Reorganisation und Restrukturierung - Winfried Berner - E-Book

Reorganisation und Restrukturierung E-Book

Winfried Berner

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Beschreibung

Das Risiko bei Reorganisationen ist nicht, dass sie am Widerstand der Betroffenen scheitern – es ist, dass sie eine "Kulturveränderung aus Versehen" auslösen. Haben die Mitarbeitenden und Führungskräfte den Eindruck, dass mit ihren legitimen Interessen und Bedürfnissen achtlos umgegangen wird, kann das ihr Verhältnis zum Unternehmen und Top-Management dauerhaft beeinträchtigen. Oft ergibt sich aus der Eigendynamik von Organisationsprojekten, dass zu wenig Zeit für die Kommunikation mit den Betroffenen bleibt. Beim Wechsel von einer Organisationsstruktur auf eine andere ergeben sich Herausforderungen, die für den jeweiligen Schritt spezifisch und großteils vorhersehbar sind. Diese Herausforderungen sind leichter und besser zu bewältigen, wenn man sie kennt und aktiv managt. Zugleich ist der Wechsel auf eine neue Organisationsstruktur immer auch eine Chance zur Weiterentwicklung der Unternehmenskultur. Statt den Kulturwandel sich selbst zu überlassen, gilt es, dieses "Window of Opportunity" zu nutzen, denn genau wie die neue Struktur kann und muss auch die Kultur einen wichtigen Beitrag zum Erfolg der neuen Geschäftsfelder leisten. 

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Seitenzahl: 505

Veröffentlichungsjahr: 2022

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[5]Inhaltsverzeichnis

Hinweis zum UrheberrechtImpressum1 Einführung: Das Problem sind die Risiken und Nebenwirkungen1.1 Die normative Kraft des Faktischen1.2 Risiken und Nebenwirkungen1.3 Prinzipielle Zweifel an der neuen Organisation1.4 Unzufriedenheit mit Vorgehen und Ergebnis1.5 Kulturveränderung aus Versehen1.6 Drohender Knick in der Loyalität1.7 Entstehen eines »Organisationsmythos«1.8 Nicht die Absicht zählt, sondern die Wirkung1.9 Die Perspektive der Betroffenen zählt1.10 Weitere Komplikationen1.11 Der Nutzen von Change Management1.12 Mitgestaltung der Projektplanung1.13 Optimale Ausschöpfung der Intelligenz des Gesamtsystems1.14 Strategie und Organisation1.15 Einbeziehung der Betroffenen in die Ausgestaltung1.16 Aufbau und Inhalt des Buchs1.17 Zum Sprachgebrauch1.18 Wie Sie dieses Buch optimal nutzenAllgemeiner Teil: Wie Sie Organisationsstrukturen weiterentwickeln, ohne die Kultur zu ruinieren2 Organisation: Weshalb die Struktur nicht aus der Strategie folgt2.1 Worum geht es eigentlich bei »Organisation«?2.2 Jede Organisation ist ein Kompromiss2.3 Vom »Einzeller« zur funktionalen Organisation2.4 Das Problem von Doppelzuständigkeiten2.5 Wachstum bedingt Differenzierung2.6 Von der funktionalen zur Spartenorganisation2.7 Projektorganisation statt klassischer funktionaler Struktur2.8 Organisationsänderungen bringen Konflikte2.9 Gefahr kontraproduktiver Machtkämpfe2.10 Mit der Expansion kommt die Matrixorganisation2.11 Die Rolle der Zentrale und die (Teil-)Autonomie der Regionen2.12 Lieber einen Sack Flöhe als eine Matrix2.13 Dreidimensionale Matrix2.14 Alternative Organisationsmodelle2.15 Sonderfall »Netzwerk-Organisation«2.16 Auflösung der Grenzen?2.17 Abschaffung der Hierarchie2.18 Die falsche Lösung für ein unscharf definiertes Problem2.19 Selbstorganisation und Hierarchien2.20 Unverzichtbarkeit hierarchischer Strukturen3 Schnittstellen: Den Preis der Arbeitsteilung möglichst gering halten3.1 »Blutende Schnittstellen«: Informationsverluste und Mehraufwand3.2 Den Preis der Arbeitsteilung möglichst gering halten3.3 Wenn Standardisierung nur begrenzt möglich ist3.4 Führungsaufgabe Konfliktmanagement3.5 Idealfall durchgängige Prozessverantwortung3.6 Problemfall abteilungs- und bereichsübergreifende Schnittstellen3.7 Widersprüchliche Ziele sind Teil des Lebens3.8 … aber man darf sie nicht auf verschiedene Personen aufteilen4 Der wirtschaftliche Wert eingespielter Beziehungen4.1 Beziehungsnetze – immaterielles Betriebsvermögen4.2 Quantifizierung am Beispiel Pharma-Außendienst4.3 Beziehungsschulden und ihre Löschung4.4 Die Kosten eines Wechsels4.5 »In unserer Branche ist alles anders«4.6 Keine »Reorganisation auf Raten«!4.7 Konsequenzen für organisatorische Veränderungen5 Change Management bei Reorganisationen: Weniger ein Durchsetzungs- als ein Motivationsproblem5.1 »Politische« Diskussionen5.2 Strukturentscheidungen schaffen Fakten5.3 Kein Durchsetzungs-, ein Motivationsproblem5.4 Mit guter Kommunikation Akzeptanz schaffen5.5 Genügend Zeit für Einzelgespräche einplanen5.6 Vorinformation der negativ Betroffenen unverzichtbar5.7 Von »Bewerbungsverfahren« ist abzuraten5.8 Unterschiedliche Typen / Ausgangsbedingungen von Reorganisationen5.9 Übergang von funktionaler zu Spartenorganisation5.10 Sogenannte Restrukturierungen5.11 Eine Typologie von Reorganisationen6 Besetzung der Führungspositionen: Die unterschätzte Herausforderung6.1 Eine Investitionsentscheidung von erheblicher Tragweite6.2 Klärung der Anforderungen6.3 Die Schlüsselfrage nach der Trainierbarkeit6.4 Praktische Grenzen der Trainierbarkeit6.5 Welches Leistungsniveau wird wirklich benötigt?6.6 Akzeptieren und Ausfüllen der neuen Rolle6.7 Schulung für die neuen Aufgaben6.8 Führung von Führungskräften7 Menschlicher Umgang mit Verliererinnen7.1 Das wahre Gesicht des Unternehmens7.2 Menschlichkeit ist auch eine Frage der Planung7.3 Besonders kritisch bei Arbeitsplatzverlust7.4 Fallstudie: Menschenverachtung? Nein, mangelndes Vorausdenken7.5 Arbeitsverhältnisse auf anständige Weise beenden7.6 Einladung und Vorbereitung7.7 Massenentlassungen: Umgang mit dem Mengenproblem7.8 Wie geht es danach weiter?7.9 Aktive Einbeziehung7.10 Ein klares Ja oder ein klares Nein7.11 Überwindung des Haderns8 Mitbestimmung des Betriebsrats bei Reorganisationen8.1 Häufig eine Betriebsänderung gegeben8.2 Wann liegt eine Betriebsänderung vor?8.3 Die Rechtsfolgen einer Betriebsänderung8.4 Eskalationsstufe E wie Einigungsstelle8.5 Aufschiebende Wirkung des Interessenausgleichs9 Das Wechselspiel von Struktur und Kultur9.1 Wie die Struktur die Kultur beeinflusst9.2 Eine Reorganisation ist de facto eine Kulturveränderung9.3 Nach der Struktur auch die Unternehmenskultur strategiekonform ausrichten9.4 Eine seltene Chance9.5 Zwei mögliche Herangehensweisen9.6 Das Vorgehen konkret9.7 Die Sollkultur nachprüfbar beschreiben9.8 Die Sollkultur konsequent nachhalten9.9 Wenn die Umsetzung nicht vorankommt9.10 Nur das tatsächliche Verhalten zählt10 Optimierung von Prozessen und Systemen10.1 Große Chance zur Anpassung der Prozesse10.2 Wissen, worauf man sich einlässt10.3 Unterteilung von Aufgaben in Einzelschritte10.4 Prozesse werden von alleine komplizierter10.5 Prozessoptimierung ist Erfahrungssache10.6 Die bestehenden Prozesse (»Ist-Prozesse«) visualisieren10.7 Reengineering für Anfänger10.8 Mangelnde Prozessdisziplin und ihre Ursachen10.9 Time-Based Competition: Optimierung der Durchlaufzeit10.10 Die Vorteile der Schnelligkeit10.11 Abwägung zwischen Effizienz und Resilienz10.12 Lean Management: Wertschöpfung für den Kunden10.13 Die Gretchenfrage des Lean Managements10.14 Verändern macht mehr Spaß als verändert zu werden10.15 Die neuen Prozesse zum Leben bringen10.16 Die Umsetzung offiziell anstoßen – und nachhaltenSpezieller Teil: Die vier wichtigsten Typen von Reorganisationen und ihre Besonderheiten11 Wachstum: Neue Funktionen und Hierarchieebenen11.1 Engpässe in der Führung11.2 Mehr Arbeitsteilung in der Führungsmannschaft statt mehr Hierarchie11.3 Einziehen einer zusätzlichen Hierarchieebene11.4 Richtige Besetzung der Führungspositionen11.5 Die Akzeptanz ist wichtig11.6 Weshalb die »Zwischenhierarchie« eine Zäsur ist11.7 Angst um die partnerschaftliche Kultur11.8 Sich den Ängsten zuwenden11.9 Abschied vom Start-up-Gefühl11.10 Den Abschied aktiv und bewusst gestalten11.11 Von einer Kulturbilanz zur aktiven Kulturgestaltung11.12 Vorsicht, kulturelle Eigendynamik!11.13 Die Kulturgestaltung aktiv in die Hand nehmen11.14 Das »kulturelle Familiensilber« identifizieren11.15 Bewahrungs-, Veränderungs- und Vermeidungsziele11.16 Die Sollkultur gezielt ansteuern11.17 Die Entwicklung der Kultur im Auge behalten11.18 Praktische Durchführung einer Kulturbilanz11.19 Von der Diagnose zur Therapie12 Von der funktionalen zur divisionalen Organisation12.1 Andere Anforderungen, wachsende Komplexität12.2 Wachsende Komplikationen und Konflikte12.3 Wachsender Leidensdruck12.4 Naheliegende Aufteilung nach Geschäftsfeldern12.5 Ziel- und Interessenkonflikte sorgen für viel Diskussionsbedarf12.6 Diskussionsbedarf sprengt oft den Zeitplan12.7 Wie der Vorstand in die Bredouille kommt12.8 Genügend gemeinsame Termine fest ausblocken12.9 Unfallfreie Kommunikation12.10 Qualifizierung für die Generalistenrolle12.11 Von der Expertin zur Unternehmerin werden12.12 Eine persönliche Grundsatzentscheidung12.13 Bestmögliche Entflechtung der Sparten12.14 Die Chance des Aufbruchs nutzen12.15 Aktive Kulturgestaltung vom ersten Tag an12.16 Partizipativer Top-down-Prozess13 Von der Spartenorganisation zur Matrix13.1 Verbreitetes Leiden unter der Matrix13.2 Die Matrixorganisation ist nicht selten »alternativlos«13.3 Wie eine Matrixorganisation fast von allein entsteht13.4 Grenzen des dezentralen Modells13.5 Vertauschen von durchgezogener und gestrichelter Linie13.6 Aufteilung nach Geschäftsfeldern13.7 Ängste und Interessen erschweren eine Einigung13.8 Hohes Verhinderungspotenzial13.9 Konstruktive Streitkultur als Schwerpunkt der Kulturgestaltung14 Restrukturierung und Sanierung: Konsequente Kostensenkung und Neuausrichtung14.1 Weshalb Begriffe wie Verschlankung wenig hilfreich sind14.2 Schnelle, beherzte Einschnitte statt Schrecken ohne Ende14.3 »Top-down«-Vorgehen14.4 Anpassung der Organisationsstruktur14.5 Bürokratische Strukturen und hyperaktive Stäbe14.6 Hoffnung auf zusätzliche Einnahmen14.7 Ängste und Widerstände14.8 Die Vertrauenskrise überwinden14.9 Change-Kommunikation: »Dem Leiden einen Sinn geben«14.10 Bröckelnde Solidarität14.11 Die Hürde für Nachforderungen erhöhen14.12 Drohender Rückfall in die alten Gewohnheiten14.13 Restrukturierung mit Anpassung der Kultur abschließen15 Personalabbau anständig realisieren15.1 Letztes Mittel oder ganz normales Management-Instrument?15.2 Kein Durchsetzungs-, sondern ein Motivationsproblem15.3 Frühzeitige und offene Information15.4 Verschweigen ist keine Option15.5 Das Topmanagement selbst muss in die Bütt15.6 Information Arbeitsagentur und Mitbestimmung15.7 Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Fairness15.8 Das gesamte Unternehmen und sein Umfeld sind betroffen15.9 Ein Trauerprozess und seine Bewältigung15.10 Kleine Gesten können das Klima verbessern15.11 Neuanfang nach der KriseLiteraturStichwortverzeichnisDer Autor
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Dafür vielen Dank!

Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft - Steuern - Recht GmbH

[4]Dieses Buch ist im »generischen Femininum« abgefasst. Nachdem meine bisherigen Bücher überwiegend im »generischen Maskulinum« stehen und ich mich nicht zu einer Schreibweise mit Sternchen, Doppelpunkt oder Binnen-I durchringen mag, finde ich es an der Zeit, nun einmal auf das »generische Femininum« zu wechseln. Ich bitte männliche Leser ausdrücklich, sich in gleicher Weise angesprochen und »gemeint« zu fühlen wie weibliche. Für Firmen und andere juristische Personen verwende ich die übliche Schreibweise, also etwa Arbeitgeber, Betriebsrat, Anlagenbauer, Generalunternehmer. Nebenbei ermöglicht das eine Unterscheidung von B2B und B2C: Ich verwende »Kunden«, wenn Firmenkunden gemeint sind, und »Kundinnen«, wenn es auch oder überwiegend um Endkund(inn)en geht.

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Winfried Berner

Reorganisation und Restrukturierung

1. Auflage, Februar 2022

© 2022 Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft · Steuern · Recht GmbH

www.schaeffer-poeschel.de

[email protected]

Produktmanagement: Dr. Frank Baumgärtner

Lektorat: Elke Renz, Stutensee

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere die der Vervielfältigung, des auszugsweisen Nachdrucks, der Übersetzung und der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, vorbehalten. Alle Angaben/Daten nach bestem Wissen, jedoch ohne Gewähr für Vollständigkeit und Richtigkeit.

Schäffer-Poeschel Verlag Stuttgart

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[11]1Einführung: Das Problem sind die Risiken und Nebenwirkungen

DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE

Reorganisationen haben die normative Kraft des Faktischen auf ihrer Seite: Strukturen schaffen Fakten, denen sich niemand entziehen kann. Deshalb ist nicht zu befürchten, dass Veränderungen der Aufbauorganisation am Widerstand der Betroffenen scheitern.Selbst wenn die Mitarbeiterinnen und Führungskräfte keinen Veränderungsbedarf sehen und/oder mit der neuen Organisationsstruktur oder ihrer künftigen Position darin nicht einverstanden sind, haben sie kaum eine andere Wahl, als die neue Organisation nach ihrem Inkrafttreten als gegeben hinzunehmen, sofern sie nicht kündigen wollen.Das eigentliche Risiko bei Reorganisationen sind nicht Widerstände, es ist, dass sie eine »Kulturveränderung aus Versehen« auslösen und das Verhältnis der Betroffenen zum Topmanagement sowie zum Unternehmen dauerhaft beschädigen.Kritisch ist dabei weniger das Ergebnis, also die künftige Struktur, als das Vorgehen. Problematisch ist, wenn Führungskräfte, deren Aufgabenspektrum sich ändert, nicht gefragt, sondern einfach umgesetzt werden. Noch fataler ist, wenn negativ Betroffene vor der Bekanntgabe des neuen Organigramms nicht persönlich informiert werden.Die Gefahr schwerwiegender Kommunikationspannen ist bei Reorganisationen deshalb hoch, weil der Diskussionsbedarf im Vorstand oder der Geschäftsführung meist unterschätzt wird. Angesichts eng getakteter Kalender wird es dann extrem schwer, vor der angesetzten Bekanntgabe des neuen Organigramms genügend zusätzliche Besprechungszeit zu finden.Weil die abschließende Einigung oft erst in letzter Minute zustande kommt, fallen die Gespräche mit den Betroffenen allzu leicht unter den Tisch. Das wird sowohl von ihnen selbst als oft auch von ihrem Umfeld als Zeichen mangelnder Wertschätzung missverstanden. Dieses Missverständnis ist später kaum noch korrigierbar.Der größte Nutzen des Change Managements bei Reorganisationen liegt darin, für eine gute, sorgfältige Kommunikation mit den Betroffenen zu sorgen. Das beginnt damit, darauf zu bestehen, dass genügend Terminreserven für die Diskussion im Vorstand eingeplant werden.Es ist weder möglich noch sinnvoll, eine Reorganisation insgesamt als einen partizipativen Prozess anzulegen. Möglich und sinnvoll ist jedoch, [12]die Betroffenen top-down in die Ausgestaltung ihres künftigen Verantwortungsbereichs einzubeziehen. Das sorgt für mehr Realitätsnähe und für eine höhere Akzeptanz.Nicht jede Reorganisation ist gleich – es ist ein Unterschied, ob Sie von einer funktionalen zu einer divisionalen Struktur wechseln oder von einer Sparten- zu einer Matrixorganisation. Deshalb werden im »Speziellen Teil« dieses Buches vier wichtige Typen von Reorganisationen und ihre Besonderheiten behandelt.Während man sich in der Wissenschaft um möglichst klare, trennscharf definierte Begriffe bemüht, ist der Sprachgebrauch in der Praxis nicht selten »politisch«: Man verwendet bestimmte Begriffe, um damit ganz bestimmte Zwecke und Wirkungen zu erzielen bzw. um unerwünschte Assoziationen zu vermeiden.Euphemismen und Tarnbezeichnungen bewirken auf längere Sicht häufig das Gegenteil des Bezweckten und schüren ein generelles Misstrauen gegenüber den »wahren Absichten« des Managements. Deshalb ist es besser, die Dinge beim Namen zu nennen und Beschönigungen zu vermeiden: Unangenehm sind meist nicht die Worte, unangenehm ist das, wofür sie stehen.

Aus Change-Management-Perspektive sind Reorganisationen eigentlich keine große Sache: Ich habe in über 30 Jahren voller Veränderungsprozesse noch nie erlebt, dass eine neue Organisation am Widerstand der Betroffenen und/oder an mangelndem oder mangelhaftem Change Management gescheitert wäre. Und ich habe davon auch noch nie gehört.

Gleich wie viel Aufregung, Streit und Widerstand es im Vorfeld gab, wenn das neue Organigramm erst einmal beschlossen und verkündet ist und die Kästchen mit Namen gefüllt sind, nimmt die neue Organisation am Stichtag ihre Arbeit auf. Vielleicht unter anfänglichem Quietschen und Rumpeln, aber sie tut es. Und wenn die neue Organisationsstruktur nicht völlig dysfunktional ist, laufen die Prozesse und Besprechungen ab dann in der neuen Struktur ab.

1.1Die normative Kraft des Faktischen

Es ist meines Wissens noch nie vorgekommen, dass Vorgesetzte nach Inkrafttreten einer neuen Struktur trotzdem weiter in ihre alten Abteilungen zu Besprechungen einberufen hätten. Ebenso wenig habe ich je gehört, dass sich Mitarbeiterinnen geweigert hätten, an den Meetings mit ihren neuen Vorgesetzten und Kolleginnen teilzunehmen. Vielleicht [13]kommen sie etwas besorgt, unsicher oder murrend, aber sie kommen – im Gegensatz zu vielen anderen Veränderungen, bei denen die aktive Kooperation der Betroffenen durchaus keine ausgemachte Sache ist.

Natürlich kommt es vor, dass Mitarbeiterinnen trotz der neuen Organisation weiter Kontakt zu ihren bisherigen Vorgesetzten halten, sie etwa nach ihrer Meinung fragen oder sie sogar um eine Entscheidung bitten. Ebenso kommt es vor, dass sie sich bei ihnen bitter über die neue Situation beklagen. Aber das sind »Nebengeräusche«, die vielleicht stören, aber der Gültigkeit und Verbindlichkeit der neuen Struktur keinen Abbruch tun. In gewisser Weise ist das Fortbestehen der alten Beziehungen sogar ein Vorteil, weil diese Kontakte die informelle Vernetzung innerhalb des Unternehmens stärken.

Eine gute Nachricht lässt sich also gleich zu Beginn festhalten: Organisationsstrukturen haben, ähnlich wie neue IT-Systeme, die normative Kraft des Faktischen auf ihrer Seite. Obwohl eigentlich nur auf dem Papier »Kästchen verschoben« und/oder die Namen in den Kästchen geändert wurden, kommt niemand auf die Idee, sich auch nach dem Inkrafttreten der neuen Organisation weiter in den alten Strukturen zu treffen – außer vielleicht in der Kantine.

Das ist ganz anders als z. B. bei Kulturveränderungen, wo die meisten Mitarbeiterinnen und Führungskräfte nach der Bekanntgabe eines neuen Leitbilds oder »Value Statements« überhaupt nicht auf die Idee kommen, ihr Verhalten zu ändern. Stattdessen machen sie einfach so weiter wie bisher, teils weil sie ihr Handeln im Einklang mit dem Leitbild wähnen, teils weil sie gute (oder auch weniger gute) Gründe für ihr Verhalten haben, an denen sich durch das neue Leitbild nichts geändert hat.

Eigentlich erstaunlich: Was veranlasst die Mitarbeiterinnen und Führungskräfte dazu, sich strikt an die neue Organisation zu halten, während sie das neue Leitbild achselzuckend Leitbild sein lassen? Der einfache Grund ist:

Strukturen schaffen Fakten, denen man sich, auch wenn sie einem noch so sehr missfallen, im Grunde kaum entziehen kann.

1.2Risiken und Nebenwirkungen

Das Problem ist das »im Grunde«: Nicht in der Durchsetzung der organisatorischen Veränderungen liegt die Herausforderung für das Change Management, sondern in ihrer Akzeptanz. Die hat vier verschiedene Teilaspekte:

[14] Erstens das Akzeptieren des Veränderungsbedarfs. Wenn die Mitarbeiterinnen und Führungskräfte in der bestehenden Organisationsstruktur kein Problem sehen, brauchen sie auch keine Lösung dafür. Sofern aus ihrer Sicht kein Korrekturbedarf vorliegt, gibt es keine Lösung, die sie überzeugen wird: Dann wird ihnen jede Änderung der Organisation im günstigsten Fall überflüssig, im ungünstigeren schädlich erscheinen.Zweitens das inhaltliche Akzeptieren der neuen Organisationsstruktur. Auch wenn ihnen der Veränderungsbedarf einleuchtet: Wenn die neue Struktur für die Betroffenen keinen Sinn ergibt, werden sie sie nicht mit Überzeugung mittragen. Vielmehr werden sie ihre Einführung dann mit großer Skepsis beobachten, beunruhigt auf auftretende Schwierigkeiten reagieren und die neue Struktur erst akzeptieren, wenn sich ihre Befürchtungen nicht bestätigen.Drittens das Akzeptieren der Vorgehensweise. Selbst wenn sie die Schlüssigkeit der neuen Organisation anerkennen, wird es den Führungskräften und Mitarbeiterinnen sauer aufstoßen, wenn sie sich auf dem Weg dorthin achtlos behandelt und wie Möbelstücke herumgeschoben fühlen. Unter Umständen tragen sie das dem Management dauerhaft nach, selbst wenn sich die neue Organisation bewährt.Viertens das Akzeptieren der eigenen künftigen Position. Auch wenn die drei vorgenannten Punkte perfekt erfüllt sind, kommt es doch vor, dass Mitarbeiterinnen oder – vor allem – Führungskräfte unglücklich sind mit der Position, die sie in der künftigen Organisation einnehmen sollen. Oder, noch unangenehmer, dass sie hart davon getroffen werden, wenn ihnen trotz all ihrer Fähigkeiten und Verdienste überhaupt keine neue Position angeboten wird, weil man für ihr Profil künftig keine Verwendung mehr hat. Was freilich auch umgekehrt gilt: Wenn jemand höchst zufrieden mit ihrer künftigen Position ist oder sogar begeistert davon, stimmt sie das auch bei der Bewertung der anderen Punkte milder, auch wenn es ihre Vorbehalte nicht völlig zum Verschwinden bringt.

Generell lässt sich sagen: Je besser diese vier Punkte erfüllt sind, desto größer ist die Akzeptanz der gesamten Reorganisation – sowohl bei jeder und jedem Einzelnen als auch im Unternehmen insgesamt. Doch anders als man vielleicht vermuten würde, sind die beiden letzten Punkte dabei kritischer als die beiden ersten:

Wenn Sie die Notwendigkeit einer Reorganisation nicht sehen, mit dem Ergebnis aber leben können und auch mit der Vorgehensweise kein Problem haben, werden Sie die Störung des normalen Geschäftsbetriebs, die jede Reorganisation unvermeidlich mit sich bringt, zwar als ärgerlich oder zumindest als unnötige Belästigung empfinden, aber Sie werden sich auf die neue Struktur ohne große Probleme einlassen. Die anfängliche Verstimmung ist dann rasch vergessen.

[15]1.3Prinzipielle Zweifel an der neuen Organisation

Schon schwieriger würde es, wenn Ihnen die neue Struktur nicht einleuchtet, selbst wenn Sie selbst nicht negativ betroffen sind. Vielleicht haben Sie z. B. Zweifel daran, wie bestimmte kritische Abläufe künftig funktionieren sollen. Dann werden Sie vermutlich im Vorfeld Ihre Stimme erheben, um vor diesen Risiken zu warnen, oder Sie werden zumindest im kleineren Kreise deutlich auf die kritischen Punkte hinweisen.

Falls die neue Struktur dann aber trotz Ihrer Warnungen beschlossen und verkündet wird, würden Sie sie wohl, wenn auch skeptisch, hinnehmen. Eher unwahrscheinlich, dass Sie sich aus Protest gegen die neue Organisation weigern würden, die Ihnen angebotene oder zugewiesene Position einzunehmen.

Das hieße aber keineswegs, dass Ihre Vorbehalte ausgeräumt wären. Ihre weitere Haltung würden Sie vermutlich davon abhängig machen, ob die Probleme, vor denen Sie gewarnt haben, tatsächlich eintreten, und wenn ja, ob sie auf überzeugende Weise aufgefangen werden. Wenn nicht, würden Sie wohl auf Ihre Einwände zurückkommen: »Schon vor Verabschiedung habe ich nachdrücklich davor gewarnt, dass …«

Doch selbst dann würden Sie die neue Organisation wohl nicht boykottieren, zumal Sie mit harschen Reaktionen Ihrer Chefinnen rechnen müssten und sich auch arbeitsrechtlich auf dünnes Eis begäben. Mit anderen Worten, selbst wenn etliche Mitarbeiterinnen und Führungskräfte erhebliche Zweifel an der neuen Organisation hätten, stünde das deren erfolgreicher Arbeitsaufnahme nicht im Weg – sofern sie einigermaßen funktionstauglich ist.

Fallstudie: Prinzipielle Vorbehalte

Eine Versicherung hatte traditionell ihre große Stärke im Firmenkundengeschäft. Sie nutzte diese Stärke, um über die guten Geschäftsbeziehungen zu den Firmen auch an Privatkundinnen heranzukommen. Auf diese Weise akquirierte sie sehr erfolgreich und mit relativ niedrigen Abschlusskosten Lebensversicherungen im Rahmen der gesetzlich geförderten »vermögenswirksamen Leistungen«. Aus den so entstandenen Beziehungen zu Privatkundinnen gewann sie Folgegeschäft sowohl im Bereich der Sach- als auch der Personenversicherung.

Unter maßgeblicher Mitwirkung einer großen Beratungsfirma wurde eine neue Organisationsstruktur entwickelt: eine Spartenorganisation, die eine konsequente Trennung von Privat- und Firmenkundengeschäft vorsah. Die Vorbehalte vieler er[16]fahrener Führungskräfte brachte eine altgediente Abteilungsleiterin auf den Punkt: »Solange mir niemand erklärt, wie wir in der neuen Struktur Privatkundengeschäft akquirieren, halte ich die Trennung der Sparten für einen schweren Fehler.«

Der Einwand wurde übergangen, die neue Organisation eingeführt. Der Übergang verlief reibungslos und ohne nennenswerte Widerstände. Doch die Abteilungsleiterin behielt recht: Die Akquisition neuer Privatkundinnen aus dem Firmenkundengeschäft brach ein.

Schon nach wenigen Wochen sah sich der Vorstand zu einer Nachkorrektur gezwungen. Die Spartenorganisation wurde zwar nicht aufgegeben, aber die Firmenkundensparte wurde nun explizit auch daran gemessen und dafür vergütet, dass sie Privatkundengeschäft akquirierte. Was einerseits ein logischer Bruch zur Trennung der Sparten war, andererseits aus praktischen Gründen unabdingbar.

Der unaufgelöste Vorbehalt hätte jedoch die gleiche Wirkung gehabt, wenn sich die Sorge der Abteilungsleiterin als unberechtigt erwiesen hätte – jedenfalls in den ersten Wochen und Monaten: In Ermangelung einer praktischen Alternative hätten sie und viele ihrer ähnlich denkenden Kolleginnen sich trotzdem widerwillig auf die neue Struktur eingelassen, wenn auch mit Unbehagen und mit großen Sorgen in Bezug auf die Geschäftsentwicklung.

Wäre das Neugeschäft mit den Privatkundinnen wider Erwarten doch erfolgreich gewesen, wären die Befürchtungen bald in den Hintergrund getreten und schließlich in Vergessenheit geraten – da es jedoch einbrach, durften sich die Skeptikerinnen bestätigt fühlen.

1.4Unzufriedenheit mit Vorgehen und Ergebnis

Auf lange Sicht am problematischsten sind der dritte und der vierte Punkt. Beide hängen zusammen: Wenn die Betroffenen von dem Vorgehen überrollt werden oder sich aus anderen Gründen nicht angemessen behandelt fühlen, werden viele auch mit der ihnen zugewiesenen neuen Position hadern.

Und zwar selbst dann, wenn sie diese Position auf der Stelle oder nach kurzem Überlegen akzeptiert hätten, hätte man vor ihrer Nominierung auch nur ein einziges Gespräch mit ihnen geführt. Es fühlt sich einfach sehr unterschiedlich an, ob man gefragt und um sein Einverständnis gebeten wurde oder ob man ungefragt einfach irgendwo hingeschoben wird: »Fehlt nur noch, dass sie mir eine Inventarnummer aufkleben!«

[17]Wenn über die künftige eigene Verwendung verfügt wird, als spielte die eigene Meinung und Zustimmung überhaupt keine Rolle, ist das kränkend: Die Betroffenen fühlen sich übergangen und missachtet. Das kann tiefen Groll auslösen. Auch wenn der mit der Zeit verblasst, kann er doch einen Schatten auf ihrer Beziehung zum Vorstand und zum Unternehmen hinterlassen. Seine Wirkung tritt zwar im Lauf der Zeit in den Hintergrund, wenn es aber irgendwann einmal darum geht, besondere Anstrengungen zu erbringen, wird die alte Rechnung möglicherweise wieder hervorgekramt und beglichen.

Bleiben oder Gehen?

Anders gelagert sind die Fälle, in denen die angebotene oder zugewiesene Position nicht zu den Vorstellungen der Adressaten passt. Die unmittelbare Reaktion darauf sind oft heftige Emotionen: Enttäuschung, Angst, Unwillen, Ärger, Zorn …

Allerdings werden diese Emotionen meist nicht offen geäußert; sie werden nur im halbvertraulichen Gespräch mit Kolleginnen oder Vertrauten zum Ausdruck gebracht. Aus der Tatsache, dass eine Führungskraft gegenüber dem Topmanagement keine Gefühle artikuliert, sollte man daher nicht ableiten, dass keine vorhanden sind.

Mittelfristig stehen die Betroffenen vor der Frage, was ihre beste Alternative dazu ist, die ungeliebte Position anzunehmen – und dauerhaft in ihr zu verbleiben. Die Antwort hängt schlicht und trocken von ihrem Marktwert, ihrer Mobilität sowie den erworbenen »Anwartschaften« ab, die sie mit einem Wechsel verlieren würden. Beziehungsweise damit, ob ein neuer Arbeitgeber so interessiert an ihnen ist, dass er bereit ist, diesen Verlust durch eine höhere Vergütung zu kompensieren.

Bei solch ungeliebten Jobs besteht ein deutlich erhöhtes Risiko, dass die Betreffenden die angebotene oder zugewiesene Position zwar annehmen, aber mit unausgesprochenem Vorbehalt: nicht, weil sie sie auf Dauer behalten wollen, sondern um sich aus einer ungekündigten Stelle heraus in Ruhe nach einer Alternative umsehen zu können.

Das mag man als unredlich empfinden, aber die Frage ist, was die Betreffenden denn sonst tun sollten. Die zugewiesene Position abzulehnen, wäre riskant, weil nicht sicher ist, ob ihr Arbeitgeber ihnen eine andere, attraktivere Position anbietet – oder einen Auflösungsvertrag.

Und ihren Chefinnen bzw. ihrem Arbeitgeber offen mitzuteilen, dass sie den Job nur unter Vorbehalt annehmen und abwandern werden, sobald sie eine bessere Alternative gefunden haben, wäre ebenfalls taktisch unklug: Dann gälten sie als unsichere Kantonistinnen und stünden zudem, wenn sie letztlich doch blieben, als jemand da, die schwer vermittelbar ist.

[18]Nachträgliche Turbulenzen

Falls die Betreffenden eine Alternative finden, die ihnen attraktiver erscheint, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie sie annehmen. Was für das reorganisierende Unternehmen praktisch heißt: Ein Teil derer, die mit ihrer neuen Position nicht zufrieden sind, wird abwandern. Und zwar dummerweise nicht die, die am lautesten schimpfen, sondern die, die die besten Alternativen, sprich, den höchsten Marktwert haben.

Das ist unangenehm: Erstens verliert man auf diese Weise fähige Leute, zweitens wird die neue Organisation, kaum dass sie zu arbeiten begonnen hat und sich »zurechtzurütteln« beginnt, zumindest in Teilbereichen wieder aus dem Tritt gebracht. Das wird die neue Struktur nicht zum Scheitern bringen, wenn sie ansonsten Hand und Fuß hat, aber es wirft den Prozess der Normalisierung zurück, der nach jeder Reorganisation notwendig ist, um Anlaufschwierigkeiten zu überwinden und wieder volle Produktivität zu gewinnen (→ Kap. 4).

Nicht nur aus menschlichem Anstand, auch aus blankem Eigeninteresse ist es daher sinnvoll, bei der Stellenbesetzung darauf zu achten, dass Stellen und designierte Stelleninhaberinnen nicht nur objektiv zusammenpassen, sondern auch subjektiv. Das wiederum lässt sich am leichtesten sicherstellen, wenn man vor der Verabschiedung der neuen Struktur mit allen Kandidatinnen spricht, für die sich eine deutliche Veränderung ihrer Aufgabe abzeichnet.

Doch bei allem Bemühen lässt es sich bei Reorganisationen nicht immer vermeiden, dass man für einzelne Führungskräfte keine adäquate Position mehr hat. Vor allem wenn etliche bisherige Spitzenpositionen wegfallen, wie etwa bei der Streichung einer Hierarchieebene oder beim Übergang von einer funktionalen zu einer divisionalen Struktur, wird nicht alles auf Anhieb passen – und manches kann auch bei bestem Willen nicht »passend gemacht« werden.

1.5Kulturveränderung aus Versehen

Das größte und zugleich vermeidbarste Problem bei Reorganisationen ist jedoch ein Vorgehen, das von den Betroffenen als unangemessen oder gar als geringschätzig und brüskierend empfunden wird. In solchen Fällen können Reorganisationen massiven Schaden anrichten und eine »Kulturveränderung aus Versehen« auslösen. Solche unbeabsichtigten Kulturveränderungen beeinflussen die Kultur stärker als die meisten Kulturprogramme, aber nicht in einer Weise, die sich irgendjemand, der bei klarem Verstand ist, wünschen kann.

[19]Fallstudie: »So kann man doch nicht mit Menschen umgehen!«

Die Reorganisation eines Konzerns lag hinter dem Zeitplan zurück. Zwar hatte das Projektteam, angeleitet durch externe Beraterinnen, dem Lenkungsausschuss seine Empfehlung termingerecht vorgelegt, doch der Vorstand brauchte mehr Zeit für interne Beratungen als eingeplant. Wegen vollgepackter Kalender und mehrerer Auslandsreisen führte dies zu einer Verzögerung von mehreren Wochen. Deshalb war die Bekanntgabe der neuen Organisationsstruktur bereits einmal verschoben worden.

Nun rückte der neue Verkündungstermin näher, ohne dass sich der Vorstand hatte abschließend einigen können. In vielen strittigen Fragen war zwar inzwischen Konsens erzielt worden, doch in einigen grundsätzlichen Punkten hatte man sich trotz der Moderation durch die Beraterinnen noch nicht abschließend einigen können. Trotzdem war man sich angesichts der inzwischen spürbaren Unruhe einig, den Termin auf keinen Fall erneut zu verschieben: »Die Führungskräfte müssen ja sonst glauben, wir wären total zerstritten.«

Am Wochenende vor dem geplanten Termin traf sich der Vorstand zu einer Klausur mit dem festen Vorsatz, »das Hotel nicht zu verlassen, bis weißer Rauch aufsteigt«. Nach einem Durchbruch am Samstagabend einigte man sich am Sonntagvormittag abschließend auf die künftige Struktur, und bis zum frühen Nachmittag war auch die Besetzung der Führungspositionen unter Dach und Fach, sodass noch etwas Zeit war, die Kommunikation vorzubereiten.

Nur für Gespräche zur Vorinformation derjenigen Führungskräfte, die von der neuen Struktur negativ betroffen sein würden, blieb bis zu der Informationsveranstaltung für die Führungskräfte am Montagnachmittag keine Zeit mehr. Dem Vorstand war bewusst, dass das nicht optimal war, er nahm es jedoch, wie er sagte, »missbilligend« in Kauf: Die einzige Alternative, nämlich eine erneute Terminverschiebung, wäre aus seiner Sicht noch schlechter gewesen.

Die neue Organisationsstruktur schien den versammelten Führungskräften der zweiten und dritten Ebene wie auch der Spitze des Betriebsrats, die zu der Vorstellung eingeladen worden war, weitestgehend einzuleuchten. Offenbar lag sie im Rahmen dessen, was erwartet worden war.

Doch wie bei solchen Gelegenheiten üblich, warteten alle mit hoher Anspannung auf die Folien mit der Stellenbesetzung, also auf »die Namen in den Kästchen«, zumal im Vorfeld ja keine Gespräche stattgefunden hatten und auch nichts durch[20]gesickert war. Die meisten Führungskräfte lehnten sich entspannt zurück, nachdem sie ihre Namen an der erwarteten Stelle gefunden hatten. Aber es gab auch einiges unzufriedene oder empörte Gemurmel, das offenbar von Personen kam, die nicht glücklich waren mit der Stelle, für die sie vorgesehen waren.

Zum Eklat kam es, als sich eine verunsicherte Führungskraft zu Wort meldete mit der Frage, sie habe ihren Namen auf dem Tableau nicht finden können, und der Vorstand bestätigen musste, dass sie – wie auch einige andere Anwesende – künftig tatsächlich nicht mehr auf ihrer bisherigen Ebene vorgesehen war. Angesichts der peinlichen Situation bat die Vorstandsvorsitzende um Verständnis dafür, dass man die Betroffenen darüber aus Zeitgründen im Vorfeld nicht mehr habe informieren können, sicherte aber zu, man werde »zeitnah« mit ihnen allen über ihre weitere Verwendung sprechen.

Die versammelten Managerinnen waren spürbar schockiert. Niemand sagte etwas, schweigend leerte sich der Saal. Obwohl wenigstens in einigen Fällen die Gründe nachvollziehbar waren, weshalb die Betreffenden nicht mehr für eine obere Führungsposition vorgesehen waren, herrschte Entsetzen über das Vorgehen: »So kann man doch mit Menschen nicht umgehen!«

Dieser Eindruck wurde verstärkt durch die Führungskräfte, die mit ihrer künftigen Position nicht zufrieden waren. Einige von ihnen schlugen heftig in die gleiche Kerbe und klagten, auch mit ihnen sei nicht anständig umgegangen worden. Niemand habe sie nach ihrer Meinung gefragt; man habe sie kommentarlos irgendwo hingeschoben: »Friss oder stirb«.

1.6Drohender Knick in der Loyalität

Wenn Führungskräfte bei einer Reorganisation das Gefühl bekommen, das Topmanagement sei nicht wertschätzend mit ihnen umgegangen, hat das auf die Funktionsfähigkeit der neuen Organisationsstruktur kaum einen Einfluss. Wohl aber beeinträchtigt es ihr Verhältnis zum Vorstand und zum Unternehmen – und zwar möglicherweise auf Dauer.

Die Spuren, die das hinterlässt, können unterschiedlich sein: Im Extrem sind einige Führungskräfte über diesen Umgang mit ihnen oder ihren Kolleginnen so empört und verärgert, dass sie mit den Verantwortlichen buchstäblich nichts mehr zu tun haben wollen. Sie verlassen das Unternehmen bei nächster passender Gelegenheit, sprich beim nächsten Anruf eines Headhunters.

[21]Das größere Problem sind jedoch verbitterte Führungskräfte, die trotzdem bleiben – sei es, weil sie nicht mobil sind, oder aus Mangel an Alternativen. Sie haben seit jener Erfahrung ein gebrochenes Verhältnis zum Unternehmen bzw. zu dessen Topmanagement und sind deshalb auch nicht mehr mit voller Motivation, Identifikation und Loyalität bei der Sache.

In aller Regel gehen sie nicht so weit, das Unternehmen bzw. das Topmanagement durch destruktives oder passiv-aggressives Verhalten für ihr erlittenes Unrecht bestrafen. Auch das kommt vor, doch es ist eher der Ausnahmefall.

Viel typischer ist ein anderes Muster: Jede Führungskraft und letztlich jede Mitarbeiterin steht ja immer wieder einmal vor der Abwägung zwischen legitimen Eigeninteressen (wie dem Wunsch nach Feierabend oder einem freien Wochenende) und denen des Unternehmens. Wenn ihre Loyalität angeknackst ist, wird sie im Zweifel ihren eigenen Interessen den Vorzug geben und die vielbeschworene »Extrameile« nicht gehen.

1.7Entstehen eines »Organisationsmythos«

Nun kann man hoffen, dass über solche negativen Erfahrungen irgendwann Gras wächst und die Loyalität sich erholt. Schließlich, so das Argument, sollten obere Führungskräfte doch »rational« genug sein, um sich in ihrem Handeln nicht dauerhaft von »negativen Emotionen« leiten zu lassen.

Sicher ist das keineswegs. Erstens ist es keineswegs irrational, sich schlechte Erfahrung zu merken: Was auch immer die Gründe und Hintergründe waren, sicher ist, dass sich diese Dinge ereignet haben. Selbst wenn das nur ein Einzelfall war, zeigt sie doch, worauf man als Führungskraft in diesem Unternehmen bzw. bei diesem Vorstand gefasst sein muss, wenn es hart auf hart geht.

Zweitens wird die Erinnerung an einen Eklat wie den beschriebenen oft wachgehalten, weil daraus einer jener »Organisationsmythen« wird, die man sich noch Jahre später hinter vorgehaltener Hand erzählt. Oder jedenfalls so lange, wie der derzeitige Vorstand oder die Geschäftsführung im Amt ist.

Je häufiger ein solcher Vorfall aber kolportiert wird, desto enger verknüpft sich die Erinnerung daran mit der betreffenden Person: Sobald der Name fällt, denken viele an die Geschichte. Solche Geschichten dienen zudem als »Erkennungsmarke« von Subkulturen wie etwa der der desillusionierten Mitarbeiterinnen: Damit bestätigen sie sich gegenseitig, dass sie dazugehören, und grenzen sich zugleich von anderen ab.

[22]Auf diese Weise versichern sich die Desillusionierten gegenseitig, was »das da oben für Menschen sind«, und erklären es Neuen. Solche Geschichten werden im Laufe der Zeit auch von Personen übernommen, die das Ereignis gar nicht selbst miterlebt haben: Sie haben die Geschichte inzwischen so oft gehört, dass sie beginnen, sie selbst weiterzuerzählen.

Fallstudie: Entstehung von Organisationsmythen

Bei einem Energieversorger, einem früheren Stadtwerk, erzählte man mir bei einem meiner ersten Besuche, der Vorstandsvorsitzende habe eine sehr abschätzige Meinung von den angestammten Mitarbeiterinnen des Unternehmens: Er habe einmal auf einer Betriebsversammlung gesagt, wer nicht mutig genug war, Beamter zu werden, der wäre halt zu den Stadtwerken gegangen.

Immer wieder bekam ich diese Geschichte in den Monaten danach zu hören: von Teammitgliedern, von Betriebsräten, sogar von Führungskräften. Als ich den Vorstandsvorsitzenden bei einer passenden Gelegenheit darauf ansprach, reagierte er genervt: Ja, das habe er in der Tat einmal gesagt, aber erstens sei das nur ein Scherz gewesen, und zweitens läge es schon etliche Jahre zurück – er verstehe nicht, wieso das auch Jahre später ständig wiederholt werde.

Doch er wurde die Geschichte bis zu seinem Ausscheiden nicht los: Nicht nur ich habe sie in den Jahren dort unzählige Male gehört; sie kam fast jedes Mal zur Sprache, wenn sein Name fiel. Und die meisten, die dies erzählten oder dazu nickten, waren fest davon überzeugt, dass sie seine tiefste Überzeugung beschrieb, dass er die »alten Stadtwerker« in seinem tiefsten Inneren verachtete. Die erwiderten die Antipathie inbrünstig und lehnten ihn ihrerseits so massiv ab, dass alles, was von ihm kam, in ihrem Umfeld kaum eine Chance hatte.

Wenn sich solche Organisationsmythen erst einmal verfestigt haben, sind nicht nur die Betroffenen selbst machtlos, man kann ihnen auch kaum noch helfen, aus dieser Ecke wieder herauszukommen: Der Mythos ist zum festen Bestandteil des Fremdbilds der betreffenden Person geworden; er dient als Filter, durch den sie von ihrer Umgebung wahrgenommen wird und durch den ihr Verhalten interpretiert wird.

Daraus gibt es kein Entrinnen: Wenn sich die Betreffende freundlich und umgänglich gibt, dann heißt das aus Sicht der »Wissenden« nur, dass sie nicht ihr wahres Gesicht zeigt. Wenn sie etwas bemängelt oder mit erbrachten Leistungen unzufrieden ist, beweist dies, dass sie nichts von den Adressaten hält. Mit anderen Worten, sie sitzt in der Falle: Was auch immer sie tut, es bestätigt das Bild, das man von ihr hat.

[23]1.8Nicht die Absicht zählt, sondern die Wirkung

Das Dumme ist: Für die emotionalen und praktischen Folgewirkungen solcher Kommunikationspannen ist unerheblich, ob sie aus einer Verkettung unglücklicher Umstände entstanden sind, wie etwa durch einen schlecht geplanten Kommunikationsprozess oder durch einen misslungenen Scherz, oder ob die Betreffenden tatsächlich ein verächtliches, geringschätziges Bild von der Belegschaft haben.

Genauso ist es bei der versäumten Vorinformation der negativ Betroffenen einer Reorganisation. Objektiv war es in diesem Fall keineswegs so, dass der Vorstand menschenverachtend dachte oder handeln wollte. Sein – im Grunde nachvollziehbares! – Bestreben war lediglich, nicht den Eindruck von Zerstrittenheit zu vermitteln und deshalb den Termin der Bekanntgabe der neuen Organisationsstruktur auf keinen Fall ein weiteres Mal zu verschieben.

Natürlich kann man anzweifeln, ob der Vorstand hier eine kluge Abwägung getroffen hat – vor allem, wenn man weiß, wie die Sache sich weiterentwickelt hat. Kaum von der Hand zu weisen ist jedoch seine Sorge, dass eine zweite Verschiebung tatsächlich nicht den allerbesten Eindruck gemacht und Spekulationen über Konflikte im Vorstand Vorschub geleistet, vielleicht sogar die Frage nach seiner Handlungsfähigkeit aufgeworfen hätte.

Natürlich kann man dem Vorstand auch vorwerfen, dass er bei seinem Vorgehen zu wenig Zeit für Diskussionen und vorbereitende Kommunikation eingeplant hat. Und vor allem, dass er wenig Einfühlung in die Betroffenen an den Tag gelegt hat. Aber das hat einen Schuss von Klugscheißerei: Ist ein Unglück schon eingetreten, ist es keine große prophetische Leistung mehr, es für vorhersehbar zu erklären.

Es hilft alles nichts: Auch wenn wir noch so gut verstehen, dass das Handeln des Vorstands in Wirklichkeit nicht »menschenverachtend« war, sondern nur das Ergebnis einer nicht zu Ende gedachten Abwägung, ändert dies nichts an der Wirkung. Es unrealistisch zu erwarten, dass sich die Betroffenen in die Situation des Vorstands versetzen und die Gründe seines unglücklichen Agierens nachvollziehen – sie sind mit sich selbst und ihrer eigenen Betroffenheit beschäftigt.

1.9Die Perspektive der Betroffenen zählt

Und aus ihrer Perspektive stellt sich die Sache »objektiv« so dar: Ihnen wurde nicht nur eine neue Organisationsstruktur diskussionslos aufoktroyiert – sie oder einige ihrer Kolleginnen fanden sich darin auf einer neuen Position wieder, die sie sich nicht ausgesucht hatten und zu der sie nicht einmal nach ihrer Meinung gefragt wurden.

[24]Das gibt ihnen unvermeidlich ein Gefühl von Fremdbestimmung – und das ist etwas, was Menschen überhaupt nicht mögen. Die natürliche Reaktion darauf ist ein Gefühl, das man in der Psychologie Reaktanz nennt: Ein Gemisch aus Unmut, Widerwillen und dem Bedürfnis, die eingeschränkte oder bedrohte Freiheit wiederherzustellen.

Und als ob das nicht unerfreulich genug wäre, müssen sie auch noch miterleben, wie einige aus ihrem Kreis offenkundig ohne Vorwarnung kalt davon erwischt wurden, dass sie gar nicht mehr auf ihrer bisherigen Ebene vorgesehen sind. Sie sehen, wie schockiert die Betreffenden sind und wie sie mühsam um Fassung ringen.

Wer auch nur einen Funken Empathie besitzt, wird spontan Mitgefühl mit den Betroffenen haben, selbst wenn er die Entscheidung von der Sache her richtig findet oder sie zumindest nachvollziehen kann. Entsprechend entrüstet wird sie über den Vorstand sein, der die Betreffenden auf diese Weise »öffentlich hingerichtet« hat.

Im Nachhinein ist für alle – einschließlich des Vorstands! – offensichtlich, dass das nicht das richtige Vorgehen war, dass man unbedingt vorab mit den Betroffenen hätte sprechen müssen. Aber natürlich kommt niemand auf die Idee, dass die unschuldige Ursache für dieses Versäumnis darin lag, dass der Vorstand um jeden Preis den schon einmal verschobenen Termin retten wollte.

Weil kaum jemand die Restriktionen kennt und berücksichtigt, unter denen der Vorstand diesen Fehler gemacht hat, erscheint die Unterlassung den meisten Beobachtern als schweres, geradezu unverzeihliches Versäumnis. Und jetzt, im Nachhinein, ist auch klar, dass es so kommen musste. Damit liegt die Bewertung nahe, dass der Vorstand hier nicht nur unsensibel und gedankenlos agiert hat, sondern technokratisch, rücksichtslos oder eben gar »menschenverachtend«.

Das hinterlässt Spuren. Nicht nur die unmittelbar Betroffenen sind zutiefst verletzt, gekränkt und wütend, auch viele der Beobachterinnen und damit indirekt Betroffenen sind schockiert, empört und enttäuscht: »Das hätten wir nicht von unserem Vorstand gedacht, dass er so mit langjährigen Führungskräften umgeht!«

1.10Weitere Komplikationen

Bei Gefühlen ist es sinnlos, darüber zu streiten, ob sie »berechtigt« oder »unberechtigt« sind – das ist bei Emotionen generell keine zielführende Frage. Und erst recht ist es keine, über die sich in einer angespannten Situation fruchtbar diskutieren lässt. Ebenso wenig hilft es, sich auf ein Missverständnis bzw. eine Fehlinterpretation des eigenen Handelns zu berufen.

[25]Würde eine beherzte Führungskraft den Vorstand jedoch mit den emotionalen Flurschäden konfrontieren, die er mit seinem Vorgehen angerichtet hat, würde vermutlich genau das passieren: Der würde anfangen zu erklären, dass das von ihm gewählte Vorgehen einfach der entstandenen Terminnot geschuldet war. Und dass er deswegen die ganze Aufregung nicht verstünde. Vermutlich wäre er seinerseits gekränkt und empört, wenn man ihm technokratisches Denken, Inhumanität oder gar Menschenverachtung unterstellte.

Deshalb sind die Chancen gering, dass solch ein Kommunikationsdesaster wenigstens im Nachhinein geklärt und einigermaßen aufgearbeitet wird. Stattdessen ziehen sich alle Beteiligten bockig und sprachlos in ihre jeweiligen Schmollwinkel bzw. Büros zurück, machen gegenüber ihren Vertrauten ihrem Unverständnis Luft und versuchen sodann, Normalität zu mimen und zum Business as Usual zurückzukehren.

Diese Sprachlosigkeit trägt zur Vertiefung des Grabens und zur Verfestigung der negativen Fremdbilder bei: Was bleibt, ist Enttäuschung und Groll – vielleicht nicht bei allen, aber doch bei etlichen Beteiligten. Dieser Groll wiederum ist nicht nur ein zwischenmenschliches Problem, er hat auch ein ökonomisches Preisschild: Er schlägt sich in den Folgejahren in reduzierter Motivation und erhöhten Reibungsverlusten nieder oder, in Ökonomensprache ausgedrückt, in dauerhaft erhöhten Transaktionskosten.

1.11Der Nutzen von Change Management

Der größte Nutzen des Change Managements liegt bei Reorganisationen nicht darin, dafür zu sorgen, dass die neue Organisation »angenommen« wird: Dafür würde die normative Kraft des Faktischen, wie wir gesehen haben, auch ohne Change Management sorgen.

Sein Nutzen liegt hauptsächlich darin, erstens die zwischenmenschlichen und kulturellen Kollateralschäden der Implementierung so gering wie möglich zu halten, sowie zweitens, unnötige Friktionen zu vermeiden, die sich meist auch in erhöhten Transaktionskosten niederschlagen.

Das setzt freilich voraus, dass das Change Management nicht als Teilprojekt innerhalb der Projektstruktur angesiedelt ist, sondern als Querschnittsfunktion, die dem Lenkungsausschuss angehört und sowohl formal als auch menschlich einen direkten Draht zum Vorstand hat. Kommunikationsdesaster wie das beschriebene lassen sich nur verhindern, wenn die Change-Management-Verantwortlichen überhaupt mitbekommen, in welche Richtung die Entwicklung läuft, und rechtzeitig intervenieren können.

[26]Selbst im obigen Fallbeispiel, wo der Vorstand um jeden Preis den angesetzten Kommunikationstermin halten wollte, hätte das Schlimmste verhindert werden können, wenn die Change Managerin von dem geplanten Ablauf rechtzeitig erfahren hätte. Dann hätte sie den Vorständen dringend ins Herz legen können: »Bitte rufen Sie die Hauptbetroffenen noch am Sonntagabend an und machen Sie mit ihnen am Montagvormittag einen halbstündigen Termin, nach Möglichkeit gemeinsam mit der Personalchefin, bei dem Sie sie über Ihre Entscheidung informieren und ihnen mitteilen, ob Sie sie für eine Funktion eine Ebene tiefer vorgesehen haben oder ob Sie ihnen einen Auflösungsvertrag anbieten.«

Das hätte nicht den Unmut verhindert, der unweigerlich entsteht, wenn den Führungskräften ohne Rücksprache und Information einfach bestimmte Positionen zugewiesen werden. Aber zumindest hätte es den Eklat verhindert, der daraus entstand, dass einige Führungskräfte ihre böse Überraschung in aller Öffentlichkeit erleben mussten. So hätten sich auch die emotionalen Folgeschäden vermeiden lassen.

1.12Mitgestaltung der Projektplanung

Noch besser wäre es gewesen, wenn die Change-Management-Verantwortlichen von vornherein darauf bestanden hätten, genügend Zeit zwischen der Entscheidung des Vorstands (und ggf. Aufsichtsrats) über die neue Struktur und deren Verkündung einzuplanen.

Denn dass der Vorstand bei einer Reorganisation mehr Zeit zur Diskussion und Entscheidung braucht als er angenommen hat, ist nicht ungewöhnlich – das ist der Normalfall. Denn, wie wir sehen werden, gibt es keine Organisationsstruktur, die nur Vorteile hat.

Es ist daher völlig normal und vorhersehbar, dass Vorstände, die für unterschiedliche Ressorts verantwortlich sind, verschiedene Präferenzen für unterschiedliche in Frage kommende Strukturoptionen haben. Dabei geht es keineswegs nur um »Machtfragen«, wie häufig unterstellt wird. Vielmehr geht es um kritische Prozesse, um Steuerungsmöglichkeiten – und nicht zuletzt auch um persönliche Abwägungen.

Ebenfalls nicht ungewöhnlich ist, dass die Kalender von Vorständen eng getaktet sind. Das heißt aber: Ein Kommunikations-GAU wie der beschriebene ist vorhersehbar, er ist geradezu der natürliche Lauf der Dinge, sofern man nicht von Anfang an genügend Zeit für Diskussionen in den Kalendern der Vorstände verankert hat.

Wenn es dem Vorstand nicht gelingt, innerhalb der eingeplanten Zeit zu einer Entscheidung zu finden, gerät er unweigerlich in die Bredouille. Dann wird es extrem schwer, [27]kurzfristig etliche zusätzliche mehrstündige Termine zu finden, bei denen sämtliche (!) Vorstandsmitglieder verfügbar sind. Wenn dann noch einer der Vorstände zu einer schon lange geplanten zweiwöchigen China-Reise aufbricht, ist jeder Zeitplan gesprengt.

Deshalb müssen die Change Managerinnen schon ganz zu Beginn eines Organisationsprojekts, also lange im Vorfeld der Entscheidung, darauf bestehen, dass der gesamte Vorstand in den Tagen und Wochen vor der geplanten Entscheidung nicht nur genügend Besprechungszeit, sondern auch ausreichend viele gemeinsame Reservetermine einplant, die von Reisen und wichtigen Terminen wie z. B. Kundenbesuchen freigehalten werden.1

Eine solche Forderung wird mit Sicherheit zu hochgezogenen Augenbrauen führen. Doch die Erfahrung zeigt, dass es wesentlich leichter ist, freigehaltene Reservetermine anderweitig zu verwenden, falls sie wider Erwarten doch nicht benötigt werden, als vollgepackte Kalender so synchron freizuräumen, dass alle Vorstände nicht nur an den gleichen Tagen, sondern auch während der gleichen Stunden am gleichen Ort verfügbar sind.2

Eingeplant werden sollte in diesem Zusammenhang auch genügend Zeit für Gespräche mit Führungskräften – nicht nur mit denjenigen, die künftig nicht mehr auf der gleichen Ebene eingesetzt werden sollen wie bisher, sondern auch mit all denen, die künftig eine andere Aufgabe übernehmen sollen als heute. Denn selten kann der Vorstand mit weniger Zeitaufwand mehr für die Motivation seiner Führungsmannschaft tun: Wie wir gesehen haben, macht es einen himmelweiten Unterschied, ob jemand gefragt bzw. gebeten wurde, eine neue Aufgabe zu übernehmen, oder ob man sie einfach irgendwohin versetzt.

[28]1.13Optimale Ausschöpfung der Intelligenz des Gesamtsystems

Im besten Fall leistet gutes Change Management neben der Reduzierung von Reibungsverlusten und Schmerzen noch etwas Drittes, nämlich die bestmögliche Ausschöpfung der Intelligenz das Gesamtsystems. Immerhin lautet eine der wichtigsten Entdeckungen der letzten 50 Jahre: Es gibt intelligentes Leben unterhalb des Vorstands. Dies gilt es für die Ausgestaltung der Organisation nutzbar zu machen.

Der Vorstand hat zwar aus seiner Perspektive den besten Überblick und ist damit in der besten Position, über die künftige Gesamtstruktur zu entscheiden. Aber er hat in aller Regel nicht den besten Einblick in die Abläufe und Zusammenhänge vor Ort. Je weiter man bei der Ausarbeitung der Organisationsstruktur nach unten kommt, desto riskanter wird es daher, die Ausgestaltung der organisatorischen Details allein Topmanagerinnen, Projektteams und ihren Beraterinnen zu überlassen. Umgekehrt ist es ein großer Vorteil, wenn es gelingt, hierfür die Detailkenntnis der operativen Ebenen zu erschließen.

Die Frage, wo Partizipation, also die Einbeziehung der Betroffenen, sinnvoll ist und wo nicht, ist bei Reorganisationen noch kniffliger als anderswo. Es ist in aller Regel keine gute Idee, die künftige Organisationsstruktur insgesamt unter breiter Beteiligung entwickeln zu wollen: Zu verschieden sind die Perspektiven und Interessenlagen, zu sehr auf das eigene »Jagdrevier« begrenzt das Interesse und der Denkhorizont vieler Beteiligter.

Die Grundstruktur der künftigen Aufbauorganisation muss daher durch den Vorstand bzw. das Topmanagement festgelegt werden – wobei die Vorarbeit dafür nicht unbedingt durch den Vorstand selbst geleistet werden muss; sie kann auch an ein internes Projektteam und/oder externe Beraterinnen delegiert werden. Denn einige Analysen sind durchaus sinnvoll, bevor man über Strukturoptionen nachzudenken beginnt.

1.14Strategie und Organisation

Zuallererst geht es um die Beantwortung der klassischen Frage: »Wo tutʼs denn weh?« Sprich, wo stößt die bestehende Struktur an ihre Grenzen? Wo funktioniert sie nicht so gut, wie sie sollte oder müsste, um schnell und effizient agieren zu können? Welche Abläufe holpern und eiern, wo entstehen regelmäßig Fehler und Konflikte, wo wird Blindleistung erzeugt?

Ebenso wichtig ist die strategische »Gegenfrage«: Welche Prozesse und Entscheidungen sind es denn eigentlich, die künftig schneller, besser und effizienter funktionieren müs[29]sen? Denn aus strategischer Perspektive sind keineswegs alle Abläufe und Entscheidungen gleich: Manche sind wichtiger für den Geschäftserfolg als andere, und um die muss es vorrangig gehen.

Bei dieser Betrachtung ist es wichtig, nicht nur den Status quo im Blick zu haben, sondern auch die Strategie bzw. die Zukunft: Welche Kunden und Märkte sollen oder müssen künftig besser bearbeitet und bedient werden als heute? Welche Fähigkeiten muss Ihr Unternehmen besitzen, um dabei in Zukunft (noch) erfolgreicher zu sein?

Diese strategischen Weichenstellungen muss der Vorstand selbst treffen – was freilich nicht heißt, dass er sie im Alleingang treffen muss: Er tut gut daran, hierfür die im Hause vorhandene Expertise auszuschöpfen und bei Bedarf externes Know-how zuzuziehen. Die Grundsatzentscheidungen selbst sind jedoch eine nicht delegierbare Führungsaufgabe der obersten verantwortlichen Ebene.

1.15Einbeziehung der Betroffenen in die Ausgestaltung

Doch schon beim nächsten Schritt, wenn es um die organisatorische Ausgestaltung einzelner Ressorts und Bereiche geht, ist es sinnvoll, die jeweils Verantwortlichen einzubeziehen – nicht bloß um sie »einzubinden«, um ihnen also ein gutes Gefühl zu geben und ihre Akzeptanz zu sichern, sondern vor allem, um sich ihre Expertise zunutze zu machen und zugleich ihr Commitment zu der künftigen Struktur einzuholen.

Einbeziehung ist nicht das Gleiche wie Delegation. Der Vorstand hat am Ende das letzte Wort; er muss sicherstellen, dass die neue Organisation den strategischen Erfordernissen gerecht wird. Dennoch ist er gut beraten, Weichenstellungen gegen den erklärten Willen der oder des Verantwortlichen nur dann vorzunehmen, wenn es dafür wichtige Gründe gibt. Denn wenn es später darum geht, die neue Organisation mit Leben zu füllen, hilft es enorm, wenn die für die jeweilige Organisationseinheit Verantwortlichen aus Überzeugung hinter der gewählten Struktur stehen.

So geht es Stufe um Stufe weiter nach unten: Auf jeder Stufe sollten die jeweils Verantwortlichen einbezogen werden und bei der Ausgestaltung ihres künftigen Verantwortungsbereichs mitreden können. Was allerdings voraussetzt, dass sie die strategischen Ziele der künftigen Organisationsstruktur verstehen und teilen – was wiederum verlangt, dass man sie ihnen in nachvollziehbarer Weise nahebringen muss.

Eine solche »stufenweise Partizipation« ist zunächst zeitaufwendiger, als wenn ein Projektteam oder externe Beraterinnen die künftige Aufbauorganisation mehr oder weni[30]ger im Alleingang entwickeln. Aber dafür bietet sie die Gewähr, dass alle Betroffenen die strategische Logik der neuen Struktur wirklich durchdrungen und verinnerlicht haben.

Dann kehrt sich der anfängliche »Zeitverlust« im weiteren Verlauf in sein Gegenteil um: Wenn man nicht die Verabschiedung der künftigen Struktur zum Maßstab nimmt, sondern ihr tatsächliches Funktionieren, ist diese stufenweise Partizipation unter dem Strich sogar schneller, weil dann am Stichtag alle im Boot sind und es keiner langen Diskussionen, Erläuterungen und keiner als »Feintuning« getarnten Nachbesserungen mehr bedarf.

1.16Aufbau und Inhalt des Buchs

Dieses Buch will Ihnen eine Anleitung für gutes Change Management bei Reorganisationen und Restrukturierungen geben.3

Es ist gegliedert in einen »Allgemeinen Teil«, in dem wir Dinge behandeln, die mehr oder weniger für jede Reorganisation gelten, und einen »Speziellen Teil«, in dem wir die Besonderheiten der vier häufigsten Typen von Reorganisation herausarbeiten. Denn nicht alle Reorganisationen sind gleich – vielmehr gibt es eine Reihe von unterschiedlichen Fällen, und die haben aus Change-Management-Perspektive jeweils ihre Besonderheiten.

Denn, wie wir in Kapitel 2 sehen werden, sind Organisationsstrukturen keineswegs beliebig. Vielmehr folgen sie dem Lebenszyklus von Unternehmen. Infolgedessen sind bestimmte Konstellationen wie etwa der Wechsel von einer funktionalen zu einer divisionalen Struktur oder von einer divisionalen zu einer Matrixorganisation besonders häufig.

Die Herausforderungen, vor denen das Change Management beim Wechsel von einer funktionalen zu einer divisionalen Struktur steht, sind aber keineswegs dieselben wie beim Wechsel von einer divisionalen zu einer Matrixorganisation. Und die Restrukturierung einer in die Jahre gekommenen, nicht mehr wettbewerbsfähigen Organisation ist wieder ein völlig anderer Fall. Die vier wichtigsten Typen von Reorganisationen sehen wir uns im Speziellen Teil genauer an.

[31]Vorschau auf die Themen des »Allgemeinen Teils«

Nicht nur für die Umgestaltung einer Organisation, auch für das begleitende Change Management ist es nützlich, zu verstehen, worum es bei »Organisation« eigentlich geht. Dafür muss man sich von dem irreführenden Schlagwort »structure follows strategy« lösen und die verschiedenen möglichen Organisationsmodelle als Stufen eines Evolutionsprozesses verstehen, der dem Wachstum, der Reife und der Anpassung sozialer »Organismen« folgt. Darum geht es in Kapitel 2.

In diesem Zusammenhang werfen wir in Kapitel 3 einen Blick auf Schnittstellen und auf die Frage, wie sie so gestaltet werden können, dass die unvermeidliche Arbeitsteilung möglichst verlustarm funktioniert. Dabei beschäftigen wir uns in Kapitel 4 auch mit einem Thema, das bei Reorganisationen häufig übersehen oder ignoriert wird, nämlich dem wirtschaftlichen Wert eingespielter Beziehungen.

So vorbereitet, schauen wir uns in Kapitel 5 das Change Management bei Reorganisationen aus einer grundsätzlichen Perspektive an. Dabei geht es vor allem um zwei Fragen, die wir bereits hier in dieser Einführung angerissen haben:

Wie sollte man kommunizieren, damit sowohl die Notwendigkeit einer Veränderung als auch die letztlich gewählte Lösung möglichst allen Mitarbeiterinnen und Führungskräften einleuchtet?Wie lässt sich das Vorgehen gestalten, damit möglichst alle Betroffenen die sie betreffenden organisatorischen Veränderungen akzeptieren und nicht unnötig vor den Kopf gestoßen werden?

Eine wichtige und nicht-triviale Frage bei Reorganisationen ist die Besetzung der Führungsposition, die durch die Veränderungen der Aufbauorganisation neu entstanden sind oder sich grundlegend verändert haben (Kapitel 6). Sie verdient größte Aufmerksamkeit, denn die spätere Korrektur von Fehlentscheidungen ist sowohl schmerzhaft als auch teuer.

Auch bei noch so bedachtsamem Vorgehen lässt sich kaum vermeiden, dass es bei Reorganisationen auch Verliererinnen gibt. Und zwar sowohl subjektiv als auch objektiv – da helfen auch keine Anführungszeichen, deshalb lassen wir sie weg. Deshalb ist dem menschlichen Umgang mit VerliererinnenKapitel 7 gewidmet.

Zu den Dingen, die man bei Change-Prozessen nicht ungestraft übersehen darf, zählen die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats. Dabei darf man sich nicht von der Tatsache täuschen lassen, dass die Gestaltung der Organisation dem Direktionsrecht des Arbeitgebers unterliegt und damit mitbestimmungsfrei ist. Denn die Mitbestimmung setzt massiv ein, wenn es um die sozialen Folgen einer sogenannten »Betriebsände[32]rung« geht. Um die rechtlichen Details mögen sich die Arbeitsrechtlerinnen kümmern, aber ein Grundverständnis der Rechtslage braucht jede, die sich mit Reorganisationen und Restrukturierungen befasst – Kapitel 8.

In Kapitel 9 sehen wir uns das Wechselspiel von Struktur und Kultur näher an. Eine Wirkungsrichtung haben wir ja schon angesprochen: Wie man bei der Veränderung der Organisationsstruktur mit den Betroffenen umgeht, beeinflusst die Kultur, gleich ob beabsichtigt oder nicht, stärker als viele gutgemeinte Kulturprogramme.

Zugleich stellen Umstrukturierungen aber auch Zäsuren dar, die für kurze Zeit die Chance zu einer schnellen und gezielten Kulturveränderung eröffnen. Diese Chance wird allzu oft verstolpert, obwohl sie den Nutzen einer Umstrukturierung mühelos verdoppeln könnte. Wenn man sich nicht aktiv um die Kultur kümmert, besteht sogar die Gefahr, dass sie sich in eine unerwünschte Richtung entwickelt, dass etwa eine Matrixorganisation mit ständigen Konflikten und unglaublichen Reibungsverlusten einhergeht.

Zum Schluss des Allgemeinen Teils werfen wir in Kapitel 10 einen Blick auf die Optimierung von Prozessen und Systemen. Thema dieses Buches ist zwar die sogenannte Aufbauorganisation, die sich im Organigramm widerspiegelt, doch die hängt eng mit der »Ablauforganisation« zusammen: Bei beidem geht es im Kern darum, die Arbeitsteilung, die bei der Wertschöpfung für den Kunden notwendig wird, möglichst effizient zu organisieren. Das heißt so, dass mit dem geringstmöglichen Aufwand bestmögliche Qualität erzeugt wird.

Die Aufbauorganisation bildet dabei sozusagen das »Gefäß«, in dem die Prozesse ablaufen – und damit die eigentliche Wertschöpfung eines Unternehmens. Um ein optimales »Gefäß« bauen zu können, ist daher ein Verständnis von Prozessen, Systemen und ihrer Optimierung von Nutzen.

Der »Spezielle Teil« behandelt die wichtigsten Typen von Reorganisationen

Im speziellen Teil sehen wir uns vier besonders häufige Anwendungsfälle von Reorganisation an, die sich aus der Entwicklung und Reifung von Unternehmen ergeben:

Erstens das Einziehen zusätzlicher Hierarchieebenen und die Aufteilung von Aufgaben in jungen, stark wachsenden Unternehmen (Kapitel 11),zweitens der Wechsel von einer funktionalen zu einer divisionalen Organisation (oder Sparten- bzw. Geschäftsfeldorganisation, also zu »Business Units«) (Kapitel 12),drittens der Wechsel von einer divisionalen Struktur zur Matrixorganisation (Kapitel 13), undviertens ist die Restrukturierung einer »gealterten«, nicht mehr wettbewerbsfähigen Organisation (Kapitel 14).

[33]Letztgenannte ist die schmerzlichste Art der Reorganisation, weil sie häufig mit Kostensenkungsprogrammen und leider auch oft mit Stellenabbau einhergeht. Aber Reorganisationen gibt es nun einmal nicht nur bei expandierenden Unternehmen, sondern auch bei solchen, die in die Jahre gekommen sind. Wenn deren Strukturen nicht mehr zu den veränderten Märkten und Wettbewerbsbedingungen passen, müssen sie sich zwangsweise »verjüngen«, was allzu oft erst geschieht, wenn die Firmen bereits in großer Not sind. Zuletzt behandeln wir daher auch den Change-Prozess, der allen Beteiligten am wenigsten Spaß macht, nämlich das Thema Personalabbau (Kapitel 15).

1.17Zum Sprachgebrauch

Einer der Unterschiede zwischen Wissenschaft und Praxis liegt in der Verwendung von Begriffen. In der Wissenschaft geht es in der Regel darum, die Begriffe möglichst klar zu definieren, sodass es zu möglichst wenig Missverständnissen und Fehlinterpretationen kommt.

In der Praxis und speziell im Geschäftsleben ist Eindeutigkeit längst nicht immer das einzige oder oberste Ziel. Vielmehr geht es häufig (auch) um Beeinflussung: Worte werden gewählt oder vermieden, um bei den Adressaten eine bestimmte Wirkung zu erzielen bzw. um unerwünschte Assoziationen zu vermeiden. In diesem Sinne sind die verwendeten Begriffe oft »politische« oder »propagandistische« Begriffe: Sie dienen einem bestimmten Zweck bzw. einer Absicht – häufig der, die geplanten Veränderungen weniger bedrohlich erscheinen zu lassen und/oder ihr wahres Ziel zu verschleiern.

Da ist dann eben von »Verschlankung« die Rede, wenn in Wirklichkeit Personal abgebaut werden soll, oder es soll in brachialer Lyrik »überflüssiges Fett weggeschnitten« werden. Sparprogramme werden als »Vermeidung von Verschwendung« ausgegeben, oder man spricht von Freisetzungen, um das hässliche Wort »Entlassungen« zu vermeiden (das seine etymologische Karriere ursprünglich auch einmal als Euphemismus begonnen hat).

Deshalb kann man sich bei Begriffen wie »Reorganisation« oder »Restrukturierung« in der Praxis häufig nicht sicher sein, ob tatsächlich nur die Organisationsstruktur weiterentwickelt werden soll oder ob es in Wirklichkeit vor allem um Kostensenkungen und Personalabbau geht.

Doch Tarnbegriffe und Euphemismen werden leicht zum Bumerang: Vielleicht gelingt es ja, die Belegschaft beim ersten Mal hinters Licht zu führen, sodass sie nicht sofort erkennt, dass personelle Einschnitte bevorstehen. Den Preis für so viel Schlauheit bezahlt man bei späteren Change-Vorhaben: Er besteht in einem erhöhten Misstrauen in das [34]Management und seine Ankündigungen. Gleich welche Worte Sie dann verwenden, die Beschäftigten werden äußerst wachsam reagieren und darauf gefasst sein, dass »wieder irgendeine Schweinerei« dahintersteckt.

Zu allem Übel haben solche Begriffe oft ziemlich hässliche Implikationen: Wenn der Personalabbau eine »Verschlankung« war, dann muss das abgebaute Personal ja wohl »Fett« gewesen sein – eine völlig überflüssige zusätzliche Kränkung für die, die es trifft (und übrigens auch für die, die »Verfettung« zugelassen haben). Auch als »Verschwendung« möchte wohl niemand die Arbeit eingestuft sehen, die er jahrelang geleistet hat. Oder als »Wasserkopf«, aus dem in waghalsiger Metaphorik die Luft herausgelassen werden muss.

An diesem Verwirrspiel beteiligen wir uns nicht. Stattdessen nennen wir die Dinge beim Namen, auch wenn sie unangenehm sind. Denn unangenehm sind ja nicht die Worte, unangenehm ist das, was sie bezeichnen. Es gibt keine noch so kreative Formulierung, die Massenentlassungen und Personalabbau zu etwas Erfreulichem macht. Was wirklich hinter den Umschreibungen und Beschönigungen steht, durchschauen die Betroffenen meist ziemlich schnell – und wenn nicht, fühlen sie sich später umso mehr getäuscht.

Dennoch: Auch unangenehme Schritte und Entscheidungen sind manchmal notwendig – etwa, weil der Markt gereift ist und das bisherige Geschäftsmodell sich überlebt hat. Deshalb müssen und wollen wir auch über solche Dinge in diesem Buch reden. Also gehen wir auch auf Kostensenkung und Personalabbau ein, nennen sie dann aber konsequent beim Namen und verstecken uns nicht hinter Tarnbezeichnungen.

1.18Wie Sie dieses Buch optimal nutzen

Dieses Buch besteht aus zwei Teilen und insgesamt 15 Kapiteln – und die einfachste Form der Nutzung ist, dieser Struktur zu folgen. Sie können sich aber auch vom Inhaltsverzeichnis oder dem Register leiten lassen, um gezielt auf Themen zuzugreifen, zu denen Sie gerade Informationen suchen. Die einzelnen Kapitel sind so geschrieben, dass man sie jeweils auch für sich lesen kann.

Wenn Sie sich zuerst einen schnellen Überblick verschaffen wollen, beginnen Sie mit den Kästen »Das Wichtigste in Kürze«, die jedem Kapitel voranstehen. Sie helfen Ihnen dabei, das »Big Picture« im Blick zu behalten und sich immer wieder bewusst zu werden, was jeweils die spielentscheidenden Themen und Leitgedanken sind.

[35]Falls Sie noch wenig Erfahrung mit Reorganisationen haben, empfehle ich Ihnen dennoch, das gesamte Buch zu lesen oder zumindest zu überfliegen. Denn gerade als Ungeübte erlebt man dabei die eine oder andere unliebsame Überraschung – und es wäre ausgesprochen ärgerlich, wenn Sie erst im Nachhinein feststellen müssten, dass genau diese Überraschung in einem der Kapitel beschrieben ist, die Sie überblättert haben.

Ich wünsche Ihnen viel Freude und Gewinn beim Lesen!

1 Natürlich ist es nicht realistisch, einen längeren Zeitraum von Aufsichtsratssitzungen, zentralen Industriemessen und anderen Terminen allerhöchster Priorität freizuhalten. Diese Termine sind aber auch nicht kritisch, weil bei ihnen ohnehin (fast) der ganze Vorstand gebunden ist, aber glücklicherweise zur selben Zeit. Tödlich für jede Terminkoordination sind vielmehr jene Termine, bei denen mal der eine und mal der andere Vorstand für einen oder mehrere Tage unabkömmlich ist, sodass es letztlich unmöglich ist, eine ausreichend große Schnittmenge zu finden, in der der gesamte Vorstand zur gleichen Zeit im gleichen Raum sein kann.

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