Religionsökonomie - Maren Freudenberg - E-Book

Religionsökonomie E-Book

Maren Freudenberg

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  • Herausgeber: UTB
  • Kategorie: Fachliteratur
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Die vielfältigen Zusammenhänge zwischen Religion und Wirtschaft verstehen Religion und Wirtschaft stehen seit jeher in einer engen Wechselbeziehung. Diese beleuchten Maren Freudenberg und Kianoosh Rezania detailliert aus religionswissenschaftlicher und ökonomischer Perspektive: Sie zeigen theoretische Ansätze und empirische Forschungsmethoden auf, die eine Brücke zwischen den beiden Disziplinen schlagen. Besonders gehen sie auf religiöse ökonomische Ethiken und deren sozioökonomische Auswirkungen, auf Religionen als ökonomische Akteure und auf neuere Weiterentwicklungen theoretischer Ansätze ein. Zahlreiche Leitfragen, Definitionen und Diskussionsfragen helfen beim Verständnis. Das Buch richtet sich an Studierende und Dozierende der Religionswissenschaft und der Wirtschafts- sowie Sozialwissenschaften.

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Seitenzahl: 547

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Maren Freudenberg / Kianoosh Rezania

Religionsökonomie

Einführung für Studierende der Religionswissenschaft und Wirtschaftswissenschaften

UVK Verlag · München

Umschlagabbildung: © tawanlubfah · iStockphoto

Autorinnenfoto Maren Freudenberg: © Ruhr-Universität Bochum, S. Finke

Autorenfoto Kianoosh Rezania: © Ruhr-Universität Bochum, K. Marquard

 

DOI: https://doi.org/10.36198/9783838559124

 

© UVK Verlag 2023— ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich.

 

Internet: www.narr.deeMail: [email protected]

 

Einbandgestaltung: siegel konzeption | gestaltung

 

utb-Nr. 5912

ISBN 978-3-8252-5912-9 (Print)

ISBN 978-3-8463-5912-9 (ePub)

Inhalt

Vorwort1 Religionsökonomie: Eine Einleitung1.1 Zusammenhänge zwischen Religion und Wirtschaft1.2 Historische Entwicklung der Kerndisziplinen der Religionsökonomie1.2.1 Religionswissenschaft1.2.2 Ökonomie1.3 Geschichte und Zweige der Religionsökonomie1.3.1 Die Geschichte der Religionsökonomie1.3.2 Zweige der Religionsökonomie1.4 Gliederung des Lehrbuchs1.5 Weiterführende Literatur2 Einführung in Gegenstand und Methoden der Religionswissenschaft2.1 Religion und Religionswissenschaft2.1.1 Was ist Religion?2.1.2 Was ist Religionswissenschaft?2.2 Zwei zentrale religionssoziologische Paradigmen2.2.1 Die Säkularisierungsthese2.2.2 Die Individualisierungs- und Privatisierungsthese2.3 Qualitative Forschungsmethoden2.3.1 Forschungsdesign2.3.2 Datenerhebung2.3.3 Datenauswertung2.4 Quantitative Datenanalyse2.5 Weiterführende Literatur3 Einführung in Gegenstand und Methoden der Mikroökonomie3.1 Einleitung3.2 Theorie des Haushaltes3.2.1 Budget und Restriktion3.2.2 Präferenzen und Indifferenzkurve3.2.3 Marginalanalyse3.2.4 Nutzenfunktion und Grenznutzen3.2.5 Der Haushalt und seine optimale Entscheidung3.3 Unternehmen und Produktion3.4 Angebot und Nachfrage auf dem Markt3.4.1 Angebot und Nachfrage3.4.2 Das Marktmodell3.5 Weiterführende Literatur4 Religiöse ökonomische Ethik und sozioökonomische Auswirkungen4.1 Religiöse ökonomische Ethik: Ausgewählte Beispiele4.1.1 Steuern und Zinsverbot im Islam4.1.2 Fromme Stiftungen im Islam und Zoroastrismus4.1.3 Das Verbot des Wirtschaftsbetrugs im Judentum4.1.4 Christliche Wirtschaftsethiken4.1.5 Das Besitzverbot im Buddhismus4.2 Sozioökonomische Auswirkungen religiös-ökonomischer Gebote4.2.1 Auswirkungen des Protestantismus in der westlichen Welt4.2.2 Auswirkungen des Islam im Nahen Osten4.3 Weiterführende LiteraturReligiöse ökonomische EthikSozioökonomische Auswirkungen religiös-ökonomischer Gebote5 Religionen als ökonomische Akteure5.1 Die Finanzierung religiöser Organisationen5.1.1 Klassifikationen der Finanzierung von Religion5.1.2 Tempelökonomie5.1.3 Wertvernichtung5.1.4 Investition der Produzenten5.2 Ökonomische Modellierung religiöser Phänomene5.2.1 Mikroebene5.2.2 Mesoebene5.3 Vermarktung von Religion5.3.1 Religiöse Wirtschaftsstrategien in der Konsumkultur5.3.2 Entwicklung von Religion im Neoliberalismus5.4 Weiterführende LiteraturFinanzierung religiöser OrganisationenÖkonomische Modellierung religiöser PhänomeneVermarktung von Religion6 Marktmodelle der Religion6.1 Der economics of religion-Ansatz6.1.1 Ökonomische Grundlage: Die rational choice-Theorie6.1.2 Elemente des economics of religion-Ansatzes6.1.3 Entwicklung des economics of religion-Ansatzes6.1.4 Kritik am economics of religion-Ansatz6.2 Die Feldtheorie und die „Ökonomie des Heilsgeschehens“6.3 Religiöse Güter und religiöse Märkte6.4 Weiterführende LiteraturDer economics of religion-AnsatzDie Feldtheorie und die „Ökonomie des Heilsgeschehens“Religiöse Güter und religiöse Märkte7 Weiterentwicklungen des Homo oeconomicus-Ansatzes7.1 Die Verhaltensökonomie7.1.1 Einführung7.1.2 Typische Experimente der Verhaltensökonomie7.2 Die Neue Institutionenökonomik7.2.1 Sozialwissenschaftliche Grundlage: Der Neo-Institutionalismus7.2.2 Religion und die Neue Institutionenökonomik7.3 Weiterführende LiteraturVerhaltensökonomieNeue InstitutionenökonomikLiteraturverzeichnisRegister

Vorwort

Im Sommersemester 2022, als wir zuletzt das Seminar „Grundlagen der Religionsökonomie“ am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien (CERES) der Ruhr-Universität Bochum unterrichtet haben, haben wir große Teile des Manuskripts dieses Lehrbuchs als work-in-progress von unseren Studierenden lesen und kritisch kommentieren lassen. Für ihre Rückmeldungen sind wir den Kursteilnehmenden ebenso dankbar wie diversen Kollegen und Kolleginnen, die Unterkapitel oder Abschnitte aufmerksam gegengelesen und uns wertvolle Hinweise und Anregungen gegeben haben. Danken möchten wir insbesondere Julio R. Robledo, Mikroökonom an der Ruhr-Universität Bochum, und André Kastilan, Sozialwissenschaftler an der Ruhr-Universität Bochum, für die Zeit, Sorgfalt und andauernde Unterstützung bei den Korrekturschleifen der Textteile mit Bezug auf Ökonomie und quantitative Methoden. Unserer studentischen Hilfskraft Allegra Goldstrass sind wir ebenfalls zu besonderem Dank verpflichtet: Ihre sorgfältige sprachliche Korrektur und ihre inhaltlichen Hinweise waren sehr hilfreich. Danken möchten wir darüber hinaus unseren geschätzten Kolleginnen und Kollegen am CERES für wertvolle Anregungen und konstruktive Kritik: Iris Colditz, Anna Kira Hippert, Volkhard Krech, Jonna-Margarethe Mäder, Jens Schlamelcher, Dunja Sharbat Dar und Jan-Ulrich Sobisch. Ferner sind wir Martin Lutz, Wirtschaftshistoriker an der Humboldt-Universität zu Berlin, sowie Michael Kleinod, Soziologe und Ethnologe an der Universität Köln, für ihr offenes Ohr und ihren kritischen Blick sehr dankbar. Auch die Vorstellung und kritische Diskussion der Lehrbuchstruktur in einem frühen Stadium im Rahmen eines Workshops des Arbeitskreises Religion und Wirtschaft (CERES, HU Berlin und zahlreiche weitere Beteiligte) war für die Entwicklung des Bandes außerordentlich hilfreich.

Hinweis | Gendern

Ein Thema möchten wir vorab explizit ansprechen: das Gendern. Die Auseinandersetzung mit dem Umgang mit gendergerechter Sprache war für uns vor dem Hintergrund aktueller und berechtigter Debatten ein langer, lehrreicher Weg. Als wir Anfang 2021 mit der Arbeit am Lehrbuch begannen, hatten wir die Idee, durchweg das generische Femininum, stellvertretend für alle Geschlechter, zu verwenden – denn Sprache hat Macht und kann Gesellschaften verändern, auch in Bezug auf Geschlechterwahrnehmungen. Nach dem Verfassen von zwei Kapiteln wurde aber klar, wie problematisch die Verwendung des generischen Femininums sein würde, da man sinnvoll natürlich nur dann gendern kann, wo tatsächlich Personen gemeint sind. Spricht man aber von abstrakten Kategorien, z. B. von Haushalten oder Unternehmen als Akteuren, so ist das Femininum „Akteurinnen“ unsinnig, da Haushalte und Unternehmen keine Personen sind. Daraufhin entschieden wir uns, nur diejenigen Nomen zu gendern, die auf Personen verweisen, und alle anderen Nomen nicht zu gendern. Zwei weitere Kapitel schrieben wir auf diese Weise und stellten fest, dass diese Unterscheidung den Text deutlich verwirrender machte als notwendig. Dieses Feedback bekamen wir auch von unseren Studierenden: Der Großteil meldete uns nach der Lektüre der Kapitelentwürfe zurück, dass Gendersternchen und Mehrfachnennung verschiedener Geschlechter beim Lesen zu sehr von den Inhalten abgelenkt hätten. Zuletzt haben wir uns des Sprachflusses wegen entschieden, in diesem Lehrbuch das übliche generische Maskulinum, stellvertretend für alle Geschlechter, zu verwenden. Bei konkreten Beispielen überlassen wir dafür Frauen den Vortritt. Diese Lösung ist sicherlich nicht optimal, wird der Aufgabe dieses Lehrbuchs – nämlich der Wissensvermittlung zum Thema Religionsökonomie – aus unserer Perspektive aber am besten gerecht. Wir haben das sprachliche Gendern im hiesigen Rahmen also aufgegeben, nicht aber unser Engagement für die Geschlechtergleichstellung.

1Religionsökonomie: Eine Einleitung

Leitfragen des Kapitels

Was ist Religion? Was ist Wirtschaft? Wie hängen diese beiden Bereiche der Gesellschaft zusammen?

Was ist die Religionswissenschaft? Was ist die Ökonomie? Wie hängen diese beiden Bereiche der Wissenschaft zusammen?

Wie haben sich die Kerndisziplinen der Religionsökonomie, die Religionswissenschaft und die Ökonomie, fachgeschichtlich entwickelt?

Wie hat sich die Religionsökonomie fachgeschichtlich entwickelt und was sind ihre zentralen Zweige?

Wie ist das vorliegende Lehrbuch gegliedert und zu nutzen?

Dieses Lehrbuch richtet sich einerseits an Studierende und Lehrende der ReligionswissenschaftReligionswissenschaft, die sich für Wirtschaft, Ökonomie (Wirtschaftswissenschaft) und wirtschaftswissenschaftliche Forschungsweisen mit Blick auf Religion interessieren. Andererseits richtet es sich an Studierende und Lehrende der Ökonomie, die sich für Religion und Religionswissenschaft aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive interessieren. Das Lehrbuch zielt also darauf ab, die beiden Disziplinen Religionswissenschaft und Ökonomie näher zusammenzubringen, indem es jeweils knapp in sie einführt und die Religionsökonomie als Schnittstelle zwischen den beiden mit ihren verschiedenen Perspektiven und Schwerpunkten vorstellt. 

In dieser Einleitung erläutern wir zu Beginn die beiden zentralen Begriffe Religion und Wirtschaft (→ Kapitel 1.1). Es folgt ein knapper Überblick über die historische Entwicklung der Religionswissenschaft einerseits (→ Kapitel 1.2.1) und der Ökonomie andererseits (→ Kapitel 1.2.2) als die beiden Kernfächer der Religionsökonomie. Sodann führen wir in die Religionsökonomie als eigenständige Disziplin ein, indem wir sowohl ihre Geschichte skizzieren (→ Kapitel 1.3.1) als auch ihre unterschiedlichen Zweige vorstellen (→ Kapitel 1.3.2). Zuletzt wird die Gliederung des Lehrbuchs zur Orientierung für unsere Leserschaft erläutert (→ Kapitel 1.4).

1.1Zusammenhänge zwischen Religion und Wirtschaft

Was hat Religion mit Wirtschaft zu tun? Welche Zusammenhänge gibt es zwischen diesen beiden Bereichen der Gesellschaft? Antworten auf diese Fragen fallen sehr vielfältig aus, da die Verbindungen komplex und verflochten sind. Deswegen ist es wichtig, zuerst zu klären, was mit Religion und was mit Wirtschaft gemeint ist.

In diesem Lehrbuch werden ReligionReligion und WirtschaftWirtschaft als zwei ausdifferenzierte gesellschaftliche TeilsystemeTeilsystem, gesellschaftliches verstanden. Moderne Gesellschaften zeichnen sich durch die zunehmende Differenzierung von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Gesundheit, Recht, Religion, und anderen Feldern aus; es handelt sich hierbei um jeweils separate Teilsysteme oder Handlungssphären, die nach eigenen Logiken und Rationalitäten funktionieren (→ Kapitel 2.1 und 2.2). Diese Perspektive beruht auf der vom deutschen Soziologen Niklas Luhmann entwickelten Systemtheorie, in die wir hier nur oberflächlich einführen können. Luhmann geht von sozialen Teilsystemen als Kommunikationssysteme aus, die sich jeweils einem bestimmten Gegenstand bzw. einer bestimmten Aufgabe widmen; dies ist ihre gesellschaftliche Funktion.

Die Aufgabe des TeilsystemsTeilsystem, gesellschaftliches Religion sei die Bewältigung von KontingenzKontingenzbewältigung, d. h., Erklärungen dafür zur Verfügung zu stellen, warum die Welt so ist, wie sie ist, und nicht anders (Luhmann 2002). Das Teilsystem Religion beziehe sich in seiner Kommunikation dabei auf den binären Code ImmanenzImmanenz/TranszendenzTranszendenz – es verweise also auf das, was beobachtbar, greifbar, bekannt (immanent) sei, aber auch auf das, was unbeobachtbar, un(be)greifbar, unbekannt (transzendent) sei. Zum Beobachtbaren und Greifbaren gehören z. B. religiöse Rituale und Artefakte; man denke an hinduistische Pujas, aufwendige Tempelrituale mit ihren Götterstatuen, Öllampen, Opfergaben und vielem mehr. All diese Dinge verweisen jedoch auf das Unbeobachtbare, Unbekannte, Transzendente im hinduistischen Glaubenssystem, also die Vielzahl von Göttern und Göttinnen, an welche die Anhänger glauben und welche sie verehren. Religion ist in dieser Perspektive überall auffindbar, wo mit immanenten Mitteln auf das Transzendente verwiesen wird – mit anderen Worten, wo über die Unterscheidung zwischen Transzendenz und Immanenz kommuniziert wird. Wie wir in diesem und im folgenden Kapitel für Einsteiger in die Religionswissenschaft erläutern, geht es dabei nicht um Werturteile über Religion oder über den Wahrheitsgehalt verschiedener Religionen; diese Fragen sind religiöse und theologische und können nur von Religionen selbst, nicht aber der Wissenschaft, beantwortet werden. Aus differenzierungstheoretischer Sicht gehen wir von Religion als gesellschaftlichem Teilsystem aus, das durch Kommunikation über ImmanenzImmanenz und TranszendenzTranszendenz, über das Beobachtbare und das Unbeobachtbare, Kontingenzbewältigung leistet.

Religion

Religion ist ein gesellschaftliches Teilsystem, das durch die Kommunikation über das Immanente und das Transzendente Kontingenzbewältigung leistet.

Die WirtschaftWirtschaft ist mit Luhmann ebenfalls ein aus Kommunikation bestehendes soziales Teilsystem, das seinerseits mit dem Lösen wirtschaftlicher Probleme betraut ist (Luhmann 1994). Der binäre Code des Teilsystems Wirtschaft lautet Zahlung/Nichtzahlung – es verweist also auf finanzielle Transaktionen (bzw. andere Formen des Austauschs). Das Bezahlen an der Supermarktkasse und die monatliche Überweisung eines bestimmten Betrags auf ein Sparkonto gehören also gleichermaßen zum Teilsystem Wirtschaft wie ein spontaner Kauf auf dem Flohmarkt und das Überziehen des Girokontos vor Monatsende; Letzteres ist ein Beispiel für Nichtzahlung, da nicht genug Geld auf dem Konto vorhanden ist und die Bank einspringen muss. Wirtschaft finden wir in dieser Perspektive also immer dort vor, wo es um Finanz- und Warentransaktionen geht, ob seitens großer DAX-Konzerne oder im mittelalterlichen Marktsetting. Wichtig ist dabei, dass das Teilsystem Wirtschaft nicht auf die Mikroebene, also einen einzigen Haushalt oder ein Unternehmen, zu beschränken ist, sondern auf der Makroebene das Wirtschaften ganzer Gesellschaften ausmacht (s. → Kapitel 3.1 zur Unterscheidung zwischen Mikro- und Makroökonomie).

WirtschaftWirtschaft und ÖkonomieÖkonomie

Wirtschaft ist ein gesellschaftliches Teilsystem, das durch die Kommunikation über Zahlung bzw. Nichtzahlung das Lösen wirtschaftlicher Probleme zur Aufgabe hat.

Wir verwenden in diesem Lehrbuch die Bezeichnung „Ökonomie“ für die Wirtschaftswissenschaft, die wissenschaftliche Disziplin, die sich mit der Wirtschaft beschäftigt. Wenn wir nicht auf die Disziplin, sondern auf ihren Gegenstand verweisen, sprechen wir von der Wirtschaft.

In der Systemtheorie Luhmanns sind Teilsysteme selbstreferentiell, d. h. auf sich bezogen; sie reduzieren KomplexitätKomplexitätsreduktion durch Abgrenzung zur Umwelt. Gleichzeitig beeinflussen sie sich im Zuge der eigenen Entwicklung aber gegenseitig. Als Beispiel können wir den Wandel von Tauschhandel hin zu Geldtransaktionen im Teilsystem Wirtschaft nehmen. Als im Laufe der Geschichte monetäre, d. h. auf Geld beruhende, Zahlungssysteme den Tauschhandel ablösten, hatte dies auch auf andere gesellschaftliche Teilsysteme eine Auswirkung. Religiöse Akteure waren zunehmend auf das Erwirtschaften von Geld als Einkommen angewiesen, um sich finanzieren zu können, d. h. Gebäude und Ländereien, aber natürlich auch Personal zu unterhalten. Eine Tempelanlage, eine Synagoge, eine Kirche oder eine Moschee ist eine religiöse Organisation, gleichzeitig macht sie aber auch eine wirtschaftliche Einheit aus. In welchem Teilsystem, ob Religion oder Wirtschaft, sie sich zu einem gegebenen Zeitpunkt bewegt, hängt vom Gegenstand der Kommunikation ab. Geht es um Seelenheil im Jenseits, also um eine Art von Kontingenzbewältigung,Kontingenzbewältigung haben wir es mit Religion zu tun. Geht es um das Begleichen von Rechnungen und das Vermeiden von unnötigen Kosten und sogar Schulden, haben wir es mit dem Teilsystem Wirtschaft zu tun.

Grundlegende Begriffe: OrganisationOrganisation und InstitutionInstitution

Eine Organisation ist eine bestimmte Sozialform, also ein Rahmen, innerhalb dessen Individuen agieren (zu Sozialformen s. → Kapitel 6.1.2). Organisationen sind hierarchisch gegliederte SozialverbändeSozialverband, die Mitglieder sachlich einbeziehen und von formalisierten Interaktionsregeln geprägt sind.

Der amerikanische Ökonom Douglass C. North definiert Institutionen als die „Spielregeln“ einer Gesellschaft (1990). Damit sind formelle und informelle Handlungsbeschränkungen gemeint. Auf diesen sehr breiten Institutionenbegriff kommen wir in diesem Lehrbuch immer wieder zurück, insbesondere, wenn wir von religiösen InstitutionenInstitutionreligiöse sprechen.

Die Unterscheidung zwischen dem Teilsystem Religion und dem Teilsystem Wirtschaft ist freilich eine analytische – in der Realität sind es oft dieselben Menschen bzw. dieselben Organisationen, die zwischen beiden (und anderen Teilsystemen) kommunikativ hin- und herwechseln. Die analytische Trennung zwischen Religion und Wirtschaft ermöglicht es uns, relativ genau festzulegen, worauf wir mit den Begriffen „Religion“ und „Wirtschaft“ jeweils verweisen. Das wiederum erleichtert die Untersuchung der empirischen Realität. Stellen wir uns als Beispiel eine christliche Kirche vor, vor deren Pforten eine große Anzahl an Menschen Almosen erbittet, weil sie aufgrund niedriger Löhne und steigender Lebenskosten in zunehmender Armut lebt. Im Sinne des religiösen GebotsGebot der Nächstenliebe müsste die Kirche den Bittstellern ihren theologischen Dogmen der Barmherzigkeit gemäß helfen. Gleichzeitig sieht sie sich mit der Tatsache konfrontiert, dass sie selbst über begrenzte Ressourcen verfügt und auf eine stabile finanzielle Basis angewiesen ist, um zu überleben und auch in Zukunft für ihre Mitglieder da zu sein. Aus systemtheoretischer Perspektive wird an dieser Stelle deutlich, wo wir es mit Religion und wo wir es mit Wirtschaft zu tun haben: Die Spannungen zwischen den Eigenlogiken der beiden Teilsysteme, Kontingenzbewältigung im Teilsystem Religion einerseits („Wie kann den Bittstellern der Grund für ihre Armut theologisch erklärt und ihnen im Sinne des Glaubens geholfen werden?“) und Lösung von Wirtschaftsproblemen im Teilsystem Wirtschaft andererseits („Wie kann das Überleben der Kirche gesichert werden, um langfristig zu bestehen?“) sind ersichtlich. Da die Kirche in dieser Sichtweise zwangsläufig Teil beider Teilsysteme ist, kann es keine absolut zufriedenstellende Lösung, sondern nur einen Kompromiss geben (z. B. die geistig-emotionale Betreuung der Bittsteller statt finanzieller Unterstützung).

Hiermit haben wir die analytische Grundlage für die weitere Erörterung der Zusammenhänge zwischen Religion und Wirtschaft geschaffen. Nun wenden wir uns der Entwicklung der Religionswissenschaft einerseits und der Ökonomie andererseits als Kerndisziplinen der Religionsökonomie zu.

1.2Historische EntwicklungReligionsökonomiehistorische Entwicklung der KerndisziplinenReligionsökonomieKerndisziplinen der Religionsökonomie

Die Religionsökonomie stellt die SchnittstelleSchnittstelle zwischen ReligionswissenschaftReligionswissenschaft und ÖkonomieÖkonomie dar. Die historische Entwicklung dieser beiden Kerndisziplinen kann hier nur sehr knapp skizziert werden; interessierte Leser seien auf die zitierten Standard- und Überblickswerke verwiesen, um sich jeweils detaillierter einzulesen.

1.2.1Religionswissenschaft

Die moderne Religionswissenschaft ist aus der ReligionskritikReligionskritik der AufklärungAufklärung entstanden. Denker wie Immanuel Kant, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Ludwig Feuerbach und Karl Marx stellten Religion aus unterschiedlichen Perspektiven in Frage, da sie sie nicht mit der in der Aufklärung so zentralen Idee der Vernunft in Einklang bringen konnten. Aus der Religionskritik heraus entwickelte sich die ReligionsphänomenologieReligionsphänomenologie, die im Gegensatz zu religionskritischen Perspektiven bestrebt war und ist, das „Wesen“ der Religion zu entdecken. Sie stellt substanzielle Definitionen von Religion bereit, indem sie Religion über ihre Gottheiten und Vorstellungen des Heiligen definiert. Damit stellt sie eine von mehreren Reaktionen auf die Religionskritik dar; weitere sind z. B. die historisch-kritische Methode der Bibelexegese und der religiöse Fundamentalismus. Klassische Vertreter der Religionsphänomenologie sind u. a. Friedrich Schleiermacher (1768–1834), Rudolf Otto (1869–1937), dessen Werk Das Heilige (1917) zu den einflussreichsten religionswissenschaftlichen Veröffentlichungen des 20. Jahrhunderts zählt, und Mircea Eliade (1907–1986). Die Religionsphänomenologie erfährt heute ihrerseits grundlegende Kritik, da ihre Wissenschaftlichkeit angezweifelt wird: Auf ihrer Suche nach dem „Wesen“ der Religion läuft sie selbst Gefahr religiöse Aussagen zu machen.

Die PhilologiePhilologie hat ihren Einfluss durch den Sprach- und Religionswissenschaftler Friedrich Max Müller (1823–1900) genommen, dem heute die Gründung der Religionswissenschaft als Disziplin angerechnet wird. Durch ihn emanzipierte sich die Religionswissenschaft von der Theologie und entwickelte sich nach dem Vorbild der vergleichenden Sprachwissenschaft als komparatistische Disziplin weiter. Müller gab in der Reihe The Sacred Books of the East eine Vielzahl religiöser Texte aus West- und Ostasien in Übersetzung heraus und machte diese Schriften damit erstmals europäischen Lesern zugänglich. Dieses monumentale Projekt legte die Grundlage für vergleichende und historische Arbeiten über das Christentum, den Islam, den Zoroastrismus, den Buddhismus, den Hinduismus, den Daoismus und den KonfuzianismusKonfuzianismus, womit die Religionswissenschaft einen eigenen Geltungsbereich und Schwerpunkt, unabhängig von der evangelischen und der katholischen Theologie, entwickeln konnte.

Auch die ReligionsethnologieReligionsethnologie hat die Religionswissenschaft fachgeschichtlich stark geprägt. Edward Burnett Tylor (1832–1917) gilt als Begründer der Ethnologie und auch der Religionsethnologie. Er entwickelte ein Vier-Phasen-Modell der Religionsentwicklung, das von Animismus über Polytheismus und Monotheismus zur Wissenschaft führt. In dieser evolutionistischen Haltung war er bei weitem nicht allein; der schottische Sozialanthropologe James George Frazer (1854–1941) z. B. entwickelte ein dreistufiges Modell der Menschheitsgeschichte, bestehend aus Magie, Religion und Wissenschaft. Beide Ansätze sind als linear und deterministisch kritisiert worden; in der Realität sind solche verallgemeinernden Entwicklungsprozesse nicht nachweisbar und laufen vielmehr (aus heutiger Perspektive selbstverständlich) nach kontextspezifischen Mustern ab. Auch der polnisch-britische Ethnologe Bronisław Malinowski (1884–1942) arbeitete mit den Begriffen Magie, Religion und Wissenschaft, wobei sein theoretischer Beitrag im Vergleich zu seinen empirischen Arbeiten heute als wesentlich weniger relevant bewertet wird. Als Begründer der ethnologischen Methode der Feldforschung beeinflusste er die empirische Religionsforschung auf entscheidende Weise. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind die Beiträge der britischen Sozialanthropologin Mary Douglas (1921–2007), insbesondere ihre Studie zu Reinheit und Unreinheit, Purity and Danger: An Analysis of Concepts of Pollution and Taboo (1966), sowie des amerikanischen Ethnologen Clifford Geertz (1926–2006), dem einflussreichsten Vertreter der symbolischen Anthropologie, zu nennen.

Zuletzt ist die ReligionssoziologieReligionssoziologie als prägende Teildisziplin der Religionswissenschaft zu nennen (→ Kapitel 2.2). Die Religionssoziologie begreift Religion von ihren Anfängen an als sozialen Sachverhalt. Der französische Soziologe Émile Durkheim (1858-1917), einer der Gründerväter der Religionssoziologie, spricht in seinem Grundlagenwerk Les formes élémentaires de la vie religieuse (Die elementaren Formen des religiösen Lebens, 1912) von Religion als „sozialer Tatsache“ (fait social), die zur gesellschaftlichen Integration beiträgt. Somit liefert Durkheim eine funktionale DefinitionReligionsdefinitionfunktionale von ReligionReligion, indem er ihre Funktion definiert. Einen anderen Ansatz verfolgte der deutsche Soziologie Georg Simmel (1858–1918), laut dem subjektive ReligiositätReligiosität die Gesellschaft transzendiert und Religion somit nicht in einer sozialen Integrationsfunktion aufgeht. Für Simmel besteht Religion aus Wechselwirkungen zwischen der Beziehung des Individuums zur Gesellschaft einerseits und zu Gott andererseits. Sein Zeitgenosse Max Weber (1864–1920), der Gründervater der deutschen Soziologie und Religionssoziologie, hat seinen Ansatz der verstehenden Soziologie in einer Reihe von Werken ausgearbeitet, die für die Religionsökonomie bedeutend sind und in diesem Lehrbuch genauer besprochen werden; darunter Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus (2013 [1920]), Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss einer verstehenden Soziologie (2006 [1922]) und Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen (v. a. 1989 [1915–1920] und 1996 [1915–1920]) (→ Kapitel 4.2.1). Er geht dabei davon aus, dass sinnhaftes Handeln in sozialer Interaktion (und nicht isoliert) geschieht und dass Religion den höchsten Sinn in einer Gesellschaft stiftet. Auch neuere Ansätze der Religionssoziologie werden wir im vorliegenden Lehrbuch besprechen, darunter insbesondere die religionssoziologischen Arbeiten Pierre Bourdieus (→ Kapitel 6.2) und den wissenssoziologischen Ansatz Peter L. Bergers und Thomas Luckmanns (→ Kapitel 7.2.1). Weitere Teildisziplinen der Religionswissenschaft sind die Religionspsychologie, die Religionsgeografie, die Religionsästhetik und eben die Religionsökonomie.

Im Rahmen dieses Lehrbuchs unterscheiden wir in Anlehnung an Hock (2014, 7) zwischen der gegenwartsbezogenen, der historischen und der systematischen Religionswissenschaft: Unter gegenwartsbezogener ReligionswissenschaftReligionswissenschaftgegenwartsbezogene verstehen wir die Erforschung zeitgenössischer Religionen durch sozialwissenschaftliche Methoden; die historische ReligionswissenschaftReligionswissenschafthistorische beschäftigt sich mit Religion und religiösen Entwicklungen in der Geschichte anhand von Texten und Artefakten; und die systematische ReligionswissenschaftReligionswissenschaftsystematische widmet sich der vergleichenden Analyse sowohl historischer als auch gegenwärtiger religiöser Phänomene bzw. Forschungsergebnisse. Für die Religionsökonomie haben alle drei Zweige der Religionswissenschaft großes Potential, da ihre Gegenstandsbereiche und Methoden gleichermaßen relevant für die Untersuchung der Schnittstellen zur Wirtschaft sind.

1.2.2ÖkonomieÖkonomie

Als Gründervater der Ökonomie gilt der schottische Philosoph und Ökonom Adam Smith (1723–1790). Mit seinem Hauptwerk An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (1776) legte er die noch heute gültigen Grundlagen der Ökonomie.ÖkonomieGrundlagen Smith war in seinem Denken von den politischen und wirtschaftlichen Ereignissen sowohl in seinem schottischen Heimatland als auch in den Kolonien der „Neuen Welt“ geprägt, die im gleichen Jahr geschahen, in dem die Vereinigten Staaten von Amerika ihre Unabhängigkeit erlangten. In Wealth of Nations geht er ganz basal davon aus, dass jedes Individuum seine materielle Lebensgrundlage so sehr wie möglich verbessern möchte, und bringt dies mit dem allgemeinen Wirtschaftswachstum einer Gesellschaft zusammen. Für ihn liegen dem wirtschaftlichen Geschehen Tauschvorgänge zugrunde, wobei er den Tausch als einen angeborenen Hang betrachtet. Seine These lautet dabei, dass das Bestreben des Einzelnen, seine Lebensgrundlage zu verbessern, die Handelsaktivitäten der gesamten Gesellschaft vermehrt und somit ihr Wohlstandsniveau durch Wirtschaftswachstum insgesamt steigt.

Sein Werk zeichnet sich dabei vor allem durch sein Verständnis von Wettbewerb aus: Der Markt als Wettbewerbsarena sei der zentrale Organisationsmechanismus wirtschaftlichen Handelns. Hier versuchen Marktteilnehmer ihre eigenen Interessen gegen die Interessen anderer durchzusetzen, wodurch sich ein Gleichgewicht einstelle; dadurch wiederum werde die Arbeitskraft optimal eingesetzt, um Produktion anzuregen. Ein zentraler Begriff in seinem Werk ist Arbeit als Quelle des Wohlstands von Nationen, wobei die Arbeitsteilung zur Steigerung der Produktivität eine zentrale Rolle spielt. Obwohl Smith nicht mit den Konzepten von Angebot und Nachfrage arbeitete – diese wurden ca. 100 Jahre später eingeführt – erkannte er bereits, wie wichtig Preise zur Regulation des Marktgleichgewichts (→ Kapitel 3.4) sind: Sie drücken Knappheit aus, regen die Produktion an und lassen den Wert knapper Ressourcen steigen.

Hier kommt seine berühmte Metapher der „unsichtbaren HandHand, die unsichtbare“ ins Spiel, die er bereits in einer älteren Publikation, The Theory of Moral Sentiments (1759), erwähnte: Unter optimalen Bedingungen profitierten bei einer wirtschaftlichen Transaktion beide Teilnehmer, jeweils durch ihre Eigeninteressen gesteuert, und dadurch die Gesamtgesellschaft. Es war Smiths erklärtes Ziel in The Wealth of Nations, eine praktische Anleitung für allgemein steigenden Wohlstand durch die Wirtschaftsbeteiligung aller Gesellschaftsmitglieder zu bieten. Seine These führte zur Forderung nach Nichtintervention des Staates im wirtschaftlichen Handel (Laissez-Faire-Regel).

Ein weiterer Aspekt von Smiths Arbeit ist für die Religionsökonomie von besonderer Bedeutung: Menschen agieren nicht nur eigennützig, sondern empfinden Sympathie mit ihren Mitmenschen (Friedman 2021; Gabler Wirtschaftslexikon, „Smith“). Schmidtchen (2000, 11) zufolge hat Smith sogar die „Grundlagen für die Ökonomik der Religion“ gelegt: „In einem weitgehend ignorierten Kapitel seines Buchs ,Wohlstand der Nationen‘ vertritt der Begründer der Nationalökonomie Adam Smith die Ansicht, daß die Geistlichen genauso durch Selbstinteresse motiviert seien wie die Produzenten weltlicher Güter; daß Marktkräfte das Verhalten von Kirchen so beeinflussen, wie sie dies bei ,normalen‘ wirtschaftlichen Unternehmen auch tun“.

Smiths Werk The Wealth of Nations ist als das wichtigste Werk einer ökonomischen Lehre zu betrachten, die als KlassikKlassik bezeichnet wird. Die Klassik beschäftigt sich vor allem mit dem wirtschaftlichen Verhalten von Individuen, die ihren Eigennutzen zu maximieren streben; soziales Verhalten wird hier nicht berücksichtigt. Die Auffassung des Individuums ist in der klassischen Lehre geprägt vom Modell des Homo oeconomicusHomo oeconomicus, dem uneingeschränkt rational handelnden Wirtschaftsakteur. In jeder Entscheidungssituation stehen ihm unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung, die durch Restriktionen, wie z. B. ein begrenztes Budget, beschränkt sind. Er entscheidet sich im klassischen Paradigma für jene Handlungsmöglichkeit, die seinen Eigennutzen nach seinen Präferenzen (→ Kapitel 3.2.2) maximiert (Dreher 2022, 9; Gabler Wirtschaftslexikon, „Homo oeconomicus“).

Homo oeconomicus

Als Homo oeconomicusHomo oeconomicus wird in der Ökonomie das Modell des Individuums als Wirtschaftsakteur bezeichnet, der sich stets rational verhält, d. h., sein Handeln auf die Maximierung seines Eigennutzens ausrichtet.

Ihrem bedeutendsten Vertreter, Adam Smith, folgend, geht die KlassikKlassik davon aus, dass die Nutzenmaximierung einzelner Akteure der allgemeinen gesellschaftlichen Wohlfahrt dient. Hierauf basiert der Ansatz des klassischen Liberalismus, der die Freiheit von Wirtschaftsakteuren und somit die weitestgehende Zurückhaltung des Staates fordert. Das MarktgleichgewichtMarktgleichgewicht ist ein weiteres grundlegendes Konzept der klassischen Lehre. Bei freier Marktbeteiligung der Wirtschaftsakteure erreiche der Markt langfristig ein Gleichgewicht, das sowohl für Produzenten als auch für Konsumenten gewinn- bzw. nutzenmaximierend sei: „Den Preis, der sich aufgrund der eingesetzten Arbeitsmenge ergibt, bezeichnet die klassische Lehre als natürlichen Preis. Der Marktpreis kann nur temporär um diesen schwanken, falls es zu Abweichungen von Angebot und Nachfrage kommt; langfristig muss er mit dem natürlichen Preis übereinstimmen“ (Gabler Wirtschaftslexikon, „klassische Lehre“). Die klassische Lehre akzentuiert die Produktionsseite des Marktes gegenüber der Konsumentenseite. Lediglich die Produktionskosten und nicht die Nachfrage bestimmen den Preis eines Gutes. Letztere bestimme nur die getauschten Mengen des Gutes am Markt. Die wichtigsten Vertreter der klassischen Lehre sind die angelsächsischen Ökonomen Adam Smith, David Ricardo (1772–1823), Thomas Robert Malthus (1766–1834) und John Stuart Mill (1806–1873) sowie der französische Ökonom Jean-Baptiste Say (1767–1832) und der deutsche Ökonom Johann Heinrich von Thünen (1783–1850).

Die klassische Lehre entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur NeoklassikNeoklassik weiter. Die Neoklassik übernimmt die beiden zentralen Annahmen der Klassik, den Homo oeconomicusHomo oeconomicus sowie das allgemeine MarktgleichgewichtMarktgleichgewicht, befasst sich jedoch „primär mit dem Problem der Allokation knapper (vollbeschäftigter) Ressourcen“ (Gabler Wirtschaftslexikon, „Neoklassik“). Allokation verweist in diesem Zusammenhang auf eine Verteilung, die vorhandene Bedürfnisse optimal befriedigt. Im Gegensatz zur klassischen Lehre arbeitet die Neoklassik mit der MarginalanalyseMarginalanalyse, die statt der Gesamtkosten bzw. dem GesamtnutzenGesamtnutzen minimale Veränderungen von Kosten und Nutzen betrachtet (→ Kapitel 3.2.3). Die neoklassische Theorie hebt die Bedeutung des Marktpreises stärker hervor als die KlassikKlassik dies tut. Während die Klassik den Preis eines Gutes über die ProduktionskostenProduktionskosten erklärt, wird er in der NeoklassikNeoklassik durch das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage am Markt bestimmt. Die wichtigsten Vertreter der Neoklassik sind der englische Logiker und Ökonom William Stanley Jevons (1835–1882), der österreichische Ökonom Carl Menger (1840–1921) und der französische Ökonom Marie Esprit Léon Walras (1834–1910), der ein vollständig durch Gleichungen beschriebenes Konkurrenzgleichgewichtsmodell entwickelte. Sowohl die Klassik als auch die Neoklassik werden für ihre restriktiven Annahmen, insbesondere für ihr auf den Eigennutz reduziertes Modell, stark kritisiert. Die neueren Ansätze der Ökonomie nehmen diese Kritik auf, berücksichtigen das Individuum in seiner sozialen Umgebung und beziehen seine sozialen Präferenzen mit ein (→ Kapitel 7.1).

Die Ökonomie unterscheidet zwischen der wirtschaftlichen Mikro- und Makroebene und somit wissenschaftlich zwischen der Mikroökonomie und der Makroökonomie. Die MikroökonomieMikroökonomie ist eine Entscheidungslehre; sie befasst sich damit, wie Akteure ihre Entscheidungen treffen. Dabei nimmt sie die Individualität der Wirtschaftsakteure – Haushalte, Unternehmen und Staat – in den Blick und untersucht das Verhalten dieser Akteure sowie das Zusammenwirken ihrer Handlungen am Markt. Die MakroökonomieMakroökonomie betrachtet hingegen das Wirtschaftsgeschehen als Ganzes und untersucht Angebot und Nachfrage aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive, indem sie Haushalte oder Unternehmen durch Aggregation zu einem Sektor zusammenfasst. Sie stützt sich dabei auf die mikroökonomische Modellbildung (→ Kapitel 3). Somit bauen sowohl die Mikro- als auch die Makroökonomie auf der (Neo-)Klassik auf (Gabler Wirtschaftslexikon, „Mikroökonomik“ und „Makroökonomik“).

Während die (Neo-)Klassik allein in der Ökonomie beheimatet ist, hat sich die WirtschaftssoziologieWirtschaftssoziologie zu unterschiedlichen Maßen aus der Ökonomie und der Soziologie gespeist und sich, vor allem in Deutschland, Frankreich und den USA, in verschiedene Richtungen entwickelt. Die einzelnen Stränge sind durch ihr Bestreben vereint, ökonomische Analysen auf eine sozialwissenschaftliche Grundlage zu stellen. Laut den amerikanischen und schwedischen Soziologen Mark Granovetter und Richard Swedberg (2011) zeichnet sich die Wirtschaftssoziologie durch drei zentrale Grundannahmen aus: (1) wirtschaftliches Handeln ist eine Form sozialen HandelnsForm sozialen Handelns; (2) wirtschaftliches Handeln ist sozial situiert bzw. eingebettet; und (3) ökonomische InstitutionenInstitutionökonomische sind sozial konstruiert (s. → Kapitel 7.2 zur sozialen Konstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeit, insbesondere auch von Institutionen). Aus diesen Prämissen ergibt sich vor allem, dass die Wirtschaftssoziologie nicht auf dem abstrakten Modell des Homo oeconomicus aufbaut, sondern konkrete soziale Interaktionen und die dazugehörigen sprachlichen, kulturellen und Zeichenelemente untersucht. Statt des in der (Neo-)Klassik üblichen ausschließlichen Fokus auf Eigeninteresse werden hier Elemente wie Vertrauen, Normen, Status, Machtverhältnisse und Ähnliches in die Analyse einbezogen; dies ist mit sozialer Situiertheit bzw. Einbettung gemeint. Individuen werden innerhalb von sozialen Strukturen und BeziehungsnetzwerkenBeziehungsnetzwerk – bzw. Institutionen, hier verstanden als Handlungsanleitungen – sozialisiert und geprägt; sie bewegen sich nicht isoliert in luftleerem Raum.

An dieser Stelle kann nur knapp in die grundlegenden Werke und Denker der Wirtschaftssoziologie eingeführt werden. Die deutsche Wirtschaftssoziologie ist aus dem sogenannten Methodenstreit der 1880er-JahreMethodenstreit der 1880er-Jahre in der Ökonomie hervorgegangen, der auf zwei unterschiedliche ökonomische Denkrichtungen zurückzuführen war: die eher geschichtswissenschaftlich und soziologisch orientierte Historische Schule der deutschen Ökonomen und ihr neoklassisches britisches Pendant, also eine auf die Neoklassik ausgerichtete Denkrichtung. Die NeoklassikNeoklassik ging als Siegerin aus dem Methodenstreit hervor, woraufhin die Wirtschaftssoziologie als parallele, soziologisch fundierte Disziplin an Bedeutung gewann. Ihr Hauptvertreter in Deutschland war der Soziologe Max Weber, dessen Werke zumindest in Teilen in diesem Lehrbuch behandelt werden (→ Kapitel 4.2.1). Er entwickelte die verstehende Soziologie und legte in Wirtschaft und Gesellschaft (2006 [1922]) eine noch heute relevante Grundlage, die Themen wie MachtMacht und Autorität ebenso diskutiert wie den Sinn menschlichen Handelns, auch und gerade mit Blick auf die Wirtschaft moderner Gesellschaften. Aus wirtschaftssoziologischer Perspektive wichtige Zeitgenossen Webers waren u. a. Werner Sombart (Der moderne Kapitalismus, 1927) und Georg Simmel (Die Philosophie des Geldes, 1900). Diese Werke beschäftigen sich mit den unterschiedlichen HerausforderungenHerausforderung des Kapitalismus und waren bestrebt, die Wirtschaftssoziologie neben der NeoklassikNeoklassik der Ökonomie zu etablieren.

Etwas anders sah die Situation in Frankreich aus. Die um den Soziologen Émile Durkheim gruppierte französische WirtschaftssoziologieWirtschaftssoziologie, aus einer anderen intellektuellen Tradition kommend als die deutsche, war interessiert die neoklassische Wirtschaftstheorie zu ersetzen (Swedberg 1991). Durkheim selbst thematisierte statt des Kapitalismus die Industriegesellschaft und ihren mangelnden sozialen Zusammenhalt; sein Ansatz nahm vor allem kollektive Repräsentationen einer Gesellschaft und ihre Auswirkungen auf individuelles Verhalten in den Blick, z. B. in Über soziale Arbeitsteilung: Studie über die Organisation höherer Gesellschaften (im Original: De la division du travail social, 1893). Ein wichtiger Schüler Durkheims war sein Neffe Marcel Mauss (1872–1950), der in seinem Werk Essai sur le don: forme et raison de l’échange dans les sociétés archaïques (1925; deutsche Übersetzung: Die Gabe, 1968) die Gabe als eine triadische Tauschbeziehung, also als Verpflichtung vom Geben, Empfangen und Erwidern, darstellte (→ Kapitel 5.2.1).

In den USA entwickelte sich eine Wirtschaftssoziologie wesentlich später als in Europa, erst in den 1950er-Jahren, und eher unter der Rubrik „Wirtschaft und Gesellschaft“. Es wird vermutet, dass dies der Indifferenz amerikanischer Ökonomen geschuldet sein könnte, die die Soziologie ausschließlich auf „soziale“ Themen beschränkt sehen wollten (Swedberg 1991). Nichtsdestotrotz leisteten auch amerikanische Wissenschaftler relevante Beiträge zur Wirtschaftssoziologie, darunter der Soziologe Talcott Parsons in seiner Abhandlung Der Kapitalismus bei Sombartund Max Weber (1927) und der Wirtschaftsethnologe Karl Polanyi in seinem bekanntesten Werk The Great Transformation (1944), das das Konzept der selbstregulierenden Märkte kritisch hinterfragt. Dieses Lehrbuch geht im Anschluss an die Neue Institutionenökonomik in → Kapitel 7.2 auf die new economic sociology Mark Granovetters ein, der die Theorie der sozialen Einbettung wirtschaftlichen Handels federführend weiterentwickelte (1985, 2017).

Neben der Neoklassik spielt die Wirtschaftssoziologie für die Religionsökonomie eine wichtige Rolle, da sie verschiedene Ansätze beinhaltet, um die neoklassischen Grundlagen der Ökonomie zu erweitern. Im folgenden Abschnitt wenden wir uns nun der Religionsökonomie als eigene Disziplin zu.

1.3Geschichte und Zweige der ReligionsökonomieReligionsökonomieZweige

1.3.1Die Geschichte der ReligionsökonomieReligionsökonomiehistorische Entwicklung

Die Religionsökonomie als die SchnittstelleSchnittstelle zwischen Religionswissenschaft und Ökonomie kann relativ weit in der Geschichte der beiden Disziplinen zurückverfolgt werden. Adam Smith, der Gründer der Ökonomie, wurde in diesem Zusammenhang ja bereits erwähnt. Auch Karl Marx hat bereits Ende des 19. Jahrhunderts Religion in seine Ausführungen zum Kapitalismus einbezogen, wenn auch recht einseitig entweder als Flucht vor der ausbeuterischen Realität der Arbeitswelt oder als Protest gegen ebendiese. Auch Max Weber, Émile Durkheim, Georg Simmel und andere haben die Zusammenhänge zwischen Religion und Wirtschaft im frühen 20. Jahrhundert aus verschiedenen Perspektiven soziologisch thematisiert.

Die neuere Religionsökonomie geht auf die 1970er-Jahre zurück. Sie ist gerade im anglophonen Raum von der Neoklassik geprägt und baut stark auf dem Modell des Homo oeconomicus auf. Sie wurde zuerst nur von Ökonomen und ohne Beteiligung der Religionswissenschaft entwickelt. Die religionsökonomische Forschung im engeren Sinne nahm mit dem Artikel „Household Allocation of Time and Church Attendance“ von den amerikanischen Ökonomen Corry Azzi und Ronald Ehrenberg (1975) ihren Anfang. Die Autoren entwickelten ein ZeitallokationsmodellZeitallokationsmodell, das religiöse Teilhabe misst (→ Kapitel 5.2.1). Obwohl sie religiöse Teilhabe zuerst ausschließlich als Kirchenbeteiligung auffassten, konnten sie mithilfe ihres ökonomischen Modells zeigen, dass das religiöse Handeln von Akteuren von der ökonomischen Ratio bestimmt wird. Dieses Modell konnte Phänomene wie die höhere religiöse Beteiligung von Frauen im Vergleich zu Männern und von älteren im Vergleich zu jüngeren Menschen erklären.

Der wahrscheinlich bekannteste Forschungsstrang innerhalb der Religionsökonomie ist der in den 1980er-Jahren in den USA entstandene economics of religion-Ansatzeconomics of religion-Ansatz, der es sich (nicht zuletzt als kritische Reaktion auf das Säkularisierungsparadigma) zum Ziel machte, die anhaltend hohen ReligiositätReligiositätsraten in den USA – im Sinne von Kirchenzugehörigkeit und aktiver Teilnahme – zu erklären (→ Kapitel 6.1). Die grundlegende These lautet, dass die Deregulierung des religiösen Marktes den Wettbewerb unter religiösen Anbietern erhöht (weswegen sich der Ansatz als dezidiert anbieterorientiert, als supply-side approach, versteht) und dadurch die Religiositätsraten einer Gesellschaft insgesamt, hier als „religiöse Vitalität“ betitelt, zunimmt (Stark und Finke 2000). Wurde dieser Ansatz dort Anfang der 1990er-Jahre bereits zum „new paradigm“ (Warner 1993), zum neuen theoretischen Paradigma der Religionssoziologie, ausgerufen und seitdem verschiedentlich weiterentwickelt, wird er in Europa deutlich kritischer rezipiert (→ Kapitel 6.1.4). Er basiert auf der rational choice-Theorierational choice-Theorie, welche den homo oeconomicus in den Mittelpunkt stellt, und untersucht individuelles religiöses Handeln auf dieser Grundlage.

Die Anwendung des neoklassischen Modells ist vielfach kritisiert und in verschiedene Richtungen weiterentwickelt worden. Eine Richtung bildet dabei die VerhaltensökonomieVerhaltensökonomie (→ Kapitel 7.1). Sie baut wie die NeoklassikNeoklassik auf dem Homo oeconomicus auf, erweitert das Modell jedoch, indem das Individuum nicht mehr als ausschließlich seinen eigenen Nutzen maximierend aufgefasst, sondern als ein soziales Wesen verstanden wird, das sich auch für die Nutzen der Menschen in seinem Umfeld interessiert. Während die Verhaltensökonomie auf der Ebene einzelner Akteure arbeitet und ihre Kooperationsfähigkeit unter Berücksichtigung psychischer Faktoren im Rahmen der SpieltheorieSpieltheorie in den Blick nimmt, setzt die Neue InstitutionenökonomikInstitutionenökonomik in ihrer Weiterentwicklung des neoklassischen Modells auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene an (→ Kapitel 7.2). Sie fokussiert den Einfluss von Institutionen als gesellschaftliche „Spielregeln“ auf soziales Verhalten, insbesondere unter Berücksichtigung von Pfadabhängigkeiten als Einschränkungen gesellschaftlicher Entwicklungsoptionen.

Ein zweiter, jüngerer Schwerpunkt der angloamerikanischen Religionsökonomie ist die Untersuchung religiösen WandelsWandelreligiöser im SpätkapitalismusSpätkapitalismus. Hier geht es um die Einflüsse von GlobalisierungGlobalisierung, Modernisierung, dem NeoliberalismusNeoliberalismus und der KonsumkulturKonsumkultur auf Religion. Diese Studien sind sozial- bzw. kulturwissenschaftlich angelegt und fokussieren oftmals insbesondere die Rolle von Populärkultur, sozialen Medien und Marketingstrategien an der SchnittstelleSchnittstelle von Religion und Wirtschaft (→ Kapitel 5.3). Entsprechend lassen sie ökonomische Methoden und Modellierungen außen vor.

Die deutschsprachige Religionsökonomie war dagegen von Beginn an breiter in ihrer Bearbeitung des Nexus Religion und Wirtschaft aufgestellt. Die bedeutendste Figur ist hier der deutsche Religionswissenschaftler und klassische Philologe Burkhard Gladigow. In den 1990er-Jahren etablierte er mit seinen Kollegen und Schülern in Tübingen die Religionsökonomie als eine „Bindestrich-DisziplinBindestrich-Disziplin“ (Gladigow 1995, 255) und Subdisziplin der Religionswissenschaft. Ausgehend von der Wechselbeziehung zwischen Religion und Ökonomie untersuchten Christoph Auffarth (1995) und Jörg Rüpke (1995) die griechische und die römische Tempelökonomie, Thomas Hoffmann und Günter Kehrer (1995) die Finanzierung von Religion in DDR. Diese Beiträge wurden zusammen mit Gladigows Einführungsartikel „Religionsökonomie – Zur Einführung in eine Subdisziplin der Religionswissenschaft“ als Teil eines Sammelbandes publiziert und legten somit den ersten Baustein der deutschen Religionsökonomie im disziplinären Sinne. Die Religionsökonomie geht aus Gladigows Perspektive weit über die Anwendung der rational choice-Theorie hinaus; Koch bezeichnet seinen Ansatz als „a systematic approach that outlines an independent field of research and relates cultural, historical, and economic theories while especially drawing from the latter [the economy of religion]“ (2021, 319).

Gladigows Beschäftigung mit dem Zusammenhang zwischen Religion und Wirtschaft geht deutlich weiter zurück als sein Artikel von 1995. Schon seit 1974 setzt er sich mit der Entwicklung von JenseitsvorstellungenJenseitsvorstellungen aus ökonomischer Perspektive auseinander, wobei er betrachtet, wie die Seele (als eine Institution) konzipiert wird, um das Leben vor dem Tod und das Leben nach dem Tod in Verbindung zu setzen. In der griechischen Antike stellte man sich das irdische und das postmortale Leben zuerst unabhängig voneinander vor und setzte die beiden erst später in einen ökonomischen Zusammenhang, indem man den Taten im Diesseits einen Einfluss auf das Leben im Jenseits unterstellte (Gladigow 1974, 290). Gladigow hebt somit den ökonomischen Aspekt der religiösen Institution der Seele hervor und nimmt eine ökonomische Perspektive auf diese historische Entwicklung ein. Wie Koch (2021, 321) betont, überrascht diese Perspektive nicht, weil Religionen selbst in ihren Jenseitsvorstellungen eine wirtschaftliche Perspektive einnehmen, wie z. B. die Verwendung von Metaphern wie Rechnungslegung und Buchführung zeigen (Gladigow 2009, 133). Gladigow führt das Hervortreten einer Gesamtbetrachtung des Lebens über den Tod hinaus zum Teil auf veränderte ökonomische Bedingungen zurück: „Verlust einer intakten Landwirtschaft, als Folge davon landfahrender Handel und Handwerk, Söldnertum‚ Großstadtbildung […] führen zu einer Verunsicherung des Lebensgefühls, die sich einerseits in Schuldgefühlen und andererseits in Rachebedürfnis über den Tod hinaus äußert“ (Gladigow 2002, 105). 

Menschliche LeistungLeistung, menschliche und göttliche GegenleistungGegenleistung, göttliche, z. B. im Kontext des Opferrituals (→ Kapitel 5.2.1), bilden Gladigows Ausgangspunkt für die Religionsökonomie: „Eine Anwendung einfacher ökonomischer Beschreibungsmuster auf religiöses Handeln ist so lange plausibel und kohärent, wie zwischen menschlicher (Vor-)Leistung und göttlicher Gegenleistung eine Äquivalenz-Beziehung besteht“ (Gladigow 2009, 129). Die Jenseitsreligionen erweitern die Tauschbeziehung mit Göttern um eine jenseitige Gegenleistung, wobei eine kausale Beziehung zwischen den diesseitigen Taten und dem jenseitigen Leben durch eine über das irdische Leben hinausgehende Instanz namens Seele, eine Art Konto, hergestellt wird: „Die Seele läuft als Kontokorrent ‚neben dem Leben‘ des Menschen her, in ihr und an ihr notieren sich alle positiven und negativen ‚Einträge‘“ (Gladigow 2009, 133; s. ebenfalls Koch 2021, 329f.).

Wie oben dargestellt, betrachtet Gladigow Religion als eine Art KontingenzbewältigungKontingenzbewältigung: „Religion gehört im weitesten Sinne zu einem ‚Riskmanagement‘“ (Gladigow 2009, 132), so auch als Bewältigung wirtschaftlicher KontingenzKontingenzbewältigung: „In das einfache do-ut-des-Prinzip sind natürlich sehr schnell Kontingenzen eingebaut worden („do ut possis dare“), die das Problem des ‚Leistungsverzugs‘ zu lösen in der Lage waren und trotzdem die Erwartung auf eine Gegenleistung aufrecht erhielten“ (Gladigow 2009, 129). Somit ist Religion in der Lage, das ökonomische Problem des Leistungsverzugs, z. B. das Ausbleiben der Erfüllung einer BittgabeBittgabe durch die Götter, religiös zu lösen.

Gladigows Herangehensweise an die Religionsökonomie ist eine soziologisch informierte und lässt die rational choice-Theorierational choice-Theorie fast vollkommen beiseite; in seinem jüngeren Überblicksbeitrag (Gladigow 2009) über die Religionsökonomie kommt er ohne Verweis auf die Religionsökonomen wie Bainbridge, Finke, Iannaccone und Stark aus. „Nach ganz anders gearteten, auf Maximierungsstrategien ausgerichteten Vorläufern im 19. Jahrhundert, hat Peter L. Bergers Markt-Modell für religiöse Alternativen eine Forschungsrichtung vorgegeben, die das Schema von Produkt-Wahl und rationaler Kalkulation in die Diskussion einbrachte“ (Gladigow 2009, 139f.).

Der deutsche Ökonom Dieter Schmidtchen hat die deutsche Religionsökonomie ebenfalls geprägt wie vorangetrieben. Neben seinem ausführlichen und das Feld organisierenden Artikel in einem Sonderheft der Zeitschrift für Religionswissenschaft zur Religionsökonomie (Schmidtchen 2000), führten er und Achim Mayer, ebenfalls ein deutscher Ökonom, sehr früh die Neue InstitutionenökonomikNeue Institutionenökonomik in die religionsökonomische Forschung ein (Schmidtchen und Mayer 1997; Mayer 1996; Schmidtchen und Mayer 1993), wobei sie das Verhalten der römisch-katholischen KircheKircherömisch-katholische im MittelalterMittelalter in Bezug auf Institutionen wie ParadiesParadies, HölleHölle und FegefeuerFegefeuer untersuchten (→ Kapitel 5.2.2). Das Besondere an ihrer Forschung besteht in der präzisen ökonomischen Modellierung ausgewählter historischer religiöser Institutionen und somit der Veranschaulichung der ökonomischen Ratio einiger geschichtlicher Entwicklungen. Diese erfolgversprechende Herangehensweise wurde bislang innerhalb der Religionsökonomie jedoch kaum aufgegriffen, ähnlich wie der Ansatz Burkhard Gladigows. 

Eine SyntheseSynthese der auf die rational choice-Theorie konzentrierten angloamerikanischen ReligionsökonomieReligionsökonomieangloamerikanische und der eher historisch und soziologisch orientierten deutschen ReligionsökonomieReligionsökonomiedeutsche versucht die deutsche Religionswissenschaftlerin Anne Koch in ihrem Buch Religionsökonomie. Eine Einführung. Es stellt nicht nur die einzige Monografie in diesem Bereich bis dato dar, sondern ist auch der einzige Versuch einer Synthese bislang. Das vorliegende Lehrbuch setzt diesen Versuch fort, wobei es zum einen bemüht ist, die mikroökonomische Modellierung als ein Standbein der Disziplin für die religionswissenschaftliche Forschung zugänglich zu machen und zum anderen die Erweiterungen der streng ökonomischen Erforschung der Religion um die relevanten soziologischen Theorien hervorzuheben.

Nach diesem Einblick in die Geschichte der Religionsökonomie werden wir uns im nächsten Abschnitt mit ihren verschiedenen Bereichen befassen. Zu betonen ist, dass die Untersuchung des Konnex Religion und Wirtschaft älter als die Disziplin Religionsökonomie ist, wie Gladigow betont: „Besondere Fälle unserer allgemeinen Fragestellung sind in der Forschung schon länger angesprochen worden, ohne daß freilich die Perspektive ökonomischer Strategien dabei konsequent mitbedacht worden ist“ (2009, 130).

1.3.2Zweige der ReligionsökonomieReligionsökonomieZweige

Wie einleitend dargestellt, befasst sich die Religionsökonomie mit der Interaktion zwischen den beiden gesellschaftlichen Teilsystemen Wirtschaft und Religion. Als akademische Disziplin liegt sie an der Grenze zwischen Religionswissenschaft und Ökonomie. Somit wird der von der Religionsökonomie abzudeckende Bereich von den Wechselbeziehungen zwischen den vier Komponenten Religion, Wirtschaft, Religionswissenschaft und Ökonomie bestimmt. Innerhalb der Religionsökonomie gibt es jedoch unterschiedliche Ansätze, den eigenen Gegenstandsbereich in verschiedene Zweige zu teilen, einzuordnen und zu systematisieren. Bevor wir die diesem Lehrbuch zugrunde liegende Systematisierung der ReligionsökonomieReligionsökonomieSystematisierung erläutern, fassen wir vorab sehr knapp einige bestehende Einordnungen zusammen, um uns anschließend teilweise von diesen abzugrenzen. Wir konzentrieren uns dabei auf Ansätze aus dem deutschsprachigen Raum, da diese wie oben erläutert über die in der angloamerikanischen Religionsökonomie so dominante NeoklassikNeoklassik hinausgehen.

Dieter Schmidtchen unterscheidet in einem der ersten Systematisierungsversuche der „Ökonomik der Religion“ (2000) vier Bereiche: (1) die Theorie rationaler Entscheidung, also die rational choice-Theorierational choice-Theorie; (2) die ökonomische Analyse der Religion, darunter Haushaltsproduktion, religiöses Humankapital, Glaube als Versicherung, religiöse Gruppen/Institutionen und religiöse Märkte; (3) ökonomische Konsequenzen der Religion, darunter Max Webers Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, die individuelle Ebene und die Neue Institutionenökonomik; und (4) religionspolitische Folgerungen.

Anne Koch unterscheidet im Aufsatz „Zur Interdependenz von Religion und Wirtschaft – Religionsökonomische Perspektiven“ (2007) ebenfalls zwischen vier Perspektiven: (1) Religion als Wirtschaftsfaktor, d. h. die Finanzierung und der ökonomische Nutzen von Religion(en); (2) das Verhältnis von Religion und Wirtschaft in kulturtheoretischem Kontext, also „wie religiöse ÜberzeugungenÜberzeugung, religiöse und Wirtschaftsverhalten Mentalitäten in einer Kultur ausbilden“ (2007, 49); (3) ökonomische Theorien als Gegenstand der Religionswissenschaft, u. a. der economics of religion-Ansatz; und (4) ökonomische Theorien als Modelle der Religionswissenschaft, v. a. Verhaltensökonomie und Neue Institutionenökonomik.

In ihrer einige Jahre später veröffentlichten, oben bereits erwähnten Einführung in die Religionsökonomie (2014) konzentriert sich Koch auf drei Bereiche: (1) die Wissensgeschichte von Religion und Wirtschaft, u. a. mit Fokus auf Wirtschaftsethnologie, WirtschaftssoziologieWirtschaftssoziologie und Kulturwissenschaft; (2) ökonomische Theorien als Modelle der Religionsökonomie, darunter Pierre Bourdieus Ökonomie symbolischer Güter, die Marktmodelle Peter L. Bergers und des economics of religion-Ansatzes, die Verhaltensökonomie, die Neue Institutionenökonomik und die Kulturökonomie; und (3) ökonomische Theorien als Gegenstand der Religionsökonomie, mit Fokus auf ökonomische Theorien und Literatur, den Komplex der Ökonomisierung, Kommerzialisierung und Kommodifizierung sowie islamisches Wirtschaften und muslimische Konsumkultur.

Im 2018 erschienenen Handbuch Religionssoziologie unterscheidet der deutsche Sozial- und Wirtschaftshistoriker Martin Lutz in seinem Überblicksbeitrag „Religion und Wirtschaft“ drei Dimensionen: (1) Religion als abhängige Variable, d. h. das Marktmodell und der economics of religion-Ansatz; (2) Religion als unabhängige Variable, also die wirtschaftlichen Konsequenzen von Religion auf individuelles Handeln und die Entwicklung von Wirtschaftssystemen; und (3) eine institutionentheoretische Perspektive im Sinne des Neo-Institutionalismus und der Neuen Institutionenökonomik.Neue Institutionenökonomik.

Hierzu möchten wir anmerken, dass die Unterscheidung zwischen Religion als abhängiger und als unabhängiger Variable in der Literatur gängig und sinnvoll ist; allerdings hat sich aus unserer Perspektive ein Kategorienfehler eingeschlichen. In der Regel ist mit Religion als unabhängiger VariableVariableunabhängige ihr Einfluss auf Wirtschaft gemeint: Religion ist die Konstante, von der aus man „Reaktionen“ im Bereich Wirtschaft untersucht. Ein klassisches Beispiel ist die berühmte These der Unterentwicklung der islamisch geprägten Länder: Islamische Institutionen wie z. B. das Zinsverbot hätten die Kapitalanhäufung und somit die wirtschaftliche Entwicklung unabsichtlich verhindert (→ Kapitel 4.2.2). So weit, so gut. Mit Religion als abhängiger VariableVariableabhängige wird dann auf Ansätze verwiesen, die ökonomische Methoden zur Untersuchung von Religion heranziehen, z. B. den economics of religion-Ansatz. Dabei müsste allerdings, wenn Religion die abhängige Variable wäre, Wirtschaft (und nicht wirtschaftswissenschaftliche Untersuchungsmethoden) die unabhängige Variable sein; es müsste also darum gehen, wie Wirtschaft Religion beeinflusst – und nicht, wie man Religion mit ökonomischer Modellierung untersuchen kann. Denn wir haben es auf der Objektebene mit den gesellschaftlichen Teilsystemen Religion und Wirtschaft zu tun und auf der Metaebene mit den Methoden der Religionswissenschaft und der Ökonomie, um die Interaktion von Religion und Wirtschaft auf der Objektebene zu untersuchen (zur Objekt- und Metaebene s. → Kapitel 2.1.1)

Dieses Lehrbuch systematisiert das Feld Religionsökonomie anhand von drei Bereichen, die in vier Kernkapitel (Kapitel 4 bis 7) behandelt werden: Der erste Bereich betrifft den Einfluss von Religion auf Wirtschaft; der zweite Bereich betrifft umgekehrt den Einfluss von wirtschaftlichen Logiken im Teilsystem Religion; der dritte Bereich betrifft ökonomische Prämissen bzw. Methoden zur Untersuchung des Verhältnisses von Wirtschaft und Religion. Somit befinden sich die ersten beiden Bereiche auf der Objektebene, da es um die Interaktion dieser beiden gesellschaftlichen Teilsysteme geht; der dritte Bereich ist auf der wissenschaftlichen Metaebene zu verorten. Im Folgenden werden die Bereiche knapp mit Verweisen auf die Kapitel des Lehrbuchs vorgestellt, in welchen sie genauer erläutert werden.

1. Bereich: Der EinflussEinfluss von Religion auf Wirtschaft

Dieser Bereich behandelt religiöse ökonomische EthikenEthikökonomische und ihre wirtschaftlichenWirtschaft Konsequenzen. Hier werden normativ-religiöse Vorgaben für wirtschaftliches Handeln ebenso in den Blick genommen wie das Handeln selbst und seine breiteren sozioökonomischen Auswirkungen. Untersucht werden konkrete religiöse Ge- und Verbote mit Bezug auf das ökonomische Handeln von Individuen und Organisationen, z. B. Steuervorgaben und Zinsverbote im Islam, die historische Entwicklung der frommen Stiftung im ZoroastrismusZoroastrismus und ihr Übergang zum Islam, das Verbot des Wirtschaftsbetrugs im Judentum oder das im Pfingstlertum weit verbreitete Wohlstandsevangelium (→ Kapitel 4.1). Die Verhaltensökonomie untersucht den Effekt von ReligiositätReligiosität auf individuelles ökonomisches Verhalten (→ Kapitel 7.1); andere Ansätze diskutieren gesamtgesellschaftliche sozioökonomische Auswirkungen der religiösen Regulierung der Wirtschaft, wie z. B. des Protestantismus und des Islam auf die von diesen Religionen geprägten Weltregionen (→ Kapitel 4.2).

Auch in der institutionentheoretischen Forschung ist der Einfluss von Religion auf Wirtschaft seit den 1990er-Jahren fest verankert, sowohl in historischen Analysen als auch in der sozialwissenschaftlichen Diskussion. So spielt der Religionsbegriff in der kulturhistorischen Erweiterung der Neuen Institutionenökonomik eine zentrale Rolle bei der Konzeptionalisierung informeller EinflussfaktorenEinflussfaktor, informeller auf wirtschaftliches HandelnHandelnwirtschaftliches auf ideeller Ebene, wenn er auch vage bleibt (wie der Institutionenbegriff selbst). Prominent sind hierfür insbesondere die Arbeiten des Wirtschaftshistorikers Douglass C. North (1990) zu den shared mental models sozialer Gruppen, die sich in institutionellen Arrangements manifestieren können und damit ökonomische Praxis prägen (→ Kapitel 7.1).

2. Bereich: Der EinflussEinfluss von Wirtschaft auf Religion

Der zweite Bereich beleuchtet Religionen als ökonomische Akteure, also das Greifen wirtschaftlicher Logiken im Teilsystem Religion. Genau wie die Wirtschaft für Gesundheit oder Bildung relevant sein kann, so ist sie auch für Religion relevant. Ein Krankenhaus muss sich finanzieren, eine Universität auch, genauso ein hinduistischer Tempel oder eine christliche Kirche. Darüber hinaus müssen sich Religionen nicht nur finanzieren, sie vermarkten sich teilweise auch aktiv. Es ist wichtig zu betonen, dass es hier also nicht um die Anwendung wirtschaftswissenschaftlicher Methoden auf den Gegenstandsbereich Religion geht, sondern um das inhaltliche „Überschwappen“ der Logiken des gesellschaftlichen Teilsystems Wirtschaft auf das Teilsystem Religion. Religionen waren und sind ökonomische Akteure, z. B. als Arbeitgeber oder Immobilienbesitzer. Auch wenn das Thema der Finanzierung von ReligionenFinanzierung von Religion (→ Kapitel 5.1) für die Religionsökonomie naheliegend erscheinen mag, wurde es in der Religionsökonomie, insbesondere in ihrem angloamerikanischen Strang, vernachlässigt.

Zahlreiche, teilweise sehr unterschiedliche Studien zur Vermarktung von ReligionReligionVermarktung beschäftigen sich einerseits mit religiösen Wirtschaftsstrategien in der spätkapitalistischen Konsumkultur und andererseits mit der Entwicklung von Religion im Neoliberalismus (→ Kapitel 5.3). Eine Reihe von Werken fokussiert die WirtschaftsstrategienWirtschaftsstrategie religiöser AkteureAkteurereligiöse, u. a. mit den Schwerpunkten Konsumkultur, Kommodifizierung und Branding oder Vermarktung durch Medien und Populärkultur, während ein anderer Diskursstrang die durch den NeoliberalismusNeoliberalismus und KonsumismusKonsumismus verursachten Verschiebungen und Transformationen im religiösen Feld in den Blick nimmt.

Ein weiterer in diesem Bereich wichtiger Ansatz ist die auf Max Weber aufbauende Feldtheorie Pierre Bourdieus (2000), die vom WettbewerbWettbewerb zwischen AkteurenAkteure in bestimmten Positionen der SozialstrukturSozialstruktur mittels und um verschiedene Kapitalsorten ausgeht (→ Kapitel 6.2). Gerade in Abgrenzung zum economics of religion-Ansatz (s. 3 Bereich unten) stellt besonders die Ausarbeitung des Habituskonzepts als Verkörperung historischer und gesellschaftlicher Strukturen, die individuelles Handeln anleiten, einen zentralen analytischen Referenzpunkt dar, der sich sowohl von der rational choice-Theorierational choice-Theorie als auch vom Konzept der begrenzten Rationalität im Rahmen der Neuen Institutionenökonomik unterscheidet. Ferner zu nennen ist hier die Konzeptionalisierung religiöser Güter und deren Verteilung auf dem Markt nach Jörg Stolz (2006), der eine Synthese aus Bourdieus bzw. Webers Ansatz mit der economics of religion anstrebt.

3. Bereich: Ökonomische MethodenMethodeökonomische zur Untersuchung von Religion

Der dritte Bereich religionsökonomischer Forschung bedient sich ökonomischer Methoden, um Religion zu untersuchen. Hier liegt der Fokus insbesondere auf der ökonomischen Modellierung. Individuelles oder organisationales religiöses Handeln wird mit ökonomischen Modellen repräsentiert. Zu beachten ist, dass hierbei das Verhalten der religiösen Akteure sowohl als Konsumenten als auch als Produzenten untersucht werden kann (→ Kapitel 5.2).

Prominent ist hier ebenfalls der bereits mehrfach erwähnte economics of religion-Ansatzeconomics of religion-Ansatz, der als Kritik am Säkularisierungsparadigma in der angloamerikanischen Wissenschaftslandschaft seit den 1980er-Jahren von Religionssoziologen und Ökonomen entwickelt wurde (→ Kapitel 6.1). Er fußt auf der oben erläuterten rational choice-Theorie und geht von einem religiösen Markt aus, der aus Produzenten und Konsumenten religiöser Güter und Dienstleistungen besteht und dessen Fortbestand durch die konstant hohe Nachfrage nach Religion gesichert ist. Die Akteure verhalten sich gemäß dem Modell des Homo oeconomicus nutzenmaximierend; der WettbewerbWettbewerb unter Produzenten sei umso höher, je deregulierter der religiöse MarktMarktreligiöser sei, d. h., je weniger staatliche Eingriffe es z. B. durch die Förderung einer bestimmten (Staats-)Religion gebe. Dabei versteht sich die economics of religion als angebotsorientierter (supply-side-)Ansatz(supply-side-)Ansatz, angebotsorientierter: Religiösen Produzenten wird eine Schlüsselrolle eingeräumt, da sie durch ihre Produkte und Dienstleistungen die (latent immer vorhandene) Nachfrage seitens der Konsumenten „aktivieren“. Aufgrund zahlreicher konzeptueller Schwächen, u. a. der sehr begrenzten Anwendbarkeit des Modells über die amerikanische Religionslandschaft hinaus, erfährt der Ansatz besonders außerhalb der USA grundlegende und anhaltende Kritik.

 

Unser Systematisierungsvorschlag weist gleichermaßen Ähnlichkeiten mit und Unterschiede zu den oben kurz skizzierten Einordnungen des Feldes auf. Auffallend ist, dass der economics of religion-Ansatz jeweils als eigenes Forschungsfeld identifiziert wird. Schmidtchen unterscheidet, anders als wir es in diesem Lehrbuch tun, zwischen dem rational choice-Ansatz und der „ökonomische[n] Analyse der Religion“ (2000, 15), wobei er mit letzterem nicht nur Ansätze miteinbezieht, die ökonomische Methoden nutzen (z. B. Haushaltsproduktion und religiöses Humankapital), sondern auch die sozialwissenschaftliche Untersuchung religiöser Gruppen bzw. Institutionen und religiöser Märkte. Koch (2014, 2007) unterscheidet zwischen ökonomischen Theorien einerseits als „Gegenstand der Religionswissenschaft“ (economics of religion) und ökonomischen Theorien andererseits als „Modelle der Religionswissenschaft“ (Verhaltensökonomie, Neue Institutionenökonomik); wie wir im folgenden Unterkapitel erläutern, rahmen wir die Verhaltensökonomie und die Neue Institutionenökonomik jeweils als eine Erweiterung neoklassischen Lehre der economics of religion. 

Lutz (2018) unterscheidet Untersuchungen, die Religion als unabhängige bzw. abhängige Variable fassen. Oben haben wir den Kategorienfehler in dieser in der Literatur gängigen Einteilung kurz erläutert – nämlich, dass der economics of religion-Ansatz Religion als abhängige und Wirtschaft als unabhängige Variable setzt, wobei hier wirtschaftswissenschaftliche Methoden eigentlich die „unabhängige“ Variable wären. Vor diesem Hintergrund verzichten wir auf die Bezeichnungen „abhängige“ und „unabhängige“ Variable und sprechen vom Einfluss von Religion auf Wirtschaft einerseits, vom Einfluss von Wirtschaft auf Religion andererseits und zuletzt von der Anwendung ökonomischer Methoden auf den Gegenstand Religion.

1.4Gliederung des Lehrbuchs

Wie in dieser knappen Einführung in die Religionsökonomie bereits ersichtlich geworden ist, handelt es sich um ein interdisziplinäres Themenfeld, das auf komplexe Weise von der Religionswissenschaft, der Ökonomie und weiteren Disziplinen gespeist wird. Wir verstehen es als unser Ziel, im Rahmen dieses Lehrbuchs die Religionsökonomie für Interessierte beider Disziplinen zugänglich zu machen; in diesem Sinne ist es für Studierende und Dozierende sowohl der Religionswissenschaft als auch der Ökonomie konzipiert. Der Schwerpunkt innerhalb dieser beiden Disziplinen liegt auf der Religionssoziologie einerseits und der Mikroökonomie andererseits (mit ihren jeweiligen Schnittstellen zur WirtschaftssoziologieWirtschaftssoziologie), da dies die wichtigsten Teildisziplinen der Religionsökonomie sind.

Das Lehrbuch führt in Kapitel 2, „Einführung in Gegenstand und Methoden der Religionswissenschaft“, in den Gegenstand und eine Auswahl qualitativer und quantitativer Forschungsmethoden der Religionswissenschaft ein und richtet sich damit insbesondere an Studierende der Ökonomie. Es fasst die Perspektive des Fachs auf Religion knapp zusammen und erläutert grundlegende Begriffe und Ansätze, darunter den methodologischen Agnostizismus sowie die komparatistische Vorgehensweise. Die historische, die gegenwartsbezogene und die systematische Religionswissenschaft werden als drei Zweige der Disziplin vorgestellt und der Fokus mit Blick auf die Religionsökonomie im Weiteren insbesondere auf die Systematik, darunter besonders die Religionssoziologie, gelegt. In den Unterkapiteln zu Säkularisierung und Individualisierung als zwei zentrale religionssoziologische Paradigmen wird eine modernisierungstheoretische Grundlage geschaffen, auf die in den folgenden Kapiteln immer wieder zurückgegriffen wird. Die beiden letzten Teile des Kapitels bieten einen Überblick über qualitative und quantitative Forschungsmethoden in der Religionswissenschaft. Zu ersterem gehört die Konzeption von qualitativen Projekten (Forschungsdesign) ebenso wie deren Durchführung. Der Fokus liegt dabei auf Interviews und Beobachtung als grundlegende Erhebungsmethoden sowie auf Grounded Theory und SequenzanalyseSequenzanalyse als klassische Auswertungsmethoden. Die kurze Einführung in die quantitative Datenanalyse konzentriert sich auf die Grundlagen der deskriptiven Statistik und der Inferenzstatistik. Denjenigen Lesern, die mit qualitativer bzw. quantitativer Forschung vertraut sind, ist dabei klar, dass diese knappen Überblicke keinesfalls Vollständigkeit beanspruchen können. Ziel der Unterkapitel ist es ausdrücklich, Studierende beispielhaft an die Forschungsmethoden heranzuführen.

Kapitel 3, „Einführung in Gegenstand und Methoden der MikroökonomieMikroökonomie“, spricht v. a. Studierende der Religionswissenschaft an und bietet eine vereinfachte Einleitung in die Mikroökonomie. Es erklärt mikroökonomische Grundbegriffe und stellt die Grundlage mikroökonomischer Modellierung vor, auf die wir im Laufe des Lehrbuchs immer wieder zurückkommen. Dabei werden Begriffe wie Haushalt, Präferenzen und Nutzenmaximierungsprinzip, die der Religionsökonomie wie der Mikroökonomie zugrunde liegen, erläutert. Es wird gezeigt, wie die Mikroökonomie sich dem Problem des Treffens von Entscheidungen nähert und wie sie das Treffen optimaler Entscheidungen seitens Individuen modelliert. Die Haushalte bilden als Konsumenten dabei die eine Seite der Medaille. Die jüngere religionsökonomische Forschung berücksichtigt zunehmend auch die andere Seite, die Anbieter. Wie das Verhalten eines Unternehmens, eines Produzenten, modelliert wird – die Grundlage der religionsökonomischen Betrachtung religiöser Anbieter – wird ebenfalls in diesem Kapitel erläutert. Ein anderes ökonomisches Konzept, das in der Religionsökonomie viel Verwendung findet, ist das Marktmodell, welches erläutert, wie Nachfrage und Angebot sich auf dem Markt treffen und den Preis bestimmen. Ein mikroökonomisches Grundverständnis dieses Modells soll der Leserschaft zu einer kritischen Reflektion über seine Anwendung in der Religionsökonomie verhelfen. Kapitel 3 zielt somit darauf, Studierende der Religionswissenschaft auf die Lektüre religionsökonomischer Literatur vorzubereiten und sie zu befähigen, religionsökonomische Theorien besser zu verstehen und kritisch zu hinterfragen. Zudem bereitet das Kapitel die Leser auf die Anwendung der Mikroökonomie in der Religionsforschung vor.

Kapitel 2 und 3 sind also fakultativ zu behandeln; wenn Sie sich mit der Religionswissenschaft bzw. der Mikroökonomie hinreichend auskennen, können Sie diese Kapitel überspringen, ohne Verständnisprobleme in den Folgekapiteln befürchten zu müssen.

Kapitel 4, „Religiöse ökonomische EthikEthikreligiöse ökonomische und sozioökonomische AuswirkungenAuswirkungen, sozioökonomische“, beleuchtet einen der oben besprochenen Zusammenhänge von Religion und Wirtschaft, nämlich den Einfluss von Religion auf Wirtschaft. Es diskutiert dazu zuerst beispielhaft verschiedene religiöse Ethiken, die Ge- oder Verbote für wirtschaftliches Handeln aufstellen. Der Schwerpunkt liegt hier auf Steuern und Zinsverboten im Islam, es kommen aber auch religiöse Stiftungen im ZoroastrismusZoroastrismus sowie das Verbot des Wirtschaftsbetrugs im Judentum und das BesitzverbotBesitzverbot im Buddhismus zur Sprache. Verschiedene christliche Wirtschaftsethiken werden ebenfalls kurz beleuchtet, bevor der Fokus im zweiten Teil des Kapitels auf sozioökonomische Auswirkungen der im ersten Teil besprochenen Ge- und Verbote schwenkt. Hier setzen wir uns vertieft mit der Entwicklung kapitalistischer Wirtschaftsformen in protestantischen Kontexten nach Max Weber sowie der Analyse „schleppender“ Wirtschaftsentwicklung islamischer Länder von Timur Kuran auseinander. Die Arbeiten Webers und Kurans sind nicht nur ob ihrer inhaltlichen Argumentation bzgl. der Auswirkungen des Protestantismus bzw. des Islams auf die wirtschaftliche Entwicklung ganzer Gesellschaften und die jeweiligen Wechselwirkungen zwischen religiösen Ethiken und wirtschaftlichem Handeln interessant. Sie stellen darüber hinaus zwei verschiedene disziplinäre Ansätze dar, nämlich einen soziologischen und einen ökonomischen, die den Einfluss von Religion auf Wirtschaft bzw. wirtschaftliche Entwicklung untersuchen. Trotz (bzw. gerade wegen) aller Unterschiede – nicht zuletzt der verschiedenen historischen Kontexte, denen sie entsprungen sind – lohnt sich der vergleichende Blick, um das religionsökonomische Potential der beiden Studien herauszuarbeiten.

Kapitel 5, „Religionen als ökonomische Akteure“, beleuchtet das umgekehrte Verhältnis von Religion und Wirtschaft, nämlich den Einfluss von Wirtschaft auf Religion bzw. die Verbreitung wirtschaftlicher Logiken im religiösen Feld oder dem Teilsystem Religion. Dazu nimmt es zuerst die Finanzierung von Religion und religiösen Organisationen und ihre Finanzierungsformen in den Blick. Dabei wird sowohl Geld- als auch Zeitinvestition sowie Investition in Religion seitens der Konsumenten sowie der Produzenten berücksichtigt. Während dabei die wirtschaftlichen Verhältnisse im Teilsystem Religion auf der objektsprachlichen Ebene vorgestellt werden, stellt der folgende Teil dar, wie die ökonomische Modellierung für die Untersuchung religiöser Institutionen oder des Verhaltens religiöser Organisationen verwendet werden können. Dabei werden Modellierungen auf der Mikroebene, der Haushaltsebene, und der Mesoebene, der Ebene einer größeren religiösen Organisation wie der römisch-katholischen Kirche, vorgestellt. 

Im dritten Teil des Kapitels beschäftigen wir uns mit der Vermarktung verschiedener Religionen; es geht also nicht mehr um das reine „Überleben“ als wirtschaftliche Akteure, sondern um das explizite Streben nach Wachstum und gefestigter Stellung in den jeweiligen Religionslandschaften durch Selbstvermarktung. Der Einfluss spätkapitalistischer wirtschaftlicher Logiken des KonsumismusKonsumismus und NeoliberalismusNeoliberalismus auf Religionen werden z. B. im Bereich des religiösen Marketings und Brandings ersichtlich, das in Judentum, Christentum, Islam, HinduismusHinduismus und BuddhismusBuddhismus gleichermaßen eine Rolle spielt. Religionen bzw. religiöse Akteure müssen sich nicht vermarkten; dies unterscheidet die Vermarktung von der Finanzierung, von der religiöse Akteure unbedingt abhängig sind. Zunehmend partizipieren sie aber in der Selbstvermarktung, um an Sichtbarkeit und AnhängerschaftAnhängerschaft zu gewinnen. Dieser Prozess hat wiederum Auswirkungen auf die Entwicklungen von Religionen und religiösen Akteuren. Das WechselverhältnisWechselverhältnis wird in diesem Unterkapitel genauer beleuchtet.

Kapitel 6, „MarktmodellMarktmodell der Religione der Religion“, widmet sich unterschiedlichen Ansätzen, die Religion als Wettbewerbsarena konzipieren. Allen voran steht der bislang wohl bekannteste Zweig der Religionsökonomie, der economics of religion-Ansatz. Wie oben bereits erläutert, wurde er ab den 1980er-Jahren in den USA als Kritik am Säkularisierungsparadigma (→ Kapitel 2.2.1) entwickelt und fußt in der rational choice