Ren Dhark – Weg ins Weltall 47: Operation Apokalypse - Achim Mehnert - E-Book

Ren Dhark – Weg ins Weltall 47: Operation Apokalypse E-Book

Achim Mehnert

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Beschreibung

Die schier übermächtigen Kraval wollen die Nutzung der Hyperraumtechnologie durch die Terraner nicht länger hinnehmen und greifen zu drastischen Maßnahmen. Das Leben aller 36 Milliarden Bewohner der Zentralwelt der Menschheit steht auf dem Spiel, denn es beginnt die Operation Apokalypse... Jan Gardemann, Uwe Helmut Grave und Achim Mehnert verfaßten einen ebenso spannungs- wie wendungsreichen SF-Roman nach dem Exposé von Hajo F. Breuer.

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EPUB

Seitenzahl: 355

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Ren Dhark

Weg ins Weltall

 

Band 47

Operation Apokalypse

 

von

 

Uwe Helmut Grave

(Kapitel 1 bis 6)

 

Jan Gardemann

(Kapitel 7 bis 10)

 

Achim Mehnert

(Kapitel 11 bis 17)

 

und

 

Hajo F. Breuer

(Exposé)

Inhalt

Titelseite

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

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Ren Dhark Classic-Zyklus

Impressum

Prolog

Im Herbst des Jahres 2067 scheint sich das Schicksal endlich einmal zugunsten der Menschheit entwickelt zu haben. Deren Hauptwelt heißt längst nicht mehr Terra, sondern Babylon. 36 Milliarden Menschen siedelten auf diese ehemalige Wohnwelt der Worgun um, als die irdische Sonne durch einen heimtückischen Angriff zu erlöschen und die Erde zu vereisen drohte. Mittlerweile konnte die Gefahr beseitigt werden, und das befreundete Weltallvolk der Synties hat den Masseverlust der Sonne durch die Zuführung interstellaren Wasserstoffgases fast wieder ausgeglichen.

Die Erde ist erneut ein lebenswerter Ort, auf dem allerdings nur noch rund 120 Millionen Unbeugsame ausgeharrt haben. Die neue Regierung Terras unter der Führung des »Kurators« Bruder Lambert hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Erde nach dem Vorbild Edens in eine Welt mit geringer Bevölkerungsdichte, aber hoher wirtschaftlicher Leistungskraft zu verwandeln, und ist deshalb nicht bereit, die nach Babylon Ausgewanderten wieder auf die Erde zurückkehren zu lassen.

Allerdings haben auch die wenigsten der Umsiedler konkrete Pläne für einen neuerlichen Umzug innerhalb so kurzer Zeit. Es kommt die katastrophale Entwicklung hinzu, die Babylon seit dem Umzug der Menschheit nahm: Durch eine geschickt eingefädelte Aktion war es dem höchst menschenähnlichen Fremdvolk der Kalamiten gelungen, den Regierungschef Henner Trawisheim, einen Cyborg auf geistiger Basis, derart zu manipulieren, daß er zu ihrem willenlosen Helfer und Vollstrecker bei der geplanten Übernahme der Macht über die Menschheit wurde. Erst in allerletzter Sekunde gelang die Revolution gegen die zur Diktatur verkommene Regierung von Babylon und damit gegen die heimlichen Herren der Menschheit, die Kalamiten. Während den meisten der Fremden die Flucht gelang, wurde Trawisheim aus dem Amt entfernt und in ein spezielles Sanatorium für Cyborgs gebracht.

Daniel Appeldoorn, der schon zu den Zeiten, als Babylon noch eine Kolonie Terras war, als Präsident dieser Welt fungiert hatte, bildete mit seinen Getreuen eine Übergangsregierung, deren wichtigste Aufgabe es ist, das Unrecht der Diktatur wiedergutzumachen und neue, freie Wahlen vorzubereiten.

Gleichzeitig ist es Ren Dhark und seinen Getreuen gelungen, die geheimnisvolle Schranke um Orn abzuschalten – und mit ihr auch die verhängnisvolle Strahlung, die die Worgun, das bedeutendste Volk dieser Sterneninsel, in Depressionen, Dummheit und Dekadenz trieb.

Nach seiner Rückkehr in die Milchstraße kann Ren Dhark dem Angebot des Industriellen Terence Wallis nicht länger ausweichen und läßt seinen Körper mit Nanorobotern behandeln, die ihn und sieben von ihm Auserwählte unsterblich machen sollen. Doch anstatt sich mit seiner nun vollständig veränderten Lebensperspektive beschäftigen zu können, muß sich Ren Dhark einer neuen Herausforderung stellen: Eine unbekannte Macht sorgt dafür, daß der Hyperraum nicht länger zugänglich ist: Transmitter, Hyperfunk und Transitionstriebwerke funktionieren nicht mehr. Zwar gelingt es bald, Transitionstriebwerke und Transmitter wieder ans Laufen zu bringen, aber Hyperortung ist weiterhin nicht möglich.

Doch es steht schlecht um die Menschheit, denn eine schier unbesiegbare Flotte der Kraval greift Babylon an. 36 Milliarden Menschen sind dem Untergang geweiht, als die Angreifer Operation Apokalypse einleiten…

Zur gleichen Zeit sind die Vermißten Tantal, Treenor und JCB wegen Treibstoffmangels auf einer unbekannten Welt gestrandet. Nur JCB kann das Beiboot verlassen und Kontakt zu den Einheimischen knüpfen, die ihm offenbar helfen wollen. Doch seine Anwesenheit auf der Welt Pluma wirkt wie ein Funke am Pulverfaß: Ein Weltkrieg bricht aus…

1.

»Und ihre Augen wurden geöffnet! Matthäus Kapitel 9, Absatz 30.« Wieder einmal warf der fast fünfzigjährige, vollbärtige General Thomas J. Jackson ein Bibelzitat in den Ring und fügte erklärend hinzu: »Nun wissen wir, wohin die Kraval verschwunden sind.«

Damit nahm er Bezug auf die Transition von knapp 1000 Walzenraumern des stärksten Gegners, mit dem es die Menschheit bisher zu tun bekommen hatte.

Und nicht nur die Menschen waren in den vergangenen Stunden gegen die muskelbepackten, tentakelbewehrten Vierbeiner mit ihren monströsen, schwerbewaffneten Einkilometerschiffen angetreten, auch die Rateken, Utaren, Eisläufer, Nomaden, Nogk und viele weitere Völker, denen das Wohl der Milchstraße am Herzen lag, hatten den Kampf aufgenommen und den Kraval die wie auch immer geformte Stirn geboten.

Auf beiden Seiten der wohl härtesten Raumschlacht dieser Epoche hatte es haufenweise Verluste gegeben, wobei die Verteidiger der Freiheit der Galaxis blutigere Schrammen hatten einstecken müssen als die unerbittlichen Aggressoren. Die vermeintliche Flucht der Kraval hatte daher alle überrascht.

Jetzt wußte man definitiv, daß es keine Flucht gewesen war…

Auf der von General Jackson befehligten THOMAS, dem Flaggschiff der Flotte von Eden, war eine Hyperfunknachricht des obersten Chefs der Babylonischen Flotte, Marschall Ted Bulton, eingetroffen – genauer gesagt ein Notruf: Hunderte von Schiffen der Kraval waren plötzlich über Babylon aufgetaucht, dem Heimatplaneten von 36 Milliarden Menschen. Jackson leitete diese Information umgehend an alle seine Mitstreiter weiter, gewürzt mit den für ihn typischen Bibelsprüchen.

36 Milliarden Geiseln, dachte Ren Dhark, der vierzigjährige weißblonde Commander der POINT OF, als er die infame Strategie der Kraval erahnte. Entweder geben wir den Widerstand auf, oder die Unbesiegbaren fallen wie die Berserker über Babylon her – falls sie das nicht sowieso vorhaben. Noch waren keine Kapitulationsforderungen eingegangen – und er beabsichtigte auch nicht, tatenlos hier an der teilweise zerstörten Transmitterstrecke zu verweilen, um darauf zu warten.

Impulsiv, wie er war, hätte er vermutlich längst die Verfolgung aufgenommen, hätte er sich nicht mitten in einem Pulk von 199 weiteren Ringraumern befunden. Die unitallblaue POINT OF bildete gewissermaßen das Zentrum dieses Zweihundertergeschwaders, das ein wichtiger Bestandteil der galaktischen Verteidigungsflotte war. Kommandiert wurde das mächtige Geschwader momentan nicht von ihm und auch von keinem anderen Menschen, ja nicht einmal von einem Lebewesen – sondern von einer Präzisionsmaschine: vom Checkmaster, dem außergewöhnlichen Bordrechner der POINT OF.

Der Checkmaster steuerte alle 200 Schiffe wie eine geschlossene Kampfeinheit. Zu einer solchen, an Perfektion nicht mehr zu überbietenden Koordination wäre kein noch so leistungsstarker anderer Rechner in der Lage gewesen. Mit den bisherigen technischen Mitteln konnten die Menschen und die ihnen bekannten Galaxisvölker bestenfalls die Aktionen von einer Handvoll Raumschiffe aufeinander abstimmen, aber ganz sicher nicht 200 Schiffe steuern wie eine einzige Einheit.

Der Checkmaster konnte es.

Eben das machte die POINT OF, trotz ihres vergleichsweise geringfügigen Ringdurchmessers von 180 Metern, zum größten aller Ringraumer überhaupt. Rümpfe aus Unitall waren zwar längst überholt (Carborit war wesentlich strapazierfähiger und gleichzeitig deutlich leichter), und um technisch nicht hinter der Entwicklung herzuhinken, mußte das Schiff laufend nachgerüstet werden – doch dank des Checkmasters war die POINT OF den moderneren Ringraumern in vielerlei Hinsicht immer noch haushoch überlegen.

Der Checkmaster, der über biologische Komponenten seiner Erbauer Margun und Sola und über Zellgewebe von Ren Dhark verfügte, war mehr als nur ein Bestandteil des Schiffes: Er war das Schiff! Kein anderer Bordrechner konnte das von sich behaupten, denn keiner war wie er. Fast hätte man ihn für ein Lebewesen halten können, doch die berechnende, emotionslose Kälte, mit der er während der Schlacht zahlreichen Kraval-Walzenraumern und ihren Besatzungen den Garaus gemacht hatte, zeugte vom Gegenteil.

Ohne sein eiskaltes Eingreifen, das war allen Verteidigern bewußt, hätte die Weltraumschlacht längst ein ungutes Ende genommen. Viel zu viele tapfere Kämpfer hatten im Geschützfeuer der Angreifer ihr Leben lassen müssen – ohne den Checkmaster wären es noch sehr viel mehr gewesen.

Sein wichtiger Beitrag schmälerte jedoch nicht die Leistung aller übrigen an der Abwehrschlacht Beteiligten. Jeder einzelne hatte sein Bestes gegeben, bis an den Rand des Erträglichen und darüber hinaus, allen voran General Jackson, der eine Vielzahl strategisch ausgeklügelter Manöver von der THOMAS aus koordiniert hatte. Nach und nach hatten sich sämtliche Kommandanten – insofern sie nicht ins Checkmaster-Geschwader integriert worden waren – unter seinen Befehl gestellt, nicht nur die gebündelten menschlichen Kampfkräfte, sondern auch die Truppen anderer Spezies – erstaunlicherweise sogar die Rateken, die sich nur ungern etwas sagen ließen.

Lediglich ein kleines unscheinbares Volk, das sich schon auf der galaktischen Konferenz in Alamo Gordo ständig abseits gehalten hatte, hatte sich strikt geweigert, Jacksons Anweisungen zu befolgen, was er überaus bedauerte, denn die fünf birnenförmigen Schiffe der Murip verfügten über technische Möglichkeiten, die stabilen Schutzschirme der Kraval für wenige Sekunden »aufzuweichen« – sprich: Die Schirme wurden für ein paar Augenblicke durchlässig, so daß man durch sie hindurchschießen konnte, als ob sie gar nicht vorhanden seien.

Jackson ließ das All mit Radar nach den Birnenraumern absuchen. Er zog in Erwägung, erneut Funkkontakt zu den Murip aufzunehmen, um sie zu einer Zusammenarbeit zu bewegen, als ein Funkspruch von Ren Dhark hereinkam.

»Wir dürfen nicht länger zögern und müssen sofort etwas unternehmen«, verlangte der Commander. »Ich befürchte, die Kraval werden ganz Babylon in Geiselhaft nehmen oder sogar ohne Vorwarnung eine Zerstörungsorgie auslösen, daher fliege ich mit dem Checkmaster-Geschwader voraus und…«

»Vergessen Sie’s!« schnitt Jackson ihm das Wort ab. »Solange ich das Oberkommando habe, gibt es keine Alleingänge und unkontrollierten Vorstöße. Der Zweihunderter-Verband ist mein wichtigster Trumpf gegen die Kraval, den spiele ich nicht leichtfertig aus. Ich habe bereits drei Ringraumer zur Aufklärung losgeschickt; der Rest der Flotte nimmt erst einmal eine geordnete Kampfposition ein, bevor ich meine weiteren Entscheidungen verkünde.«

»Negativ. Sie vergessen offenbar, daß ich mich mittendrin in diesem Verband befinde und dem Checkmaster die Befehle erteile«, verdeutlichte ihm Dhark.

»Und Sie vergessen offenbar, daß die Schiffe des Verbandes überwiegend zur Flotte von Eden gehören«, konterte der General. »Deren Kommandanten erteilt nur einer Befehle, und das bin ich.«

»Offensichtlich vergeßt ihr beide, daß momentan ich die Kontrolle über den gesamten Zweihunderter-Verband habe«, mischte sich der Checkmaster in den Funkverkehr ein – bis zur Transition der Kravalflotte hatte er seine volle Konzentration auf seine Angriffsflüge ausgerichtet, nun war ihm eine kleine »Atempause« vergönnt. »Und ich sage: Wir bleiben hier, bis alle kampfbereit sind!«

»Was?« entfuhr es Ren Dhark ärgerlich. »Auf Babylon beginnt vielleicht gleich ein großes Massenmorden – und wir sollen derweil Däumchen drehen?«

Noch während er sich echauffierte, wurde in allen Schiffen ein fremdartiger, unheimlich leistungsstarker Impuls unbekannter Herkunft empfangen. Zudem traf in der THOMAS ein weiterer Funkspruch ein: Ein Ringraumer hatte ein im All treibendes, schwer beschädigtes Birnenschiff der Murip entdeckt…

*

Der Heimatplanet der Murip hieß Incalu und befand sich in einem entlegenen Teil der Milchstraße. Die Menschen waren erst vor einiger Zeit auf dieses zahlenmäßig nicht sehr große, überaus zurückhaltende Völkchen gestoßen. Bisher lehnten die Murip jedwede diplomatische Kontaktaufnahme höflich, aber bestimmt ab. Ihre Teilnahme an der Lambert-Konferenz in Alamo Gordo war eine Ausnahme gewesen, in eigenem Interesse.

Im Kampf gegen die Kraval hatten sich die Murip als äußerst mutig und waghalsig erwiesen. Immer wieder hatten sie unter Einsatz ihres Lebens mittels einer speziellen, Promex genannten Technik die immens starken Schutzschirme einzelner Walzenraumer sekundenlang durchlässig gemacht und damit ihren Verbündeten Gelegenheit verschafft, gebündelte Strahlensalven auf die massive Panzerung der Kravalschiffe abzufeuern. Dafür hatten die Murip jedesmal ihre gesamten fünf Birnenschiffe eingesetzt und deren Energie auf ein Minimum heruntergefahren. Nach getaner Arbeit waren sie dann schnellstmöglich auf Fluchtkurs gegangen…

… bis es eine Schiffsbesatzung nicht mehr rechtzeitig geschafft hatte. Danach war Promex nicht mehr einsatzfähig gewesen, denn der noch in der erweiterten Testphase befindliche Prototyp funktionierte bei solch robusten Schirmen nur im Zusammenspiel als Quintett.

Selbstverständlich hatten sich die übrigen vier Murip-Schiffe auch weiterhin an der Schlacht beteiligt, doch das kleine Geschwader war immer mehr dezimiert worden, bis letztlich nur noch das schwer angeschlagene Flaggschiff übriggeblieben war: die NOVICUS unter dem Kommandanten Fulmit, einem gestandenen Patrioten, der wußte, was jetzt seine Pflicht und Schuldigkeit gegenüber dem militärischen Staatsoberhaupt von Incalu war.

Die Murip waren durchschnittlich eineinhalb Meter groß und hatten eine leichte Fellbehaarung, die sich als weicher hellgrauer Flaum bis über ihre Wangen erstreckte. Ihre höfliche Umgangssprache hätte einem englischen Gentleman zur Ehre gereicht, und ihr Benehmen war von asiatischer Zurückhaltung. Mitunter wirkten sie wie scheue Waldtiere, doch dieser Eindruck täuschte, denn wenn es darauf ankam, entpuppten sie sich als rücksichtslos und brandgefährlich. Das Wohl ihres Volkes, das unter weiblicher Leitung von einem Militärregime regiert wurde, stellten sie stets vor die Interessen anderer Galaxisvölker – vor allem aus diesem Grund mieden sie nach Möglichkeit diplomatische Kontakte, sie gingen nun einmal nicht gern Kompromisse ein.

Im Inneren der NOVICUS schwand allmählich das von der Notenergieversorgung erzeugte Zwielicht dahin. Die drei großen Bildschirme in der Zentrale waren längst erloschen, weshalb Fulmit und sein Erster Offizier Exul den Funkruf eines sich nähernden Ringraumers nur noch akustisch empfingen.

»Hier spricht Kapitän Cedric von der ECHOLOT. Können Sie mich hören?«

»Klar und deutlich, Cedric«, antwortete Fulmit und stellte sich ebenfalls vor. »Ich freue mich, Sie kennenzulernen, schon deshalb, weil Sie vermutlich das letzte Lebewesen sein werden, mit dem ich in meinem gegenwärtigen Sein kommuniziere – abgesehen von meinem Ersten Offizier Exul, der sich just in diesem Augenblick zusammen mit mir in der Zentrale der NOVICUS aufhält, schwerverletzt zwar, was ich sehr bedaure, doch theoretisch könnte er mich um ein paar wenige Zeiteinheiten überleben.«

»Daraus wird höchstwahrscheinlich nichts«, krächzte eine heisere Stimme. »Ich befürchte, ich werde vor meinem ehrenwerten Vorgesetzten aus meinem gegenwärtigen Sein scheiden müssen. Dennoch bin auch ich höchst erfreut, vorher noch Ihre Bekanntschaft machen zu dürfen, Cedric.«

In die Zentrale integrierte Translatoren übersetzten ihre verhältnismäßig leicht umzuwandelnde Sprache in Angloter, die Verkehrssprache der Menschen.

»Keine Sorge, so schnell scheidet es sich nicht aus dieser Welt«, beruhigte Cedric seine beiden Gesprächspartner. »An Bord meines Schiffes befindet sich eine gut ausgerüstete medizinische Station, auf der man Ihnen bestimmt helfen kann.«

»Bitte verzeihen Sie mir, wenn ich Ihnen eine Enttäuschung bereiten muß«, meldete sich wieder Fulmit zu Wort. »Aber weder mein Erster Offizier noch ich und auch sonst kein Überlebender in der NOVICUS, so es überhaupt noch welche gibt, beabsichtigen, an Bord Ihres Schiffes zu kommen.«

»Aber dann werden Sie sterben«, erwiderte Cedric, dessen Meßgeräte den stetigen Energieschwund in dem Birnenraumer anzeigten.

»Genau das ist unsere Absicht«, erhielt er zu seiner Verblüffung zur Antwort.

»Aber warum?« hakte er nach. »Wenn ich die Auswahl hätte, zu leben oder zu sterben, würde ich mich immer für das Leben entscheiden.«

»Das hängt vermutlich mit Ihrer menschlichen Psyche zusammen«, schätzte Fulmit. »Wir Murip sind überzeugt, daß unser körperliches Ableben zu keiner endgültigen Auslöschung führt, sondern lediglich ein Wechsel von einem Sein in ein anderes stattfindet. Unser Ich wird von höheren Autoritäten in den Körper eines Neugeborenen transferiert und verliert jedwede Erinnerung an sein bisheriges Sein. Das finden Sie sicherlich verstörend, nicht wahr?«

»Nein, eher erschreckend«, entgegnete Cedric. »Wenn ich mir vorstelle, als einfältiges Baby wieder von vorn anfangen zu müssen, immer und immer wieder, ohne mich an meine früheren Leben zu erinnern… das klingt ja grausig! Wozu lernt man dann überhaupt, wenn all das Wissen, das man sich über Jahrzehnte hinweg angeeignet hat, am Ende eines jeden Lebens sowieso ins Nichts verschwindet?«

»Alles Wissen der Murip wird von den höheren Autoritäten gesammelt und zu einem Großen und Ganzen vereint – zum Nutzen unseres Volkes. Es tut mir leid, wenn ich Ihnen das so deutlich sagen muß, aber andere Völker sind davon ausgeschlossen. Sie, werter Herr Cedric, werden somit eines fernen Tages unabänderlich sterben.«

»Das sehe ich anders. Ich glaube daran, daß unser menschliches Dasein nur den Beginn des wahren, echten Lebens darstellt; auf der diesseitigen Ebene findet sozusagen die Phase unserer Geburt statt, die Vorbereitung für unsere Weiterexistenz auf einer jenseitigen Ebene, wo…«

»Ich ahne, was Sie vorhaben, Cedric«, unterbrach ihn Fulmit, obwohl das überaus unhöflich war, aber die Zeit drängte. »Sie verwickeln mich zwecks Ablenkung in ein philosophisch-esoterisches Gespräch, um in Ruhe Ihren Plan vorzubereiten, nicht wahr? Zwar funktionieren die Meßgeräte an Bord der NOVICUS nicht mehr, doch ich schätze, Ihr Schiff nähert sich soeben dem unsrigen mit der Absicht, anzudocken und uns hier herauszuholen. Davon kann ich Ihnen nur abraten, denn die NOVICUS wird sich in wenigen Minuten Ihrer Zeitrechnung selbst zerstören. Es wäre daher besser, Sie sorgen für den nötigen Abstand, damit Ihnen und Ihrer Besatzung nichts zustößt.«

»Können Sie den Selbstzerstörungsvorgang stoppen?« fragte Cedric erschrocken.

»Warum sollte ich das tun?« stellte Fulmit ihm die Gegenfrage. »Schließlich hat Exul – der übrigens gerade sein gegenwärtiges Sein verloren hat – diesen Vorgang auf meinen Befehl hin ausgelöst.«

»Warum haben Sie das getan?«

»Weil die Promex-Technik nicht in fremde Hände fallen darf.«

»Angesichts Ihrer prekären Situation hätte Ihre Regierung sicherlich Verständnis, wenn…«

»Vergeben Sie mir bitte, daß ich Ihnen erneut ins Wort fahre, Cedric, aber mir verbleibt nicht mehr viel aktuelle Lebenszeit. Die Anweisungen unserer Militärkommandantin und gleichzeitig höchsten Regentin von Incalu sind eindeutig und lassen keinen Spielraum zu. Bei uns steht die Bewahrung militärischer Geheimnisse ganz weit oben und hat absoluten Vorrang vor der Verlängerung des gegenwärtigen Seins.«

»Das ist… unmenschlich!«

»Ja und? Wir sind keine Menschen, sondern Murip, und wir haben unsere eigenen Regeln. Bitte urteilen Sie nicht zu hart über unsere Regentin. Der Staat sorgt vorbildlich für unsere Hinterbliebenen und für alle Wiedergeborenen. Dank eines ausgeklügelten Geldverteilungssystems mangelt es den Witwen und Waisen an nichts – in unseren Kasernen gibt es sogar Kinderhorte.«

»Fast könnte man glauben, die Regentin von Incalu sei eine Heilige«, erwiderte Cedric, was sich so ironisch anhörte, wie es gemeint war. Mittlerweile war die ECHOLOT auf Sicherheitsabstand zur NOVICUS gegangen. Es stand Cedric nicht zu, seine eigene Besatzung einem unnötigen Risiko auszusetzen, nur um ein paar störrische Außerirdische gegen deren ausdrücklichen Willen zu retten.

»Zumindest wird sie von uns allen sehr verehrt«, entgegnete Fulmit mit schwacher Stimme. »Einige Leute lästern zwar über ihre ziemlich gewöhnungsbedürftige Frisur, die unter keinen Schutzhelm paßt…«

Von einem Moment auf den anderen verwandelte sich sein Schiff in einen gleißenden mächtigen Lichtblitz. Die NOVICUS explodierte lautlos im schwarzen Weltall, das an dieser Stelle für wenige Augenblicke hell und bunt aufloderte.

*

Der blauen Sonne Eschunna verdankten die Menschen, daß sie auf Babylon überhaupt leben konnten. Als sich die Riesensonne plötzlich auf die doppelte Größe ausgedehnt hatte, hatten diejenigen Planetenbewohner, die dieses Phänomen zufällig oder von Berufs wegen beobachtet hatten, einen gehörigen Schrecken bekommen. Wenig später hatte Eschunna zu aller Erleichterung wieder ihre Normalgröße angenommen.

Die große Masse der Bewohner von Babylon hatte die Sonnenvergrößerung gar nicht mitbekommen, dafür war alles viel zu schnell gegangen. Auf der Tagseite des Planeten war zwar eine kurzzeitige Veränderung der Lichtverhältnisse wahrgenommen worden, doch mit bloßem Auge war im gleißenden Sonnenschein nichts Näheres erkennbar gewesen – und den paar wenigen, sich teils widersprechenden Meldungen im weltweiten Netz wurde zunächst kein Glauben geschenkt, zumal in einigen von einer optischen Täuschung die Rede war.

Meßgeräte hatten einen immens mächtigen Impuls angemessen, der zum Zeitpunkt der Sonnenvergrößerung in den Weltraum entsandt worden war, mit unbekanntem Ziel – jenen ultrastarken Impuls, den in weiter Ferne auch die zur Verteidigungsflotte gehörigen Schiffe empfangen hatten.

Daß sich der Checkmaster strikt weigerte, mit seinem Verband einen alleinigen Vorstoß nach Babylon zu fliegen, war ganz in General Thomas J. Jacksons Sinne. »Wer will ihm weisen seinen Weg?« zitierte er aus dem 36. Kapitel Hiob den 23. Absatz und gab sich die Antwort gleich selbst: »Ich!«

Unverzüglich begann er, seine Truppen zu ordnen, wobei er dem Checkmaster-Verband eine zentrale Position zuwies.

Anschließend stellte er dem Bordrechner der POINT OF eine Frage, die ausnahmsweise nicht in der Bibel stand. »Bist du befähigt, die Transition aller Schiffe der Verteidigungsflotte vorzunehmen – unter exakter Einhaltung der Kampfpositionen, die wir soeben eingenommen haben?«

Ein Mensch hätte ihm womöglich eine flapsige Gegenfrage gestellt. Der Checkmaster begnügte sich statt dessen mit einer präzisen Antwort: »Ja.«

Jacksons Erwiderung war ebenso kurz und knapp: »Gut.«

Erstaunlicherweise machte er keine Anstalten, den Befehl zur sofortigen Transition zu erteilen.

»Was ist?« fragte Ren Dhark über Hyperfunk ungeduldig nach. »Warum führen wir den Sprung ins Eschunna-System nicht aus?«

»Weil ich noch ein As im Ärmel habe«, antwortete der General ruhig. »Sobald ich es ausspielen kann, schlagen wir zu – wie es im zwölften Absatz des siebzehnten Kapitels des zweiten Buches Samuel geschrieben steht: So wollen wir ihn überfallen, an welchem Ort wir ihn finden, daß wir von ihm und allen seinen Männern nicht einen übriglassen!«

*

Er und alle seine Männer – das waren in diesem Fall Großadmiral Dennschock und die Besatzungen seiner kolossalen Flottenschiffe. Mit seinen inzwischen nicht mehr ganz vollzähligen 1000 Walzenraumern war er über Babylon aufgetaucht, wo er sich ein leichtes Spiel erhofft hatte. Was hatten ihm diese schwachen Menschen schon groß entgegenzusetzen?

Doch er hatte die Rechnung ohne den Goldenen gemacht!

Der Goldene auf Babylon befand sich in einem mehr als fünfzig Kilometer durchmessenden Areal aus violettblauem Unitall. Er stand exakt in der Mitte des Platzes auf einem 1062 Meter hohen Sockel und war mehr als acht Kilometer hoch. Seinen Kopf hatte er in den Nacken gelegt, und die Arme streckte er mit geöffneten Handflächen gen Himmel aus. Die Bewohner von Babylon waren überzeugt, daß er – wie zahlreiche weitere humanoide gesichtslose Statuen auf fremden Planeten – einen goldenen Menschen darstellte.

Dennschock sah das anders: Die Kraval verehrten das Volk der menschenähnlichen Kalamiten abgöttisch und betrachteten sie als ihre spirituellen Lehrer; somit hatte es für ihn gleich beim ersten Anblick festgestanden, daß es sich bei dieser Statue um einen goldenen Kalamiten handelte.

Deshalb hatte er Kommandant Prilglock von der PERSILAN Landebefehl erteilt, mit dem Auftrag, den Goldenen ringsum abzuriegeln, um zu verhindern, daß die Menschen weiterhin Zugriff auf ihn hatten.

Um so entsetzter war Dennschock nun, als er mit ansehen mußte, wie sich aus den Handflächen der vermeintlichen Kalamitenstatue plötzlich zwei massive Energiestrahlen lösten und sich nach ungefähr einem Kilometer Entfernung zu einem einzigen Strahl vereinigten, der den im Landeanflug befindlichen riesigen Walzenraumer mit einem harten Impulsschlag zielgenau traf. Was die Schiffe der Verteidigerflotte während der Weltraumschlacht nur durch massive gemeinsame Angriffe auf einzelne Kravalraumer geschafft hatten, gelang dem Goldenen ohne große Schwierigkeiten: Der vereinigte Strahl durchdrang den starken Schutzschirm sowie die massive Panzerhülle.

Das brennende Wrack – der größte Teil des Millionen Tonnen schweren Rumpfes bestand immer noch aus einem Stück – stürzte der Oberfläche entgegen, eine Schleppe aus Rauch und Trümmerteilen hinter sich herziehend. Der Aufprall würde verheerend sein, sowohl für die Besatzung der PERSILAN als auch für die Menschen am Boden.

Warum? fragte sich Dennschock immer und immer wieder. Warum?

Seit fast 20 000 Jahren lebten die Kraval mit den Kalamiten einträchtig auf Brock. Die Weisen Führer der Kalamiten standen den Kraval ratgebend zur Seite. Sie hatten den Kraval unter anderem geraten, fortwährend ihre militärische Schlagkraft zu erhöhen und Kontakte zu anderen Völkern zu vermeiden, um sich keine Krankheitserreger einzufangen wie jene, die ihr Volk vor langer Zeit beinahe komplett ausgerottet hätten – und die Kraval hatten diesen und zahlreiche weitere Ratschläge stets befolgt.

Natürlich gab es hier und da mal Unstimmigkeiten.

Beispielsweise vor 30 Jahren, als ein frischer Forscher frech behauptet hatte, die Kraval seien gar nicht übermäßig krankheitsanfällig, im Gegenteil, sie hätten sich längst zu einer besonders robusten Rasse entwickelt. Seinerzeit hatte man die Kalamiten verdächtigt, diese aufsehenerregende Forschungsarbeit durch Morde zu sabotieren – was Dennschock für absurd hielt.

Als bald darauf ein gentechnisches Verfahren entwickelt worden war, mit dem die durchschnittliche Lebenserwartung eines Kraval von 140 Jahre auf 1300 gesteigert werden konnte, hatten die Kalamiten den Kraval von der weltweiten Anwendung abgeraten. Aber man hatte nicht auf sie gehört. Die Folge waren Tausende und Abertausende von Krebsfällen auf Brock, die ausschließlich die Kraval mit verlängerter Lebenszeit betrafen und von der Hypertechnologie der anderen Galaxisvölker verursacht wurden – hauptsächlich von den Transmitterstrecken der Menschen, denen die Kraval die meiste Schuld an der Misere gaben.

Um ihr eigenes Leben zu schützen, hatten die Kraval eine folgenschwere Hyperraumstörung ausgelöst und galaxisweit den Hyperfunk, die Transmitter und die Transitionstriebwerke der Fremdvölker außer Kraft gesetzt. Natürlich hätten sie ebensogut das Lebensverlängerungsverfahren wieder einstellen können, wie es ihnen die Kalamiten geraten hatten – aber wer gab schon freiwillig rund 1150 Lebensjahre her?

War das der Grund für den Angriff des goldenen Kalamiten auf die PERSILAN? Wollten ihnen ihre spirituellen Lehrmeister auf diese Weise demonstrieren, wer auf Brock das Sagen hatte und daß es besser war, sich ihnen nicht zu widersetzen?

Dennschock spielte nur für eine Sekunde mit dem Gedanken, die Operation Apokalypse, wie er seinen erbarmungslosen Rachefeldzug gegen die Menschheit nannte, abzubrechen, doch dann gewann sein Haß auf dieses übelste aller Galaxisvölker wieder die Oberhand. Die Menschen hatten sich federführend gegen die Folgen der Hyperraumstörung gewehrt und fortwährend nach Mitteln und Wegen gesucht, die Hypertechnologie wieder in Gang zu bringen. Mehr noch: Sie hatten auf Terra eine Konferenz aller betroffenen Völker einberufen – ohne zu ahnen, daß sie dabei aus dem Weltall von den Kraval beobachtet wurden. Ja, es war ihnen sogar gelungen, einen Kravalangriff auf den Konferenzort abzuwehren.

Und als die Kraval der verfluchten Transmitterstrecke, die durch einen von Brock beanspruchten Bereich des Weltalls führte, das endgültige Aus hatten bescheren wollen, hatten sich die Menschen mit zahlreichen weiteren Galaxisvölkern vereint, den Abwehrkampf gegen die 1000 Schiffe starke Kravalflotte aufgenommen und ihrem Gegner hohe Verluste beschert. Nein, eine solche Schlappe durfte, konnte und wollte Dennschock nicht so einfach hinnehmen! Schluß mit den Demütigungen! Operation Apokalypse mußte ausgeführt werden, bis zum bitteren Ende! Daß sich der goldene Kalamit auf die Seite der Menschen schlug, verwirrte den Großadmiral zwar erheblich, doch auch dafür fand er eine Erklärung, die ihn zufriedenstellte: Dieses verdammte Volk hatte den Goldenen unter Kontrolle gebracht und zwang ihn, gegen seine Freunde vorzugehen. Er war ja kein lebendiges Wesen, das sich wehren konnte, sondern, so vermutete Dennschock, eher eine Art Roboter, der den Kalamiten möglicherweise gestohlen und hierher gerbracht worden war.

Gestohlen? Von wem? Von den Menschen? Dennschock bezweifelte das, schließlich lebten sie noch nicht sonderlich lange auf Babylon. Erst vor einigen Jahren war der Großteil ihres Volkes hierher übergesiedelt. Die Beobachtungen der Kraval hatten sich bis dahin vorwiegend auf Terra konzentriert, weshalb ihnen der Goldene auf Babylon nie aufgefallen war.

Bis jetzt! Nun sahen sie ihn in aller Pracht und Größe vor sich: den goldenen Kalamiten, den es zu befreien und zu sichern galt – was bestimmt im Sinne seiner ursprünglichen Besitzer war. Diese Aktion würde das leicht angeschlagene Verhältnis zwischen den Kalamiten und den Kraval mit Sicherheit erheblich verbessern.

»Wir müssen den Goldenen vernichten!« riß die Stimme des Ersten Offiziers Varnheck den Kommandanten des Flaggschiffs WILLOCK aus seinen Gedankengängen. »Bevor er noch mehr unserer Schiffe zerstört!«

»Nein, wir schießen nicht auf ihn!« widersprach Großadmiral Dennschock barsch. »Die Menschen zwingen ihn, sich gegen uns zu wenden. Nur sie sind unsere Feinde, nicht der Goldene.«

Er dachte kurz nach und fügte hinzu: »Oder es handelt sich gar um eine militärische Taktik? Der Goldene setzt die PERSILAN möglicherweise als Bombe gegen die Menschen ein.«

Das brennende, riesige Wrack war im Begriff, auf ein Gebiet mit zahlreichen besiedelten Wohnpyramiden herabzustürzen. Millionen Babylonier würden beim Aufschlag unweigerlich getötet werden.

»Er benutzt ein mit Kraval besetztes Schiff als Bombe?« wiederholte Varnheck ungläubig.

Dennschock winkte mit einem seiner Tentakel ab. »Ja und? Was sind schon ein paar wenige Leben gegen all die Krebstoten, die wir durch unseren großen Sieg verhindern können? Im Krieg gegen das Böse müssen nun einmal Opfer gebracht werden.«

*

Dennschocks vage Vermutung, der Goldene auf Babylon sei »eine Art Roboter«, war zumindest nicht grundverkehrt, immerhin war die gigantische Statue vollgestopft mit allerlei hochkomplizierter Technik der Worgun, deren vielfältige Geheimnisse die menschlichen Wissenschaftler bislang bestenfalls ansatzweise entschlüsselt hatten. Im Sockel und in der im Kopf des Goldenen befindlichen Zentrale wurde rund um die Uhr gearbeitet.

Dem wissenschaftlichen Leiter Henk de Groot und seiner Forschertruppe war das Auftauchen der Kravalflotte und die konsequente Reaktion des Goldenen, dessen Aggregate so laut und intensiv arbeiteten wie nie zuvor, selbstverständlich nicht entgangen. De Groot war ein hagerer, sehniger, unauffälliger Durchschnittstyp mit blondem Haar und hellgrauen Augen. Momentan hielt er sich im Kopf der Statue auf, wo man den Lärm der unten befindlichen Aggregate weiterhin deutlich hörte. Von hier aus verfolgten er und seine Männer den unaufhaltsamen Absturz des beschädigten Walzenraumers.

Zwischendrin wurde dessen Fall immer wieder leicht abgebremst. Entweder lebten noch einige Besatzungsmitglieder und versuchten, den Absturz zu verhindern, oder eine automatische Vorrichtung bemühte sich vergebens, das Schiff wieder flugtüchtig zu machen.

Zum Schluß hin ging es nur noch rasant abwärts…

… bis der Goldene urplötzlich seine riesigen Arme senkte, nicht in einer gemächlichen Bewegung, sondern in blitzschnellem Tempo. Seine Hände deuteten nun auf das Wrack, und jeder Zuschauer rechnete damit, daß sich erneut Strahlen aus den Handflächen lösen und die »Walzenbombe« ein für allemal zur Explosion bringen würde.

Es geschah jedoch nichts dergleichen. Was tatsächlich passierte, war sehr viel unheimlicher.

Eine unsichtbare Kraft unterbrach den Absturz in ungefähr sechs Kilometern Höhe über den Wohnpyramiden. Das Wrack wurde stetig kleiner, es schien sich also mehr und mehr vom Goldenen zu entfernen. Das war aber eine optische Täuschung, denn in Wahrheit kam es immer näher an ihn heran – wobei es mit geräuschvollem Knirschen stark zusammengepreßt wurde, so als würde es sich in einer gigantischen, nicht sichtbaren Müllpresse befinden. Rauch und Feuer traten kaum noch aus.

Dieser Vorgang wurde im Inneren des Goldenen von den präzisen Meßgeräten registriert, so daß sich die Menschen an den Bildschirmen nicht allein auf ihre Augen verlassen mußten. Der Walzenraumer behielt seine Höhe bei und näherte sich langsam den Händen des Goldenen, wobei er regelrecht zusammengefaltet wurde. Kontinuierlich verlor das Wrack an Volumen, nicht aber an Masse.

Als es über den weiterhin geöffneten Händen des Goldenen schwebte, hatte es nur noch die Größe eines Metallwürfels von zehn Metern Kantenlänge. Einige letzte feine Rauchschwaden drangen nach draußen.

Sekunden später jagte der Würfel mit ungeheurer Beschleunigung senkrecht in die Luft und verschwand am Himmel.

»Ich… ich kann kaum glauben, was wir da eben gesehen und angemessen haben«, stammelte Henk de Groot.

*

»Ich… ich kann kaum glauben, was wir da eben gesehen und angemessen haben«, stammelte Großadmiral Dennschock, während er von der Zentrale der WILLOCK aus den rasanten Flug des Zehnmeterwürfels mitverfolgte.

Der Metallwürfel beschleunigte immer stärker. Nachdem er die Atmosphäre verlassen hatte, ging er fast auf Lichtgeschwindigkeit.

Und er jagte direkt auf die Sonne zu!

Zeitgleich bewegten sich die Arme des Goldenen und wiesen mit den Handflächen ständig in Richtung des davonstiebenden Würfels. Auf diese Weise, schätzte Dennschock, beschleunigte er das zusammengepreßte Wrack weiter und weiter.

Nachzuweisen war diese Vermutung allerdings nicht, denn aufgrund der von ihnen selbst verursachten Hyperraumstörung waren auch die Meßmethoden der Kraval eingeschränkt. Zwar wies ihre auf Hyperraumzapfung basierende Technologie einige Besonderheiten auf, die ihnen über so manches technische Problem hinweghalfen, doch eine Patentlösung für alles gab es nicht.

Beim Tretwurfball, einem beliebten Kravalvolkssport, hätte man das wohl als Eigentor bezeichnet.

Das Verhalten des Goldenen war wie ein Schlag ins Gesicht für Dennschock, denn schockartig wurde ihm bewußt, daß er jetzt gar keine andere Wahl mehr hatte, als die Statue des Weisen Führers zu zerstören. Er hätte den goldenen Kalamiten gern einer intensiven wissenschaftlichen Inaugenscheinnahme unterzogen, aber die große Gefahr, die dieses Gebilde für seine Flotte darstellte, konnte er schlecht ignorieren.

Als er den Befehl gab, konzentriertes Feuer auf den Goldenen zu eröffnen, zerriß es ihm fast das Herz. Dafür würden die Menschen nach der Landung seiner Schiffe tausend Tode sterben!

Fünfzig Schiffe der Kravalflotte befanden sich in günstiger Schußposition und führten den Befehl sofort aus. Sie setzten ihre Strahlengeschütze und Wuchtkanonen ein, denn es sollte nichts, rein gar nichts von der Statue übrigbleiben. Im Gegensatz zu Dennschock legten die Kommandanten der fünfzig Walzenraumer keinen Wert auf eine nähere Untersuchung des Goldenen, vielmehr schrie in ihnen alles nach Vergeltung.

Rache für die getöteten Kameraden der PERSILAN!

2.

»Babylon wurde im November 2054 von den Menschen entdeckt. Diese hochindustrialisierte Welt ist früher ein Milchstraßen-Stützpunkt der Mysterious gewesen, die, wie wir inzwischen wissen, mit dem hyperintelligenten Volk der Worgun identisch sind, das später unter dem gewaltsamen Einfluß der Zyzzkt auf Epoy in der Galaxis Orn degenerierte.«

Warum bin ich eigentlich ausgerechnet Lehrer an einem Gymnasium geworden? Dabei haben sich mir in jungen Jahren so viele andere Möglichkeiten geboten…

»Insgesamt 38 Planeten umkreisen die blaue Sonne Eschunna, von denen Babylon der sechzehnte ist. Babylon wiederum wird von fünf Monden begleitet.«

Na schön, mich in der Fabrik meines Vaters zum Geschäftsführer hochzuarbeiten, war nie eine wirkliche Alternative für mich. Wer will schon sein Leben mit der Produktion von Gonaxel-Ersatzteilen verschwenden? Nach seinem Tod wollte die Firma keiner kaufen, weil die modernen Kommunikationsgeräte längst ohne Gonaxel auskommen; viele Leute wissen nicht einmal mehr, was Gonaxel überhaupt ist.

Aber nach meinem Studium hätte ich etwas Gescheites aus meinem Leben machen und in die freie Wirtschaft gehen sollen.

»Babylon ist von einer ausufernden Stadtlandschaft bedeckt, die von riesigen Parks und weiten Plätzen sporadisch unterbrochen wird. Prägend sind die teilweise mehr als zweitausend Meter hohen Wohnpyramiden mit einer Grundfläche von fast vier Kilometern Durchmesser, die im Schnitt einer Million Bewohnern Platz bieten.«

Beispielsweise hätte ich eine Gleiterfahrschule eröffnen können, dabei wären meine Fähigkeiten als Pädagoge sicherlich besser zur Geltung gekommen. Eine literarische Laufbahn wäre auch nicht schlecht gewesen, etwa als Bühnenautor. Nein, als Theaterkritiker, weil man dann nach Herzenslust an alles und jedem herumkritisieren kann!

Doch ich mußte ja unbedingt meine Perlen vor die Säue werfen. Hätte ich bloß nach der Umsiedelung von Terra nach Babylon meine Chance genutzt und mich beruflich verändert!

»Anfangs wurde Babylon als Ausweichwohnwelt eingeplant und durch Kolonisten besiedelt. Durch die vorhandene gute Infrastruktur wurden zahlreiche Einwanderer angelockt – der große Boom folgte allerdings erst um 2063 herum, als feststand, daß die Vereisung unserer guten alten Erde nicht mehr aufzuhalten sein würde.«

Wozu rede ich mir überhaupt den Mund fusselig? Diese 15jährigen Rotznasen hören mir doch sowieso kaum zu. Meine Worte gehen bei denen zum einen Ohr rein, zum anderen wieder raus, weil es zwischen den Ohren nichts gibt, was den Lehrstoff festhalten könnte. Zugegeben, Heimatkunde gehört nicht unbedingt zu den spannendsten Schulfächern, doch man sollte wenigstens ein bißchen über den Planeten, auf dem man lebt, Bescheid wissen.

Auf der Erde war es genauso: Kein Aas in der Klasse hat sich für terranische Lebensverhältnisse oder terranische Politik interessiert. Und heute ist die Erde plötzlich wieder ›in‹. Sobald ich jedoch das Thema ›Babylon‹ anschneide, heißt es: ›Wie langweilig. Erzählen Sie uns doch lieber etwas über unseren einstigen Heimatplaneten, Dr. Rellergard. Auf Terra war es früher viel schöner!‹

Früher? Was wissen diese Hohlköpfe denn noch von früher? Wie alt waren sie bei der Umsiedelung? Neun? Zehn? Jedenfalls noch halbe Babys. Welche Erinnerungen könnten sie also an ›früher‹ haben? Statt die Erde zu verklären, sollten sie sich lieber auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Auf Babylon.

Und auf diesen Klassenausflug!

»Die 36 Milliarden Menschen, die heute auf Babylon leben, belegen gerade mal ein Viertel der vorhandenen, vor langer Zeit von den Worgun errichteten Pyramiden. Deshalb gibt es auf diesem Planeten zahlreiche unbewohnte Randbezirke – und sogar noch nicht vollständig erforschte ›Geisterstädte‹, in denen kein Mensch wohnt. Eine solche Stadt ist Legoano, zu der wir gerade unterwegs sind. Wenn wir nachher jenen Ort ausgiebig erkunden, werde ich euch noch so manches Wissenswerte über Babylon erzählen.«

Klassenausflüge – warum tue ich mir so etwas überhaupt an? Da begleite ich Jahr für Jahr als Klassenlehrer mit wechselnden Aushilfslehrkräften dreißig von Haus aus schlecht erzogene Halbidioten, die schlimmer zu hüten sind als ein Sack Flöhe und sich jedem meiner Versuche, ihnen etwas Bildung einzupauken, trotzig widersetzen, und weder die Eltern noch der Schuldirektor danken es einem.

Tja, und nun stehe ich armer Tropf hier vorn im Schweberbus, den Stimmenverstärker in der linken Hand, das Lehrbuch über Babylons Geschichte in der rechten, und rede und rede – und keine Socke interessiert’s! Einige dieser schwatzhaften Gören besitzen nicht einmal die Höflichkeit, den Mund zu halten, während ich referiere.

Sogar die Kunsterzieherin Frau Sinclair-Jasson (wie ich diese überflüssigen Doppelnamen verabscheue!) schnattert fortwährend wie eine Gans, die sie in meinen Augen auch ist – wenn auch ein verflucht hübsches Federvieh, das würde selbst ein eingefleischter Junggeselle und passionierter Frauenfeind wie ich nicht von der Bettkante schubsen.

Vielleicht ist ihr hinreißendes Aussehen ja der Grund dafür, daß sie bei meinen Schülern besser ankommt als ich, insbesondere bei den pickeligen pubertierenden Jungs. Oder es liegt am Alter; sie ist gerade mal 32, ich hingegen bin fast doppelt so alt. Selbst die Spracherzieherin Miß Tsinghiao, die daherkommt wie eine vertrocknete chinesische Jungfer, die sie in meinen Augen auch ist, hat einen besseren Draht zu meinen Schülern als ich, obwohl sie bereits stramm auf die Fünfzig zugeht.

Na endlich, der Bus hält. Höchste Zeit, ich wußte sowieso nicht mehr, was ich diesen ungebildeten Hosenpupsern noch alles erzählen soll. Hoffentlich entdecken wir in Legoano wenigstens ein paar ausgefallene Artefakte.

»So, meine Lieben, wir sind am Ziel! Ich hoffe, mein kleiner Vortrag hat dazu beigetragen, euch die Fahrt ein bißchen zu verkürzen. Na schön, Heimatgeschichte zu pauken ist nicht jedermanns Sache. Wenn ich das nächste Mal zum Stimmenverstärker greife, streife ich mir vorher eine Lederjacke über und fange an zu rocken, versprochen.«

Na typisch! Keiner lacht. Wahrscheinlich haben sie diesen vortrefflichen Scherz gar nicht kapiert – was mich wieder zu der Frage bringt: Warum bin ich eigentlich ausgerechnet Lehrer geworden?

*

Während wir alle ausstiegen, fiel mir auf, daß Kurt, unser Schweberbusfahrer, genervt an seinem Kontrollpult herumfummelte. Bislang hatte ich geglaubt, angesichts der heutigen technischen Errungenschaften sei Busfahren ein entspannter Job, schließlich bewegten sich die meisten Transportfahrzeuge quasi wie von selbst; die Fahrer übten nur noch eine Überwachungsfunktion aus. Viele Busse wurden heutzutage von Robotern gesteuert, und einige Fahrzeuge arbeiteten sogar vollautomatisch.

»Brauchen Sie Hilfe?« fragte ich, meinte das aber nicht so, denn im Grunde genommen hatte ich zwei linke Hände. Meine technischen Kenntnisse reichten gerade so für den Hausgebrauch.

»Kennen Sie sich denn auf dem Gebiet der Schwebertechnik aus, Dr. Rellergard?« stellte Kurt mir die Gegenfrage.

»Nicht wirklich«, räumte ich ein.

»Ich schon«, erwiderte er. »Dennoch ist soeben etwas passiert, das ich mir nicht erklären kann. Nachdem ich den Antrieb abgeschaltet hatte, leitete das System wie üblich eine Komplettüberprüfung ein. Augenblicke später kam es dann zu einem… tja, wie soll ich das formulieren? Einerseits könnte es sich um einen Teilabsturz gehandelt haben, andererseits aber auch nicht, denn der gesamte Vorgang dauerte nur eine Sekunde, vielleicht auch nur eine halbe. Verstehen Sie, was ich meine?«

»Nein.«

»Der Bus hat urplötzlich einen kurzen Impuls empfangen. Eventuell war es auch umgekehrt, und er hat einen Impuls ausgesandt.«

»An wen?«

Kurt zuckte mit den Schultern. »Wie ich bereits sagte, kann ich mir das Ganze nicht erklären. Unmittelbar nach diesem seltsamen Vorfall lief wieder alles wie am Schnürchen. Hier, sehen Sie, die Prüfung ist abgeschlossen, und es wurde kein Systemfehler gefunden.«

»Demnach müssen wir nicht befürchten, nie mehr von hier wegzukommen?« vergewisserte ich mich.

»Keine Sorge, ich bringe uns sicher ans Ziel«, versicherte mir der Busfahrer.

»Na, dann ist doch alles in schönster Ordnung«, entgegnete ich. »Wozu also die Aufregung?«

»Weil es mich nervt, nicht zu wissen, was da gerade geschehen ist«, antwortete Kurt. »Ich kenne diesen Bus besser als meine eigene Frau, und trotzdem finde ich keine plausible Erklärung. Wie mein Großvater immer zu sagen pflegte: Die Technik ist schon ein seltsam Ding.«

Ich ließ ihn mit seinem Kummer allein, es hatte halt jeder sein Päckchen zu tragen.

*

Legoano war nicht nur eine Stätte zum Wohnen, sondern auch eine Art Speicherstadt mit zahlreichen pyramidenförmigen Lagerhallen. Anscheinend hatte man hier einstmals Handel betrieben. Genaueres hatte man bisher noch nicht ermittelt. Wahrscheinlich erschien diese Stadt den Forschern zu unwichtig, war sie doch verhältnismäßig klein, verglichen mit Metropolen wie Babylon-Stadt oder Neu-Alamo – zwei von Menschen erdachte Namen, so wie auch Babylon eine menschliche Namenserfindung war; die Worgun hatten diesen Planeten einst Fande genannt.

»Die zahllosen großen Pyramidenstädte, die sich über ganz Babylon verteilen, lassen darauf schließen, daß hier einst Milliarden und Abermilliarden Worgun gewohnt haben, unseren bisherigen Forschungserkenntnissen zufolge möglicherweise sogar Salter«, erklärte ich den 30 Schülern, die mir und den beiden Lehrerinnen wie eine Hammelhorde über einen breiten Trampelpfad quer durch einen verwitterten, zugewucherten Park folgten und vermutlich dachten: O mein Gott, jetzt salbadert er schon wieder. »Leider ist nicht mehr die gesamte ursprüngliche Worgun-Technik erhalten, lediglich in fünf Pyramidenstädten funktionierte sie nach dem berühmt-berüchtigten Weißen Blitz weiterhin, weil die jeweils durch ein Intervallfeld geschützt wurden. Ich denke, über den Weißen Blitz ist jeder von euch ausreichend informiert. Oder gibt es dazu noch Fragen?«

Vlad Lubensky, der Klassenstreber, wollte den Arm heben, doch Boris Kowal, der zwar als Sportskanone glänzte, ansonsten aber eher durch permanente Unwissenheit auffiel, drückte ihm selbigen wieder herunter.

»Keine Fragen, Dr. Rellergard«, sagte Boris und behauptete: »Wir kennen uns blitzmäßig alle bestens aus.«

»Ich habe eine Frage«, meldete sich Lina Kunze zu Wort, ein kesser Teenager, der sich von niemandem den Mund verbieten ließ, auch nicht vom Mädchenschwarm Boris. »Treffen wir so rechtzeitig in Barlem ein, daß ich noch in die Disko gehen kann?«

Barlem war die nächste Station unserer Klassenreise. Dort wollten wir in einer Jugendherberge übernachten, die von einem netten älteren Ehepaar mit pädagogischer Erfahrung geleitet wurde.

»Wir kommen spät abends an«, antwortete ich, »und morgen früh brechen wir wieder zeitig auf, daher bleibt euch für abendliche Vergnügungen keine Zeit. Im übrigen gibt es dort keine Diskotheken.«

»Schon wieder so ein langweiliges Drecksnest wie Wolfenburg?« entrüstete sich Bertold Benz, der gern mal den Klassenclown gab. »Wo bleibt denn da der Reisespaß?«

»Dies ist eine Bildungsreise, kein Vergnügungsausflug«, machte ich ihm klar.

»Nun ja, ein bißchen mehr Spaß könnte uns allen nicht schaden«, meinte Miß Tsinghiao – ausgerechnet die!

»Anno 2064 wurden überall in den neubesiedelten Gebieten die Pyramiden reaktiviert«, setzte ich meine Ausführungen unbeirrt fort, »da die Menschen inzwischen die durch den Hyperraumblitz zerstörte Technik durch eigene Nachbauten ersetzen konnten. Es dürfte wohl niemandem von euch entgangen sein, daß uns der Hyperraum derzeit erneut erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Glücklicherweise hat das keinen direkten Einfluß auf unser Alltagsleben und unsere Wohnsituation; mit der aktuellen Hyperraumstörung müssen sich in erster Linie unsere Raumfahrer herumschlagen.«

»Das stimmt nicht so ganz«, warf Vlad ein. »Fernreisen über die Transmitterstrecke sind augenblicklich nicht möglich – und das betrifft jeden.«

»Deswegen machen wir ja auch keine Klassenfahrt nach Eden, wie wir es vor einiger Zeit während der Planungsphase angedacht hatten, sondern beschränken uns auf unsere schöne neue Heimat«, erwiderte ich. »Für Eden hätte der Inhalt unserer Klassenkasse sowieso nicht gereicht, und die Zuschüsse vom Kultusministerium fallen von Jahr zu Jahr mickriger aus.«

Mir war das nur recht. Ich war noch nie ein Freund von »je weiter, je besser« gewesen. Wäre es nach mir gegangen, wären wir in Babylon-Stadt geblieben und hätten uns dort ein paar verlassene Randbezirke angeschaut, dabei lernte man schließlich genausoviel. Und die Kosten für die Unterbringung hätten wir uns ebenfalls gespart – Hotel Mama war für die Kinder immer noch das beste und billigste. Leider war die Jugend von heute viel zu verwöhnt. Zu meiner Zeit…