Reisen ins Fremde - Peter Richter - E-Book

Reisen ins Fremde E-Book

Peter Richter

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Beschreibung

»Reisen ins Fremde« versammelt 53 Reisereportagen weltweit. Sie wurden zwischen 1963 und 2019 geschrieben, also in politischen Systemen mit unterschiedlichem journalistischen Selbstverständnis. Da gab es »virtuelle Reisen« - ein Notbehelf, da DDR-Journalisten nur selten den Westen besuchen konnten. Wenn doch, wurde eine parteiliche Sicht auf den ideologischen Gegner erwartet; zumindest das berühmte Haar in der Suppe. Erkundungen im eigenen Lager jedoch waren »Besuche bei Freunden«, dem die Reportagen zu entsprechen hatten. Solche Zwänge entfielen nach 1989 - oder doch nicht ganz. Denn mancher Reisebericht ist jetzt mehr freundliche Werbung denn objektive Wertung. Auch die Gesinnung des Reporters prägt nicht selten sein Bild des bereisten Landes, ob er will oder nicht. All das reflektieren Richters Reisereportagen; sie bedienen nicht nur die Neugier des Lesers über fremde Welten und Menschen, sondern sollen auch dessen eigene Urteilskraft schärfen. Richter studierte und promovierte an der Karl-Marx-Universität Leipzig, bildete dort selbst Journalisten aus. Er arbeitete für Tages- und Wochenzeitungen der DDR und der Bundesrepublik und betreibt seit 2006 den Blog »blogsgesang.de«.

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Seitenzahl: 398

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Inhalt

Wer reist ...

Mit dem Finger auf der Landkarte

Am 1. Mai vor den Uhren (

Von Erwin Kisch, 1937)

Die Uhren gehen weiter (1964)

Letzte Runde in Zentralafrika (1964)

Sudan im zehnten Jahr der Unabhängigkeit (1965)

Soweto - Hintergründe einer Explosion (1976)

Besuch bei Freunden

Häuser vom Fließband (1963)

Petrodworez in alter Schönheit (1963)

Plauderei beim Prorektor (1976)

Thälmann in Alma-Ata (1976)

Ein Institut für 2000 Mädchen (1976)

Gasessa, Otto und die anderen (1976)

»Wo mein Pferd hintrabt ...« (1976)

Der Eselsreiter und die Akademie (1976)

Das Licht aus den Bergen (1976)

Spuren ins Heute (1965)

Im sozialistischen Jugoslawien (1966)

Prag, Straße des 17. November (1976)

Pulsschlag einer Organisation (1976)

Das Haar in der Suppe

Einblicke ins Quartier Latin (1975)

Revolution als Rock-Oper? (1975)

Menü à la Paris (1975)

Vorweihnacht an der Seine (1974)

Am Place Pigalle haben nicht nur die Nackedeis Sorgen (1976)

Das schnellste Verkehrsmittel (1975)

Gedenken in Père Lachaise (1975)

Welt-Anschauung ohne Ideologie, aber ...

Hoffnung auf den Markt (1990)

Menschen und Mächte (1996)

Von der »dicken Dame« zur Coca-Cola-Reklame (1990)

Malta – klein, neutral und selbstbewusst (1990)

Malta – malerischer Magnet im Mittelmeer (1990)

Sehnsucht nach der sanften Wildnis (1993)

Der Provence drittes Leben (1994)

A table (1995)

Zwischen Tempelberg und der »Bastion« Har Homa (1997)

Vom Großen Mao zum Big Mac (1998)

Straßenakupunktur und getrockneter Gecko (1998)

»First Nations« wollen nicht mehr Letzte sein (2000)

Furcht vor dem zweiten Tod der Blaskets (2001)

Man kann den Koran auch anders lesen (2002)

Am Baikal hofft man wieder auf Gott Burchan (2002)

Mit Fidels Segen auf Dollarjagd (2003)

Warten auf ein Wunder (2003)

Viele Leitern in den Himmel (2006)

Fast wie zu Hause (2006)

Ein Paradies – abweisend schön (2007)

Unterwegs nach Ultimo (2007, 2019)

Besichtigung eines (fast) befriedeten Kriegsschauplatzes (2006)

Wo das Börsenbarometer Ho-Chi-Minh-Index heißt (2009)

Jenseits von .vn und .kh (2009)

... und täglich pfeift das Murmeltier (2010)

Dem Nordpol so nahe (2012)

Gespaltene Geschichte (2013)

Harmonie statt Hader (2013)

Wer reist ...

... verlässt den vertrauten und dadurch geschützten Raum, in dem er gemeinhin lebt. Er tritt hinaus ins Offene und zugleich Fremde. Nicht nur in die Fremde, wie oft metaphorisch das andere, noch unbekannte und gerade dadurch verlockende Territorium genannt wird, sondern ins Fremde, das mehr ist als nur exotische Landschaft und unerforschtes Gelände. Es ist Fremdes mit anderen Menschen, ungewohnten Sitten und Gebräuchen, auch Tabubereichen, mit kulturellen Eigenheiten, das die eigene Selbstgewissheit in Frage zu stellen vermag. Es ist zugleich ein Feld unerwarteter Entdeckungen und beglückender Begegnungen, kann aber ebenso verunsichern – bis zur Anmutung von Bedrohlichem.

Auf einer Reise stellt man auch seine gewohnte Denkungsart auf den Prüfstand. Man setzt sie dem Praxistest anderswo aus, und hinterher ist das eigene Denken vielleicht auch ein wenig anders, angereichert mit neuen Erkenntnissen, aber in aller Regel dominiert das Gewohnte noch immer, ist es doch durch Erziehung, autoritative Vorgabe und kommunikatives Umfeld allmählich gewachsen und relativ stabil. Zudem selektiert solcher Filter das Neue, gliedert ein, was passt und vernachlässigt das Widersprüchliche.

Insofern sagt jeder Reisebericht nicht nur etwas über das Land, die Leute in der Fremde, sondern auch etwas über den Reporter und seine Gesinnung. Der wertet – wie jeder Journalist bei jedem seiner Produkte –vor dem Hintergrund der eigenen Denkweise. Objektivität als Absolutum gibt es nicht; man kann sich ihr nur nähern durch Offenheit und Akzeptanz des anderen, durch vorurteilsfreie Neugierde und Bereitschaft zum Lernen. Und verändert damit – wenigstens in Nuancen – sein Denken; das heutige unterscheidet sich vom gestrigen – und morgen ist es schon wieder anders.

Besonders offenkundig wird dies, wenn sich im Laufe des Lebens die Verhältnisse ändern. Denn damit ändert sich auch der Hintergrund der eigenen Denkweise – ganz gleich, ob aus Überzeugung oder Opportunismus. Und es ändert sich die Schreibweise, sowohl inhaltlich als auch formal. Selten freilich fundamental; dazu sind die langfristig erworbenen Einstellungen zu zählebig. Sie bestimmen weiterhin die Weltsicht, sollten es zumindest, will der Berichterstatter ernst genommen werden. Denn zu seiner Glaubwürdigkeit gehört auch ein Standpunkt, den er nicht wechselt wie das Hemd.

In diesem Band sind Texte versammelt, die von Reisen ins Fremde aus unterschiedlichen Verhältnissen berichten. In der DDR waren es – erstens – Reisen in die sozialistischen Bruderländer, bei denen man sich von vornherein mit der Erwartung einer positiven Erzählung konfrontiert sah. Ganz selten, aber doch nicht undenkbar, waren – zweitens – Ausflüge ins »nichtsozialistische Ausland«, die zum grundsätzlich gegenteiligen Ergebnis führen sollten. Und schließlich gab es – drittens – Sehnsuchtsziele, denen man sich gewissermaßen virtuell, durch eifrige Recherche, näherte und dann auch darüber – natürlich parteilich – schrieb, ohne jemals dort gewesen zu sein.

Später, als das Reisen zum normalen Leben gehörte, wurde solche Parteilichkeit nicht mehr verlangt, aber es bestand die Gefahr, einer neuen zu unterliegen – nämlich jener, die sich die Reiseveranstalter wünschten, um die Reiseziele zu vermarkten. Dieser Verlockung, die zwar Globetrottertum, jedoch um den Preis journalistischer Unabhängigkeit versprach, konnte man nur widerstehen, wenn man sich seines Standpunkts erinnerte und davon ausgehend über Land und Leute, ihre Eigenarten und Besonderheiten, ihre Probleme und Lösungsstrategien, ihren Alltag und dessen Höhepunkte wie Katastrophen zu schreiben versuchte.

All diesen Motivationen kann man in den nachfolgenden Reisereportagen nachspüren. Sie bestimmen auch die Gliederung des Bandes, die damit zugleich im wesentlichen der Chronologie des Entstehens der einzelnen Berichte folgt. Man kann die Texte aber auch ganz einfach aus Neugierde und Interesse an fernen Ländern und Völkern lesen, eben als Reisen ins Fremde. Beginnen wir mit den virtuellen Reisen, jenen also, die nur auf der Landkarte stattfanden.

Mit dem Finger auf der Landkarte

Reisen mit dem Finger auf der Landkarte ist für einen Journalisten nichts Ungewöhnliches, denn nicht immer und überall kann er vor Ort sein, wenn irgendwo etwas Berichtenswertes geschieht. Dann muss er sich – am Schreibtisch – damit behelfen, dass er gründlich recherchiert und so viele Details wie möglich sammelt, um daraus einen informativen Bericht zu machen. Heute, in den Zeiten des Internets, ist das relativ einfach, verlangt aber ausreichende Sachkenntnis, um die Weizenkörner von der Spreu der massenhaften Fake News, Halbwahrheiten und kompletten Lügen zu trennen. Früher, ohne Internet, gab es andere Schwierigkeiten; man brauchte ausreichend seriöse Quellen, die Tatsachen vermitteln konnten. Und man brauchte Erfahrung, um diese Tatsachen richtig zu gewichten und zueinander so in Beziehung zu setzen, dass ein zutreffendes Bild des Ereignisses entstand.

Selbst Egon Erwin Kisch, der legendäre »rasende Reporter« aus Prag, hat neben seinen zahlreichen Tatsachenberichten aus allen Winkeln der Erde, die sich – mit anderen literarischen Werken – zu einem zwölfbändigen Gesamtwerk addierten, natürlich als Journalist auch virtuell gearbeitet. So schrieb er 1937 in dem in Prag erscheinenden Exilblatt »Deutsche Volkszeitung« zur Würdigung des Maifeiertags der Arbeiter den Beitrag »Am 1. Mai vor den Uhren« – eine optimistische Betrachtung der Weltentwicklung, die sich für ihn wie für viele andere – trotz zeitweiliger Rückschläge – als gesetzmäßiger Fortschritt darstellte. Es ist ein pathetischer Text, dem Feiertag angemessen und doch auch eine lebendige Schilderung von Orten, die Kisch kannte und die er dem Leser – bezogen auf das konkrete Ereignis – veranschaulichte.

Für die Medien der DDR war es natürlich eine Selbstverständlichkeit, den 1. Mai in ähnlicher Weise zu zelebrieren. So entstand 1964 der Artikel »Die Uhren gehen weiter«, eine Art Fortschreibung des Hoheliedes des Prager Reporters, von der Machart aber nur ein müder Abklatsch seines Textes, bei dem allenfalls eines beeindruckt – das jugendliche Selbstbewusstsein des 23-jährigen Autors, sich ganz selbstverständlich in eine solche Tradition zu stellen. Auf Augenzeugenschaft konnte er sich – abgesehen von der Sowjetunion - nicht stützen; Phantasie wie Sprachkraft reichten nur bis zu sozialistischer Erfolgsstatistik, aber das war damals im Journalismus seines Landes bekanntlich keineswegs ein Alle instellungsmerkmal.

Demgegenüber kann man in den Afrika-Texten durchaus einen Fortschritt sehen. Auch sie sind natürlich virtuell, erheben aber den Anspruch seriöser Information. Die 1960er-Jahre waren Jahre des Aufbruchs auf dem schwarzen Kontinent. Die Völker Afrikas schüttelten nach und nach und gegen starken Widerstand der »Mutterländer« die Kolonialherrschaft ab. Das war schon an sich faszinierend; dazu kam die Exotik der Handlungsorte. Der Informationshunger musste befriedigt werden, kompetent auch ohne die Recherche vor Ort.

Und so behalfen sich die DDR-Journalisten, die über Außenpolitik und andere Länder schrieben, sehr oft mit einer Art Zweitverwertung dessen, was andere schon einmal veröffentlicht hatten; in der Regel waren diese anderen Kollegen aus dem Westen. Von ihnen entnahm man meist nur das, was ins eigene Weltbild oder den Auftrag passte. Das sagt noch nichts darüber, was am Ende der Wahrheit näher kam – das Original oder die Reproduktion. Denn inzwischen wissen wir, dass jeder Berichterstatter das Eigene ins Fremde flicht, ob er will oder nicht. Objektivität ist etwas, das jeder anstreben sollte – und zugleich akzeptieren, dass dabei für das Subjekt immer ein Rest bleibt.

Am 1. Mai vor den Uhren

Von Egon Erwin Kisch

In der Altstadt, im Schaufenster des Uhrmachers, steht eine große Uhr. Eigentlich ist es nicht eine Uhr, sondern viele Uhren zu einer einzigen vereinigt. Die Uhrengruppe stellt die Welt dar, Raum und Zeit in fünf Kontinenten. Jedes Zifferblatt trägt den Namen einer anderen Stadt, und der Zeiger zeigt, welche Stunde dort herrscht, während wir in der Prager Altstadt vor dem Schaufenster des Uhrmachers stehen und seine Uhren-Uhr anschauen. Ein einziges Uhrwerk, ein massiges und gewichtiges metallenes Uhrwerk bewegt all die vielen Zeiger. Rund um das Zifferblatt Prag sind die anderen angeordnet, und auf jedem Zifferblatt ist. eine andere Tagesstunde oder Stundenminute ausgewiesen ...

Auf allen Zifferblättern ist der 1. Mai. In Prag ist sieben Uhr morgens, der Arbeiter von Ringghoffer schreckt aus dem Schlaf empor, die Sonne hat ihn geweckt, nicht seine Frau hat ihn geweckt, nicht der Wecker. Teufel, ist sein erster Gedanke, ich habe verschlafen. Dann nimmt er den Fluch zurück, denn ihm fällt ein: Heute wird gefeiert; unsere Väter haben sich das erkämpft. Ich kann noch schlafen, zum Aufmarsch ist noch Zeit.

In Berlin fehlen noch vier Minuten zur siebenten Stunde, aber der Werkmeister von Siemensstadt ist schon aufgestanden, und auch er hat dabei geflucht. Aber er nimmt den Fluch nicht zurück, wie sein Kollege von Ringhoffer. Er muss in die Hosen schlüpfen, er muss auf die Sekunde beim Sammelplatz antreten, sonst verpetzt ihn der Gruppenführer, und er fliegt aus der Arbeit, vielleicht ins Konzentrationslager, ist er doch als alter Sozialdemokrat schon längst bemakelt.

In Hamburg hat der lange Minutenzeiger sogar noch ganze zwölf Minuten vor sich, ehe er den Zwölfer erreicht, der die siebente Morgenstunde bedeutet. »Wat die heut wieder quatschen werden«, brummt Klaus, ein Dreher bei Blohm & Voß, »heut werden uns die Herren Führer vertellen, dass es für unsere Gesundheit besser ist, überhaupt kein Brot zu fressen!«

In London dunkelt sich Whitechapel High-Road, und bald ist sie schwarz von Menschen, sie ordnen sich geschlossen, um in den Hydepark zu ziehen; durch das Gittertor von Highgate schreiten Arbeiterdelegationen, sie können die Kränze kaum schleppen, die Karl Marxens letzte Wohnstätte schmücken sollen.

In Paris ist eine Million Werktätiger auf jenen Straßen, die in der Richtung zum Père Lachaise verlaufen, zum Grab der Commune-Kämpfer. Rote Fahnen der FIA, das ist: der Sozialdemokraten; rote Fahnen der PCF, das ist: der Kommunisten; rote Fahnen der CGT, das ist: der Gewerkschaften; rote Fahnen bei allen, die Volksfront lebt ... Der Heerbann der Arbeit defiliert bis zur letzten Stunde der Uhr an der erschossenen Genossen von 1871 vorbei und am Denkmal von Henri Barbusse.

Während der Prager Metallarbeiter sein Haus verlässt, um sich zum Umzug einzustellen, haben seine Kollegen in Sydney und Melbourne ihren Massenumzug schon beendet und strömen dem Meeresstrand zu, dort freuen sie sich mit Frau und Kind der Sonne und der Wellen und des warmen Maitages.

In Schanghai geht heute der Rikschakuli ohne Rikscha durch Naking Road. Wenn kein Polizist in Sicht ist, verteilt er Flugblätter für die Partei, wenn ein Polizist in Sicht kommt, läuft er davon, schneller als er liefe, wenn ein Fahrgast ihn noch so heftig anfeuern würde.

In Moskau ist der Milizionär Genosse des Demonstranten. Droben auf den Balkonen des GUM-Hauses, dem Lenin-Mausoleum gegenüber, stehen die russischen Dichter vor dem Mikrophon und schildern, was auf dem Roten Platz geschieht. Aber vermögen sie es zu schildern? Diesen Ozean der Freude, diese Armeen von Armisten und Arbeitern, diesen Jubel der Kinder, diese Banner, und alle grüßen sie die Partei, der sie ihr Glück verdanken und die, verkörpert durch den lachenden Genossen Stalin, ihren Gruß erwidert.

Leg nun dein Ohr auf das Zifferblatt Madrids, du hörst den gleichen zuversichtlichen Gang des Räderwerks, obwohl Flugzeuge über die Stadt schwirren, um unschuldige Kinder und rote Fahnen mit Bomben zu belegen. Du stehst in der Prager Altstadt vor der Uhr, du hörst den Rhythmus des Räderwerks und fühlst, dass er mitten im Madrider Bombenkrachen und Maschinengewehrgeknatter der gleiche ist wie der Schlag deines Herzens und wie der Marschschritt allüberall auf den Zifferblättern des marschierenden Mai.

Moskau ist zwei Stunden vor Prag voraus, achteinhalb Stunden vor Chikago, fast zehn Stunden vor den Fordwerken in Detroit, einen ganzen halben Tag vor Hollywood. Aber nicht nur die Längengrade und die Himmelsrichtung entscheiden die Stunde – wenn du die All-Uhr nicht nur mit Auge und Ohr betrachtest, sondern auch mit Hirn und Herz, so merkst du das schon.

Sieh das Uhrwerk! Es ist das gleiche für alle Zifferblätter, eine Kraft bewegt die Zeiger, eine Kraft bestimmt die Stunde. Und überall, wird einmal die gleiche Stunde schlagen.

Uhren aller Länder, vereinigt euch!

(Aus: Egon Erwin Kisch: Gesammelte Werke in Einzelausgaben, Bd. IX – Mein Leben für die Zeitung, 1926 – 1947, Aufbau-Verlag,Berlin und Weimar, 1983, S. 429 - 432)

Die Uhren gehen weiter

Erster Mai – Kampf- und Feiertag der Arbeiterklasse. Dieses stolze Datum ruft Erinnerungen wach, an heroische Kämpfe, an herrliche Siege, auch an Niederlagen, aus denen letzten Endes aber ebenfalls Siege wurden. Am 1. Mai zum demonstrieren die Arbeitermassen ihre Stärke, die auf Einheit und Geschlossenheit beruht. Am 1. Mai offenbaren sie ihre gemeinsame, vorwärtsdrängende Kraft, die Egon Erwin Kisch vor einem guten Vierteljahrhundert mit einem gewaltigen Uhrwerk verglich. Dieses Uhrwerk ist nicht aufzuhalten. Es bewegt die der vielen, vielen Uhren in aller Welt immer weiter. Es verändert das Antlitz unserer Erde von Tag zu Tag ...

Zum Kommunismus

Der Rote Platz in Moskau wird sich heute wieder in einen »Ozean der Freude« verwandeln. Die Werktätigen der sowjetischen Hauptstadt feiern ihre Erfolge. Sie schreiten kräftig aus auf dem Weg zum Kommunismus, und ihre Leistungen können sich sehen lassen. Die Zahlen über die Planerfüllung im I. Quartal dieses Jahres, die kürzlich veröffentlicht wurden, beweisen es. Die Industrieproduktion erhöhte sich im Vergleich zum I. Quartal des Vorjahres um acht Prozent, woran die Chemieindustrie mit 15 Prozent, die Erzeugung von Elektroenergie mit 12 Prozent und der Maschinenbau mit 11 Prozent den größten Anteil haben. Als Lenin den GOELRO-Plan entwarf, konnte er noch nicht ahnen, dass in den ersten drei Monaten des Jahres 1964 sechzigmal soviel Strom wie in jedem Jahr seines Planes erzeugt werden würde. Und wer hätte gedacht, dass schon 120 Tage nach dem Chemieplenum die Produktion von Mineraldünger um 20 Prozent, von Schädlingsbekämpfungsmitteln um 50 Prozent und von synthetischen Harzen und Plasten um 26 Prozent gestiegen sein würde?

Vom Agrarland zum Industriestaat

Der Elan befreiter Menschen kennt keine Grenzen. Mit ihren Hochrufen auf die Partei geloben sie heute auch, noch mehr zu leisten, noch schneller vorwärtszuschreiten bis zum Sieg des Kommunismus.

Kisch sah am 1. Mai 1937 nur in einem Land den »Ozean der Freude«. Wir sehen ihn heute in den Städten und Dörfern eines Drittels der Erde. In Warschau und Hanoi, in Sofia und Havanna, in Berlin und Ulan-Bator - überall dort, wo das Volk seine Geschicke in die eigenen Hände genommen hat, ist der 1. Mai ein Freudentag, ein Fest. All diese Länder können stolz auf Errungenes zurückblicken.

Nehmen wir Bulgarien. Wie weit war die Uhr dieses Landes noch 1937 zurück? Aus dem rückständigen Agrarland ist ein Industriestaat geworden. Die bulgarischen Betriebe erzeugen jetzt in 18 Tagen so viel, wie damals in einem Jahr. Das Verhältnis Industrie-Landwirtschaft hat sich von 25:75 vor dem Krieg in 77:23 heute verwandelt. Besonders sprunghaft stieg die Stromerzeugung. Bulgarien produziert eben soviel Energie wie Griechenland und die Türkei zusammen. Die Werktätigen Bulgariens haben einen großen Schritt vorwärts getan, und sie wollen noch weiter kommen. Sie arbeiten an der Erfüllung eines Zwanzigjahrplanes, der das Land zu einem hochentwickelten Industriestaat mit einer spezialisierten und hochproduktiven Landwirtschaft machen soll.

Freunde helfen einander

Oder sehen wir uns Kuba an. Auch diese jahrelang nahezu kolonial unterdrückte Insel hat allen Grund zum Feiern. In den temperamentvollen Jubel um Fidel Castro und die anderen Repräsentanten der Einheitspartei der Kubanischen Sozialistischen Revolution wird sich das Bewusstsein über einen schnellen Vormarsch mischen. Die meisten Betriebe sind verstaatlicht und stabilisieren ihre Produktion. Der Anbau von Zuckerrohr steigt ständig und wird rentabler. Mit großer Begeisterung sind die Kubaner dabei, Schwierigkeiten und Fehler zu überwinden. Sie können das umso leichter, da sie um ihre klare Zukunft wissen und mächtige Freunde haben. Die Maidemonstration in Havanna wird daher auch im Zeichen des Dankes für die Sowjetunion und die anderen sozialistischen Staaten stehen.

Weitergegangen sind die Uhren auch in Plock. Diese fast tausend Jahre alte polnische Kleinstadt ist gewissermaßen die Inkarnation von Völkerfreundschaft und sozialistischer Zusammenarbeit. Plock ist das polnische Schwedt. Hier wird ein Erdölkombinat gebaut, das sowjetisches Öl verarbeitet. In diesem Jahr wird die erste Baustufe vollendet und die Erbauer des Kombinates sehen den heutigen Tag durchaus als einen Kampftag an, als einen Kampftag für die Erfüllung ihrer Planziele, damit das Öl der Freundschaft fließt.

Freiheit für die jungen Völker

Die Uhren Asiens, Afrikas und Lateinamerikas waren für Egon Erwin Kisch vor 27 Jahren noch nicht hörbar. Doch auch sie gingen schon damals, leise, aber unaufhaltsam. Heute ist die übergroße Mehrheit aller ehemals kolonialen Völker frei. Der Gang der Entwicklung wird von solchen Staaten wie Indien, der Vereinigten Arabischen Republik, Indonesien oder Ghana weitgehend mitbestimmt.

Auch in den Nationalstaaten erwacht das Volk mehr und mehr aus der Lethargie, in der es von den Kolonialmächten jahrzehntelang gehalten wurde. Auch in Asien. Afrika und Lateinamerika entsteht ein klassenbewusstes Proletariat, das den 1. Mai als seinen Feiertag ansieht. Dort, wo noch die Kolonialherren herrschen, wie in Mocambique oder Angola. zeigt das junge Proletariat seine Kraft in Streiks und anderen, zum Teil bewaffneten Massenaktionen. In den Ländern aber, die sich für den nichtkapitalistischen Weg entschieden haben, hilft es aktiv am Aufbau einer eigenen leistungsfähigen Wirtschaft mit.

Arbeiter und Bauern an der Spitze

Die Maidemonstration in Algier steht zweifellos noch ganz im Zeichen des kürzlich beendeten FLN-Kongresses. Er bezeichnete das enge Bündnis zwischen Arbeitern, Bauern und revolutionären Intellektuellen als lebenswichtig für das Land und nahm Kurs auf die endgültige Entmachtung des ausländischen Kapitals und seiner inländischen Helfer. Das Volk, für das die angebrochene neue Epoche trotz großer Schwierigkeiten schon in vielem spürbar ist, wird sich begeistert an die Lösung der künftigen Aufgaben machen. Dieses Versprechen gibt es heute der FLN-Partei und der revolutionären Regierung.

Und wie festlich werden die Maifeiern in Kairo oder am Assuan-Damm sein? Auch in der VAR vollzogen sich vor einigen Wochen tiefgreifende Veränderungen. Ein neues Parlament wurde gewählt, in dem die Arbeiter und Bauern die Mehrheit innehaben. Präsident Nasser hat seinem Volk neue große Aufgaben gestellt, und wenn er heute zu den Teilnehmern der Maikundgebung spricht, dann wird er es nicht versäumen, auf das bedeutsame Ereignis hinzuweisen, dem das Land entgegenfiebert: Noch in diesem Monat wird die erste Baustufe des Assuan-Dammes fertiggestellt. Der Sadd-el-Ali. dieses gewaltigste Bauwerk Afrikas, entstand mit sowjetischer Hilfe. Nikita Chruschtschow wird aus diesem Grunde an den Einweihungsfeierlichkeiten teilnehmen. Wen wundert es da, wenn die Ägypter schon· heute ihren tiefen Dank für die uneigennützige Hilfe ausdrücken. Ihnen ist klar, daß der Assuan-Damm ein unvergängliches Symbol sowjetischarabischer Freundschaft ist.

Die jungen Völker haben ihre Uhren neu gestellt. Auch sie gehen vorwärts, angetrieben durch eine unbezwingliche Kraft, die Kraft der vereinten Massen.

Kampf für Gerechtigkeit

Für den Arbeiter in den kapitalistischen Ländern ist der 1. Mai Kampftag um soziale Gerechtigkeit geblieben. Die rapide Zunahme der Streikbewegungen in den letzten Jahren beweist das. So streikten beispielsweise· in Großbritannien 1962 4 412 000 Arbeiter gegenüber 779 000 im Jahre zuvor. Fielen in Westdeutschland 1961 64 000 Arbeitstage durch Streiks aus, so waren es 1962 schon 450 000 Arbeitstage. Die Streikaktionen in den Ländern des Kapitalismus erhalten ebenso wie die Demonstrationen zum 1. Mai immer stärkere politische Akzente. Besonders in Frankreich wurde das deutlich, wo man den Kampf um höhere Löhne mit dem Protest gegen das Regime der persönlichen Macht de Gaulles verband.

Arm und reich

Wie notwendig der Kampf um ein menschenwürdiges Dasein im Einflussbereich des Imperialismus noch ist, zeigt vor allem die Lage in den Vereinigten Staaten. Die Hauptforderung, die hier die Arbeiter, ob Schwarze oder Weiße, in ihren kraftvollen Maiaufmärschen erheben, ist die nach Arbeitsplätzen.

35 Millionen Amerikaner leben in Armut; fast fünf Millionen sind arbeitslos. Was bedeutet das? Die Zeitschrift »Newsweek« enthüllte es: »Genau um 11 Uhr an jedem Vormittag schleppen sich 1500 in Lumpen gehüllte Menschen, darunter Frauen, die schmutzig gekleidete Kinder festhalten, zur Kantine von St. Anthony in San Francisco, um kostenlos eine warme Mahlzeit zu bekommen, gewöhnlich ihre einzige am Tag.« Und der Hamburger »Spiegel« sieht die USA »als ein Land, ... das seit dem zweiten Weltkrieg 55 Nobelpreise einheimste, aber auch, einem UNO-Report zufolge, elf Millionen ,funktionelle Analphabeten' hat, die nicht einmal die Gebrauchsanweisungen auf den Lebensmittelpaketen lesen können, die sie vom Staat erhalten, in dem jeder dritte Bürger ein Automobil besitzt, aber nach AFL/CIO-Gewerkschaftsangaben auch jede dritte Familie in unzulänglichen Wohnungen lebt. in verfallenden Häusern, Hütten und Schuppen, in Häusern ohne Wasseranschluss und sanitären Anlagen.«

Der sagenhafte Reichtum der USA-Millionäre neben tiefster Armut. Noch gilt für die Proletarier Amerikas das Lied, mit dem die Großväter und Urgroßväter am 1. Mai 1886 in Chicago »gleiches Recht für jeden Nachbarn« forderten. Doch auch sie sind ein Teil des gewaltigen Uhrwerks , das die Welt verändert. Auch die· amerikanischen Arbeitsleute werden eines Tages siegen. Die historischen Gesetzmäßigkeiten sind nicht aufzuhalten. Die Uhren gehen weiter!

(Leipziger Volkszeitung v. 01.05.1964)

Letzte Runde in Zentralafrika

Seit dem Jahreswechsel hat sich die politische Landkarte Afrikas wiederum verändert. Die gegen den Widerstand der farbigen Bevölkerung im Jahre 1963 geschaffene Zentralafrikanische Föderation besteht nicht mehr. Dieses künstliche Staatengebilde setzte sich zusammen aus dem nördlichen und dem südlichen Teil des nach dem britischen Kolonisatoren Cecil Rhodes benannten Rhodesien und dem am Njassasee gelegenen schmalen Landstrich Njassaland.

Die Staaten der ehemaligen Föderation haben eine uralte, ruhmvolle Geschichte. Auf ihrem jetzigen Territorium existierte vor Jahrhunderten das gewaltige Reich der Monomotapa, und eigentlich heißen Nordrhodesien Zambia, Südrhodesien Zimbabwe und Njassaland Malawi. Auf diese alten Reiche stießen die Europäer erstmals im 16. Jahrhundert, und sie fanden Zeugnisse einer glanzvollen. Vergangenheit. Das »Volk der Sonne«, das das Monomotapa-Reich bewohnte, hatte bereits im 9. Jahrhundert eine hohe Kulturstufe erreicht. Seine Hauptstadt war stets ein Mittelpunkt von Handwerk und Handel, und zahlreiche Kaufleute – sogar aus dem fernen Asien – fanden den Weg nach Zentralafrika. Mit dem 18. Jahrhundert begann jedoch der Zerfall des Reiches der Monomotapa. Zunächst eroberten die Rozwi das Land, andere Bantu-Stämme folgten. Mitte des 19. Jahrhunderts kamen die portugiesischen und englischen Kolonialisten. Damit war der Glanz des Monomotapa-Reiches endgültig erloschen.

Reiche Bodenschätze

Cecil Rbodes bahnte sich im Jahre 1890 mit einer 180köpfigen Expedition den Weg durch die afrikanischen Urwälder, weil er hoffte, im ehemaligen Reich der Monomotapa Gold zu finden. Legenden berichteten von den Goldgruben des Königs Salomo, die sich in Zimbabwe befinden sollten. Geologen der British South-African Chartered Company wollten Goldfelder entdeckt haben. Doch was die Abenteurer zunächst fanden, waren keine edlen Metalle, sondern etwas viel Wertvolleres: Kunstschätze, die den hohen Stand der frühen afrikanischen Kultur erkennen ließen, Am Ufer des Lundi-Flusses in Zimbabwe wurden gewaltige Ruinen entdeckt, Zeugen des Reiches der Monomotapa.

Doch nach solchen Schätzen hatten Rhodes und seine Leute nicht gesucht. Sie durchforschten die Ruinen nach Gold und zerstörten dabei sinnlos viele Kunstwerke. Sie fanden zwar kein Gold, aber dafür wurden in den darauffolgenden Jahren große Erzlager entdeckt, die sich bald als ebenso wertvoll wie Gold erweisen sollten.

Heute werden in Südrhodesien Chrom, Asbest, Kohle und Mangan gefördert, außerdem befindet sich hier das größte bekannte Lithium-Vorkommen der Welt. Nordrhodesien liefert Kobalt und vor allem Kupfer. Kupfer war der Hauptschatz der Zentralafrikanischen Föderation. Aus Nordrhodesien kamen 1960 16 Prozent der kapitalistischen Weltproduktion an Kupfer, womit der afrikanische Staat an zweiter Stelle hinter den USA steht. 90 Prozent der nordrhodesischen Exporte bestehen aus Kupfer, und die ausbeutenden Gesellschaften scheffeln jährlich märchenhafte Profite.

1902 wurde das Kupfer dort entdeckt; seit 1923 baut man es ab, und der Kupfergürtel ist noch lange nicht erschöpft. Hinzu kommt, dass das nordrhodesische Kupfererz einen Metallgehalt von drei bis fünf Prozent (gewöhnlich ein bis zwei Prozent) hat.

Das reizte natürlich die Imperialisten. Gegenwärtig beherrschen im wesentlichen vier Gesellschaften die Kupferminen, einerseits die Roan Antelope Copper Mines und die Mufulita Copper Mines, die über den Rhodesian Selection Trust von der angloamerikanischen American Metal Company kontrolliert werden, und andererseits die N'Changa Consolidated Copper Mines und die Rhokana Corporation, die die britischsüdafrikanische Anglo-American Corporation of South Africa über die Rhodesian Anglo-Arnerican beherrscht.

Seit Erschließung der Gruben hat sich die Kupferförderung sprunghaft entwickelt; sie beträgt gegenwärtig 500 000 Tonnen im Jahr. Auf Grund der primitiven Abbaubedingungen und der katastrophal niedrigen Löhne der afrikanischen Bergarbeiter sind die Profite der Kupferbarone ungeheuer. Von 1949 bis 1956 steckten sie 492.7 Millionen Dollar – das sind 31,8 Prozent des gesamten Produktionswertes – in ihre Taschen. Es ist daher kein Wunder, wenn sie sich mit aller Macht an ihre Minen klammern und alles versuchen, die afrikanische Bevölkerung weiter zu unterdrücken und auszubeuten. Bin deutliches Merkmal hierfür ist Rassendiskriminierung, die derjenigen im benachbarten Südafrika kaum nachsteht.

Apartheid

Die faschistische Apartheid-Politik beruht auf dem unverschämten Anspruch der europäischen Kolonialisten, die afrikanischen Länder, die sie unterjocht haben. als ihr Eigentum zu betrachten. Von den 8,3 Millionen Einwohnern der ehemaligen Föderation sind nur 330 000 Weiße; diese haben aber alle Schlüsselpositionen besetzt. Mit geradezu ungeheuerlichem Zynismus sind sie bestrebt, diese Stellung zu halten und greifen dabei zu allen erdenklichen Mitteln, von der offenen Gewalt bis zum hinterhältigen Betrug. Hier einige Beispiele:

Als Welensky im Juni 1961 seine Verfassung, die den Afrikanern so ziemlich alle Rechte abspricht, in Kraft setzte, leisteten die Bewohner der Föderation entschiedenen Widerstand, was der Premier mit grausamem Polizeiterror – vor allem in Nordrhodesien – beantwortete. Hunderte von Afrikanern fanden dabei den Tod. Bei den am 27. April 1962 durchgeführten Parlamentswahlen der Föderation von Rhodesien und Njassaland erhielt die Vereinigte Föderationspartei Welenskys nur 9000 Stimmen; sie zog jedoch mit 55 von 59 Mandaten ins Parlament ein. Durch ein reaktionäres Wahlgesetz und unbeschreiblichen Terror wurde fast allen Afrikanern das Wahlrecht entzogen.

In Nordrhodesien dient die Rassendiskriminierung noch einem ganz besonderen Zweck. Durch sie soll die Klassenfrage zwischen den Kupfermonopolen und den Bergarbeitern zu einer Rassenfrage umgemünzt werden. Deshalb versuchen die Monopolisten, die weißen Bergarbeiter für sich zu gewinnen. Ein Ausdruck dafür sind die relativ hohen Löhne, die die weißen Bergarbeiter erhalten. Sie verdienen durchschnittlich 6000 Dollar im Jahr, und obwohl die Einheimischen bedeutend weniger bekommen, haben sie noch nie eine Herabsetzung dieser hohen Löhne gefordert, sondern im Gegenteil stets die Lohnkämpfe der weißen Bergleute unterstützt. Die Folge war, dass sich auch viele weiße Bergarbeiter mit dem Kampf der afrikanischen Kumpel solidarisierten, oftmals sogar gegen den Willen ihrer Gewerkschaftsführer.

Die Rassendiskriminierung ist dennoch ein großes Problem für Nordrhodesien. Es zeigt sich beispielsweise immer wieder, dass es viele weiße Bergarbeiter ablehnen, gemeinsam mit ihren dunkelhäutigen Kollegen zu arbeiten, was vorwiegend auf die komplizierten Arbeitsgänge zutrifft. Die im Kupfergürtel sitzenden Monopole fördern das natürlich nach Kräften, denn sie benutzen die Rassendiskriminierung als Mittel zur Verschleierung der Ausbeutung. Daraus geht hervor, dass es nicht ausreicht, nur gegen die Apartheid oder nur um die Verbesserung der sozialen Lage zu kämpfen. Beides muss verbunden und zu politischen Aktionen für die Unabhängigkeit werden.

Unheilige Dreieinigkeit

Ungeachtet all dieser Widersprüche zeichnete sich bereits vor mehr als zehn Jahren ab, dass der britische Kolonialismus seine Machtpositionen in Zentralafrika, besonders in Nordrhodesien, in der damaligen Form nicht mehr lange würde halten können. Deshalb suchten die Imperialisten nach neuen Mitteln, um ihre Profite zu sichern. Sie bereiteten den Zusammenschluss von Rhodesien und Njassaland vor. Die beiden wichtigsten Komponenten dieser Föderation sollten Nordrhodesien mit seinem Kupfer und Südrhodesien mit der Apartheid sein. Njassaland wurde als Arbeitskräftereservoir angeschlossen. Die Kolonialisten wollten erreichen, dass die für Afrika verhältnismäßig progressive Arbeiterschaft des »Kupfergürtels« durch eine von Südrhodesien ausgehende schärfere Rassendiskriminierung niedergehalten wird. Wie sehr dabei Profitinteressen im Vordergrund standen, beweist eine Äußerung des Vorsitzenden der Rhodesian Selection Trust, Sir Ronald Prain, der am 11. Dezember 1952 in »East Africa and Rhodesia« schrieb: »Die Bildung der Föderation würde Bedingungen schaffen, die geeignet wären, das Vertrauen für neue Investitionen in Rhodesien zu festigen. Ohne solche Investitionen ist es nicht nur schwer denkbar, dass einige bestehende Unternehmen weitergeführt werden können, sondern es bliebe auch eine große Möglichkeit unausgenutzt, diese reichen Gebiete zum Wohl des Commonwealth und aller freien Nationen zu erschließen. «

Im September 1953 wurde dann gegen den Willen der übergroßen Mehrheit der afrikanischen Bevölkerung die Föderation proklamiert, was die »New York Times« am 25. Oktober 1953 mit den Worten kommentierte:

»Britisch-Zentralafrika wurde zu einer Föderation zusammengeschlossen, um amerikanischem Kapital Anreiz zur Erschließung seines natürlichen Reichtums zu geben.«

Zunächst war Lord Malvern Ministerpräsident der Föderation, später übernahm Roy Welensky dieses Amt.

Wirft man heute einen Blick auf die nunmehr zehnjährige Geschichte der Föderation von Rhodesien und Njassaland, dann erkennt man unschwer, dass sie äußerst unruhig war. Malvern und Welensky haben an ihrem Gebilde wenig Freude gehabt, und der letztere durfte nun sogar noch die Todesstunde der Föderation erleben.

Von Maganga bis Dr. Banda

»Die Briten haben Großbritannien. Die Inder haben Indien. Gott hat sich doch nicht geirrt, als er Njassaland uns gab. Wir können die Welt nicht auf den Kopf stellen.«1 Diese zornigen Worte schleuderte Häuptling Maganga, der Anfang 1953 mit mehreren anderen njassaländischen Herrschern noch einmal in London intervenierte, um die Bildung de Föderation zu verhindern, den englischen Regierungsvertretern ins Gesicht. Sie leiteten den Kampf der 2,8 Millionen Afrikaner Njassalands gegen ihre 9000 europäischen Unterdrücker ein.

Njassaland, 127 368 Quadratkilometer groß, ist ein Agrarland. Seine Hauptprodukte sind Mais, Tabak, Tee, Baumwolle und Erdnüsse. Vor der gewaltsamen Angliederung an die Föderation führte schon der Njassaland Africa Congress einen aktiven Kampf für die Unabhängigkeit. Die englischen Kolonialherren verhängten 1959 unter dem Vorwand, die Sicherheit der Europäer sei gefährdet, den Ausnahmezustand über das Gebiet, sie verboten diese Oppositionspartei und verhafteten ihre Führer, unter ihnen Dr. Hastings Kamutzu Banda.2 Doch das half nichts. Eine neue Partei, die Malawi Congress Party, wurde gegründet, und in ihr übernahm Orton Chirwa die Führung. Am 1. April 1960 kehrte Dr. Banda aus dem Exil in seine Heimat zurück und wurde zum Präsidenten der neuen Oppositionspartei ernannt.

Die Wahlen zur Gesetzgebenden Versammlung im Herbst 1961 brachten der Malawi Congress Party 99 Prozent aller Stimmen und 22 von 28 Sitzen. Die Partei verstärkte nun ihre Bemühungen und arbeitete zielgerichtet auf die Loslösung Njassalands von der Föderation hin. Dr. Banda lehnte jegliche Kompromisse ab und setzte bei Verhandlungen in London im November 1962 seinen Standpunkt durch.

Englands Bevollmächtigter Butler musste Njassaland nach zehntägigen Verhandlungen eine »interne Selbstverwaltung« zugestehen. Am 1. Februar 1963 bildete Dr. Banda die erste afrikanische Regierung Njassalands. Obwohl noch immer ein von London eingesetzter Gouverneur die oberste Gewalt in Händen hat, ist das doch für Malawi ein großer Erfolg, der günstige Voraussetzungen für die Erlangung der vollständigen Unabhängigkeit schafft. Gleichzeitig wirkte sich der erfolgreiche Kampf Njassalands natürlich auch auf die Freiheitsbewegung in den anderen Staaten der Föderation, besonders in Nordrhodesien, aus.

Auch Nordrhodesien brach mit der Tschitaganja

Nordrhodesien liegt westlich von Njassaland, ist 746 256 Quadratkilometer groß und hat 2,43 Millionen Einwohner, davon 80 000 Europäer. Hier spitzte sich der Kampf gegen die Föderation im Jahre 1961 besonders zu. Grund dafür war die neue, von der englischen Regierung ausgearbeitete Verfassung für dieses Protektorat. Der im Februar 1961 vom damaligen Kolonialminister Macleod vorgeschlagene Entwurf wurde, obwohl seine Zugeständnisse an die afrikanische Bevölkerung nur gering waren, von Roy Welensky kategorisch abgelehnt.

Daraufhin setzte London im Juni des gleichen Jahres eine Verfassung in Kraft, die die Afrikaner vom Mitspracherecht im Parlament fast völlig ausschloss. Die Vereinigte Nationale Unabhängigkeitspartei (UNIP), deren Führer Kenneth David Kaunda3 ist, rief deshalb sofort zum entschlossenen Widerstand auf. Die Antwort Welenskys und der britischen Regierung war ein grausamer Polizeiterror. Auf Grund dieser Vorkommnisse flog im Dezember 1961 der neue Kolonialminister der Königin, Reginald Maudling, nach Nordrhodesien und versuchte, die erregten Gemüter zu besänftigen. Anfang 1962 erschien dann eine etwas veränderte Verfassung, nach der jedoch ein Afrikaner immer noch 10 Prozent der Europäerstimmen haben musste, um ins Parlament zu kommen. Damit wollten die Kolonialbehörden erreichen, dass gar keine oder nur ihnen genehme afrikanische Kandidaten ins Parlament einziehen.

Das ganze Jahr 1962 stand im Zeichen der Kämpfe der Einheimischen für die Unabhängigkeit. In diese Aktionen wurden auch mehrere größere Streiks der Kupferbergleute einbezogen, die neben den ökonomischen in zunehmendem Maße politische Forderungen stellten. So verlangten 32 000 Arbeiter bei einem Generalstreik im Mai 1962 unter anderem die Absetzung des britischen Gouverneurs, die Revision der Verfassung, die Auflösung der Föderation und sogar die Gewährung der Unabhängigkeit. Ähnliche Forderungen wurden – wenn auch noch nicht als Hauptforderungen – bei Streiks im Herbst 1962 erhoben.

Eine Vorentscheidung fiel in Nordrhodesien am 11. Dezember 1962 bei den Wahlen. Die Kolonialisten, insbesondere die Kupfermonopole, hatten nichts unversucht gelassen, einen Sieg der fortschrittlichen Afrikaner zu verhindern. Das reaktionäre Wahlgesetz gewährte nur drei Prozent der afrikanischen Bevölkerung das Stimmrecht und setzte dazu eine Europäerstimme 40 Afrikanerstimmen gleich. Das Abstimmungssystem beurteilte der britische »Scotsman« als »das kniffligste von allen, die es jemals auf Erden gegeben hat«. Ein übriges taten die Imperialisten, indem sie die Afrikaner zu spalten versuchten. Sie unterstützten die Afrikanische Nationalkongress-Partei unter Harry Nkumbula, da diese nicht so radikal wie die UNIP auftrat, und gründeten außerdem eine Union der Zentralafrikanischen Völker, an deren Spitze sie die Marionette Dickson Konkolo stellten.

Doch der Freiheitswille der Afrikaner versetzte all diesen Machenschaften einen schweren Schlag. Von den 37 Parlamentssitzen, die nach den Wahlen vergeben wurden, erhielten die UNIP 14 und der Nationalkongress sieben. Welenskys Vereinigte Föderationspartei kam auf 16 Mandate; sie konnte aber nicht verhindern, dass sich die beiden afrikanischen Parteien zu einer Koalition zusammenschlossen und daher die absolute Mehrheit bekamen. Am 14. Dezember 1962 wurde die erste afrikanische Regierung Nordrhodesiens gebildet, die allerdings noch immer von einem britischen Gouverneur abhängig war. Kenneth Kaunda, der Chef der neuen Regierung, erklärte jedoch damals ebenso wie Koalitionspartner Nkumbula, dass sich Nordrhodesien bald von der Föderation lösen würde.

Die britischen Kupferherren wollten davon natürlich nichts wissen, und Kolonialminister Butler versuchte auch alles, um die Position seines Auftraggebers zu erhalten. Njassaland hatte sich noch verhältnismäßig leicht durchsetzen können, denn dieses Agrarland warf den Kolonialisten nicht allzu viel Gewinne ab. In Nordrhodesien war das gänzlich anders. Aus dem Kupfer zogen die Imperialisten höchste Profite, und diese wollten sie so schnell nicht verlieren.

Aber die Bewohner von Zambia waren stärker. Nach wochenlangen Verhandlungen mit den nordrhodesischen Repräsentanten musste sich London schließlich am 29. März 1963 zu der Erklärung bereitfinden, dass »keines der Territorien gegen seinen Willen in der Föderation gehalten werden kann«. Das hieß mit anderen Worten, Zambia konnte aus der verhassten Tschitaganja, wie die Afrikaner die Föderation nannten, austreten. Aber die Kolonialherren gaben noch nicht auf. Sie hetzten die Feudalisten in Barotseland, einer westlichen Provinz Nordrhodesiens, auf, die Abspaltung von Zambia zu betreiben. Butler verhandelte sogar schon mit Oberhäuptling Mwanawina Lewanika III., doch bei den Wahlen zum Nationalrat von Barotseland im August erlitten die Separatisten eine schwere Niederlage. In allen Wahlkreisen siegte die UNIP Kenneth Kaundas.

Im Januar 1964 fanden in Nordrhodesien allgemeine Wahlen statt. Die neue Regierung hat nun die Aufgabe, in kürzester Zeit die vollständige Unabhängigkeit zu erringen. Dabei muss sie aber beachten, dass gerade in diesem Land das Ziel nur erreicht werden kann, wenn die Macht der Monopole gebrochen wird. Das hat die Vergangenheit deutlich gezeigt.

Auch in Südrhodesien wird für die Unabhängigkeit gekämpft, doch für eine Unabhängigkeit, die nicht im Interesse der afrikanischen Bevölkerung liegt. Ein Teil der 250 000 Europäer (von insgesamt 3,07 Millionen Einwohnern) wollte sich im Interesse seiner eigenen Profite nicht noch länger vor den englischen Karren spannen lassen. Diese Kräfte, vor allem Farmer, die in der Rhodesischen Front zusammengefasst sind, forderten den Austritt aus der Föderation, um sich den durch das unruhige Nordrhodesien dauernd entstehenden Unannehmlichkeiten zu entziehen. Sie begrüßten deshalb den Beschluss über die Auflösung der Föderation. Sie wollten sich enger an die Südafrikanische Republik anschließen. Ihnen entgegen standen die Anhänger der Vereinigten Föderationspartei Welenskys, die auf die Einkünfte aus den nordrhodesischen Kupfergruben nicht verzichten wollten. Bei den letzten Wahlen am 14. Dezember 1962 erlitten sie jedoch eine Niederlage und mussten ihr politisches Programm endgültig begraben.

Harte Kämpfe in Zimbabwe

Diese Gegensätze änderten jedoch nie etwas am entschiedenen Kampf der beiden Parteien gegen die Gleichberechtigung der Afrikaner. So waren beispielsweise nur 10 000 Afrikaner, also 0,3 Prozent der gesamten Bevölkerung, zu den Parlamentswahlen zugelassen.

Die Afrikaner des 389 362 Quadratkilometer großen Landes sind von den fruchtbaren Böden vertrieben und in Reservaten zusammengepfercht worden. Das gute Land (besonders für den Tabak- und Maisanbau geeignet) haben die weißen Siedler an sich gerissen. Die Bodenschätze wie Gold, Asbest, Chrom, Wolfram und Kohle sind selbstverständlich ebenfalls in Händen der Kolonialherren.

Die Parteien und Organisationen der Afrikaner sind ständigen Verfolgungen ausgesetzt. Zunächst haben die Briten 1959 den Afrikanischen Nationalkongress, dann 1961, unter Berufung auf die Unwillenskundgebungen gegen die reaktionäre Verfassung, die Nationaldemokratische Partei und im September 1962 auch die Afrikanische Volksunion der Zimbabwe (ZAPU) verboten. Führer aller drei Parteien war Joshua Nkomo4, der im vorigen Herbst verbannt wurde und erst im Januar 1963 wieder in die Hauptstadt Salisbury zurückkehren konnte.

Heute fordert die afrikanische Bevölkerung in Südrhodesien – durch den Sieg ihrer Brüder im Norden der ehemaligen Föderation ermutigt – Gleichberechtigung und völlige Unabhängigkeit. Die weißen Siedler wollen ebenfalls von England los, aber die Rassenpolitik weiter fortsetzen.

Die britische Regierung, die die volle Verantwortung für die gegenwärtigen Zustände in Südrhodesien trägt, steht natürlich auf Seiten der Rassisten. Die Monopole hoffen, durch sie doch noch gewissen Einfluss in Südrhodesien zu behalten und damit ihrer Profite nicht verlustig zu gehen. Sehr deutlich machte das die Südrhodesien-Debatte im UN-Treuhandausschuss. Hier führten die afrikanischen Staaten, vorbehaltlos unterstützt von der Sowjetunion und den Nationalstaaten in Asien und Lateinamerika, einen entschiedenen Kampf für die echte Unabhängigkeit Zimbabwes. Mit 85 gegen zwei Stimmen (Portugal, Südafrika) bei elf Enthaltungen billigte der Ausschuss eine Resolution, in der Großbritannien aufgefordert wird, der weißen Rassistenregierung weder die Souveränität noch die Kontrolle über die hervorragend ausgerüstete Armee zu übertragen, sondern dem Land über allgemeine, demokratische Wahlen die Unabhängigkeit zu gewähren. Eine auf dieser Grundlage von 44 Staaten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas eingebrachte Resolution nahm die Vollversammlung mit 90 Stimmen an.

Doch die Imperialisten versuchen auch mit anderen Mitteln zum Ziel zu kommen. Auf der ZAPU-Konferenz im August 1963, an der 5000 Delegierte aus allen Teilen des Landes teilnahmen, wurde die konspirative Tätigkeit einiger Mitglieder der Volksunion, die unter der Führung Sitholes standen, aufgedeckt. Sithole hatte mit der ZANU, der Afrikanischen Nationalunion der Zimbabwe, eine neue Partei gegründet, obwohl die ZAPU-Exekutive solch einen Schritt stets abgelehnt hatte. Ein anderer ZANU-Führer, Zvobge, plante für den 10. Juli einen Putsch, der jedoch von Nkomo rechtzeitig entdeckt werden konnte.

Es ist klar, dass diese anarchistischen Machenschaften Sitholes und seiner Anhänger für die Kolonialistenregierung in Salisbury eine ausgezeichnete Handhabe zur Zerschlagung der Unabhängigkeitsbewegung gewesen wären. Man spricht davon, dass die USA hinter Sithole gestanden hätten. Das ist keineswegs verwunderlich, weiß man doch, daß Amerika überall dort, wo England Schwierigkeiten hat, sich Einfluss zu verschaffen sucht. Interessant ist auch, dass sich die USA bei der Abstimmung über die Südrhodesien-Resolution in den UN der Stimme enthielten.

Die Afrikaner aber kämpfen weiter. Sie haben zu verstehen gegeben, dass sie notfalls mit Gewalt – die afrikanische Gipfelkonferenz in Addis Abeba versicherte sie in diesem Falle ihrer vollen Unterstützung – ihre Forderungen durchsetzen werden. Es ist möglich, dass Zimbabwe den nicht friedlichen Weg zu seiner Unabhängigkeit wählen muss, da die von England unterstützten weißen Siedler nicht gewillt sind, freiwillig ihre Positionen aufzugeben. Die Gefahr eines zweiten Algerien ist nicht zu übersehen. Die Zukunft wird lehren, welchen Weg die südrhodesischen Patrioten beschreiten. An ihrem Sieg jedoch besteht kein Zweifel.

Ein Kolonialgebilde fiel zusammen

Sir Roy Welensky hat seinen Kampf gegen die Völker der ehemaligen Föderation verloren. Alle Versuche der Engländer, »neue Formen :ler Zusammenarbeit« zu finden, werden daran kaum etwas ändern. Das »Aus!«, das in Zentralafrika gesprochen wurde, fiel zusammen mit dem Gongschlag zur letzten Runde des antikolonialen Befreiungskampfes der Völker Afrikas überhaupt. Welenskys Tschitaganja lag im Zentrum der letzten Domänen der Kolonialisten. Nordrhodesien grenzt an Angola und Katanga, Südrhodesien an Britisch-Betschuanaland und Südafrika, Njassaland an Moçambique. Zambia und Malawi haben diesen letzten »Naturschutzpark der Kolonialherren« von innen her gesprengt, und bei der Labilität der Reste der Kolonialherrschaft in Afrika ist es nur eine Frage der Zeit, wie lange die Portugiesen und die Engländer ihre unrechtmäßigen Besitzungen noch halten können.

Nichts kann letzten Endes den Freiheitskampf auf dem schwarzen Kontinent aufhalten. Volk auf Volk erkämpft seine Unabhängigkeit. Nun hat diese Bewegung auch das letzte Kolonialzentrum erfasst. Das macht die Erfolge der Völker von Zambia und Malawi besonders bedeutungsvoll.

Fußnoten:

1 Zitat nach W. Alphaeus Hunton, »Entscheidung in Afrika«, Seite 183.

2 Dr. Hastings Kamutzu Banda ist heute 54 Jahre alt. Er studierte in England Medizin und praktizierte dann zwölf Jahre in Liverpool und London als Arzt. 1955 ging er nach Accra, und seit 1959 steht er an der Spitze des antikolonialen Befreiungskampfes in Njassaland.

3 Kenneth David Kaunda wurde 1924 als Sohn eines Njassa-Missionars geboren. Er absolvierte die Missionsschule und war dann als Schulleiter tätig. Mit 24 Jahren nahm er die politische Tätigkeit auf und spielte schon bald eine führende Rolle in der nordrhodesischen Befreiungsbewegung. Seit 1960 ist Kaunda der Führer der Vereinigten Nationalen Unabhängigkeitspartei.

4 Der heute 46 Jahre alte Bauernsohn Joshua Nkomo wurde in der Südafrikanischen Republik als Sozialwissenschaftler ausgebildet. 1951 wurde er Generalsekretär der rhodesischen Eisenbahnergewerkschaft, und seit 1953 steht er an der Spitze der um die südrhodesische Unabhängigkeit kämpfenden Afrikaner.

(Deutsche Außenpolitik, Heft 2/1964)

Sudan im zehnten Jahr der Unabhängigkeit

Der Sudan – mit 2 505 823 Quadratkilometern einer der flächengrößten afrikanischen Staaten und zugleich das östliche Bindeglied zwischen Nord- und Schwarzafrika – ist am 1. Januar 1965 in das zehnte Jahr seines Bestehens als unabhängige Republik getreten. Dass dieser Tag heuer mehr Grund zum Feiern bot, als all die Unabhängigkeitstage der letzten Jahre, liegt daran, daß sich das sudanesische Volk in den letzten Monaten wieder deutlich auf seine ruhmreichen Traditionen des Befreiungskampfes, des Kampfes für Freiheit, Demokratie und Fortschritt besonnen hat. Die Oktoberereignisse des vergangenen Jahres leiteten offensichtlich eine neue Etappe der nationaldemokratischen Revolution im Sudan ein. Sie beweisen, dass das Freiheitsstreben eines Volkes, weder durch Terror noch durch ökonomische Einflussnahme von außen aufzuhalten ist.

Die englische Kolonialpeitsche

Vor etwa dreitausend Jahren war das Gebiet des heutigen Sudan von Nubiern besiedelt, die hier einen mächtigen Sklavenhalterstaat gebildet hatten. Später zerfiel dieser Staat in mehrere kleine Sklavenhalterdynastien. Schon damals setzte auch die Zuwanderung arabischer Stämme in das nubische Siedlungsgebiet ein. Im ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung verstärkte sich dieser Prozess im Verlauf von kriegerischen Auseinandersetzungen. Schließlich war beinahe der gesamte Sudan mehr oder weniger arabisiert. Lediglich im Süden behielten einheimische Stämme noch eine relative Selbständigkeit. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts entstanden die beiden starken Sultanate Sennar und Darfur im Sudan. In dieser Zeit drangen ägyptische Truppen des Eroberers Mohamed Ali in das Gebiet ein und stießen bis zum Südsudan vor. Sie zerschlugen die Sultanate und übten faktisch die Herrschaft im Sudan aus. Der Sklavenhandel nahm ungeheure Ausmaße an.

Unter dem Vorwand des Kampfes gegen den Sklavenhandel tauchte im Jahre 1869 erstmals eine britische Militärexpedition unter Führung von Samuel Baker im Sudan auf. Baker und sein Nachfolger Gordon machten sich bald das gesamte Land Untertan. Der zunehmenden Unzufriedenheit des sudanesischen Volkes mit der grausamen Unterdrückung nahm sich Anfang der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts der islamische Prediger Mohammed Ahmed an. Er erklärte sich zum Mahdi, zum Gesandten Allahs auf Erden, und rief zum Aufstand auf. Die ihm begeistert folgenden Sudanesen brachten den Kolonialtruppen Niederlage auf Niederlage bei und eroberten schließlich 1885 die Hauptstadt Khartum. Nach Mohammed Ahmeds Tod wurde Kalif Abdullahi sein Nachfolger.

Die feudale Ordnung des Mahdistenstaates hemmte aber bald die bis dahin fortschrittliche Entwicklung des Sudan. Die Hegemonie der feudalen Oberschicht, ihr Terror gegen das Volk, die zunehmende Vetternwirtschaft am Hofe des Kalifen und langjährige kriegerische Auseinandersetzungen, besonders mit Äthiopien, schwächten die Mahdistenherrschaft so stark, dass ein modern ausgerüstetes britisches Expeditionskorps unter Herbert Kitchener 1898 den Kalifen entscheidend schlug. Ein Jahr darauf schloss England mit Ägypten den sogenannten Kondominiumsvertrag über den Sudan, der unter anderem folgendes vorsah: Einsetzung eines Generalgouverneurs, der vom ägyptischen Khediven auf Empfehlung Londons ernannt wird; Übergabe der gesamten legislativen und exekutiven Macht an den Generalgouverneur; Verbot des Sklavenhandels. Dass sich damit England die gesamte Macht über den Sudan gesichert hatte, bewies die Ernennung Kitcheners zum ersten Generalgouverneur des Sudan.1

Doch die Sudanesen waren nicht gewillt, sich mit der britischen Herrschaft abzufinden. Bereits 1918 entstand in Omdurman ein »Abiturientenclub« (Sudan School Graduate Club), der den Kampf um die Unabhängigkeit aufnahm. Wirksamer operierte zunächst aber die 1923 gegründete Organisation »Weiße Fahne« (White Flag League), die Streiks und antienglische Kundgebungen organisierte und auch Anhang in der Armee hatte. Als jedoch der Generalgouverneur mit aller Härte gegen diese Aktionen vorging, verlor die kleinbürgerlich geführte Organisation ihre Entschiedenheit, Dagegen gewann nun der »Abiturientenclub« an Bedeutung. Seine zahlreich entstehenden einzelnen Organisationen schlossen sich in den dreißiger Jahren zum Graduates General Congress zusammen und fusionierten 1937 sogar mit dem Gordon Memorial College in Khartum, in dem es bereits 1931 zu einer Revolte gegen die Engländer gekommen war. Der Graduates General Congress hatte sich allerdings fast nur Aufgaben auf dem Gebiet des Bildungs- und Sozialwesens gestellt; vom politischen Kampf hielt er sich fern.

Großbritannien versuchte natürlich mit allen Mitteln, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Zunächst wollte es den letzten Einfluss Ägyptens brechen und kündigte nach der Ermordung des britischen Generalgouverneurs Lee Stack 1924 den Kondominiumsvertrag. Erst 1936 wurde das Abkommen durch eine britisch-ägyptische Vereinbarung wieder in Kraft gesetzt.

Im Innern versuchten die Briten, das alte feudale Stammessystem zu restaurieren. Der Generalgouverneur übergab gewisse Machtbefugnisse an Sultane, Scheichs und Stammeshäuptlinge und korrumpierte sie gleichzeitig durch die Gewährung hoher Gehälter. Doch dieser Schritt in die Vergangenheit stand im Widerspruch zu den Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung. Die Herausbildung des Kapitalismus und damit das Entstehen erster Ansätze einer Arbeiterklasse führten schon bald zu einem solchen Aufschwung des Befreiungskampfes, dass die Engländer nach und nach alle ihre Positionen aufgehen mussten.

Der Weg zur Unabhängigkeit

Im zweiten Weltkrieg, als die sudanesische Armee gegen den faschistischen italienischen Eindringling eine heldenhafte Verteidigungsschlacht lieferte und als die Westmächte durch die Kriegsereignisse und den darauf basierenden zunehmenden Druck der Volksmassen gezwungen waren, progressive Erklärungen abzugeben (Atlantikcharta!), nahm auch der Kampf des sudanesischen Volkes um seine Selbstbestimmung zu. Der Graduates General Congress wandte sich 1942 mit einer Denkschrift an die Londoner Regierung, in der er erstmalig die politische Forderung der Unabhängigkeit erhob. Die entschiedene Ablehnung dieser Forderung schwächte zwar vorerst den »Congress«, erleichterte ihm aber gleichzeitig die Erkenntnis, dass ihre Durchsetzung nur mit Hilfe einer Massenbewegung erreicht werden konnte. Die Aktionen verstärkten sich, worauf die Gründung der UN und die Kündigung des Kondominiumsvertrages durch Ägypten 1951 nicht geringen Einfluss hatten.