Rettet die Nacht! - Mathias R. Schmidt - E-Book
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Rettet die Nacht! E-Book

Mathias R. Schmidt

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  • Herausgeber: Riemann
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

Licht braucht Lenkung!

Der Wechsel von Tag und Nacht ist einer der wichtigsten Taktgeber des Lebens. Doch unsere Nächte sind nicht mehr wirklich dunkel, und das stört das fein justierte System der Rhythmen von Menschen, Pflanzen und Tieren. Dies hat gravierende gesundheitliche und ökologische Folgen. Doch worin liegt die Kraft der Dunkelheit, warum hat sie uns schon immer fasziniert? Welche Beschwerden sind auf Lichtverschmutzung und gestörten Schlaf zurückzuführen? Und wie reagieren biologische Systeme, wenn die Dunkelheit fehlt? Die gute Nachricht: Dieses Umweltproblem lässt sich lösen, wenn man künstliches Licht richtig einsetzt.

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Seitenzahl: 281

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1. Auflage

Originalausgabe

© 2016 Riemann Verlag, München

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Lektorat: Ralf Lay, Mönchengladbach

Umschlaggestaltung: Martina Baldauf, herzblut 02

Umschlagmotiv: istockphoto / Victoria Awacumova

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-18069-0V001

www.riemann-verlag.de

Inhalt

Prolog

Vorwort: Die Nacht retten?

I. Die Geister, die wir riefen:Natürliche Rhythmen und Lichtverschmutzung

Die Nacht schenkt Kraft: Der Wert der Dunkelheit für unsere Gesundheit

Pulsschlag des Lebens: Der ewige Wechsel zwischen Tag und Nacht • Chronobiologie macht Schule • Tagmenschen und Nachtschwärmer • Unsere zahlreichen »inneren Uhren« • Chronobiologische »Betthupferl« • Schlaf – Das große Geschenk der Nacht • Schicht im Schacht • Zum Schlafen gehört Träumen • Alles hat seine Zeit – auch die Organuhr • Chronobiologie und Ernährung

Vom Kienspan zum Flutlicht: Die Entwicklung des künstlichen Lichts

Harzholz und Fackel • Öllampe und Kerze • Der erste Meilenstein: Gaslaternen • Der zweite Meilenstein: Elektrisches Licht • Wettstreit der Erfinder • »Hell wie Osram« • Siegeszug des Lichts

»Eine wichtige Naturerfahrung droht verlorenzugehen« – Im Gespräch mit dem Astronom Dr. Andreas HänelDie Menschen und der Sternenhimmel

Frühe Himmelsbeobachtung • Das Ende des geozentrischen Weltbilds

Die Nacht ist voller Vitalität: Die Bedeutung der Dunkelheit für Tiere und Pflanzen

Kunstlicht als Störsender und tödliches Hindernis • Lichtscheue Nützlinge: Fledermäuse • Licht lockt in die Falle: Insekten • Auch Gewässerbiotope brauchen die Nacht. 

»Zum Teil fatale Konsequenzen« – Im Gespräch mit dem Biologen Dr. Franz Hölker

II. Im Bann der Dunkelheit:Die Nacht als Quelle der Inspiration

Licht und Dunkel in Glaube und Aberglaube: Von der Göttin der Nacht bis zum Rhöner Stallknecht

Abbild des Chaos: Die Nacht in der antiken Mythologie • Das Leben fällt vom Himmel • Die Nachtgöttin der Germanen • Die Nacht in Juden- und Christentum • Jesus als »Licht der Welt« • »Geisterstunde« – Die Nacht im Volksglauben

Nachtgedichte:»Trägt nicht alles, was uns begeistert, die Farben der Nacht?«

Minne und Mond – Vom Mittelalter bis zur Klassik • Die Romantik als »Epoche der Nacht« • Lyrische Nachtgedanken in Aufbruchszeiten • Die Nacht als gefallener Engel • Zeitgenössische Nachtlyrik

Nachtmusik und Nachtmalerei: »Lichtblickenach Noten«

Serenaden und mehr • Gemalte Momentaufnahmen • Neue Malmethoden machen Furore

Die Dunkelheit einfangen: Das Nachtmotiv in Film und Populärkultur

Spiel mit dem Licht: Die Abbildung der Nacht aus technischer Sicht • »Erzähl mir von der Nacht« • Neue Nachtgestalten: Gothic Horror, Expressionismus und Film noir 196 • Als die Monster laufen lernten

III. Einleuchtend: Licht braucht Lenkung

»Ein prachtvoller Sternenhimmel erfreut die Seele«: Im Gespräch mit Sabine Frank, Koordinatorin des Sternenparks Rhön

Lokaltermine: Kunstlicht »unter der Lupe«

Kommunen • Das »himmlische Licht« der Kirchen • Handel und Gewerbe • Hausbesitzer

»Unser Hauptgegenspieler ist die Unwissenheit«: Im Gespräch mit Dr.-Ing. Matthias Engel

Epilog: Es gibt keine Ausrede

Dank

Anhang

Tipps

Weiterführende Links

Literatur

Anmerkungen

Prolog

Es ist ein Gefühl völliger Freiheit. Dennoch ist er angespannt. Obwohl er das rasende Tempo nicht spürt, denn er kann sich an nichts orientieren. Um ihn herum ist nur Finsternis und Unendlichkeit.

Der kleine Lichtbringer kennt nicht den Namen seines Heimatsterns. Niemand hat ihm gesagt, dass sich seine Reise von einem fernen Punkt unserer Milchstraße über ganze 431 Lichtjahre erstrecken wird. Auch weiß er nicht, wohin er unterwegs ist. Nur, dass er Licht bringen wird: zur Freude aller, die es sehen. Das ist seine Bestimmung.

Da – plötzlich ein gelber Lichtpunkt, der rasch größer wird. Niemand erklärt ihm, dass er ins Sonnensystem eintaucht. Er ist viel zu beschäftigt damit, all den Kleinplaneten, Asteroiden und Gesteinsbrocken auszuweichen.

Dann weckt etwas anderes seine ganze Aufmerksamkeit. Ein winziger Punkt, der bald in einer Farbe strahlt, die er noch nie gesehen hat. Das ist mein Ziel, denkt er. Er freut sich an den weißen Tupfern, die sich gemächlich auf der leuchtenden Fläche bewegen. Auch wenn ihm niemand sagt, dass es Wolken über dem Meer sind.

Dieser Planet da vor ihm ist auf der einen Seite hell und auf der anderen dunkel. Obwohl ihn gerade die leuchtende Seite begeistert, sagt ihm eine Stimme in seinem Inneren, dass er auf die dunkle zuhalten muss. Wer Licht bringt, braucht die passende Kulisse.

Doch was ist das? Vor ihm Abertausende von hellen Punkten, die sich rasch zu großen Flächen ausweiten. Wer ist ihm da zuvorgekommen?

Der kleine Lichtbringer kann den Kurs nicht mehr ändern. Das Leuchten wird immer gewaltiger. Wie soll ich hier gesehen werden, fragt er sich erschrocken, wer braucht hier noch mein Licht?

Und das sind auch schon seine letzten Gedanken, bevor er im grellen Lichtschein eines Scheinwerfers versinkt. Niemand nimmt ihn wahr.

Die lange Reise war vergebens.

Die Nacht retten?

Die Nacht ist etwas ganz Besonderes. Sie ist die verkannte Stiefschwester des Tages, seine geheimnisvolle dunkle »Schattenseite«.

Wie ein Mann seine Frau augenzwinkernd als »bessere Hälfte« bezeichnet, so würden die meisten von uns diesen Begriff auf die kosmische Tag-Nacht-Beziehung übertragen und sofort ohne jede Spur von Ironie dem hellen Tag zuordnen. Schließlich ist er es, der von unserem Wachbewusstsein durchdrungen ist, der oft randvoll angefüllt ist mit Aktivitäten jedweder Art und mit dem wir »das Leben« schlechthin verbinden. Doch ebendiese zuweilen überbordende Betriebsamkeit lässt in den Hintergrund geraten, dass auch und gerade die Nacht – von uns meist unbemerkt – auf ganz eigene Weise »aktiv« ist, und das nicht nur bezogen auf die Tier- und Pflanzenwelt. Auch das menschliche Gehirn arbeitet in dieser sonnenabgewandten Phase mit hoher Effizienz, und unsere Organe durchlaufen ihre überlebenswichtigen nächtlichen Zyklen.

Es ist Zeit, sich dessen endlich wieder bewusst zu werden. Die Nacht ist nicht einfach »die Kehrseite der Medaille«, sondern gleichwertiger Partner des Tages. Erst der ständige Zyklus von Tag und Nacht macht das lebensbestimmende Auf und Ab, die komplex miteinander vernetzten biologischen Rhythmen, bis in die kleinste Zelle unseres Körpers möglich. Kein Tag ohne Nacht, kein Licht ohne Dunkelheit – und damit auch kein Pulsschlag des Lebens.

So missachten wir das große Geschenk der Nacht, den Schlaf, mit seinen für die Gesundheit unverzichtbaren Regenerations- und Reparaturmechanismen, wenn wir ihm oft genug zu wenig unserer ach so kostbaren Zeit einräumen. Und wir machen die Nacht auch im technischen Sinne zum Tage. Nämlich dann, wenn wir das heilende Potenzial der Dunkelheit für Mensch und Tier ausblenden, indem wir die facettenreiche dunkle Partnerin des hellen Tages, wo es nur geht, technisch aufhellen und ausleuchten.

Der vermeintliche Sieg über die Nacht hat einen hohen Preis. Dafür hat man den Begriff »Lichtverschmutzung« (light pollution) geprägt. Lichtsmog »vernebelt« aber nicht nur Sternenfreunden die Sicht. Die damit verbundenen schwerwiegenden ökologischen Folgen lassen sich nicht so einfach zur Seite schieben. Sollten Sie sich dennoch fragen, ob uns Menschen das im Grunde nicht egal sein kann, so ist die Antwort ein klares »Nein!«.

Falsches Licht am falschen Ort bringt das natürliche Gefüge durcheinander, tötet Jahr für Jahr Millionen Zugvögel und Abermilliarden Insekten. Der zunehmende Verlust der Nacht hat aber auch gravierenden Einfluss auf unsere menschliche Gesundheit, was die junge Wissenschaft der Chronobiologie eindrucksvoll belegt.

Doch die Nacht – das ist noch viel mehr. Immer schon haben uns diese »dunkle Seite des Tages« und ihr Sternenhimmel berührt. In allen Kulturen zog die Mystik der Nacht in ihrer Ambivalenz Menschen in ihren Bann, hat sie geängstigt, verzaubert, inspiriert – und ist damit zu einem prägenden Motiv der Kulturgeschichte geworden. Auch heute noch können uns die intuitives Wissen vermittelnden Bilder aus uralten Mythen und Theogonien, aus Brauchtum und Dichtkunst, aus Malerei sowie dem neueren Medium Film von großem Wert sein. Helfen sie uns doch dabei, Wege zu finden aus der alltäglichen Geschäftigkeit unserer Burn-out-geprägten Zeit hin zu mehr innerer Balance, die viele von uns so bitter nötig haben.

Es ist noch gar nicht so lange her, dass wir unser Umfeld statt mithilfe moderner Hightech-Systeme mit Kienspan und Kerze erhellten. Können wir mit der technischen Entwicklung, die uns zweifelsohne eine große Menge an Vorteilen gebracht hat, überhaupt noch mithalten, oder hat sie uns im Grunde schon überholt? Anders gefragt: Was können wir tun, um Licht und Dunkel so auszubalancieren, dass es dem vielfältigen Miteinander sowohl moderner als auch uralter Lebenssysteme auf dieser Erde besser gerecht wird?

Doch, es gibt einen Weg: Holen wir die Nacht aus dem Schatten, räumen wir ihr in unserem Bewusstsein den Platz ein, den sie verdient – retten wir sie!

Wir laden Sie ein zu einer Reise durch das Dunkel der Nacht. Ihre Sinne werden sich schnell an die Gegebenheiten anpassen und sich vielfältigen Eindrücken öffnen. Und wenn Sie es zulassen, auch Ihre Seele.

Tanja-Gabriele und Mathias R. Schmidt,

im Sommer 2016

I. Die Geister, die wir riefen

Natürliche Rhythmen und Lichtverschmutzung

Die Nacht schenkt Kraft: Der Wert der Dunkelheit für unsere Gesundheit

Pulsschlag des Lebens: Der ewige Wechsel zwischen Tag und Nacht

Unser Leben unterliegt dem Rhythmus von Tag und Nacht. Das gilt in unserer Hightech-Welt noch genauso wie zu vorgeschichtlichen Zeiten. Der tägliche Wechsel von Hell und Dunkel ist für uns so selbstverständlich, dass wir kaum einen Gedanken daran verschwenden, wie er eigentlich zustande kommt:

»Wir stellen uns gerne vor, dass sich die Dunkelheit über das Land legt oder dass sie fällt, als handle es sich um Schnee. Tatsächlich aber steigt Dunkelheit vom Osten her auf und ergießt sich über Land und Wasser, wenn die Erde der Sonne den Rücken zukehrt. Wer jemals den Anbruch der Nacht draußen in der Natur erlebt und zugesehen hat, wie sich die Abenddämmerung über dem östlichen Horizont zusammenballt, als seien es Sturmwolken, der hat den Kernschatten unserer Erde gesehen, in den wir uns hineindrehen. Was wir ›Nacht‹ nennen, ist die Zeit, in der wir in diesem Schatten gefangen sind – ein Schatten, der sich in den Weltraum erstreckt, als sei er die Waffeltüte, auf der die irdische Eiskugel sitzt, nur hundert Mal höher als breit, ihr Scheitelpunkt 860000 Meilen über uns. Die Morgendämmerung setzt ein, wenn sich die Erde aus dem Kernschatten wieder in die direkte Sonneneinstrahlung hineindreht.«1

Dieses Auf und Ab von Tag und Nacht gibt es, seitdem die Erde rotiert – und damit seit mehr als drei Milliarden Jahren. Alles Leben hat sich daran angepasst. Auch wenn entscheidende Faktoren, etwa die sehr langsam größer werdende Erdrotation, sich auf lange Sicht verändern, war und ist der Tag-und-Nacht-Turnus seit Generationen für alle Lebewesen eine wichtige Konstante. Und wenn wir in den vergangenen Jahrzehnten eins gelernt haben, dann dieses: Wo wir Menschen durch unser Handeln Grundprinzipien unseres Planeten stören oder gar verändern, rächt sich das.

In unserer heutigen ganznächtlich beleuchteten Welt wird uns oft gar nicht mehr bewusst, wie krass der Wechsel zwischen Tag und Nacht eigentlich ist. Die Beleuchtungsstärke im sichtbaren Spektralbereich misst man in Lux (lx). Ein sonniger Tag bringt Werte von über 100000 Lux. Das ist auch in etwa die Grenze, für die unsere Augen ausgelegt sind. Im Schatten gemessen, erreicht die Beleuchtungsstärke der Sonne auf der Erde selten mehr als 10000 Lux – und das ist immer noch viel, wenn man bedenkt, dass eine Schreibtischlampe mit 300 Lux meist hell genug erscheint.

Ganz anders in der Nacht: Bei klarem Himmel bringt das natürliche Licht des Vollmonds etwa 0,25 Lux. Bei Halbmond sind es gerade mal 0,025 Lux – und immer noch können sich die meisten Menschen auch bei diesem schwachen Licht ausreichend orientieren. Erst bei Neumond, wenn es stockfinster wird, stoßen wir an unsere Grenzen. Doch selbst dann können die vielen nachtaktiven Tiere noch perfekt sehen und ihren Aktivitäten nachgehen.

Licht und Dunkel – keine andere für Lebewesen relevante physikalische Größe verändert sich regelmäßig so einschneidend wie die Beleuchtungsstärke im Tag-Nacht-Wechsel, weder die Temperatur noch der Luftdruck. Alles Leben auf der Erde musste mit dieser Grundbedingung zurande kommen. Die enorme – wenn auch bedauerlicherweise sehr stark abnehmende – Artenvielfalt auf der Erde ist ein Beweis dafür, dass das den meisten Lebewesen über einen sehr langen Zeitraum problemlos gelungen ist.

Beleuchtungsstärken im Vergleich, gemessen in Lux (lx)2

Sonne im Zenit bei klarem Himmel ca. 120000 lx

Tageslicht bei Bewölkung 1000–10000 lx

Sonnenuntergang ca. 400 lx

Vollmond ca. 0,25 lx

Halbmond ca. 0,025 lx

Klarer Sternenhimmel mit sichtbarer Milchstraße ca. 0,001 lx

Chronobiologie macht Schule

Unter natürlichen Bedingungen sind alle Rhythmen in unserem Körper aufeinander abgestimmt und mit dem Tag-Nacht-Rhythmus, dem äußeren Taktgeber, in Harmonie. Zur Feinjustierung bedarf es regelmäßiger externer Signale oder Zeitgeber. Der stärkste äußere Faktor ist das Licht. Verändert sich die Lichtintensität, etwa bei Sonnenauf- oder -untergang, geht unsere innere Uhr auf »Reset« – und der Rhythmus beginnt wieder von vorn.

Der Impuls für das »Reset« ist der Wechsel zwischen Hell und Dunkel. Ist nun aber die Veränderung der Lichtintensität zwischen Tag und Nacht nicht mehr ausgeprägt genug – etwa indem wir bei Einsetzen der Dämmerung das Licht anschalten –, wird der Impuls schwächer oder entfällt sogar ganz. Die Folge: Unsere »innere Uhr« wird nicht richtig nachgestellt. Das stört die Synchronisation der Prozesse und kann zu gesundheitlichen Problemen führen.

Es gibt eine Einschätzung, die nach Ansicht des Chronobiologen Prof. Maximilian Moser wohl alle seine Kollegen teilen. Nämlich die, dass unsere Schulen ihren Unterricht in aller Regel zu früh beginnen. Besonders ab der Mittelstufe, wenn sich sogenannte »Morgenmenschen« langsam zu »Abendmenschen« oder »Spättypen« entwickeln, hat das gerade in puncto Aufmerksamkeit und Unterrichtsbeteiligung oft gravierende Folgen. Bezieht man dann noch ein, dass mit Einführung der Sommerzeit über einen Zeitraum von sieben Monaten die Uhr nochmals um eine Stunde vorgestellt wird, dann verwundert es wirklich nicht, dass viele übermüdete Schüler frühmorgens lustlos in ihren Bänken »hängen« und ziemlich unmotiviert die Ausführungen ihrer Lehrkräfte über sich ergehen lassen – eine Situation, die auch für die Pädagogen nicht gerade erfüllend sein dürfte. Und das kann man nicht einfach als pubertäres Desinteresse abtun, denn dahinter stehen handfeste chronobiologisch erklärbare Gründe.

Die noch recht junge Wissenschaft der Chronobiologie, die ihre Anfänge um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts hat, beschäftigt sich grundsätzlich mit dem Thema »Zeit in lebenden Systemen«,3 also auch mit den rhythmischen Zeitabläufen im menschlichen Organismus, kurz: unserer »inneren Uhr«. Chrono-Experte Moser erklärt das so:

»In seinen Körperabläufen folgt … der menschliche Organismus kosmischen Rhythmen wie dem Tag-Nacht-Rhythmus oder dem Jahresrhythmus. Zu diesen von außen gesteuerten Rhythmen, die schon mit wenigen Lebenswochen ins Körperinnere übernommen werden, kommen innere Rhythmen wie Herzschlag, Atmung oder der sogenannte basale Aktivitätszyklus. Diese Rhythmen sind untereinander vernetzt und verwoben wie die Instrumente eines Symphonieorchesters. Diese Zusammenhänge untersucht die Chronobiologie.«4

Angesichts der Tatsache, dass sich die Welt besonders in den zivilisierten Industriestaaten während der letzten Jahrzehnte rasant gewandelt hat und sich weiterhin stetig verändert, ergibt sich hier ein durchaus brisantes Spannungsfeld: nämlich das zwischen den immer mehr raumgreifenden modernen, technisch-organisatorischen »Sachzwängen« und den seit Hunderttausenden von Jahren gültigen, natürlich synchronisierten Gesetzmäßigkeiten der im menschlichen Körper ablaufenden biologisch rhythmisierten Prozesse.

Um auf unser Beispiel von der Schule zurückzukommen, bedeutet dies, dass viele junge Menschen ihren natürlichen Schlafzyklus frühmorgens, wenn der Wecker klingelt, noch gar nicht vollständig durchlaufen haben. Sie absolvieren ihre Morgenroutine in aller Regel nicht, weil sie ausgeschlafen sind, sondern weil ein starres Reglement das eben zu dieser Zeit von ihnen verlangt. Das Problem: Ihr Körper ist dazu aber oft noch gar nicht richtig bereit. Der Kopf nicht, Leber und Niere nicht und der Verdauungsapparat schon gar nicht, was in vielen Familien den allmorgendlichen Frühstücksfrust erklärt. Viele Jugendliche haben schlicht und einfach um diese Zeit noch keinen Hunger, werden aber von wohlmeinenden Erwachsenen dazu gedrängt, unbedingt etwas zu essen. Dabei geistert der alte Essensspruch »Morgens wie ein Kaiser, mittags wie ein Edelmann und abends wie ein Bettelmann«, dessen Aussage gerade in Bezug auf das Frühstück zweifelhaft und ganz gewiss nicht prinzipiell richtig ist, noch immer in unseren Köpfen herum. Besonders die zahlreichen »Fahrschüler«, die in ganz Deutschland mit der Bahn oder dem Bus die Schule erreichen, also noch zusätzlich lange Schulwege auf sich nehmen müssen, sind in dieser Hinsicht dann noch einmal schlechter dran.

Eine Waldorfschule in Klagenfurt verschob aufgrund solcher Erkenntnisse den Unterrichtsbeginn von 7.45 auf 8.30 Uhr. Es dauerte nicht lange, und die Verbesserungen waren offensichtlich. Die Lehrer registrierten insgesamt wachere Schüler, keine Zuspätkommer mehr und eine deutlich höhere Konzentrationsfähigkeit.5

Was die Klagenfurter Waldorfschule vormachte, wird inzwischen zum Beispiel von einem Gymnasium in Aachen noch einmal getoppt. Dort hat man für Oberstufenschüler eine Art »Gleitzeit« eingeführt. Schulbeginn ist entweder wie gewohnt um acht Uhr morgens oder eine Stunde später um neun. Jeder der jungen Menschen hat also die Wahl und kann selbst entscheiden, wann für ihn der Unterricht beginnt. »Die erste Stunde war immer eine Quälerei für mich. Ich war noch nicht richtig wach«, erklärt ein siebzehnjähriger Schüler. Die innere Uhr von circa 75 Prozent der Jugendlichen in diesem Alter »geht« nämlich eigentlich »nach«. Sie werden in der Regel später müde als viele Erwachsene, schlafen dementsprechend also auch später ein und sind frühmorgens in aller Regel überhaupt nicht ausgeschlafen. Man kann gut und gern von einem »hausgemachten Jetlag« sprechen, der dann die gewünschte schulische Interkommunikation und fachliches Engagement aus einfach nachvollziehbaren biologischen Gründen oft genug stark einschränkt oder gar verhindert.

Ein weiterer nicht zu unterschätzender Nachteil kommt hinzu: Eine wichtige Phase, in der das bereits am Vortag Gelernte im nächtlichen Schlaf verfestigt und abgespeichert wird, fällt schlicht weg! Der Chronobiologe Professor Till Roenneberg von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität freut sich denn auch, dass mit dem Alsdorfer Gymnasium offenbar eine erste staatliche Schule in Deutschland die innere Uhr ihrer Schülerschaft ernst nimmt und damit auf die seit Jahren erhobene Forderung der Wissenschaft nach einem späteren Schulbeginn eingeht.6

Umsetzbar wird das Ganze zum Beispiel mithilfe eines angepassten Unterrichtskonzepts, das Schülern die Möglichkeit gibt, sich eine gewisse Anzahl von bestimmten Unterrichtsstunden selbst einzuteilen und sinnvoll zu gestalten. Nutzlos verstreichende Freistunden etwa sind dann kein Thema mehr. Eine Schülerin drückt es so aus: »Früher haben wir in den Freistunden Karten gespielt, jetzt arbeitet man und kann dafür länger schlafen.«7

Flexiblere Unterrichtszeiten müssen politisch gewollt sein und sind auf ein konstruktives Miteinander von Schule und Gesellschaft angewiesen. Wenn Schüler- und Lehrerschaft, Eltern sowie wirtschaftliche Unternehmen (wie Busfahrtunternehmen und so weiter) dazu bereit sind, einen tragfähigen Konsens zu erarbeiten, dann kann es gelingen, einen chronobiologisch sinnvollen Wandel auch für Schülerinnen und Schüler herbeizuführen. Und das bedeutet, der für Körper und Geist so wichtigen Zeitspanne der Nacht wieder mehr Respekt zu zollen.

Davor, dass die Berücksichtigung elementarer chronobiologischer Bedürfnisse auch bei Kindern nichts mit Verweichlichung zu tun hat, warnen Erkenntnisse wie diese: So haben Kinder, die ständig zu früh geweckt werden, eine deutlich erhöhte Herzfrequenz, was eine klare Belastung für den Organismus darstellt. Der Sympathikus wird verstärkt in Leistungsbereitschaft versetzt, der Blutdruck erhöht sich, aber nicht nur der. Kann doch die unschöne Konsequenz in der ebenfalls erhöhten Wahrscheinlichkeit liegen, im späteren Lebensalter Arteriosklerose zu entwickeln oder einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu bekommen.8

Tagmenschen und Nachtschwärmer

Die ganz alltägliche Erfahrung und mit ihr auch die Chronophysiologie haben gezeigt, dass man durchaus zwischen zwei Chronotypen unterscheiden kann, den bereits erwähnten sogenannten Morgen- und Abendmenschen – oder »Lerchen« und »Eulen«, wie sie augenzwinkernd genannt werden. Morgenmenschen sind schon in der Früh putzmunter und gehen abends vergleichsweise zeitig zu Bett. Bei Abendmenschen ist es umgekehrt, sie schlafen gern länger aus und laufen im Dunkeln oft erst zu Hochform auf. Die Nacht, könnte man sagen, übt eine besondere Faszination auf sie aus. Spättypen am nächsten Morgen – vielleicht sogar abfällig – als »Langschläfer« zu bezeichnen verkennt, dass sie, eben weil sie erst später einschlafen können, einfach länger ausschlafen müssen, um sich fit zu fühlen.

Heranwachsende bis zum Alter von zehn Jahren sind in der Regel Morgenmenschen, bis zum zwanzigsten Jahr entwickeln sie sich oft zu Abendmenschen. Abendliche Treffen in der Ausbildungs- und Studentenzeit, die bis tief in die Nacht hineingehen, passen gut zu diesem Schema und verstärken es noch. Ab etwa dem fünfzigsten Lebensjahr und darüber hinaus werden auch bis dahin bekennende Eulen oft wieder zu Lerchen, was für manche Zeitgenossen als Erklärung dafür herhalten muss, warum sich Großeltern mit Kleinkindern so gut verstehen. Denn wenn sich Eltern frühmorgens angesichts ihres spielbereiten Nachwuchses oftmals am liebsten die Decke über den Kopf ziehen würden, stehen Oma und Opa, sofern sie denn erreichbar sind, meist fröhlich zur Verfügung.

Fakt ist, dass seit der Einführung der Sommerzeit gerade die »Eulen« besonders betroffen sind. Und obwohl sie sich – auch was die Schlafdauer angeht – unter der Woche im Laufe der Zeit an die neue Situation anpassen und daran zu gewöhnen scheinen, schlafen sie am Wochenende, wenn kein Wecker klingelt und sie ihrer Natur freien Lauf lassen können, deutlich länger. Ganz im Gegensatz zu den Lerchen, deren Schlafdauer sich an freien Tagen nicht wesentlich verändert. Es scheint so, als ob die späten Chronotypen ihr angesammeltes nächtliches Schlafdefizit, sobald es geht, erst einmal kompensieren müssen. Sie klagen im Übrigen, wieder im Gegensatz zu den frühen Chronotypen, öfter über Schlafprobleme sowie Albträume.

Zwar gibt es diese beiden Chronotyp-Extreme, doch in der Realität sind Mischtypen mit der Tendenz zur einen oder anderen Seite in der Mehrzahl, was der Flexibilität des hochintelligenten Zusammenspiels verschiedenster Prozessabläufe in unserem menschlichen Organismus geschuldet ist. Vererbung, Einflüsse der Umwelt wie etwa Kindheitserfahrungen, aber auch selbst anerzogene eingeschliffene Gewohnheiten spielen hier eine Rolle. Tragen Sie Ihren chronobiologischen Vorlieben also durchaus Rechnung, denn sich zu verbiegen hat noch keinem wirklich geholfen, auch hier nicht. Eine gewisse Ausgleichsmethode, die Chronotyp-Probleme ein wenig mildern kann, empfiehlt Achim Kramer, Chronobiologe der Charité in Berlin. So sollten »Frühtypen« abends so lange wie möglich Licht tanken, »Spättypen« umgekehrt morgens ins Freie gehen.9

In Mitteleuropa sind allem Anschein nach die Spättypen in der Überzahl. Christian Cajochen, Professor für Chronobiologie in Basel, meint dazu: »Wir sind uns nicht sicher, ob es an der genetischen Veranlagung liegt oder daran, dass wir in unserer Gesellschaft den Abend durch Kunstlicht verlängern.«10

Wie dem auch sei, gehen Sie prinzipiell achtsam mit sich um. Lassen Sie sich nicht zwischen moderner Reizüberflutung, Lichtsmog und viel zu kurzen Nächten aufreiben. Aber übertreiben Sie es mit der Selbstfürsorge auch nicht. Sich sklavisch an bestimmte Uhrzeiten zu halten bedeutet im Endeffekt Stress. Hören Sie im Zweifel mehr auf Ihren Körper und nehmen Sie seine Signale immer ernst: Er weist Ihnen gemeinsam mit Ihrer unverstellten inneren Stimme auch hier – wie in manchen anderen Lebenslagen – den richtigen Weg zu Ihrer inneren Uhr.

Unsere zahlreichen »inneren Uhren«

Was hat es nun mit der geheimnisvollen »inneren Uhr« des Menschen auf sich? Dabei ist es gar nicht korrekt, nur von einer bestimmten inneren Uhr zu sprechen. Tatsächlich gibt es schier unzählige davon. Jede einzelne Zelle, ob in der Haut, in der Leber oder irgendwo sonst in unserem Körper, verfügt über mindestens eine eigene »innere Uhr«, um in regelmäßigen Zeitabständen auf andere Signale zu reagieren oder eigene auszusenden. Dieses riesige komplexe Netzwerk muss natürlich gesteuert werden, um angemessen und möglichst reibungsfrei funktionieren zu können. Und hier kommt nun der sogenannte suprachiasmatische Nucleus, kurz SCN, ins Spiel. Er sitzt an der Unterseite des Gehirns hinter dem Nasenrücken und über der Kreuzung der Sehnerven und gilt als die Schaltzentrale in unserem Gehirn, welche die in zeitlichen Rhythmen ablaufenden Vorgänge in unserem Körper, unsere äußerst komplexe innere Uhr, reguliert und koordiniert. Der SCN besteht aus etwa 20000 dicht beieinanderliegenden Neuronen, die im Übrigen die kleinsten in unserem Gehirn sind. Jede einzelne dieser Nervenzellen ist rhythmisch angelegt und in einem etwa 24 Stunden umspannenden Zyklus aktiv, will heißen: Sie feuert – und das interkommunikativ – also gemeinsam mit dem gesamten neuronalen Netzwerk in unserem Körper.

Doch es gibt, wenn man so will, eine »Hierarchie« unter den vielen inneren Uhren des menschlichen Organismus. Auch Achim Kramer vergleicht das rhythmisierte neuronale Ganze mit einem Orchester, dessen Dirigent der suprachiasmatische Nucleus ist. All die vielen einzelnen inneren Uhren in den peripheren Systemen sowie Körperorganen stehen für die im Wohlklang der abwechselnd und miteinander spielenden Orchestermusiker.11

In Gang gesetzt wird dies alles durch Lichtreize, die den SCN übers Auge erreichen. Auf diese Weise wird er in die Lage versetzt, über die Außenwelt mit Licht zu kommunizieren. Wie man inzwischen weiß, sind nicht etwa die klassischen Fotorezeptoren im Auge, die Stäbchen und Zapfen, dafür zuständig, sondern etwa 1 Prozent der retinalen Ganglienzellen, denen man diese besondere Fähigkeit in Bezug auf die innere Uhr des Menschen noch bis zum Ende des 20. Jahrhunderts gar nicht »zugetraut« hätte. Betrachtete man sie doch als nichts weiter denn normale Neuronen, die eben den optischen Nerv bildeten. Sie sind aber, wie sich herausstellte, lichtempfindlich und enthalten ein spezielles Fotopigment, das Melanopsin, das auf blaues Licht reagiert. Dieser fotosensitive Anteil der Ganglienzellen sendet Informationen zur Umgebungshelligkeit an den SCN. Die Lichtreize werden zur Zirbeldrüse weitergeleitet. Bei entsprechender Lichteinwirkung werden auf diese Weise regelrechte Signalkaskaden ausgelöst, die die Uhren-Gene in Gang setzen. Dieses System aus suprachiasmatischem Nucleus und Zirbeldrüse beeinflusst dann Körpertemperatur, Blutdruck, Stoffwechsel und vieles mehr.

Rhythmus ist Leben

Die endogenen Rhythmen, die eine Periodenlänge von etwa 24 Stunden haben, nennt man »zirkadianen Rhythmus«(vom lateinischen circa für »um … herum, etwa« und dies für »Tag«). Dieses zirkadiane Auf und Ab betrifft im Menschen so gut wie alle biologisch getakteten körperlichen und seelischen Systeme (Schlaf-wach-Rhythmus, Nahrungsaufnahme und -verstoffwechslung, Bewegungsabläufe und so weiter). Daneben gibt es ultradiane Rhythmen, die eine deutlich kürzere Zeitspanne als 24 Stunden umspannen (wie Atmung oder Pulsfrequenz), und infradiane Rhythmen, die pro Umlauf länger als 24 Stunden anhalten (wie jahreszeitlicher Wechsel, Wachstums-, Fortpflanzungsabläufe oder Heilungsprozesse).

Wir sollten uns dieser zentralen natürlichen Zyklen wieder bewusster werden. Sie sorgen dafür, dass seit Jahrtausenden möglichst viel rundläuft in unserem Organismus. Dabei zwängen sie uns in kein einengendes Korsett, sondern beleben und beruhigen uns in stetigem Wechsel. Stattdessen haben sich die meisten von uns mit Leib und Seele dem Diktat der Taktgeber von heute unterworfen: den von Menschen erfundenen Uhren, die unser modernes Leben beherrschen. »In uns ticken 100 Millionen Jahre alte biologische Uhren. Es ist arrogant zu glauben, man könne sie stellen wie eine Armbanduhr.«12

Der Hauptimpulsgeber in diesem biologischen System mit seinen vielfältig verzahnten, im Idealfall gut aufeinander abgestimmten Rhythmen ist natürlich die Sonne. Sie ist der für die menschliche Gesundheit seit Millionen von Jahren unverzichtbare Taktgeber. Das heißt nun nicht, dass Sie mit dem ersten Sonnenlicht aufstehen und mit den Hühnern ins Bett gehen müssen. Aber schon der gesunde Menschenverstand sollte Alarm schlagen, wenn Sie sich den ganzen Tag in hausinternen Räumen und eben nicht draußen aufhalten. Wussten Sie, dass ein Europäer im Durchschnitt höchstens zwei Stunden täglich natürliches Sonnenlicht tankt (wobei es freilich einen Unterschied zwischen Nord- und Südeuropäern gibt), ein US-Amerikaner gar nur fünf Minuten?

Unter freiem Himmel misst man bei strahlendem Sommerwetter wie gesagt um die 100000 Lux und mehr, unter einem trüben Winterhimmel immerhin noch bis zu circa 3500 Lux. Bedenkt man nun, dass unser chronobiologisches Steuerungssystem erst ab etwa 1000 Lux eine reelle Chance bekommt, bestimmte Systeme anzufahren, Innenräume aber in Sachen Beleuchtung im Allgemeinen nur gerade mal ganze 50 bis 500 Lux erreichen, dann wird klar, dass in unserem modernen Leben etwas gewaltig schiefläuft.

Luna mit silbernem Schein

Auch der Mond ist ein natürlicher Taktgeber. Man denke nur an den stetigen Wechsel von Ebbe und Flut. Mondphasen und Gezeiten sind eng aneinandergekoppelt. Auch die Reproduktionsrhythmen von Meereslebewesen orientieren sich an diesem Nachtgestirn. Nicht zu vergessen seine mannigfaltigen Einflüsse sowohl auf die menschliche Befindlichkeit als auch das Wachstum und Gedeihen von Pflanzen.

Es ist so selbstverständlich, dass wir uns dessen oft gar nicht mehr bewusst sind: Das Licht der Sonne würde uns körperlich und seelisch auslaugen, »verbrennen« und im Endeffekt zerstören, wäre es nicht in ständigem Wechsel an das Dunkel der Nacht gekoppelt, mit der gemeinsam es erst zu einer perfekten Synchronisation unserer inneren Rhythmen fähig ist.

Und hier kommt Melatonin ins Spiel, das Hormon der Nacht, das müde macht. Es wird im Zwischenhirn von den Pinealozyten genannten Zellen der Zirbeldrüse aus Serotonin produziert und ist maßgeblich an der Steuerung des Tag-Nacht-Rhythmus im menschlichen Körper beteiligt. Licht hemmt die Produktion von Melatonin, Dunkelheit befördert sie. Mitte des 20. Jahrhunderts entdeckte ein amerikanischer Hautarzt dieses Hormon, und erst seit den neunziger Jahren nimmt man an, dass es dazu beiträgt, unser Immunsystem zu stärken, indem es aufgrund seiner antioxidativen Fähigkeiten zellschädigende freie Radikale ausschaltet und die Entstehung von Tumoren hemmt. Die von Melatonin eingeleitete Tiefschlafphase stimuliert die Ausschüttung des Wachstumshormons Somatropin und ist dazu unverzichtbar für ein gutes Gedächtnis. Melatonin kann zudem die Einschlafzeit verkürzen, stimuliert und verlängert aber auch die Traumphasen unseres Schlafs. Sind diese zu kurz, kann das offenbar die Entstehung zum Beispiel von Morbus Alzheimer begünstigen.

Auch als wahrer Jungbrunnen für die Haut wird das Hormon gepriesen. Es dürfte aber in der Menschheitsgeschichte auch schon lange vor der Entdeckung seiner Anti-Aging-Qualitäten kein Geheimnis geblieben sein, dass der Teint nach einer erholsamen Nacht in der Regel einen sichtbar ausgeruhten Eindruck macht. Die Melatoninsekretion, die durch den bereits beschriebenen SCN gesteuert wird, steigt bei Einbruch der Dunkelheit an, erreicht im Laufe der Nacht ihren Höhepunkt, um in den frühen Morgenstunden wieder abzufallen. Die Aufgabe des Hormons ist es, unseren Körperzellen das Signal »Nacht« zu vermitteln, um so die entsprechenden Abläufe auch in allen Organsystemen anzustoßen und für eine bestimmte Zeit aufrechtzuerhalten.

Keine gute Idee ist es jedoch, die in Deutschland übrigens verschreibungspflichtigen Melatonin enthaltenden Arzneimittel eigenmächtig einzunehmen, um zum Beispiel Einschlafproblemen entgegenzuwirken. Allerdings ist das Hormon, verpackt in Nahrungsergänzungsmitteln oder diätetischen Lebensmitteln, durchaus so gut wie jedermann zugänglich. Piloten nutzen das manchmal wie auch andere Jetlag-Geplagte. Bis heute weiß man aber insgesamt noch zu wenig über langfristige Nebenwirkungen, so ist allein schon wegen fehlender aussagekräftiger Langzeitstudien Vorsicht geboten. Unter anderem könnte beispielsweise die Fruchtbarkeit von Mann und Frau beeinträchtigt werden. Bekannt sind auch mögliche Nachwirkungen wie Magenbeschwerden, Tagesmüdigkeit, Lethargie, Depressionen, aber ebenso Reizbarkeit und Bluthochdruck. Auch spielt der Einnahmezeitpunkt wie etwa bei der Behandlung des Schichtarbeitersyndroms eine entscheidende Rolle. Bei dieser Schlafrhythmusstörung in Folge von ständig wechselnden Arbeitsphasen und Nachtarbeit ist der Schlaf-wach-Zyklus so gestört, dass Betroffene überhaupt nicht mehr richtig einschlafen können und über permanente Schläfrigkeit klagen.

Auch andere »Studien konnten zeigen, dass eine Melatonin-Injektion am Morgen das Wachstum experimenteller Tumore stimulierte, am Nachmittag oder Abend dagegen zu einer Hemmung des Tumorwachstums führt. Ein ähnlicher Effekt wurde auch bei depressiven Störungen beobachtet: Eine Melatonin-Gabe am Tag verschlimmerte die Beschwerden …«13 Besondere Vorsicht sei außerdem bei Autoimmunerkrankungen, Leberfunktionsstörungen und Niereninsuffizienz geboten. Diese in natürlicher, vom Körper selbst produzierter Form und Dosis so mächtige heilsame Substanz der Nacht ist in präparierter, von außen zugeführter Form offenbar alles andere als nur harmlos. Ärztliche Begleitung sollte hier auf jeden Fall in Anspruch genommen werden.14

Ist die innere Uhr dauernden oder gar schwerwiegenden Störungen ausgesetzt, gerät sie zunehmend außer Takt und kann ihre anpassenden und ausgleichenden Funktionen nicht mehr hinreichend ausüben. Die unschönen Folgen lassen nicht lange auf sich warten. Wenn wir den Hebel nicht rechtzeitig umlegen, sind Fehlsteuerungen programmiert und werden ihrerseits zur tickenden Zeitbombe in unserem aus dem Rhythmus geratenen Körper.

Nicht nur die Krankheit selbst, sondern auch die Intensität der Symptome kann eng verbunden sein mit der ständigen Nichtbeachtung unserer inneren Uhren. Das fördert so schwerwiegende Leiden wie Krebs, Asthma, Depression und Epilepsie, kann aber auch allgemeines Unwohlsein, Nervosität, Konzentrations- und Verdauungsprobleme oder Schlafstörungen der unterschiedlichsten Art hervorrufen. »Gegen die Natur«, also gegen unsere seit Menschengedenken angelegten vorgegebenen Rhythmen wie den Tag-Nacht-Zyklus, zu leben kann auf Dauer nicht gutgehen.

Unser Organismus hat offenbar nicht nur eine Anatomie des Körpers, sondern auch eine »Anatomie der Zeit«. Damit ist die Chronobiologie nach Aussage des Forschers Maximilian Moser »ein echtes Zukunftsfach, denn sie beschreibt, wie wir gesund bleiben«. Nicht mehr so sehr die Krankheit stehe dann im Mittelpunkt, sondern das Bemühen um die Stärkung und Erhaltung der Gesundheit.15

Chronobiologische »Betthupferl«

Ein vielversprechendes und zukunftsträchtiges Gebiet ist der Teilbereich der Chronomedizin. Diese basiert auf chronobiologischen Erkenntnissen und mündet über die Chronopharmakologie in eine entsprechende Chronotherapie. Hierbei geht es darum, Medikamente in der entsprechenden Dosis zum optimalen Zeitpunkt zu verabreichen. Damit sollen bei einer bestmöglichen Wirkung des jeweiligen Medikaments zugleich dessen mögliche Nebenwirkungen gesenkt werden: »… die Wirkung von Medikamenten zeigt große Unterschiede, je nachdem, ob diese am Abend oder am Morgen gegeben werden – die Anwendung zur rechten Zeit lohnt nicht nur, sie kann bei Krebsmedikamenten sogar lebenswichtig sein.«16 So werde in der Onkologie bereits der tageszeitabhängige Einsatz von Chemotherapeutika empfohlen. Auch die folgenden, weitere Krankheitsbilder betreffenden Beispiele erläutern diesen interessanten Sachverhalt.

Klinische Studien etwa haben ergeben, dass aufgrund der gegen 22.00 Uhr intensivsten Magensäuresekretion H2-Antihistaminika zur Behandlung von Magengeschwüren besser abends gegeben werden, damit sie ihre volle Wirkung entfalten können. Eine andere Baustelle ist zum Beispiel die Regulierung des Blutdrucks. Auch Blutdrucksenker wie ACE-Hemmer und Betablocker nimmt man am besten abends ein, weil auch sie offenbar in der Nacht am intensivsten wirken. Da Bluthochdruck und Diabetes gern gemeinsam auftreten, wird damit zugleich auch noch das Diabetesrisiko minimiert. Es reduzierte sich bei einer spätabendlichen Medikamenteneinnahme immerhin – je nach verabreichter Arznei – auf zwischen 52 und 69 Prozent. (Letztgenannte Zahl bezieht sich auf die Einnahme von ACE-Hemmern und Angiotensin-Rezeptor-Blockern.)

Man muss sich das so vorstellen: In der Nacht ist das RAAS (Renin-Angiotensin-Aldosteron-System), das den Salz- und Wasserhaushalt im Körper steuert und damit Blutdruck und Blutzucker reguliert, besonders aktiv. Und genau dieses System haben die obengenannten gängigen Medikamente im Fokus. Kein Wunder, dass der Betthupferl-Effekt dann auch am meisten zu Buche schlägt.17

Es versteht sich von selbst, dass man Medikamentengaben, auch in Bezug auf den täglichen Zeitpunkt der Einnahme, grundsätzlich niemals ohne ärztliche Rücksprache variiert.

Nächtliche Operationen

Jeder weiß, dass in den Nachtstunden vorgenommene chirurgische Eingriffe lebensrettend sein können. Trotzdem stellen sie eine Sonderbelastung für den Chirurgen wie den Patienten dar. Daher sollte man OPs, sofern es möglich ist, auf Zeiten legen, die sowohl dem Schlaf-wach-Rhythmus des Patienten als auch dem des ausführenden Arztes gerecht werden. Nächtliches Dialysieren geht im Übrigen mit einer geringeren Lebenserwartung einher. Auch in Säuglings- und Intensivstationen kann statt ständiger Beleuchtung der auch unbewusst erlebbare tageszeitliche Wechsel von Licht und Dunkel, sprich Tag und Nacht, für schnellere Heilung sorgen.

Schlaf – Das große Geschenk der Nacht