Respekt! - Tim Niedernolte - E-Book

Respekt! E-Book

Tim Niedernolte

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Beschreibung

Viele von uns leiden unter einer um sich greifenden Respektlosigkeit. Der bekannte Fernsehmoderator Tim Niedernolte zeigt auf, warum unsere Gesellschaft immer stärker verroht und was wir dagegen tun können. Ein Buch mit hohem Debatten-Potenzial – und Lösungsansätzen für mehr Respekt. Vordrängeln oder rechts überholen; dem Gegenüber das Wort abschneiden. Hasstiraden und wüste Beschimpfungen. Kein Tag vergeht, ohne dass wir einander das Leben schwer machen. Vor allem eines geht zunehmend verloren: Respekt. Tim Niedernolte zeigt auf, wie es um unsere Gesellschaft und das Miteinander steht: wie unsere Sprache zunehmend verroht. Wie wir bewusst oder auch gedankenlos über andere herziehen und manch einer dabei unter die Räder kommt. Dass manche vor nichts und niemandem mehr Respekt zu haben scheinen. Respektlos, wie Konzerne hemmungslos das Wohl ihrer Mitarbeiter mit Füßen treten, wie schlecht wir ErzieherInnen und Pflegekräfte bezahlen; wie Miet-Haie den sozialen Frieden gefährden. Wie eine Medien-Maschinerie von Schlagzeilen lebt, die teilweise tief unter die Gürtellinie gehen. Wie Politiker und andere Mandatsträger verunglimpft, Rettungskräfte, Ärzte oder Polizisten attackiert werden. Und wie unter all dem auch unsere eigene Seele leidet. Warum ist uns der Respekt abhandengekommen? Wie finden wir zurück zu einem guten Miteinander? Und was kann jeder einzelne dafür tun, dass sich die Situation ändert? Tim Niedernolte sehnt sich danach, dass mehr und mehr Menschen den RESPEKT neu entdecken und hochhalten.

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Tim Niedernolte

Respekt!

Die Kraft, die alles verändert – auch mich selbst

Knaur e-books

Über dieses Buch

Viele von uns leiden unter einer um sich greifenden Respektlosigkeit. Der bekannte Fernsehmoderator Tim Niedernolte zeigt auf, warum unsere Gesellschaft immer stärker verroht und was wir dagegen tun können. Ein Buch mit hohem Debatten-Potenzial – und Lösungsansätzen für mehr Respekt.

Vordrängeln oder rechts überholen; dem Gegenüber das Wort abschneiden. Hasstiraden und wüste Beschimpfungen. Kein Tag vergeht, ohne dass wir einander das Leben schwer machen. Vor allem eines geht zunehmend verloren: Respekt. Tim Niedernolte zeigt auf, wie es um unsere Gesellschaft und das Miteinander steht: wie unsere Sprache zunehmend verroht. Wie wir bewusst oder auch gedankenlos über andere herziehen und manch einer dabei unter die Räder kommt. Dass manche vor nichts und niemandem mehr Respekt zu haben scheinen. Respektlos, wie Konzerne hemmungslos das Wohl ihrer Mitarbeiter mit Füßen treten, wie schlecht wir ErzieherInnen und Pflegekräfte bezahlen; wie Miet-Haie den sozialen Frieden gefährden. Wie eine Medien-Maschinerie von Schlagzeilen lebt, die teilweise tief unter die Gürtellinie gehen. Wie Politiker und andere Mandatsträger verunglimpft, Rettungskräfte, Ärzte oder Polizisten attackiert werden. Und wie unter all dem auch unsere eigene Seele leidet. Warum ist uns der Respekt abhandengekommen? Wie finden wir zurück zu einem guten Miteinander? Und was kann jeder einzelne dafür tun, dass sich die Situation ändert? Tim Niedernolte sehnt sich danach, dass mehr und mehr Menschen den RESPEKT neu entdecken und hochhalten.

Inhaltsübersicht

WidmungMottoVorwortGuten MorgenMahlzeit!»Auf in den Nachmittag«N’ Abend allerseits!NachtschichtEpilogZehn HandlungsempfehlungenDanke
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Für meinen geliebten Opa Gerhard.

Verstorben während der Corona-Krise und inmitten der Arbeit an diesem Buch.

Doch was du mich an Respekt gelehrt und in die Welt gesendet hast, das lebt weiter!

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Was ein Mensch an Gutem in die Welt hinausgibt, geht nicht verloren.

Albert Schweitzer

 

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Vorwort

Als ich diese ersten Zeilen dieses Buches geschrieben habe, ist Deutschland zu Hause geblieben. Aus Solidarität mit allen Älteren und aus Respekt vor den gesundheitlich Angeschlagenen. Damit sie sich nicht anstecken und schwer erkranken, womöglich sogar sterben. An einem unsichtbaren Virus, das das ganze Land, ja, mehr oder weniger die ganze Welt zum Stillstand gebracht hat. Als ich das Manuskript das letzte Mal lese, bevor das Buch in Druck geht, explodieren gerade die Zahlen der neu erkrankten Menschen in Nord- und Südamerika, und Tausende Menschen weltweit sterben jeden Tag. Keiner weiß, wie es weitergeht. Was für eine Krise, die Corona-Pandemie!

Aber auch was für eine Erkenntnis und Lehre, mitten in der Krise. Denn wir können es doch, das mit dem Respekt! Ich feiere all die guten Ideen und Taten, die sich täglich neu und kreativ aus dem Shutdown ihren Weg in die Herzen der Mitmenschen gebahnt haben. Sei es über das Internet oder das Treppenhaus. Wo das erste Mal seit Monaten wieder eine Etage höher gegangen wurde, um den älteren Nachbarn zu fragen, ob man für ihn etwas einkaufen könne. Wo ein 15-jähriger Schüler in Rekordzeit ein Hilfstool entwickelte, um die zahlreichen Hilfsangebote zu vernetzen. Wo Sterneköche und Caterer völlig selbstlos und ohne etwas zu verdienen ganze Krankenhausbelegschaften mit ihrem Essen beglückten, während Tausende Bürgerinnen und Bürger auf ihren Balkonen und an den Fenstern standen und aus Dankbarkeit für Pfleger und Ärzte musizierten und ihnen applaudierten.

Wir können es!

So dachte ich bis zu dem Moment, in dem mich ein Video erreichte, in dem sich Kunden in einem Drogeriemarkt um Klopapier prügelten. Und diese Bilder damit symbolisch für das Fehlen von etwas standen, was Grund und Antrieb für dieses Buch ist: Respekt!

Prügelei um Klopapier! Echt jetzt? Einen Tag später musste woanders sogar Polizeischutz her für die vermeintlich letzten Klorollen aller Zeiten.

Ich war fassungslos. What the »Kack«! Da reißen wir mit unserem A… direkt das wieder ein, was sich gerade erst so Wunderbares entfaltet hat an Respekt, Solidarität und Miteinander. An Wertschätzung und Mitgefühl für den Nächsten. Sogar die Kanzlerin musste uns in einer historischen Fernsehansprache ins Gewissen reden und ermahnen: »Hamstern ist […] vollkommen unsolidarisch!«[1]

Und beim Hamstern blieb es ja nicht: Jugendliche feierten Corona-Partys, als gäbe es weder ein Morgen noch gefährdete Mitmenschen. Eine mit dem Coronavirus infizierte Erzieherin wurde im Internet auf das Übelste beschimpft, gemobbt und geächtet, nur weil durch ihre Ansteckung andere Familien und Kinder unter Quarantäne standen und zu Hause bleiben mussten. Aus einer Berliner Kinderkrebsstation wurden Desinfektionsmittel und Atemschutzmasken gestohlen.

 

Es gab eine Zeit, in der ich mich gefragt habe, ob es für mich überhaupt dran ist, ein neues Buch zu schreiben. Und wen das Thema »Respekt« wirklich interessiert. Dann kam Corona.

Wenn Sie diese Zeilen hier lesen, ist die allergrößte Gefahr durch das Virus hoffentlich überstanden. Aber was ich in diesen Wochen und Monaten erlebt habe, hat mich zutiefst überzeugt: Oh ja! Dieses Buch ist wichtig! Dessen bin ich mir mehr als sicher! Denn wir haben gesehen, was alles möglich ist, wenn wir zusammenhalten. Wenn wir kreativ werden und uns auf das zurückbesinnen, was uns ausmacht: Menschlichkeit. Herzlichkeit. Respekt. Der Blick für unseren Nächsten. Weil wir alle davon profitieren. Nicht nur in der Krise, wenn es um Leben und Tod geht. Ich hoffe, dieses Buch kann dazu ein kleiner Beitrag sein!

Wie großartig wäre es, auch nach Corona diese Dinge zu erleben. Mitten im Alltag. Viel zu oft habe ich all das vermisst, was erst ein Virus hervorbringen konnte. Wie oft habe ich den Alltag als Krise wahrgenommen, weil es mir dort fehlte: dieses Miteinander statt Gegeneinander. Respekt – im Kleinen wie im Großen. Echte, gelebte Wertschätzung. Und an manchen Tagen macht mir diese »Respekt-Krise« sogar mehr Angst als das Virus und seine Folgen.

Genau deshalb, liebe Leserin, lieber Leser, ist dieses Buch entstanden. Als eine Inspiration und ein Wegweiser für ein besseres, liebevolleres und respektvolleres Zusammenleben. Dauerhaft und täglich neu. Vor allem dann, wenn wir nicht dazu gezwungen sind.

 

Ihr Tim Niedernolte

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Guten Morgen

Aufwachen!

Montag früh, 4:30 Uhr. Mein Handywecker klingelt … zum Glück nur kurz. Ich will schließlich meine Familie nicht wecken. Auf leisen Sohlen schleiche ich ins Bad.

Meine »Mainz-Moderations-Woche« beginnt. Alle zwei Wochen pendele ich zwischen Berlin und der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt, wo ich eine Woche lang für das ZDF moderiere. Gefühlt schon ewig. Und ebenso gefühlt wird’s nicht leichter mit dem frühen Aufstehen. Ich bin kein Morgenmuffel, aber begeistert bin ich auch nicht davon, in schöner Regelmäßigkeit schon geweckt zu werden, bevor die Kneipen in meinem Berliner Kiez die letzten Besucher vor die Tür gesetzt haben.

Im Bad checke ich via Mobiltelefon erst mal, ob mein Flug überhaupt stattfindet. Sonst müsste ich noch schnell umdisponieren. Puh, bisher alles im Plan. Dann kann ich Ihnen ja kurz was zum Ablauf dieses Tages erzählen. Denn ich möchte Sie heute einfach mal mitnehmen in einen ganz normalen Tag meines Lebens.

Keine Sorge, das wird jetzt keine Dokusoap à la »Ein Tag im Leben des Fernsehmoderators Tim N.« Ich möchte Zeit mit Ihnen verbringen, Sie in meinen Alltag mit hineinnehmen. Ungeschminkt und ehrlich. Ich möchte mit Ihnen unterwegs sein, in Bewegung kommen. Ein Stück Leben teilen. Denn das Leben bietet so viel Spannendes, Schönes, Bewegendes – und natürlich auch einiges an Tragik. Und das fast jeden Tag in anderen Facetten.

Genauso geht es mir mit dem Thema dieses Buches. Wenn ich mich auf die Spur des Wortes Respekt begebe, dann gibt es vieles, das unvergleichlich schön ist. Und gleichzeitig auch einiges, das total tragisch ist.

Respekt. Ein Wort, viele Bedeutungen. Es kann mit Wertschätzung übersetzt werden, aber auch mit Fairness. Mit Toleranz, Vorsicht oder Höflichkeit. Ganz egal, wie wir es nennen, all die verschiedenen Bedeutungen beschreiben immer ein »Miteinander«. Nie ein »Gegeneinander«.

Genau andersrum ist es bei dem großen Antagonisten des Respekts, der Respektlosigkeit. Auch um sie geht’s in diesem Buch.

Ich will den beiden Worten nachgehen, indem ich ihnen in meinem ganz normalen Tagesablauf nachspüre. Denn wenn ich mich in der Definition verliere, dann prallt die Wucht dieser beiden Begriffe locker an mir ab, ich bleibe auf Distanz. Erst wenn ich sie mit Erlebnissen aus meinem Alltag in Verbindung bringe, entstehen Nähe und Wärme, bekomme ich Temperatur. Mein Puls wird schneller, und ich spüre, wie das Adrenalin durch meine Adern strömt.

Genau wie heute Morgen, als ich in die Küche komme. Nachdem ich mir ein Taxi bestellt habe, checke ich noch schnell die Nachrichtenlage und die Timelines meiner Social-Media-Accounts – und bin fassungslos über ein Video, das der thüringische CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring veröffentlicht hat. In wenigen Tagen ist Landtagswahl in Thüringen. In dieser Zeit laufen die Social-Media-Kanäle aller Kandidatinnen und Kandidaten heiß. Doch dieses Video ist kein von langer Hand geplanter Wahlkampfclip. Es ist ein spontaner Appell an alle Menschen in unserem Land.

Im Video sehe ich einen sichtlich mitgenommenen Mohring. Er trägt ein weiß-blau kariertes Hemd und steht ein wenig verloren in irgendeinem Garten einer kleinen Siedlung. Der thüringische Himmel im Hintergrund ist bewölkt. Mit müden Augen blickt Mike Mohring in die Kamera und erzählt, dass Rechtsextremisten via E-Mail gedroht haben, ihn abzustechen oder eine Autobombe zu zünden, wenn er den Wahlkampf nicht einstellen würde. Sein 58-Sekunden-Video ist die Antwort darauf, eine emotionale »Ihr-kriegt-mich-trotzdem-nicht-klein«-Botschaft. »Kein Platz für Extremisten. Kein Platz für Hass. Kein Platz für Gewalt. Sondern Zuversicht und Hoffnung, das muss unser Land ausmachen.«[2]

Ich lege mein Handy auf den Tisch und atme tief durch. Das Video hat mich aufgewühlt. Nicht so sehr aufgrund des Inhalts. Da bin ich als Moderator der ZDF-Magazine hallo deutschland und der drehscheibe sowie aus meiner Zeit als Nachrichtenmoderator bei heute mittlerweile einiges gewohnt. Denn hier berichte ich neben viel Informativem, Schönem, Unterhaltsamem und Humorvollem eben auch sehr häufig über den respektlosen, verbrecherischen und teilweise einfach ekelhaften Umgang von uns Menschen miteinander.

»Kein Platz für Hass. Kein Platz für Gewalt. Sondern Zuversicht und Hoffnung, das muss unser Land ausmachen.« Die Sätze von Mike Mohring klingen nach. Die ekelhafte Drohung der Nazis kann ich nicht einfach vergessen. Eigentlich bin ich ein sehr optimistischer Mensch. Aber in diesem Moment gewinnt kurz die Resignation die Oberhand.

Mike Mohring steht stellvertretend für viele andere Politiker, die verbal oder körperlich völlig respektlos angegangen werden. Er steht für Feuerwehrmänner und -frauen und andere Einsatzkräfte, die einfach nur helfen wollen und dabei unverhohlen attackiert werden. Er steht für Schiedsrichter und Obdachlose und viele mehr, die man mit Füßen tritt. In dieser Videobotschaft aus einem Garten in Thüringen spricht er für Gemobbte auf deutschen Schulhöfen und in überfüllten Notaufnahmen. Für verfolgte Flüchtlinge, ausgegrenzte Homosexuelle und ausgebrannte Ehrenamtler. Die Liste ist endlos.

»Wo soll die Zuversicht denn herkommen?«, denke ich, während ich mich noch einmal in die Schlafzimmer schleiche und meiner Frau und meinen beiden Töchtern einen Kuss auf die Stirn gebe. Der obligatorische Liebesgruß zum Abschied auf dem Küchentisch wird heute emotionaler als sonst.

Mein Handy vibriert. Das Taxi wartet unten. Beim Jackeanziehen hat mich die Resignation wieder fest im Griff. Belügen wir uns nicht alle selbst? Sind unsere Durchhalteparolen nicht einfach nur hohle Worte? Wie sollen wir es schaffen, in diesen ganzen zwischenmenschlichen Respektlosigkeiten die Hoffnung nicht zu verlieren? Nicht aufzugeben, nach dem Motto: »Ach, was soll’s! Ich kann ja nicht die ganze Welt retten.«

Ich schnappe mir meine Tasche und mache mich auf den Weg nach draußen. Der Taxifahrer steigt aus, als er mich kommen sieht. Wir kennen uns. Er hat mich ab und zu schon mal gefahren, aber in den letzten Monaten nicht mehr.

»Hey, schön dich zu sehen. Wie geht’s?«, begrüße ich ihn.

»Danke, inzwischen wieder gut«, antwortet er, während er meinen Koffer in den Wagen hievt. Dann steigen wir beide ein.

»Wieder gut? Was war denn los?«

Beim Losfahren erzählt er mir vom Grund seiner Zwangspause. Eines Nachts wurde er mit seinem Taxi in einen fiesen Hinterhalt gelockt. Kriminelle haben ihn in eine Sackgasse bestellt, dort aufs Übelste verprügelt und sogar mit einem Messer attackiert. Er wurde schwer verletzt. Keine Chance, zu entkommen, keine Chance, sich zu wehren. Gott sei Dank hat der Mann überlebt und später sogar sein gestohlenes Taxi wiederbekommen. Aber es hat Wochen gedauert, wieder auf die Beine zu kommen. Die körperlichen Schäden sind glücklicherweise wieder verheilt. Die seelischen noch lange nicht. Er fährt inzwischen wieder Taxi. Aber nicht mehr nachts, und immer mit einem ganz mulmigen Gefühl.

»Oh Mann, das tut mir leid.«

Leider passt dieses extreme Erlebnis genau in die Dramaturgie meiner morgendlichen Gedanken. Diese Respektlosigkeit, diese Gewalt, dieses Gegeneinander statt Miteinander verfolgen mich. Was soll man dem entgegensetzen?

Mittlerweile schweigen wir. Es ist kein peinliches Schweigen, mehr ein verstehendes. Manchmal ist Sprachlosigkeit die angemessene Reaktion.

Ich schaue aus dem Fenster. Hell erleuchtete Straßen. Berlin schläft selten. In vielen Fenstern brennt Licht. Die Bevölkerung macht sich bereit für den Tag. Oder ist das Licht hinter dem Fenster des vierten Stocks dort im Hochhaus vielleicht gar nicht erst ausgegangen? Liegt da eine schlaflose Nacht hinter einer alleinerziehenden Mutter, die nicht weiß, wie sie im nächsten Monat über die Runden kommen soll? Oder macht sich der Geflüchtete Sorgen, weil heute über Verbleib oder Abschiebung entschieden wird? So viele Schicksale, so viele Geschichten. Das überfordert mich gerade.

»Du kannst nicht die ganze Welt retten« – das stimmt. Und es ist schon schwer genug, sich um die eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Sich der Frage zu stellen, ob ich so, wie ich lebe, den eigenen Ansprüchen gerecht werde. Meine Gedanken wandern zu meinen drei Damen zu Hause, die noch behütet schlummern. Was für ein Privileg.

Wir sind am Flughafen angekommen. Ich blicke meinem Taxifahrer in die Augen und gebe ihm noch ein Trinkgeld. »Alles Gute, Mann! Pass auf dich auf.«

Dann schlendere ich zur Abflughalle, setze meine Kopfhörer auf und starte die Lieblingsplaylist. Max Herre und Joy Denalane singen im Duett. Und dann trifft sie mich, diese eine Zeile aus dem Song »Das Wenigste«: »Doch ist die Feindin der Liebe nicht die sich als Frieden verkleidende Gleichgültigkeit?« Ein Satz, eine Frage, die mich aufrüttelt und auf die Reise schickt. Auf die Suche nach echtem Respekt. Dieser Satz hallt nach und wird mich noch lange beschäftigen …

Schlimmer geht immer

Einige Monate nach dem Video zu dem erhaltenen Drohschreiben veröffentlicht Mohring wieder ein Video. In der Zwischenzeit ist viel geschehen: Mike Mohring hat bei der Landtagswahl in Thüringen nicht nur eine schwere Niederlage einstecken müssen. Es ist sogar noch schlimmer gekommen: Die Abgeordneten seiner Partei haben Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten gewählt – gemeinsam mit den Stimmen der AfD. Was für ein Tabubruch! Dass eine Mehrheit für den FDP-Mann durch Stimmen aus der AfD und der CDU zustande kommt, das war bis dato undenkbar! Es folgen Mike Mohrings Rapport in Berlin und ein Machtwort der Kanzlerin aus dem fernen Südafrika.

Am 14. Februar 2020, diesmal im schlichten schwarzen Hemd, ohne Krawatte, ist ein neues Video auf Mohrings Twitteraccount zu sehen. Er verkündet, dass er nicht wieder für den Parteivorsitz der thüringischen CDU antreten wird. Zu groß ist inzwischen der Gegenwind aus der Öffentlichkeit und der eigenen Partei. Die verlorene Landtagswahl und das sich anschließende Desaster um die Wahl des Ministerpräsidenten haben sowohl den politischen als auch den öffentlichen Druck auf Mike Mohring ins Unermessliche steigen lassen.

Ich mache kein Geheimnis draus, lieber Leser: Die ganze Entwicklung, der Skandal um das Verhalten Mohrings, hat mich stark darüber nachdenken lassen, das Beispiel des CDU-Politikers vom Beginn des Kapitels direkt wieder aus dem Manuskript zu streichen.

Ich habe mir die Frage gestellt: »Willst du wirklich mit so einem Typen dein Buch beginnen?« Und da war sofort der Impuls: »Nein, Tim, auf keinen Fall. Wenn jemand den Namen Mohring liest, denkt er an so einiges, aber ganz sicher nicht an Respekt. Der Typ taugt höchstens als Negativbeispiel.«

Doch irgendwie war das Thema für mich damit noch nicht gegessen. Obwohl ich es mir hätte einfach machen können: Ersetze Mike Mohrings Morddrohung durch die an Cem Özdemir! Oder die an Karamba Diaby, den SPD-Bundestagsabgeordneten aus Halle, auf dessen Bürgerbüro sogar geschossen wurde. Oder durch die an Dieter Spürck, den Bürgermeister von Kerpen, der nach Drohungen gegen seine Frau und Kinder nicht mehr für eine weitere Amtszeit kandidieren möchte. In Zeiten zunehmender Verrohung, sich häufender Morddrohungen und sogar Übergriffen auf Politiker mangelt es nicht an Auswahlmöglichkeiten. Leider.[3]

Doch macht man es sich da nicht zu einfach? Ist Mike Mohring jetzt eine Persona non grata, weil er sich politisch anders positioniert und entschieden hat, als ich das gerne hätte? Weil er eine schlechte Entscheidung getroffen hat? Wird eine Morddrohung dadurch weniger schlimm? Was ist mit meinem »Mehr Respekt, bitte!«?

Sie haben es ja selbst gelesen – ich habe den Einstieg so belassen. Denn es beschreibt mein persönliches Dilemma mit dem Thema. Respekt ist unbequem, weil er die Welt nicht einfach spielerisch leicht in Schwarz und Weiß aufteilt, sondern einen dazu zwingt, sich genauer mit Menschen und Sachverhalten auseinanderzusetzen, einen zweiten Blick zu wagen und Widersprüche auszuhalten. Und weil er manchmal auch unbequeme Entscheidungen nach sich zieht.

Respekt braucht Mut! Mut, mit Menschen zu reden, deren Meinung ich nicht teile, die aber trotzdem meinen Respekt verdienen. Mut, mit ihnen in die Diskussion zu gehen. Auf Augenhöhe. Mit einer klaren Meinung, aber auch der Offenheit, den Menschen hinter der auf den ersten Blick falschen Sichtweise zu sehen und mich zu fragen: Warum denkt der so?

Das ist gerade im politischen Bereich sehr heikel. Hier wird unheimlich viel verallgemeinert und in einen Topf geschmissen. Menschen spielen sich als moralische Instanzen auf und verurteilen andere für ihre Meinung.

Häufig denkt man: In der Politik ist die Einteilung in Gut und Böse doch eigentlich ziemlich einfach, oder!? Ich glaube: In manchen Dingen schon, aber in anderen eben nicht. Wir als Menschen haben die Verantwortung, das zu prüfen. Immer wieder. Als Journalist und Moderator werde ich nicht müde zu sagen, dass die Menschen Medien nicht einfach nur konsumieren dürfen, sondern Nachrichten und Co. als Informationsquelle und Anregung zum Selbstdenken verstehen müssen. Dafür, sich eine eigene Meinung zu bilden.

Ich selbst erliege auch immer wieder der Versuchung, eine vorgekaute Sichtweise einfach zu übernehmen. Und ich merke: Dieses Buch zum Thema Respekt ist auch eines über Mut. Über den Mut, aufrichtig zu sein und ehrlich durch die Welt zu gehen – und diese Ehrlichkeit auch von den Mitmenschen zu erwarten.

Es geht nicht darum, anderen zu sagen, was sein soll. Sondern um das Bewusstmachen der eigenen Verantwortung vor den Menschen und sich selbst. Um den Mut, nicht »Everybody's Darling« sein zu wollen und deshalb einfach der Meinung anderer zuzustimmen, je nachdem, in welcher Filterblase ich mich gerade befinde.

Für die ehemalige Siemens-Personalchefin Janina Kugel bedeutet Mut, »Entscheidungen zu treffen, die einen eventuell Mehrheiten kosten, aber dafür Reformen in Gang setzen«[4]. Oder, wie die Spitzenmanagerin und Volkswirtin wenig später in dem Interview weiter ausführt, »als Führungskraft Entscheidungen zu treffen, die einen ganz bestimmt nicht beliebter machen. Die einen eventuell Mehrheiten für viele andere Entscheidungen oder vielleicht sogar den Job kosten. Die aber trotzdem für das Unternehmen genau die richtigen Entscheidungen sein können. Es gab häufig in meinem Berufsleben Entscheidungen, bei denen ich gedacht habe: Jetzt bin ich mal gespannt, ob ich gefeuert werde, weil ich das entschieden habe.«[5]

Ich plädiere gewiss nicht dafür, immer an die Grenze und ans Äußerste zu gehen, aber was für Politikerinnen, Politiker und andere Führungspersönlichkeiten gilt, das gilt auch für Polizisten und Anwältinnen, für Fernfahrerinnen und Sachbearbeiter – und sogar für Moderatoren des ZDF. Einer von denen hat es sich mittlerweile auf Sitz 22A gemütlich gemacht und wartet auf den Abflug.

Das Hans-Insel-Prinzip

So stressig und früh der Morgen auch sein mag: Ich liebe die Zeit im Flieger. Gerade dann, wenn das Leben noch etwas gedämpft um die Ecke kommt und sich die Augen reibt. Wenn ich spüre, wie der Tag langsam hochfährt.

Die beste Zeit, um etwas Neues zu lernen oder sich wichtige Dinge einzuprägen, ist übrigens der Vormittag. Das sage nicht ich, sondern Steve Kay, Professor für Molekularbiologie an der University of Southern California. Unsere Körpertemperatur steigt nämlich kurz vor dem Aufwachen an, und mit ihr auch unsere Konzentration, unsere Aufmerksamkeit und die restlichen kognitiven Fähigkeiten.[6] Damit sich die Spätaufsteher nicht ausgegrenzt fühlen: Diese Fähigkeiten steigern sich bis zum Mittag. Also, keine Panik.

Wenn ich in den frühen Morgenstunden am Anfang einer ZDF-Moderationswoche über den Wolken schwebe, um von Berlin nach Mainz zu kommen, dann meine ich zu spüren, dass die Synapsen meines Gehirns besser funktionieren als sonst. Oder einfach entspannter sind.

Vielleicht ist es aber auch die Distanz zum harten Boden der Tatsachen, die mich mit dem Zeitpunkt des Starts in Tegel etwas befreit. Die knappe Stunde Flugzeit ohne Handy, Mails und Nachrichtenupdates verbringe ich damit, meinen Gedanken nachzuhängen, etwas zu lesen, was ich schon immer mal lesen wollte, oder einfach Musik zu hören.

Ich sitze unheimlich gerne am Fenster und schaue auf unsere Welt runter. Von oben betrachtet sieht die ganze Lage viel weniger bedrohlich aus. Hoffnungsvoller.

Eigentlich auch keine Überraschung. Manchmal muss man eben ein paar Schritte zurücktreten, um den Überblick zu bekommen, Atem zu holen. Einfach mal über den Dingen schweben. Das nimmt den Druck raus und macht offen für andere Perspektiven. Besonders hilfreich bei Problemen, die scheinbar unlösbar sind. Die wie festgefahren erscheinen. Wie die Sache mit dem Respekt.

Bei so einem Erkundungsflug der Gedanken habe ich etwas entdeckt, das mich jetzt vielleicht weiterbringt. Die Hans-Insel und ihre wunderbare Geschichte.

Dieses karge Prachtstück, einem überdimensionalen Schildkrötenpanzer gleich, liegt nördlich von Grönland. Die Insel ist gerade mal 1,25 Quadratkilometer groß und komplett graubraun. Nichts wächst auf ihr, und niemand lebt dort. Es ist einfach ein riesiger Stein. Die Insel liegt in der Arktis und ist benannt nach dem grönländischen Forscher Hans Hendrik. Das Besondere an ihr? Als man in den Siebzigerjahren die Grenze zwischen Kanada und Grönland zog, wurde sie keinem der beiden Länder zugeteilt. Da Grönland ein selbstbestimmter Teil des Königreichs Dänemark ist, streiten sich Kanada und Dänemark bis heute um die Hoheit über die Hans-Insel. Es ist ein regelrechter Krieg. Aber wohl der friedlichste, der jemals stattgefunden hat.[7] Denn beide Parteien begegnen sich ohne Waffen, Soldaten oder Kriegsschiffe. Immer wenn ein dänisches oder kanadisches Schiff auf der Insel vor Anker geht, wird die Fahne des eigenen Staates gehisst und die des anderen einkassiert. So viel Patriotismus muss sein. Und dann lassen sowohl Dänen als auch Kanadier alkoholische Getränke, leckere Spirituosen für den Gegner da. Es ist eine Art Spiel! Ein wertschätzender Konflikt, der beiden Parteien großen Spaß bereitet.

Den ersten »Angriff« dieser Art soll der damalige Grönland-Minister Dänemarks in den Achtzigerjahren gestartet haben. Er hat die dänische Flagge gehisst und eine Flasche Brandy danebengestellt.

Mittlerweile gibt es wohl auch wieder Verhandlungen zwischen den »streitenden« Ländern, aber ganz ehrlich: Ich hoffe, dass dieser respektvolle Kampf um die Insel noch ewig dauert. Ich finde diese Geschichte nämlich wunderbar! Weil sie so einen schönen und wohltuenden Gegensatz zu all den fiesen (Klein-)Kriegen und Konflikten darstellt, die sonst das Tagesgeschehen bestimmen. Klar, auf der Hans-Insel gibt es kein Erdöl oder andere Bodenschätze, um die es sich zu kämpfen lohnt, aber trotzdem zeigt mir diese kleine Geschichte, dass es nicht immer nur darum geht, den anderen zu übertrumpfen, kleinzumachen oder mit dem Ellbogen wegzudrängen. Nein, auch in einem Konflikt kann man das Gegenüber als Respektsperson wahrnehmen, ohne die eigenen Ideale, Meinungen und Absichten über Bord zu werfen.

Diese Geschichte macht mir Mut, auch in meinem kleinen Alltag an meiner Hans-Insel-Lebenseinstellung zu arbeiten und Konfrontationen einfach mit mehr Respekt, Humor und Kreativität zu nehmen. Ich nehme mir vor, stärker nach dem Hans-Insel-Prinzip zu leben.

Eine kleine Warnung vorab: Auch das ist kein Patentrezept und nicht auf alle persönlichen und globalen Krisen übertragbar. Aber es hat das Potenzial, in einigen Situationen Entlastung und vielleicht ja sogar Lösungen zu schaffen. Womöglich sogar in dem Klassiker unter den deutschen Streitereien: dem Zwist am Gartenzaun. Mein Gedankenerkundungsflug führt mich zu zwei fiktiven Nachbarn, die schon seit Jahren um die letzten Zentimeter der Grundstücksgrenze feilschen und sich einfach nicht einigen können. Die Situation ist festgefahren. Sie grüßen sich nicht mehr, schiefe Blicke wechseln von Terrasse zu Terrasse. Und das ist noch eine harmlose Variante deutschen Nachbarschaftsstreits.

Natürlich glaubt sich jeder der beiden im Recht. Und vielleicht ist die Sachlage ja auch wirklich nicht so klar und eindeutig. Bei den wenigsten Konflikten ist es ja so, dass der eine recht und der andere unrecht hat. Deshalb wäre es auch falsch, dass dann einer komplett zurückstecken muss und den Kürzeren zieht. Manchmal gibt es einfach eine unterschiedliche Sicht auf die Dinge, da sind die Konfliktpunkte eben schwierig gelagert, und dann ist es in jedem Fall besser, gemeinsam an einer Lösung zu arbeiten, statt loszubrüllen oder sich beleidigt in die Ecke zu stellen.

Also, wie wäre es, wenn einer der Nachbarn seinem Nebenmann einfach eine Flasche Rotwein vor die Tür stellt, dazu einen kleinen Zettel mit den Worten: »Als wir noch miteinander geredet haben, hast du diesen Tropfen immer gemocht« – und dann in bester Schülerstreichmanier einfach verschwindet? Was würde passieren?

Ohne empirische Überprüfung vermute ich mal, dass der Konflikt zumindest nicht weiter eskalieren würde. Eine schnelle Lösung ist natürlich auch nicht garantiert, siehe Hans-Insel, aber zumindest gibt es etwas Entspannung. Vielleicht nimmt der Nachbar das kleine Geschenk ja sogar zum Anlass für eine positive Rückmeldung und die Einladung zum Gespräch. Klar: Es gehören immer zwei zum Hans-Insel-Prinzip. Wenn der Nachbar stur bleibt, dann wird’s schwierig. Aber diesen ersten Move kann man sich wirklich gönnen. Nicht nur in diesem fiktiven Beispiel. Welche Situationen fallen Ihnen ein, wo Konflikte schon verkrustet sind und sich gar nichts mehr bewegt?

Der Gedanke vom Hans-Insel-Prinzip ist noch da, als wir in Frankfurt zur Landung ansetzen. Ein gutes Zeichen. Ich bin noch nicht bereit, die Hoffnung aufzugeben. Ich bewege den Gedanken weiter und muss direkt schmunzeln. Denn als das Anschnallzeichen im Flugzeug erlischt, erlebe ich gleich wieder die wenig respektvolle Ellbogengesellschaft. Im wahrsten Sinn des Wortes. Da wird ungeduldig um die besten Plätze am Handgepäckfach gekämpft. Vermeintlich zivilisiert, aber eben doch mit einem kleinen Knuff hier und einem »Weg abschneiden« da, immer begleitet vom empörten Schnaufen über die Dreistigkeit der Mitmenschen. Und all das, obwohl sich die Tür des Fliegers noch nicht mal geöffnet hat.

Ist das Hans-Insel-Prinzip nur bei langfristigen Konflikten hilfreich? Wenn es darum geht, in einer festgefahrenen Lage wieder Bewegung in die Auseinandersetzung zu bekommen? Oder kann das Prinzip auch in flüchtigen Konfliktsituationen wie dieser greifen? Wohl kaum. Ich muss zugeben: Es ist eher unrealistisch, dass die Fluggäste am Montagmorgen noch schnell ihre Pausenbrote tauschen und sich dann lächelnd mit einem »Heute Abend diskutieren wir dann weiter aus, wer jetzt wann sein Handgepäck zuerst nehmen darf« verabschieden. Zugegeben unpassend.