Relax - Das Ende aller Träume - Asta Müller - E-Book

Relax - Das Ende aller Träume E-Book

Asta Müller

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Beschreibung

Der Traum von der ewigen Jugend – ein Albtraum? Zarah, Mitarbeiterin einer Hamburger Werbeagentur, bekommt den Auftrag eine Kampagne für das neue angebliche Wundermittel RELAX zu entwickeln. Zarah ist skeptisch, doch das Unfassbare geschieht: Alle Kollegen, die das Medikament getestet haben, sehen gesünder und jünger aus. Allerdings verhalten sie sich ungewohnt emotionslos. Sie haben nur ein Ziel: RELAX auf den Markt zu bringen. Zarah versucht, hinter das Geheimnis der Substanz zu kommen. Wem kann sie noch vertrauen? Etwa ihrem gutaussehenden, geheimnisvollen Nachbarn, der behauptet, RELAX stamme nicht von dieser Welt? RELAX – Romantic Fantasy von Neuentdeckung Asta Müller! »Relax« ist ein eBook von feelings –emotional eBooks*. Mehr von uns ausgewählte romantische, prickelnde, herzbeglückende eBooks findest Du auf unserer Facebook-Seite: www.facebook.de/feelings.ebooks. Genieße jede Woche eine neue Liebesgeschichte - wir freuen uns auf Dich!

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Asta Müller

Relax – Das Ende aller Träume

Roman

Knaur e-books

Über dieses Buch

Der Traum von der ewigen Jugend – ein Albtraum?

Inhaltsübersicht

Kapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36Kapitel 37Kapitel 38Kapitel 39Kapitel 40Kapitel 41Kapitel 42Kapitel 43Kapitel 44NachwortDanksagung
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Kapitel 1

Der Flug nach Frankfurt war trotz meiner Flugangst schneller vorbei, als ich erwartet hatte. Die Taxifahrt dagegen zog sich quälend lang hin. Ich war gespannt auf das Firmengebäude und auf das bevorstehende Meeting. Ein neues Produkt, eine neue Kampagne, die weltweit gleichzeitig starten sollte. In jedem einzelnen Land – selbst dem klitzekleinsten – hatte die Mutterfirma eine Werbeagentur beauftragt, damit die Kampagnen den Käufern auf den nationalen Leib geschneidert werden konnten. Ich war im Auftrag meiner Agentur hier, der einzigen, die deutschlandweit die Vermarktung steuern sollte. Ich muss gestehen, so einen Superkunden wie RELAX Inc. hatten wir noch nie. Wir zählten zu den mittelgroßen Agenturen und hatten in der Pharmawerbung einen internationalen Ruf, doch dieser Kunde agierte tatsächlich weltweit, und das war auch für uns neu.

Als das Taxi an einem drei Meter hohen Stahltor mit einer Überwachungskamera hielt, protestierte mein Magen ein wenig. Kein Wunder, etwas aufregend war es schon, so ganz ohne mein Team vor einem neuen Kunden zu stehen und den Auftrag entgegenzunehmen. Aber die derzeit grassierende Erkältungswelle hatte meine beiden Kollegen kurzfristig aus dem Rennen geworfen, und der Kunde wollte das Meeting nicht verschieben.

»Wollen Sie, dass ich Sie da noch reinfahre, junge Frau? Das Gebäude mit dem Eingang liegt noch ein ganzes Stück weit hinter diesem Tor«, presste mein bisher so wortkarger Taxifahrer zwischen fast geschlossenen Lippen hervor, während er meinen Personalausweis von einem Scanner einlesen ließ. Die weite Tour vom Flughafen hierher in die Einöde war sicherlich gewinnbringend für ihn, hatte sich jedoch nicht positiv auf seine Laune ausgewirkt.

Unentschlossen warf ich einen Blick aus dem regenüberströmten Fenster. Meine Wildlederstiefel würden vermutlich nur ein paar Schritte in diesen Pfützen überstehen.

»Gern!«

Leise glitt das Tor zur Seite. Mister Schlechtgelaunt gab kommentarlos Gas und fuhr durch die eiserne Pforte, die sich vermutlich ebenso gut als Gefängnistor geeignet hätte. Zumindest schützen sie ihre Produkte gut, dachte ich und hielt nach dem eigentlichen Firmengebäude Ausschau.

Durch den dichten Regen entdeckte ich die Konturen eines modernen Betonklotzes mit viel Glas. Über einem extrem hohen Erdgeschoss mit einer großen Eingangstür gab es noch zwei weitere Stockwerke. Ein Firmenschild mit RELAX prangte in riesigen silbernen Lettern auf der gesamten Vorderfront des Gebäudes. Selbstbewusst waren sie, daran bestand kein Zweifel.

Mein Magenflattern nahm zu. Eigentlich wusste ich nicht viel über diese neue Firma. Mit anderen Worten, ich hatte meine Hausaufgaben nicht gemacht. Dafür war der Auftrag zu überraschend gekommen. Der stellvertretende Chef unserer Agentur war nach dem ersten Telefonat mit dem Marketingleiter von RELAX sofort von dem Produkt angetan gewesen. Er tat sehr geheimnisvoll, sagte aber, ich würde alles Wesentliche vor Ort erfahren. Ich war mir sicher, dass seine Begeisterung mit unserem derzeitigen Auftragsloch zusammenhing. Außerdem hatte die Firma im Voraus die Flugtickets nach Frankfurt bezahlt und einen überwältigenden Vorschuss geleistet, was von Kundenseite eher selten war.

Der Taxifahrer fuhr so nah wie möglich an das Gebäude heran, so dass der Regen mich nicht ganz durchnässen konnte. Doch offensichtlich musste ich mir darüber keine Gedanken machen, denn prompt eilte ein hochgewachsener Mann mit einem Regenschirm auf das Taxi zu. Er öffnete erst die Fahrertür, um dem verblüfften Mann einen Hundert–Euro–Schein in die Hand zu drücken – das entsprach einem Trinkgeld von satten dreißig Euro –, dann nahm er schweigend die Quittung entgegen, öffnete meine Tür und reichte mir die Hand.

»Frau Fischer, wie angenehm! Ich hoffe, Sie haben die Reise gut überstanden. Ich bin Chester Darfield, der Mann für alles. Kommen Sie schnell rein ins Trockene. Wenn wir so gut wären wie unsere Produkte, hätten wir für Sie die Sonne scheinen lassen!« Er lachte laut.

Tja, so sah er auch aus. Blond, braungebrannt, durchtrainiert. Wenn er keinen Maßanzug angehabt hätte, wäre er als kalifornischer Surflehrer durchgegangen.

Ich drückte seine Hand und ließ mir aus dem Auto helfen.

»Danke, Herr Darfield. Zu freundlich, dass Sie mich mit einem Schirm abholen. Regnet es bei Ihnen auch so viel in den letzten Wochen?«

»Ja, der April, der macht, was er will!« Er lachte wieder dieses unbekümmerte Jungenlachen und nahm wie selbstverständlich meine Tasche. »Nennen Sie mich Chester, Frau Fischer, und sagen Sie bitte du. Hier in unserer kleinen Welt halten wir es ganz amerikanisch. Jeder duzt jeden. Wir sind eine große Familie und ziehen alle am selben Strang. Also, bitte machen Sie uns die Freude, und fühlen Sie sich hier ganz wie zu Hause, wenn das für Sie in Ordnung geht?«

Ich nickte erleichtert. »Kein Problem, bei uns in der Agentur geht es auch nicht so förmlich zu. Ich bin Zarah – und freue mich schon darauf, mehr über RELAX zu erfahren.«

Chester stand jetzt vor der Eingangstür und gab einen mehrstelligen Zahlen-Buchstaben-Code ein, bevor sich die breite Tür geräuschlos öffnete.

»Willkommen, Zarah, in unseren heiligen Hallen!«

Wow, Halle traf zu! Von innen war das Gebäude durchaus beeindruckend. Die Eingangshalle erinnerte mich an einen Flughafenterminal kurz vor der Eröffnung. Groß, hoch, hell – und leer, bis auf ein paar Stehtische an den Fensterfronten und ein paar ausgesuchte Pflänzchen.

Geschätzte zwanzig Meter vor uns befand sich ein halbrunder silberner Empfangstresen, direkt dahinter bewegte sich tänzelnd eine junge blonde Frau. Sie erinnerte mich an eine Barbie-Puppe, dadurch wirkte sie zunächst unsympathisch auf mich. Im Laufe der Jahre hatte ich eine Abneigung gegen zu perfekt aussehende Menschen entwickelt. Sie reduzierten sich zu oft auf ihre makellose Hülle.

Barbie schlug die Hände voller Freude zusammen und rief uns entgegen: »Hi, du bist bestimmt Zarah Fischer. Ich bin Danny! Wir freuen uns schon sehr auf die Zusammenarbeit mit euch. Leider musst du noch ein paar Eingangsformulare unterschreiben … wir benötigen noch einen Fingerabdruck, und – krieg bitte keinen Schreck, aber unsere Sicherheitsbestimmungen sind da sehr streng – wir brauchen auch einen winzigen Tropfen Blut von dir. Nur ein Piks. Du wirst kaum etwas davon spüren. Die Amis, unsere internationale Zentrale, die spinnen, was die Bestimmungen angeht. Doch das ist alles, mehr brauchen wir nicht!«

Da fehlt dann ja auch nur noch die Urinprobe, dachte ich und wollte gerade protestieren, als ich Chesters Hand auf meiner spürte.

»Mach dir keine Sorgen, Zarah, aber das muss sein, hat dir euer Chef nichts davon erzählt? Wir hatten euch telefonisch vorgewarnt. Spionage und Sabotage sind in unserem Metier nicht selten. Aber ich verspreche dir, wenn wir den Körperscanner und den Metalldetektor passiert haben, war es das dann auch an Sicherheitskontrollen.« Er zwinkerte mir zu. »Wir testen so viele Blutproben wie möglich hinsichtlich der Verträglichkeit mit unserem Produkt. Das gehört mit zum Deal, den wir mündlich mit deiner Agentur verhandelt haben.«

Puh, dachte ich, zwang mich aber zu einem verkrampften Lächeln. Das war zwar das erste Mal, dass ein Kunde unser Blut nicht nur sinnbildlich brauchte. Aber jetzt, wo ich schon mal hier war, wollte ich auch endlich wissen, was diese Firma so Geniales entwickelt hatte. Also fügte ich mich widerstrebend und ließ die Prozedur über mich ergehen. Wie heißt es doch so schön: Der Kunde ist König. Mit meinem zweiten Chef würde ich noch ein Wörtchen reden, wenn ich zurück war. Es war mir unverständlich, warum er mich nicht vorgewarnt hatte. Trotz der Eile hätte er mir ruhig ein bisschen mehr Input geben können.

Danny half mir durch alle Kontrollen und schwatzte dabei ununterbrochen, während Chester einige Telefonate tätigte. Er hatte, wie viele Geschäftsleute, die sich für unentbehrlich hielten, ein Headset im Ohr.

Nachdem Danny auch meinen Tascheninhalt und mein iPad auf Herz und Nieren geprüft hatte, nahm sie mein Smartphone in die Hand.

»Süße, leider haben wir hier keinen Empfang, das gilt auch für das Internet. Sicherheitsbestimmungen, du weißt ja. Du kannst jedoch gern und jederzeit unsere Festnetztelefone benutzen.«

Inzwischen hatte ich mich mit meinem Schicksal abgefunden und hoffte nur noch, dass der Rest der RELAX-Familie nicht blond und makellos war. Falls ja, wäre ich hier das einzige »schwarze Schaf«, denn ich war im Gegensatz zu Danny und Chester eher blass und hatte pechschwarze Haare.

Eine knappe Stunde später stand ich neben Chester vor einer Front von sechs Fahrstühlen. Er trug immer noch meine Reisetasche, während ich mich an meine Handtasche klammerte.

Chester drückte den Knopf für die zweite Etage. Nach oben hin war das die letzte, aber nach unten gab es noch zehn weitere Etagen. Vermutlich lagen im Keller die Forschungsabteilungen oder Fabrikationsanlagen oder die Parkplätze.

Ich räusperte mich. »Zumindest ist meine Erwartungshaltung an euer Produkt exponentiell gewachsen. Bei eurem Sicherheitscheck müsstet ihr so was wie eine Unsterblichkeitspille erfunden haben.«

Chester grinste breit. »Ja, so ähnlich. Warte es ab. Du wirst begeistert sein!«

Als sich der Fahrstuhl wieder geräuschlos öffnete, ließ mir Chester – ganz der Gentleman – den Vortritt. Dann schritten wir gemeinsam durch einen langen, hell erleuchteten Korridor, von dem mehrere Türen abgingen. An den Wänden wiederholten sich immer wieder die Buchstaben von RELAX, dazwischen hingen Hochglanzfotos von Großstädten. Auf die Schnelle konnte ich New York, Hongkong, Sydney und Hamburg unter all den Bildern erkennen.

»Da sind wir schon, Zarah. Ich werde dich ins Meeting begleiten. Mich kennst du ja schon ein wenig.«

»Oh, gut«, murmelte ich. Tatsächlich beruhigte mich seine Anwesenheit.

Schwungvoll öffnete er eine der Doppeltüren und nahm meinen Arm. »Hier ist sie, unsere Zarah!«, rief er begeistert hinein.

Ich warf einen flüchtigen Blick in die Runde. Ein Dutzend Mitarbeiter klopfte dezent mit den Händen auf die Tische. Ein Mann mittleren Alters – er war auch blond und braungebrannt – sprang auf mich zu und drückte mir mit beiden Händen gleichzeitig die rechte Hand.

»Willkommen, Zarah, wir haben schon auf dich gewartet. Ich bin Pierre Lafert und gehöre zum Vorstand von RELAX Inc. Bitte setz dich neben mich. Nimm dir einen Kaffee oder Tee, mach es dir bequem. Wir beginnen gleich mit der Produktvorstellung.«

Ich nickte und entzog ihm meine etwas feuchte Hand. »Danke, ich bin gespannt.«

Pierre wies ausladend in die Runde der Mitarbeiter. »Ich könnte dir alle einzeln vorstellen, aber du würdest die Namen doch nur wieder vergessen. Vor dir an deinem Platz liegt ein Sitzplan mit Namen und Funktionen der Anwesenden. Ich denke, das erleichtert dir die Kommunikation.«

Pierre nahm locker meinen Arm und führte mich zu meinem Stuhl. Chester setzte sich an meine rechte Seite.

Während sich Pierre mit einer Frau an einem Computer zu schaffen machte, warf ich einen zaghaften Blick in die Runde. Sie waren nicht alle blond. Das erleichterte mich ungemein, denn ich hatte schon mit weiteren Barbie-Ken-Klonen gerechnet. Überdurchschnittlich gut aussehend waren sie zwar, aber nicht alle so jung wie Chester oder Danny. Eine Frau mit rotem, kinnlangem Haar war sicher schon über fünfzig.

Alle trugen schwarze Anzüge, weiße Hemden oder entsprechende Kostüme. Da habe ich ja zumindest richtiggelegen, dachte ich, denn ich hatte mich, obwohl ich mich sonst eher leger kleidete, für einen dunklen Hosenanzug entschieden.

Ich räusperte mich. »Im Namen meiner Agentur freue ich mich, hier vor Ort euer Produkt kennenlernen zu dürfen.« Bla, bla, bla … Ich hatte mir während der Anreise eine gute Rede ausgedacht, aber das ganze Drumherum hier hatte mich so verwirrt, dass ich nun aus dem Stegreif etwas faselte, worauf ich nicht unbedingt stolz war. Doch – wie konnte es auch anders sein – die Leute von RELAX waren begeistert.

Pierre lehnte sich in seinem Freischwinger nach hinten. »Meine liebe Zarah, wir haben uns nach langem Suchen für eure Agentur entschieden, da ihr auf dem Pharmamarkt eine der führenden Werbeagenturen hier in Deutschland seid. Wir brauchen die Besten, denn unser Produkt ist das Beste, was der Menschheit je präsentiert wurde. Du wirst dich davon selbst überzeugen können.«

»Denn nur wer selbst überzeugt ist, kann wirklich überzeugen!«, warf Chester neben mir fröhlich ein.

»Das zumindest ist unsere Firmenphilosophie«, ergänzte lächelnd die Rothaarige.

»Zarah, du hast sicher einen stressigen Job. In der Werbung geht es immer hoch her, da kann man nicht so schnell abschalten, oder? Die Entspannung und der Schlaf leiden darunter, ihr Werber hört doch nie auf zu arbeiten, über euer neustes Produkt nachzudenken. Ist doch so? Oder?«, erkundigte sich Pierre.

»Ja«, antwortete ich zögernd. Worauf wollte er hinaus?

»Stell dir vor, es gäbe ein sehr gut dokumentiertes pflanzliches Mittel ohne Nebenwirkungen, das selbst den gestresstesten Menschen einen gesunden Schlaf garantiert, die Nerven stärkt und obendrein den Alterungsprozess verlangsamt. Ohne abhängig zu machen. Das ganz nebenbei schlanker macht und die Haut strafft. Stell dir vor, dass dieses Mittel auch die Zellen regenerieren kann, dass es sogar nachweisbar vor Krankheiten wie Krebs oder Demenz schützt. Wäre das etwas, was dich interessieren würde?« Pierres graue Augen fixierten mich erwartungsvoll.

Ich stieß den angehaltenen Atem aus. »Ja, das klingt durchaus interessant. Wenn es frei verkäuflich wäre, über Apotheken, könnte man da sicher einiges draus machen.«

Die Rothaarige – ich checkte schnell auf dem Sitzplan ihren Namen: Sie hieß Gesa – warf ein: »Ja, wir wissen, über die Ärzteschaft ist es schwer, ein neues Produkt zu bewerben. Auch die besten Studien kommen nicht dagegen an, dass die Ärzte kaum noch Zeit haben, sich entsprechend dafür einzusetzen, selbst wenn das Mittel absolut überzeugend ist. Nein, Zarah, unser Produkt ist auf jeden Fall nicht verschreibungspflichtig und soll nur über Apotheken vertrieben werden.«

»Hm, wenn es wirklich hält, was es verspricht, wird es sich nach einer gelungenen Werbeeinführung ohnehin rasch herumsprechen. Ich nehme mal an, die Studien sind über mehrere Jahre hinweg durchgeführt worden?«, erkundigte ich mich und blätterte in den Unterlagen vor mir. Ich hatte schon von vielen Wundermitteln gehört – kaum eines hielt, was es versprach, entsprechend verhalten war ich mit meiner Begeisterung.

Chester deutete auf Gesa. »Wie alt schätzt du Gesa? Und keine Sorge, du musst ihr nicht schmeicheln.«

Ich warf einen prüfenden Blick in ihre Richtung und antwortete fast wahrheitsgemäß: »Ende vierzig.«

Pierre kicherte. »Sie ist dreißig Jahre älter.«

Das war unmöglich. Ich rieb meine feuchten Hände an meiner Anzughose ab.

»Wie alt schätzt du Chester?«, bohrte Pierre weiter.

»Vierundzwanzig … höchstens, auf jeden Fall ein paar Jahre jünger als ich.«

»Chester ist sechsundvierzig. Danny, unsere Empfangsdame, ist noch zwei Jahre älter. Zarah, wir alle hier nehmen täglich seit Jahren RELAX – und das ist das Ergebnis. Deshalb sind wir auch so überzeugt davon.«

Ich war sprachlos. Mein Kopf platzte förmlich vor Fragen. »Warum kommt ihr erst jetzt damit raus, wenn ihr schon so lange davon wisst?«

»Weil wir gründliche Studien liefern wollten. Weil wir selbst erst abwarten wollten, wie sich die langfristige Einnahme auswirkt. Der Erfinder, Hektor Goodsweihl, hat uns verpflichtet, so lange darüber zu schweigen«, antwortete Chester.

Pierre senkte die Stimme: »Die meisten von uns nehmen es seit zehn Jahren. Jeden Tag eine Kapsel. Die gesundheitliche und entspannende Wirkung ist sofort da. Die äußere, verjüngende Wirkung setzt eher schleichend ein, so dass man es selbst am Anfang nicht mitbekommt. Erst wenn die Leute einen drauf ansprechen, glaubt man es.« Er machte eine Pause und fuhr dann lächelnd fort: »Es dauert jedoch einige Jahre, bis man auffällig jünger geworden ist, und glücklicherweise stoppt der Prozess, wenn man ungefähr die Mitte zwanzig erreicht hat. Wer will auch wieder zum Teenager werden?«

Pierre hatte den Satz kaum beendet, da ergriff Gesa das Wort und redete auf mich ein. »Zarah, es ist für uns enorm wichtig, dass möglichst viele Menschen daran teilhaben. Wir können so viel Gutes tun, wenn man uns nur lässt.«

Mir wurde ein bisschen flau im Magen. Ich konnte gerade nicht sagen, ob das eine gute Sache für die Menschheit war oder nicht. Da musste ich erst mal gründlich drüber nachdenken und diese Studien auf Herz und Nieren prüfen. Im Augenblick konnte ich nicht einmal sagen, ob ich dieses Zeug freiwillig schlucken würde.

»Es gibt noch weitere Nebenwirkungen – angenehme Begleiterscheinungen«, warf der mir gegenübersitzende Mann ein. »Wir sind alle nicht nur ausgeglichener, sondern auch friedlicher geworden. Uns fehlen Aggressivität, Neid, Wut und Hass. Wir glauben, dass dank dieses Mittels, in nicht allzu ferner Zukunft, auf unserer Welt keine Kriege mehr geführt werden.«

»Ich … ich … bin überwältigt. Ehrlich, wenn das alles so ist – und daran kann ich noch nicht ganz glauben, dafür brauche ich Zeit, wäre das … die … Erfindung.« Entweder die waren alle komplett durchgeknallt, oder sie überschätzten ihr Produkt hoffnungslos.

Chester zeigte sein jungenhaftes Grinsen. »Du kommst dir bestimmt vor wie in einem Science-Fiction-Film. Uns ist klar, dass du darüber nachdenken und alles nachlesen musst.«

»Wie teuer soll das Produkt denn werden? Wenn es eine reine Luxuspille wäre, würden nur die Privilegierten davon profitieren, oder?«

»Wir wollen, dass sich jeder diese Kapseln leisten kann! Keine Sorge, Zarah. Sie sind preiswert in der Herstellung.«

»Würde die Weltbevölkerung dadurch nicht explodieren? Wenn das Altern langsamer voranschreitet und sogar schwere Krankheiten wegfallen?« In meinem Kopf rauschte es, was gäbe ich darum, jetzt einige Leute aus meinem Team an meiner Seite zu haben.

»RELAX macht nicht unsterblich«, erklärte Pierre, »und leider haben wir festgestellt, dass die Fruchtbarkeit unter der regelmäßigen Einnahme etwas beeinträchtigt wird. Genau genommen können nur ganz junge Menschen, also Leute, die bei der ersten regelmäßigen Einnahme von RELAX unter dreißig Jahre alt sind, noch Kinder zeugen oder empfangen. Und meist nicht mehr als zwei Kinder. Das heißt, die armen Länder wie zum Beispiel Indien, in denen bisher eher zu viele Kinder geboren wurden, würden dadurch eine natürliche Geburtenkontrolle erhalten. Wir haben versucht, an alles zu denken, Zarah. Jetzt ist es so weit, weltweit an die Öffentlichkeit zu gehen.«

Chester nahm meine Hand und drückte sie. »Zeitgleich mit unserem Gespräch hier führen weitere Tochtergesellschaften überall auf der Welt dieselben Gespräche. Wir werden eng mit allen zusammenarbeiten und alle Fragen, die sich zukünftig noch ergeben sollten, berücksichtigen. Uns ist bewusst, welch eine verantwortungsvolle Entscheidung wir hier treffen.«

Pierre legte die Hände flach auf den Tisch. »Du wirst zurückreisen und genügend Testkapseln für dich und deine Agentur mitnehmen. Wir erwarten, dass ihr sie ausprobiert, nachdem ihr euch von der Harmlosigkeit der Substanz und den Studien überzeugt habt. Heute in einem Monat treffen wir uns wieder. Bis dahin habt ihr Zeit, über RELAX nachzudenken, und dann treten wir an die Öffentlichkeit! Wenn ihr einverstanden seid, arbeitet ihr exklusiv mit uns zusammen – ihr wisst inzwischen, dass es sich auch finanziell auszahlen wird!«

[home]

Kapitel 2

Am Nachmittag war ich wieder zurück in Hamburg. Mir blieb also genug Zeit, um die Studien und die Produktproben noch in der Agentur abzuliefern und meine Leute kurz über das Meeting mit dem neuen Kunden zu informieren. Denn ab morgen hatte ich zwei Wochen frei, um meine Überstunden abzufeiern und meine neue Wohnung zu streichen.

Unsere Agentur hatte sich in einer kleinen, alten Villa mitten in Harvestehude eingemietet. Da sich die Büros über alle drei Etagen verteilten, hatten wir immer eine Menge zu laufen.

Die alte Treppe knarrte unter meinen schnellen Schritten. Ich war noch ganz benommen von den Eindrücken, die RELAX bei mir hinterlassen hatte. Endlich würde ich mit vernünftigen Menschen darüber sprechen können. Auch wenn die meisten meiner Kollegen ihre kleinen Spleens hatten, gegen die Atmosphäre bei RELAX waren wir ein stinknormaler Verein.

Bevor ich den Besprechungsraum betreten konnte, traf ich auf Hardy Hardrock, unseren Texter. Eigentlich hieß er Hartmut, den Zunamen Hardrock verdankte er seiner Trinkfestigkeit.

Hardy wirkte immer so, als hätte er gerade einen Marathonlauf hinter sich, obwohl er nur mit Buchstaben jonglierte, denn mehr ließ seine Figur nicht zu. Er behauptete, Texten sei Schwerstarbeit. Doch seinen Werbetexten war das nie anzumerken. Im Gegenteil, sie wirkten locker und berührten jeden Leser tief. Er hatte den Dreh raus, mit seinen Worten jedem Produkt die Krone aufzusetzen. Ich glaube, ohne Hardy wäre unsere Agentur nur halb so erfolgreich, wenn überhaupt.

Ob man es wollte oder nicht, Hardy knutschte jeden zur Begrüßung, aber er meinte es nie anzüglich. Er war einfach … herzlich.

Ich wehrte ihn gerade wieder erfolglos ab, als sein Bart über meine Wange kratzte.

»Hardy, ruf bitte die anderen an. Wir treffen uns gleich im Besprechungsraum. Ich habe viel zu erzählen.«

Er nickte schnaufend und nuschelte etwas Unverständliches.

Zehn Minuten später war unser Team komplett.

»Wie geil ist das denn?«, kommentierte unser zweiter Geschäftsführer Uwe, nachdem er einen Blick auf die Studien und anschließend auf die Gratis-Pillen-Packung RELAX geworfen hatte. »Die probiere ich gleich. Ich habe wirklich Einschlafprobleme. Echt jetzt! Wenn das Zeug so wirkt, wie die behaupten, werden wir alle reich!«

Das war typisch für Uwe, alles, was irgendwie half, sein Leben zu verbessern, probierte er gnadenlos aus. Nachdem er sich eine Packung geschnappt hatte und die erste Pille in seinen Mund gewandert war, konnte ich in seinen Augen eine Villa mit Pool und einen Ferrari aufblitzen sehen.

Nadja, die erste Chefin der Agentur, nagte an ihrem Stift. Ihre schmalen Augenbrauen waren Richtung Haaransatz gewandert, als sie die Studien aus der Hand legte.

»Das kann nur ein Fake-Produkt sein!« Ihr Blick, mit weit geöffneten Augen, blieb an mir hängen. »Denn wenn es so etwas tatsächlich geben würde, würde das unsere Welt komplett verändern.« Sie schüttelte ihre braunen Locken. »Za, was hältst du von denen?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Wenn ich das nur wüsste. Sie haben sicher genug Geld, um Studien zu beeinflussen oder Professoren einzukaufen. Trotzdem scheint mehr dahinterzustecken. Ich glaube kaum, dass sie lügen. Die ganze Firma steht geschlossen hinter ihrem Produkt.«

»Und sie haben dir tatsächlich ihre Ausweise vorgelegt, so dass du ihr Geburtsdatum sehen konntest?«, fragte Kai, unser Mann für Public Relations. Er wirkte noch sehr verschnupft, zumindest schien er seine Erkältung nicht vorgetäuscht zu haben, um der Reise nach Frankfurt zu entgehen. Bei Hardy war ich mir da nicht so sicher. Vermutlich hatte der sich einfach vor dem Termin drücken wollen, weil er unter starker Flugangst litt. Irgendwie konnte ich ihm deshalb nicht böse sein.

Ich nickte. »Ja, die Ausweise von Chester und Danny, als sie mich zum Taxi gebracht haben. Nie im Leben sehen die so alt aus, wie sie sind. Das würde nicht einmal Botox hinkriegen.«

Inzwischen hatte auch Hardy eine Packung RELAX geöffnet und mit erstaunlichem Elan eine der Pillen in den Mund befördert. »Wir dürfen sie ja testen«, nuschelte er. »Wird sich zeigen, ob was dran ist.«

Nadja seufzte. »Wäre ja nicht das erste Produkt, das wir selbst ausprobieren. Wir haben einen Monat, in dieser Zeit können wir uns auch überlegen, wie wir es vermarkten, sollte es nicht wirken. Mir macht allerdings viel mehr Sorgen, was passiert, wenn es tatsächlich so wirkt.«

Sie schloss den Ordner mit den Studien und sah mich an. »Za, du hast ja jetzt Urlaub. Möglicherweise findest du trotzdem noch Zeit, einige Internetrecherchen dazu anzustellen. Vielleicht kommen dir da auch schon ein paar erste Ideen.« Sie wandte sich den anderen zu. »Wer möchte, kann das Produkt ausprobieren. Schädlich ist es laut der Studien zumindest nicht! Denkt daran, wir brauchen den Auftrag.«

Uwe schob quietschend seinen Stuhl zurück. »Ich werde dann mal wieder. Mein Schreibtisch ist randvoll!«

Neben mir brummte Hardy etwas von, er müsse sich noch um andere Dinge kümmern. Kai dagegen blickte angestrengt in seinen Computer, als hätte er nichts mitbekommen.

Mich überfiel plötzlich ein ungutes Gefühl. »Hey, Leute, ich habe Urlaub, um meine Überstunden abzufeiern und um meine neue Wohnung zu renovieren. Glaubt ja nicht, dass ihr das Problem auf mich abwälzen könnt. Ich werde diese Pille auch nicht ausprobieren, mein Magen ist zu empfindlich.«

Nadja blickte mich an, als hätte ich gerade gestanden, meine Katze umgebracht zu haben. »Hey, du bist unsere Kreative, dir fällt beim Streichen bestimmt was ein! Das ist doch keine Arbeit.« Sie grinste.

Schöne Agentur. Sollte das Baby wieder an mir hängen bleiben? Aber nur, wenn ich mich wirklich langweilen sollte. Die Wohnung ging vor! Schließlich hatte ich schon Feuerwehr gespielt, als ich, statt bei meinem eigenen Umzug anwesend zu sein, nach Frankfurt gejettet war. Meine Freundin Lily musste trotz Fieber den Möbelpackern aufschließen, damit zumindest deren Termin nicht gefährdet wurde. Denn leider ließ er sich so kurzfristig nicht verschieben. Ich mochte gar nicht drüber nachdenken, was mich in meiner neuen Wohnung erwartete.

[home]

Kapitel 3

Als ich die Wohnungstür aufgeschlossen hatte und einen Blick hineinwerfen konnte, wurde mir erst richtig klar, was in diesen zwei Wochen auf mich zukommen würde. Ich konnte nicht einen Schritt machen, ohne über Umzugskartons zu stolpern. Die Möbel waren mehr oder weniger wahllos auf drei Räume verteilt worden. Gut, ich konnte den Umzugsleuten keinen Vorwurf machen, schließlich war niemand da gewesen, der ihnen sagen konnte, wohin sie alles stellen sollten, weil Lily gleich nach dem Aufschließen wieder ins Bett zurück musste. Das war alles ein verdammt mieses Timing. Mir wurde ganz schlecht, wenn ich mir nur vorzustellen versuchte, hier, in diesem Chaos, zu streichen. Geschweige denn, wo ich heute Nacht schlafen sollte. Die Einzelteile meines Bettes waren zwar alle angekommen, schienen aber über die ganze Wohnung verteilt zu sein.

Innerlich verfluchte ich mich. Warum musste ich auch so stolz sein und alles im Alleingang bewältigen? Etwas in mir wollte immer beweisen, dass ich auch bei solchen praktischen Arbeiten auf niemanden angewiesen war. Wenn ich mir nur einen kleinen Schubs gegeben hätte, dann hätte ich sicher ein paar Bekannte aktivieren können, als ich erfuhr, dass auch Lily wegen Krankheit ausfallen würde. Aber nein, ich wollte nicht um Hilfe bitten. Für mich war ein Umzug etwas Reinigendes, ein Neuanfang, den ich lieber in meditativer Einsamkeit vollzog. Nun musste ich da auch allein durch.

Entschlossen schleppte ich meinen Einkauf in Richtung Küche. Da es eine Einbauküche war, würde es sicherlich einen Kühlschrank geben, in dem ich meinen Prosecco kalt stellen konnte, denn den würde ich heute Abend brauchen. Natürlich war der Kühlschrank noch nicht eingeschaltet.

»Za macht das schon!«, versuchte ich mir selbst einzureden, als mir drei runzlige Karotten, die zu fingerartigen Gebilden geschrumpft waren, entgegenblickten. Vermutlich stammten die noch vom Vormieter.

»Za kriegt ja immer alles hin! Za ist ja so kreativ!«

Eigentlich war das alles ganz anders geplant gewesen. Eigentlich sollte der Umzug erst nach dem Streichen stattfinden. Aber »uneigentlich« konnte die Umzugsfirma plötzlich nur zu diesem unpassenden Termin, und dummerweise hatte die Grippewelle auch meine beste Freundin außer Gefecht gesetzt, die Einzige, die ich bei diesem Neustart um mich haben wollte.

»Za ist am Arsch!«, fluchte ich und versuchte, einen spontanen Tränenausbruch zu unterdrücken. Ich ignorierte den Dreck im Kühlschrank, schaltete ihn an und stellte den Prosecco hinein.

Ein energisches Klopfen an meiner Wohnungstür ließ mich zusammenschrecken. Kamen da etwa noch mehr Möbel? Ich war versucht, einfach in katatonische Starre zu verfallen, als der Lärm sich in ein aufdringliches Hämmern verwandelte.

Damit kam die Methode, sich tot zu stellen, für mich nicht mehr in Frage. Genervt stieg ich über die Kartons und riss die Tür auf.

Ungläubig starrte ich den großen Mann an, der meine Tür bearbeitet hatte.

»’tschuldigung, du bist wohl gerade hier eingezogen. Dieses Paket hat man heute bei mir abgegeben.«

»Ähm …«, leider fiel mir nichts Besseres ein. Skeptisch nahm ich das Paket entgegen. Meine Wut war verraucht, denn der Typ sah so aus, als wäre er direkt einer Werbekampagne für Männerparfums entsprungen. Mit anderen Worten makellos, bis auf die zerzausten schwarzen Haare. Die fielen aus dem Rahmen. Sie verliehen ihm etwas Verwegenes.

Er grinste frech. War ja klar, dass er solche Blicke gewohnt war. »Noch mal zum Mitschreiben«, sagte er gedehnt. »Ich … bin … dein … Nachbar.« Sein Finger wies nach oben. »Ich wohne über dir. Du darfst mich Karihm nennen. K A R I H M«, buchstabierte er langsam. »Ich weiß, das H am Ende ist ungewöhnlich, aber das bin ich auch.«

Ich riss mich zusammen und schluckte. »Duzt du einfach alle fremden Leute?«

»So fremd sind wir gar nicht. Wir sind Nachbarn.«

»Aber erst seit zehn Minuten«, murmelte ich und starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Mein Bauchgefühl stufte ihn als ungefährlich ein, wenn ich mich nicht auf ihn einlassen würde.

Es gelang ihm, sich an mir vorbeizuschieben und in meine Wohnung zu treten. »Hier sieht es ja wild aus. Brauchst du Hilfe? Ich habe gerade etwas Zeit.«

Was Worte doch bewirken konnten. Auf einmal klang Hilfe einfach zu überzeugend. Ich schüttelte die Benommenheit ab und sprang über meinen Schatten. Denn es gab tatsächlich ein paar Dinge, die ein starker Mann schneller hinkriegen könnte.

»Das wäre toll. Vielleicht kannst du mir helfen, das Bett aufzubauen. Ich komme direkt aus Frankfurt und bin todmüde.«

»Im Bettenbauen bin ich fantastisch. Doch im Bett bin ich noch …« Er unterbrach sich selbst, als er meinen schockierten Gesichtsausdruck bemerkte.

»Erwartest du etwa so eine Belohnung für deine Hilfe? Dann verzichte ich!« Ich wollte schon wieder genervt die Wohnungstür öffnen und ihn hinausbefördern, da lenkte er ein.

»War nur ein blöder Spruch. Keine Sorge, ich helfe dir auch so. Du kannst mir als Dankeschön ja mal einen Kuchen backen.«

Weil ich wirklich Hilfe brauchte, sprang ich erneut über meinen Schatten und ignorierte seinen überheblichen Gesichtsausdruck. »Ich kann zwar nicht backen, aber falls dir im Haushalt mal was fehlen sollte, helfe ich dir gern aus.« Ich griff mir das erstbeste Bettteil, das ich entdecken konnte, und dirigierte ihn ins zukünftige Schlafzimmer. Draußen wurde es dunkel, und ich war froh, dass die nackte Glühbirne im Raum noch funktionierte.

Mein Nachbar zögerte nicht und räumte die Ecke frei, die ich für das Bett ausgesucht hatte. Ich stürzte mich ebenfalls in Aufräumarbeiten, damit ich ihn nicht beim Aufbauen beobachtete. Da er über seiner Jeans nur ein T-Shirt trug, konnte ich sehr gut seine Muskeln erkennen. Er bewegte sich mit der Eleganz eines Tänzers.

Auf keinen Fall wollte ich mir eingestehen, dass ich ihn heiß fand. Noch weniger sollte er mitkriegen, dass er mich überhaupt interessierte. Bei Männern blieb ich lieber auf Distanz, da ich bisher keinem richtig vertrauen konnte. Ich hatte immer das Gefühl, wenn ich mich richtig fallen lassen würde, würden sie mich im Stich lassen. Ja, ich hatte deshalb sogar schon eine Gesprächstherapie hinter mir. Das Fazit langer, verschwendeter Stunden war, dass der frühe Tod meiner Eltern diese Blockade bei mir ausgelöst hatte. Leider hatte die bloße Erkenntnis nichts daran geändert, und bis heute spielten Männer nur für kurze Affären eine Rolle in meinem Leben. Ich liebte mein Eremitendasein, außer meiner besten Freundin Lily war mir nur meine Arbeit wichtig. Große Gefühle waren einfach nichts für mich, außerdem erlaubte mir mein Stresslevel zurzeit keine One-Night-Stands. Also, ruhig durchatmen und Finger weg!

Karihm schraubte gerade zwei Balken zusammen, da entdeckte ich an seinem linken Ellbogen einen breiten Stretchverband.

»Hey, was hast du da?«, fragte ich. »Bist du verletzt?«

Er blickte auf und sah mir direkt in die Augen. Mir wurde leicht schwindlig, was bestimmt daran lag, dass seine Iris eine ungewöhnliche Färbung hatte. Sie changierte in blassen Regenbogenfarben. Ich schwöre, noch nie in meinem Leben hatte ich solche Augen gesehen.

Lächelnd antwortete er. »Das ist nichts. Nur ein wenig übertrainiert.«

Ich wandte rasch die Augen ab und murmelte: »Ich räume inzwischen etwas in der Küche auf. Wenn du bei den unhandlichen Teilen Hilfe brauchst, ruf mich. Ich bin sehr froh, dass du mir bei dem Bett hilfst.«

Diesmal schien er es vorzuziehen, nicht zu antworten. In der Küche atmete ich erst einmal durch. In letzter Zeit lernte ich eine Menge merkwürdiger Leute kennen. Da waren einmal die Barbie-Ken-Klone von RELAX und jetzt dieser Karihm, der auf seine Weise ähnlich verstörend wirkte. Vermutlich war ich nur übermüdet, und wenn ich ihn das nächste Mal wieder treffen würde, wäre dieser Eindruck weg.

Etwas über eine Stunde später war Karihm fertig und nickte mir zu. »Alles klar! Dein Bett steht. Sag Bescheid, wenn du noch etwas Großes aufzustellen hast. Wie heißt du eigentlich?«

»Za … nein, eigentlich Zarah, aber meine Freunde nennen mich nur Za. Und danke, Karihm.«

»Kein Ding! Schlaf gut – und bis bald.«

Er ging schweigend zur Tür und schloss sie einen Moment später von außen wieder.

Ich atmete tief durch und suchte nach dem Karton mit dem Bettzeug. Mein neuer Nachbar hatte mich allein durch seine Gegenwart durcheinandergebracht, und ich war mir sicher, dass er das auch noch genoss. Am besten wäre es für mich, ihm aus dem Weg zu gehen. Ich hatte schon einmal eine kurze Affäre mit einem Nachbarn gehabt. So was ging nie gut aus, entweder sie klebten wie die Kletten an einem, oder sie schalteten in den Stalker-Modus. Im selben Haus? Das ging gar nicht, so viel Nähe konnte ich nicht ertragen.

Als ich endlich so weit war, ins Bett zu gehen, konnte ich doch nicht einschlafen. Über mir lief die ganze Zeit laute Rap-Musik, aber nach allem, was Karihm für mich getan hatte, wollte ich mich nicht gleich beschweren. Also gut, dachte ich, dann nehme ich mir mal die Studien vor. Ich kletterte über die Kartons bis zum Flur, wo ich meine Aktentasche mit den Dokumenten und meinen Rechner abgestellt hatte. WLAN sollte schon funktionieren, ebenso wie mein Telefonanschluss. Falls nicht, hatte ich noch mein Smartphone.

Kaum hatte ich das dicke Kissen im Rücken und auf einem meiner Umzugskartons ein Glas mit Prosecco abgestellt, öffnete ich meine Tasche. Merkwürdig, der Ordner mit den Studien fehlte, hatte ich den in der Agentur liegen lassen? Ich wühlte mich bis tief zum Boden der Tasche durch, als wenn sich der Ordner dort verstecken könnte. Meine Probepillen waren auch nicht mehr da, obwohl ich hätte schwören können, dass ich alles eingepackt hatte.

Ich nahm einen großen Schluck von dem kühlen Prosecco. Hatte etwa Karihm …? Nein, das war Blödsinn! Was sollte er mit den Sachen anfangen? Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr. Es war nach Mitternacht. In der Agentur war sicherlich niemand mehr, den ich fragen konnte. Das Beste war, erst einmal zu schlafen. Für alles andere war ich nun definitiv zu müde.

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Kapitel 4

Es hatte also angefangen. Und es ging viel schneller, als er erwartet hatte. Karihm schloss die geöffneten Dateien auf seinem Rechner und rollte mit dem Bürostuhl zurück. An seiner Ausrüstung hatten sie nicht gespart, an seiner Ausbildung ebenso wenig. Ihm fiel es leicht, sich in die meisten Studien einzuhacken, dennoch fehlten ihm die wichtigsten Fakten. Hoffentlich ergaben die Tests mehr. Doch da musste er abwarten, und das war etwas, was ihm nicht so lag.

Immerhin hatte er gestern Abend diese Frau kennengelernt und versucht, sich als netter Nachbar auszugeben. Und das lief einfacher, als er gedacht hatte. Sie war ganz niedlich, aber scheu und schien ihm nicht so recht über den Weg zu trauen. Auch das war perfekt, denn er verspürte keinerlei Bedürfnis, tiefer in ihr vergängliches Leben einzudringen als nötig. Es war ein Auftrag der Götter, einer unter vielen auf dieser Welt – mehr nicht. Wenn der Job erledigt war, würde er zurückkehren und die Menschen wieder sich selbst überlassen.

Letzte Nacht hatte er kein Auge zugemacht, aber er brauchte ohnehin nicht viel Schlaf. Karihm reckte sich, stand vom Stuhl auf und steuerte auf seine provisorische Küche zu. Auf den Kaffeevollautomaten hatte er bestanden. Seiner Meinung nach eine der besten Erfindungen der Menschheit. Er liebte dieses schwarze Getränk, aber nur, wenn es aus solchen Automaten kam.

Draußen wurde es langsam hell. Die Zeit drängte. Er musste an dieser Zarah dranbleiben, denn sie kam der Sache näher, als für sie gut war. Karihm sollte sie beobachten und notfalls beschützen, angeblich war sie die Schlüsselfigur. Nacheinander füllte er zwei große Becher mit dampfendem Kaffee.

Nur wenige Augenblicke später klopfte er wieder an ihrer Tür, dabei hielt er die Becher mit einer Hand an den Griffen fest. Karihm lauschte. In der Wohnung rührte sich nichts. Dass die Klingel nicht funktionierte, hatte er gestern schon festgestellt. Die Frau hatte einen tiefen Schlaf, also half nur die Faust, er steigerte das Klopfen zu einem Hämmern.

Leise Schritte erreichten die Tür, begleitet von einem wüsten Fluchen. »Verdammte Scheiße, kann man denn nie seine Ruhe haben. Wer ist da?«

Es wäre gelogen zu behaupten, dass Karihm keine Genugtuung verspürte. Sollte sie ruhig mitleiden, er hatte sich auch nicht gerade darum gerissen, diesen Job zu übernehmen. »Morgen«, rief er betont fröhlich. »Ich bin’s, dein Nachbar, Karihm. Wollte dir nur einen heißen Kaffee bringen.«

Die Tür wurde wütend aufgerissen. »Tickst du nicht richtig? Weißt du, wie spät es ist?«

»Hast du keine Uhr? Ich kann dir meine leihen …«

»Herrgott, ich meine, es ist mir egal, wie spät es ist. Es ist zu früh!«

Sie schien keinen Spaß zu verstehen. Amüsiert musterte Karihm ihre zarte Gestalt in einem lächerlich wirkenden T-Shirt mit einem Hello-Kitty-Aufdruck. Wirklich niedlich, gerade wenn sie wütend ist, dachte er.

»Hast du mir nicht gestern Abend erzählt, du hättest so viel zu tun, dass du vermutlich nicht mal ausschlafen könntest, obwohl du Urlaub hast?« Er reichte ihr den Kaffee, den sie verschlafen entgegennahm. Offensichtlich hatte sie die Sprache verloren. »Ich habe eine gute Nachricht für dich, dein Herrgott hat dich wohl erhört, denn mein letzter Arbeitsauftrag ist abgeschlossen, und dadurch habe ich Zeit, dir ein wenig zu helfen.«

In ihrem Gesicht zeichnete sich Verwirrung ab. Dann schien sie alle Hirnfunktionen einzuschalten und nachzudenken. »Warum machst du das? Kannst du nichts Besseres mit deinem Tag anfangen?«

»Ich mach das gern, so ein bisschen körperliche Betätigung tut gut. Noch dazu in so netter Gesellschaft …«

»Wie gesagt, versprich dir nichts von mir! Es gibt keine körperlichen Gegenleistungen. Vielleicht stehe ich ja auf Frauen oder auf bierbäuchige, ältere Männer.«

Karihm unterdrückte ein Grinsen. »Ist mir egal, auf wen du stehst. Ich bin relativ neu hier in der Stadt, und da ist eine … freundliche Nachbarin schon mehr, als ich erwartet habe.«

Sie sah ihn scharf an. Dachte die Kleine etwa, sie könnte seine Gedanken lesen? Das Ganze fing an, ihm Spaß zu machen.

»Also schön … wenn du unbedingt helfen willst, dann komm in einer Stunde wieder runter. Bis dahin habe ich geduscht.«

»Soll ich belegte Brötchen mitbringen?« Diese Frage war nicht ganz uneigennützig, denn inzwischen knurrte auch sein Magen.

Sie starrte ihn weiterhin ungläubig an. Dann nahm sie einen großen Schluck Kaffee und blickte etwas entspannter zu ihm auf. »Okay, aber die gehen dann auf meine Rechnung.«

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Kapitel 5

Die nächsten zwei Wochen vergingen wie im Flug. Karihm erwies sich als echte Nervensäge, aber auch als hilfsbereit, weshalb ich ihm die durchgehend laute Musik und das ständige Hämmern an meiner Tür verzieh. Leider hatte ich es immer noch nicht geschafft, die Reparatur der Klingel in Auftrag zu geben. Um nachts trotzdem schlafen zu können, hatte ich mir Ohrstöpsel besorgt. Ansonsten war ich sehr zufrieden mit meiner neuen Wohnung und mit dem Vorankommen der Renovierung. Meinen Job und RELAX hatte ich vollkommen verdrängt  – das gelang mir jedoch erst, nachdem mir Karihm den Tipp gegeben hatte, meine Telefone auf lautlos zu stellen. Abends checkte ich immer kurz die Anrufliste und hörte die Mailbox ab, aber die meisten Anrufe waren tatsächlich von meiner Agentur.

Karihm hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, mir jeden Morgen einen Kaffee herunterzubringen. Er besaß einen Kaffeevollautomaten, der sogar Cappuccino zaubern konnte. Ich fand zwar, dass der Kaffee gar nicht so genial schmeckte, wie er immer behauptete, genoss ihn aber trotzdem.

Selbst heute, an meinem ersten Arbeitstag nach dem Urlaub, ließ Karihm seinen Service nicht ausfallen. Diesmal wartete er sogar, bis ich den Kaffee ausgetrunken hatte.

»Tja, dann wünsche ich dir einen schönen Tag«, verabschiedete er sich und nahm den leeren Becher wieder mit. Dabei fiel mir ein, dass ich ihn immer noch nicht gefragt hatte, was er eigentlich beruflich machte. Ich war auch noch nie bei ihm oben gewesen. Das lag aber nur daran, dass er ständig bei mir unten war. Irgendwie schaffte er es, jedes Gespräch so zu drehen, dass es nur von mir handelte.

Im Laufe meiner Renovierung hatte ich Karihm schätzen gelernt. Er packte überall an, war sich für nichts zu schade, und außerdem war er ein begnadeter Handwerker. So konnte man sich also täuschen, mein erster Eindruck war ein vollkommen anderer gewesen. Ich hatte ihn für einen blasierten Aufreißertypen gehalten, der seine Freizeit in Fitnessclubs oder in irgendwelchen Szenelokalen verbrachte. Jede Nacht eine andere und so. Kein Tiefgang. Schöne Schale, null Innenleben. Aber seine Hilfsbereitschaft, Ausdauer und Zuverlässigkeit zeigten mir eine andere Seite. Und – das musste ich ihm lassen – er hatte mich nicht noch einmal angebaggert, nachdem wir das klargestellt hatten. Ich spürte zwar oft seinen Blick auf mir ruhen, aber er schien tatsächlich mit einer kameradschaftlichen Ebene einverstanden zu sein. Ich mochte mir gar nicht vorstellen, was ich ohne ihn gemacht hätte. Meine ursprüngliche Absicht, diesen Umzug und die Renovierung ganz allein schaffen zu können, erschien mir nun wie eine fixe Idee. Selbst mit Hilfe meiner Freundin Lily wäre es nicht leicht geworden. Doch leider war ihre Grippe ziemlich hartnäckig gewesen, so dass sie die ganzen letzten zwei Wochen im Bett bleiben musste.

 

Als ich etwas später mit meinem Smart in die Straße meiner Agentur einbog, überraschte mich der Anblick meines zweiten Chefs, Uwe, der doch tatsächlich schon um zehn Uhr morgens an mir vorbeijoggte. Und das, obwohl der Spruch »Sport ist Mord« quasi von ihm gepachtet war.

Kaum war ich in der Villa, traf ich auf Hardy Hardrock, der an mir vorbeiging, als wäre ich durchsichtig. Keine Küsschen und auch kein Gruß. Nicht, dass mir die Knutscherei fehlte. Aber kein Hallo nach zwei Wochen Urlaub war schon etwas merkwürdig. Da fiel mir ein, dass mein Team möglicherweise eingeschnappt war, weil ich nicht einmal zurückgerufen hatte. Na gut, da würde ich mir etwas einfallen lassen müssen.

Auf dem Weg in mein Büro ging ich noch bei Nadja vorbei, um mich zurückzumelden. Meine Chefin saß an ihrem Computer und tippte ungewöhnlich schnell auf die Tasten ein, normalerweise übergab sie längere Texte immer unserer Sekretärin.

»Hi, Nadja«, begrüßte ich sie. »Ich bin wieder da! Wie ist es hier denn gelaufen?«

Nadja war so in ihren Text vertieft, dass ich einen zweiten Anlauf brauchte. Dann erst blickte sie über ihren Flachbildschirm hinweg direkt in mein Gesicht.

»Hallo«, warf sie mir zu, um gleich darauf wieder weiterzuschreiben.

»Hey, was ist denn das für eine Begrüßung? Seid ihr alle sauer auf mich? Hör mal, ich bin fast umgekommen bei der Renovierung. Bis heute bin ich nicht ganz fertig geworden.«

Nadja hörte auf zu tippen und sah mich ratlos an. »Hm, bist du nicht?« Sie wedelte fahrig mit der Hand. Sie schien mir überhaupt nicht zuzuhören.

Langsam wurde ich gereizt. »Ihr solltet mich schon auf den Stand der Aufträge bringen, oder? Wie weit seid ihr mit RELAX? Was kann ich tun? Hat irgendwer diese Pillen mal länger durchgehend genommen?«

Nadja horchte kurz auf. Dann murmelte sie: »Du hast den Arbeitsverlauf auf deinem Rechner. Wir machen das alle synchron. Lies dich ein, dann weißt du alles.« Dann tippte sie weiter, als würde es mich nicht mehr geben.

Verdammt, die war sauer! Anders konnte ich mir das nicht erklären. Na gut, dann würde ich mich da eben einlesen. Meinen ersten Arbeitstag hatte ich mir anders vorgestellt.