Requiem für Ernst Jandl - Friederike Mayröcker - E-Book

Requiem für Ernst Jandl E-Book

Friederike Mayröcker

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Beschreibung

Ein halbes Jahrhundert gemeinsamen Lebens, und das hieß ganz selbstverständlich auch: gemeinsamer literarischer Arbeit, verband und verbindet Friederike Mayröcker und Ernst Jandl. Unmittelbar nach dem Tod des Gefährten im Frühsommer des Jahres 2000 hat Friederike Mayröcker den Schmerz des Verlustes in einer stillen und zugleich leidenschaftlichen Todesklage zu bewältigen versucht, die zu einem Gesang von berückender Intensität wird. In diesem Dokument von tapferster Zartheit ruft sie Erinnerungen an Erlebnisse der gemeinsamen Jahre auf, macht sich Offengebliebenes jäh bewußt, liest Jandls Texte neu. Vor einer plötzlichen und existentiellen Leere erschreckend, fragt sie nach Möglichkeiten und Weisen des Weiterlebens und -arbeitens und hört nicht auf, zu einem Gegenüber zu sprechen. »Der Verlust eines so nahen Menschen, eines HAND- und HERZGEFäHRTEN ist etwas ganz und gar Erschütterndes, aber vielleicht ist es so, daß man weiter mit diesem HERZ- und LIEBESGEFäHRTEN sprechen kann nämlich weiter Gespräche führen kann und vermutlich Antworten erwarten darf. Einer einstmals so stürmischen Aura, nicht wahr. Jetzt gestammelt gehimmelt, und weltweit.«

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Friederike Mayröcker

Requiem für Ernst Jandl

Suhrkamp

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2022

Der vorliegende Text folgt der Erstausgabe, 2001.

© 2001, Suhrkamp Verlag AG, Berlin

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Umschlaggestaltung: hißmann, heilmann, hamburg

eISBN 978-3-518-77112-9

www.suhrkamp.de

Inhalt

Paraphrase auf 1 Gedicht

»will nicht mehr weiden«

Zu : in der küche ist es kalt

Knöpferauschen, und Attersee

oder Vermont, an Ernst Jandl

»the days of wine and roses«, für Ernst Jandl

Zu : ottos mops

Nachschrift vom 19. 7. 2000:

Paraphrase auf 1 Gedicht

von Ernst Jandl

(»in der küche ist es kalt

ist jetzt strenger winter halt

mütterchen steht nicht am herd

und mich fröstelt wie ein pferd« EJ)

in der Küche stehn wir beide

rühren in dem leeren Topf

schauen aus dem Fenster beide

haben 1 Gedicht im Kopf

6.6.2000

»will nicht mehr weiden«

Requiem für Ernst Jandl

»diesmal ist er zu weit gegangen«, Adolf Muschg.

»Aber er kommt immer wieder, verlaß dich darauf, und dabei bleibt er anspruchsvoll.«

Und gleich windstiller als gestern in der Bleichung der Kälte und am Rande der Kälte das Windstillere, nämlich das Ungenauere muß es sein, usw.

In Scharen von Ludmilla Regen .. wo ich schon 1 x die Nacht betreten hatte, vielmals diese Nacht betreten hatte, ich hatte es jahrelang in meinem Bewußtsein vorvollzogen, ich hatte ihn gesehen, leblos in einem Winkel seines Zimmers, auf seiner Bettstatt, war an sein Bett getreten auf Zehenspitzen um auf seine Atemzüge zu lauschen. Wo deine Seele blutet, sagt Elke Erb, wie solltest du da nicht Worte finden, sagt Elke Erb, zwischen Mongolei Melancholie Monochromie und grünen Passanten, sendet er dir nicht die Fülle von freundlichen Seelen daß sie rund um dich, ich meine dich in einem Halbkreis, dir die Hände halten, sagt Elke Erb, aber es ist nichts wie er!, sage ich, die geheimen Worte, unsere geheimen Worte, sage ich. Anfangen ganz in ELLEND, sagt Elke Erb, du mußt dort anfangen ganz in ELLEND, du bist 1 WAISENKIND, so ist es in seinem Bedenken, in seiner Imkerschaft.. ach wieder auf einen Berg zu gehen, sagt Elke Erb, sah daß du die Nacht betreten hast, daß es keinen Effekt hatte : wie krieg ich das auf dich draufgehext, sagt Elke Erb, jammervoll ist der Tod, erbärmlich ist der Tod, viele Schmählichkeiten sind der Tod, 1 Zerbrecher und Verstörer ist der Tod, du mußt wieder lesen lernen, nein nicht nur leben lernen, lesen lernen : dieses rätselvolle Lesenkönnen, daß nicht die Zeile, die man eben gelesen, dahingleitet in einer Phantasie, ich meine dieser Trödel von Spuren, solch rare Kulisse einer mich durchdringenden Aufmerksamkeit. Daß die Bänder sich kaum rühren, die Zweige bluten, während 1 Amsel das Lauthalse .. ich habe gesehen, ich habe gehört, wie die Stimme des Vogels UNTERGEHT in einem EGALEN Busch, weil ich die Augen nicht mehr hatte dafür, lauter EGALE Büsche und Zweige und Stauden und das EGALE Mundöffnen der Passanten und das EGALE Sprechen der Freunde und das EGALE Zirpen von Weltfülle — alles EGAL, hatte nicht Augen noch Ohren für Ding und Wort und Bild und Strauch und Buch und Blume, und dann die Verlegenheit der anderen, die einen trösten wollen, und sage ihnen ich habe 1 Leid aber strolchenden Fußes, etc.

Dann der Äste Bewegung dann der Esel 1 Esel sein wehmütiges Schreien, das Kraulen meiner Hand hinter seinem Ohr. Das Schweben das Gleiten der vielen Flugzeuge im Oberlichtfenster : er blickte immer wieder dorthin und zählte die Flugzeuge, immer wie sie kreuzten den Himmel des Oberlichtfensters .. und ich 1 Flegel ach ich I Flegel werfe die Teekanne auf den Tisch und schreie NEIN NEIN! (1 Hauch der einen Hain durchweht), jemand am Telefon sagt mir, denken Sie, ich habe einen Ligusterhain durchschwebt, ich bin durch einen Ligusterhain gedrungen, und da war 1 anderer Duft, vermutlich Meran. Der Duft von Meran, der Duft eines Ligusterhains in Meran, denken Sie doch.

Ist das nun seine Libido oder meine Libido daß die Kreolin in ihrer Entblößtheit in seinen Schlaf / seinen Schlaf betritt und er selbst mit Bettleibchen — ich ihn nicht fragen wollte was vorgefallen sei denn sie war im Fortgehen, mit 2 Schnitten / Schrammen in ihrer dunklen Haut, 1 Schmiß an ihrer dunklen Wange, usw, oder er sagte WANN WERDEN WIR 1 LOCH IN DEN HIMMEL MACHEN?, sie sagte zu mir : 1 tiefe Beziehung 1 tiefe Beziehung zu ihm, und ich verband mir die Lippe ich wand mir die feuchten Tücher um meine Lippe ich hielt mir die Lippe zu mit meinen Händen, denn ich wollte noch 1 Frage stellen : worüber habt ihr gesprochen, was hat er gesagt zu dir, was habe ich versäumt überhört, was hat er verborgen vor mir worüber hat er mit mir geschwiegen .. in die Münz Rose geschlittert, getorkelt, gesegelt, in die Schüssel mit Milch geglitten, getränt, und alles zerronnen, vertan. Der Verlust, sagt er, der Verlust eines so nahen Menschen, eines HAND- und HERZGEFÄHRTEN ist etwas ganz und gar Erschütterndes, aber vielleicht ist es so, daß man weiter mit diesem HERZ- und LIEBESGEFÄHRTEN sprechen kann nämlich weiter Gespräche führen kann und vermutlich die Antworten erwarten darf. Einer einstmals so stürmischen Aura, nicht wahr. Jetzt gestammelt gehimmelt, und weltweit.

Ach, und daß du die Kalenderblätter umwendest, wie aufmerksam, usw. Und ich nach Hause kommen werde, sage ich, und du nicht da sein wirst, sage ich, und ich dein Zimmer betreten werde und dein Kissen berühren werde und ich deine Schuhe in den Regalen betrachten werde und dein Gewand und deine Schirmkappe, Brille und Schweizermesser. Francis Bacon extrem, der zitronengelbe der ganz und gar gelöschte Zitronenfalter, die Zitronenfalle, das Zitronengetränk, das zitronenfarben verschnürte Bündel von Muskeln und Gliedern, Gelenken, er lächelt in Farben von 1 Plakat, die illustren Geschehnisse. Seestück mit Regenfluß vermutlich Regenwohnung von Tränen .. drückte er mir die Hand / diese 1-tausend Meilen und Meisen, jenseits des Meeres (Meran) abermals Meran, sollten wir wieder hin sollten wir wieder dahin, fragt er. Meran oder Grado, sagt er, sind die Bahnhöf' als Weinen / grobe Vergrößerungen von Schwarzweiß-Fotos, die er in einem Fotoautomaten auf dem Bahnhof gemacht hat. Wenn man ihn fragt WIE GEHTS, sagt er : nicht so gut: unbeweglich aber macht nichts. Ich bin der EINWACHSENDE ich bin der EINGEWACHSENE, es hat irgendwie geschneit oder geregnet, es ist Anfang Juli.

Es ist der Strand, die Umarmung, mit dem Veilchen Teich ergeht es mir ähnlich dieses Eckchen Botanik, ich glaube Zweig und Fleisch, daß du umarmen möchtest einen alten Mantel der im Begriff ist weggugehen. Übermalung der Stimme seiner Stimme .. du mein Blutkörperchen du mein armes wildes Blutkörperchen daß die Strömung daß die riesigen Blutmassen der wegströmenden Seele : so reißend : hinreißend sind. So reißend hinreißend mit LIGUSTER HAAR — ach Sie sollten an einen Fluß, sagt die Stimme am Telefon, es würde Ihren Schmerz mildern, sagt die Stimme, indem das Wasser ihn hinweg, ich meine indem das Wasser ihn hinwegnimmt, Sie sollten sich ans Ufer setzen und Ihren Schmerz fortströmen lassen, sehen Sie doch, die sanften Wellen nehmen ihn mit, Welle für Welle .. ja, sage ich, damals, jener Fluß der durch das Städtchen, zuweilen reißend hinreißend, standen an das Geländer gelehnt, über das Geländer gebeugt, oder saßen auf der Bank dahinter, die Arme aufgestützt die Köpfe in unseren Händen und schauten dem Wasser zu, usw, ich meine mäandernd und händehaltend. Bin reißend daß ich so reißend bin wie dieser Fluß und mich segeln lassend dahin, treiben lassend, mit den Wellen und schlehenfarben, die Stille das Rauschen der Stille, während wir saßen am Ufer und hielten unsere Hände .. man macht das wohl so, berichtet von dem im Sand umgedrehten geparkten Boot, also man legt das Ruder quer darüber ehe man es irgendwo versteckt, usw.