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Ausgehend vom Nahost-Konflikt untersucht Rainer Schreiber die Sackgasse religiöser und nationaler Identitäten. Der Zionismus und die Idee eines "jüdischen Volkes" dienen ihm als Beispiel, um das Problem zu verdeutlichen. Denn so nachvollziehbar im historischen Kontext des Antisemitismus die Überlegungen waren, einen Staat der Juden zu gründen und mit einer kollektiven Identität auszustatten, so verständlich die Entstehung des Zionismus in der historischen Perspektive ist - wie jede nationale Ideologie schließt er die nicht zu seinem behaupteten Kollektiv Gehörigen prinzipiell aus, was einer friedlichen Lösung des Nahost-Konflikts letztlich entgegensteht. Schreiber hingegen plädiert - insbesondere, aber nicht nur in Hinblick auf die Situation in Israel und Palästina - für die Überwindung des Denkens in nationalen und religiösen Rastern: "Gerade die jüdische Denktradition mit ihrem staatskritischen Internationalismus und Humanismus wäre dazu allemal in der Lage, wovon zahlreiche Intellektuelle jüdischer Herkunft auch heute beredt Zeugnis ablegen."
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Veröffentlichungsjahr: 2014
Rainer Schreiber
Religion, Volk, Identität?
Das Judentum in der Sackgasse des modernen Nationalismus
Alibri
2014
Rainer Schreiber, geboren 1955, Studium der Soziologie, VWL, Politik und Pädagogik. Arbeitet in der beruflichen Bildung und Bildungsforschung; diverse Lehraufträge für Sozialpolitik und Sozialmanagement. Veröffentlichungen zum Management Sozialer Organisationen, demographischen Wandel und zur regionalen Wirtschaftspolitik.
Alibri Verlag
www.alibri.de
Aschaffenburg
Mitglied in der Assoziation Linker Verlage (aLiVe)
1. Auflage 2014
Copyright 2014 by Alibri Verlag, Postfach 100 361, 63703 Aschaffenburg
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdruckes, der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung von Mikrofilmen, der Einspeicherung in elektronische Systeme sowie der Übersetzung vorbehalten.
Umschlaggestaltung: Claus Sterneck
ISBN 978-3-86569-714-1
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
A. Nationalismus, Antisemitismus, Zionismus: die Entwicklung der „Judenfrage“ in der Moderne zwischen Massenmord und völkischer Identität
Der Ausgangspunkt: Araber gegen Israelis, Israelis gegen Araber – eine unendliche Geschichte?
Die Idiotie rassistischen Denkens: Sie sind so, weil sie so sind
Identität als soziale Konstruktion
Der Weg der Juden in die Moderne: Assimilierung, Konversion, Religionskritik
Ein jüdisches Volk: Nationalismus und fiktive Gemeinsamkeiten
Die Arbeiterbewegung: Staatsgläubigkeit statt Internationalismus
Der „ewige Jude“: Völkischer Antisemitismus und missglückte Assimilation
Nationalsozialismus und Holocaust: Der Gipfelpunkt des rassistischen Wahns
Exkurs: Allgemeine Bedingungen der Entfesselung moderner politischer Massenmordprogramme
Ökonomie und rassistischer Staat: staatlich gelenkter Kriegskapitalismus statt marktorientierter Konkurrenzstrategie51
Die Überlebenden des Holocaust gründen einen eigenen Nationalstaat: der Zionismus als völkisch-nationalistische Alternative zur Diaspora
Die USA – das zentrale politische Subjekt des „Nahost-Konflikts“
B. Nationalismus, Antisemitismus, Zionismus: die Sackgasse fiktiver Identitäten setzt sich in der aktuellen Debatte fort
Die deutsche Antisemitismus-Debatte: Grass, Augstein, U-Boote und beinahe ein Beschneidungsverbot
Das Grass-Gedicht: Parteilichkeit als Elementarform der Dummheit
„Wider das Identitätsgetue“: Zur Kritik eines naturalistischen Identitätsbegriffs
Jenseits religiöser und nationaler Identität: Humanismus und Aufklärung als Bedingungen eines neuen „Nahen Ostens“
Anmerkungen
Literatur
Vorwort
Kein Tag vergeht, an dem nicht der israelisch-palästinensische Konflikt, die kriegsträchtige Situation im Nahen Osten und die Rolle, die die verfeindeten Seiten und ihre jeweiligen „Schutzmächte“ dabei einnehmen, im Fokus der Medien stehen. Und damit nicht genug: Sachliche Einlassungen über Grund, Verlauf, Mittel und Kernpunkte des wohl beharrlichsten politisch-militärischen Spannungsherds der Nachkriegszeit verfügen dabei eher über Seltenheitswert; stattdessen findet man zumeist klare Bekenntnisse zu Israel bei den Einen, lautstarke Unterstützung für die „palästinensische Sache“ bei den Anderen. Die zentralen politischen Akteure der involvierten Konfliktparteien schieben sich in schöner Regelmäßigkeit gegenseitig die Schuld an ihren wechselseitigen Gewalttaten zu, die immer nur bei der Gegenseite so heißen dürfen. Israel wie die diversen palästinensisch-arabischen Gruppen greifen auf das ganze Arsenal der ihnen zur Verfügung stehenden Machtmittel zurück – auf eine schlagkräftige Militärmacht die Einen, auf Straßenkampf, Raketen und Terror die Anderen –, mit denen sich alle natürlich stets nur verteidigen. Die zirkuläre Begründung der Anwendung von Gewalt als nie enden wollendes Reaktionsschema auf die Aktionen der Gegenseite, die von dieser wiederum als Reaktion auf die Aktionen des jeweiligen Gegenspielers legitimiert werden, schafft eine zeitlich wie sachlich grenzenlose Gewaltspirale, deren Trost- und Ausweglosigkeit die Militanz der Protagonisten nur zu befeuern scheint.
Im demokratischen Nachkriegsdeutschland als dem Land, dessen politischer Rechtsvorgänger, der nationalsozialistische Staat, für den millionenfachen Massenmord an den europäischen Juden verantwortlich zeichnete, kommt noch die Schwierigkeit hinzu, dass die Debatte über Israel, ist sie erst einmal unter nationale Vorzeichen gesetzt, zwischen den Extremen einer schuldbewussten Verteidigung von dessen Politik ohne Wenn und Aber und, am anderen Ende des Spektrums, antisemitischen Tiraden über die Juden, die wohl nie Ruhe geben könnten, oszilliert.
Im Kontrast hierzu bemüht sich der vorliegende Text, die gegenwärtige Situation im Nahen Osten ebenso wie die Eigentümlichkeiten der permanenten deutschen Debatte über Vergangenheit und Gegenwart des deutschen Verhältnisses zu „den“ Juden im historischen Kontext zu analysieren und zu begreifen, aber auch die Ideologien zu kritisieren, die das Verhältnis der Nationalstaaten der Neuzeit zu den Juden geprägt haben: Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus werden kritisch gewürdigt und auf ihre charakteristische, fehlerhafte Logik hin untersucht. Dies schließt eine kritische Betrachtung des Zionismus ein, der zwar als aus dem historischen Kontext heraus praktisch nachvollziehbare Reaktion auf die mörderischen nationalistischen Feindseligkeiten gegenüber den Juden erscheint, die schließlich im Holocaust gipfelten, dennoch als theoretische Position, als Ideologie eines genuin jüdischen Staatsvolks, auf die Konzepte und Fehler seiner Feinde zurückgreift, was das Zusammenleben im Nahen Osten nicht gerade erleichtert. Dass sich beide Seiten inzwischen eines lebhaften religiösen Fanatismus befleißigen, verkompliziert die Sache zusätzlich, da die religiöse „Aufladung“ an sich schon emotionalisierter Ansprüche die irrationale Immunisierung gegen das Denken, die alle Varianten nationalistischer Begeisterung ausmacht, weiter nährt und anstachelt.
Die kritische Betrachtung der gemeinschaftstümelnden Ideologien schließt mit der Kritik der identitären Selbstmodelle ab, die, ganz entgegen den Erkenntnissen der Sozial- und Naturwissenschaften der Neuzeit, in den Köpfen der modernen Menschen immer noch herumzuspuken scheinen. Das „Identitätsgetue“ (Leon Wieseltier) verunmöglicht es Leuten unterschiedlicher Biographie, in der ebenso zufälligen Eigenart des jeweils Anderen gemeinsame humane Lebensbezüge zu entdecken; stattdessen werden zufällige äußerliche oder gar ihnen politisch zugefallene bis aufgezwungene Gemeinsamkeiten zu unverrückbaren Identitäten verklärt, die Abgrenzung, wenn nicht Feindschaft begründen sollen. Genau dagegen zieht diese Streitschrift zu Felde. Der aufklärerische Impetus, der dem Traktat zu Grunde liegt, schließt die eine oder andere Polemik ein – der daraus resultierende Disput ist durchaus erwünscht, wird also erhofft.
A. Nationalismus, Antisemitismus, Zionismus: die Entwicklung der „Judenfrage“ in der Moderne zwischen Massenmord und völkischer Identität
Der Ausgangspunkt: Araber gegen Israelis, Israelis gegen Araber – eine unendliche Geschichte?
„Die“ Israelis fühlen sich bedroht. Von „den“ Arabern, die ihnen, im Unterschied zu sich selbst, nicht als legitime Bewohner von „Eretz Israel“ gelten – einem Landstrich, den ihnen Gott persönlich vermacht haben soll. Zwar glaubt dies wohl nur der religiöse Teil der israelischen Bevölkerung. Dennoch beruht die Staatsräson der israelischen Politik von Beginn an auf diesem überhistorischen Rechtsanspruch, der sich in der Gründungsphase Israels in einer offensiven Ansiedlungspolitik, seit der Eroberung von Westjordanland und Gazastreifen auch in der permanenten rücksichtslosen Erweiterung des Siedlungsbaus über die ursprünglichen israelischen Grenzen hinaus niederschlägt, wie die deutsch-israelische Zeithistorikerin Tamar Amar-Dahl konstatiert: „Zusammen mit dem religiösen Zionismus verfolgten alle israelischen Regierungen seit der Staatsgründung die zionistischen Aufgaben der Eroberung und Besiedlung des als jüdisch begriffenen Landes mit der inzwischen bekannten offensiven Sicherheitspolitik.“
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