Reuter ermittelt an der Ostsee - Harald Jacobsen - E-Book

Reuter ermittelt an der Ostsee E-Book

Harald Jacobsen

4,9

Beschreibung

Hauptkommissar Frank Reuter hat alle Hände voll zu tun. 30 Fälle warten auf ihn, die sich entlang der Ostsee - zwischen der deutsch-dänischen Grenze und Lübeck - ereignet haben. In Timmendorfer Strand muss er den Tod eines Beach Boys aufklären, in Maasholm bekriegen sich Fischer untereinander. Und sogar auf Fehmarn muss er am Flügger Strand seine Fähigkeiten unter Beweis stellen. Reuter nimmt sich den Fällen an, damit die Ostsee wieder ein Stück sicherer wird.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 180

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,9 (16 Bewertungen)
14
2
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Harald Jacobsen

Reuter ermittelt an der Ostsee

30 Rätsel-Krimis

Impressum

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2015 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75/20 95-0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Sven Lang

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von:

© verdateo / Fotolia.com

ISBN 978-3-8392-4592-7

Zur falschen Zeit am falschen Ort in Flensburg

So fühlte Frank Reuter sich, während er an Bord des Salondampfers den Vernehmungen lauschte. Er hatte seine Tochter zum alljährlichen ›Dampfrundum‹ nach Flensburg eingeladen. Jasmin war anfangs eher skeptisch gewesen, doch sehr schnell nahm sie die tolle Atmosphäre an und auf der Förde gefangen. Dann auf einmal drehte der Raddampfer bei und Frank verfolgte überrascht, wie ein Polizeiboot längsseits ging. Zuerst dachte er an einen weniger spektakulären Zwischenfall, bis er Hauptkommissarin Martenson entdeckte. Die Kollegin reagierte verblüfft auf seine Anwesenheit, bevor sie Frank in die Ermittlungen einweihte.

»Ein gewisser Arthur Häfner wurde schwer verletzt. Jemand hat ihn mit einem Messer angegriffen und mehrfach zugestochen«, erklärte sie. Häfner war der Inhaber eine bekannten Designfirma, die Industrieprodukten neben ihrem praktischen Wert noch eine künstlerische Note verpasste. Zusammen mit seiner Belegschaft befand der Unternehmer sich an Bord, um den Zusammenhalt zu festigen.

Die Gäste des Salondampfers hatten sich gerade noch über die Anwesenheit der Polizei gewundert, als ein Rettungshubschrauber über ihnen kreiste und kurz darauf den schwer verletzten Häfner auf einer Trage nach oben zog und dann sofort den Flug zur Universitäts-Klinik nach Kiel antrat. »Wir vernehmen die Mitarbeiter hier, um den Schock auszunutzen. Du kannst gerne zuhören und mir sagen, falls dir etwas auffällt«, bot Martenson ihrem Kollegen vom LKA Kiel an.

Seitdem schlenderte Frank Reuter von einer Vernehmung zur nächsten, lauschte und versuchte sich bei der Suche nach dem Täter auf sein Bauchgefühl zu verlassen. Seine Tochter hatte offenbar Anschluss gefunden, Jasmin war in ein angeregtes Gespräch mit einer der Auszubildenden des Designers vertieft. Frank trat zu einem Hünen mit Glatzkopf, der ihn an seinen Freund Holly erinnerte. Der Oberkommissar lehnte sich gerade zufrieden zurück und hörte einer rothaarigen Frau mit einem gewaltigen Busen sowie funkelnden, grünen Augen zu.

»Arthur ist ein Despot, aber fair. Wenn er jemanden den Auftrag entzog, dann zu Recht. Himmel, was glaubt dieses Küken eigentlich«, wetterte sie. Als Frank ihrem Blick folgte, fiel er auf eine zierliche Blondine. Sie wurde soeben von Helga Thoms, einer weiteren Mitarbeiterin von Hauptkommissarin Martenson befragt.

Nach einem weiteren Redeschwall ging Frank weiter und blieb neben Thoms stehen, um den Ausführungen der Blondine zuzuhören. Sie hatte gerötete Augen und zerknüllte ein Taschentuch in ihrer Linken. Die Finger ihrer rechten Hand spielten mit der Schnalle ihrer moosgrünen Jacke, die auf ihrem Schoß lag.

»Ja, er hat mir den Auftrag entzogen. Dabei hatte ich mir dafür die ganzen teuren Geräte angeschafft. Jetzt habe ich große Schulden und muss dringend einen neuen Auftrag finden. Deswegen steche ich aber niemanden einfach ab«, räumte Elke Harbeck ein. Ihr flehender Blick schaffte es nicht, die Oberkommissarin länger zu fixieren. Harbeck senkte den Kopf. Helga Thoms notierte sich die Aussage.

Frank setzte seinen Weg fort und winkte Jasmin im Vorbeigehen zu. Seine Tochter löste sich aus der Unterhaltung und hielt ihn auf. »Dieser Arthur war kein guter Chef. Er hat doch tatsächlich versucht, bei der Franziska zu landen. Immer wieder hat er sie angefasst und wollte sie sogar auf seine Segeljacht einladen. Der Typ ist doch mindestens so alt wie du«, empörte Jasmin sich. Sie schüttelte sich vor Ekel und beschrieb dann, wie souverän die junge Auszubildende ihrem Chef entgegengetreten war.

»Danach war Schluss. Die Franzi weiß sich zu wehren. Wenn mich einmal so ein alter Kerl anpacken will, zerkratze ich ihm sein Gesicht«, schwor Jasmin. Anschließend kehrte sie zu ihrer neuen Freundin zurück, sodass Frank Reuter seinen Weg fortsetzen konnte. Er gesellte sich zu Kommissar Fechner, der einen der beiden männlichen Angestellten befragte.

»Häfner konnte wirklich ein Arsch sein. Er hat regelmäßig Ideen seiner Mitarbeiter als die eigenen ausgegeben und dafür sogar Preise eingeheimst«, erzählte Rüdiger Kornberg. Er war der älteste aller Kollegen, die ausnahmslos als freiberufliche Designer arbeiteten. Nur die Sekretärin von Häfner bezog ein festes Gehalt als Angestellte.

»Zuletzt traf es Sie, nicht wahr?«, fragte Fechner. Sein forschender Blick heftete am geröteten Gesicht Kornbergs. Der presste seine Handflächen so heftig auf die Tischplatte, dass die Knöchel weiß hervorstachen. »Ja, verflucht! Deswegen schlage ich dem Schwein doch nicht den Schädel ein«, gab er zu. Rüdiger Kornberg war ein Mensch, der seinen Jähzorn nur schwer unter Kontrolle halten konnte.

Während Kommissar Fechner sich die jüngsten Vorkommnisse ausführlich schildern ließ, wandte Reuter sich um. Er setzte bereits einen Fuß auf die Treppe, die ihn zurück aufs Oberdeck führen sollte, als er die Schnalle bemerkte. Sie lag unter der ersten Stufe und wäre ihm kaum aufgefallen, wenn sich nicht just in diesem Augenblick ein Sonnenstrahl im Messing gespiegelt hätte. Frank bückte sich und wickelte die Schnalle vorsichtig in ein Taschentuch. Er kehrte zurück zu Fechner und übergab sie dem Kommissar. Anschließend verließ er den Raum. Frank ging hinüber zum Bug, wo Hauptkommissarin Martenson sich mittlerweile mit Andrea Ohm unterhielt. Die Sekretärin von Arthur Häfner wirkte äußerlich gefasst. Lediglich ein Streifen gelöster Schminke unter dem rechten Auge verriet Frank, dass sie vor kurzer Zeit geweint hatte. In den braunen Haaren blitzte es bereits an vielen Stellen im Sonnenlicht grau auf. Andrea Ohm hatte vermutlich nur noch wenige Jahre, bevor sie aus dem Arbeitsleben ausscheiden würde.

»Seit 22 Jahren arbeite ich für Häfner. Er ist kein leichter Chef, aber ein fähiger Unternehmer«, sagte sie gerade. Ohm schilderte den Designer als sprunghaften Charakter, der öfter zu Überreaktionen neigte.

Martenson führte das Gespräch geschickt auf eine finanzielle Schieflage der Firma, da es offenbar seit über sechs Monaten keine Zahlungen an die Sozialkassen mehr gegeben hatte.

»Solche Engpässe gab es immer wieder. Kein Grund, sich übermäßige Sorgen zu machen«, wehrte Ohm ab.

»Ach, nein? Dieses Mal scheint es aber doch schlimmer zu sein. Die Krankenkasse strebt bereits eine Zwangsinsolvenz an, und dann wären Sie arbeitslos. Es träfe Sie am härtesten, oder?«, hakte die Hauptkommissarin nach.

Frau Ohm seufzte schwer und rang sichtlich mit sich. »Ja, schon. Aber das wäre nicht passiert, Frau Martenson. Arthur hat noch genügend Geld. Er sieht nur nicht ein, warum er alle diese – in seinen Augen – überflüssigen Sozialabgaben leisten soll«, gestand sie.

Erst als Sonja Martenson die Sekretärin auf eine Zeugenaussage aufmerksam machte, erkannte Frank, in welche Richtung die Vernehmung sich bewegte.

»Sie hatten kurz vor dem Angriff auf Herrn Häfner einen heftigen Streit mit ihm. Ging es dabei um das Geld und die drohende Insolvenz?«, fragte die Hauptkommissarin und belehrte Andrea Ohm über die Folgen einer möglichen Falschaussage.

»Nein«, erwiderte sie und fuhr gleich fort. »Arthur wollte Manfred Vogler keine neuen Aufträge geben, nur weil er zwischendurch für die Konkurrenz gearbeitet hat. Wie hätte Vogler denn sonst über die Runden kommen sollen? Er hat eine kranke Frau und drei halbwüchsige Kinder, die auf sein Einkommen angewiesen sind. Darüber haben wir uns gestritten!«

Das war Franks Stichwort, sich der Vernehmung des noch verbleibenden Mitarbeiters von Arthur Häfner zuzuwenden. Ihn befragte mittlerweile Bastian Kraft, ein Hüne mit blank polierter Glatze. Gerade als Frank zu ihnen trat, dröhnten mehrere Dampfhörner. Ihre Blicke gingen automatisch hinüber zur Ziellinie, wo aus den Schornsteinen der dampfgetriebenen Schiffe dichter Rauch quoll. Der Salondampfer hatte dieses Jahr nicht mit um das blaue Band kämpfen können. Der heimtückische Angriff auf Arthur Häfner hatte sie zum vorzeitigen Ausstieg aus der Wettfahrt gezwungen.

»Sie wollten ihn also heute zur Rede stellen?«, wiederholte der Oberkommissar seine Frage, die in dem Lärm untergegangen war. Auf seiner Glatze glitzerten Schweißperlen.

»Er konnte echt widerlich sein. Arthur kennt meine familiäre Situation und genoss es, mir zuzusetzen. Er wollte mich erniedrigen. So etwas gefiel ihm«, stieß Vogler hervor. Sein Blick ging ins Leere. Vermutlich erinnerten die Fragen ihn an unschöne Szenen.

»Ihre Auseinandersetzung wurde handgreiflich. Haben Sie die Nerven verloren?«, bohrte Kraft weiter.

»Häfner hat sich abfällig über die Krankheit meiner Frau geäußert. Es war das Wort zu viel und deswegen habe ich ihm ins Gesicht geschlagen. Einmal! Nicht mehr! Und davon stirbt kein Mensch«, gab Vogler zu und beschrieb einen kurzen, nicht allzu heftigen Kampf.

Als Frank hörte, wie der wütende Designer anschließend ans Oberdeck gestürmt und dabei mit Elke Harbeck zusammengestoßen war, wusste er genug. Die Vernehmungen vermittelten Reuter das Bild, um sich den Ablauf des Angriffs vor Augen zu führen. Er ging zurück zu Hauptkommissarin Martenson, die soeben das Gespräch mit der Sekretärin beendet hatte. Sie schaute ihn erwartungsvoll an.

»Ich weiß jetzt, was unten passiert ist und wer Häfner das Messer in den Leib gerammt hat«, erklärte Reuter. Ein winziges Detail hatte den Angreifer verraten.

Wissen Sie, welches es war?

Lösung

Elke Harbeck verrät sich durch ihr Wissen über den Tathergang, da sie als Einzige von einer Messerattacke spricht. Häfner hatte sie durch den Entzug des Auftrages in eine wirtschaftliche Notlage gebracht und lehnte jedes Einlenken ab, sodass Harbeck die Nerven verlor und zustach.

Flensburger Leiche auf Reisen

Er stand auf dem kleinen Balkon und schaute hinunter auf die Boote. Es wohnte sich schön in Flensburg Sonwik, so unmittelbar am Wasser. Jedes Appartement hatte einen privaten Liegeplatz für ein Segelboot oder eine Motorjacht. Hauptkommissar Reuter wunderte es nicht, dass sich Einbrecherbanden von dieser exklusiven Umgebung angelockt fühlten.

»Sie glauben den Aussagen also?«, fragte er Kommissar Fechner von der Kripo Flensburg.

»Allerdings. Die Angaben wurden unabhängig voneinander gemacht und mir leuchtet nicht ein, welchen Vorteil die Einbrecher bei einer Lüge erwarten sollten«, antwortete Fechner.

Im Grunde teilte Reuter die Einschätzung seines Flensburger Kollegen. Auf der anderen Seite war es dem Ermittler vom LKA aus Kiel in seiner Laufbahn noch nicht untergekommen, dass eine Leiche aufgestanden und vom Tatort verschwunden war. Die jungen Einbrecher berichteten von einer toten Frau, die sie in dem Appartement gefunden haben wollten.

»Trotzdem erscheint es mir erstaunlich, dass bereits beim Eintreffen der Streife keine entsprechenden Hinweise mehr zu entdecken waren«, stellte Reuter fest.

Kommissar Fechner hatte zwei uniformierte Kollegen mit der Überprüfung des angeblichen Leichenfundes beauftragt. Die Eigentümer des Appartements befanden sich zurzeit auf einem Segeltörn auf der Ostsee und konnten nur über Funk erreicht werden. Der Hausmeister öffnete die Wohnungstür mit einem Zweitschlüssel, damit die Beamten sich umsehen konnten. Sie fanden keine Anzeichen eines Kampfes, weder Blutspuren noch den Leichnam einer jungen Frau. Als Fechner die Einbrecher damit konfrontierte, fielen sie aus allen Wolken und blieben beharrlich bei ihrer Aussage. Der Flensburger Ermittler bat daher um Unterstützung des LKA, die ihm in Person des Hauptkommissars Reuter zur Seite gestellt worden war.

»Die Überprüfung der Eigentümer hat keine Hinweise ergeben, dass irgendwelche Ungereimtheiten vorliegen?«, fragte der seinen Kollegen.

Kommissar Fechner streckte Reuter eine dünne Mappe hin, in der er alle bislang zusammengetragenen Informationen zu Helene und Robert Fleischer gesammelt hatte. Sie waren beide als Immobilienmakler tätig und nutzten das Appartement lediglich sporadisch. Normalerweise lebten sie in Berlin und Hamburg, wo sie ihre Büros unterhielten. Es gab keine Vorstrafen und die finanzielle Situation der gemeinsamen Firma war ausgezeichnet. Ein Streifenboot der Bundespolizei hatte das Segelboot mit dem Ehepaar angesteuert. Die Kollegen befragten Helene und Robert Fleischer.

»Sie haben dem Ehepaar sicherlich die Phantomzeichnung gezeigt. Wie waren die Reaktionen darauf?«, fragte Reuter.

Fechner hatte der Bundespolizei die nach den Angaben der Einbrecher angefertigte Skizze zugeschickt, damit die Beamten auf den Streifenboot es dem Ehepaar vorlegen konnten.

Während er auf Fechners Antwort wartete, studierte er die Zeichnung. Sie zeigte eine ausgesprochen hübsche Blondine, von etwa Mitte 20. Ihre kleine Nase war von Sommersprossen bedeckt. Auf der Zeichnung wirkte sie fröhlich.

»Beide schwören, diese Frau niemals gesehen zu haben«, erwiderte der Kommissar.

Hauptkommissar Reuter war erst vor zehn Minuten in Sonwik eingetroffen, weshalb er sich auf dem Balkon in den Stand der Ermittlungen einweisen ließ. Die Septembersonne strahlte von einem blauen Himmel auf ihn nieder, der nur von einigen Schleierwolken bedeckt war. Von den Bootsstegen erklangen laute Stimmen und irgendwo summte ein Staubsauger. Die Atmosphäre wirkte entspannt und schien allein dadurch die Aussagen der Einbrecher zu widerlegen. Nachdenklich rieb Reuter sich über den Nasenrücken. Schließlich fasste er einen Entschluss und wandte sich um. Im weitläufigen Wohnzimmer saß Frau Fleischer in einem Sessel und nippte an einem Longdrink. Sie trug immer noch die Kleidung, mit der sie auf dem Segelboot unterwegs gewesen war. Weiße Jeans, einen blau-weiß geringelten Pullover mit rundem Halsausschnitt. Ihre kleinen Füße steckten in weichen Slippers aus weißem Leinenstoff. Sie hob den Blick und schaute Reuter fragend aus flaschengrünen Augen an, die perfekt zu dem brünetten Pagenschnitt passten.

»Ich möchte mir gerne Ihr Boot ansehen. Würden Sie es mir zeigen?«, fragte er.

Für einen kurzen Augenblick umwölkte sich der Blick von Frau Fleischer, doch dann erwiderte sie das Lächeln des Ermittlers. Reuter registrierte, wie empfänglich sie für die Aufmerksamkeit eines Mannes war. Robert Fleischer lehnte lässig gegen den Tresen der offenen Küche und sprach leise in sein Handy. Seine Frau warf ihm einen kurzen Seitenblick zu, bevor sie sich erhob und nach der Sonnenbrille auf dem Couchtisch griff. Sie schob sie sich ins Haar und ging dann zur Tür. Reuter und Fechner folgten der zierlichen Frau, die sie zu einem Segelboot von gut zwölf Metern Länge führte.

»Bitte, das ist unser Boot«, sagte sie.

Die beiden Ermittler gingen an Bord. Reuter kannte sich mit Booten gut aus, da seine Exfrau eine begeisterte Seglerin war. Er schaute sich im Cockpit und im Salon sowie in den beiden Schlafkammern um. In der Eckbank entdeckte er eine Umhängetasche, an deren Reißverschluss ein Anhänger mit dem Wappen von Bremen festgemacht war. Reuter warf einen Blick auf den Inhalt der Tasche, in der sich eine leichte Sommerbluse sowie ein Bikinioberteil befanden. Die mit orangenen Blüten bedruckte Bluse trug das Etikett einer Nobelmarke, auf dem der Hauptkommissar die Konfektionsgröße 44 ablas. In der Tasche war jedoch keine Brieftasche zu finden, lediglich ein Brillenetui mit einer Gleitsichtbrille. Reuter nahm die Tasche mit an Deck und hob sie hoch.

»Ist das Ihre Tasche, Frau Fleischer?«, fragte er.

Sie kniff die Lider zusammen, da ihr die tief stehende Sonne ins Gesicht schien. Frau Fleischer nahm die Sonnenbrille aus dem Haar und setzte sie auf, nur um sie gleich darauf mit einer irritierten Geste zurück ins Haar zu schieben. Dann nickte sie zustimmend.

»Ja, natürlich. Ich muss sie in der Aufregung vorhin völlig vergessen haben«, antwortete Helene Fleischer.

Reuter nickte knapp und wandte sich dann an seinen Flensburger Kollegen.

»Sie sollten die Kriminaltechniker auf das Boot schicken. Es könnte interessant sein, welche Fingerabdrücke dort zu finden sind«, raunte er ihm zu.

Kommissar Fechner wirkte überrascht, kam der Empfehlung seines Kollegen jedoch unverzüglich nach. Hauptkommissar Reuter ging unterdessen mit Frau Fleischer zurück ins Appartement. Dort trafen sie auf Robert Fleischer, der sein Telefonat beendet hatte und mit einem Glas Whisky in der Hand auf der Couch saß.

»Trägt einer von Ihnen normalerweise eine Sehhilfe oder Kontaktlinsen?«, fragte Reuter.

Beide verneinten es sofort.

»Unterhalten Sie private oder geschäftliche Beziehungen in Bremen?«, fragte Reuter weiter.

Mittlerweile war auch Kommissar Fechner wieder eingetroffen und verfolgte die Befragung mit wachsender Neugier. Helene und Robert Fleischer tauschten einen Seitenblick aus.

»Wir haben auch Kunden in Bremen. Warum interessiert Sie das alles, Herr Reuter? Das hat doch nichts mit der angeblichen Frauenleiche zu tun«, antwortete der Immobilienmakler.

»Ich denke doch. Eine der Kunden ist vermutlich weiblich und wollte nicht auf das vorgeschlagene Geschäft eingehen. Jedenfalls befand sich eine weitere Frau auf Ihrem Boot, obwohl Sie doch angeblich allein auf dem Segeltörn waren. Die Kollegen der Spurensicherung werden entsprechende Spuren finden und die führen uns dann sicherlich zu der Leiche, die Sie vermutlich in der Ostsee entsorgt haben«, erklärte Frank Reuter.

Helene Fleischer erbleichte, während sich das Gesicht ihres Ehemanns rötlich verfärbte. Kommissar Fechner verfolgte die jähe Veränderung der Befragung mit Staunen.

»Woher wollen Sie denn wissen, dass eine andere Frau mit uns an Bord gewesen ist?«, fragte Helene Fleischer mit leiser Stimme.

»Oh, nicht nur an Bord. Die Frau war vorher auch in diesem Appartement«, erwiderte Reuter.

Was hat Hauptkommissar Reuter auf die richtige Spur gebracht?

Lösung

Frau Fleischer ist eine zierliche Person, die über gesunde Augen verfügt. In der Tasche mit dem Anhänger aus Bremen befanden sich jedoch eine Bluse für eine weitaus kräftigere Frau sowie das Etui mit der Gleitsichtbrille. Reuter war zudem aufgefallen, dass die Sonnenbrille ebenfalls über speziell geschliffene Gläser verfügte. Frau Fleischer konnte damit nichts erkennen und doch lag die Brille zuvor auf dem Couchtisch.

Streit an der Schlei in Exhöft

Von der Ortschaft Exhöft aus hatten sich die Schüler in Gruppen aufgeteilt. Während ein Teil zu Fuß den Weg durch das Naturerlebniszentrum Oehe-Schleimünde angetreten hatte, wählten ihre Mitschüler entweder das Fahrrad oder die Skater als Fortbewegungsmittel. Es sollte der Auftakt in das nächste Schuljahr werden.

»Die Klassenlehrerin ist zugleich für das Fach Biologie zuständig und wollte mit diesem Ausflug den Zusammenhalt in der Klasse stärken«, erklärte Polizeiobermeister Dirk Hansen.

Der Ansatz war vermutlich gut gedacht gewesen, doch das Ergebnis sah völlig anders aus. Zwei Schüler lagen mit Verletzungen im Krankenhaus, aufgebrachte Eltern verlangten nach Erklärungen und sogar erste Medienvertreter waren auf dem Besucherparkplatz in Exhöft aufgetaucht. Hansen hatte daher Unterstützung vom LKA aus Kiel angefordert, weshalb Frank Reuter jetzt neben seinem Kollegen auf dem Parkplatz stand.

»Das klingt so, als wenn es in der Klasse einige Probleme gibt«, erwiderte der Hauptkommissar.

Obermeister Hansen hatte bereits Silke Rambow vernommen und erste Eindrücke sammeln können. Die Lehrerin stand zwar unter Schock, aber sie wollte unbedingt bei der Aufklärung behilflich sein.

»Der Ausflug wurde durch den Rektor der Schule nur unter Auflagen genehmigt. Eine davon war, dass zwei weitere Aufsichtspersonen dabei sein sollten«, erklärte Reuters Kollege.

Dabei handelte es sich um einen jungen Referendar sowie eine Teilzeitkraft, die normalerweise in den Nachmittagsstunden an der Schule die Aufsicht über die Schüler während der Hausaufgaben übernahm.

»Beide schweigen sich über den Ablauf aus. Die Angaben decken sich zwar, aber ich kann daraus keine Rückschlüsse auf den Auslöser der Auseinandersetzungen ziehen«, beschwerte sich Dirk Hansen.

Bislang wusste er nur, dass die Gruppe der Schüler mit den Fahrrädern zuletzt den Parkplatz verlassen hatte. Nach gut einem Kilometer war sie auf die andere Gruppe getroffen, die auf Inlineskatern unterwegs war. Dann waren nach Aussage der Betreuer erste verbale Provokationen ausgetauscht worden, bevor es in körperlicher Gewalt ausartete. Sowohl der Referendar als auch die Teilzeitkraft schilderten die Abläufe exakt gleich, ohne auf Details eingehen zu können oder wollen. Frank Reuter verstand den Unmut seines Kollegen und nahm sich vor, die beiden Aufsichtspersonen nicht so leicht davonkommen zu lassen. Obermeister Hansen hatte sie getrennt, indem er den Referendar in einen Bully und Nadine Mahler in einen anderen Streifenwagen gesetzt hatte. Mittlerweile waren erste Ergebnisse der Kriminaltechniker auf das Handy von Hansen geschickt worden. Gemeinsam schauten die Ermittler auf die Bilder, die von beiden Opfern beim Eintreffen in der Klinik angefertigt worden waren. Die Kleidung war extrem blutverschmiert und ließ so kaum erkennen, welche Verletzungen vorlagen.

»Ich möchte zuerst mit der Klassenlehrerin sprechen«, teilte Reuter seinen Entschluss mit.

Fünf Minuten später setzte sich Silke Rambow auf den Beifahrersitz von Reuters Passat. Er musterte die Frau von Mitte 30, die ihre dunkelblonden Haare zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden hatte. Ihr Gesicht war trotz der hohen Temperaturen wachsbleich und die blauen Augen dunkel. Der Zwischenfall hatte die Pädagogin schwer getroffen.

»Können Sie mir schildern, welche Probleme es in der Klasse gibt?«, bat Reuter.

Rambow seufzte schwer und suchte nach den passenden Worten. Dann erzählte sie von verschiedenen Vorfällen, die zu immer heftigeren Auseinandersetzungen unter den Schülern geführt hatten. Ein Junge mit dunkler Hautfarbe sah sich rassistischen Angriffen ausgesetzt und hatte daraufhin einen Mitschüler mit einem Springmesser angegriffen. Dann tauchten im Netzwerk der Schule auf einmal Filme auf, die eine Schülerin beim Sex mit einem älteren Mann zeigten. Trotz intensiver Bemühungen gelang es nicht, den Verursacher der Schmutzkampagne ausfindig zu machen.

»Das sind Teenager, die mit sich selbst kaum klarkommen. In einigen Familien fehlt auch der nötige Rückhalt, damit die jungen Menschen diese schwierige Periode in ihrem Leben besser meistern. Dieser Film war eine üble Fälschung und hat Celia aus der Bahn geworfen«, erklärte Silke Rambow.

Es war ihr anzuhören, wie sehr ihr die Schüler am Herzen lagen und wie groß das Verständnis für die Nöte von ihnen war. Unmittelbar zum Ende des letzten Schuljahres hatte es ein Referendar nicht mehr ausgehalten und um seine Versetzung gebeten.

»Hauke Lassen ist zu sensibel, um auf Schüler in dem Alter angemessen reagieren zu können. Eine Weile hat er sich um Celia besonders gekümmert und es schien zu helfen«, berichtete Rambow.

Doch dann kursierten auf einmal Gerüchte an der Schule, dass zwischen dem Referendar und der minderjährigen Schülerin ein sexuelles Verhältnis existieren sollte. Hauke Lassen reagierte entsetzt und schwor jeden Eid, dass er sich Celia Sönnichsen niemals unsittlich genähert hatte. Keiner der Kollegen oder der Rektor hegten den geringsten Zweifel an seiner Aufrichtigkeit, aber die Schüler ließen Lassen seitdem auflaufen.

»Können Sie sich den heutigen Zwischenfall erklären? Sehen Sie einen Zusammenhang mit den früheren Vorfällen?«, fragte Reuter.

Die Pädagogin räumte ein, völlig überfragt zu sein. Sie war zu Fuß mit der ersten Gruppe ihrer Schüler weit vor den anderen aufgebrochen. Erst der Anruf des Referendars hatte sie auf die schwere Auseinandersetzung aufmerksam gemacht.

»Als ich endlich dort eintraf, war es bereits zu spät«, entschuldigte sich Silke Rambow.

Der Hauptkommissar dankte ihr und ging anschließend zu dem Bully, in dem Volker Dietzen saß. Er wirkte sehr verschlossen und sein Bericht über den Vorfall hörte sich viel zu neutral an. Reuter verstand sofort, warum Obermeister Hansen dem angehenden Pädagogen nicht traute.

»Leonie hat also den Streit vom Zaun gebrochen, richtig?«, fragte Reuter.

Dietzen nickte.