Ren Dhark – Weg ins Weltall 102: Stählerne Hölle - Jan Gardemann - E-Book

Ren Dhark – Weg ins Weltall 102: Stählerne Hölle E-Book

Jan Gardemann

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Beschreibung

Ren Dhark und seine Gefährten retten die Besatzung der NOVA QU und kehren nach ERRON-3 zurück, um die übrigen Tel-Klone für die Heimreise abzuholen. Dort hat Rak Gorham inzwischen jedoch eine Entdeckung gemacht, die Dharks gute Absichten infrage stellt. Auf Newing gerät die Mannschaft der CHARR in Konflikt mit der Kaufmannsgilde. Nagg’nagg hat noch eine alte Rechnung mit Terranern zu begleichen. Weil Frederic Huxley nicht in der Lage ist, die geforderte Geldsumme aufzubringen, werden er sowie neun weitere Begleiter in die Stählerne Hölle verbracht. Gary G. Aldrin, Jan Gardemann und Jessica Keppler schrieben diesen mitreißenden SF-Roman nach dem Exposé von Anton Wollnik.

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Seitenzahl: 379

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Ren Dhark

Weg ins Weltall

 

Band 102

Stählerne Hölle

 

von

 

Jessica Keppler

(Kapitel 1 bis 6)

 

Jan Gardemann

(Kapitel 7 bis 13)

 

Gary G. Aldrin

(Kapitel 14 bis 20)

 

und

 

Anton Wollnik

(Exposé)

Inhalt

Titelseite

Vorwort

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

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Impressum

Vorwort

Im Laufe der Jahrzehnte haben sich in unserer Lieblingsserie REN DHARK so einige offene Fragen und ungelöste Rätsel angesammelt. Sicherlich werden wir nicht alle Geheimnisse lüften können, denn das würde den bisherigen Erlebnissen widersprechen. Kein Terraner wird je in der Lage sein, die Technologie der Worgun gänzlich zu begreifen. Ansonsten könnte man die POINT OF und den Checkmaster nämlich einfach nachbauen, und das wäre dann auch wieder langweilig.

Wir müssen also stets einen guten Kompromiss finden zwischen Spannung und dem Bedürfnis, Geheimnisse zu lüften. Immer nur von neuen Rätseln zu lesen, aber nie Antworten zu erhalten, macht auf Dauer schließlich auch keinen Spaß. Was soll man mit lauter Puzzlestücken, wenn sich nicht irgendwann einmal ein Bild ergibt?

Ein kleines Puzzle setzen wir im vorliegenden Band zusammen: Die Geschichte des Sternenbrücken-Krieges zwischen Terranern und Tel findet ihren Abschluss und der Commander nach siebzehn Jahren endlich seinen Frieden. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, liebe Leser, aber ich fand es damals sehr merkwürdig, dass Ren Dhark nach dem Hy-Kon-Einsatz im Zwitt-System einfach wieder in den Alltag übergehen konnte. Er ist doch ein Mann, der nach ethischen Wertvorstellungen handelt und stets versucht, das Richtige zu tun. Abertausende von Tel in den vermeintlichen Tod geschickt zu haben, müsste ihn doch schwer belasten. Natürlich könnte man dagegenhalten, dass er so viel zu tun hat, dass er nie darüber nachdenken konnte, aber ich glaube, dass ihn zwischendurch in ruhigen Momenten die Erinnerungen an seine unfreiwillige Tat doch einholen. Das wurde in den Bänden aber bis vor Kurzem nie thematisiert.

Aus diesem Grund ist mir der vorliegende Band auch sehr wichtig, denn jetzt können wir endlich ein paar offene Fragen klären, dich mich – und vielleicht auch einige von Ihnen, liebe Leser – schon sehr lange beschäftigen. Des Weiteren zeigt uns Ren Dhark einmal mehr, was ihn von den meisten anderen Menschen unterscheidet: Anstatt alles abzustreiten und sich vor der Verantwortung zu drücken, versucht er, das Beste aus der Situation zu machen. Dabei schreckt er nicht davor zurück, sich notfalls selbst in Gefahr zu begeben, um wenigstens ein paar Tel-Soldaten zu retten – obwohl manch einer von denen ihn am liebsten töten würde. Allerdings ist Dhark bei dieser Mission nicht auf sich allein gestellt, denn seine Freunde unterstützen ihn und geben ihm im wahrsten Sinne des Wortes Rückendeckung.

Wie im Vorwort des letzten Weg ins Weltall-Bandes angekündigt, geht es mit der TSS RANLAK nach Abschluss der Rettungsmission noch in diesem Band in die Sternenbrücke im Heimatuniversum zurück. Dort wird es dann ein »bisschen« turbulenter zugehen, worauf Sie seit der Lektüre des letzten Bandes sicherlich schon gespannt warten.

Doch auch Frederic Huxley und seine Kameraden werden es mit nervenaufreibenden Gefahren zu tun bekommen, während Brent Cavendish schockierende Entdeckungen auf Acheron drei macht.

Jetzt aber genug die Werbetrommel gerührt! Den aktuellen Band halten Sie ohnehin schon in den Händen und wollen ihn bestimmt gleich lesen. Deshalb verabschiede ich mich an dieser Stelle von Ihnen und wünsche Ihnen ein paar unterhaltsame und spannungsgeladene Stunden mit REN DHARK.

 

Düsseldorf, im August 2021

Anton Wollnik

Prolog

Am 21. Mai 2051 startet die GALAXIS von Terra aus zu einer schicksalhaften Reise in den Weltraum. Durch eine Fehlfunktion des »Time«-Effekts, eines noch weitgehend unerforschten Überlichtantriebs der Terraner, springt das Raumschiff über beispiellose 4.300 Lichtjahre. Genau einen Monat später erreicht es das Col-System, wo es auf dem Planeten Hope landet. Weil ein Weg nach Hause unmöglich erscheint, beschließen die Raumfahrer, auf dem Planeten zu siedeln, und gründen die Stadt Cattan.

Rico Rocco schwingt sich zum Diktator auf und lässt sämtliche Kritiker verfolgen und auf den Inselkontinent Deluge verbannen. Dieses Schicksal trifft auch den zweiundzwanzigjährigen Ren Dhark, seinen besten Freund Dan Riker sowie eine Reihe weiterer Terraner. Doch damit endet die Geschichte nicht. In einer Höhle entdecken die Verbannten nicht nur Artefakte einer mysteriösen fremden Hochkultur, sondern auch ein unvollendetes Raumschiff, das eine prägnante Ringform aufweist.

Nachdem Rico Rocco bei einem Angriff der Amphi umgekommen ist, wird Ren Dhark zum neuen Stadtpräsidenten Cattans gewählt. Er lässt den Ringraumer reparieren, welcher später von Pjetr Wonzeff auf den Namen POINT OF INTERROGATION, kurz POINT OF, getauft wird. Im April 2052 bricht der Ringraumer unter Dharks Kommando zu seinem Jungfernflug zur Erde auf und beginnt damit ein neues Kapitel in der terranischen Raumfahrt. Nicht zuletzt dank Dharks Forscherdrang entdecken die Menschen weitere Hinterlassenschaften der Mysterious, die es ihnen ermöglichen, neue Ringraumer zu bauen und immer weiter in die Tiefen des Weltraums vorzudringen. Die POINT OF jedoch bleibt trotz allem einzigartig, was nicht zuletzt am Checkmaster liegt, dem eigenwilligen Bordgehirn dieses Raumschiffs.

Ren Dhark bleibt der Kommandant der POINT OF und erforscht mit seiner Mannschaft in den folgenden Jahren nicht nur das Weltall, sondern rettet auch immer wieder die Menschheit und sogar ganze Galaxien. Als sich im Mai 2074 der sich unvermutet selbst aktivierte nogksche Schutzschirm um Terra nicht mehr abschalten lässt, sucht er nach einer Lösung für dieses Problem, doch es scheint, dass er diesmal keine finden wird. Da tauchen plötzlich die Thanagog auf, nach eigenem Bekunden Freunde der Mysterious beziehungsweise Worgun, und berichten von einem Gerät, das in ERRON-3, dem zentralen Wissensarchiv der Worgun im blassblauen Universum, zu finden sei. Dorthin brechen Ren Dhark und eine handverlesene Gruppe mit dem Experimentalraumschiff TSS RANLAK auf.

Bald erreicht der Raumer den Planeten und landet dort nach einem halsbrecherischen Manöver. Ren Dhark und seine Vertrauten haben alle Hände voll damit zu tun, die anderen Expeditionsteilnehmer davon abzuhalten, das Wissensarchiv zu plündern, und zu verhindern, dass der Hyperkalkulator der unterirdischen Worgun-Station ihnen weitere auf Abwehr programmierte Kampfroboter auf den Hals hetzt. Bereits nach wenigen Stunden im Archiv begegnen die Raumfahrer überraschend Tel. Alles deutet darauf hin, dass es sich um jene Soldaten handelt, die im Mai 2057 während einer Eroberungsschlacht zwischen Tel und Terranern im Zwitt-System in der Sternenbrücke spurlos verschwunden sind. Schließlich ist das Gerät zur Deaktivierung des Schutzschirms um Terra gefunden. Während ein Teil der Expeditionsteilnehmer in die TSS RANLAK zurückkehrt, sucht Ren Dhark mit den anderen nach den mysteriösen Tel, die in ERRON-3 herumspuken. Bald stößt die Gruppe auf eine ganze Kolonie von Schwarzen Weißen, offenbar Klone der Mannschaft eines Doppelkugelraumers der verschollenen Flotte. Von denen erfahren sie mehr über das blassblaue Universum sowie das Schicksal der Tel-Soldaten. Mit diesem neuen Wissen eröffnet sich eine Chance, die Überlebenden des Sternenbrücken-Krieges zu retten und nach Hause zu bringen. Ren Dhark sieht die Möglichkeit, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Die TSS RANLAK bricht zu einer letzten Mission im blassblauen Universum auf …

1.

Acheron drei, August 2074

 

Mit dem modifizierten Multikarabiner vom Typ GEH&K Mark 10/62 im Anschlag arbeitete sich Brent Cavendish hoch konzentriert weiter in den Gang der ersten Etage vor. Nur spärliches Licht schaffte es durch die verschmierten Fenster der Slumbaracke. Der schmutzige Dielenboden knarzte unter seinen Stiefeln. Drei weitere Aufräumer folgten ihm, die Multikarabiner ebenfalls erhoben und sich gegenseitig deckend.

Rumpeln und gedämpfte Schreie, die beidseitig von Decke und Boden auf Cavendish eindrangen, verrieten den Beginn erster Kämpfe. Der Rest aus Reginald Kaplows Team war in den anderen Stockwerken auf Widerstand gestoßen.

Eine Schweißperle floss Cavendishs Stirn hinab, als er sich an die Gangwand neben einer offen stehenden Tür presste. Es kostete ihn enorme Anstrengung, auf seine drei Kumpane hinter sich und gleichzeitig auf etwaige Geräusche zu achten. Letztere musste er permanent dahingehend interpretieren, ob es sich um Bandenmitglieder handelte, die er getrost niederschießen konnte, oder um eine sich versteckende Familie, die er vor seinen eigenen Leuten beschützen musste. Armstrong, Jackson und Walinski hinter ihm folgten nämlich wie die meisten Aufräumer im Eifer des Gefechts der Devise »Auf alles schießen und dann erst fragen«.

Bevor seine Mitstreiter auf die Idee kommen konnten, ihn von der Angriffsspitze zu vertreiben, huschte er um die Ecke und riss seinen Multikarabiner hoch. Adrenalin schoss in seine Adern. Er war gleichzeitig darauf gefasst, abzudrücken oder sich hastig vor seine schießwütigen Kumpane zu stellen – je nachdem, wem er sich in dem Raum gegenübersehen würde.

Letzteres wurde rasch überflüssig.

»Fresst Scheiße!«, brüllte jemand hinter einem Stapel Lagerkisten, dann hagelte es Eisenprojektile.

Cavendishs Instinkte aus seiner Zeit beim Militär erwachten schlagartig. Er warf sich zu Boden, über ihm schlugen die Geschosse in die Wand ein. Er feuerte noch im Fallen eine Salve Strich-Punkt in Richtung des Widerständlers ab. Nein, falsch – da waren zwei Gestalten!

Der Ex-Soldat landete mit der rechten Körperseite direkt neben einer Lagerkiste, dachte nicht lange nach und trat diese mit voller Wucht gegen den Stapel, hinter der sich die Gegner versteckten.

Der Kistenturm schwankte gefährlich, dann stürzte er um. Schmerzensschreie gellten durch den Raum, als einer der Gegner unter den offenkundig schweren Lagerkisten begraben wurde. Der andere konnte sich gerade noch rechtzeitig in die Mitte des Zimmers retten, aber dort erwartete ihn bereits die imposante Gestalt Brent Cavendishs, nachdem dieser wieder aufgesprungen war und sich nun wie ein breiter Schrank vor dem Rattengesicht aufbaute.

Die Pranke des Ex-Soldaten schoss vor, ehe sein Gegner die Waffe heben konnte. Erst riss er dem Wicht die Feuerkanone, die sich in dessen Armprothese verbarg, mitsamt des mechanischen Arms vollständig heraus, dann hob er den zappelnden Schmächtling am Kragen hoch. Angewidert verzog er das Gesicht. Dieser Lumpenhaufen hatte sich die Vorderzähne spitz gefeilt und stank nach Käsefüßen und altem Schweiß. Dann fiel sein Blick auf eine markante Tätowierung am Hals des Rattengesichts.

Unter den gestürzten Kisten regte sich etwas. Armstrong beendete jenes Leben mit einem gezielten Schuss und trat ebenfalls ins Zimmer ein, während die beiden anderen Aufräumer den Gang sicherten.

»Ihr wagt euch immer weiter in Madame Friedels Viertel vor, was?«, fragte Cavendish bedrohlich und musterte das Bandentattoo seines Gefangenen. Es zeigte eine graue Maske ohne Mundschlitz und mit sichelförmigen Augenausschnitten, die vor einem roten Kreuz schwebte.

Gegen diese Bande hatte er in den letzten Tagen öfter kämpfen müssen. Keiner dieser Leute hatte eine Maske getragen, weshalb ihr Logo ein wenig unpassend wirkte – es sei denn, es hatte etwas mit ihrem Anführer zu tun. Cavendish wusste nicht, wie viele Bandenmitglieder seine Kollegen und er schon ausgeschaltet hatten, doch diese Bande hier schien sich so rasch zu vergrößern wie ein Parasitenhaufen. Bislang hatten die Aufräumer den Anführer, der im Hintergrund die Fäden zog, nicht ausfindig machen können, der offenbar vermehrt Leute aus den Slums rekrutierte, um Madame Friedels Viertel immer wieder aufs Neue zu attackieren.

»Stirb, du Beulenpest!«, zischte das Rattengesicht in diesem Moment. »Für unsere Sache!« Ein gezacktes Messer blitzte in seiner Faust auf, das Metall schnellte vor, um sich in Cavendishs Halsseite zu bohren, doch der Ex-Soldat packte mit der freien Hand das auf ihn zuschießende Handgelenk und verdrehte es mit einem einzigen, kraftvollen Ruck. Ein schmatzendes Knacken ertönte, und das Rattengesicht kreischte auf, dieses Mal schriller als zuvor. Es dauerte ein paar Sekunden, bis die Laute zu einem Wimmern zusammenschrumpften und Gesprochenes wieder verständlich wurde.

»Wie heißt euer Bandenführer?«, fragt Cavendish scheinbar gelassen und schüttelte seinen Gefangenen grob. »Spuck’s schon aus!«

Das Rattengesicht holte mit dem Kopf aus und versuchte, Cavendish die Stirn ins Gesicht zu rammen, doch der ehemalige Leutnant kam ihm zuvor und verpasste der halben Portion eine schallende Ohrfeige.

»Raus mit der Sprache, dann lass ich dich vielleicht laufen!«, forderte Cavendish erneut.

»Du elendiger … glaub ja nicht, dass wir aufhören werden!«, presste sein Gefangener hervor; in den kleinen Knopfaugen funkelte Hass, vernebelt durch Schmerz. »Wir machen euch kalt!«

»Aus dem ist wohl nichts Brauchbares herauszubekommen«, stellte Armstrong fest.

»Offenbar nicht«, stimmte Cavendish ihm zu. Da er nicht der Typ war, der andere folterte, ließ er seinen Gefangenen zu Boden fallen, hob seinen Multikarabiner und schoss.

Gesindel wie diese Bande war für den verarmten und kriminellen Zustand von Diestadt verantwortlich, der sich in Form von Slums immer weiter ausbreitete und allerlei Gräueltaten, Leid und Unmenschlichkeit hervorbrachte. Cavendish hatte dies während der wenigen Monate als Privatdetektiv am eigenen Leib miterlebt. Er verstand deshalb gut, dass Madame Friedel solche Leute nicht in ihrem Viertel haben wollte. Und weil dieses Gesindel sich weigerte, freiwillig das Feld zu räumen, um Platz für anständige Menschen zu schaffen, sahen sich Leute wie Cavendish dazu gezwungen, Gewalt anzuwenden. Ginge es nur um die Aufräumer und die kriminellen Banden, wäre das halb so schlimm, aber es litten auch Familien unter den Aufräumaktionen. Warum konnte das Pack nicht einfach freiwillig das Viertel verlassen?

Cavendish wandte sich mit mahlendem Unterkiefer ab. Wenn er Leute wie dieses Rattengesicht in die Finger bekam, empfand er keinerlei Schuldgefühle oder gar Mitleid.

»Dir kribbelt wirklich der Finger am Abzug, was, Großer?«, fragte Armstrong; seine Stimme klang durch den schwarzen Schutzhelm gedämpft.

»Was …?«, fragte Cavendish stirnrunzelnd und drehte sich zum Gang.

Doch er kam nicht dazu, seine Frage weiter auszuformulieren, denn Jackson und Walinski hatten sich in Bewegung gesetzt und an eine weitere Gangtür herangepirscht, die noch verschlossen war. Wieder schoss Adrenalin in Cavendishs Blutbahn. Er durfte nicht zulassen, dass ihm die Kontrolle über die Lage entglitt. Ohne zu zögern, stürmte er los, direkt auf die beiden anderen Männer zu, und verpasste der Tür vor ihnen zur Verblüffung aller einen schweren Stiefeltritt. Er hatte dabei die volle Kraft seiner Beinmuskeln eingesetzt. Holz barst, die Tür flog splitternd aus den Angeln.

Eine leere Abstellkammer lag vor der Mündung von Cavendishs Multikarabiner. Muff strömte ihm entgegen wie schlechter Atem. Er ließ die Waffe wenige Zentimeter sinken und zog die Nase kraus. Das Kabuff erinnerte ihn ein wenig an sein altes Wohnbüro, das er gekündigt hatte, seit er zu einem von Madame Friedels festen Mitarbeitern geworden war. An diese Zeit erinnerte er sich nur ungern, was vor allem an der schönen Natalja Kosenkova lag, die ihm aller Wahrscheinlichkeit nach sein Vermögen gestohlen hatte. Wegen ihr hatte er im Slum leben müssen.

Cavendish wandte sich an seine Kumpane. »Das war der letzte Raum. In dieser Etage scheinen wir alle erwischt zu haben.«

»Genau das, Rambo«, Jackson schlug dem Bodybuilder freundschaftlich auf den muskelbepackten, breiten Rücken, »hat Armstrong gerade mit seiner Bemerkung gemeint. In letzter Zeit walzt du uns allen immer voraus wie ein angriffslustiger Bulle, der es nicht erwarten kann, jemandem einen Energiestrahl zwischen die Augen zu jagen!«

Walinski lachte leise und wedelte angriffslustig mit seiner Waffe, natürlich ohne die Mündung auf seine Kumpane zu richten. »Meine Lady hier wird unruhig, wenn du uns nicht auch was vom Kuchen übrig lässt!«

Cavendish brummte nur und ließ die drei in dem Glauben, er zähle zu den Adrenalinjunkies. Wenn er seinen Mitstreitern erklären würde, dass er in Wahrheit das Niederschießen Unschuldiger verhindern wollte und deshalb immer vorauseilte, hätte dies nur wieder Aufmerksamkeit erregt – und damit Reginald Kaplow auf den Plan gerufen. Bereits zweimal hatte der Einsatzleiter Cavendish zusammengestaucht, allem voran wegen dessen geäußerten Bedenken hinsichtlich der Vertreibung von Familien und Hilfebedürftigen.

Cavendish hatte sich sogar einer unverhohlenen Kündigungsdrohung gegenübergesehen und sich seither wohlweislich gehütet, irgendetwas Kritisches zu äußern. Bei dem Gedanken daran, sein privilegiertes Leben in Madame Friedels Viertel zu verlieren, zog sich seine Magengegend zusammen. Die Slums von Diestadt auf Acheron drei waren nicht nur ein äußerst unangenehmer Ort zum Leben – nein, er wollte einfach nicht noch einmal versagen und erneut am tiefsten Punkt im Schlamm sitzen. Deshalb musste er sein Moralgefühl zurückstellen und sich irgendwie mit der neuen Situation arrangieren. Er wollte in Madame Friedels Organisation weiter aufsteigen, denn hier in diesem Viertel sah er endlich seine Chance gekommen, etwas zu erreichen. Das wollte er nicht wegwerfen.

Nur ein einziger Gedanke ließ ihn deshalb die Zähne zusammenbeißen und weitermachen: Sobald er bis zur Hierarchiespitze hinaufgeklettert und Madame Friedels rechte Hand geworden war, würde er nicht nur Großartiges hier leisten, sondern auch gegen die Missstände in den Reihen der Aufräumer etwas tun können. Daran glaubte er fest. Und bis dahin würde er tun, was man von ihm verlangte. Nach Möglichkeit verschoss er aber Strich-Punkt-Stahlen in paralysierender Dosis, anstatt in tödlicher. Das beruhigte sein Gewissen ein wenig.

»Ich nehme unseren Einsatz bloß ernst«, schob Cavendish hinterher und schaute über seine Schulter in den vollständig gesicherten Gang. »Ich habe schließlich eine erfolgreiche Militärlaufbahn hinter mir, und das Gelernte von damals streift man als ehemaliger Soldat nicht einfach ab. Ihr könnt mir glauben, ich habe Dinge geseh…«

»Habt ihr das gehört?«, unterbrach ihn Walinski grinsend und warf Jackson und Armstrong einen vielsagenden Seitenblick zu. »Er nimmt unseren Einsatz ernst! Aber wenn ihr mich fragt, dann sucht unser großer Freund hier den Adrenalinschub aus einem ganz anderen Grund. Ich meine: Denkt doch nur mal an den Korb, den er heute Morgen im Fitnessstudio erhalten hat!«

»Oh ja, das war hart«, bestätigte Armstrong. »Die beiden Frauen waren aber auch wirklich zum Anknabbern schön.«

Dass Armstrong, Jackson und Walinski so ausgelassen herumschäkerten, obwohl sie sich in feindlichem Gebiet aufhielten, lag an der überwältigenden Überlegenheit der Aufpasser hinsichtlich Anzahl der Mitglieder und Waffen sowie der Qualität der Schutzausrüstung. Das Ganze hatte für sie daher mehr etwas von einem Freizeitspiel wie Paintball, nur mit echten Waffen und einem glorreichen Ziel, nämlich der Säuberung des Viertels, sprich der Entfernung des Drogenpacks und anderen Gesindels. Dabei entstehende Verluste unschuldigen Lebens wurden von den Zuständigen gemeinhin als Kollateralschäden angesehen, ein Übel, das hingenommen werden musste, um etwas Großes in Madame Friedels Viertel zu erschaffen.

»Es ging bei meinem Auftritt nicht darum, eine Frau für mich zu gewinnen«, grummelte Cavendish pikiert. Seine Mundlinie verzog sich dabei zu einer steilen Kurve abwärts. Während des von Kaplow angeordneten Fitnesstrainings zusammen mit Armstrong, Jackson und Walinski am frühen Morgen waren ihm zwei äußerst attraktive Frauen ins Auge gefallen. Die lieblichen Gesichtszüge der Rothaarigen hatten ihn ein wenig an Natalja Kosenkova erinnert und an die schöne Zeit mit ihr. Weibliche Wesen waren generell ein seltener Anblick zu Kaplows angeordneter Trainingszeit, da jene die Mittagsstunde zu bevorzugen schienen.

Ohne nachzudenken, hatte der leidenschaftliche Bodybuilder den hübschen Damen eifrig angeboten, ihnen beim Aufbau eines Trainingsplans zu helfen und sie an den Geräten zu unterstützen. Er hatte dabei im gleichen Zuge seinen definierten Muskelkörper präsentiert, den er mit Kraftsport und idealer Ernährung seit Jahrzehnten in Form hielt. Doch schon während der Anekdote über seinen Traum eines Fitnessimperiums und der gleichzeitigen Vorführung seiner trainierten Muskelpartien hatten die Damen das Weite gesucht. Es war nicht einmal ein richtiges Gespräch zustande gekommen – eine bittere Pille, die Brent Cavendish zu schlucken gehabt hatte.

»Das war kein Korb«, stellte er nochmals klar und setzte sich in Bewegung, auf die Gangtreppe zu, um im zweiten Stock am leiser werdenden Kampfgetümmel teilzunehmen. Dort hielten sich noch weitere Teams der Aufpasser auf. »Ich habe gar nicht mit den Damen geflirtet, sondern ihnen lediglich meine Hilfe als kompetenter Fitnesstrainer angeboten. Sie haben meine Hilfestellung bloß nicht benötigt. Ist doch keine große Sache.«

»Na, sicher doch«, hörte er Armstrong dicht hinter sich antworten, »genauso wie die Brünette am Tag zuvor. Mann, die war heiß! Und dann die Mädelsgruppe davor!«

»Hast du vergessen, dass ich ein Fitnessstudio aufmachen will? Da ist es meine Aufgabe, Hilfestellung zu leisten. Betrachte es als Kundenakquise.«

Jackson gab nun ebenfalls seinen Senf dazu. »Aber ja, Hilfestellung der Art, den attraktiven Frauen zu zeigen, wo sie ihre süßen Hintern auf dem Sportgerät zu platzieren haben.«

Armstrong hustete, was sich wie ein unterdrücktes Lachen anhörte. »Das erklärt, warum unser Bodybuilder-Freund hier ununterbrochen von seinem Fitnessimperium faselt«, bemerkte er in gespieltem Ernst. »Ich verstehe es, wenn ich jetzt so darüber nachdenke … ja, ehrlich! Das ist ein Traumjob!« Mit der Hand, die nicht den Multikarabiner trug, machte er greifende Fingerbewegungen, was Walinski und Jackson beinahe völlig die Fassung verlieren ließ.

Cavendish stieß empört Luft aus der Nase aus, was seinen schnurgeraden Schnauzer zum Erbeben brachte. Gerade wollte er seinen Kollegen erklären, dass so etwas nicht der Grund für seine Bodybuilding-Leidenschaft war, als im Stockwerk über ihnen plötzlich ein Krachen erklang, als hätte es eine kleine Explosion gegeben. Nichts brach zusammen, es regneten nur Staubkörnchen von der Decke herab. Trotzdem setzten sich die vier Männer sofort in Bewegung, Cavendish erneut voraus.

Sie stürmten die Barackentreppe hinauf und sahen sogleich, was geschehen war: Im hinteren Teil fand eine heftige Schießerei statt. Aufräumer gegen Laborkittelträger und Bandenmitglieder. Kaplow selbst stand vor einem gewaltigen Riss im Dach, der wohl von der Explosion herrührte, und jagte den dorthin Fliehenden Energiestrahlen nach.

Cavendish stürmte los, als rechts ein Projektil durch die Luft schnitt und links in die Wand einschlug. Hätte er sich nur eine Handbreit weiter im Gang befunden, hätte der Schuss seine rechte Helmseite getroffen. Wie stabil waren diese Schutzhelme eigentlich? Er riss seinen Multikarabiner herum und feuerte. Armstrong, Walinski und Jackson taten es ihm gleich; letzterer brüllte vor Erregung.

Der große Raum, in dem sich die neuen Gegner aufhielten, stellte sich als Labor heraus und war mit weiteren Räumlichkeiten verbunden, in denen ebenfalls Kämpfe stattfanden. Das war wohl ein Nest von Drogenherstellern, die mit der Maskenkreuz-Bande zusammenarbeiteten. Dennoch wirkte das Labor merkwürdig: wie ein Gewächshaus, was Cavendish unangenehm an das Labor erinnerte, wo er den entstellten Burschen mit der Pustelnase aufgegriffen hatte. Überall lugte Grünzeug hervor. Abschnittsweise waren halbdurchsichtige Folien aufgespannt worden, hinter denen warme Luft hervorströmte und sich grünbraune Schatten bewegten. Doch wirklich gruselig waren die kastenförmigen Maschinen, die fleischfarbenes Biomaterial zu etwas Neuem verarbeiteten.

Cavendish mähte mehrere Angreifer nieder, stürmte dann von Deckung zu Deckung und arbeitete sich mit seinen drei Mitstreitern weiter ins Labor vor. Dabei achtete er darauf, sich von den beweglichen Pflanzen fernzuhalten. Auf den Laborzeilen neben ihm zersprangen zahlreiche Reagenzgläser. Glassplitter regneten zu Boden. Wabbelige, grüne Schleimmasse spritzte auf die Klarsichtscheibe seines Schutzhelms. Einen Moment lang blieb sein Herz fast stehen in der Erwartung, dass die Substanz seinen Schutzhelm wegätzte und er sich diesen hastig vom Kopf reißen musste.

Nichts dergleichen geschah.

Mit den Handschuhen seines Kampfanzugs wischte Cavendish den Glibber kurzerhand weg und hätte dadurch fast einen Angreifer übersehen, der hinter einem Schrank hervorsprang. Er schlug diesen mit dem Kolben seines Multikarabiners nieder und jagte einen Strich-Punkt-Strahl in dessen Brust.

Der Rausch des Kampfes hatte den Ex-Soldaten mittlerweile vollständig im Griff, ebenso wie die anderen Aufräumer. Die Schießerei breitete sich auf den Gang aus, dann auch auf das Flachdach, das durch die Abgasrohre stellenweise in ungefilterten, stinkenden Abgasrauch eingehüllt war. Vorsichtig tasteten sich die Aufräumer vor und mähten alles nieder, was sich in den Abgaswolken bewegte. Zwei Mitstreiter jedoch wurden übermütig und stürzten sich zu hektisch ins Getümmel in den Dunstschwaden. Dabei verloren sie ihm wahrsten Sinne des Wortes den Boden unter den Füßen und stürzten schreiend in die Tiefe. Hier oben auf dem Dach schienen die Bandenmitglieder eine bessere Chance gegen die Übermacht der Aufräumer zu haben, denn ein paar von letzteren ließen ihr Leben.

Ein Halbwüchsiger schlich sich an Jackson heran, der gerade einen älteren Mann niedergeschossen hatte. Der Junge war einfach aus einer Abgaswolke aufgetaucht, als wüsste er ganz genau, wo er seine Schritte hinsetzen musste, um nicht vom Flachdach zu stürzen.

»Jackson!«, rief Cavendish warnend, der die Gefahr in letzter Sekunde sah. Er wollte nicht, dass sein Kollege verletzt wurde, falls das Messer des Jungen überhaupt durch die Schutzweste des Kampfanzugs der Aufräumer dringen konnte, aber ebenso wenig wollte er ein derart junges Leben einfach so beenden, was ihn eine Sekunde zu spät handeln ließ.

Jackson wirbelte herum, packte den Jugendlichen und lenkte das Messer in einer einzigen, fließenden Bewegung von sich weg in den Bauch seines Besitzers. Dessen Augen wurden groß.

»Was bist du nur für ein hinterhältiger, kleiner Wicht!«, knurrte Jackson und sah zu, wie das Leben aus den Augen des Jugendlichen wich. »Schleichst dich einfach von hinten an!« Dann stieß er den Körper vom Dach und hob die Hand zu einem Salut. »Danke, Cavendish, wir sind ein wirklich gutes Team!«

Der Angesprochene wandte sich ab. Kollateralschaden. Es war nur ein Kollateralschaden. Was hätte er auch dagegen tun sollen?

Armstrong, der nicht weit entfernt stand, hob mit wölfischem Grinsen seinen Multikarabiner. »Machen wir dem Rest Feuer unterm Arsch, Leute!«

Da erschallte eine Stimme von unten aus dem Loch im Dach heraus. »Zweiter Stock gesichert!«

Plötzlich, als wäre dieser Ruf aus dem Haus ein Zeichen gewesen, begannen die überlebenden Bandenmitglieder und deren Anhänger wie verschreckte Spinnen auseinanderzustieben. Vielleicht hatten sie erkannt, wie sehr sie durch ihre schlechte Ausrüstung unterlegen waren. Gegen Multikarabiner kamen ihre konventionellen Projektilwaffen einfach nicht an. Die Deckung der Abgasrohre nutzend verzogen sie sich, um an der Barackenfassade hinunterzuklettern oder über die Dächer der dicht an dicht stehenden Nachbarhäuser zu fliehen.

Als Jackson das sah, hob er fassungslos die Arme und brüllte ihnen hinterher: »Wo wollt ihr hin, ihr feigen Kakerlaken?« Er schickte eine Salve Nadelstrahlen in Richtung der Fliehenden, und zwei traf er im Rücken. »Kommt zurück und lasst es uns zu Ende bringen!«

Armstrong zog eine enttäuschte Grimasse. »Was? Schon vorbei? Ich komme doch gerade erst richtig in Fahrt!«

Schließlich standen die Aufräumer allein auf dem mit Leichen übersäten Flachdach. Es war vorbei, sie hatten gewonnen.

Cavendish stieg mit seinen Kollegen durch das aufgesprengte Dach in das Obergeschoss der Slumbaracke zurück.

Reginald Kaplow trat ihnen auf dem Gang dahinter entgegen. »Gute Arbeit, Aufräumer«, sagte er nur, ging an ihnen vorbei und sprach dann in sein Armbandvipho. »Hier Kaplow: Mission erfolgreich beendet. Schickt die Saubermacher.«

*

Wenig später zog sich das Einsatzteam zurück, um den sogenannten Saubermachern die Beseitigung des Unrats zu überlassen. Diese Leute aus Madame Friedels Mitarbeiterstab stellten sich als eine Ansammlung relativ schmächtiger, untrainierter Frauen und Männer heraus, die von den Aufräumern keinerlei Beachtung erhielten.

Cavendish machte sich zusammen mit Jackson, Armstrong und Walinski, mit denen er mittlerweile die meiste Zeit verbrachte, auf zum Hauptquartier, um wie von Kaplow befohlen ihre Ausrüstung zur Ausbesserung abzugeben und einen Bericht zu Protokoll zu geben. Die Schutzhelme hatten sie deaktiviert, sodass diese sich nach hinten zusammengefaltet hatten.

Cavendish konnte nur noch an eine heiße Dusche denken, denn das grünliche Schleimzeug auf seinem Kampfanzug ekelte ihn an. Seine Kollegen, die ebenfalls einiges abbekommen hatten, schien dies weniger zu stören. Vielmehr befanden sie sich immer noch in aufgekratzter Kampfstimmung.

»Die Abwehr heute war zwar besser als die vorherigen Male«, meinte Walinski enttäuscht, »aber es ist immer zu wenig für einen guten Kampf. Und es war wieder mal viel zu schnell vorbei! Ich verstehe nicht, warum wir nicht einfach eine gute, alte Hetzjagd auf das Gesindel veranstalten, anstatt befallene Viertelabschnitte nur häppchenweise zu säubern. Ich meine, was denkt sich Kaplow dabei?«

Jackson nickte genervt und trommelte dabei mit seinen behandschuhten Fingern auf die gesicherte Waffe, die er sich über die Schulter gelegt hatte. »Ganz meine Meinung. Wenn es nach mir ginge, würden wir einfach jede Baracke in Madame Friedels Viertel ausräuchern, in der sich etwas bewegt. Dann würde das Ungeziefer eifrig seine Nester verlassen und uns freundlicherweise direkt vor die Multikarabiner laufen. Ich frage mich genau wie du, warum Kaplow sich für solch ein lahmes Vorgehen entscheidet, anstatt für die schnelle, effiziente Variante.«

Armstrong ahmte Kaplows tiefe, raue Stimme nach. »Wir werden strategisch vorgehen, weil ich es so sage! Jemand ist dagegen? Hunderttausend Liegestütze!«

Das rang den Männern ein leises Lachen ab. Nur Cavendish lachte nicht. Bei dem Gedanken an eine rücksichtslose Ausräucherung, in der im Anschluss wahllos das Feuer eröffnet wurde, verdüsterte sich seine Stimmung.

»Was ist, Großer?«, fragte Jackson und klopfte ihm auf die breite Schulter.

Cavendish wollte eigentlich nicht reden, gab sich jedoch einen Ruck. »Ich stimme Kaplow in seinem Vorgehen zu. Ein zu drastisches Vorgehen könnte den Widerstand ins Extreme schüren und die anständigen Leute in den Slums glauben lassen, dass es uns gar nicht darum geht, etwas Großartiges in Madame Friedels Viertel zu erschaffen, sondern wir stattdessen eine Bedrohung sind.«

»Selbst wenn, sie könnten sowieso nichts dagegen tun. Wir besitzen die bessere Ausrüstung.«

Das stimmte. Doch nicht nur das machte die Aufräumer stärker. Ihnen stand auch gutes Essen zur Verfügung, während die Slumbewohner mit Entbehrung klarkommen mussten. Cavendish hatte während seiner kurzen Zeit als Privatdetektiv genau aus diesem Grund unfreiwillig Muskelmasse abgebaut, was ihn sehr verärgert hatte. Mittlerweile hatte er das Volumen jedoch nicht nur zurückerlangt, sondern es durch seinen neuen, besonderen Trainingsplan und mit einem genialen Tonikum vom Händler seines Vertrauens sogar noch vergrößert. Der Verkäufer hatte ihm versichert, dass in dem Spezialtrunk lediglich Wasser sowie konzentrierte Proteine verschiedener Insekten aus dem Ökoanbau enthalten seien, und keine Chemie.

»Durch Kaplows Vorgehen können wir unnötige Verluste vermeiden«, beharrte Cavendish auf seinen Standpunkt. »Während meiner Zeit als aktiver Soldat musste ich immerzu strategisches Geschick und Taktik beweisen, um eine Mission zum Erfolg zu führen. Wir wissen nicht, was diese neue Bande alles in petto hat und was sich aus dem Ganzen entwickelt, falls der gesamte Slum plötzlich anfängt, den Bandenführer zu unterstützen.«

»Das Ungeziefer schließt sich nie zusammen«, behauptete Walinski und popelte sich in der Nase. Er beförderte etwas Braunes heraus und betrachtete es mit neutraler Miene. Dann schnippte er es davon. »Selbst wenn sie sich für einen Zusammenschluss entscheiden würden, müssen wir Aufräumer uns bald nicht mehr damit befassen. Denkt mal daran, wie weit der Mauerbau schon fortgeschritten ist! Die Selbstschussanlagen dort oben sind nicht von schlechten Eltern, glaubt mir. Ich muss es wissen, ich war mal Mechaniker, bevor ich auf Acheron drei gestrandet bin.«

»Du hast eine Ausbildung?«, fragte Jackson überrascht.

»Willst du irgendwas andeuten?«

»Nichts, was nicht offensichtlich wäre, mein Freund.«

»Suchst du Ärger?«

Ehe das Genecke in einen handfesten Konflikt ausarten konnte, stießen weitere Aufräumer zu ihnen. Einer von ihnen drängte sich zwischen Jackson und Armstrong und nahm sie in den Schwitzkasten. »He, Leute, durch den armseligen Kampf heute habe ich noch viel zu viel Energie übrig, ich muss mich auspowern!« Er grinste breit. »Ich besitze noch Gutscheine für Vergnügungen aller Art. Wer kommt mit, den Ladys im ›Liquid Heaven‹ Hallo sagen?«

Begeisterung breitete sich wie ein Lauffeuer unter den Männern aus.

Jackson stieß Cavendish mit der Schulter an. »Was ist mir dir? Kommst du heute mal mit?«

Der Angesprochene hatte ebenfalls Gutscheine für sein »persönliches Vergnügen« von Madame Friedel erhalten – eines von vielen Privilegien, die ihre Mitarbeiter genossen. Diese Gutscheine, gespeichert auf einer Chipkarte, fungierten als Eintrittskarten und ermöglichten Zugang zu den Annehmlichkeiten des gesäuberten Viertels, die normalerweise nur der zahlenden Kundschaft vorbehalten waren: zu Massagestudios, Saunen, Prostituierten, Fitnessstudios, Sportcentern, Sensorien, Kasinos und vielem mehr.

Cavendish hatte sich mittlerweile so an diese Bequemlichkeiten gewöhnt, dass er sie als Teil seines täglichen Lebens betrachtete. Er suchte natürlich keine Prostituierten auf, da er sich lieber für eine echte und vor allem exklusive Beziehung aufsparte. Am liebsten betätigte er sich im Bodybuilding und genoss anschließend einen Saunabesuch zur Entspannung, doch dem Glücksspiel war er ebenfalls nicht abgeneigt, auch wenn er sich mittlerweile wohlweislich ein Limit setzte: Er spielte ausschließlich die Gutscheine als Einsatz, niemals sein eigenes Geld.

*

Die Aufräumer erreichten die Zentrale und betraten das prächtige, weiße Steingebäude, um ihre Ausrüstung in der Waffenkammer abzugeben.

»Und, kommst du jetzt mit?«, fragte Jackson Cavendish erneut, als alle in Zivilkleidung und geduscht wieder im Eingangsbereich zusammenkamen. »Ein paar schöne Stunden mit Frauen verbringen und dir alle Wünsche erfüllen lassen?«

Cavendish schüttelte den Kopf. »Ich powere lieber noch ein bisschen im Fitnessstudio. Mein neuer Trainingsplan, von dem ich euch erzählt habe, zeigt schon erste Erfolge.« Seine Laune hob sich bei dem Gedanken an seine wachsende Muskelmasse sprunghaft. »Täglich vier Stunden, fünf Mal die Woche – ihr solltet mitmachen! In Kombination mit der anschließenden Entspannung in der Sauna und einem proteinreichen Ernährungsplan ist mein Muskelumfang schon um 0,6 Zenti…«

Walsinki blickte den leidenschaftlichen Bodybuilder entgeistert an. »Wir kommen gerade von der Arbeit, und du willst kein bisschen ausspannen? Nimm es mir nicht übel, Kumpel, aber ist Sport dein Ersatz für Frauen?«

Ehe Cavendish entrüstet verneinen konnte, fiel ihm ein anderer ins Wort: »Der ist bloß frustriert, weil er lange nichts flachgelegt hat! Zumindest wäre das eine Erklärung, warum er so verkork…«

Armstrong reagierte prompt und nahm den Sprechenden in den Schwitzkasten, was diesen sofort verstummen ließ. »Das ›Liquid Heaven‹ ist eine super Idee«, rief er mit großer Begeisterung. »Die Ladys dort lecken sich bestimmt schon die Lippen nach mir!« Er reckte den Daumen, dann sah er Jackson vielsagend, beinahe auffordernd an.

»Ich bin dabei!«, antwortete dieser und nickte Cavendish zum Abschied zu. »Wir sehen uns, Kumpel. Lass uns einen Abend mal alle zusammen was trinken gehen. Und viel Erfolg beim Training.« Anschließend winkte er die anderen auffordernd Richtung Ausgang. »Kommt schon, Leute, Marschtempo, sonst lasse ich euch zurück und schnappe mir die besten Weiber!«

2.

Brent Cavendish hatte erst in seine Wohnung zurückkehren und dann direkt das Fitnessstudio aufsuchen wollen, doch mittendrin hatte er es sich anders überlegt. Nun stand er in der zweithöchsten Etage dieses riesigen, weißen Gebäudes mit den großen Glasfassaden, durch die ein Betrachter eine beeindruckende Aussicht auf Madame Friedels Viertel genießen konnte.

Er erinnerte sich an den Ausblick, als er das erste Mal im Büro seines weiblichen Bosses gestanden hatte. Vor rund einem Monat hatte der Slum noch den Horizont des Panoramablicks verunstaltet wie ein riesiger, hässlicher Fleck. Doch mittlerweile war nicht nur die das Viertel umgebende Mauer gewachsen, sondern es waren auch weitere Hochhäuser hinzugekommen, überwiegend schnell hochgezogene Betonplastbauten, welche die meterhohen Müllhalden und heruntergekommenen Slumbaracken im Hintergrund verdeckten. Immer mehr wirkte Madame Friedels Viertel wie eine Welt für sich – ein Ort der Privilegierten, in der kaum noch etwas an die schmutzigen Gebäude von einst erinnerte, die hier ursprünglich gestanden hatten.

Cavendish räusperte sich und betätigte das Tasterfeld, das den Antigrav-Lift in die höchste Etage, Madame Friedels Reich, heranholen sollte. Der Sensor über dem Aufzug registrierte ihn jedoch als unautorisierten Mitarbeiter und verweigerte ihm den Zutritt. Was soll das denn? Stirnrunzelnd betätigte er nochmals das Tasterfeld.

»Ich möchte den Boss sprechen«, eröffnete Cavendish sein Begehr, als könnte das Sicherheitssystem ihn verstehen. »Ich habe etwas Wichtiges mit Madame Friedel zu bereden!« In der Tat etwas sehr Dringliches, das er nicht mehr vor sich herschieben wollte.

Eine genervte Stimme meldete sich. »Mister Cavendish, wirklich? Schon wieder?«

»Mister Treaks«, gab der Ex-Soldat zurück und starrte finster auf den Bildschirm, auf dem eine hakennasige Schmalzlocke erschienen war. Dieser unangenehme Geselle namens James Treaks war nicht wirklich Madame Friedels Sekretär, sondern eher so etwas wie eine Vorzimmerdame, hielt sich aber für jemanden in höherer Position – und er schien immer aufzutauchen, wenn Cavendish in die höhere Etage wollte, als wäre das seine einzige Aufgabe in diesem Hochhauskomplex. »Wieso ›schon wieder‹, Mister Treaks? Sie haben mich bisher noch kein einziges Mal zum Boss vorgelassen!«

Treaks’ Augenbrauen wanderten so weit die Stirn hoch, dass sie hinter der gekringelten Schmalzlocke verschwanden. Ob er sie wohl morgens sorgfältig so eindrehte? »Madame Friedel ist momentan sehr beschäftigt.« Das zweitletzte Wort dehnte er dabei genüsslich in die Länge.

Brent Cavendish schnaufte erbost und beugte sich zum Bildschirm hin. Hätte James Treaks leibhaftig vor ihm gestanden, hätte sein sorgfältig gestutzter Schnauzbart die Oberlippe seines Gegenübers berührt. »Jetzt hören Sie mal zu, Treaks! Ihnen steht gerade ein Mann gegenüber, der ein äußerst wichtiges Anliegen hat.«

»Sie meinen das Fitnessimperium, von dem Sie mir letztes Mal lang und breit erzählt haben? Ja, ich erinnere mich. Ich erinnere mich sogar daran, wie Sie diesen Vortrag vor unserem Boss gehalten haben. Ich war dabei.«

Auch Cavendish erinnerte sich. Kaum dass er fester Mitarbeiter geworden war und durch erste Erfolge seine Kompetenz hatte unter Beweis stellen können, hatte er Madame Friedel aufgesucht und ihr von seinem Lebenstraum erzählt. Er war nämlich der Meinung, dass ein Fitnessstudio nach den Vorstellungen eines erfahrenen und erfolgreichen Bodybuilders – sprich: eines Brent Cavendish – ihr Viertel noch um einiges aufwerten würde. Als Leiter eines solchen Studios würde er beispielsweise den Aufräumern zu ganz neuen Leistungsspitzen verhelfen können, wovon alle profitieren würden.

Madame Friedel hatte seinem halbstündigen Vortrag, welchen er selbst nach Unterbrechungsversuchen seitens anderer Mitarbeiter eisern fortgesetzt hatte, nett lächelnd zugehört – der einzige Gesichtsausdruck, den er von der rund fünfundsechzig Jahre alten Dame kannte. Anschließend hatte sie gesagt: »Ich danke Ihnen und nehme Ihren Vorschlag zur Kenntnis, Mister Cavendish.«

»Und?«, hatte er aufgeregt nachgefragt.

»Ich melde mich bei Ihnen.«

»Großartig!«

Mittlerweile waren jedoch etliche Wochen verstrichen, und Cavendish wollte nachhaken, ob sie bereits Zeit gefunden hatte, über seinen Vorschlag nachzudenken. Zugegebenermaßen war er schon öfter hier gewesen, um mit Madame Friedel darüber zu sprechen. Doch seither wurde er nicht mehr zu ihr vorgelassen. Was auch immer es war, was die Dame beschäftigt hielt, sie hatte nicht einmal mehr eine Minute für ihn.

Cavendish verengte die Augen und musterte Treaks’ gleichgültige Miene. Sein Gesicht war so nah an dem Bildschirm, dass er beinahe mit der Nase dagegen gestoßen wäre. Wies ihn diese Schmalzlocke vielleicht ab, ohne dass Madame Friedel davon etwas erfuhr, etwa aus persönlicher Abneigung? Ihm fiel zwar kein Grund ein, warum man einen netten Kerl wie ihn nicht mögen konnte, aber es gab schließlich genug schräge Vögel auf der Welt, die mit niemandem klarkamen. Seine herausragende Menschenkenntnis sagte ihm, dass er es hier möglicherweise mit so einer Spezies zu tun hatte.

»Ich könnte mit meinem Fitnessimperium das ganze Viertel aufwerten, deshalb will ich mit ihr noch mal darüber sprechen«, begründete Cavendish sein Erscheinen. »Sagen Sie ihr das!«

»Ich werde Ihr Anliegen an Madame Friedel weiterleiten«, antwortete Treaks desinteressiert.

»Jetzt!«

»Sie sind wie eine nervige Schmeißfliege, Cavendish, wissen Sie das?« Treaks verdrehte die Augen, doch dann schien er tatsächlich etwas zu tun, denn seine Arme bewegten sich, der Blick war nach unten gerichtet. Dann sah er wieder auf. »Madame Friedel meldet sich bei Ihnen, Mister Cavendish. Sie lässt Ihnen ausrichten, dass Sie sehr zufrieden mit Ihrer bisherigen Arbeit ist und Sie einen wichtigen Beitrag für das Viertel leisten.« Den letzten Satz hatte Treaks nur mit sichtlichem Widerstreben über die Lippen gebracht, was Cavendish davon überzeugte, dass die Nachricht tatsächlich vom Boss stammte.

»Dann komme ich später wieder«, sagte der Bodybuilder.

»Bitte nicht«, erwiderte Treaks.

Cavendish wandte sich ab. Der Ärger darüber, schon wieder nicht vorgelassen worden zu sein, rumorte in ihm, als er sich wieder ins Erdgeschoss begab. Dabei begegnete er diversen Mitarbeitern, von denen ihn manch einer ansprach.

»Na, sind Sie wieder wegen Ihres Fitnessimperiums hier, Mister Cavendish?«

Der leidenschaftliche Bodybuilder war mittlerweile eine kleine Berühmtheit hier. Er nickte den Leuten zu, war aber gerade nicht in Gesprächslaune. Stattdessen überlegte er, ob es eine andere Möglichkeit gab, Madame Friedel von seinem großartigen Traum zu überzeugen. Vielleicht hätte er einfach darauf bestehen sollen, zum Boss vorgelassen zu werden, immerhin war er ein wertvoller Mitarbeiter. Aber dann erinnerte er sich daran, wie er bei Kaplow angeeckt war, und an die Kündigungsdrohung. Nein. Lieber in Geduld üben, bis der rechte Zeitpunkt kam.

*

Nach dem schweißtreibenden Training in die Sauna zu gehen, bedeutete für Cavendish Tiefenentspannung. Danach war er wieder guter Laune, verließ das Etablissement und betrat im Anschluss das Kasino, das sich ebenfalls im Unterhaltungskomplex des Viertels befand. Seine Kumpels hatte er nicht erreicht; wahrscheinlich waren sie noch im Edelpuff zugange. Er selbst wollte diesen arbeitsreichen Tag mit einem Glücksspiel ausklingen lassen. Vielleicht würde er ja diesmal den Jackpot gewinnen.

»Willkommen im Casino Royale«, begrüßte ihn eine erotische Frauenstimme, und sogleich erschien die dazugehörige Holoprojektion neben ihm.

Cavendish beäugte das dreidimensionale Abbild der perfekten Frau, die genau seinem Geschmack entsprach. Er bewunderte einmal wieder, wie realistisch die Projektion wirkte. Nur ganz selten sah man einen Hautpartikel flimmern. Jedoch wollte er keine künstliche Begleiterin, egal wie realistisch sie wirken mochte, weshalb er eine wischende Armbewegung vollführte.

»Ablehnung registriert. Möchten Sie eine andere Erscheinung wählen?«, fragte die Schönheit. »Ich kann jede beliebige Gestalt für Sie annehmen. Für nur 59,99 Credits pro Stunde können Sie sogar einen Privatmodus aktivieren, sodass meine von Ihnen gewählte Gestalt niemand sonst sieht. So können Sie vollkommen frei wählen, ohne Grenzen, wen oder was immer Sie als Begleitung bevorzugen.«

In dieser Sekunde betrat ein weiterer Gast das Kasino, ein alter Mann jenseits der einhundert Jahre mit langem weißem Ziegenbart und Anzug. Bei ihm erschien keine Holoprojektion, zumindest sah Cavendish keine. Doch dann bückte sich der Mann, hob etwas vom Boden auf und trug das Unsichtbare, was auch immer es war, ins Kasino. Das sah absurd aus, doch das schien niemanden zu stören.

Cavendish schüttelte den Kopf. »Ich will keine Begleitung. Deaktivieren.« Wenn er eine Begleiterin wünschte, dann eine echte aus Fleisch und Blut.

Die holografische Frau verbeugte sich elegant vor ihm, als wäre er ein König, und verschwand.

Froh, endlich wieder allein zu sein, betrat er das weitläufige Kasino, tauschte Gutscheine in Spielchips um und tauchte dann in eine Welt voller Luxus ein.

Das »Casino Royale« unterschied sich so stark vom »Golden Showers« wie ein reinrassiger Schäferhund von einem Mischling. Es hatte das Flair eines alten Schlosses, das auf Hochglanz poliert worden war. Kronleuchter spendeten reines Licht, denn es mussten keine Matschflecken im weichen Perserteppich verborgen werden; es gab schlicht keine. Ein riesiges Kunstwerk aus bunten Mosaiksteinen zierte die Wände und zeigte allerlei Göttergestalten, die in Reichtum schmausten und lachten. Die Auswahl an Spielen war überwältigend.

Betrunkene Spieler, die andere Gäste belästigten, gab es hier nicht. Auffällig werdende Leute wurden so dezent vom Sicherheitspersonal entfernt, dass keiner etwas mitbekam. Unzählige Roboter, kleine niedliche Konstrukte mit kurzen Gliedern und rundlichen Körpern, trugen auf ihrem Kopf eine quadratische Vorrichtung, beladen mit duftenden Speisen und eisgekühlten Getränken – mit echtem Essen und echten Getränken wohlgemerkt, keine aus Atomen zusammengesetzten Imitate, wie sie manche Billigkasinos anboten.

Cavendish hielt einen der Service-Roboter an. Die Maschine surrte glücklich, und ein erfreutes stilisiertes Lachgesicht erschien auf dem Display. Warum kein menschliches Gesicht zu sehen war, lag wahrscheinlich daran, dass es schlicht nicht mehr in Mode war und die Kinder diese knuffigen Roboter liebten.

»Kann ich etwas für Sie tun?«, fiepste die Maschine. »Es wäre mir eine Freude.«

Cavendish nahm sich eine ofenwarme Vollkornstulle mit Hüttenkäse, Kresse, Putenbrustfilet und einer weißen Soße von der Kopfvorrichtung des Roboters und biss hungrig hinein. Er hatte seit dem Frühstück nichts Ordentliches mehr gegessen. Dazu wählte er ein Glas Wasser, denn das restliche Angebot bestand aus alkoholhaltigen Flüssigkeiten. Von Alkoholkonsum hielt er nichts; dieser hemmte den Stoffwechsel und konnte einen in den Untergang führen, wie er aus eigener Erfahrung wusste.

»Vielen Dank, dass Sie sich bedient haben!«, fiepte der Roboter fröhlich und setzte seinen Weg fort.

Cavendish wusste, dass damit ein weiterer seiner Gutscheine aufgebraucht war, doch das machte ihm nichts aus. Der nächste Monat hielt neue für ihn bereit. Er schlenderte zu seinem momentan bevorzugten Spiel: Es hieß Bakkarat, eines der ältesten Kartenglücksspiele Terras, und heutzutage in seiner modifizierten Erlebnisvariante auf allen terranischen Welten äußerst beliebt. Während er auf den Spieltisch zuging, wich er instinktiv den sichtbaren holografischen Begleitern der anderen Gäste aus, auch wenn nichts geschehen würde, falls er versehentlich durch eine Holografie hindurchlief. Doch wahrscheinlich würde es als Affront aufgefasst werden, wenn er das täte, denn einige Leute ließen sich von Projektionen ihrer verstorbenen Haustiere oder gar ihres Ex begleiten.

Cavendish setzte sich an den Tisch und wurde von den bereits anwesenden Spielern wie ein alter Freund begrüßt, auch wenn man sich nicht kannte. Dies war gang und gäbe in diesem Etablissement, ehe man sich – natürlich nur sprichwörtlich – bis aufs Blut bekriegte, sollte es das Spiel verlangen.

Er zockte eine Weile, verlor, gewann. Der Nervenkitzel stellte eine willkommene Abwechslung zu seinem beruflichen Alltag dar, den er zum Großteil gern vergessen würde. Hier im Kasino erwartete niemand etwas von ihm, außer, dass er seine Chips verspielte. Er selbst hatte auch nichts Wichtiges zu verlieren, da er ausschließlich umgetauschte Gutscheine einsetzte.

Und während er dem Roboter dabei zuschaute, wie dieser gerade die nächste Runde vorbereitete, erregte auf einmal ein Gespräch zwischen zwei Männern am Nachbartisch seine Aufmerksamkeit. Die Stimmen waren gedämpft, so, als wollten ihre Besitzer nicht, dass jemand sie belauschte. Eine holografische Pflanze verdeckte die Sicht, sodass die beiden gar nicht bemerkten, wie nah Cavendish bei ihnen saß.

»Siehst du den Kerl dort vorne? Das ist doch Katvig Urbanov, oder? Hätte nicht gedacht, dass der sich hier im Casino Royale blicken lässt.«

»Ich dachte auch, der hätte sich mittlerweile aus Madame Friedels Viertel verzogen, nach der Aktion letztens.«

»Der traut sich was …«

Urbanov?, überlegte Cavendish. Er blinzelte nachdenklich. Das ist doch einer von Madame Friedels Mitarbeitern. Er war dem Mann zwar nie persönlich begegnet, aber man hörte allerhand über diesen; unter anderem, dass Urbanov ein harter Knochen sein solle. Neugierig drehte Cavendish den Kopf und linste möglichst unauffällig zwischen den Blättern der projizierten Pflanze hindurch.

Zwei Männer saßen allein an einem Spieltisch und warfen holografische Würfel, während sie an Biergläsern nippten. Der eine war Cavendish vollkommen unbekannt, aber der andere kam ihm entfernt bekannt vor, auch wenn er sich nicht entsinnen konnte, wo er den Kerl schon mal gesehen haben könnte. Stirnrunzelnd nahm er ihn genauer unter die Lupe.

Der Typ schien groß zu sein, wenn man bedachte, dass er sitzend sein Gegenüber um knapp eine Handbreit überragte. Möglicherweise konnte er mit seiner Körpergröße mit der von Cavendish konkurrieren, ihn vielleicht sogar überragen. Dazu kamen lichtes Haar, breite Stirn, hohe Wangenknochen, buschige Augenbrauen und ein ausladender Bierbauch, den der Mann sich ständig streichelte. Er wirkte insgesamt gammelig und passte irgendwie nicht in diese gehobene Umgebung.

Der scheint aber eine Menge Geld zu haben, dachte der ehemalige Privatdetektiv hinter der Holo-Pflanze, als er die Einsätze des Mannes betrachtete, und er scheint ganz dringend eine Frau zu suchen. Er sieht verstohlen jeder halbwegs attraktiven weiblichen Person hinterher. Kein Wunder, dass die Damen so schnell davoneilen!