Ren Dhark: Weg ins Weltall / Notruf von Orn - Conrad Shepherd - E-Book

Ren Dhark: Weg ins Weltall / Notruf von Orn E-Book

Conrad Shepherd

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Beschreibung

Henner Trawisheim hat die Macht auf Babylon an sich gerissen. Aus dem demokratisch gewählten Commander der Planeten ist ein gewissenloser Gewaltherrscher geworden, der nicht davor zurückschreckt, die Jagd auf Ren Dhark zu eröffnen. Doch der kann nicht wirklich auf dieses Unrecht reagieren, denn er erhält einen Notruf von Orn...

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Ren Dhark

Weg ins Weltall

 

Band 26

Notruf von Orn

 

von

 

Achim Mehnert

(Kapitel 1 bis 6)

 

Conrad Shepherd

(Kapitel 7 bis 10)

 

Uwe Helmut Grave

(Kapitel 11 bis 15)

 

Jan Gardemann

(Kapitel 16 bis 21)

 

und

 

Hajo F. Breuer

(Exposé)

Inhalt

Titelseite

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

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Impressum

Prolog

Ende des Jahres 2065 steht die Menschheit am Scheideweg: Auf der nach dem Krieg gegen die Roboter des »Volkes« zu einem Eisklumpen gewordenen Erde leben nur noch 20 Millionen Menschen. Relativ gut aushalten läßt es sich nur in der Hauptstadt Alamo Gordo, deren neuartiger Schutzschirm ihr nicht nur Sicherheit gibt, sondern auch für angenehm hohe Temperaturen sorgt.

Die restlichen 36 Milliarden Menschen wurden nach Babylon umgesiedelt und richten sich dort unter der Regierung Henner Trawisheims neu ein. So wäre auf der Erde eigentlich viel Platz – hätten nicht die Riiin oder Eisläufer ihren Lebensmittelpunkt nach Terra verlegt. Dieses Volk kann nur bei extrem niedrigen Temperaturen überleben – und ist so naturgemäß gegen jeden Versuch, der irdischen Sonne zu ihrer alten Kraft und dem Eisplaneten Terra zu neuer Wärme zu verhelfen.

Genau diesen Versuch aber hat Ren Dhark mit seiner Expedition in die Nachbargalaxis Andromeda unternommen. Denn es gibt nur einen Weg, um die Sonne wieder stark zu machen: Die Synties, tropfenförmige Energiewesen, die im freien All leben und seit vielen Jahren gute Freunde der Terraner sind, könnten interstellares Wasserstoffgas einfangen und in die Sonne stürzen lassen – so lange, bis sie ihre alte Masse und damit ihre alte Kraft zurückgewonnen hat.

Doch die Synties sind von den gefühllosen, eiskalten Echsenwesen des Glandarenvolks entführt und als Energiequelle mißbraucht worden. Zwar gelingt es Dhark, die Synties zu befreien, aber gewaltige Ringraumer des Geheimen Imperiums, einer noch skrupelloseren Macht, die schon vor mehr als tausend Jahren Krieg gegen die Worgun in Andromeda führte, löschen das Volk der Glandaren gnadenlos aus. Beim Versuch, wenigstens einige von ihnen zu retten, gerät die POINT OF in die sogenannte »Horizontverschiebung«, ein quantenphysikalisches Phänomen, das zahlreiche Welten bedroht. Als es endlich gelingt, die Horizontverschiebung zu vernichten, macht sich Ren Dhark auf den langen Heimweg in die Milchstraße.

Dort hat der Wächter Simon drei Menschen für das neue Wächterprogramm rekrutiert: Svante Steinsvig, Arlo Guthrie und – Doris Doorn! Die INSTANZ von ARKAN-12 schickt sie nach erfolgter Umwandlung in die Milchstraße. Ihre Aufgabe: Reparatur der defekten Station ERRON-2 und Überwindung der Schranke um Orn, die Heimatgalaxis der Mysterious oder Worgun…

In Orn, der Galaxis der Mysterious oder Worgun, machen der ehemalige Rebell Gisol und seine Kampfgefährtin Juanita auf Epoy eine erschreckende Entdeckung: Eine geheimnisvolle Macht jagt alle Mutanten und versucht, das Volk der Hohen zu einer Gemeinschaft der Dummen hinabzuzüchten…

Zur gleichen Zeit muß Ren Dhark erkennen, daß sich vieles verändert hat in seiner Heimat: Terence Wallis macht ihm und wenigen Auserwählten das Angebot der relativen Unsterblichkeit! Und auf Babylon hat Henner Trawisheim eine Diktatur errichtet. Er läßt Ren Dhark und seine Getreuen verhaften. Als ihnen die Flucht zurück in die POINT OF gelingt, verlangt der Diktator ausgerechnet von Dharks ehemals besten Freund Dan Riker, den berühmten Ringraumer samt Besatzung zu vernichten…

1.

»Warte«, rief Gisol seiner Begleiterin zu. Er blieb in einer dunklen Ecke stehen. Es waren keine Worgun in der Nähe, doch er wollte nicht das Risiko eingehen, durch einen dummen Zufall bei der Verwandlung auf der Straße beobachtet zu werden.

»Was hast du vor?« fragte Juanita.

»Ich werde wieder zu Jim Smith.« Noch während er die Worte aussprach, führte Gisol die Umwandlung durch. Er gab die bei der Flucht zuletzt angenommene Gestalt zugunsten der menschlichen auf und wurde zu einem großen, muskulösen Humanoiden mit heller Haut und blonden Haaren. Unter anderen Worgun würde er so nicht auffallen, weil sie die Anwesenheit von Römern auf Epoy gewohnt waren. Der Vorgang dauerte nur Sekunden, dann war Gisol äußerlich wieder der etwa einhundert Kilogramm schwere muskulöse Terraner, als der er auf der Erde aufgetreten war.

»Und jetzt weiter!« trieb Juanita ihn an.

»Hast du nicht etwas vergessen? Wir wollen kein Aufsehen erregen.«

Mit einem Ruck zog sich Juanita die Sturmmaske vom Kopf und verstaute sie in einer Tasche. Sie lächelte den Mann an ihrer Seite an. »Ja«, gab sie zu. »Natürlich hast du recht.«

Für einen Moment stand Gisol da wie angewurzelt und sah sie an. So ganz hatte er sich noch nicht daran gewöhnt, daß die verwahrloste Straßengöre, die er einst in den Slums von Rio de Janeiro aufgelesen hatte, zu einer hinreißend schönen, jungen Latinofrau geworden war. Er riß sich von dem Anblick los und lief weiter.

Nicht weit entfernt erhoben sich die Abfertigungsgebäude des Raumhafens, auf dem die EPOY II geparkt stand. Als sie sich den Hallen näherten, verlangsamten Gisol und Juanita ihre Schritte und näherten sich dem Eingang wie ein normales Paar, das sich auf eine Reise begab. Unauffällig sah Gisol sich um. Niemand achtete auf sie, doch er gab sich keinen trügerischen Hoffnungen hin. Nach dem Zwischenfall bei Repal würden die Polizeieinheiten die Verfolgung der Flüchtenden nicht so schnell aufgeben.

Beamte, die nicht ganz dumm waren, zogen die Möglichkeit in Betracht, daß die Gejagten versuchen würden, mit einem Raumschiff zu entkommen.

Zum Glück hatten sie keine Ahnung, hinter wem sie wirklich her waren. Die wahre Identität des angeblichen Jim Smith blieb ihnen verborgen wie die Juanitas, zumindest im Moment noch.

Zahlreiche Worgun waren in der Halle, in der die Identitätskontrolle untergebracht war, unterwegs. Auch ein paar Römer waren zu sehen. Gisol und Juanita begaben sich zu einem Abfertigungsschalter und stellten sich in die Reihe. Es ging schneller voran als erwartet.

»Wenn wir auffallen, sorge ich für einen netten Budenzauber«, flüsterte Juanita. »Dann heißt es rennen.«

»Wir fallen nicht auf«, versicherte Gisol im Brustton der Überzeugung. Er hoffte, daß seine Zuversicht nicht allzu blauäugig war.

Als sie an der Reihe waren, registrierte er die Anspannung bei seiner Begleiterin. Juanita ließ sich nichts anmerken, doch er erkannte, daß sie zu einer gewaltsamen Aktion bereit war, falls die erforderlich werden würde. Der Worgun hinter dem Schalter gönnte ihnen kaum einen Blick. Offenbar hatte es weder einen Alarm gegeben, noch war die Suche der Polizei bis hierher ausgeweitet worden. Der Beamte kontrollierte die Ausweise der beiden Wesen, die er für Römer hielt, mehr gelangweilt denn interessiert und winkte sie durch. Schon widmete er sich dem nächsten Reisenden, ohne ihnen einen weiteren Blick zu gönnen.

Gisol nickte Juanita zu, und sie gingen eilig, aber nicht überhastet durch die Halle. Sie hatten es fast geschafft, da wäre es dumm gewesen, durch übertriebene Hektik auf sich aufmerksam zu machen. Unauffällig beobachtete Gisol die Reisenden. Keiner von ihnen achtete auf die beiden vermeintlichen Römer.

Die Peripherie war ziemlich unübersichtlich. Riesige Topfpflanzen schufen grüne Oasen. Sie waren so angeordnet, daß sie halbwegs anonyme Abschnitte schufen, die zum Verweilen und Ausruhen einluden. Zwischen ein paar Ladenzeilen gab es Sitzgruppen und ungenützte Ecken, die einsam und verlassen dalagen und keinen bestimmten Zweck zu erfüllen schienen.

Gisols Aufmerksamkeit war auf den Bereich außerhalb der Halle gerichtet. Wenn sie erst einmal draußen waren, hatten sie Epoy schon so gut wie verlassen. Die ausgedehnten Start- und Landefelder waren durch eine prächtige Glasfront zu sehen. Im blauen Licht Forus lag Gisols neues Schiff, die EPOY II, unbehelligt da. Niemand kümmerte sich um den Ovoid-Ringraumer der Rom-Klasse.

»Sieh mal«, raunte Juanita und streckte einen Arm aus.

Gisol folgte ihrem Hinweis und zuckte innerlich zusammen. In einer unbeobachteten Nische kauerte ein junger Worgun, der sich offensichtlich dort zu verstecken versuchte. Er sah elend aus, beinahe kränklich. Statt der etwa einhundert Kilogramm, die ein erwachsener Worgun auf die Waage brachte, wog er höchstens drei Viertel davon. Die hellgraue Amöbengestalt drückte sich in die Ecke und zitterte. Zuckungen liefen durch den Körper.

»Was macht er da?« wollte Juanita wissen.

»Ich weiß es nicht.«

Unwillkürlich verlangsamte Gisol seine Schritte. Das Bild, das sich ihm bot, erweckte eine Assoziation in ihm. Er hatte diesen Vorgang schon früher gesehen, doch etwas in ihm weigerte sich zu akzeptieren, daß er an diesem Ort und unter solchen Umständen ablief. Als er die Nische passierte, hielt Gisol inne, weil er schlagartig begriff, wovon er Zeuge wurde. Es war ignorant, sich der Erkenntnis zu verweigern.

Der Worgun sonderte eine deformierte Fruchtkapsel ab, und zwar nur eine einzige.

Gisols Gedanken jagten sich. Ein Worgun vermehrte sich nur ein einziges Mal in seinem Leben, und das geschah um das 200. Lebensjahr herum. Dabei kam es an seinem Gehirn zu zwei Wucherungen, durch die sich zwei Fruchtkapseln mit Gehirnmasse bildeten.

Diese mußten mit den Fruchtkapseln eines anderen Worgun zusammengebracht werden, und beide Spender mußten einen Teil ihrer Gewebsmasse dazugeben. Die beiden Gewebespenden und die vier Fruchtkapseln vermischten sich zu einem Zellbrei, aus dem in der Regel vier neue Fruchtkapseln entstanden. Jeder der beiden Worgun nahm zwei der Kapseln in seinen Körper auf, wo sie noch eine Weile reiften, bis sie abgesondert und zu neuen, jungen Worgun wurden.

Zu Abweichungen von dieser Anzahl an Nachwuchs kam es nur äußerst selten.

Der Worgun in der Nische sonderte hingegen nur eine einzige Kapsel ab. Sein geringes Körpergewicht und sein schwächliches Aussehen hinzugenommen gab es nur eine Erklärung.

»Er gebiert«, raunte Gisol seiner Begleiterin zu.

»Was? Er bringt Nachwuchs zur Welt?«

»Nein, er ist ein Worgunmutant. Soviel ich weiß, ist der Inhalt dieser Fruchtkapsel nicht lebensfähig.« Es war erschütternd, daß das am Raumhafen geschah statt in der Privatsphäre des Worgun. Gisol begriff nicht, wie es dazu kommen konnte. Alles in ihm drängte danach einzugreifen, doch damit hätte er die Aufmerksamkeit nicht nur auf den Mutanten gelenkt, sondern auch auf sich und Juanita.

»Wir sind nicht die einzigen, die ihn gesehen haben, Jim. Ich glaube, er bekommt gleich Besuch, und der sieht nicht besonders freundlich aus.«

Ein paar Wachleute waren auf die Szene aufmerksam geworden und näherten sich. Bis auf ihre als Uniformen dienende Waffengurte, an denen Abzeichen befestigt waren, waren sie nackt wie alle Worgun.

Hilfesuchend sah der Mutant sich um. Gisol dachte daran, was er bei Repal erfahren hatte. Gegen Worgunmutanten hatte das reinste Kesseltreiben eingesetzt, und zwar seitens ihrer eigenen Landsleute. Er fürchtete um die Sicherheit des Worgun, der die Fruchtkapsel inzwischen vollständig abgesondert hatte.

Gisol brachte es nicht über sich zuzulassen, daß der bedauernswerten Kreatur etwas zustieß. »Wir müssen ihm helfen, bevor das Wachpersonal ihn fortschafft.«

»Ich kümmere mich darum.«

Juanita setzte ihre Paragabe ein und sorgte dafür, daß die Wachleute den hilflosen Mutanten nicht mehr sehen konnten. Verwirrt hielten die Uniformierten inne und redeten aufeinander ein. Gisol konnte nicht verstehen, was sie besprachen. Daß sie bislang nicht auf Juanita und ihn achteten, mußte er ausnutzen.

»Verschwinden wir von hier«, forderte er den Mutanten auf.

Der Angesprochene blieb starr an seinem Platz hocken. Er begriff nicht, was geschah und daß ihm ausgerechnet zwei Römer beistanden. Nur die gefährliche Lage, in der er sich befand, war ihm klar.

»Da hinten kommen Roboter!« stieß Juanita aus. »Die lassen sich nicht täuschen. Sie fallen nicht auf meine Fähigkeit herein. Sie werden nicht nur ihn unter die Lupe nehmen, sondern auch uns.«

Gisol unterdrückte eine Verwünschung. Das hatte er nun davon. Seine Hilfsbereitschaft und Gutmütigkeit brachten ihn, wie Chris Shanton sich einmal ausgedrückt hatte, in Teufels Küche. Doch Gisol konnte nicht anders, als seinem Gewissen zu folgen. Es war offensichtlich, daß der Mutant mit der Situation völlig überfordert war, worauf die Sicherheitskräfte aber keine Rücksicht nehmen würden und die Roboter schon gar nicht.

Die 1,60 Meter großen, ansatzweise humanoid geformten Maschinen eilten auf ihren stämmigen Metallbeinen durch die Halle und an den Wachleuten vorbei. Nun wurden auch andere Reisende aufmerksam und sahen herüber. Gisol erkannte, daß er nicht länger zögern durfte, wenn er verhindern wollte, daß der Mutant in Gefangenschaft geriet. Er zog seinen unter der Kleidung verborgenen Handnadelstrahler und eröffnete das Feuer auf die vorderen Roboter.

Sich auf eine Diskussion mit ihnen einzulassen war so sinnvoll wie gegen eine Wand zu reden.

Eine Maschine krachte scheppernd zu Boden. Eine Stichflamme zuckte aus dem kantigen, gesichtslosen Kopfteil, versengte die Antennen und die an ihren Enden befestigten Kugelköpfe und jagte der Hallendecke entgegen. Schon wurden ringsum entsetzte Schreie laut. Worgun huschten davon und versuchten sich in Sicherheit zu bringen.

Darauf achtend, keinen von ihnen zu gefährden, schoß Gisol Sperrfeuer auf die anderen Roboter, die gemeinsam mit den Wachleuten Deckung suchten.

»Komm endlich!« brüllte er den Mutanten an.

Der reagierte nicht. Wie gelähmt von seiner Panik verharrte er an Ort und Stelle. Nur sein zitternder Körper verriet, daß es sich bei ihm um ein lebendes Wesen handelte.

»Hilf ihm auf! Du hast mehr Kraft als ich. Ich kümmere mich dafür um die Blechkerle.« Juanita hatte ebenfalls ihren Strahler gezogen und schoß sich auf die Maschinen ein. Mit präzisen Feuerstößen schaltete sie zwei weitere Roboter aus.

Beißender Qualm stieg auf und verdichtete sich unter der Hallendecke zu einer schwarzen Wolke. Inzwischen war ringsum das reinste Chaos ausgebrochen. Die Wachleute konnten nicht in den Kampf eingreifen, und die Kampfmaschinen waren gezwungen, vorsichtig zu agieren, um keine zivilen Worgun zu gefährden. Ein paar der Reisenden brachen in Panik aus und rannten, statt sich in Deckung zu begeben, verstört umher. Ihr Verhalten begünstigte Gisols Vorhaben.

Er packte den Mutanten und rüttelte ihn. »Komm zu dir! Wenn du nicht willst, daß die Roboter dich erwischen, mußt du mit uns kommen.«

»Segal«, keuchte der Mutant und löste sich aus seiner Panikstarre. »Ich heiße Segal. Wer seid ihr?«

Gisol nannte hektisch ihre Namen. »Keine Zeit jetzt für Konversation. Wir können uns später unterhalten.«

»Ja, gut, ich verstehe. Wohin bringst du mich? Wir sind hier nirgendwo sicher. Den Kontrollen kann man sich nicht entziehen.«

»Ich schon. Mein Raumschiff steht auf dem Landefeld. Wir fliehen damit.«

»Ein Raumschiff, das ist gut.« Segal begann damit, eine Verwandlung durchzuführen.

»Nein, du darfst keine andere Gestalt annehmen!« stieß Gisol aus, doch es war bereits zu spät.

In Sekundenschnelle wurde aus dem schmächtigen Mutanten ein Vierbeiner, der von Golkas stammte, einer ehemaligen Kolonialwelt der Worgun. Das Tier mit den langen schlanken Beinen, dem langen Hals und dem sehnigen Körper, das Gisol an eine terranische Giraffe erinnerte, besaß seinen Namen Flinkrenner völlig zu Recht. Es war schnell, wendig und geschickt auf den Beinen. Insofern hatte Segal bei seiner Gestaltwandlung eine kluge Wahl getroffen – die aber dennoch einem Desaster gleichkam. Doch dies war nicht der Moment, einen Gedanken an die unwiderrufliche Veränderung zu verschwenden.

»Wollt ihr da Wurzeln schlagen?« trieb Juanita die beiden Worgun an. Sie jagte einen Schuß nach dem anderen aus dem Nadelstrahler und machte sich das Durcheinander in der Halle zunutze.

Gisol stürmte los, wobei auch er seinen Strahler einsetzte, und Segal galoppierte auf seinen vier Beinen neben ihm her. Juanita blieb dicht hinter ihnen und zwang die Wachleute durch ständiges Schießen, ihre Köpfe untenzuhalten. Ein entsetzter Aufschrei hallte durch die Halle, als ein weiterer Roboter mit Donnergetöse explodierte.

Sekunden später erreichten die Flüchtenden die Glasfront und stürmten durch einen Ausgang auf das Landefeld hinaus. Ein paar dort tätige Worgun waren viel zu verwirrt und von den Detonationen in der Halle eingeschüchtert, um etwas zu unternehmen. Im Laufen zog Gisol einen Impulsgeber aus der Tasche und deaktivierte mit einem Tastendruck die Sicherung der EPOY II.

Die Einstiegsrampe des Ringraumers fuhr herunter, und Gisol blieb an ihrem Rand stehen. Er winkte Juanita und Segal an sich vorbei und feuerte auf den Durchgang, in dem zwei Roboter auftauchten.

Er verfehlte sie, doch sie zogen sich zurück. Das verschaffte Gisol wertvolle Sekunden. Er sprang hinter seinen Begleitern her ins Schiffsinnere und machte sich sofort auf den Weg in die Zentrale.

Rampe schließen, instruierte er den Hyperkalkulator der EPOY über die Gedankensteuerung. Da er meistens allein unterwegs war, hatte er sie so modifiziert, daß er von überall im Schiff Gedankenbefehle an das Bordgehirn übermitteln konnte. Fluchtsequenz einleiten und starten. Bring uns ins Weltall. Maximale Beschleunigung und volle Tarnung!

Auf halbem Weg holte er Juanita und den Mutanten ein. Als sie in die Zentrale eintraten, jagte das Schiff bereits durch die Planetenatmosphäre und ließ Gisols Heimatwelt hinter sich. Segal starrte seine Retter abwechselnd an. Er konnte nicht glauben, was ihm soeben widerfahren war.

*

»Jim, vier Ringraumer starten von Epoy.« Juanita stand vor der Bildkugel und deutete auf die unitallblauen Röhren, die sich vom Raumhafen in die Luft erhoben.

Nach dem Alarmstart hatte Gisol die Schiffssteuerung selbst übernommen. Er blieb gelassen, weil er sicher war, die Verfolger schnell abschütteln zu können. Seine Erfahrung in der Führung und Handhabung eines Ringraumers war in den Reihen der Worgun unerreicht, dafür hatte sein jahrelanger Widerstandskampf gegen die Zyzzkt gesorgt.

In Relation zu den Bahnebenen der vierzehn Planeten des Foru-Systems raste er auf einer geraden Linie steil nach oben in den interstellaren Raum hinaus.

Segal stand auf seinen vier Beinen in der Nähe des Schotts und gab verzweifelte Laute von sich.

Sie blieben animalischer Natur, ohne daß es ihm gelang, verständliche Worte zu formen.

»Er kann nicht sprechen«, stellte Juanita erschrocken fest.

»Weil Flinkrenner keine Sprachorgane besitzen«, erklärte Gisol, während er ein Flugmanöver vornahm, das sein Schiff auf einen neuen Kurs brachte. »In seiner Panik hat Segal übereilt gehandelt. Er hätte auf meine Warnung hören sollen, seine Gestalt nicht zu verändern. Denn der Vorgang ist unumkehrbar.«

Der Mutant verließ seinen Platz und näherte sich Gisol. In seinen Augen zeichnete sich Angst ab, als ihm dämmerte, daß er als Intelligenzwesen für den Rest seines Lebens im Körper eines Tieres gefangen war. Er streckte seinen langen Hals und stieß einen ganzen Schwall kehliger Laute aus.

»Du meinst, er muß für immer ein Flinkrenner bleiben?« fragte Juanita.

»Ja«, bestätigte Gisol.

»Können wir denn gar nichts für ihn tun?«

»Nein«, antwortete Gisol hart. Er hielt nichts davon, Segal Optionen vorzumachen, die nicht bestanden. »Nach Abstoßung ihrer Fruchtkapsel können sich Worgunmutanten nur noch einmal verändern, danach nicht mehr. Sie behalten die Gestalt bei, die sie angenommen haben. Segal hat sich in einen Flinkrenner verwandelt, nun muß er sich mit dieser Erscheinungsform abfinden.«

Der Mutant protestierte blökend.

Gisol kümmerte sich nicht darum. Er studierte die Instrumente und stellte fest, daß er die Verfolger erwartungsgemäß abgeschüttelt hatte. Den eingeschlagenen Kurs behielt er bei. Weiterhin versuchte Segal sich verständlich zu machen. Blökend lief er zwischen Gisol und Juanita hin und her und machte bockige Sprünge.

»Er gerät in Panik«, fürchtete die Terranerin. »Wir müssen einfach etwas für ihn tun.«

»Er muß selbst etwas für sich tun.« Gisol verstellte dem Vierbeiner den Weg und blickte ihm in die Augen. Juanita hatte recht. Der Mutant war drauf und dran, in helle Panik zu verfallen. »Beruhige dich, Segal, dir kann nichts passieren. Du kannst jetzt nicht sprechen, doch es gibt eine andere Möglichkeit der Verständigung.«

»Versteht er dich?« fragte Juanita.

»Genauso gut wie vor seiner Verwandlung. Segal, bleib endlich stehen!«

Der Vierbeiner hielt inne, und rasch wandte Gisol sich gedanklich an den Hyperkalkulator. Dann richtete er das Wort wieder an den neuen Bekannten. »Du kannst über die Gedankensteuerung mit uns kommunizieren.«

Erneut gab Segal eine Folge unverständlicher Laute von sich. Er stöhnte laut auf und trompetete protestierend.

Er war immer noch zu aufgeregt.

»Es klappt, wenn du dich konzentrierst. Du mußt nur deinen Geist öffnen, damit die Gedankensteuerung dich verstehen kann«, redete Juanita beschwichtigend auf ihn ein. »Formuliere das, was du sagen willst, in Gedanken. Dann gibt sie deine Worte an uns weiter.«

»Ich bin ein Flinkrenner«, kam es aus der Sprachausgabe des Hyperkalkulators.

Juanita lächelte. »Siehst du, es funktioniert. Mach weiter.«

Segal legte den Kopf schief und betrachtete die beiden Humanoiden.

Er schien kaum glauben zu können, daß auf diesem Weg eine Verständigung mit ihnen zustande kam, doch er überwand seine Überraschung schnell und machte sich die Fähigkeiten der Gedankensteuerung zunutze.

»Was soll das alles? Wieso kann ich mich nicht zurückverwandeln? Wie kommst du dazu, so etwas zu behaupten?«

»Ich habe es dir bereits erklärt«, antwortete Gisol geduldig. »Weil du ein Mutant bist. Die Mutanten unseres Volkes können sich nach Absondern ihrer Fruchtkapsel nur noch einmal verwandeln. Die Gestalt, die sie dann annehmen, behalten sie für die nächsten zehntausend Jahre bei.«

»Zehntausend Jahre? So alt werde ich?«

»Ja, sofern du keinen gewaltsamen Tod erleidest.«

»Und wenn ich mich nicht in ein anderes Wesen verwandelt, sondern meine eigene Gestalt beibehalten hätte, würde ich nicht so alt?«

»Nein, in dem Fall stünde dir eine Lebenserwartung von maximal 30 Jahren bevor.«

»Das ist wenig für einen Worgun«, staunte Segal.

»In der Tat«, stimmte Gisol ihm zu. »Wußtest du das nicht?«

Sekundenlang herrschte Stille. Die Frage schien Segal zu beschäftigen. Schließlich drangen weitere Worte aus der Sprachausgabe des Hyperkalkulators.

»Ich wußte bisher überhaupt nichts von Mutanten in unserem Volk. Du behauptest, es existieren Mutanten bei den Worgun? Ich glaube dir, wenn du das sagst, aber es ist mir neu.«

»Du hattest keine Ahnung davon, daß du etwas Besonderes bist?« hakte Juanita nach.

»Nein. Mir war nur bekannt, daß dritte Kinder wie ich sehr ungewöhnlich sind.«

»Mutanten entwickeln sich ausschließlich aus der dritten Fruchtkapsel eines sich vermehrenden Worgun. In den meisten Fällen stirbt diese Kapsel ab. Überlebt sie jedoch und beschert Nachwuchs, so ist dieses dritte Kind schwächlicher als seine Geschwister und erreicht maximal 75 Kilogramm Körpergewicht«, dozierte Gisol.

»Ich war von Anfang an kleiner als meine Geschwister. Mein Muttervater hat mich bald nach meiner Geburt zu einem kinderlosen Verwandten auf die andere Seite Epoys geschickt, der mich als sein eigenes Kind ausgab.«

»Das ist eigenartig«, wunderte sich Juanita.

»Nein, ist es nicht«, widersprach Gisol grimmig. »Segals Muttervater handelte so, um die Mutantenjagd während der Zyzzkt-Herrschaft zu umgehen. Daß Segal an einen anderen Worgun gegeben wurde, diente seinem Schutz. Es paßt alles zusammen, auch was Repal uns mitgeteilt hat, bevor er erschossen wurde. Unsere neue Regierung unterdrückt das Wissen über Mutanten, deshalb hat Segal nie davon gehört, daß es welche gibt.«

»Oder daß ich selbst einer bin«, klagte der Vierbeiner über den Umweg der Gedankensteuerung.

Juanita bedauerte den selbst mit 200 Lebensjahren noch vergleichsweise jungen Worgun. »Hattest du niemals Sehnsucht nach deinem wahren Muttervater?«

»Ich erinnere mich nicht. Ich glaube nicht. Die meiste Zeit verbrachte ich in meinem Zimmer und habe gebastelt.«

»Gebastelt?«

»Ich habe aus Gegenständen des täglichen Lebens andere Dinge gebaut.«

»Was für Dinge?« Gisol wollte mehr über seinen neuen Gast an Bord erfahren, doch der war noch viel zu verwirrt.

»Habe ich wirklich eine Lebenserwartung von zehntausend Jahren?« überging Segal die Frage.

»Ja«, bestätigte Gisol. Was den meisten Lebewesen wie ein Traum erschienen wäre, konnte sich auch negativ auf ein Intelligenzwesen auswirken, besonders wenn es unerwartet mit dieser Tatsache konfrontiert wurde.

»Das klingt… vielversprechend.« Wieder entstand eine Pause, weil Segal die Konsequenz dieser Erkenntnis verarbeiten mußte. »Andererseits ist es erschütternd, wenn man in dieser langen Zeit nicht sprechen kann. Ich muß sofort etwas gegen meine Sprachlosigkeit unternehmen, und auch gegen meine Handlungsunfähigkeit. Ich brauche Sprech- und Greifwerkzeuge, mit denen ich agieren kann.«

Gisol begriff nicht, worauf der Mutant hinauswollte. Es gab nichts, was Segal auf die Schnelle tun konnte, um seiner hilfsbedürftigen Lage zu begegnen. Gisol merkte auf, als am Instrumentenpult eine Kontrolleuchte aufflammte.

Gleichzeitig schickte ihm die Gedankensteuerung eine lautlose Nachricht.

Segal hat soeben versucht, Befehlszugriff auf mich zu erhalten. Ich habe ihm den Zugriff verweigert.

Das war eine Reaktion, die Gisol erwartet hatte. Er hatte nur für zwei Personen Zugriffsberechtigung auf die Gedankensteuerung gewährt. Das waren Juanita an zweiter und er selbst an erster Stelle. Gisol besaß also jederzeit die Option, einen Befehl seiner Begleiterin zu überstimmen. Daß Segal einen ungenehmigten Zugriffsversuch unternommen hatte, behagte ihm nicht.

»Was wolltest du von der Gedankensteuerung?«

»Ich habe doch eben angekündigt, daß ich etwas versuchen muß, um meine Sprache zurückzuerlangen. Ich bin sicher, es gelingt mir, etwas zu basteln, wenn mir die nötige Technik zur Verfügung steht.«

Gisol konnte sich kaum vorstellen, daß der Mutant tatsächlich fähig war, seinen Zustand zu überwinden. Mit schlichter Bastelei ließ sich nicht aus einem sprachlosen Wesen ein sprechendes machen. Dennoch war er bereit, Segal im Rahmen seiner Möglichkeiten zu unterstützen – ohne dabei unvorsichtig zu werden. Schließlich kannte er seine neue Zufallsbekanntschaft erst seit einer Stunde.

»Ich habe eine Idee.«

Der Vierbeiner streckte den langen Hals. »Ich bin für jeden Vorschlag dankbar.«

Gisol begab sich zum Zentraleschott und winkte Segal, ihm zu folgen.

»Wohin gehst du?« wollte Juanita wissen.

»Ins Bordlabor. Vielleicht kann ich Segal dort helfen. Begleitest du uns?«

Juanita winkte ab. »Ich warte in der Zentrale auf euch.«

*

Segal sah sich neugierig um. Er streifte an den Apparaten vorbei und begutachtete sie mit hängendem Kopf. Gisol war sich unschlüssig, ob der Mutant wußte, mit was für Einrichtungen er es zu tun hatte.

»Du kannst sämtliche Geräte benutzen«, bot er seinem Gast an und instruierte den Hyperkalkulator. »Allerdings habe ich deine Zugriffsberechtigung für die Gedankensteuerung einzig auf dieses Labor beschränkt.«

»Das genügt mir.« Die Sprachausgabe des Hyperkalkulators wurde über Bordsprech ins Labor übertragen. »Ich habe schon eine vielversprechende Idee, wie ich beginne. Ich bin sogar ziemlich sicher, daß mein Vorhaben gelingt. Ich glaube, ich kann mich schon bald wieder auf normalem Weg mit dir und Juanita unterhalten.«

»Auf normalem Weg für einen Flinkrenner? Wohl kaum«, rutschte es Gisol heraus.

»Auf normalem Weg für einen Worgun. Schließlich bin ich das noch immer, auch wenn ich nicht mehr so aussehe. Das ändert aber nichts an meinen Fähigkeiten. Du und Juanita, ihr werdet noch staunen.«

Gisol hielt Segals Zuversicht für übertrieben. »Verrätst du mir, was du vorhast?«

»Etwas Wunderbares wird geschehen«, orakelte Segal. Er blieb vor einer Arbeitsplatte stehen und betrachtete sich in der chromglänzenden Oberfläche. Er machte ein paar hektische Bewegungen, als wollte er sich davon überzeugen, daß er seinen neuen Körper völlig im Griff hatte.

Gisol fand, daß er den Schock der Erkenntnis, sich nicht zurückverwandeln zu können, recht schnell überwunden hatte. Das deutete auf einen gefestigten Charakter hin. Segal fuhr damit fort, die Maschinen, mit denen das Labor angefüllt war, zu inspizieren. Vor einigen blieb er eine Weile stehen und betrachtete sie sinnend, andere ignorierte er. Gisol beobachtete den Mutanten unauffällig. Er fragte sich, ob Segal sich von purem Aktionismus leiten ließ oder tatsächlich einen Plan hatte, mit dem er seine durch die Verwandlung zustandegekommenen körperlichen Unzulänglichkeiten überwinden konnte.

»Ich hoffe, du hast Erfolg«, sagte er.

»Den habe ich bestimmt«, versicherte der Vierbeiner. »Während meiner Kindheit und meiner Jugend ist es nur ganz selten vorgekommen, daß mich meine Basteleien nicht zum gewünschten Ziel führten. Du würdest staunen, wenn du wüßtest, was ich alles zusammengebaut habe. Warum sollte das in diesem wichtigen Fall anders sein?«

Weil es hier um mehr geht als um eine Kinderzimmerbastelei, dachte Gisol nüchtern.

Er behielt seinen Gedanken jedoch für sich, um Segal nicht zu demoralisieren.

Ohne daß der Mutant es mitbekam, schickte er einen weiteren stummen Befehl an den Hyperkalkulator, mit dem er ihn anwies, jede verdächtige Aktivität sofort zu melden. Zwar glaubte er nicht, daß Segal etwas im Schilde führte, was er verschwieg, doch die langen Jahre des Kampfes und des Widerstands hatten den Worgunrebellen extrem vorsichtig und mißtrauisch werden lassen.

Er betrachtete Segal, der vor einem Gerät stand und in Gedanken versunken zu sein schien.

»Kann ich sonst noch etwas für dich tun?« fragte Gisol.

»Nein, ich komme zurecht. Ich danke dir, daß du mir diese Möglichkeiten hier offerierst.«

»Kein Problem«, antwortete Gisol. Ein wenig kam der Vierbeiner ihm vor wie er selbst in jungen Jahren. Segal wurde gejagt, wenngleich aus anderen Gründen.

Nur weil er ein Mutant war!

Die Tatsache ärgerte und verbitterte Gisol. Wie groß die Gefahr war, hatte der Mord an Repal eindringlich gezeigt. Gisol hatte sich gegen die Zyzzkt und die ihnen hörige Worgun-Regierung wehren müssen. Es gegen die heutige Regierung von Epoy tun zu müssen, die aus freien Stücken handelte, kam ihm noch viel schlimmer vor. »Wenn du Hilfe brauchst, melde dich in der Zentrale. Juanita und ich halten uns dort auf.«

Segal antwortete nicht. Er schien die Worte gar nicht mehr gehört zu haben, sondern schon voll und ganz auf seine Arbeit konzentriert zu sein.

Die Maschinen im Labor bewegten sich wie von Geisterhand. Segal veranlaßte den Hyperkalkulator über die Gedankensteuerung, die Geräte bestimmte Tätigkeiten durchführen zu lassen. Sie begannen damit, Dinge zu konstruieren, deren Sinn Gisol nicht erkannte. Er verkniff sich die Frage, was Segal bauen wollte. Falls es sich um Gerätschaften handelte, die eine Gefahr darstellten, wie beispielsweise Waffen, würde das Bordgehirn Gisol weisungsgemäß unterrichten.

Er verließ das Labor und ging zurück in die Zentrale.

*

»Was macht Segal?« empfing Juanita ihn.

»Er bastelt.«

»Er bastelt? Was denn?«

»Ich habe keine Ahnung, aber vielleicht gelingt es uns, das gemeinsam herauszufinden.«

Gisol aktivierte eine kleine Bildkugel, in der das Labor zu sehen war. Segal stand in der Mitte des Raums, umgeben von aktiven Maschinen, die mit irgendwelchen Produktionsvorgängen beschäftigt waren. Sie setzten aus kleinen Bauteilen, von denen Gisol nicht einmal wußte, daß er sie an Bord hatte, etwas zusammen. Vermutlich hatten die Geräte die Bauelemente gemäß Segals Spezifikationen gepreßt oder ausgeschnitten. Was daraus entstehen sollte, ließ sich dennoch nicht erkennen. Da Segal nicht sprechen konnte, lief der Fertigungsprozeß fast geräuschlos ab.

»Was er da macht, sieht ziemlich interessant aus«, sagte Juanita.

»Und was macht er deiner Meinung nach?«

»Schwer zu sagen. Auf jeden Fall verliert er keine Zeit.«

Das stimmte. Segals unbeirrte Aktivitäten, kaum daß er den Schock seiner finalen Verwandlung verdaut hatte, kamen Gisol fast unheimlich vor. Hoffentlich hatte er mit seinem bereitwilligen Angebot keinen Fehler begangen.

»Zum Glück kann ich von hier aus jederzeit eingreifen und den Produktionsvorgang unterbrechen«, murmelte er.

»Ich dachte, du bist neugierig, was er baut.« Empört stemmte Juanita die Hände in die Hüften. »Darum geht es dir gar nicht. Du überwachst ihn.«

»Stimmt.«

»Ich finde das nicht gut, Jim. Segal hat uns keinen Anlaß gegeben, ihn unbemerkt auszuspionieren. Er verdient dein Mißtrauen nicht. Was wirfst du ihm vor?«

»Gar nichts, aber darum geht es nicht. Dies ist mein Schiff, und auf dem habe ich das Recht zu gewissen Sicherheitsmaßnahmen.«

»Das sind keine Sicherheitsmaßnahmen, das ist Schnüffelei.«

Gisol drehte sich um und sah die junge Frau an. Ihm lag eine harsche Entgegnung auf der Zunge. Bevor er sie aussprechen konnte, schlang Juanita einen Arm um seinen Hals.

»Tut mir leid, Jim, ich habe das nicht so gemeint. Ich nehme an, du hast deine Gründe für dein Verhalten.«

»Die habe ich«, bestätigte Gisol. »Schließlich haben wir beide nur dieses eine Leben. Jeder Fehler, den wir uns erlauben, kann der letzte sein. Das habe ich bei meinem Kampf gegen die Zyzzkt gelernt. Deshalb machen wir besser erst gar keinen.«

»Man merkt, daß du eine ganz andere Geschichte hinter dir hast als ich. Die Zeit in den Slums von Rio hat zwar auch mich gezwungen, jederzeit und überall Vorsicht walten zu lassen, trotzdem ist mein Sicherheitsbedürfnis offenbar weniger stark ausgeprägt als deines.«

Gisol nickte in menschlicher Manier und betrachtete die Darstellung in der kleinen Bildkugel, die neben dem Instrumentenpult schwebte. »Ich komme einfach nicht dahinter, was das werden soll, wenn es fertig ist«, seufzte er.

»Du hättest Segal fragen können. Wer redet, dem kann geholfen werden.« Juanita setzte ein entwaffnendes Lächeln auf, das keine Widerrede zuließ.

»Du hast gewonnen.« Gisol schaltete die kleine Bildkugel wieder aus. »Ich kann ihn später immer noch fragen. Zunächst einmal möchte ich wissen, welchen Inhalt Repals Datei hat. Er muß für irgendwen ziemlich wertvoll sein, sonst hätte man den armen Kerl nicht dafür umgebracht.«

Und auch mich erschossen, wenn Juanita nicht eingegriffen und es verhindert hätte, erinnerte er sich mit Schaudern.

Er steckte den Datenspeicher, den er aus Repals Wohnung mitgenommen hatte, in eine Aufnahmevorrichtung des Instrumentenpults. Auf einem Bildschirm wurden Daten sichtbar, die er aufmerksam studierte. Juanita stellte sich neben ihn und betrachtete die Anzeigen.

»Das sind Aufzeichnungen über eine Sonne«, erkannte sie.

»Über ein ganzes Sonnensystem mit elf Planeten. Repal hatte noch Zeit, es zu erwähnen.«

»Was ist so besonderes an dem System?«

»Repal ist auf eine sogenannte ›Aktion gegen Überheblichkeit‹ gestoßen«, führte Gisol aus, was der ehemalige Widerstandskämpfer ihm verraten hatte. »Anscheinend gibt es noch aus Zeiten der Zyzzkt-Herrschaft ein ausgeklügeltes System, das dazu diente, die Worgun zu verdummen. Es wurden Verbindungen zwischen wenig intelligenten Worgun gefördert. Intelligente Worgun wurden zudem durch geschickte Steuerung mit Dummen gepaart und teilweise durch fingierte Unfälle beseitigt. All das diente dazu, die durchschnittliche Intelligenz der Worgun stetig zu verringern. Repal hat herausgefunden, daß dafür jemand aus dem Machtbereich der Insekten verantwortlich war. Ich halte es für möglich, daß es sich um einen Mutanten handelt. Leider gibt es keinen Namen, sondern lediglich eine Kodenummer.«

Juanita verzog entsetzt das Gesicht. »Maßnahmen zur vorsätzlichen Verdummung deines Volkes? Das ist schrecklich.«

»Da bin ich ganz deiner Meinung.«

»Aber zum Glück beherrschen die Zyzzkt euch nicht mehr und können ihre Pläne nicht in die Tat umsetzen.«

»Das stimmt zwar, ist aber nur wenig beruhigend«, fuhr Gisol fort. »Denn es hat den Anschein, als würde diese ›Aktion gegen Überheblichkeit‹ weiterhin fortgeführt. Repal hat herausgefunden, daß der Unbekannte von einer Welt außerhalb des zentralen Machtbereichs der Zyzzkt aus agierte. Dieser Planet und zehn weitere umkreisen eine höchst ungewöhnliche Sonne, die im Rhythmus der Primzahlen nicht nur ihre Farbe wechselt, sondern auch ihre Größe.«

»Ihre Größe?«

»Ja.«

»Das ist unmöglich.« Juanita schüttelte den Kopf. »Eine Sonne kann doch nicht willkürlich ihre Größe wechseln.«

»Ich bin geneigt, dir zuzustimmen. Allerdings stellt sich die Frage, weshalb irgendwer Repal mit allen Mitteln mundtot machen wollte. Er erzählte mir, daß sogar einmal bei ihm eingebrochen wurde, vermutlich um den Datenträger mit den brisanten Informationen zu stehlen. Über deren Inhalt hat er unsere neue Regierung übrigens nach dem Umsturz unterrichtet, doch seine Warnungen wurden ignoriert. Niemand hat sich darum gekümmert.«

»Du hast recht, das klingt alles ziemlich verdächtig.«

»Ja, und dennoch gelingt es mir nicht, einen Sinn in die Vorgänge zu bringen.«

Je länger Gisol sich mit dem Inhalt der Datei beschäftigte, desto unwahrscheinlicher kam ihm eine solche Sonne vor. Eine willkürliche Änderung der Größe kam in der Natur nicht vor und war auch kaum vorstellbar.

»Ich sehe keine Koordinaten«, sagte Juanita.

»Nein, es gibt leider keine in den Aufzeichnungen. Deshalb versuche ich es auf einem anderen Weg. Ich gebe eine Beschreibung des Sonnensystems in den Hyperkalkulator ein. Vielleicht ist die Konstellation verzeichnet.«

Gisol setzte seine Ankündigung in die Tat um und wartete ungeduldig auf eine positive Meldung des Rechners. Die Antwort, die das Bordgehirn schließlich ausspuckte, sah ganz anders aus als erwartet.

»Keine Koordinaten.« Verwirrt studierte Gisol die Ausgabe. »Statt dessen erhalte ich einen Warnhinweis und die Aufforderung, mich mit Laetus und Nauta in Verbindung zu setzen.«

»Das wird ja immer geheimnisvoller.«

Gisol fand die unerwartete Aufforderung des Hyperkalkulators nicht nur geheimnisvoll. Sie gefiel ihm nicht, weil sie bedeutete, daß die beiden Akademiepräsidenten in irgendeiner Art und Weise mit dem Bordrechner der EPOY II verbunden waren. Der Ringraumer war sein Schiff, und niemand hatte das Recht, auf dessen Einrichtungen zuzugreifen, auch nicht die beiden genialen Erbauer der MASOL, die bei den Terranern POINT OF genannt wurde.

»Hast du vor, dich mit Laetus und Nauta in Verbindung zu setzen?«

»Ja.« Gisol begab sich in die Funk-Z und stellte eine To-Richtfunkverbindung mit Terra Nostra her. Bereits nach wenigen Sekunden meldete sich ein römischer Beamter. Gisol identifizierte sich und verlangte, mit dem Akademiepräsidium verbunden zu werden.

»Ich habe nicht erwartet, so bald schon wieder von dir zu hören«, meldete sich Nauta, der eigentlich der Worgunmutant Margun war, was aber die wenigsten wußten. Er war einer der beiden Akademiepräsidenten, von denen die auf Terra Nostra lebenden Römer nicht ahnten, daß es sich um Worgunmutanten handelte, die seit langer Zeit ihre Geschicke lenkten.

»Es ist ein Vorfall eingetreten, der mir keine andere Wahl läßt«, antwortete Gisol und schilderte in knappen Sätzen, was seit seinem Besuch bei Repal geschehen war. »Jetzt befinde ich mich hier im Leerraum und erhalte diese eigenartige Meldung des Hyperkalkulators, euch zu kontaktieren. Was hat es damit auf sich?«

»Bist du in Gefahr?« stellte Nauta eine Gegenfrage.

»Nein, es ist alles in Ordnung. Die Verfolger von Epoy habe ich abgeschüttelt.«

»Gut. Halte exakt deine Position, damit du über To-Richtfunk zu erreichen bist, und warte. Wir rufen dich in Kürze zurück.«

Ratlos starrte Gisol die Funk-Z an, als übergangslos die Verbindung unterbrochen wurde. Juanita warf ihm einen vielsagenden Blick zu. Ihr war die ganze Sache genausowenig geheuer wie Gisol selbst.

»Also schön«, sagte er. »Wappnen wir uns mit Geduld und warten ab.«

Aber wehe, Margun und Sola lieferten ihm keine ergiebige Erklärung für ihre Geheimniskrämerei.

*

»In Kürze«, seufzte Juanita. »Das ist ein dehnbarer Begriff. Was mag Nauta wohl darunter verstehen?«

Gisol zuckte mit den Achseln. Er hatte sich einige Gesten bei den Terranern abgeschaut, die er in seiner menschlichen Gestalt imitierte, nicht nur das Nicken und das Kopfschütteln. Er wünschte, er hätte seiner Begleiterin eine zufriedenstellende Antwort geben können, weil die Ungeduld auch ihn zu verschlingen drohte. Aus dem Labor gab es keine Meldung von Segal. Er schien alles zu haben, was er benötigte, und damit Fortschritte zu erzielen. Natürlich war auch vorstellbar, daß er sich in etwas vertiefte, das nicht gelingen konnte, sich das aber nicht eingestehen wollte.

Um sich abzulenken, widmete Gisol sich der Raumüberwachung.

In dem Sektor, in dem die EPOY II verharrte, hielten sich keine anderen Schiffe auf.

Das nächstgelegene Sonnensystem war drei Lichtjahre entfernt und zeigte keine astronomischen Besonderheiten.

Er erinnerte sich nicht daran, diesem System früher schon einmal einen Besuch abgestattet zu haben.

Verwunderlich war das nicht. Während der ruhelosen Jahre seines Widerstands, in denen er fast ständig unterwegs gewesen war, hatte er so viele Sternensysteme gesehen, daß er sie sich unmöglich alle merken konnte. Das galt besonders für diejenigen Systeme, die keine wichtige Rolle gespielt hatten.

Dann endlich meldeten sich Margun und Sola zurück. Mit einem beiläufigen Blick stellte Gisol fest, daß erst zwanzig Minuten vergangen waren. Ihm war die Zeit viel länger vorgekommen.

»Ich hätte nicht erwartet, so schnell wieder von euch zu hören. Vorhin hatte ich das Gefühl, ihr wolltet mich möglichst schnell abwimmeln.«

»Dieser Eindruck hat getäuscht. Verzeih, daß ich so kurz angebunden war«, bat Margun. »Es geschah aus Gründen der Sicherheit. Du hast schon mitbekommen, daß wir nicht vorsichtig genug sein können, leider.«

»Ja.« Marguns Worte waren zutreffend. Zumindest deutete einiges darauf hin.

»Jetzt sind wir in Solas Villa und können ungestört sprechen«, erklärte Margun.

Gisol fragte sich, ob die übertrieben erscheinenden Vorsichtsmaßnahmen begründet waren oder ob die beiden Worgun unter Verfolgungswahn litten. Mit ihrer Weigerung, sich nicht persönlich nach Epoy zu begeben, hatten sie richtig gelegen. Sie wären dort nicht sicher gewesen, wie der Angriff auf ihn bewiesen hatte.

»Seid ihr nun etwas gesprächiger?« fragte er unwirsch.

»Gleich«, vertröstete ihn Sola. »Wir möchten uns zuerst über den Sonnentyp informieren, nach dem du suchst.«

»Ich verrate euch gern, was ich über die gesuchte Sonne weiß. Viel ist es leider nicht. Warte einen Moment, dann überspiele ich meine Datei nach Terra Nostra.«

»Nicht nötig. Wir haben bereits Zugriff auf die Daten.«

Gisol begriff nicht, was Sola meinte. Er sah zum Instrumentenpult und registrierte eine Meldung des Hyperkalkulators. Die Akademiepräsidenten hatten Zugriff auf den Rechner und zogen sich bereits eine Kopie von Repals Datei.

»Was soll das?« empörte sich Gisol. »Was geschieht hier?«

»Wir haben eine spezielle Kodierung gesandt, mit der wir auf den Hyperkalkulator Zugriff erlangen. Auf diese Weise geht es einfacher.«

»Einfacher?« echote Juanita. »Bisher wußte Jim nicht einmal, daß ihr diese Option besitzt. Man könnte euer Verhalten als Vertrauensbruch bezeichnen, zumindest ist es nicht besonders ehrbar. Warum geht ihr hinter seinem Rücken so vor?«

»Das machen wir nicht. Wir versuchen doch nichts zu verbergen«, tat Sola den Vorwurf ab. »Die EPOY II ist ein Neubau, der auf unsere Empfehlung hin vom Rat genehmigt wurde. Dabei haben wir die Gelegenheit genutzt, ein paar Besonderheiten einzubauen, von denen die Architekten nichts wissen.«

»Ich aber auch nicht«, brummte Gisol verärgert. »Wollt ihr mich kontrollieren, oder was bedeutet dieser Unsinn?«

»Du übertreibst«, fand Margun. »Sola und ich besitzen gewisse Daten, die noch aus der Zeit des alten Worgun-Imperiums stammen. Die waren schon damals höchst geheim und sollten besser auch heute nicht bekannt werden.«

Die Erklärung kam Gisol reichlich dünn vor. Vor allem war sie ziemlich nichtssagend. »Wenn das so ist, weshalb offenbart ihr mir eure Möglichkeiten jetzt?«

»Weil wir dir vertrauen. Deshalb bekommst du von uns alles, was du für deine Arbeit und deine Untersuchungen brauchst. Im Gegenzug erwarten wir nichts anderes, als daß du uns ebenfalls vertraust«, verlangte Margun.

»Glaub uns, es gibt Dinge, die bleiben besser unausgesprochen«, fügte Sola hinzu. »Du solltest froh sein, nicht alles zu wissen, was wir wissen.«

Auch diese Worte taugen wenig als Erklärung, überlegte Gisol. Das änderte nichts daran, daß er Margun und Sola sein ganzes Vertrauen schenkte. Deshalb war er bereit, die Sache auf sich beruhen zu lassen, statt weiterzubohren und doch keine befriedigenden Antworten zu erhalten. Er würde höchstens eine Entfremdung erreichen, und daran lag ihm nichts. Er war auf die Unterstützung der beiden Akademiepräsidenten angewiesen.

»Einverstanden«, sagte er. »Ich stelle keine weiteren Fragen.«

Juanita warf ihm einen verständnislosen Blick zu. Mit ihrer direkten Art hatte sie weitere Einwände, unterließ es aber, sie vorzubringen. Schließlich war dies Gisols Schiff und nicht ihres. Gisol lächelte still in sich hinein. Vermutlich hielt sie ihn für einen typischen geheimniskrämerischen Worgun.

»Könnt ihr mit Repals Daten etwas anfangen?« fragte er.

»Wir lassen sie schon durch unsere Rechner laufen. Da, es gibt bereits einen Treffer.« Sola klang überrascht. »Das ging schneller als erwartet. Wir haben tatsächlich die Koordinaten eines Elfplanetensystems gefunden, auf das Repals Informationen zutreffen.«

»Es gibt keine Zweifel, daß es sich um das gesuchte Sonnensystem handelt?«

»Natürlich gibt es die«, versetzte Margun Gisols Zuversicht einen herben Dämpfer. »Doch leider finden wir kein zweites System, auf das die Daten auch nur annähernd zutreffen. Dir bleibt nichts anderes übrig, als dich bei den Koordinaten, die soeben in den Hyperkalkulator der EPOY übertragen werden, umzusehen.«

»Hm«, machte Gisol nachdenklich. »Ich breche umgehend dorthin auf.«

Ihm blieb keine andere Wahl. Immerhin hatte er eine Anlaufstelle, die Erfolg versprach. Er verabschiedete sich in dem Moment von den falschen Römern, als sich die Sprachausgabe des Hyperkalkulators meldete.

»Segal möchte aus dem Labor Kontakt aufnehmen.«

»Laß hören, was er zu sagen hat.«

Im nächsten Moment meldete die Sprachausgabe sich erneut. Diesmal übermittelte sie Segals Gedanken.

»Ich habe meine Arbeiten beendet«, ließ der Mutant wissen. »Alles hat so funktioniert, wie ich es vorausgesehen habe. Nun kann ich den nächsten Schritt machen. Sämtliche Vorbereitungen für die anstehende Operation sind abgeschlossen.«

Gisol horchte auf. »Für eine Operation?«

»Richtig. Um sie durchführen lassen zu können, brauche ich einen Operationsraum.«

»Ich komme dich abholen«, kündigte Gisol an und überlegte, von was für einer Art Operation Segal sprach. Die vagen Andeutungen klangen ziemlich geheimnisvoll und waren nicht dazu angetan, seine letzten Zweifel an dem Mutanten aus der Welt zu schaffen. Er verließ die Zentrale, und Juanita schloß sich ihm an.

»Was immer er in dem Labor gemacht hat, er ist wirklich schnell«, staunte sie.

»Schnell bedeutet nicht unbedingt erfolgreich«, gab Gisol zu bedenken. Er war gespannt darauf, was Segal hergestellt hatte und welchem Zweck es dienen sollte. Zweifellos hatte es mit der gewünschten Operation zu tun, und die wiederum stand vermutlich in Zusammenhang mit den fehlenden Sprachorganen des Flinkrenners.

Im Labor lief der Vierbeiner schon ungeduldig auf und ab. Er blieb vor einem Arbeitstisch stehen, als Gisol und Juanita eintrafen. Auf der Platte lagen mehrere Teile, die er gebaut hatte. Vier davon waren Greifwerkzeugen nachempfunden, das Aussehen eines fünften gestattete keinerlei Rückschlüsse auf dessen Funktion.

»Ich habe eine Datei mit genauen Anweisungen für den Hyperkalkulator verfaßt, wie die Operation ablaufen soll. Es kann nichts schiefgehen, und wir können sofort anfangen.«

Ganz wohl war Gisol nicht bei der Vorstellung, daß an Bord eine automatisch ablaufende Operation durchgeführt werden sollte, die Segal sich ausgedacht hatte. Vielleicht überschätzte er sich mit seinen Basteleien, und Gisol unterschrieb, wenn er sein Einverständnis gewährte, das Todesurteil für den Mutanten. Er betrachtete die Bauteile mit gemischten Gefühlen und räumte sich selbst gegenüber ein, daß er kaum noch zurückkonnte. Er hatte gestattet, daß Segal die Dinge nach seinen Angaben produzieren ließ und ihm damit Hoffnung auf eine Verbesserung seines körperlichen Zustands gemacht. Es wäre nicht fair gewesen, nun einen Rückzieher zu machen und Segal die gewünschte Operation zu verweigern.

»Begeben wir uns in die Medoabteilung«, rang er sich zu einer Entscheidung durch und griff nach den auf dem Tisch liegenden Gegenständen. »Ich nehme deine Bauteile mit.«

*

In der Medoabteilung gab es einen vollautomatischen Operationssaal.

Seit er die EPOY II erhalten hatte, war Gisol erst einmal in diesen Räumlichkeiten gewesen, weil er deren Dienste nicht benötigt hatte.

Er musterte die Schalttafel des medizinischen Kontrollrechners, der dem Hyperkalkulator unterstand und von diesem gesteuert wurde.

Sobald er mit den entsprechenden Daten und Informationen gefüttert war, war der Bordrechner in der Lage, die meisten operativen Eingriffe vorzunehmen, ohne dabei auf die Unterstützung eines lebenden Wesens angewiesen zu sein.

Allerdings, und darüber war Gisol froh, hatte er jederzeit die Handhabe, eine begonnene Operation zu unterbrechen, wenn sich Komplikationen ergaben oder er der Meinung war, daß nicht alles normal ablief.

Juanita schnüffelte vernehmlich. »Es riecht eigenartig.«

»Antiseptisch. Der Hyperkalkulator hat bereits die Vorbereitungen für die Operation getroffen.«

»Von der wir immer noch nicht wissen, wie genau sie aussieht. Zumindest geben die vier Greifwerkzeuge einen Hinweis.«

»Nicht so ungeduldig. Ihr werdet es gleich erleben«, gab das Bordgehirn Segals Gedanken preis.

Der Vierbeiner stellte sich neben den Operationstisch und wurde von einem Antigravfeld angehoben. Da er mit seiner Gestalt nicht gut klettern konnte, bugsierten die unsichtbaren Kräfte ihn auf den Tisch und betteten ihn behutsam in eine für den Eingriff vorteilhafte Lage. Widerstandslos ließ er mit sich geschehen, was er dem Hyperkalkulator über die Gedankensteuerung vorgegeben hatte.

Am Kopfende des Tischs erwachten verschiedene medizinische Geräte aus ihrer Starre.

Mit einem leisen Summen wurde der Operationsroboter aktiv. Sonden und Kanülen wurden am Körper des Flinkrenners befestigt, und aus verborgenen Nischen kamen blitzende Instrumente zum Vorschein.

»Das ist unheimlich«, kommentierte Juanita den Vorgang. »Ich habe in Rio einmal ein Krankenhaus von innen gesehen. Es war nur für die armen Leute gedacht, die keinen Arzt bezahlen konnten, und so sah es auch aus. Es war dreckig, heruntergekommen und verwahrlost, und das darin tätige Personal glich eher Metzgern als Ärzten. Aber irgendwie wirkte alles menschlicher.«

Gisol konnte Juanitas Unbehagen deutlich spüren. Trotz ihrer Ausbildung bei den Römern und ihrem Umgang mit deren hochgezüchteter Technologie schien es ihr noch schwerzufallen, sich an manche Alltäglichkeiten Orns zu gewöhnen. Sie hatte, folgerte Gisol, einen Teil der Slums von Rio verinnerlicht und mit ins Weltall genommen.

Die Jahre des täglichen Überlebenskampfes und die Umgebung, in der sie aufgewachsen war, würde sie womöglich niemals vollständig hinter sich lassen.

»Es geht los«, verkündete die Sprachausgabe des Hyperkalkulators, und Gisol war unschlüssig, ob die Ankündigung von dem Rechner stammte oder von Segal.

Der Vierbeiner lag völlig still auf dem OP-Tisch und rührte sich auch nicht, als eine dünne Kanüle in seinen Hals stach. Zischend entlud sich ein Narkotikum in seine Blutbahn. Zahlreiche Körperwerte des Patienten huschten über einen Bildschirm. Gisol hatte nur einen beiläufigen Blick dafür übrig, weil seine geheimen Vorbehalte zurückkehrten. Er hatte keine Ahnung, was vor seinen Augen geschah, und das mißfiel ihm. Kaum daß sich die Nadel von Segal zurückgezogen hatte, war er in Narkose gefallen.

»Operation unterbrechen!«

Der Roboter verharrte mitten in seiner Bewegung, und auch die peripheren Geräte kamen zum Stillstand.

Lediglich die Körperfunktionen des Patienten wurden weiterhin ermittelt und auf dem Schirm angezeigt. Alle Werte befanden sich im Normbereich.

»Was hast du vor?« fragte Juanita.

»Bevor ich die Fortsetzung der Operation gestatte, sehe ich mir die Datei für den Medoroboter an.«

»Das hättest du gleich machen sollen, statt dich von Segal zu einem raschen Eingriff drängen zu lassen.«

»Ich weiß«, gab Gisol mürrisch zu.

Er rief die Datei auf und vertiefte sich in das Studium der Anweisungen, die Segal dem Hyperkalkulator gegeben hatte. Zwar war Gisol kein Mediziner, doch die Abfolge der Schritte sowie der gesamte Eingriff erschien ihm unproblematisch.

»Bestehen bei der geplanten Operation unkalkulierbare Risiken?« wollte er vom Bordgehirn wissen.

»Negativ«, kam die umgehende Antwort.

»Ohne Einschränkung?«

»Positiv.«

Die deutliche Aussage erstaunte Gisol.

Er begab sich an die Untersuchung der künstlichen Körperteile, die Segal entworfen hatte und die ihm implantiert werden sollten.

Schnell stellte er fest, daß es sich um hochentwickelte Bauteile handelte. Sie bestanden aus einem ultraleichten, aber superfesten Kunststoff, der auf Kohlenstoff basierte.

»Das ist eine unglaubliche Arbeit«, sagte Gisol nach einer Weile zu sich selbst.

»Was meinst du?« wollte die junge Frau wissen, die neben dem Operationstisch stand und den schlafenden Patienten nicht aus den Augen ließ.

»Ich meine, daß Segal wahre Meisterwerke gebaut hat. Ich habe noch nie dermaßen perfekte Implantate gesehen. Die Schnittstellen mit den Nervenbahnen sind höchstentwickelte Nanotechnologie. Der ist ein Genie!«

»Die Bastelstunden in Segals Kinderzimmer haben sich offensichtlich gelohnt.« Juanita lächelte. »Hast du immer noch Vorbehalte? Ansonsten schlage ich vor, daß du die Operation endlich weiterlaufen läßt.«

Gisol nickte. Er kam nicht umhin zuzugeben, daß Segal ein genialer Konstrukteur war.

»Operation fortsetzen!« wies er den Hyperkalkulator an und fügte hinzu: »Jedoch bei der kleinsten Unstimmigkeit wieder abbrechen und mich informieren.«

Er erwartete allerdings nicht, daß es dazu kommen würde.

2.

Gisol saß in seinem Sessel und war mit zahlreichen Messungen beschäftigt.

Die Ortungseinrichtungen arbeiteten auf Hochtouren und lieferten eine wahre Flut an Datenmaterial, die ein Raumfahrer allein unmöglich jemals auswerten konnte.

Die EPOY II näherte sich dem Zentrumsbereich von Orn, und entsprechend groß waren die hyperphysikalischen Aktivitäten zwischen den dichtstehenden Sternen.

In der Bildkugel zeichnete sich der umliegende Raum ab, in der taktischen Darstellung waren Raumschiffwracks und im gesamten Raumsektor treibende Trümmerteile hervorgehoben. Obwohl Gisol nicht das Risiko einging, sich ihnen zu nähern, lieferte die Vergrößerung ihm gleichermaßen beeindruckende wie zur Vorsicht mahnende Bilder.

Er sah auf, als Juanita die Zentrale betrat und sich auf einem anderen Platz niederließ.

»Denkst du, daß bei der Operation etwas schiefgegangen ist?« riß sie Gisol aus seinen Betrachtungen.

»Nein, sowohl der Hyperkalkulator als auch Segal haben uns versichert, daß alles so abgelaufen ist wie vorausgesehen. Die Operation war ein voller Erfolg.«

»Wieso kommt Segal dann nicht in die Zentrale und zeigt sich uns?«

»Er hat uns seine Gründe genannt. Er will in seinem Quartier warten, bis die Implantate richtig eingewachsen sind und ihre volle Wirksamkeit entfaltet haben. Erst wenn das soweit ist, will er uns überraschen.«

»Ich mache mir Sorgen um ihn, Jim.«

Gisol legte die Stirn in Falten. »Du warst es doch, die mich gedrängt hat, Segal in Ruhe zu lassen. Ich wollte ihn aufsuchen, um mich mit eigenen Augen von seinem Zustand zu überzeugen, aber du hast mich davon abgehalten.«

»Stimmt, doch inzwischen sind drei Tage vergangen.« Juanita strich ihre dunklen Haare nach hinten. Sie schaute zum Zentraleschott hinüber und machte eine auffordernde Handbewegung. Das Schott tat ihr nicht den Gefallen, sich zu öffnen, deshalb wechselte sie unvermittelt das Thema. »Was sind das für Wracks? Hat es da draußen eine Raumschlacht gegeben?«

»Nein. Beachte die Positionen der Trümmer.« Als zusätzliche Markierung unterlegte Gisol die Wrackteile in der taktischen Darstellung rot.

»Bei den astronomischen Markierungen handelt es sich nicht um Sonnen«, überlegte Juanita. »Es sind Schwarze Löcher, nicht wahr?«

»Richtig, und zu denen halten wir gebührenden Abstand.«

»Andere Raumfahrer haben offenbar weniger Vorsicht walten lassen.«

»Weil die Gier sie getrieben hat. Im Umfeld der Schwarzen Löcher ist eine Menge Ala-Metall ausgeworfen worden. Das wollten sie bergen«

»Tofirit.«

»Ja, und wie du weißt, reißen sich alle um Tofirit. Die Wracks da draußen stammen von Prospektoren und Schürfschiffen. Das Ala wurde systematisch abgebaut und geplündert, und dabei ist es immer wieder zu Unfällen gekommen. Zahlreiche Wesen haben bei der Jagd nach dem wertvollen Metall ihr Leben verloren. Dennoch haben sie ganze Arbeit geleistet. Ich orte kaum noch Material. Das meiste Ala wurde verschifft und fortgeschafft.«

»Ist es noch weit bis zu unserem Zielgebiet?«

»Nein.« Gisol steuerte das Schiff manuell und nahm eine leichte Kurskorrektur vor. »Die nächste Transition bringt uns hin.«

»Ist es dir schon gelungen, die besondere Sonne, nach der wir suchen, anzumessen?«

Gisol schüttelte den Kopf.

»Wir sind doch nahe genug dran. Wie ist es dann möglich, daß wir sie nicht entdecken?«

Die Frage hatte sich Gisol in den vergangenen Stunden unzählige Male gestellt. »Entweder stimmen Nautas und Laetus’ Koordinaten nicht, oder diese Sonne ist lediglich ein Hirngespinst, das überhaupt nicht existiert.«

»Glaubst du etwa, Repal wurde getäuscht?«

»Nein.«

»Ich auch nicht. Sonst hätte man ihn unbehelligt gelassen.«

Die gleiche Überlegung hatte auch Gisol angestellt. Er starrte in die Bildkugel und verlor sich sekundenlang in dem Anblick, der sich ihm bot.

Das aus Millionen Sonnenmassen bestehende Zentrum Orns präsentierte sich als strahlender Lichtfleck.

»Vielleicht gibt es eine Tarnvorrichtung, die das Sonnensystem vor den Instrumenten abschirmt«, sagte er. »Ich leite den nächsten Sprung ein. Entweder kommen wir am Rand eines Elfplanetensystems heraus, oder…«

Gisol behielt den Rest des Satzes für sich. Die Alternative zu einem Erfolg war zu ernüchternd, als daß er sie aussprechen mochte. Frustrierend geradezu! Sie würde nämlich nicht mehr und nicht weniger bedeuten, als daß er sich von einem Phantom hatte leiten lassen, das ihn in die Irre geführt hatte. Wurde er nicht fündig, gab es keinen weiteren Ansatzpunkt. Weder gab Repals Datei mehr her, als er ihr bereits entrissen hatte, noch schienen Margun und Sola weitere Hilfestellung leisten zu können.

»Gehen wir es an«, sagte Gisol und ließ den Hyperkalkulator eine abschließende Berechnung der Transition durchführen. Bevor er den Sprung auslösen konnte, öffnete sich das Zentraleschott.

»Segal!« stieß Juanita freudig erregt aus. »Na endlich.«

In aller Seelenruhe kam der Vierbeiner in die Zentrale spaziert.

Gisol musterte ihn unverblümt.

Schon in der Medoabteilung hatte er einen Eindruck davon bekommen, wie der Flinkrenner nach dem Eingriff aussehen würde. Nun, da Gisol das Ergebnis der Operation zum erstenmal in seinem ganzem Ausmaß sah, kam es ihm bizarr vor, grotesk beinahe.

Zusätzlich zu seinen vier Beinen hatte Segal jetzt auch vier Arme, die aus dem Schulterbereich ragten und gleichmäßig um den Halsansatz herum angeordnet waren. Somit besaß er vorn und hinten jeweils zwei Arme. Die Vorteile, die sich dadurch ergaben, waren offensichtlich. Nach seiner Umwandlung in einen Flinkrenner hatte er gar nicht mehr greifen können, nun war er jedem Humanoiden in dieser Hinsicht eindeutig überlegen.

»Wie geht es dir?« fragte Gisol.

»Bestens. Zu behaupten, es sei mir nie besser gegangen, wäre zwar ein wenig übertrieben, aber mir geht es ausgesprochen gut«, plapperte Segal munter drauflos. »Wie ihr seht, habe ich nicht zuviel versprochen. Es hat geklappt.«

»Und das ohne Einschränkungen. Du sprichst perfekt. Man hört keinen noch so winzigen Holperer. Dein neues Sprechwerkzeug ist ein kleines Wunderwerk.«

»Nur eine technische Bastelei«, gab sich Segal bescheiden.

»Nur? Wenn all deine Basteleien dermaßen ausgeklügelt und effektiv sind, müßtest du als einer der genialsten Erfinder der Worgun gelten. Wie kommt deine perfekte Sprache zustande?«