Rette sich, wer kann - Sven Böttcher - E-Book

Rette sich, wer kann E-Book

Sven Böttcher

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Beschreibung

Der Milliardenmarkt der Krankheitsbranche wächst und wächst - und damit auch die von ihr verursachten Verheerungen. Nach Krebs und Herzinfarkten stehen auf Platz drei der Exitus-Liste die von Ärzten und durch Medikamente verursachten Todesfälle. Sven Böttcher räumt gründlich auf mit unseren falschen Prämissen, korrigiert tödliche Wahrnehmungsfehler und zieht die Konsequenzen: Gesundheit und ein langes Leben sind jederzeit möglich. "Sven Böttcher hat als aktiver und informierter Patient in den Jahren seiner Krankheit mehr von der Medizin verstanden als die Mehrzahl der Ärzte in einem Berufsleben." (Dr. med. Gerd Reuther, Autor des SPIEGEL-Bestsellers "Der betrogene Patient").

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Seitenzahl: 356

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Ebook Edition

Sven Böttcher

Rette sich, wer kann!

Das Krankensystem meiden und gesund bleiben

Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-86489-713-9

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2018

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich

Inhaltsverzeichnis

Titel
Hinweis
Widmung
Zuerst
Wozu?
Patientenakte
Hilfe von außen
Unheil
Prämissen (defekt)
Krankheitsmaschine (intakt)
Ärzte
Spezialisten
Leitlinien
Forschung und Studien
Gemeinnützige
Mitpatienten
Big Pharma
Die zwei Gebote
Immunsystem (diskreditiert)
Die Zukunft
Heil
Operation gelungen …
Heilung
Gesundheit
Vorsorge
Sprache und Warnung
Anamnese vom Selbst
Zuletzt
Wozu?
Tod
Schmerzen
Probleme
Kummer
Erwartungen
Dank
Literaturliste
Grundsätzliches
Arzt, Patient und System
Pharmaindustrie
Ernährung
Nerven und Gehirn
Philosophie, Wissenschaft, Zahlen und mehr
Anmerkungen
Zuerst
Unheil
Heil
Zuletzt

Namen sind Schall und Rauch. Wer sich gelegentlich fragt, weshalb ich bestimmte Medikamente, Anbieter oder bewundernswert kreative BIP-Booster-CEOs nicht beim Namen nenne, findet im umfangreichen Anmerkungsapparat ausreichend Hinweise auf Kronzeugen, Whistleblower, Journalisten und Autoren, die mutiger sind als ich. Im Folgenden geht es indes nicht vorrangig um Grenzwert-oder-Leitlinien-Hinterm-Kommastellen, sondern um Grundsätzliches, daher sehe man mir nach, dass ich zugunsten der Stringenz meiner Argumentation ganz bewusst seitenweise Details in den Fußnoten verstaut habe, oftmals auch dort »nur« als Hinweise auf Jump- und Linkstationen sowie die ausführliche Literatur zu jedem der von mir angesprochenen Aspekte. Konstruktive Ergänzungen und Korrekturen hierzu sind mir wie in der Vergangenheit sehr willkommen, meine email-Adresse ist unter sven-boettcher.de oder erzähler.net leicht ausfindig zu machen.

Für Hinni (du fehlst) – und für Katharina (du leuchtest)

Unheil

Gesunde Menschen sind nur Kranke, die von ihrem wahren Zustand noch nichts wissen.

(Jules Romain)

Die Konsequenzen der institutionellen Medizin wirken zusammen und rufen eine neue Art Leiden hervor: anästhesiertes, ohnmächtiges und einsames Überleben in einer Welt, die sich in eine Krankenstation verwandelt.

(Ivan Illich)

Viele Menschen würden eher sterben als denken. Und in der Tat: sie tun es.

(Bertrand Russell)

Prämissen (defekt)

Anfang 2016 erreichte mich die Bitte einer Mitbetroffenen, ich möge ihr doch bei ihrer Ernährungsumstellung behilflich sein. Wie die meisten, die mir schreiben, hatte die Dame meine Ausführungen zur MS nicht gelesen, sondern mich nur im Fernsehen gesehen und aus meinem Weg Hoffnung geschöpft. Sie litt, wie sie mir schilderte, seit Kurzem an einer Fußheberschwäche, einem durchaus häufigen Problem MS-Erkrankter, und wollte nun von mir wissen, wie lange es etwa dauern würde, bis diese Schwäche sich wieder ganz zurückbildete, wenn sie sich ganz oder teilweise an die von mir angeregten Einschränkungen hielt – auf Milch und Kuchen würde sie allerdings nicht verzichten können. Zum Ende der langen Mail ergänzte sie der Vollständigkeit halber: MS sei bei ihr bereits vor 35 Jahren diagnostiziert worden, sie habe aber nie Beschwerden gehabt und sei inzwischen 74 Jahre alt. Ich konnte die Frage nicht beantworten. Das war unhöflich. Aber wenn ich ehrlich geantwortet hätte, wäre das noch unhöflicher gewesen.

Die meisten anderen Ratsuchenden erwarten nicht ganz so viel. Nur Einfachheit, Klarheit, bevorzugt: eine Zauberpille. Am besten eine mit viel Vitamin D3 drin, denn spätestens seit Dr. Coimbra1 hat ja fast jeder MS-Diagnostizierte schon mal gehört, dass dessen »Protokoll« einen wieder ganz gesund macht – und das Protokoll scheint ja nur aus Vitamin-D-Hochdosen zu bestehen. Man macht sich nicht sonderlich beliebt, wenn man darauf hinweist, dass das nicht stimmt. Dass zum einen allerhand geklärt werden muss, ehe man diese Therapieform wählt (ein Blick auf die Gene gehört auch dazu), zum anderen, wichtiger, dass es eben nicht nur um die Pille geht, sondern um ein Komplettprogramm – inklusive diverser Umstellungen und Veränderungen des Lebensstils. Viele sind enttäuscht, wenn man sie zart darauf hinweist. Denn wie die vierundsiebzigjährige Dame mit der Fußheberschwäche wollen sie zwar gern ihren Zustand wieder ändern, aber ungern sonst irgendwas. Weder in Sachen Lebensgestaltung noch in Sachen Ess- oder Trinkgewohnheiten, noch will man meditieren oder philosophieren, noch irgendwas lesen. Man will nur wissen, ob, nein, dass hochdosiertes Vitamin D, ohne Schnickschnack, ohne Extras, eine Pille jeden Morgen, die Lösung ist.

Ich falle daher oft bei Ratsuchenden oft jäh in Ungnade, hüte mich aber dennoch, anstrengend zu werden. Denn ich weiß ja nicht, wessen Zustand überhaupt beeinflussbar gewesen ist oder sein könnte durch den ganzen »aufwendigen Quatsch«, durch Philosophie, Meditation, Weglassen, Ernährungsumstellung sowie gezielte Nahrungsmittelergänzungen. Ich weiß nur, dass ich all dies versuchen würde. Weil ich es selbst so gemacht habe. Gründlich und kleinlich, weit über die Betrachtung der gängigen Laborwerte hinaus, um alle überhaupt denkbaren Ursachen auszumachen, und, notfalls unter Vernichtung meiner Ersparnisse, mittels 6 Monaten unbezahlten Urlaubs, Qigong und Stillsitzen – um meinem Körper bei der Selbstheilung zu helfen. Aber mir ist bewusst, dass die meisten das als Zumutung empfinden.

Die vierundsiebzigjährige Dame ist eben beileibe nicht allein mit ihrem Erwartungsproblem, auch wenn sie nach meinem Dafürhalten an einer besonders schweren Form leidet. Die leichtere Erwartungserkrankung hingegen ist weit verbreitet und förmlich chronisch: Man geht zum Arzt, der Arzt verschreibt einem was, meist ein Medikament, und dann wird man wieder gesund. Ohne Arzt und ohne Verschreibung geht das nicht, schon gar nicht kann der eigene Körper so etwas: wieder heil werden – ohne ärztliche Verschreibung.

Wir Deutschen sind in der Hinsicht ungeheuer konsequent. Bis zu neun Millionen von uns sitzen jeden Montagmorgen in den Praxen der Republik2 und warten auf unsere 380 000 Ärzte, niedergelassene wie klinikangestellte.3 Jederzeit liegt eine halbe Million von uns im Krankenhaus, etwa 20 Millionen werden alljährlich stationär behandelt.4 Sofern wir also davon ausgehen, dass man nur zum Arzt geht, wenn man krank ist – und wieso denn sonst? –, sind wir das mit Abstand krankste Volk der Welt. Aber trotz unserer Rekordversorgung mit Medizinern und Medizin sinkt unsere Lebenserwartung5 – die ohnehin deutlich kürzer ist als die Lebenserwartung unserer schlechter mit Ärzten versorgten Nachbarn: Spanier, Franzosen oder Italiener leben im Schnitt drei Jahre länger als wir.6 Dabei fällt im internationalen Vergleich überdies auf, dass die Prognose für die »krankheitsfreien Jahre« jenseits des fünfzigsten Geburtstags in Deutschland verblüffend schlecht ist: Wir sterben nicht nur früher als unsere Nachbarn, wir sind auch auf dem letzten Stück des Wegs deutlich angeschlagener7. Unsere Jahr für Jahr zahlreicher werdenden Ärzte scheinen mithin so ganz und gar nichts dazu beitragen zu können, dass sich diese Tendenz umkehrt – und sich dank Ihres Wirkens längeres Leben oder zumindest mehr Gesundheit einstellt. Ganz im Gegenteil: Wir werden immer kränker, und die »Schere zwischen Behandlungsbedarf und Behandlungskapazitäten [öffnet sich] immer weiter«, so Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, der Präsident der Bundesärztekammer. Wir kommen gleich ausführlicher auf Böcke, Gärtner und Milchmädchen zurück.

Für unsere durchschnittlich 18 Arztbesuche pro Jahr bezahlen wir Deutschen nun obendrein, anders als alle anderen Erdenbürger, keinen Cent. Jedenfalls nicht selbst, nicht aus eigener Tasche. Wir sehen nie eine Rechnung. Anders als in allen anderen Ländern der Welt, in denen man zumindest in Vorlage gehen und sich das aufgewendete Geld von einer Krankenkasse ganz oder teilweise erstatten lassen muss, wird all dies hierzulande von unsichtbaren Händen im Hintergrund geregelt. Man behelligt uns nicht damit, dass die Leistungen des Arztes und die von ihm verschriebenen Medikamente Geld kosten. Viel Geld.

Auf wie viele unserer durchschnittlich 18 jährlichen Arztbesuche würden wir verzichten, wenn wir sie aus eigener Tasche bezahlen müssten? Oder die Summen auch nur auslegen und uns zurückholen müssten von unseren Kassen? Auf durchschnittlich 9? Oder doch eher auf durchschnittlich 15?

Und auf wie viele, wenn wir wüssten, dass unsere Prämisse betreffend die Ziele der Gesundheitsmaschine falsch ist: die Idee, das »Gesundheitswesen« wolle uns nützen? Auch wenn Einzelne (Ärzte) darin genau dies bestimmt wollen: Das Wesen, weniger Gesundheits- als Krankheitswesen, kann dies nicht wollen und nicht zulassen. Und »es« meint das gar nicht böse. Oder persönlich.

Es besteht also kein Anlass, sauer zu werden. Nicht auf unsere Ärzte. Und schon gar nicht auf die Pharmaindustrie. Wir müssen uns nur klarmachen, mit wem wir es zu tun haben.

Krankheitsmaschine (intakt)

Ohne florierendes Krankheitssystem würde die deutsche Wirtschaft wohl umgehend zusammenbrechen, denn die Gesundheit unseres alles entscheidenden Wachstumsindikators, des Bruttoinlandsprodukts (BIP), hängt maßgeblich davon ab, dass es immer weniger Gesunde gibt und immer mehr Kranke. Wer das merkwürdig findet, vergegenwärtige sich, dass das irreführend so genannte »Gesundheitswesen« seit 1950 von einem 2-Milliarden-Geschäft zu einer 350-Milliarden-Maschine8 eskaliert ist, deren Umsätze 12 Prozent des BIP ausmachen und die mit etwa 5,5 Millionen Beschäftigten9 fast jeden sechsten Arbeitsplatz in Deutschland stellt.10 Nicht einberechnet sind hierbei Zulieferer, Handwerker, Beschäftigte der »Wellnessbranche« sowie Heilpraktiker, Homöopathen und alle nicht behördlich als Gesundheitsdienstleistende anerkannten Behandler.11 Zählte man all diese und ihre Leistungen hinzu, betrüge der BIP-Anteil des Krankheitswesens wohl zwischen 15 und 20 Prozent.

Die explodierenden Kosten des Krankheitssystems bereiten daher auch dem zuständigen Gesundheitsministerium nicht etwa Sorgen, sondern lösen regelrechte Begeisterungsstürme aus. Die alljährlichen Berichte preisen in den höchsten Tönen den »Beschäftigungsmotor«,14 die »Wachstumsbranche auf Erfolgskurs«,15 deren »durchschnittliche Bruttowertschöpfung« mit »3,5 % deutlich schneller wächst als die Gesamtwirtschaft«, und man spart auch nicht mit Exportweltmeister-Lob für den erklecklichen Außenhandelsüberschuss der Branche (21 Milliarden Euro im Jahr 2014).16 Verständlicherweise findet sich in öffentlichen Verlautbarungen nicht der leiseste Hinweis darauf, dass all dieses Wachstum vor allem bedeutet, dass die Leute nicht direkt gesünder werden, aber das wäre ja auch gar nicht gut. Im Gegenteil: Zunehmende Gesundheit wäre alarmierend für das Gesundheitsministerium, bedeutete sie doch abnehmendes Wachstum oder gar eine Schrumpfung des so überaus erfolgreichen Sektors. Anlass zur Sorge besteht aber diesbezüglich offenkundig nicht.

Über die (vordergründig) dramatischen Fehlentwicklungen in unserem Krankheitssystem haben nun in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von Whistleblowern und Aufklärern, meist Experten mit medizinischem Hintergrund, kluge und schockierende Bücher vorgelegt. Eine kommentierte Literaturliste finden Sie im Anhang, sofern Sie Interesse an Mafia- und Horrorgeschichten haben, werden Sie dort garantiert fündig. Allerdings hält sich das Publikumsinteresse an diesen Büchern in Grenzen, denn selbst wenn einige Titel kurzzeitig auf der Bestsellerliste stehen, bedeutet das nicht, dass plötzlich Unmengen Leute ihre Nase in ihre eigenen Angelegenheiten stecken. Ein temporärer Platz 15 in der Spiegel-Liste bedeutet nur, dass von 82 000 000 Deutschen den für sie so lebenswichtigen Stoff nicht gelesen haben: circa 81 980 000.

Aber auch wer keines dieser dicken Bücher liest, bekommt ja immer wieder mal am Rande etwas mit von den frischen Skandalen der Pharmaindustrie oder erfährt, dass unsere Krankenhäuser sich in privat betriebene Shareholder-Profitmaschinen verwandelt haben. Gerade dieses Wissen aber – so viele Skandale sind längst von klugen Menschen aufgedeckt und veröffentlicht, niemand muss noch Wikileaks bemühen, um alle Fakten, frei von »Verschwörungstheorien«, zu erfahren – führt uns kognitiv aufs Glatteis. Denn wir sind ja nicht im Wilden Westen, sondern in der Zivilisation – und wenn all diese »Ermittler« Skandale offenlegen, gehen wir doch unausgesprochen, selbstverständlich davon aus, dass sich um diese Schweinereien schon jemand kümmern wird.

Wenn Peter Goetzsche belegt, dass in den USA jedes Jahr zwischen 210 000 und 250 000 Menschen17 an ärztlichen Behandlungen und an vorwiegend verschreibungsgemäß eingenommenen Medikamenten sterben (iatrogene18 Todesfälle), und wir davon ausgehen können, dass die gleiche Zahl an europäischen Opfern hinzukommt19 (sowie ein paar weitere Millionen nicht Tote, aber iatrogen Verstümmelte und chronisch Erkrankende), ist das ein Riesenskandal, ein unfassbares Drama. Eine knappe halbe Million Todesopfer im zivilisierten Norden? Pro Jahr? Verursacht nicht etwa durch »Kunstfehler« oder falsch eingenommene Mittel, sondern durch vorschriftsgemäßes Handeln von Arzt und Apotheker? Undenkbar, das kann nicht sein. Wäre das so, liefen doch jeden Abend zur besten Sendezeit Brennpunkte in allen Programmen, bis diese Epidemie historischen Ausmaßes besiegt und verschwunden ist. Diesen Massenmord müsste, würde doch sofort jemand abstellen. Nämlich unsere Behörden, unsere Regierung. Irgendwer, den wir doch genau dafür eingesetzt haben und bezahlen, dass er uns vor Betrug und Missbrauch schützt – erst recht aber vor Verstümmelung und Ermordung, also: unsere körperliche Unversehrtheit. Denken wir.

Und so denken wir auch, wenn wir ein halbes Jahr nach der jüngsten uns zu Ohren gekommenen Skandalmeldung zum Arzt gehen, darum werde sich ja wohl in der Zwischenzeit jemand gekümmert haben. Hat aber keiner. Und das liegt nicht daran, dass das System versagt hätte. Es liegt daran, dass das System funktioniert.

Ben Goldacre konstatiert zutreffend, stellvertretend für so viele Kritiker: »Medicine is broken«20 – die Medizin ist kaputt. Aber die Medizin, das Krankheitswesen, ist eben kein Sonderfall, keine kaputte Insel, denn sie gehorcht höheren Systemgesetzen. So hat Spezialist Goldacre recht, springt aber doch zu kurz und erweckt gar, wie alle Kämpfer für die Gesundheit, den Eindruck, man könne die kaputte Medizin reformieren, ohne den Rest des Systems zu reparieren. Das ist falsch.

Unser Krankheitssystem ist eingebettet in einen größeren Zusammenhang. In diesem Zusammenhang gilt das erste Gebot von Kanzlerin Merkel: »Ohne Wachstum ist alles nichts.« Droht in diesem System eine wachstumstreibende Branche wie die Autoindustrie, die deutlich kleiner ist als die Gesundheitsbranche, durch innere oder äußere Faktoren gebremst zu werden, greift man daher notfalls sogar zu radikalen Maßnahmen und beschließt auf Kosten aller eine Schrottprämie. Gerät das Bankwesen unter Druck, rettet man es per Bail-out. Und kommt ein Schlaumeier auf die Idee, »geldwerte Leistungen« einfach nachbarschaftlich über den Gartenzaun zu verschenken – was fürs BIP reines Gift ist –, ändert man die Steuergesetze.

Das Krankheitswesen, fest eingebettet in dieses größere System, will und muss wie alles andere wachsen. Aber während das Weiterwachsen beispielsweise der Autoindustrie »nur« bedeutet, dass wir uns auf Teufel komm raus alle paar Jahre ein neues Auto kaufen müssen, bedeutet Wachstum in der Krankheitsbranche: mehr Kranke. Was also Goldacre, Goetzsche und alle anderen Aufklärer beschreiben, ist nicht das Versagen des Systems, sondern seine gewünschte Funktionsweise, sein Triumph.

Die Krankheitsmaschine läuft – wie gewünscht, wie geschmiert. Wir müssen uns nur klarmachen, was das bedeutet: dass das Ziel der Maschine eben nicht dasselbe ist wie unseres, sondern das genaue Gegenteil. Denn je gesünder wir sind, desto schlechter geht es der Maschine. Je kränker wir sind, desto besser geht es der Maschine. Alles, was medizinisch vernünftig wäre, rasche Gesundung beförderte und chronische Krankheit vermiede, ist daher schlicht geschäftsschädigend – und schlecht fürs BIP. Deshalb behandelt die Maschine nicht Kranke, sondern Krankheit, deshalb ist ihr Produkt nicht Gesundheit, sondern der Kranke – und wir sind in diesem System lediglich Brennstoff, nicht etwa Reiseteilnehmer. Deshalb honoriert das System jeden Zuwachs an Krankheit, nicht an Gesundheit. Das Interesse dieser Maschine an Gesunden ist gleich null. Die oben beschriebene Iatrogenik trifft hier auf verhängnisvolle Weise mit dem »Prinzipal-Agent-Problem« zusammen, das auftritt, »wenn eine Seite (der »Agent«, der Beauftragte) persönliche Interessen verfolgt, die mit den Interessen desjenigen, der seine Dienste in Anspruch nimmt (des »Prinzipals«, des Auftraggebers), nicht übereinstimmen.21

Wir tun uns indes schwer, das einzusehen. Die Unzähligen, die ihren Lebensunterhalt mit Krankheit verdienen, sind wohl entschuldigt, denn Upton Sinclairs Wort gilt weiterhin: »Ein Mensch lässt sich schwerlich bewegen, etwas zu verstehen, wenn sein Gehalt davon abhängt, dass er es nicht versteht.«22 Aber auch alle anderen, die nicht von Kranken leben, geraten hier kognitiv in schwere Dissonanz – unsere Ratio kollidiert mit unseren festen Überzeugungen: Das kann doch gar nicht sein, der Kranke als Benzin, nicht als Passagier? Das wäre doch … krank. Und unanständig. Und überhaupt, das ist doch gar nicht wahr, es steht doch »Gesundheitssystem« drauf, nicht »Krankheitssystem«. Es ist beeindruckend, wie gründlich wir uns von Worten, von »Neusprech« in die Irre führen lassen, ebenso beeindruckend wie die Marketing­arbeit der Krankheitsindustrie. Könnte die Autobranche ebenso perfekt Gehirne waschen, wären wir alle heute felsenfest davon überzeugt, VW und Co. arbeiteten rund um die Uhr an der Abschaffung von Straßen.

Zur Auflösung dieser unangenehmen inneren Dissonanz stehen uns nun mehrere Wege offen, die bequemsten und meistgewählten sind: Herunterspielen, Nichtwahrnehmen und selektives Weglassen von Informationen, also die Beibehaltung der ursprünglichen Überzeugung. Verständlicherweise, denn der andere Weg zur Auflösung der Dissonanz wäre eine Anpassung des eigenen Verhaltens an eine neue Überzeugung. Und das ist nicht nur mühsam und unangenehm, es verheißt auch Frustration, da ja der Einzelne nicht das Gesamtsystem verändern kann. So resultiert aus der traurigen Erkenntnis, dass das System primär sich selbst dient und nicht dem Erkrankten, nichts sonderlich Zielführendes: Zwar kann man diesen Zustand beklagen oder doof finden oder empörend – als interessierter Bürger, als Weltverbesserer, als Mensch –, aber mangels Verbündeter kann man ja offenkundig nichts daran ändern. Und wer wollte sich freiwillig selbst dauernd frustrieren? Zumal ja die Funktionsweise des Systems, solange wir gesund sind, nicht lebensgefährlich ist – jedenfalls nicht für uns selbst. Erst wenn wir selbst zu Patienten werden, wenn wir uns doch selbst an das System wenden (müssen), weil wir krank sind oder uns krank fühlen, wird es heikel. Daher müssen wir uns als Patienten in spe – selbstschützend – von ein paar weiteren Illusionen verabschieden.

Primär müssen wir uns von der Prämisse verabschieden, unsere Ärzte, Behandler, Krankenkassenmitarbeiter, Krankenhausbetreiber, Medikamentenhersteller, Forscher müssten ein Interesse daran haben, uns gesundzumachen. Haben sie aber nicht – und zwar nicht, weil sie schlechte Menschen wären, sondern weil sie an unserer Gesundheit kein Interesse haben können. Weil das System sie bestraft, wenn sie unsere Gesundheit fördern. Das heißt: Es wird ihnen systematisch ungeheuer schwer gemacht, unsere Gesundheit überhaupt befördern zu wollen. Verfolgen sie dieses Interesse ernsthaft, müssen sie waghalsige Helden sein, mutige Gutmenschen reinsten Wassers, denn in diesem Fall setzen sie sich der Gefahr aus, pleitezugehen, ihren Arbeitsplatz, ihre Approbation zu verlieren oder gar vor Gericht zu landen.

Diese Konstruktion ist nur konsequent. Denn da Gesundheit dem BIP schadet, ist Selbstheilung gänzlich unerwünscht. Wer nicht zum Arzt geht, schadet dem BIP. Wer andere Menschen heilt, und zwar so, dass sie dem System gesundet fernbleiben, schadet dem BIP. Wer innerhalb des Systems versucht, Gesundheit herzustellen, schadet dem BIP, wird ausgestoßen und verliert seine Lebensgrundlage. Wer von außen versucht, Gesundheit herzustellen, bedroht das Einkommen derer, die vom System leben. Und wird zum Paria, denn er wendet sich, mehr oder weniger frontal, gegen das erste Gebot, gegen das Dogma: »Ohne Wachstum ist alles nichts.« Wer hier »Abwarten und Weglassen« empfiehlt, ist aber nicht nur ein Saboteur, sondern auch naiv.

Ich bekenne mich schuldig. Doppelt. Gestatten Sie mir, das sogar zwei Seiten lang zu belegen. Mit Masochismus hat das nichts zu tun, es dient nur – hoffentlich – der Unterstreichung des Gesagten.

Nachdem ich mit den Quintessenzen kurz auf der Spiegel-Bestsellerliste stehen durfte und notgedrungen die Gratis-Fibel MS für Anfänger ins Netz gestellt hatte, meldeten sich der ebenfalls an MS erkrankte und umfassend über die Krankheit informierte Diplomingenieur Anno Jordan und sein Wegbegleiter Professor Jörg Spitz23