Rettet unser Geld! - Hans-Olaf Henkel - E-Book

Rettet unser Geld! E-Book

Hans-Olaf Henkel

0,0
8,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

WER UNS BETRÜGT UND WARUM

Kaum führt die Wall Street den ersten Angriff auf die europäische Währung, steht Griechenland vor dem Bankrott, geraten Spanien und Portugal ins Wanken, und unvorstellbare 860 Milliarden Euro müssen bereitgestellt werden, um das Schlimmste zu verhindern. Hans-Olaf Henkel warnt: Die Sicherungen sind durchgebrannt. Die Politik treibt den Euro in den Abgrund. Henkel sagt, wer uns betrügt und warum – vor allem aber: Er sagt ganz konkret, wie wir unseren Wohlstand retten können.

In den »Abwrackern« hat Hans-Olaf Henkel diagnostiziert: Es droht eine massive Geldentwertung. Jetzt sieht er seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Denn: Der Einbruch kommt noch viel schneller und heftiger über uns. Die Stabilität des Euro ist zum Spielball tagespolitischer Erfordernisse geworden. Doch die Abwiegler machen beruhigende Miene zu dem bösen Spiel, mit dem sie unsere Währung zugrunde richten. Hans-Olaf Henkel hat sich seinerzeit als BDI-Präsident für die Einführung des Euro stark gemacht. Mittlerweile ist er vom Befürworter zum schärfsten Gegner des Euro geworden. Sein unschlagbarer Vorteil: Er kennt keine Denkverbote. Henkels Vorschläge mögen radikal und unorthodox sein – sie sind vor allem eins: wirkungsvoll. Ein streitbares Plädoyer für die Besinnung auf unsere Wirtschaftskraft!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 245

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis
Vorwort
KAPITEL EINS – Die Maulkorb-Republik
KAPITEL ZWEI – Aufstieg eines Markenzeichens
KAPITEL DREI – D-Mark-Dämmerung
KAPITEL VIER – Der deutsche Prägestempel
KAPITEL FÜNF – Wie ich für den Euro kämpfte
KAPITEL SECHS – Als die Dämme brachen
KAPITEL SIEBEN – Die Rückkehr der Abwracker
KAPITEL ACHT – Die deutsche Selbstentmachtung
KAPITEL NEUN – Warum wir zwei Euros brauchen
Nachwort
Copyright
Vorwort
Zwischen Traum und Alptraum
Ich bekenne mich schuldig: Auch ich war einmal überzeugter Anhänger des Euro und habe mich als BDI-Präsident in Deutschland und anderen europäischen Ländern für seine Einführung eingesetzt, obwohl die Deutschen mehrheitlich dagegen waren. Natürlich wusste ich damals schon um die Risiken, die mit einer neuen Einheitswährung verbunden waren, und ich ahnte, welche Folgen der Verlust der harten D-Mark für unser Land haben konnte. Doch schienen mir die Vorteile zu überwiegen, zumal unsere Politiker in Maastricht Sicherungen durchgesetzt hatten, die dem Euro sowie den mit ihm verbundenen Volkswirtschaften zu nachhaltiger Stabilität verhelfen würden.
Doch es kam anders, und heute sehe ich meinen Einsatz für den Euro als größte Fehleinschätzung meiner beruflichen Laufbahn. Denn das, was anfangs wie ein Segen für ein gemeinsames Europa erschien, hat sich heute als Hypothek entpuppt, von der nicht nur die Zukunft der Gemeinschaft, sondern vor allem auch die unseres eigenen Landes bedroht ist. Für die Deutschen hat sich die Gemeinschaftswährung bereits als schwerer Nachteil erwiesen – sie haben es nur noch nicht gemerkt.
Im Leben eines jeden Menschen gibt es einschneidende Ereignisse, persönlicher wie politischer Art, nach denen »nichts mehr ist, wie es war« – im Politischen zähle ich dazu die Währungsreform 1949, mit der der Wiederaufstieg unseres Landes begann; aber auch den Mauerfall vierzig Jahre später, der die unerträgliche Teilung unseres Landes beendete. Beide Ereignisse haben, wie sich rückblickend feststellen lässt, das Leben in Deutschland entscheidend verändert – mein eigenes auch: Mit Ersterem wurde meiner Familie, die im Krieg Vater und Besitz verloren hatte, ein erfolgreicher Neuanfang ermöglicht. Mit Letzterem begann mein neues Leben in einer Bundeshauptstadt Berlin, wo ich – im ehemaligen Ostteil, direkt am Brandenburger Tor – gerade meinen siebzigsten Geburtstag feiern durfte.
Leider gibt es im politischen Bereich erfahrungsgemäß mehr negative Vorkommnisse, die sich den Menschen tief einprägen, auch wenn sie keine sichtbaren Narben hinterlassen. Mein letztes Buch, Die Abwracker, war durch ein solches fast traumatisches Ereignis ausgelöst worden: die amerikanische Immobilienkrise, die wie ein Erdbeben wellenartig aus den USA zu uns herüberdrang und an unserer Volkswirtschaft wie an den privaten Vermögen Milliardenschäden anrichtete. Ein Betrug historischen Ausmaßes erschütterte damals die Welt und, wie ich zugebe, auch mein Vertrauen in die globale Finanzstruktur und deren Kontrolleure.
Die Katastrophe, die durch die tödliche Mixtur aus krimineller Energie und Ahnungslosigkeit ausgelöst wurde, scheint heute fast vergessen. Dass der Steuerzahler und seine Kinder sowie deren Kinder noch in einem halben Jahrhundert die Kosten für den staatlichen Bail out, die Auslösung bankrottgefährdeter Banken und Unternehmen, abzubezahlen haben, wird nicht mehr thematisiert – man könnte auch sagen: wird verschwiegen. Wenn die Bundesregierung im September 2010 mal eben zur neuerlichen Rettung der verstaatlichten Hypo Real Estate für vierzig weitere Milliarden garantieren muss, regt sich schon keiner mehr auf.
Dass zudem unsere Staatsverschuldung seit diesem finanziellen Tsunami explosionsartig auf die Höhe von 1,8 Billionen Euro emporgestiegen ist, scheint die Tagespolitik kaum zu berühren, die sich, statt das Problem an der Wurzel zu packen, in homöopathischem »Schuldenabbau« übt. Bildlich gesprochen, schiebt unser Staatsschiff eine gewaltige Bugwelle vor sich her, die unsere Fahrt immer anstrengender werden lässt und dabei immer mehr anschwillt, bis sie irgendwann das Deck überspülen und das Schiff zum Sinken bringen wird. Das kann in einem Jahrzehnt, es könnte aber auch schon in den nächsten Jahren geschehen.
Eigentlich hatte ich nicht vor, so schnell ein neues Buch zu schreiben. Aber wieder ist etwas eingetreten, das diese Bugwelle weiter anwachsen ließ, etwas, das ich zu jenen negativen Ereignissen im politischen Bereich zähle, mit denen sozusagen eine »neue Zeitrechnung« beginnt. Ich spreche von dem riesigen »Schutzschild«, der als Folge der Griechenlandkrise über dem Euro ausgespannt wurde und der für Deutschland dasselbe bedeutet wie die Reaktion auf die Immobilienkrise: Schulden, die andere – damals die Hauskäufer in den USA, heute die Politiker Griechenlands, morgen die anderer Euro-Länder – verursachten, müssen mit deutschem Steuergeld beglichen werden. Obwohl es sich auch hier um einen ungeheuerlichen Milliardenbetrag handelt, für den wir im Bedarfsfall geradestehen müssen, ist man schnell zur Tagesordnung übergegangen. Selbst der Rücktritt des Bundespräsidenten, der unmittelbar auf seine Unterzeichnung des Schutzschirms folgte, war schnell verwunden – man hatte ja nun Herrn Wulff.
Was mich betrifft, habe ich es nicht verwunden. Es ist auch schwer zu verkraften: Denn dieses Garantieversprechen, für das die jetzige Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel verantwortlich zeichnet, schließt mehrere schwerwiegende Tatbestände ein, die ich in diesem Buch erläutern werde:
Den blitzschnellen, in einer Nacht-und-Nebelaktion durchgezogenen Bruch von Verträgen und Abmachungen früherer Regierungen sowie den damit verbundenen massiven Verstoß gegen Gesetze nenne ich einen Putsch.
Die Auflösung des Schutzschirms von Maastricht, der über dem deutschen Steuerzahler aufgespannt war, zugunsten eines Schutzschirms, der bedrohte Schuldenstaaten auf unsere Kosten retten soll, nenne ich Untreue.
Das fatale Zusammenwirken der beteiligten EU-Politiker, die – um ihrer eigenen Sicherheit willen – den Deutschen deren Sicherheit »abluchsten«, während diese, vertreten durch die Bundesregierung, die dramatische Verlagerung von Verantwortung einfach abnickten, weil die Politiker sich eine generelle Euro-Debatte ersparen und keine Wählerstimmen riskieren wollten, nenne ich Betrug.
Zugegeben, harte Worte. Vor allem das letztere dürfte Widerspruch wecken, doch zu Unrecht. Strafrechtlich gesehen, handelt es sich bei Betrug um die Schädigung des Vermögens eines anderen durch bewusste Vorspiegelung falscher Tatsachen oder Unterdrückung der Wahrheit, mit dem Zweck, sich gegenüber dem Geschädigten einen Vorteil zu verschaffen. Dass dies auf die überfallartige Einführung des Euro-Rettungspakets zutrifft, werde ich in diesem Buch beweisen.
Lange hat mich dieses – von Medien und Politik überraschend schnell ad acta gelegte – Ereignis beschäftigt. Oft grübelte ich nachts darüber, was wirklich damit an Unheil angerichtet war, dessen ganze Tragweite sich erst, wie jene unseres 1,8-Billionen-Schuldturms, in der Zukunft erweisen würde. Zugleich dachte ich über Lösungsmöglichkeiten nach, die unser Land aus der finanziellen Falle, die uns damit gestellt worden war, befreien würden.
Nicht weit vom Reichstag entfernt, wo ich lebe, hatte ich im Halbschlaf einen seltsamen Traum – die Zeit lief ins Jahr 2009 zurück, genauer: zum Abend des Wahltags. Zu meiner Überraschung hatte Rot-Grün gewonnen und nicht Schwarz-Gelb. Statt Merkel wurde bald darauf Steinmeier zum Bundeskanzler gewählt, und im neuen Jahr kam mit der Griechenlandkrise eine der ersten Herausforderungen auf die neue Regierung zu.
Für Kanzler Steinmeier lag der Fall klar: Einem europäischen Bruderland, noch dazu unter sozialistischer Führung, musste geholfen werden, und ohne große Umstände brachte sein Finanzminister Steinbrück das gewaltige 148-Milliarden-Rettungspaket auf den Weg. Doch die Republik, aufgerüttelt von einer leidenschaftlich kämpfenden Oppositionsführerin Angela Merkel, begehrte auf. In allen Medien wurde der durch Rot-Grün begangene Wortbruch angeprangert, die Aufweichung des Euro beklagt, der Ausverkauf Deutschlands empört vorausgesagt, und das zu Recht: Aus Gründen falsch verstandener Solidarität hatte man das Tafelsilber der Nation verpfändet.
Mein Traum ging noch weiter: Der Schutzschirm, von Steinmeier und Steinbrück garantiert, wurde für die Regierung zum Alptraum. Die Zustimmung der Bevölkerung sackte auf ein historisches Tief ab (16 Prozent SPD, 7 Prozent Grüne), täglich fanden in den Großstädten Demonstrationen statt, und als Rot-Grün das Rettungspaket aus »Solidarität mit Griechenland« an einem einzigen Tag durch Bundestag und Bundesrat peitschte, kam es zum Eklat. Bundespräsident Horst Köhler, der einst den Euro-Stabilitätspakt mit ausgehandelt hatte, verweigerte die Unterschrift. Es kam zur Staatskrise, Köhler löste den Bundestag auf und setzte Neuwahlen an. Keinen wunderte es, dass Rot-Grün von den Wählern vernichtend abgestraft wurde, während CDU/CSU und FDP, als Verteidiger deutscher Interessen, einen historischen Sieg einfuhren.
Sogleich begannen Merkel und Westerwelle, praktisch umzusetzen, was sie im Wahlkampf versprochen hatten und wofür sie gewählt wurden: »Abkehr vom Schuldenstaat! Abschied vom Euro! Wiedereinführung der D-Mark!«
Kaum traute ich meinen Ohren: »Wiedereinführung der D-Mark«?
Ich erwachte mit einem seltenen Glücksgefühl.
Natürlich hielt es nicht lange vor. Ich war zurück im grauen deutschen Herbst 2010. Der Rettungsautomatismus – für die Deutschen ein wahres Damoklesschwert – war installiert, und man hat es Kanzlerin Merkel abgenommen, dass er auch noch »alternativlos« sei. Ich weiß nicht, ob sie sich darüber Rechenschaft abgelegt hat, dass dieser Ausdruck einem Denkverbot gleichkam. Es war wohl ihr Äquivalent zu Schröders »Basta«.
Mein Traum, so ging mir dann auf, hatte den Nagel auf den Kopf getroffen: Durch den Sieg der bürgerlichen Parteien Schwarz-Gelb, den ich mir damals so sehr gewünscht hatte, war der Wortbruch erst möglich geworden, denn eine rot-grüne Opposition konnte die Schuldengarantie aus ideologischen Gründen nicht ablehnen.
Ein ähnlicher Fall, nur umgekehrt, war Ende der 90er Jahre eingetreten, als Rot-Grün an der Macht war. Wie heute die Merkel-Regierung dem Drängen der EU-Partner, hat damals das Duo Schröder-Fischer dem Drängen der NATO nachgegeben und am Kosovo-Krieg teilgenommen, wobei man als Rechtfertigung auf ein dort drohendes neues »Auschwitz« hinwies, was auch noch geglaubt wurde. In diesem Fall mussten, aus atlantischer Bündnistreue, CDU/CSU und FDP schweigen, und da Schröder das wusste, konnte er unbekümmert losmarschieren. Ganz anders hätte der Fall gelegen, wenn die Konservativen in Berlin regiert hätten: Wäre Kohl in den Krieg gezogen, hätte Rot-Grün einen pazifistischen Aufstand angezettelt, dem sich erst die Medien, dann die ganze Nation angeschlossen hätten – möglicherweise mit einem schnellen Ende für die schwarz-gelbe Regierung.
Im Fall des Euro-Rettungsschirms, der schon immer zu den Wunschträumen Frankreichs und den Alpträumen Deutschlands gehört hatte, war unglücklicherweise die falsche Koalition am Werk: Merkel-Westerwelle konnten diesen Schritt tun, den jeder ernsthafte Wirtschaftswissenschaftler für ein brandgefährliches Vabanquespiel hält, weil sie wussten, dass die Opposition schweigen würde. So ist der nationalökonomische GAU eingetreten, und es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann er die öffentlichen Kassen erreicht.
Eigenartig, dass kurz nach den ersten Milliardenüberweisungen nach Griechenland und der Durchpeitschung der Schuldengarantie der Euro-Kurs wieder gestiegen ist, die Wirtschaft sich erholt hat, mit der Folge, dass die Regierung zum Tagesgeschäft überging und die Medien sich auf neue »Aufreger« stürzten. Die nun eingetretene Beruhigung lässt sich mit der eines Mannes vergleichen, der aus einem Hochhaus gesprungen ist und im Fallen meint, dass man sich von den Risiken doch übertriebene Vorstellungen mache. Leider sind wir es, die sich im volkswirtschaftlichen Sturz befinden und die wir uns als Trost zurufen können, dass keiner weiß, wie tief der Abgrund ist, dem wir entgegensausen.
Manche meinen gar, dass wir in Wahrheit gar nicht fallen, sondern dass es entweder ewig so weitergeht oder dass man sich vielleicht sogar im Aufwind befindet, wie uns der trügerische DAX ab und zu vorspiegelt. Aber sie irren sich. Der Abstieg, der ein Absturz ist, hat mit dem Rettungspaket unvermeidlich begonnen – auch wenn die ersten bitteren Konsequenzen sich erst nach Monaten oder gar Jahren zeigen.
Der Grund ist einfach. Noch bevor es zum GAU kommt und einer oder mehrere der europäischen »Südstaaten« deutsche Garantiemilliarden abrufen, wirkt die Konstruktion bereits auf all jene, die gern Schulden machen, um Wähler zu gewinnen, wie eine herrliche Beruhigungspille: Ich verschwende – andere bezahlen. Welch traumhafte Vision!
Der Schutzschirm hat die EU seit dem Tag seines Inkrafttretens entscheidend verändert: Aus einer Wettbewerbsgemeinschaft ist eine Transfergemeinschaft geworden. Für die Segnungen dieser Einrichtung besitzen wir in Deutschland mit dem sogenannten Länderfinanzausgleich das beste Beispiel: Gegenwärtig gibt es bei uns drei Geberländer und dreizehn Nehmerländer. Glücklich sind nur letztere zu nennen. Wenn etwa Bremen einen Euro ausgibt, bekommt es von den weniger glücklichen Ländern 97 Cent zurück. Wenn dagegen Bayern einen Euro ausgeben muss, wird es 97 Cent los. Seltsamerweise hat das für Bremen und für Bayern die gleiche Konsequenz: Sparen lohnt sich nicht.
Zur gleichen Zeit, als mit Griechenlandrettung und Euro-Schutzschirm Europa unwiderruflich in eine Transfergemeinschaft verwandelt wurde, hat Berlins Regierender Bürgermeister Wowereit die Absurdität einer solchen Regelung vor Augen geführt. Er hat nämlich entschieden, dass demnächst den Berlinern freie Kindergartenplätze angeboten werden sollen, was die Eltern freuen und umso geneigter stimmen wird, ihn und seine Partei zu wählen. Nicht freuen wird es jene, die für die Millionen aufkommen müssen, nämlich Bayern und die anderen Geberländer, die sich im Würgegriff des Finanzausgleichs befinden.
Die absurde Konsequenz: Da die Sozialpolitiker in Bayern, Hessen und Baden-Württemberg feststellen, dass Herr Wowereit sich auf ihre Kosten einen wählerfreundlichen Luxus leistet, beschließen sie desgleichen zu tun, weil auch sie an ihre Wähler denken müssen: Auch bei uns sollen Kindergartenplätze nichts mehr kosten! Nun kann man sich leicht vorstellen, wie dieser Mechanismus, den man auch als System organisierter Verantwortungslosigkeit bezeichnen könnte, bei unseren europäischen Nachbarn wirken wird, die ohnehin zum Geldverschwenden – zumal wenn es nicht das eigene ist – eine entspannte Einstellung besitzen. Aus dem System dieser Ausgabesymmetrien wird bald eine Leistungs-und Kostenspirale, an der jeder mit der Gewissheit teilnehmen kann, dass nur den letzten die Hunde beißen.
Der letzte, das wird natürlich derjenige sein, der die anderen an Fleiß, Sparsamkeit und haushälterischer Disziplin übertrifft. Großartig, werden die anderen sagen, du leistest und sparst für uns mit! Und keiner wird den Mut haben, die Wahrheit auszusprechen, dass eine solche »Gemeinschaft« aus Teilnehmern besteht, von denen jeder sich, so gut er eben kann, auf Kosten der anderen zu bereichern sucht.
War die EU einst als eine Wettbewerbsgemeinschaft konzipiert, in der jeder den anderen an Produktivität und Lebensqualität zu übertreffen suchte, wird sie nun zur Verteilungsgemeinschaft, bei der es nur noch den einen Wettbewerb gibt – nämlich wer den anderen das meiste abknöpft. Kurz gesagt: Die Frage ist nicht mehr, wer leistet am meisten, sondern wer leistet sich am meisten. Man kann sich denken, dass der Tugendhafte, auf dessen Kosten sich die anderen etwas leisten, die längste Zeit tugendhaft gewesen ist.
Für Deutschland, diesen notorischen Musterknaben, der sich so gern ausnehmen lässt, wird dies auf Dauer die Konsequenz zeitigen, dass es sich immer weniger von den anderen unterscheiden wird und, statt wie zu D-Mark-Zeiten den Felsen in der Brandung abzugeben, die Stabilitätskultur über Bord werfen und den Abwärtstrend verstärken wird. Was das für Europa bedeutet, lässt sich leicht ausmalen: Der Kontinent, einst Lokomotive und Ideenlieferant der ganzen Welt, wird hoffnungslos hinter die anderen großen Regionalblöcke zurückfallen.
Der GAU, den die Merkel-Regierung für uns vorprogrammiert hat, ist mitnichten, wie sie behauptet hat, »alternativlos«. Es gibt eine Alternative. Sie kam vom französischen Staatspräsidenten höchstpersönlich, dem stärksten Befürworter des Rettungsschirms. Am Vorabend der Verabschiedung des Pakets soll Sarkozy damit gedroht haben, falls Deutschland den Vertragsbruch nicht mittragen würde, den Franc aus der gemeinsamen Währung zu nehmen, will sagen: Fortan hätte es neben dem Euro wieder den französischen Franc gegeben.
Kaum zu glauben: Der französische Präsident droht den Vertretern der ehemaligen Hartwährung D-Mark damit, seine ungeliebte Weichwährung wieder einzuführen, die Frankreich selbst nicht schnell genug loswerden konnte. Und wir, das heißt die Regierung Merkel, fallen auf diesen Bluff herein! Das mindeste, was ich von der Bundesregierung erwartet hätte, wäre die passende Reaktion gewesen, nun ihrerseits diese Karte auszuspielen: Falls die EU in eine Transfergemeinschaft umgewandelt würde, die – in Analogie zum Länderfinanzausgleich – aus einer kleinen Minderheit von Geberländern und einer lachenden Mehrheit von Schnorrern besteht, würde die Bundesrepublik die D-Mark wieder einführen.
In jedem Fall hätte die Kanzlerin gewonnen: Entweder wäre der fatale Rettungsschirm nicht gekommen oder die Deutsche Mark wäre gekommen. Stattdessen hat die Kanzlerin sich für den Weg des geringsten Widerstands entschieden und all das unterschrieben, was für das Land, dessen Nutzen zu mehren sie geschworen hatte, Schaden bringen wird. Die »begrenzten Vertragsänderungen«, die Frau Merkel am 28. Oktober 2010 in Brüssel durchgesetzt hat – möglicherweise, da die Entscheidung in den Dezember verschoben wurde -, sind in Wahrheit kosmetischer Natur und ändern nichts an der deprimierenden Lage, die für uns durch den Rettungsschirm entstanden ist. Die Deutschen stecken in der Klemme, und keiner kann ihnen heraushelfen – außer sie selbst.
Dennoch glaube ich an Europa, aber nicht an die fixe Idee der Technokraten, die alles über einen Leisten schlagen möchten und jede nationale Abweichung als Bedrohung empfinden, sondern an das Europa der Verschiedenheiten. Wir brauchen die Nationalstaaten, die sich durch Wettbewerb untereinander profilieren, aber auch gegenseitig zu Höchstleistungen anstacheln. Nur wenn die europäischen Staaten ihre marktwirtschaftliche Wettbewerbskultur weiterentwickeln, können sie in der globalen Konkurrenz mit den anderen Weltteilen mithalten. Europa hat seinen Glanz dem Wettbewerb der Nationen zu verdanken – die nun beschlossene Transfergemeinschaft wird dagegen für schnelle Abstumpfung sorgen: Man strebt nicht nach oben, sondern orientiert sich nach unten.
Ich werde in diesem Buch zeigen, wie es zu dieser Fehlentwicklung kommen konnte und vor allem, wie die Gemeinschaftswährung unbemerkt diesen Verfall beschleunigt hat. Denn das Privileg, an der Währungsstabilität der Starken teilhaben und diese als geldwerten Vorteil einstreichen zu dürfen, ist vielen schwachen Ländern nicht bekommen. Und weil die EU der Erhaltung des Gemeinschaftsgefühls mehr Gewicht beilegte als der Erhaltung ihrer Geldwertstabilität, ist der Euro auch den starken Ländern nicht bekommen.
Wie in meinem Traum, so sehe ich auch in der Wirklichkeit keine Chance mehr für den alten Euro. Die Devise »Abkehr vom Schuldenstaat! Abschied vom Euro! Wiedereinführung der D-Mark!« habe ich mir teilweise zu eigen gemacht. Die Zeit des alten Euro ist abgelaufen. Will Europa von einem zentral geregelten Transferverbund zu einer kreativen Wettbewerbsgemeinschaft zurückkehren, weil es seine Stabilität und zugleich seine globale Konkurrenzfähigkeit behalten will, so braucht es eine neue Währung, die den nationalen Unterschieden Rechnung tragen muss.
Zur Rettung der Europäischen Gemeinschaft schlage ich im letzten Kapitel dieses Buches vor, den Euro in zwei Zonen aufzuteilen, die auch die Mentalitätsunterschiede der betroffenen Länder widerspiegeln – eine Nordzone um Deutschland, die Benelux-Staaten und Skandinavien, deren Festhalten an Geldwertstabilität und Haushaltsdisziplin durch den harten Nord-Euro repräsentiert würde; und eine Südzone um Frankreich, Spanien und Italien – heute schon als »Club Med« bekannt -, deren weiche Euro-Variante der Ausgabenfreude und dem währungstechnischen Improvisationstalent dieser Länder entspräche.
Ich schlage es vor, weil ich zutiefst überzeugt bin, dass das, was für Europa gut ist, auch für Deutschland gut sein wird.
Hans-Olaf Henkel Berlin, im November 2010
PS: Wenn Sie mir einen Kommentar schreiben möchten, bitteschön: [email protected]
KAPITEL EINS
Die Maulkorb-Republik
Wie es in unserem diskutierfreudigen, ja diskutierwütigen Land üblich ist, wurde das Problem des Euro ausgiebig in den Medien durchgesprochen, in den Talkshows von allen Seiten beleuchtet und eine Zeitlang an erster Stelle der Aufmerksamkeits-Agenda geführt. Ich gebe zu, dass mir das an einer Demokratie gefällt: dass über alles geredet werden kann und nichts unter den Teppich gekehrt wird.
Wobei ich gleich hinzufügen muss, dass wir auch in diesem Punkt zu Extremen neigen: Wir hecheln jedes Problem so ausgiebig durch, bis es uns gleichsam zu den Ohren herauskommt, was zur Folge hat, dass wir des Problems schnell überdrüssig werden und es kurzerhand vergessen, da uns bereits ein anderes Thema fesselt. Das alte Problem ist damit nicht erledigt, aber es hat sich für uns erledigt. Und darin liegt ein großer Unterschied.
Das andere Extrem scheint mir noch gefährlicher: Tritt ein Problem auf, das sich mit der herrschenden Denkrichtung nicht vereinbaren lässt, wird es zum Unthema erklärt. Da nicht sein kann, was nicht sein darf, schweigt man es tot und legt dem, der sich nicht mundtot machen lässt, einen Maulkorb an. Natürlich wird dieser unschöne Vorgang, der bei uns längst zum Alltag gehört, nie so klar ausgeprochen, sondern verblümt und beschönigt: Man erklärt das Problem, das angesprochen wurde, für nichtexistent, das heißt, man vertuscht es, oder man erklärt es – strafbewehrt – zur »Leugnung« offenbarer Tatsachen, womit jeder, der es publik macht, entweder zum Irren oder zum Gesetzesbrecher gestempelt wird. Das klingt ziemlich drastisch, aber genau so ist es. Und leider geht damit unsere vielbeschworene Meinungsfreiheit zum Teufel.
Zurück zur Euro-Debatte, die im Frühjahr 2010 sehr heftig geführt wurde – heftig vor allem von jenen, die das Problem, das Deutschland mit dem Euro bekommen hatte, zum Unproblem erklären wollten und jene, die sich über Alternativen Gedanken machten, wenn nicht als Irre, so doch als Menschen mit herabgesetztem Reflexionsvermögen darstellten. Es gibt bei uns viele Arten, jemanden mundtot zu machen, aber die beliebteste in Medien und Politik besteht immer noch darin, ihn der Lächerlichkeit preiszugeben.
Nachdem ich einer Zeitung ein Interview zum Thema Euro gegeben hatte, wurde ich in die Talkshow von Markus Lanz eingeladen. In der ZDF-Runde saß neben mir der ehemalige Finanzminister Hans Eichel, der meine Ausführungen mit süffisantem Lächeln verfolgte, unbeeindruckt von dem Umstand, dass das Publikum auf meine Äußerungen mit Applaus reagierte. Der Ausstieg aus dem Euro, dessen Notwendigkeit ich begründete, sowie die Wiedereinführung der D-Mark, die ich vorschlug, kam bei den im Studio Anwesenden offenbar gut an. Zuerst verblüffte mich das, da ich wiederholte Beifallskundgebungen nicht gewohnt bin. Aber offenbar hatte ich einen Nerv getroffen.
Herrn Eichel wiederum schien ich zunehmend auf den Nerv zu gehen, da er als Vertreter des korrekten Denkens dessen unzulässige Übertretung registrierte. Als Politiker, der »mit allen Wassern gewaschen« ist – sauberen und weniger sauberen -, demonstrierte er nun das komplette Arsenal der öffentlichen Mundtotmachung, wie sie sich seit Zeiten von Rot-Grün in Deutschland etabliert hat. Deren Ziel besteht darin, unerwünschte Inhalte dadurch aus dem Lichtkegel der Aufmerksamkeit zu ziehen, dass man den, der sie verkündet, anschwärzt.
Die Wege dorthin sind vielfältig. Einer besteht darin – und Eichel führte ihn sogleich vor -, dass man dem Gegenüber seinen guten Willen abspricht. »Sie wollen doch nur provozieren«, sagte er, und das implizierte, dass es mir nur auf die Wirkung ankomme. Das Sprichwort sagt ja, »Man spürt die Absicht und ist verstimmt«, und so zielt dieser Einspruch darauf, den Menschen ein ungeliebtes Thema dadurch zu vermiesen, dass man gegen dessen Vertreter »Stimmung macht«. Er will sich ja nur wichtig machen, was den betrüblichen Schluss nahelegt: Er hat es wohl nötig.
Der zweite, nicht minder raffinierte Weg besteht darin, dem anderen die Ernsthaftigkeit abzusprechen. Der Satz »Das kann ja wohl nicht Ihr Ernst sein«, wie der ehemalige Finanzminister ihn vortrug, soll dem Kontrahenten den Teppich unter den Füßen wegziehen. Er besagt ja zweierlei: Zum einen, dass das, was man vorschlägt, an sich schon lächerlich wirkt und damit nicht der Rede wert ist; es impliziert aber auch, dass man das selbst noch gar nicht bemerkt hat und demnach der »vernünftige« Gesprächspartner, also Herr Eichel, einen erst darauf aufmerksam machen muss. Und damit ist nicht allein der angesprochene Gedanke, sondern man selbst als lächerlich bloßgestellt.
Der dritte Weg, der sozusagen den tödlichen Schlag versetzen soll, besteht aus dem Argument, wonach der Andersdenkende von der Materie offenbar keine Ahnung hat, weil er gegen die allgemein anerkannte, öffentlich akzeptierte und von den Autoritäten bestätigte Wahrheit angeht, sie gleichsam »leugnet«. Stillschweigend wird also die fatale Alternative aufgestellt, dass man entweder von der Sachlage nichts versteht oder, was noch schwerer wiegt, dass man wohl etwas davon versteht, aber offenen Auges das Gegenteil behauptet. So kann die Öffentlichkeit entscheiden, ob man den Übertreter für dumm oder für böse hält. Schöne Aussichten.
Während ich, im Zerrspiegel von Herrn Eichel, durchtrieben und böse erschien, zeigte sich in einem Welt-Interview Finanzminster Wolfgang Schäuble, den ich ansonsten sehr schätze, nachsichtig und bezeichnete meinen Vorschlag lediglich als »Unsinn«. Ich werde in diesem Buch zeigen, dass sich Wolfgang Schäuble geirrt hat.
Auch in einem anderen Punkt hat er mit dieser Keule, denn nicht anders kann man seine Wortwahl nennen, vorbeigehauen. Über den Andersdenker Thilo Sarrazin urteilte er ebenfalls, seine Thesen seien »Unsinn«, schlimmer noch »verantwortungsloser Unsinn«. Wobei er damit jenes Totschlagargument verband, das sein Vorgänger Eichel an mir erprobt hatte. Schäuble sagte nämlich über Sarrazin, in der Mediengesellschaft sei es unvermeidlich, dass verantwortungsloser Unsinn umso mehr Öffentlichkeit finde, je mehr Tabus verletzt würden.
Schäuble hat damit im Umkehrschluss die Wahrheit verkündet, dass es bei uns tatsächlich für verantwortungsvoll und sinnvoll gilt, keine Tabus zu verletzen. Und zu den Tabus, vor denen sich Hans Eichel wie Wolfgang Schäuble verbeugten, gehört nun einmal die Unantastbarkeit des Euro und die Nichtwiedereinführbarkeit der D-Mark. Dieses Tabu ist weder verantwortungsvoll noch sinnvoll, sondern ganz einfach ein Schaden für unser Land.
Natürlich läuft derlei Argumentation darauf hinaus, dass der Andersdenkende als »Tabubrecher« und »verantwortungsloser Unsinnredner« einen Maulkorb verpasst bekommt. Das hat lange Tradition in unserem ach so freiheitlichen Gemeinwesen, nur ist es seit einiger Zeit besonders schlimm geworden. Als Rot-Grün an der Macht war, glaubte ich, die Alt-68er seien daran schuld, dass jedem, der eine abweichende Meinung zu äußern wagte, gleichsam der mediale Schauprozess gemacht wurde. Doch seitdem wir eine konservativ-liberale Regierung haben, hat sich daran gar nichts geändert. Kanzlerin Merkel betätigte sich als oberste Zensorin und verpasste Thilo Sarrazins Buch noch vor seinem Erscheinen das Etikett »nicht hilfreich«; mehr noch: »überhaupt nicht hilfreich«. Das besagte ja wohl: Ab in den Reißwolf.
Man darf fragen, ob sie sich das auch gut überlegt hat. Gewiss, der Ausdruck ist ein Understatement wie das sprichwörtliche »I’m not amused« der Queen, das heißt, er ist diplomatisch klug gewählt, da er den Menschen scheinbar ungeschoren lässt. In Wahrheit ist er aber raffiniert, weil er ihr eine klare Stellungnahme erspart: Die Kanzlerin als Beurteilungsautorität sagt nicht, das Buch sei gut oder schlecht, sein Autor dumm oder böse – sie sagt lediglich, es sei nicht hilfreich. Und was bedeutet das? Nichts! Solange sie nicht sagt, wem es nicht hilft, bleibt die Aussage eine Worthülse, und das sollte sie auch sein, ein leerer Begriff, in den sich nun jeder das hineindenken kann und soll, was die Kanzlerin eigentlich gemeint haben könnte. Und da ihre Meinung mutmaßlich negativ ausfiel, hat sie doch ihre Wirkung erreicht, ohne die Verantwortung dafür übernehmen zu müssen. Mir scheint das »überhaupt nicht hilfreich«, liebe Angela Merkel.
Dass führende Minister, die Kanzlerin vorweg, vorschnell und ohne genaue Kenntnis des Buches ihr Verdammungsurteil sprachen, stimmte mich tief traurig. Dass Politiker aller Parteien ins gleiche Horn stießen, machte mich wütend. Aber dass die meisten Medien sich einen wahren Vernichtungswettkampf lieferten, wer diesen »Rassisten« am schnellsten zur Strecke bringen würde, widerte mich an.
In all meinen Büchern habe ich dieses schändliche Verhalten beschrieben, das unserer angeblichen Meinungsfreiheit Hohn spricht. Zu den unangenehmen Erfahrungen, die ich selbst mit den Hohepriestern der Tabuverteidigung sammeln konnte, kamen jene der anderen, die weit härter betroffen waren. Hinterher hat sich meist gezeigt, dass sie – die Geächteten, Ausgestoßenen, Unmöglichgemachten – wohl Recht gehabt hatten. Ich erinnere nur an den Historiker Ernst Nolte, der 1986 auf die unübersehbaren Parallelen zwischen der Nazi- und der Stalindiktatur hingewiesen hat sowie darauf, dass die bolschewistische Tyrannei für Hitler einen gewissen Vorbildeffekt gehabt hatte und der braune Terror teilweise Reaktion auf den roten Terror gewesen sei. Es kam zum »Historikerstreit«, der in Wahrheit ein Scherbengericht über Ernst Nolte war und der nicht nur zu dessen Kaltstellung, sondern auch zur Errichtung eines Tabus führte: Du sollst Kommunismus und Nationalsozialismus nicht vergleichen.
Heute, ein Vierteljahrhundert später, gehört dieser Vergleich zu den Selbstverständlichkeiten, denen sich kein Wissenschaftler mehr entziehen kann. Und mit Staunen las ich das Geständnis des Historikers Hans-Ulrich Wehler, es sei damals weniger eine wissenschaftliche Auseinandersetzung gewesen als eine ideologische Kampfansage an die deutschen Konservativen. Es ging nicht um die Wahrheit, sondern um die Deutungshoheit über die Wahrheit. Und wer über die Deutungshoheit verfügt, der spricht Denkverbote aus und verteilt Maulkörbe. Am besten noch »im Namen der Freiheit«. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn die politisch korrekte Klasse eine öffentliche Bücherverbrennung inszeniert hätte, wo im flackernden Flammenschein ein Transparent über den Köpfen geschwebt hätte, auf dem zu lesen gestanden hätte: »Diese Bücher waren überhaupt nicht hilfreich.«
Im September 2010 kam ein weiterer Maulkorb-Fall hinzu, als die Präsidentin für den Bund der Vertriebenen Erika Steinbach zwei Kollegen in Schutz nahm, die ihre Meinung zum Kriegsausbruch im September 1939 kundgetan hatten. Die parteiübergreifende Empörung darüber erfasste auch ihre eigene Partei, die CDU/CSU, die ihr in Gestalt von Fraktionsvize Andreas Schockenhoff vorwarf, mit ihrer Feststellung eine »rote Linie« überschritten zu haben. Diese besteht offenbar darin, dass man bestimmte Zusammenhänge nicht herstellen darf.
Bei uns in Deutschland darf man Vieles nicht, vor allem nicht bestimmte Sachverhalte miteinander vergleichen, und es gibt noch eine Menge andere »rote Linien«, über die man stolpert, wenn man sich unvorsichtig auf tabuisiertes Terrain begibt. Thilo Sarrazin etwa hat die Performance von ethnischen Gruppen miteinander verglichen und offizielle Statistiken herangezogen – sein Ergebnis lautete, dass der Vergleich die einen in besserem, die anderen in weniger gutem Licht erscheinen ließ. Der Vergleich führte also zur Unterscheidung. Aber Unterscheidung, so sagten sich die Zensoren, ist das nicht das deutsche Wort für »Diskriminierung«? Thilo Sarrazin wagte es, eine Minderheit zu diskriminieren! Blind vor Zensurwut übersah man, dass jede Art von Denken das Vergleichen und Unterscheiden voraussetzt – es vergleicht Schlüsse und unterscheidet Richtig von Falsch. Wer nicht vergleichen darf, der darf nicht denken. Ist es das, worauf abgezielt wird?
Der Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann wurde 2003, auch auf Angela Merkels Drängen hin, abserviert, weil er den Begriff »Täternation« ad absurdum führen wollte. Sie nannte seine Aussagen »unerträglich«. Auch dieses Wort hat es, wie das »nicht hilfreich«, in sich. Es lässt nämlich offen, warum man etwas nicht ertragen kann: Für einen Menschen mit Sonnenlichtallergie etwa ist Sonnenlicht unerträglich. Keiner würde deshalb auf die Idee kommen, Sonnenlicht per se als unerträglich zu bezeichnen. Bezeichnet man eine bestimmte Aussage als unerträglich, insinuiert man damit, dass es schlechthin unerträglich, das heißt: nicht zu tolerieren sei. Man ist ja sonst immer tolerant, aber wenn einer etwas »Unerträgliches« sagt, hört die Toleranz auf.