eine der höchsten Infektionsraten von HIV (hier VIH) in Europa auf.

Alkohol: Laut Weltgesundheitsorganisation belegt Portugal im weltweiten Vergleich beim Alkoholkonsum den 10. Platz. Der obligatorische Wein zum Essen mit einem Schnaps zum Abschluss ist eher die Regel als die Ausnahme. Portugal ist ein Weinland und so ist der Konsum auch kulturell und traditionsbedingt in den Alltag integriert. Auch Bier und Spirituosen erfreuen sich großer Beliebtheit. Zwischen 2014 und 2016 ist die Zahl der Alkoholabhängigen und Alkoholgefährdeten besonders gestiegen, was viele auch auf die Finanzkrise und deren soziale Folgen zurückführen. Alkohol ist auch die häufigste Ursache bei Verkehrsunfällen. Siehe auch „Vícios“ im Kapitel „Der Alltag in Portugal“ (s. S. 208).

Ansehen: Das Image des Landes und der Nation in den Augen von Fremden oder der Welt ist den Portugiesen ein besonderes Anliegen. Man legt großen Wert darauf, nicht mit allen „Latinos“ in einen Topf geworfen zu werden. Im täglichen Umgang wird man vorwiegend auf sehr höfliche, zurückhaltende, aber durchaus hilfsbereite Einheimische treffen. Die Portugiesen definieren sich gerne als die „diskreteren, tiefgründigeren Südländer“ und möchten auch so wahrgenommen werden.

Armut/Bettelei: Trotz der sich langsam erholenden Wirtschaft waren nach Angaben des Instituto Nacional de Estatísticas im Jahr 2016 über 2,6 Mio. Portugiesen von Armut und sozialem Ausschluss bedroht – und das oftmals trotz Arbeit. Die Lage hat sich zwar leicht verbessert, doch immer noch ist pobreza für viele Familien ein Thema. Obdachlose (sem-abrigo) sind vorwiegend in den Großstädten und Ballungsräumen anzutreffen, 2017 wurden allein in Lissabon 2051 Menschen ohne festen Wohnsitz registriert – und das sind nur die offiziellen Zahlen. Ein Viertel davon lebt auf der Straße, die anderen essen und schlafen in sozialen Einrichtungen oder von der Stadt angemieteten Zimmern in Pensionen. Mit zunehmendem Tourismus werden die Wohnangebote nun langsam rar und kaum noch bezahlbar, denn private Hostels und touristische Unterkünfte schießen wie Pilze aus dem Boden und nehmen sozialen Wohnraum weg. Auch in Porto, Braga, Setúbal, Faro, Coimbra oder Aveiro sieht man leider noch viele Menschen, die sich in Bahnhöfen, Metro-Stationen, in der Nähe von Kirchen oder auf Parkbänken einrichten. Gründe für die soziale Notlage sind oft Arbeitslosigkeit, Verschuldung, Scheidung oder Drogen- und Alkoholabhängigkeit. Unter den Betroffenen sind auch viele junge Frauen und Mütter, die wegen häuslicher Gewalt auf die Straße flüchten. Betteln ist nicht sehr häufig, ab und an sieht man osteuropäische Familien mit Kleinkindern, die um Almosen bitten. Jeden Winter versuchen Sozialarbeiter der Stadtverwaltungen, die größte Not in kalten Nächten mit Decken und warmen Mahlzeiten zu lindern. Vor manchen Supermärkten verteilen karitative Organisationen insbesondere vor Weihnachten Einkaufstüten, die man mit Grundnahrungsmitteln füllen und am Ausgang für bedürftige Familien spenden kann.

Ausländer/Touristen: Seit das Land immer beliebter wird, ist das Zusammenleben mit Vertretern aus allen Ecken der Welt ein Normalzustand geworden. Generell sind Touristen und Nichtportugiesen gern gesehen und willkommen, auch wenn es in manchen sehr touristischen Stadtteilen in Lissabon und Porto für die Anwohner bisweilen schon etwas zu viel des Guten wird und es zu Problemen wie Wohnungsnot und überteuerten Preisen kommt. Andererseits ist der Tourismusboom auch ein wichtiger Motor für die in Fahrt kommende Wirtschaft. Generell sind die Portugiesen aufgrund ihrer eigenen Auswanderungsgeschichte an den Umgang mit anderen Nationalitäten gewöhnt. Seit 2016 gibt es in den Großstädten eine „Touristengebühr“: In Lissabon beträgt diese 1 €/Tag bis max. 7 € für sieben Übernachtungen, in Porto sind ab 2018 pro Übernachtung 2 €. Diese Art Kurtaxe wird in den Hotels, Hostels und lokalen Unterkünften berechnet (siehe auch „Das Bild von Touristen“ ab S. 274).

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Touristen-Doppeldeckerbus in Lissabons Unterstadt

Autofahren: Verkehrserziehung und -kontrollen sind wesentlich besser geworden. Doch lieben die Portugiesen eine rasante und risikoreiche Fahrweise. Die ansonsten gelebte Zurückhaltung wird hinter dem Steuer über Bord geworfen und offensives Überholen, Hupen, Telefonieren oder dichtes Auffahren sind der Normalzustand. Wer mit einem Mietwagen unterwegs ist, muss alle Sinne offen halten. Telefonieren am Steuer ist nicht erlaubt und die Promillegrenze liegt in Portugal bei 0,5, für Fahranfänger und Berufsfahrer sogar bei 0,2.

Baden/Nacktbaden: Portugal bietet von Nord bis Süd insgesamt mehr als 526 Badestrände (Meerestrände und Flussstrände), davon sind 320 (Stand 2017) mit der Blauen Flagge für gute Wasserqualität und gute Infrastruktur ausgezeichnet. Während der Saison (Juni–September) sind die offiziellen Badespots bewacht. In der Nebensaison gibt es keine Rettungsschwimmerstationen. An manchen Naturstränden ist auf eine starke Unterwasserströmung und heftigen Wellengang zu achten. Beliebt sind auch die zahlreichen Fluss- und Stauseestrände, die vor allem im Sommer sehr stark frequentiert sind. Nacktbaden ist an normalen Stränden nicht üblich, es gibt aber eine Reihe speziell markierter FKK-Strände. Oben-ohne-Baden ist vor allem an der Algarve mittlerweile normal und toleriert.

Begrüßung/Verabschiedung: Wenn man jemanden zum ersten Mal trifft, sind ein Handschlag und ein „Prazer, como vai?“ („Sehr erfreut, wie geht es?“), bei Jüngeren auch ein simples „Olá“ üblich. Bei näherer Bekanntschaft oder auch unter jüngeren Menschen sind zwischen Frauen und Frau und Mann angedeutete Wangenküsschen gängig (rechts und links, jeweils einmal). Ein etwas weniger förmliches „Tudo bem?!“ („Alles bestens?!“) gehört dazu. Männer geben sich die Hand oder auch einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter. Unter männlichen Freunden ist eine Umarmung (abraço) angebracht. Für den Abschied gilt das gleiche mit einem „Adeus, até logo“ („Auf Wiedersehen, bis bald“) oder „Tudo de bom!“ („Alles Gute!)“. Mehr dazu unter „Begegnungen, Begrüßungen, Verabschiedung“ ab S. 283.

Bekleidung: Für Besucher gibt es keine besonderen Kleidungsregeln zu beachten, es sei denn, man betritt Kirchen und Klöster, wo allzu legere Strandkleidung nicht gerne gesehen wird. Generell sollte man für Wärme wie auch kühle Nächte ausgerüstet sein. Gute Wanderschuhe und bequeme Stadtschuhe sind ebenso nützlich. Die Portugiesen kleiden sich gerne modebewusst und klassisch bis konservativ. Man legt Wert auf ein gepflegtes Äußeres und stilsicheres Auftreten, zumindest was die ältere Generation anbelangt. Bei den jüngeren Leuten geht es unkonventioneller zu. Selten aber sieht man Portugiesen außer Haus in Jogginghosen oder Trainingsanzügen und nie mit Socken in Sandalen.

Beleidigungen: Abwertende und diskriminierende Schimpfwörter können in Portugal mit Bußgeldern bestraft werden. Die Portugiesen selbst nehmen dies nicht immer ganz so genau und Begriffe wie „pretos“ für farbige Menschen afrikanischer Abstammung oder „ciganos“ für einheimische Roma-Gemeinden hört man häufig. „filha(o) da puta“ ist die portugiesische Version für „Hurentochter(sohn)“, die man zwar oft vernimmt, aber selbst lieber nicht verwenden sollte. Derbe Vulgarismen wie „merda“, „carralho“ oder „porra“ sind die am meisten verwendeten Schimpfwörter, die man nicht übersetzen möchte beziehungsweise muss. Die meisten Beleidigungen kommen wenig überraschend im Straßenverkehr oder bei Fußballspielen vor.

Berührungen/Körperkontakt: Auch wenn die Portugiesen beim Körperkontakt nicht so überschwänglich sind wie etwa die Spanier, Italiener oder Brasilianer, sind Berührungen doch gängiger als im vergleichsweise etwas unterkühlten Deutschland, vor allem bei Begrüßungen und Verabschiedungen (s. S. 16). Besonders Babys und Kleinkinder werden gerne getätschelt. Generell praktizieren und respektieren die Portugiesen aber eine höfliche Distanz in Warteschlangen oder beispielsweise in Bussen und Bahnen und im täglichen Miteinander. Drängeln ist nicht gerne gesehen.

Bestechung/Schmiergelder: Im portugiesischen Alltag wird man keine offen sichtbaren Bestechungen oder Schmiergeldzahlungen erleben. Wer versuchen sollte, einen Polizisten oder Staatsbeamten mit einem Geldschein zu schmieren, macht sich strafbar und kann mit gravierenderen Konsequenzen rechnen. Das heißt nicht, dass diese Praktiken nicht vorkommen. Sie werden sich aber für Touristen oder Kurzbesucher kaum offenbaren, sondern sich eher im Alltag bei längeren Aufenthalten bemerkbar machen. In der Politik, im Fußball und in der Wirtschaft sind dies durchaus aktuelle Themen.

Bürokratie: Bei Behördengängen hat sich einiges verbessert und man kann vieles, was man früher bei zeitraubenden Vorortbesuchen erledigen musste, online oder in Bürgerbüros (Lojas do Cidadão) abwickeln. Dennoch sind die Wirren der Bürokratie nach wie vor ein Problem. Langwierige Genehmigungsverfahren für z. B. Geschäfts- oder Baulizenzen, im Gesundheitssektor oder in der Justiz sind Bremsfaktoren und Geduldsproben im portugiesischen Alltag.

Drogen: Die Situation in Bezug auf Straßendrogen hat sich gebessert, der Markt für Opiate und Kokain wächst aber seit einigen Jahren. In Lissabon kommt es vor allem in der Rua Augusta immer wieder vor, dass man ganz offen auf der Straße von Dealern angesprochen wird, die „haxiche“ anbieten. Obwohl die Polizei dieses Problem und auch die Personen kennt, greift sie nicht ein, weil das angebliche Haschisch ein undefinierbares Gemisch von Gewürzen und sonstigem Allerlei ist und sein Verkauf deshalb nicht als „Drogenhandel“ verfolgt werden kann. Generell gilt: lieber Finger weglassen von solchen Angeboten. Die „Droge“ Nr. 1 ist in Portugal mit Abstand der Alkohol. Seit dem Entkriminalisierungsgesetz von 2001 ist der Eigenkonsum von Drogen keine Straftat mehr, sondern nur noch eine Ordnungswidrigkeit. Mehr zu dem Thema findet sich unter „Vícios“ ab S. 208.

Einkaufen/Märkte: Im ganzen Land findet der Besucher ein gutes Netz von modernen Einkaufszentren (centros comerciais) mit allen gängigen Handelsmarken. Im Lebensmittelbereich gibt es von einheimischen, gut sortierten Supermarktketten (oft mit integrierten Cafés und diversen Läden) bis zu ausländischen Discountern ein umfangreiches Angebot. In den Hipermercados (größeren Supermärkten der Einkaufszentren) kann man an einigen automatischen Kassen seine Produkte selbst einscannen und mit Bargeld oder Karte bezahlen. Frisches Gemüse, Zitrusfrüchte und anderes Obst, aber auch Trockenfrüchte, kauft man am besten auf dem Wochenmarkt. Fast jeder Ort hat eine Markthalle und dort ist es meistens auch etwas günstiger. Kunterbunte Monatsmärkte (feiras oder mercados mensais), die normalerweise am Ortsrand auf extra ausgewiesenen Großparkplätzen oder -flächen stattfinden, sind besonders beliebt. Feilschen wird in Portugal nicht gerne gesehen. Generell gelten Festpreise. Allerdings kann man auf den Feiras schon mal nachfragen, ob es auf den ein oder anderen Artikel noch etwas Nachlass gibt. Das Risiko einer Antwort wie „Wir sind hier nicht in Marokko“ muss man aber einkalkulieren. Technische Geräte, Hygieneartikel und besonders Produkte für die Zahnhygiene sind in Portugal etwas teurer als in Deutschland, Grundnahrungsmittel und Werkstattpreise dagegen günstiger bzw. niedriger (siehe auch S. 305).

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Paulo Braz schwört auf seinen Bergkäse der Serra da Estrela (Centro Comercial, Torre)

Einladungen nach Hause sind in Portugal nicht sehr gängig. Meistens trifft man sich mit Freunden in einem Restaurant, einem Café oder einer Bar. Wer auf einen Kaffee eingeladen wird, sollte sich bei Gelegenheit revanchieren. Zu beachten gilt es, dass man Einladungen zu was auch immer (die man nicht annehmen möchte oder kann) nicht einfach ablehnen sollte, ohne weitere Begründungen zu nennen oder eine andere Gelegenheit offenzulassen. Ein trockenes „Nein danke“ ist nicht sehr höflich, mit „Danke, vielleicht ein andermal gerne“ gibt man dem Gegenüber keine Abfuhr und lässt ihn das Gesicht wahren, ohne seinen Stolz zu verletzen. Mehr dazu unter „Zu Gast in der Familie“ ab S. 285.

Ess- und Trinksitten: Vor allem das Mittagessen (almoço) ist in Portugal heilig, auch das Abendessen (jantar) fällt eher üppig aus. Das Frühstück (pequeno almoço) spielt eine geringere Rolle. Wer also auf sein geliebtes ausgiebiges Frühstück mit Müsli & Co. schwört, wird im Café selbst improvisieren müssen. Es sei denn, man kommt in einem internationalen Hotel unter, dort gibt es generell auch reichhaltige Frühstücksbüfetts. Kleinere Mittelklassehotels oder auch einfache Pensionen bieten auf Wunsch des Kunden meist auch ein Frühstück. Mittagessen gibt es in den Restaurants in der Regel von 12.30 Uhr bis 15 Uhr und Abendessen ab 19 Uhr. Zeitunabhängige Alternativen sind die zahlreichen Angebote der Gastronomiemeilen in den Einkaufszentren. Im Restaurant ungefragt auf den Tisch gestellte „entradas“, also Appetitmacher wie Oliven, Brot oder Käse, sind kein Angebot des Hauses, sondern werden separat berechnet. Am liebsten isst und trinkt man in Gesellschaft, zum Toast stoßen die Portugiesen mit dem Glas an und sagen „saúde!“, was unserem „Zum Wohl“ entspricht und wörtlich übersetzt „Gesundheit“ heißt. Mehr zu Ess- und Trinksitten steht im Kapitel „Essen und Trinken“ ab S. 286.

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Rui und Paula Carvalho aus Mértola genießen ihre Mahlzeiten am liebsten auf der Terrasse mit Blick auf den Guadiana

Fotografieren: Wenn man Menschen fotografiert, dann gehört es auch in Portugal zum guten Ton, vorher um Erlaubnis zu fragen. Gerade in ländlichen Gebieten und in den von Touristen stark frequentierten Altstadtvierteln von Lissabon und Porto kommt es neuerdings vor, dass sich ältere Menschen nicht gerne fotografieren lassen, und das sollte man respektieren. Sie fühlen sich oft wie unfreiwillige Statisten und gerade in Zeiten des „unkontrollierten“ Selfie-, Smartphone- und Tablet-Knipsens wird die Privatsphäre von Einwohnern nicht selten missachtet. Junge Leute lassen sich in der Regel gerne und bereitwillig ablichten. In vielen Museen, Kirchen etc. und den meisten Einkaufszentren sind Fotografieren und Filmen nicht erlaubt, manchmal ist nur Blitzlicht nicht gestattet. Öffentliche Gebäude wie das Parlament oder der Präsidentensitz können für die private Nutzung abgelichtet werden. Alles was über die Amateurfotografie hinausgeht und in irgendwelcher Form veröffentlicht werden soll, bedarf einer schriftlichen Genehmigung.

Frauen und Männer: Trotz Emanzipation und erweiterten Frauenrechten ist die Rollenverteilung von Mann und Frau im portugiesischen Familienleben und Alltag noch sehr traditionell geprägt. In jüngeren Generationen ist die Arbeitsteilung im Haushalt etwas demokratischer und auf beide Partner verteilt. Die portugiesische Verfassung garantiert seit der Implementierung der Demokratie im Jahr 1974 das Recht auf Gleichstellung von Mann und Frau. Dennoch gilt nach wie vor: Portugal ist ein Macho-Land. Das zeigt sich in der Partnerschaft, in der Familie und im Beruf. Portugiesische Frauen arbeiten im Schnitt wesentlich mehr als Männer und verdienen dennoch deutlich weniger. Sie sind berufstätig und organisieren im Regelfall den Haushalt und die Kinderversorgung. Besonders auf dem Land wird man immer noch vorwiegend Männer in den Bars und Cafés sitzen sehen, während die Senhoras die anfallenden Arbeiten erledigen. Eine Tendenz zur maskulinen Dominanz in der Beziehung ist diversen aktuellen Studien zufolge kurioserweise wieder in der Altersklasse von 15 bis 25 Jahren zu verzeichnen, was auf einen gesellschaftlichen Rückschritt beim Thema Gleichberechtigung hinweist. Siehe auch das Kapitel „Frauen, Männer und Familie im Fokus“ ab S. 255.

Gast sein heißt auch, sich auf die landesspezifischen Eigenarten einzustellen und dementsprechend anzupassen. Offenheit und Toleranz spielen dabei eine wichtige Rolle. Wer Gast in einem Land oder bei Familien ist, sollte die Spielregeln befolgen. Nun unterscheidet sich Portugal von anderen europäischen Ländern in diesem Punkt nicht sehr. Die Portugiesen sind sehr stolz auf ihre Heimat und erwarten von Besuchern, dass sie ihr Land respektieren und die lokalen Gewohnheiten achten. Das alte Sprichwort: „Em Roma devemos ser Romanos“, frei übersetzt „In Rom sollten wir Römer sein“, definiert sehr passend die portugiesische Haltung zu diesem Thema. Mehr dazu steht im Kapitel „Estrangeiros – als Fremde in Portugal“ ab S. 273.

Geschenke: Immer passende presentes sind Blumen, ein gutes Buch oder Deko-Artikel. Bei Weinen kann man oft ins Fettnäpfchen treten, es sei denn, man besorgt einen ausgewählten und nicht unbedingt für den Alltag gedachten edleren Tropfen. Kinder freuen sich über Spielsachen oder Malbücher. Souvenirs aus dem Heimatland des Gastes kommen immer gut an.

Gespräche: Die Portugiesen kommunizieren sehr gerne, untereinander und auch mit fremden Besuchern. Für einen kleinen Schwatz über Wetter, Fußball oder Gott und die Welt ist immer Zeit. Da viele Einheimische Englisch oder auch Französisch sprechen, manche auch Deutsch, ist es nicht sehr schwierig, ein paar Worte zu wechseln und etwas Smalltalk zu praktizieren. Jeder Portugiese und jede Portugiesin wird ein paar Tipps für schöne Orte bereit haben, die man unbedingt besuchen sollte. Auch bei der Suche nach einem typischen Lokal hat es Sinn, mal bei den Anwohnern selbst nachzufragen und deren Rat zu folgen. Es macht sich immer gut, wenn man zumindest „bom dia“ und „obrigado“ im Wortschatz hat.

Hierarchien/Höhergestellte: Portugal ist das Land der Senhores Doutores und Senhores Engenheiros. Titel und Hierarchien sind stark ausgeprägt und ziehen sich durch die gesamte Gesellschaft. Besonders in der öffentlichen Verwaltung sind die Hierarchien sehr straff. Die Machtbefugnisse beschränken sich auf wenige meist männliche Chefs, die kaum delegieren. Entscheidungen dauern deshalb oft länger, weil der oder die Verantwortliche alleine entscheidet und meistens nicht vor Ort oder verfügbar ist. Die Angestellten haben kaum Kompetenzbefugnisse, was von den Entscheidern auch so gewollt ist. In neuen Start-Up-Unternehmen zeichnet sich aber eine Änderung und Tendenz zu flachen Hierarchien und Teamwork ab.

Hochzeit: Eine Hochzeit wird in Portugal ähnlich wie im restlichen Europa zelebriert. Heutzutage kann man das Aufgebot online organisieren und sich einen speziellen Ort für die Trauung aussuchen. Wer dies möchte, kann sich also z. B. auch am Strand trauen lassen. Wer auf eine portugiesische Hochzeit eingeladen ist, sollte sich eher festlich elegant als zu leger kleiden, denn auf dem Hochzeitsfoto möchte man „präsentable“ Gäste zeigen. Als Hochzeitsgeschenk wählt man normalerweise einen angemessenen Geldbetrag, denn damit wird die Feier überwiegend finanziert. Die Höhe des Geldgeschenkes hängt vom Ausmaß und Stil des Festes und natürlich auch vom eigenen Einkommen ab. Im Schnitt kann man zwischen 50 und 150 Euro einplanen. Mehr zum Thema Hochzeiten findet sich ab S. 268.

Höflichkeit: Die Portugiesen, vor allem der älteren Generation, legen großen Wert auf einen höflichen Umgang miteinander. Man grüßt sich mit „bom dia“, bittet um Verlaub mit „com licença“, sagt Danke („obrigado“/„obrigada“) und Bitte („por favor“/„se faz favor“) und fragt mit „como vai“ nach dem Befinden. Vor allem in kleineren Orten läuft man nicht einfach grußlos aneinander vorbei, sondern nickt wenigstens mit dem Kopf oder winkt zum Gruß.

Homosexualität: Die gleichgeschlechtliche Ehe ist seit 2010 im portugiesischen Gesetz verankert, sie birgt die gleichen Rechte und Pflichten wie eine heterosexuelle Ehe. Auch ein Recht auf Adoption ist seit 2015 vorgesehen. Die portugiesische Verfassung garantiert das Recht auf Gleichbehandlung von Menschen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung. Im Alltag ist homosexualidade heute kein Tabu mehr und gays und lesbicas müssen mit keinen offenen Diskriminierungen rechnen. Die katholische Kirche in Portugal machte sich allerdings im November 2017 mehrheitlich unbeliebt, als sie homosexuellen Theologieanwärtern den Zugang zu Priesterseminaren und damit die Priesterlaufbahn verwehren wollte.

Hygiene: Die öffentliche Hygiene ist in Portugal generell sehr gut. Gaststätten, Cafés und öffentliche Sanitäreinrichtungen sind in der Regel sehr sauber und werden regelmäßig von der Aufsichtsbehörde ASAE (Autoridade de Segurança Alimentar e Económica) kontrolliert. Es gibt natürlich auch Ausnahmen, aber die sind heutzutage eher selten. Mehr dazu ab S. 214.

Kinder: Portugal hat im Vergleich zu Spanien oder Frankreich und ähnlich wie Deutschland eine sehr niedrige Geburtenrate. Das hängt hauptsächlich mit der Finanzkrise und den wirtschaftlichen Schwierigkeiten junger Menschen zusammen. Ein bis zwei filhos sind der Standard. Viele Paare entscheiden sich aber auch gegen Kinder, weil sie zunächst ihre Zukunft sichern müssen. Portugiesische Kinder verbringen einen Großteil ihres Tages in Kindertagesstätten oder Schulen, da im Regelfall beide Elternteile berufstätig sind. Kinder (crianças) sind gerne gesehen, auch wenn die Portugiesen den lieben Kleinen gegenüber nicht ganz so tolerant sind wie ihre spanischen Nachbarn.

Kriminalität: Portugal ist insgesamt gesehen eines der sichersten und friedlichsten Länder der Welt. Die Kriminalitätszahlen sind im internationalen Vergleich gering und insbesondere seit 2015 wieder rückläufig. Als Besucher muss man generell keine besonderen Vorkehrungen treffen. Taschendiebstähle in überfüllten Bussen oder Straßenbahnen der Metropolen und Einbrüche in Pkws kommen häufiger vor, aber gewaltsame Raubüberfälle sind doch eher selten. Drogenkriminalität gibt es allerdings auch in Portugal. Am ehesten Vorsicht geboten ist in den Großstädten und an stark frequentierten Stränden. Mehr dazu steht unter „Kriminalität“ (s. S. 175) und „Sicherheit“ (s. S. 313).

Kritik (im Gespräch) ist ein heikles Thema, vor allem im Gespräch zwischen Nichtportugiesen und Portugiesen. Kritik von Besuchern an Land und Leuten kommt generell nicht gut an. Es wird als unhöflich und respektlos empfunden, wenn ein Besucher interne Dinge kritisiert. Auch wenn die Portugiesen selbst sehr gerne jammern und damit selten auf Widerspruch stoßen, sollte man diplomatisch sein und sich unerwünschte und ungefragte Kommentare besser verkneifen. Das gilt auch, wenn die obligatorische und tückische Frage gestellt wird: „Wie finden Sie unser Land? Gibt es etwas, was Sie nicht mögen?“ Siehe auch das Kapitel „Gesprächsverhalten“ ab S. 309.

Menschen mit Behinderung: Barrierefreie Zugänge und rollstuhlgerechte Infrastrukturen wurden in den letzten Jahren wesentlich verbessert. Dennoch machen die üblichen Kopfsteinpflastergassen und die oftmals fehlenden Gehwege sowie steile Treppen in den Stadtzentren es Rollstuhlfahrern und Geh- oder Sehbehinderten nicht gerade einfach. Auch die öffentlichen Verkehrsmittel sind nicht durchgängig barrierefrei.

Minderheiten: Die einzigen ethnischen Minderheit im Land sind die Volksgruppen der Sinti und Roma, die hier ciganos oder Portuguêses de etnia cigana genannt werden. Hier gilt es, als ausländischer Besucher zu beachten, dass sich die Menschen der Cigano-Kommunen nicht gerne fotografieren lassen, und das sollte man respektieren. Mehr zu dem Thema siehe „Ethnische Einflüsse“ ab S. 88.

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Die Portugiesen lieben ihre Nationalflagge

Patriotismus: Für einen gesunden Patriotismus und gegen fanatischen Nationalismus sprach sich ein führender portugiesischer Politiker anlässlich des brandaktuellen Themas Populismus aus. Die Portugiesen sind sehr patriotisch, wenn es um Sport, Musik oder ihre Geschichte geht. Besonders die jungen Leute besinnen sich wieder auf die viel beschworenen Tugenden der Portugalidade: Kreativität, Flexibilität, Zähigkeit und Anpassungsfähigkeit. Rechtsradikale Parteien oder Gruppierungen gibt es erfreulicherweise keine. Näheres dazu unter „Nationale Identität und Patriotismus“ (s. S. 147).

Politik ist ein viel diskutiertes Thema, ob in den Radio- und Internetforen, im Café oder zu Hause bei den 20-Uhr-Nachrichten. Insgesamt gesehen haben Politiker kein gutes Image. Mit dem 2016 gewählten Staatspräsidenten Marcelo Rebelo de Sousa und seinem ausgleichenden Harmoniekurs hat sich dies etwas verbessert. Der bekannte Politiker, Professor und ehemalige TV-Kommentator baut Brücken zwischen der links- und der rechts-wählenden Bevölkerung. Portugal ist heute eine gefestigte Demokratie. Die Beziehungen zu den europäischen Nachbarn und ehemaligen Kolonien sowie anderen Handelspartnern sind gut und Portugal sieht sich aufgrund seiner historischen Handelsverbindungen auch gerne als Vermittler zwischen Europa, Afrika und Asien.

Prostitution: Seit 2017 ist die gewerbliche Sex-Arbeit gesetzlich geregelt und unterliegt den gleichen Rechten und Pflichten wie andere gewerbliche Tätigkeiten. Immer wieder gibt es Schlagzeilen zu illegalem Menschenhandel und sklavereiähnlicher Ausbeutung von meist ausländischen Frauen in Nachtklubs und Bordellen.

Rauchen: In Gastronomie und öffentlichen Einrichtungen ist Rauchen untersagt (rotes Schild Proibido Fumar oder Não Fumadores). In einigen Restaurants gibt es einen ausgewiesenen Raucherbereich, meist im Freien, oder ein separates, mit einem blauen Schild (Fumadores) ausgewiesenes Zimmer. Knapp 19 % der Portugiesen sind nikotinabhängig und das macht sich auch bei den Todesfällen infolge von Lungenkrebs bemerkbar (s. S. 208).

Reklamationen: Alle Serviceeinrichtungen im Land, z. B. Hotels, Restaurants, Cafés, Tankstellen etc., sind verpflichtet, ein Reklamationsbuch (Livro de Reclamações) für die Kunden offen sichtbar und zugänglich auszulegen. Bei gravierenden Mängeln oder begründeten Beschwerden (z. B. falsche Rechnungen im Restaurant, mangelhafter Service oder verdorbene Ware etc.) kann man hier seine Reklamation (auch auf Englisch) hineinschreiben. Die Seiten sind vornummeriert und mit Durchschrift. Eine Kopie muss vom Betreiber an die zuständige Behörde für Reklamationen weitergeleitet werden und damit dies auch geschieht, wird regelmäßig kontrolliert. Die Portugiesen selbst reklamieren nicht so gerne, zumindest nicht direkt und offen.

Religion: Portugal ist laizistisch, Staat und Religion sind in der Verfassung getrennt. Es gibt auch keine Kirchensteuer wie beispielsweise in Deutschland. Knapp 80 % der Portugiesen bekennen sich zum katholischen Glauben. Vor allem im Norden spielt die Religion im täglichen Leben eine Rolle. Hier ist man etwas konservativer und auch als Gast sollte man darauf zum Beispiel mit angemessener und nicht allzu freizügiger Kleidung in Kirchen oder Klöstern eingehen. Den Sonnenhut nimmt man in der Kirche ab und lautes Reden ist im Kircheninnern ein Tabu, von geführten Gruppen einmal abgesehen. Mehr zum Thema steht unter „Glaube und Aberglaube“ auf S. 117.

Sex: Bis zur Nelkenrevolution 1974 und dem Ende der Diktatur war Sexualität ein Tabuthema. Heute werden Fragen rund um Sex & Co. relativ offen diskutiert (siehe auch „Sexo“ ab S. 256).

Souvenirs: Typische Souvenirs aus Portugal sind Keramikwaren wie bemalte Kacheln (azulejos), Produkte aus Kork, Naturseifen, Olivenöl, Webteppiche, Wein, Fruchtliköre und Fischkonserven. Der bunte Hahn von Barcelos (siehe „Portugiesische Sagen und Legenden“, S. 118) ist das bekannteste portugiesische Symbol und Souvenir aus Portugal.

Sprache: Viele Deutsche und andere Besucher kommen nach Portugal und sprechen nur Spanisch, in der Annahme, dass man dies schon verstehen würde. Das kommt nicht gut an. Ein paar Brocken Portugiesisch können auch bei einem ersten Besuch im Land nicht schaden. Statt „gracias“ sagt man lieber „obrigado/a“ und statt „buenos dias“ besser „bom dia“ – auch wenn in den touristischen Regionen vorwiegend Englisch gesprochen wird (siehe auch S. 241).

Statussymbole: Das vielleicht wichtigste Statussymbol der Portugiesen ist dieser Tage unbestritten das Smartphone. Jeder möchte das neueste und angesagteste Modell haben und trägt dieses auch dementsprechend zur Schau. Auch deutsche Automodelle haben einen hohen Stellenwert und Markenkleidung sowie Uhren und Sonnenbrillen werden gerne vorgezeigt. Seit der Finanzkrise hat sich dies bei der am stärksten betroffenen Mittelschicht etwas geändert. Dennoch gibt der Durchschnittsportugiese mehr Geld für Telefon & Co. aus als beispielsweise für Zahnbehandlungen.

Tabus: Abgesehen von dem Tabu, als Ausländer Kritik an Land und Leuten zu üben, fällt es schwer, Tabus zu finden. Portugal ist generell sehr liberal ausgerichtet, was meistens positiv, manchmal aber auch negativ ist. Der Norden ist etwas konservativer und katholisch geprägt, wo Tabus noch eher eine Rolle spielen.

Tiere: In Sachen Tierfreundlichkeit hat sich Portugal seit der Jahrtausendwende sehr verbessert. Hunde und Katzen werden heute fast schon als Familienmitglieder gesehen. Mittlerweile gibt es mehr Haustiere in portugiesischen Haushalten als Kinder. Misshandlungen von Tieren sind seit 2016 als Straftat im portugiesischen Strafgesetz integriert. Seit es die kleine Partei PAN (Pessoas, Animais, Natureza) in das Parlament geschafft hat und diese sich dort für die Rechte von Personen, Tieren und der Natur stark macht, hat sich auch viel Positives im Umgang mit Tieren ergeben.

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Der Iberische Esel wäre beinahe ausgestorben

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Die Lissabonner Eléctrico der Linie 12 passiert auch die Sé Catedral

Trinkgeld: Als Trinkgeld (gorjeta) sind 5–10 % des Rechnungsbetrags üblich. Man hinterlässt die Münzen auf einem Tellerchen, auf dem die Rechnung gebracht wurde. Gar nichts zu geben, ist nicht sehr höflich, es sei denn, man war mit dem Service überhaupt nicht zufrieden.

Vegetarier: Auch wenn die portugiesische Küche vorwiegend auf Fisch und Fleisch basiert, finden Vegetarier und auch Veganer in Portugal mehr und mehr Alternativen und Angebote in überall entstehenden neuen kreativen Restaurants und auf den Wochenmärkten, wo es eine große Auswahl an Obst und Gemüse gibt. Auch Trockenfrüchte sind sehr zahlreich, genau wie Sojaprodukte.

Verkehrsmittel: Die meisten Besucher sind mit Mietwagen oder neuerdings gemieteten Campingbussen im Land unterwegs. Das portugiesische Straßennetz ist gut ausgebaut. Wer viel sehen und flexibel sein will, kommt um ein Fahrzeug nicht herum. Bus und Bahn bieten ebenso günstige und gute Verbindungen für eine Reise durch das Land. In den Großstädten ist der öffentliche Nahverkehr die beste Lösung. Ausführliche Infos zu diesem Thema stehen ab S. 316.

Verkehrsunfall: Im Fall eines Verkehrsunfalls ruft man am besten die Polizei, bei Personenschäden zusätzlich eine Ambulanz über die Notrufnummer 112. Beim Verlassen des Fahrzeuges muss eine Warnweste getragen werden und die Unfallstelle in entsprechendem Abstand mit einem Warndreieck gesichert sein. Es empfiehlt sich unbedingt, ein Formular des mehrsprachigen standardisierten Europäischen Unfallberichts (erhältlich z. B. beim ADAC) auszufüllen, damit man nicht auf seinen Kosten sitzenbleibt. Wer mit einem Mietwagen unterwegs ist, sollte vorab beim Vermieter nachfragen, was diesbezüglich zu tun ist.

Vorurteile: Das vielleicht am meisten verbreitete Vorurteil (und das von Portugiesen am meisten beanstandete) ist das von Besuchern, die Portugal zu einer Art spanischem Abklatsch degradieren. Viele Ausländer differenzieren kaum zwischen den beiden iberischen Nachbarn, obwohl Portugiesen und Spanier in Sachen Mentalität komplett unterschiedlich sind. Auch werden die Portugiesen sehr zu ihrem Unmut gerne als die „verschwenderischen und unverantwortlichen Südländer“ vereinfachend und mit anderen über einen Kamm geschert. Dies wiederum sorgt vor allem umgekehrt bei der einheimischen Bevölkerung für Vorurteile gegenüber den arroganten und diskriminierenden Nord- und Mitteleuropäern, die von den Finanzproblemen der armen Südländer profitieren. Das Image Deutschlands hat insbesondere während der Finanzkrise sehr gelitten und der ehemalige deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble hatte daran einen wesentlichen Anteil.

Zeitverständnis: Wenn man sich in Portugal mit jemandem verabredet, darf man die Pünktlichkeit nicht überbewerten. Es wäre sicherlich zu verallgemeinernd, alle Portugiesen als unpünktlich abzustempeln, doch ist der Zeitbegriff etwas dehnbarer und vor allem im Umgang mit Öffnungszeiten von Behörden, Fahrplänen oder bei Terminen mit Handwerkern sind bisweilen Toleranz und Geduld erforderlich. Wenn das Mittagessen der Angestellten etwas ausgedehnter war, dann kann es schon mal vorkommen, dass die Kunden vor verschlossener Tür warten müssen. Auch als Gast kann man bei Verabredungen das akademische Viertel für sich in Anspruch nehmen, ohne dass dies übel genommen wird.

Ein Blick zurück – bis heute

Pré-História – Vorgeschichte

Man geht davon aus, dass das Gebiet des heutigen Portugal schon vor 500.000 Jahren besiedelt war. Ein Sensationsfund gelang Wissenschaftlern im Jahr 2014 in einer Höhle bei Aroeiro südlich von Lissabon. Dort fand man zufällig einen menschlichen Schädel, der sich ganz eindeutig auf ein Alter von 400.000 Jahren festlegen ließ. Noch nie wurde so weit westlich ein menschliches Fossil aus der Epoche des Pleistozäns (ca. 800.000–125.000) gefunden. Die ältesten Funde stammen aus Atapuerca in der Nähe des nordspanischen Burgos.

Während der letzten Eiszeit um 40.000 v. Chr. kam ein neuer Mensch von den Steppen Zentralasiens nach Südeuropa. Seine genetische Basis unterschied sich kaum von unserer heutigen: Cro-Magnon – Nomade, Jäger und Sammler – bevölkerte auch die Iberische Halbinsel. Er traf vermutlich auf die letzten Neandertaler, die im Laufe der Zeit ausstarben. Dieser Homo Sapiens des Paläolithikums (Altsteinzeit) war anpassungsfähiger und weiter entwickelt als die Neandertaler. Wo er lebte, hinterließ er zahlreiche Spuren seiner Kunstfertigkeiten wie Höhlenmalereien und Zeichnungen.

Im Rahmen einer archäologischen Studie für einen in den 1950er-Jahren geplanten Staudamm bei Vila Nova de Foz Côa im Nordosten Portugals entdeckten Wissenschaftler 1994 eine Reihe prähistorischer Ritzmotive. Hirsche, Ziegen, Pferde und Auerochsen aus unterschiedlichen Zeitabschnitten fand man dort auf einer Länge von über 17 Kilometern an den Schieferfelswänden entlang des Flusses Côa, der hier in den Rio Douro fließt. Die Felsgravuren von Foz Côa sind die ersten Spuren menschlicher „künstlerischer“ Ausdrucksformen auf portugiesischem Territorium. Historiker ordnen sie den Cro-Magnon-Menschen zu. Die Anzahl der Gravuren und ihre Lokalisierung unter freiem Himmel machen sie einzigartig in Westeuropa, allerdings auch sehr anfällig für Erosion und, wie schon mehrfach geschehen, Vandalismus. Experten schätzen ihre Entstehung auf 28.000–18.000 v. Chr., womit Foz Côa weltweit zu den bedeutendsten Kultplätzen des Jungpaläolithikums zählt.

Dieses Puzzleteil der steinzeitlichen Menschheitsgeschichte auf portugiesischem Boden sorgte für eine jahrelange hitzige Debatte zwischen Verfechtern des Staudamms und Verteidigern des historischen Erbes. 1995 beendete der damalige Premierminister António Guterres das Gezeter und stoppte den Bau. Drei Jahre später erklärte die UNESCO die Gravuren von Foz Côa zum Weltkulturerbe. Hinterlassenschaften späterer Steinzeitkulturen zwischen 5000 und 2000 v. Chr. finden sich praktisch im ganzen Land von Nord bis Süd verteilt. Die meisten davon liegen im südlichen Alentejo: Hünengräber, Großsteingräber, Dolmen, Menhire, Steinkreise und -reihen. Am eindrucksvollsten ist der Kromlech von Almendres bei Évora. Dort stehen 95 mannshohe Hinkelsteine im Kreis inmitten einer Olivenhainlichtung. Experten vermuten eine heidnische Sonnenkultstätte aus der Zeit um ca. 5000–3000 v. Chr., womit der Cromeleque dos Almendres das älteste Megalith-Monument der Iberischen Halbinsel wäre.

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Citânia de Briteiros, älteste keltiberische Ansiedlung in Portugal östlich von Braga

Lusitanos und Romanos (5. Jh. v. Chr. bis 6. Jh. n. Chr.)

„Há nos confins da Ibéria um povo que nem se governa nem se deixa governar.“

„Am äußersten Rand Iberias gibt es ein Volk, das sich weder selbst regiert noch sich regieren lässt.“

(Julius Cäsar über die Lusitaner)

Ab 2000 v. Chr. begann die Völkerwanderung der Iberer. Vermutlich von Afrika aus kamen diese nach Westeuropa und besiedelten vorwiegend die südlichen Gebiete Spaniens und des heutigen Portugals. Auf sie geht der Name Iberia oder Iberische Halbinsel zurück. Es folgten die Kelten, ein Volk aus dem Norden Europas, dessen Ursprünge bis heute Anlass zu Sagen und Legenden bieten. Man vermutet, dass die Celtos ab 1000 v. Chr. (eventuell auch schon früher) auf der Iberischen Insel einwanderten. Ein Teil der keltischen Stämme, vorwiegend aus dem zentralen Siedlungsbereich, vermischte sich mit den Iberern zu den Keltiberern. Nicht zu verwechseln ist die Volksgruppe der Keltiberer mit den keltiberischen Völkern, die in eigenen Kulturen als Iberer und Kelten Seite an Seite in friedlicher Koexistenz lebten. Von den Keltiberern weiß man, dass sie in runden Wehrhäusern (castros) lebten und sich in mit Ringmauern umgebenen Dörfern organisierten (citânias). Die Citânia de Briteiros bei Braga war die größte keltische Ansiedlung in Portugal, zwei restaurierte Rundhäuser und an die 200 Grundmauern und -strukturen geben einen guten Einblick in die Lebensweise der früheren Bewohner.

Zwischenzeitlich gingen noch zahlreiche andere Völker auf der Iberischen Halbinsel ein und aus. Die Phönizier tummelten sich an der Süd- und Westküste auf der Suche nach Silber und Kupfer. Viele portugiesische Städte wurden von den Fenícios, wie sie auf portugiesisch heißen, gegründet. Ab dem 6. Jh. v. Chr. kamen die Griechen, die erstmals von der Region Iberia sprachen, wohl abgeleitet vom Fluss Ebro (Iberus). Auch sie errichteten Handelsstützpunkte. Ihre Verwandten, die Karthager, ließen sich später in der Region nieder. Sie trieben Handel mit Salz und Edelmetallen und gerieten mit den ansässigen Keltiberern in Konflikt, weil sie die Vorherrschaft über das Land beanspruchten.

Als größter und rebellischster Stamm der Keltiberer gelten die Lusitaner, die im 2. und 1. Jh. v. Chr. im Westen der Iberischen Halbinsel im Gebiet zwischen den Flüssen Douro und Tejo siedelten. Die im Norden des Douro ansässigen Galaicos zählten später ebenso zu den Lusitanern. Der Name könnte auf die keltischen Worte Lus und Tanus zurückgehen, was „Stamm des Lusus“ heißt. Lusus, nach der römischen Mythologie der Sohn des Bacchus, wäre somit der Stammvater der Lusitaner. Diese Theorie ist allerdings nicht gesichert, es gibt auch andere Meinungen zum Namensursprung. Die Lusitaner verehrten mehrere Gottheiten, denen sie Tier- und Menschenopfer brachten. Sie lebten ebenfalls in Rundhäusern und fertigten ihre Kleidung aus Wolle und Ziegenfellen. Aufgrund archäologischer Funde weiß man, dass sie ähnlich wie die Römer eine Badekultur mit Dampf- und Kaltbädern pflegten. Was ihre sozialen Strukturen betrifft, geht man davon aus, dass sie in monogamen Beziehungen lebten. Einige Studien vertreten die Meinung, die Lusitaner seien bereits vor den Iberern auf der Halbinsel ansässig gewesen. Bekannt ist, dass es sich um einen kriegerischen Stamm handelte. Die Portugiesen sehen die Lusitaner als ihre direkten Vorfahren und die Galicier als ihre genetischen Verwandten an. Dies hängt hauptsächlich mit der Verklärung des Nationaldichters Luís Camões zusammen, der sein episches Werk „Die Lusiaden“ (s. S. 332) nach den rebellischen Lusitanern benannte und darin die heldenhaften Söhne Portugals als Nachkommen der Lusitaner und des namengebenden Lusus in Versform verherrlichte und verewigte. Luso heißt bis heute „portugiesisch“ (luso-alemão z. B. bedeutet „portugiesisch-deutsch“). Im deutschen Sprachraum spricht man in Fachkreisen auch von lusofon oder lusophon als Synonym für portugiesischstämmig. Das Studienfach Portugiesisch heißt „Lusitanistik“ und der Begriff „Lusitanien“ steht in historischem Sinn für das heutige Portugal.

Ab dem 3. Jh. v. Chr. begann die römische Expansion in Iberia. Im Zweiten Punischen Krieg (218–206 v. Chr.) besiegten die Römer die Karthager und vertrieben sie von der Iberischen Halbinsel. Das römische Imperium breitete sich unaufhaltsam aus. Schwierig gestaltete sich die Eroberung des Nordwestens, wo die Lusitaner heftigen Widerstand leisteten. Der bekannteste Anführer der Lusitanos war Viriatus, der im nördlichen Viseu standhaft gegen die Romanos kämpfte. Er galt als eine sehr charismatische Erscheinung und soll laut Aufzeichnungen ein großer Kriegsstratege gewesen sein, der selbst bei den römischen Legionären Anerkennung und Respekt fand. Im spanischen Zamora wird der Held ebenfalls als Verteidiger der Stadt verehrt, weil er in acht entscheidenden Schlachten die Unabhängigkeit gegenüber Rom erstritt. Einige Historiker vertreten die Auffassung, Viriatus sei ein Spanier gewesen, da er auf damaligem spanischen Territorium geboren wurde. Mit seiner Ermordung, ermöglicht durch einen erkauften Verrat von dreien seiner eigenen Leute im Jahr 139 v. Chr., endete die Ära der lusitanischen Rebellen.

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Lusitanischer Freiheitskämpfer und Stammeschef Viriatus in Viseu

Die Kämpfe wurden beigelegt und der Frieden mit der pax romana besiegelt. Bis dahin hatten die Römer die Iberische Halbinsel in Hispania Ulterior und Hispania Citerior unterteilt, ein Gebiet, das ungefähr dem heutigen Andalusien und der spanischen Mittelmeerregion entsprach. Kaiser Augustus teilte nun, im Jahr 69 n. Chr. die Provinz Hispania in drei Regionen ein: Lusitania, welches das Gebiet des heutigen Portugals ohne die nördliche Douro-Region bis zur spanischen Extremadura umfasste, Baetica im Süden und Tarraconensis im Norden und Osten Iberias. Die Hauptstadt Lusitanias war Emerita Augusta, das heutige spanische Mérida. Andere strategisch wichtige Städte in Lusitanien waren Pax Julia (Beja), Balsa (Tavira), Olissipo (Lissabon), Salacia (Alcaçer do Sal) und Myrtilis (Mértola). 700 Jahre lang, bis ins 5. Jh. n. Chr., dominierte das Império Romano auch diesen Teil Europas.

Die Römer hinterließen Straßen, Brücken, Viadukte, Tempel, Villen und Städte – vor allem aber ihre Sprache, aus der sich das heutige Portugiesisch entwickelte. Conímbriga nahe der Universitätsstadt Coimbra, Ammaia bei Marvão oder Milreu bei Faro sind wichtige Ausgrabungsstätten dieser Zeit. In der Universitätsstadt Évora im Alentejo dominiert ein römischer Tempel aus dem 1. Jh. die historische Altstadt. Im Volksmund wird er Dianatempel genannt, war aber tatsächlich dem Gott Jupiter geweiht. Die Römer führten die landwirtschaftliche Produktion ein und gründeten Latifundien (von Sklaven bewirtschaftete Landgüter) mit Oliven-, Wein- und Weizenanbau. Mit dem Abbau und Handel von Salz und Kupfer brachten sie Wohlstand in das Gebiet. Etwa ab dem 4. Jh. begann die Christianisierung in Lusitanien. Die ersten christlichen Gemeinden entstanden in Braga (Bracara Augusta) und Évora (Ebora).

Während das römische Imperium im 5. Jh. zerfiel, wanderten germanische Stämme ein, darunter Vandalen, Alanen und Sueben. Letztere sollen für die vielen Zischlaute in der portugiesischen Sprache wie auch im verwandten Galicisch verantwortlich sein. Sie siedelten im Gebiet des heutigen Galiciens und des nördlichen Portugals. Vor allem die Westgoten bestimmten während der nächsten 200 Jahre die Geschicke des heutigen Portugal. Die Westgoten (port. Visigodos) waren im Gegensatz zu den Römern bis dahin arianische Christen nach der Lehre des Arius. König Rekkared I. (gest. 601 in Toledo) trat aber im Jahr 589 zur römisch-katholischen Kirche über und ordnete dies für das gesamte Westgotenreich an. Die Bevölkerung musste zwangskonvertieren. Überbleibsel kirchlicher Architektur der Westgotenzeit in Portugal sind z. B. die Kapelle Capela de São Frutuoso in Braga, die Capela São Pedro de Balsemão in Lamego und die Kirche São Giões in Nazaré. Die Westgotenherrschaft war geprägt von Standesfehden und Territorialkämpfen mit rivalisierenden germanischen Stämmen.

Mouros und Cristianos (8. Jh. bis 13. Jh.)

„Ich grüße Dich, mein Silves, Abu Bacil, mein Freund, die so liebgewonnenen Stätten meiner unvergesslichen Jugend …“

(Inschrift am Stadtgarten von Silves zu Ehren von Al-Mu’tamid Ibn Abbad, 1061–1091, maurischer Poet und Gouverneur von Silves)

Ab 711 begannen die Araber mithilfe von nordafrikanischen Berbern ihren Feldzug auf der Iberischen Halbinsel. Mouros (Mohren oder Mauren, was so viel wie „dunkelhäutig“ heißt) nannten die Christen die einfallenden Stämme abfällig.

Der Maurenanführer Tariq Ibn Ziyad überquerte die Straße von Gibraltar und besiegte den letzten Westgotenkönig Roderich im südlichen Andalusien. Das Westgotenreich war zu diesem Zeitpunkt bereits instabil und zerrüttet. So hatten die Eroberer leichtes Spiel. Bis 714 eroberten sie fast zwei Drittel der Iberischen Halbinsel und integrierten die neuen Gebiete in das Kalifat von Damaskus.

Im Jahr 756 erklärte Abd al Rahman die Unabhängigkeit des Emirates von Córdoba (Al-Andalus) und machte Córdoba zur Hauptstadt. Córdoba entwickelte sich fortan zu einem der bedeutendsten Kulturzentren der damaligen Welt. Auch Lusitanien wurde eingegliedert. Später zerfiel das Emirat von Córdoba in die Taifa-Königreiche. Die Region der heutigen Algarve gehörte zum Fürstentum Al-Gharb („Der Westen“) mit der Hauptstadt Xelb (heute Silves). Auch Xelb hatte eine herausragende Stellung im muslimischen Reich und wurde im 11. Jh. zu einer blühenden Metropole, die selbst das damalige Lissabon an Schönheit überbot. Wissenschaftler, Mediziner, Astronomen, Dichter, Geografen und andere trugen zum kulturellen Aufschwung der Stadt bei. Der Rio Arade förderte den Handel im Mittelmeerraum, da er damals noch schiffbar war und die Stadt direkt mit dem Meer verband. Ein reger Tauschhandel mit dem Orient entstand.

Die Errungenschaften und der kulturelle Einfluss der maurischen Besatzer brachten viel Positives für die Region. Bewässerungssysteme wurden eingeführt, die bis heute Orangen- und Zitronenplantagen versorgen. Das maurische Wasserschöpfrad nora (arabisch: na’ura) ist im Süden Portugals überall zu sehen. Die meisten der dazugehörenden Tiefbrunnen entstanden im 8. bis 10. Jh., bei vielen wurden Fundamente aus römischer Zeit entdeckt. Neue Fischfangmethoden mit Netzen (Arte Xávega) brachten den Einheimischen Fortschritt und Wohlstand. In den Burgen baute man Zisternen für Frischwasser und Lebensmittelspeicher. Die neuen Herren pflanzten Mandel- und Zitrusbäume und kultivierten die Böden. Die Gewinnung von Olivenöl nach römischem Vorbild erlangte mit den Arabern neue Bedeutung und hatte in der maurischen Kultur einen besonders hohen Stellenwert. Die gesundheitsfördernde Wirkung des „flüssigen Goldes“ war seinerzeit bereits bekannt. Die Olive heißt im Portugiesischen azeitona, das Olivenöl azeite – Wörter arabischen Ursprungs. Der Olivenbaum (Ölbaum) dagegen ist der Oliveira, was vom Lateinischen hergeleitet ist. Die Römer hatten ihn ins Land gebracht.

Lenda da Amendoeira – das Mandelbaum-Märchen

An der Algarve blühen zwischen Dezember und Februar die Mandelbäume in strahlendem Weiß oder zartem Rosa. Das folgende Märchen dazu kennt in Portugal jedes Kind und es wird auch gern den Besuchern der winterlichen Algarve erzählt. Die gleiche Geschichte gab es schon vor Tausenden Jahren in Persien und danach im spanischen Maurenreich. Im einstigen „Al-Gharb“ gehörte sie zu Xelb (heute Silves) wie die Mandelbäume.

„Es war einmal … ein Maurenprinz, der eine blonde nordische Schönheit heiratete. Al-Mu’tamid lebte fortan mit seiner Gattin Gilda glücklich in einem wunderschönen Ort namens Xelb im Reich Al-Gharb. Doch nach einiger Zeit trübte sich das junge Glück und die Prinzessin wurde Winter für Winter immer trauriger und verschlossener. Der Prinz wusste sich nicht zu helfen und versuchte herauszufinden, warum seine Angebetete so betrübt war. Der Grund war ganz einfach: Die Schwedin hatte Heimweh nach dem Norden und seinen schneebedeckten Winterlandschaften. Da hatte der verliebte Gemahl eine findige Idee: Heimlich ließ er Tausende von Mandelbäumchen aus seiner Heimat nach Al-Gharb bringen und um sein Kastell herum anpflanzen. Im nächsten Winter geschah das Wunder. Als die Prinzessin wie immer wehmütig aus dem Fenster blickte, schaute sie auf ein Meer schneeweißer Blüten so weit ihr Auge reichte. Von da an lebte das Paar glücklich und zufrieden bis an sein Ende im sonnigen Al-Gharb … und Besucher freuen sich bis heute über die weiße Pracht.“

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Kriegerisch wacht Dom Sancho I. vor dem Castelo von Silves

Orientalische Einflüsse haben sich auch in der Architektur bewahrt. Die für die Algarve typischen Minarettschornsteine, Bogenfenster oder geteilte Sichtschutztüren (portas de reixa) wie in Tavira erinnern an marokkanische oder tunesische Gebäude. Die in ganz Portugal üblichen blau-weißen, zuweilen auch bunten Kachelfliesen, die Azulejos, gehen ebenfalls auf maurisches Erbe zurück. Ihr Name leitet sich vom arabischen ’az-zuley oder al zuleich’ ab: „kleiner polierter Stein“. Im Vergleich zum andalusischen Nachbarn ist jedoch das architektonische Erbe der Mauren in Südportugal eher bescheiden. Großartige Kunstwerke wie die Mezquita von Córdoba oder die Alhambra de Granada sucht man hier vergebens, übrig geblieben sind lediglich einige Burgen oder Stadtmauern. Dazu muss erwähnt werden, dass Andalusien 250 Jahre länger unter arabischer Herrschaft stand als das westliche Al-Gharb. Die Kunstschätze sind zudem weitgehend erhalten geblieben, was in Portugal nicht der Fall war: Alles, was an die arabischen Besatzer erinnerte, fiel der Zerstörungswut der christlichen Kreuzritter zum Opfer. Moscheen wurden niedergebrannt und Kirchen darüber errichtet. Die restlichen Spuren verwischte das Erdbeben von 1755 (siehe auch das Kap. „Monarquias und Repúblicas“, S. 60).

Seit den 1990er-Jahren besinnt sich Portugal auf seine arabischen Wurzeln unter einem anderem Blickwinkel als der feindlichen Invasion einer fremden Kultur mit islamischem Glauben. Das wichtigste Ausgrabungszentrum Portugals aus der arabischen Epoche ist die Kleinstadt Mértola, die im Südosten des Alentejo an den Ufern des Guadiana liegt. Die Pfarrkirche Nossa Senhora da Assunção (Mariä Himmelfahrt) wurde in die einstige Moschee integriert und ist somit die einzige erhaltene Mesquita Portugals. Der gesamte Ort ist ein archäologisches Experimentierfeld aus römischen und arabischen Überbleibseln. Mértola begreift sich heute als lebendige Kulturstätte mit dem Ziel der Erhaltung des historischen Erbes.

Man erkennt zunehmend die positiven kulturellen Hinterlassenschaften der arabischen Herrschaft. Moderne Historiker sprechen von dieser Epoche als einer Zeit des Fortschritts und der religiösen Toleranz zwischen Muslimen, Juden und Christen, die mit der Reconquista endete, der Rückeroberung besetzter Gebiete durch die Christen.

Reconquista und das Königreich Portucale (12. Jh. bis 14. Jh.)

Die Reconquista, die christliche Rückeroberung der von den Mauren besetzten Regionen und Städte der Iberischen Halbinsel, fand im Rahmen der christlichen Kreuzzüge um die Befreiung Jerusalems statt. Sie begann bereits im 8. Jh. im nordiberischen Königreich Asturien. Einige westgotische Ritter hatten sich vor den Invasoren in die kantabrischen Berge geflüchtet, von wo aus sie den Widerstand organisierten. Pelayo (auch Pelagius), ein adeliger Kämpfer König Roderichs besiegte dort im Jahr 722 den maurischen Feldherrn Alquama in der Schlacht von Covadonga.

In den folgenden Jahrhunderten weiteten sich die Rückeroberungsaktionen südwärts aus. Die Kreuzritter hatten die Aufgabe, das Christentum zu verteidigen und die besetzten Gebiete von den islamischen Mauren zurückzuerobern. Außerdem sollten sie den Pilgerweg nach Santiago de Compostela schützen. Die Reconquista machte den schon damals existierenden Jakobswegs erst allgemein bekannt. Als Schutzpatron der Christen war der Heilige Jakobus (span. Santiago) schon früh auserkoren worden. Er soll den christlichen Truppen als Santiago Matamouro, als dubioser „Maurentöter“ mit geschwungenem Schwert auf einem Pferd erschienen sein und ihnen so den Sieg gebracht haben. Ein christlicher Pilgerweg kam der Kirche und den römisch-katholischen Königshäusern gerade recht. Er wurde dementsprechend gefördert und musste gesichert werden. Zu diesem Zweck wurden eigens Orden gegründet, wie der militärische Santiago-Orden (12. Jh.), der zunächst nur in Nordspanien am Jakobsweg agierte, später vom Papst auch in der Rückeroberung Portugals eingesetzt wurde. Das Symbol der Santiago-Ritter war das rote Schwertkreuz (Cruz da Espada) auf weißem Grund. Das Schwert ziert heute noch die Jakobsmuschel als Symbol der Jakobspilger.

Das Territorium des heutigen Portugals stand zu diesem Zeitpunkt weitgehend unter arabischer Verwaltung, bis auf eine Region im Norden um die Stadt Porto. Als Condado de Portucale gehörte diese Grafschaft zum Königshaus Kastilien-Leon. Der Name Portucale geht auf die Siedlung Cale an den Ufern des Douro zurück. Der Begriff Cale stammt womöglich vom griechischen kallos („schön“), nach anderer Meinung könnte er auch aus dem Phönizischen abgeleitet sein. Die Siedlung war zu römischer Zeit ein wichtiger Hafen mit dem lateinischen Namen Portus Cale („Schöner Hafen“). Später wurde sie zur Stadt Porto und das Land zu „Portugal“.

König Alfons VI. von Kastilien übertrug seinem Schwiegersohn Heinrich von Burgund die Verwaltung dieser Grafschaft. Heinrich strebte von Anfang an eine Ablösung der kastilischen Lehensherrschaft an. Sein Sohn Afonso Henriques oder Alfons I. (1109–1185) übernahm diese Haltung. Die Unabhängigkeit verteidigte Alfons I. auch gegen die Anhänger seiner Mutter Dona Teresa, die sich als Tochter des kastilischen Königs gegen ein eigenständiges Portugal aussprach. Die entscheidenden Erfolge und damit Ansehen und Macht erzielte Afonso Henriques 1139 in der Schlacht von Ourique, wo er fünf Maurenfürsten in einem Zug besiegte. Er nutzte die Gunst der Stunde und kündigte die Lehen-Abhängigkeit zum kastilischen Königshaus auf. Die fünf Burgen in Portugals Flagge erinnern daran.

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Die Wiege der Nation: Castelo São Miguel in Guimaraes

Inês de Castro – Königin nach dem Tod

Mittelalterliche Königshäuser lieferten schon von jeher den Stoff für die schönsten Romanvorlagen. Auch in der Geschichte der portugiesischen „Casas Reais“ mangelt es nicht an Tragik, Liebe und grausigen Verbrechen. Das herzergreifendste Beispiel für eine wahre große Liebesgeschichte ist die des Königs Dom Pedro I. (1320–1367) und seiner Angebeteten Inês de Castro (1320 oder 1325–1355).

Dom Pedro, Sohn des Königs Afonso IV. und der Königin Beatriz, wurde 1336 in zweiter Ehe mit der kastilischen Prinzessin Dona Constanza verheiratet, um die Thronfolge zu sichern. Seine erste arrangierte Ehe war kinderlos geblieben. Im Gefolge der Prinzessin kam die 20-jährige Schönheit Inês de Castro an den Hof nach Coimbra. Sie war die Tochter des galizischen Edelmanns Pedro de Castro und Urenkelin des kastilischen Königs D. Sancho IV. Der junge Prinz und Inês verliebten sich heftig ineinander. Mit Constanza hatte Pedro zwei Söhne, von denen der Erstgeborene starb. Die Ehe aber war eine Farce und der Prinz machte aus seiner Liebe zu Inês keinen Hehl. Bei der Geburt des dritten Kindes verschied die unglückliche Constanza. Damit war der Weg für Inês und Pedro frei.

König Afonso und Königin Beatriz missbilligten diese illegitime Beziehung. Sie sorgte für Unruhen im Königshaus und beim Papst. Man fürchtete spanische Machtansprüche und sorgte sich um die Thronfolge Fernandos, Constanzas Sohn.

Um eine Eskalation und öffentlichen Streit mit dem Thronfolger zu vermeiden, schickte der König Inês ins Exil. Doch hielten die Liebenden mithilfe geschmuggelter Briefe aufrecht. Nach kurzer Zeit holte Pedro Inês zurück nach Coimbra. Dort lebten sie einige Jahre glücklich zusammen, bekamen drei Söhne und eine Tochter. Man munkelte über eine heimliche Heirat der beiden. König Afonso kochte vor Wut über diesen Ungehorsam. Zudem hielten sich hartnäckige Gerüchte, Inês könnte für ihren Sohn die Thronfolge in Anspruch nehmen. Der König entschied, sich ihrer zu entledigen, bevor sie womöglich Königin würde.

Am Abend des 7. Januar 1355 – Dom Pedro war mit Gefährten auf der Jagd – brachen drei Männer in den Palast von Coimbra (später als Quinta das Lagrimas, Palast der Tränen, bekannt) ein, wo Inês mit den Kindern verweilte. Eiskalt und brutal schnitten sie ihr vor den Augen der schreienden Kinder die Kehle durch und ließen sie blutüberströmt zurück. Das Blut färbte die Palastquelle Fonte dos Amores dunkelrot. Pedro fand seine Geliebte so hingerichtet auf dem Boden liegend vor, als er in der Nacht zurückkam. Blind vor Hass erklärte er seinem Vater den Krieg. Nach dem Tod des Königs bestieg Pedro 1357 den Thron und nahm Rache an den Mördern. Bei lebendigem Leib ließ er ihnen die Herzen herausschneiden.