Revolutionen müssen vollendet werden - Friedrich Hecker - E-Book

Revolutionen müssen vollendet werden E-Book

Friedrich Hecker

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Beschreibung

Die radikaldemokratischen Forderungen des Friedrich Hecker - in diesem Band der »Bibliothek der frühen Demokratinnen und Demokraten« erstmals in einer Textauswahl versammelt. Friedrich Hecker, einer der – nicht nur in seinem Heimatland Baden, sondern in allen deutschen Ländern – bekanntesten und angesehensten frühen Demokraten, verabscheute schöne Reden und jede Art des Kompromisses. Er forderte stattdessen energisches Handeln und war selbst ein ausgesprochener Tatmensch, wie der von ihm organisierte und nach ihm benannte bewaffnete Aufstand ("Heckerzug") in Baden beweist, der seinem Anführer weit über die badischen Landesgrenzen hinaus Heldenstatus zuwies – auch wenn dem Waffengang kein Erfolg beschieden war. Dass und warum das Vorhaben scheiterte, welche anderen "radikalen" Forderungen er stellte und weshalb die meisten davon zunächst unerfüllt blieben, schildert Hecker in seinen hier erstmals in einer Auswahl versammelten Texten. Nach seiner Flucht in die Schweiz 1848 emigrierte Friedrich Hecker in die Vereinigten Staaten von Amerika, wo er seinen Kampf um Volkssouveränität und Menschenrechte als Offizier der Nordstaaten-Armee fortsetzte.

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Edition PaulskircheFriedrich Hecker

Revolutionen müssen vollendet werdenMit einem Vorwort von Antonia GrunenbergHerausgegeben von: Jörg Bong, Ina Hartwig, Helge Malchow, Nils Minkmar, Walid Nakschbandi und Marina Weisband

Kurzübersicht

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Titelseite

Über Edition Paulskirche

Über dieses Buch

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

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Über Edition Paulskirche

Bibliothek der frühen Demokratinnen und Demokraten

 

Herausgegeben von: Jörg Bong, Ina Hartwig,Helge Malchow, Nils Minkmar, Walid Nakschbandi und Marina Weisband

 

Idee und Konzeption: Jörg Bong

Projektleitung und Redaktion: Rüdiger Dammann

Gestaltung: Kurt Blank-Markard

 

In Kooperation mit:

In der Buchreihe »Bibliothek der frühen Demokratinnen und Demokraten« werden erstmals die Schriften, Biografien, Gedanken und Geschichten der frühen Demokrat*innen versammelt und gewürdigt. Im Zentrum stehen die beiden Revolutionsjahre 1848/1849. Die ersten 5 von 16 Bänden erscheinen im Frühjahr 2023. Die einzigartige Bibliothek ist eine offizielle Kooperation mit der Paulskirchen-Stadt Frankfurt am Main.

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Über dieses Buch

Friedrich Hecker, einer der – nicht nur in seinem Heimatland Baden, sondern in allen deutschen Ländern – bekanntesten und angesehensten frühen Demokraten, verabscheute schöne Reden und jede Art des Kompromisses. Er forderte stattdessen energisches Handeln und war selbst ein ausgesprochener Tatmensch, wie der von ihm organisierte und nach ihm benannte bewaffnete Aufstand („Heckerzug“) in Baden beweist, der seinem Anführer weit über die badischen Landesgrenzen hinaus Heldenstatus zuwies – auch wenn dem Waffengang kein Erfolg beschieden war.

Dass und warum das Vorhaben scheiterte, welche anderen „radikalen“ Forderungen er stellte und weshalb die meisten davon zunächst unerfüllt blieben, schildert Hecker in seinen hier erstmals in einer Auswahl versammelten Texten.

Nach seiner Flucht in die Schweiz 1848 emigrierte Friedrich Hecker in die Vereinigten Staaten von Amerika, wo er seinen Kampf um Volkssouveränität und Menschenrechte als Offizier der Nordstaaten-Armee fortsetzte.

 

Friedrich Hecker (1811–1881) begann schon früh eine politische Laufbahn und wurde über die Jahre zu einem der bekanntesten und angesehensten frühen Demokraten. Nach seiner Flucht in die Schweiz 1848 emigrierte Friedrich Hecker in die Vereinigten Staaten von Amerika, wo er bis zu seinem Tod 1881 lebte.

 

Antonia Grunenberg, geboren 1944 in Dresden, studierte Soziologie, Philosophie und Germanistik in Frankfurt und Berlin. 1975 promovierte sie an der FU Berlin in Philosophie und wurde 1986 in Politischer Wissenschaft an der RWTH Aachen habilitiert. 2000-2009 war sie Professorin für Politikwissenschaft an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, wo sie auch das dortige "Hannah Arendt-Zentrum" gründete und leitete. Seit 2009 lebt und arbeitet sie als Publizistin in Berlin.

Inhaltsverzeichnis

Revolutionär mit Leib und Seele

»Heckerlied«

Der badische Landtag von 1842

1 Einleitung

2 Zusammensetzung der badischen Kammern

3 (…)

4 Das Ministerium Blittersdorf und sein System

Für eine Reform des Gerichtswesens

Religions- und Gewissensfreiheit

Erstes Kapitel

Deutschland und Dänemark

Nur die Republik ist Deutschlands Rettung

Die Erhebung des Volkes in Baden für die deutsche Republik im Frühjahr 1848

Vorwort

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Sechstes Kapitel

Des Menschen Recht

Abschieds-Worte an das deutsche Volk

Anhang

Biografische Notiz

Editorische Notiz

Quellen

Revolutionär mit Leib und Seele

Vorwort von Antonia Grunenberg

Eigentlich müsste seine Statue vor dem alten Reichstagsgebäude in Berlin stehen, dem heutigen Bundestag: Friedrich Hecker, Demokrat der ersten Stunde, Kritiker der deutschen Reichsgründung unter preußischer Führung, hellsichtiger Mahner und begnadeter Spötter.

Als der Reichstag 1894 nach mehr als zehnjähriger Bauzeit endlich fertig war, symbolisierte er den Triumph der deutschen Monarchie über die demokratische Bewegung, deren bekanntester Kopf Friedrich Hecker 1848 gewesen war.

Doch wer kennt Friedrich Hecker heute noch, von Historikern und Historikerinnen einmal abgesehen? Einige Geschichtsliebhaber wissen, dass es ein Hecker-Lied sowie einen Hecker-Hut gibt und dass 1848 ein »Hecker-Marsch« stattgefunden hat.

Viel mehr ist über diesen unvergleichlichen Revolutionär nicht bekannt. Zu Unrecht, wie die hier versammelten Texte deutlich machen. Friedrich Hecker war ein für die Geschichte der deutschen Demokratie weit bedeutenderer Mann als Otto von Bismarck, vom deutschen Kaiser ganz zu schweigen.

Friedrich Karl Franz Hecker, 1811 in Echtersheim im Großherzogtum Baden geboren und 1881 in Summerfield/Illinois gestorben, war schon überzeugter Demokrat, als in deutschen Landen die Leute begannen, von politischer Freiheit zu reden. Was trieb ihn um, den Kämpfer aus dem Badischen, der den Deutschen helfen wollte, sich aus jahrhundertelanger Unterdrückung zu befreien?

Hecker kam aus einem liberal-bürgerlichen Elternhaus, besuchte das Gymnasium und studierte Rechtswissenschaft. Seine Ausbildung führte ihn zum Anwaltsberuf. Doch sein Interesse galt der Politik. In der Folge übernahm er kleinere politische Ämter und fiel auf, weil er ebenso leidenschaftlich wie überzeugend sprechen konnte. Das brachte ihm den Posten eines Abgeordneten in der Zweiten Badischen Kammer in Karlsruhe, der Hauptstadt des Großherzogtums Baden ein.

Die zwanziger und dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts, in denen er heranwuchs, sah er im Rückblick als Zeit des Stillstands, geprägt von einer Atmosphäre des »Anhündelns«; so nannte Hecker das buckelnde Postenschachern an den Fürstenhöfen. Opportunismus und Feigheit, so erinnerte er sich später, hätten in der Politik vorgeherrscht, und zwar auch und gerade in liberalen Kreisen. Einflussreiche politische Persönlichkeiten seiner Zeit bedachte er mit Invektiven wie »aufgeputzte politische Koketten« oder »eitle, törichte Schwätzer«.[1]

Man kann sich gut vorstellen, wie Hecker in jungen Jahren mit der damaligen demokratischen Studentenbewegung sympathisierte. Er hatte ein feines Gefühl für den Zeitgeist; und der verkündete von vielen Dächern in den deutschen Ländern, dass Herzöge, Grafen und Könige rasant an Vertrauen verloren. Sehr viele im Volk, vor allem im Großherzogtum Baden, wollten nicht mehr geradestehen für den fürstlichen Prunk und die Apanagen der Hofschranzen, für die Gehälter und Pensionen ihrer Beamten.

Als aufgeklärter Bürger glaubte Hecker, der Mensch sei von Natur aus befähigt, vernünftig zu denken. Daher sollten die Bürger wichtige Entscheidungen, die das Zusammenleben aller betreffen, nicht in den Händen von Monarchen und deren Regierungen belassen. Der Advokat Hecker war überzeugt, dass seine Mit-Menschen sich selber vernünftige Gesetze für ihr Zusammenleben geben könnten.[2] Und so liegt ein Schwerpunkt seiner Reden und Schriften in der oft wiederholten Maxime: Religion ist keine Staats- und auch keine monarchische Angelegenheit, sondern Privatsache. Jedem sein eigener Gott ‒ und der war nicht politisch, weil außerhalb des Irdischen angesiedelt. Damit stellte Hecker die angeblich gottgegebene Autorität der Monarchen in Frage und setzte an ihre Stelle die naturgegebene Selbstverantwortlichkeit der Bürger. In seinen Überlegungen zur Verfassung einer freien Gesellschaft bilden diese Maximen das Fundament: Monarchie ist unvernünftig, Demokratie ist vernünftig, aber nur möglich ohne Staatsreligion.

In den vierziger Jahren wuchs die demokratische Bewegung überall an. Hecker und seine Freunde Johann von Itzstein, Gustav Struve, Heinrich von Gagern oder Friedrich Bassermann taten sich mit Gleichgesinnten zusammen. Sie gründeten politische Debattierklubs und beschlossen schließlich, öffentlich für eine Verfassung einzutreten, in der die Rechte des Volkes neu geregelt würden. Es galt, in den Ländern, allen voran in Baden, eine demokratische Verfassung zu erarbeiten und eine dem Volk verantwortliche Regierung zu bestellen. Also sollte zunächst ein Vorparlament ernannt werden, dann freie Wahlen ausgeschrieben und ein ordentliches Parlament gewählt werden, aus dem heraus eine unabhängige Regierung gebildet werden konnte.

Welche juristischen und politischen Instrumente es dazu brauchte, das konnte man bei den Franzosen abschauen, die schon zwei Revolutionen hinter sich hatten und im Februar 1848 erneut gegen die Monarchie aufstanden. Oder man blickte nach Amerika, wo die Verfassung nach einem Unabhängigkeitskrieg gegen die englische Kolonialmacht in öffentlicher Debatte geschaffen worden war.

Doch an der Frage, wie man mit den angestammten Königen, Großherzögen und Grafen und deren machtgestützten Netzwerken umgehen sollte, spaltete sich die Bewegung. Die Mehrheit der Liberalen, zu denen Gagern und Bassermann gehörten, wollte einen Kompromiss: Verfassung ja, aber mit Zustimmung der Monarchen. Das Volk verursache nur Unruhe, müsse also in Schach gehalten werden, argumentierten die Liberalen. Hecker und seinen Freunden war klar, dass dieser Kompromiss faul war. Sie bestanden darauf, dass die monarchische Herrschaftsform gänzlich abgeschafft gehöre – und liefen gegen eine Wand der Ablehnung. Letztlich unterlagen sie den Ränkespielen ihrer Gegner so deutlich, dass selbst das Volk sich zurückzog. Ein letzter Versuch Heckers, mit einer Menge von bewaffneten Bürgern in die Hauptstadt des Großherzogtums Baden, nach Karlsruhe, einzuziehen, scheiterte kläglich am Mangel von Mitkämpfern. Es kamen nicht mehr als 800 Männer zusammen, die im Kampf mit den örtlichen Truppen hoffnungslos unterlagen; Hecker floh in die Schweiz.

Am Ende siegten die Liberalen im Verein mit den Monarchisten. Ihnen kam es ohnehin mehr auf den ungehinderten Warenverkehr an als auf eine freiheitliche politische Ordnung. Sie betrachteten die Politik als Wegbereiterin wirtschaftlichen Wachstums. Entscheidend waren für sie die wirtschaftspolitischen Freiheiten, die sich erst in einem einheitlichen Wirtschaftsraum entfalten könnten. Also votierten sie für den Kompromiss, den die radikalen Demokraten für grundfalsch hielten: eine konstitutionelle Monarchie unter Preußens Führung, will heißen, unter einem preußischen König. Der aber machte sich öffentlich lustig über die Abgeordneten, die ihm den Entwurf einer demokratischen Verfassung überreichen wollten.

Am Ende erreichten die Liberalen den Fortbestand der Monarchie in deutschen Ländern samt pseudoparlamentarischer Verfassung. Die Fürsten waren erleichtert, am lautesten lachte der preußische König. Die Reichseinigung unter einem preußischen Kaiser brachte dann im Jahre 1871 den deutschen Ländern den endgültigen wirtschaftlichen Zusammenschluss, aber eben nicht die politische Freiheit ihrer Bürger.

Das Programm der sogenannten radikalen Demokraten, die sich nicht von den Liberalen einfangen ließen, trug Heckers Handschrift:

Abschaffung aller monarchischen Steuern und Abgaben; sei das geschehen, würde das Volk freiwillig Steuern nach Maßgabe des Verdienstes zahlen;

Enteignung allen monarchischen Grundbesitzes; Überführung in Volkseigentum unter staatlicher Verwaltung mit anschließender Bodenreform inklusive Landverteilung an arme Bauern;

Staatsbeamte (Richter und Verwaltungsbeamte) sollten vom Volk gewählt werden, ihre Entlohnung maßvoll sein; nach Ablauf ihrer Dienstzeit sollten sie ohne Pension zurück in den Privatstand treten und ihrem Beruf nachgehen;

Bildung einer Regierung durch gewählte Volkskommissare, die von der Nationalversammlung zu bestellen seien;

statt einem stehenden Heer solle ein Volksheer aufgestellt werden.

Dieses politische Gebäude sollte vom freien Zusammenschluss aller deutschen Länder zu einer föderalen Republik mit demokratischer Verfassung gekrönt werden.

Hinzu trat die Garantie persönlicher Freiheiten: Religionsfreiheit, Presse- und Meinungsfreiheit.

Die Eckpfeiler der auswärtigen Politik sollten durch Vertragsabschlüsse mit anderen freien Staaten (Frankreich, Amerika, Schweiz) gebildet werden.

Die Kernaufgaben des Staates fasst Hecker lakonisch in drei Punkten zusammen: Der Staat muss

1.

die Religion privatisieren,

2.

die Freiheitsrechte aller garantieren und

3.

das Individuum vor Übergriffen, auch den staatlichen, schützen.

Das Ziel der Umwälzung der politischen Ordnung sei es, einen »menschenwürdigen Zustand der Freiheit« zu begründen. Heckers radikale Absage an die Monarchie war mehr als nur Ausdruck eines aufklärerischen Idealismus. Er nahm die Not der Bauern und der städtischen Bevölkerung realistisch wahr; das liest man in seinen Schriften. Er wusste, was er sagte, wenn er die Abgabenlast der »Zehnten, Frohnden, Rabatte, Gülten, Zinsen und andere Grundlasten« für überlebt und kontraproduktiv erklärte. Schließlich lebte man mitten im beginnenden Industriezeitalter. Durch die vielen Steuern und Abgaben war das Bürgertum in seinem Tatendrang blockiert, das wurde den Handwerkern, Laden- und Manufakturbesitzern immer dann klar, wenn sie nach England blickten, wo die industrielle Revolution seit über einem halben Jahrhundert im Gange war. Weder gab es einen gemeinsamen Markt noch eine gemeinsame Währung, weder allgemein gültige Maßeinheiten noch durchgehende Eisenbahnlinien, geschweige denn Bewegungs- bzw. Reisefreiheit. Viele materielle Gründe sprachen für die Abschaffung der monarchischen Regimes in deutschen Landen. Von den armen Leuten gar nicht zu sprechen, die aufgrund der Abgaben keine Chance hatten, aus der Armut herauszukommen. Daher unterstützten vor allem in Baden nicht nur tatendurstige reiche, sondern auch mittellose arme Bürger Hecker und seine Getreuen anfangs.

Das demokratische Programm war für alle deutschen Staaten gedacht. Der Prozess der Demokratisierung war eng mit der Vereinigung der deutschen Staaten verbunden. Demokratie in nur einem der zahlreichen deutschen Staaten, das war nicht möglich, darin stimmten die Liberalen mit den Demokraten überein. Im Grunde war die deutsche Zersplitterung – 34 Staaten mit ebenso vielen monarchischen Höfen, dazu 4 freie Städte – ein Überbleibsel aus dem Feudalismus. Der deutsche Staatenbund (Deutscher Bund) von 1815 hatte diese Einigung natürlich nicht erreichen können, da er nicht mehr als ein Zweckbündnis der Fürsten gegen das Volk sei, argumentierten die Demokraten.

Eine aus freiem Entschluss der Bürger erreichte deutsche Einheit war etwas völlig anderes. Das künftige Deutschland sollte ein freier föderaler »Volksstaat« sein: also Einheit in Freiheit – und nicht Einheit ohne Freiheit, wie es dann 1871 geschah.

Zu Heckers Zeit gärte es rings um Deutschland herum. Man musste nur über den Rhein schauen, um das europäische Vorbild eines demokratischen Aufbruchs zu sehen: Frankreich. Gleichwohl mussten die Franzosen dreimal ‒ 1789, 1830 und 1848 ‒ revoltieren, ehe es ihnen gelang, eine Republik der Bürger zu etablieren. Erst die dritte Revolution brachte die Befreiung von der adeligen Pfründenwirtschaft. Das hätte Hecker und den Seinen zu denken geben können.

Die Schweiz war auf dem Weg von einem Staatenbund zu einem republikanischen Bundesstaat; aber auch dort wurde dieser Prozess regelrecht ausgekämpft. Im Habsburgischen Reich brodelte es. Der ungarische Adel und das dortige Bürgertum wollten mehr Selbstständigkeit. Fast überall in Europa blühten demokratische Bewegungen auf. Die Völker spürten, dass die königliche Macht schwächer geworden war und die Monarchen sich nurmehr auf Gewalt stützten.

Vom fernen Amerika glänzte im Morgennebel die Freiheitsstatue, das Symbol eines Bundes von sich selbst regierenden Republiken mit einer gemeinsamen staatlichen Zentrale. Von den großen Persönlichkeiten des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs konnte man lernen, wie eine freiheitliche Verfassung zustande kommt und auf welchen Prinzipien sie beruht. Die Amerikaner wiederum hatten während der Französischen Revolution gelernt, was man vermeiden sollte, nämlich soziale Gleichheit durch Terror zu erzwingen.

In Baden war die demokratische Bewegung am stärksten; von dort kam Hecker ja her. Aber selbst dort trauten sich die Bürger, die sich über lange Zeit immer wieder auf ihren Marktplätzen versammelt und nach Freiheit verlangt hatten, letztlich nicht, die entscheidenden Schritte zu gehen. Vielleicht haben Hecker und seine Getreuen das Momentum verpasst, vielleicht waren es einfach zu wenige, die die Republik wollten, vielleicht lag es daran, dass sie die Hilfe der deutschen Exilanten aus Paris (unter ihnen der Dichter Georg Herwegh und seine Frau Emma), die sich mit einer Heerschar von Gesinnungsgenossen auf den Weg nach Deutschland gemacht hatten, um der Badischen Freiheitsbewegung beizustehen, nicht annahmen.

Vielleicht waren aber auch die deutschen Bürger noch nicht selbstbewusst genug, trauten letztlich ihrer eigenen Kraft nicht. Und so endete diese demokratische Erhebung kläglich.

Nach der demütigenden Niederlage floh Friedrich Hecker in die Schweiz. Dort sah man ihn nicht gerne; er versuchte es in Frankreich, aber da wollte man ihn auch nicht. Es war aus seiner Sicht nur folgerichtig, in dieser ausweglosen Situation in die Vereinigten Staaten auszuwandern, dem Land, in dem die Freiheit gefestigt schien, in dem die Bürger ihre politische Zukunft selbst in die Hand genommen hatten. Er ließ sich in Illinois nieder und kaufte eine Farm, baute Wein an, betrieb Viehzucht.

Aber in den Vereinigten Staaten war die Freiheit noch keineswegs gesichert zu jener Zeit. Der Norden war für die Abschaffung der Sklaverei, die Südstaaten traten aus der Union der Vereinigten Staaten aus, um weiter Sklavenwirtschaft betreiben zu können. Sie gründeten eine eigene Konföderation der Sklavenhalter-Staaten. 1861 brach über dieser Sezession ein Bürgerkrieg zwischen den verfeindeten Staatenbünden aus. An ihm nahm Hecker wie auch viele andere deutsche Emigranten als Freiwilliger der Nordstaaten-Armee teil.

Ein einziges Mal noch, 1873, kehrte er nach Deutschland zurück – und sah dort das, was er 1848 vorausgesehen hatte: Ein mächtiges Reich, das polizeistaatlich regiert wurde.

Friedrich Hecker starb 1881 in seiner zweiten Heimat Illinois. Auf seinem Grabstein ist sein militärischer Rang als Kommandeur des 82. Infanterieregiments verzeichnet.

Der demokratische Revolutionär mit Leib und Seele ist nach seinem Tod zu einer Provinzgröße zurückgestuft worden, über die man nur in lokalen Kreisen spricht. In Mannheim machen sich die Stadtväter seit einigen Jahren Gedanken, ihm ein Denkmal zu setzen ‒ über 170 Jahre nach der demokratischen Revolution, für die er stand. In Berlin lehnte man ein Denkmal für die Revolutionäre von 1848 auf dem Schlossplatz ab und wählte stattdessen den indirekten Weg eines Denkmals für jene nach Nordamerika vertriebenen Demokraten, als deren Repräsentant Carl Schurz bestimmt wurde, auf dem Platz vor dem Brandenburger Tor. Offenbar kann man deutsche Demokraten umso leichter ehren, wenn sie nach Amerika vertrieben worden sind. Friedrich Hecker wird dort unter ferner liefen firmieren.

Heckers Geschichte erzählt von Wagemut und Verrat, von hohen Zielen und den Mühen der Ebene, von Niederlagen und Siegen, vom Hinfallen und Wiederaufstehen. »Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben«, dieser Spruch aus dem Umbruchsjahr 1989 lässt sich auch umkehren: Wer zu früh kommt, den bestraft das Leben. Hecker kam zu früh, und dafür wurde er bestraft. Doch er hat deutliche Zeichen hinterlassen.

Wer Heckers Schriften heute liest, erschrickt manches Mal. So klar und weitsichtig lesen sich seine Analysen, so zeitgenössisch – und so zeitlos. Wie eine prophetische Voraussage klingt, was er seinen Landsleuten nach dem Scheitern des Badischen Aufstands vorhielt: »Ohne Republik stets ein zersetzender Gärungsprozess, ohne Republik keine schöpferische Entwicklung des Volkes, ohne Republik kein Wohlstand des Volkes, ohne Republik keine Einheitskraft im Innern und nach Außen, ohne Republik keine Freiheit, und keine Freiheit für die Dauer.«

Was manchen Liberalen damals wie eine leere Drohung vorgekommen sein mag, verblüfft uns heutzutage ob seiner Aktualität: Hat nicht die Gründung des Deutschen Kaiserreichs den Spaltpilz erst recht in die deutsche Gesellschaft getragen? Die Politik des Reichskanzlers Otto von Bismarck (Kulturkampf und Verfolgung der (Sozial-)Demokraten) legt jedenfalls davon Zeugnis ab.

Wie ein roter Faden zieht sich eine Lehre durch die jüngere deutsche Geschichte: Die Deutschen verzweifeln immer dann an der Freiheit, wenn die Zeiten schwer sind. Die 15 Jahre andauernde Weimarer Republik fand nicht genügend Verteidiger, die sie vor dem Ansturm der kommunistischen Bewegung auf der einen Seite, der nationalsozialistischen Erhebung auf der anderen Seite und dem mangelnden Stehvermögen des Bürgertums hätten schützen wollen.

Die Gründung der Bundesrepublik 1949 war (dem Himmel sei Dank!) ein Oktroi der westlichen Besatzungsmächte und beruhte nicht auf dem seinerzeitigen Volkswillen. Die Gründung der DDR, ebenfalls 1949, war ein als antifaschistischer Akt verkleideter kommunistischer Oktroi, den die Mehrheit der Bevölkerung begrüßte. Die friedliche Revolution von 1989, von der Mehrheit der Menschen in der ehemaligen DDR jubelnd begrüßt, wich Jahre später bei einem nicht unbeträchtlichen Teil der Bevölkerung einem Argwohn, der insinuierte, die neu errungene Demokratie sei mit Hilfe einer Siegerjustiz oktroyiert worden.

Bis heute wissen beachtliche Minderheiten in Ost und West nicht recht, ob sie nun demokratisch leben oder lieber fürsorglich bevormundet werden wollen. In Umfragen, in denen sondiert wird, wie hoch die Deutschen die soziale Sicherheit und die politische Freiheit schätzen, steht immer die soziale Sicherheit an erster Stelle, vor der Freiheit. Auch wenn andere Umfragen besagen, dass die Mehrheit der Deutschen davon überzeugt ist, langfristig werde überall auf der Welt Freiheit gegen Unfreiheit siegen, die Befunde sind nicht gerade beruhigend.

Wäre Deutschlands Weg weniger katastrophal verlaufen, wenn die Bürger 1848 mutiger gewesen wären? Wir wissen es nicht. Der Verlauf der Geschichte lässt sich weder vorwärts noch rückwärts berechnen. Doch als Frage kommt dieser Gedanke gleichwohl immer wieder auf.

Daran ist Friedrich Hecker nicht ganz unschuldig.

»Heckerlied«

Wenn die Leute fragen,

Lebt der Hecker noch?

Sollt ihr ihnen sagen,

Ja, er lebet noch!

(Refrain)

Er hängt an keinem Baume,

er hängt an keinem Strick!

Er hängt nur an dem Traume

Von der Republik.

Gebet nur, ihr Großen,

euren Purpur her.

Das gibt rote Hosen

Für der Freiheit Heer.

(Refrain)

Ja dreiunddreißig Jahre

währt die Sauerei.

Wir sind keine Knechte,

wir sind alle frei!

Das sind die ersten zwei von sechs Strophen des sogenannten Heckerliedes, das nach 1848 sehr populär war und erheblich zum Nachruhm Friedrich Heckers beitrug. Entstehung und Autorenschaft des Liedes sind nicht belegt.

Der badische Landtag von 1842[3]

1Einleitung

Der badische Landtag von 1842 bildet ohne Zweifel einen scharf bezeichneten Abschnitt in der staatlichen Entwicklung des deutschen Volkes. Der laute Freiheitsschrei des gallischen Hahns im Jahr 1830 war verklungen, die politische Trägheit und Gleichgültigkeit hielten reiche Ernte, große und kleine Klatschereien und literarischer Skandal waren die Würze zu dem Sklavenbrei des alltäglichen Schlendrians, Gelddurst und ein Rennen nach Erwerb, was man die materiellen Interessen nannte, war die Losung des Tages, und sie wurde von oben herab gnädig beäugelt und begünstigt, weil in geldgierigen Krämerseelen kein prometheischer Funke aufstrahlt und weil die Richtung der Zeit wie eine Finanzspekulation angesehen wurde – wobei man sich aber denn doch verrechnet haben möchte, da auch die materiellen Interessen der Sache der Freiheit dienen müssen und dienen. In dieser welken Zeit tauchte nur hier und da in deutschen Landen ein Wetterleuchten auf.

Hannover machte ein mutiges Gesicht und wendete sich höflich an den Bundestag, der sich offiziell für inkompetent erklärte; die deutschen Kammern trugen hingegen Bedenken und predigten tauben Ohren für die Brüder in Hannover; Pressefreiheit wurde begehrt und Zensuredikte ergingen; die Zeitungen erzählten ausführlich, dass Prinzen auch heiraten, fürstliche Kinder auch getauft werden, und Könige sterben wie Bauern. Fast allmonatlich musste ganz Deutschland deshalb entweder in der verzücktesten Exaltation oder in der tiefsten Trauer sich befinden, so dass die guten Michelinge nach den offiziellen Zeitungsnachrichten gar nicht mehr wussten, wie sie eigentlich daran waren.

In Baden hatte sich der Sinn für Freiheit und Verfassungsleben noch am wachsten erhalten. Da fuhr der Urlaubsstreit und seine Folgen wie ein Streiflicht über das Land; die wahren Abgeordneten des Volkes erhoben sich, wie ein Mann, gegen Eingriffe in die Verfassung. Die Minister waren gewöhnt, dass man in glatten, abgedroschenen Formen sie anredete; jedes Wort wurde noch extra in Baumwolle gewickelt, damit man ihnen nicht zu wehe tue, und das nannte man: eine parlamentarische Sprache führen. Die deutschen Minister, die wohl wussten, dass ihnen das Portefeuille an den Leib gewachsen war und nur der Tod sie von ihm trennen könne, nahmen Prisen, während man sie apostrophierte, und die Reden und Vorwürfe glitten an ihnen ab wie der Hauch am Spiegel.

Da erhoben sich die badischen Deputierten und nannten die Dinge bei ihrem wahren Namen; sie sprachen mit dem Herzen; die Wörterbuhlschaft hatte ein Ende. Das war der Regierung unbequem: Es verwischte das Zwielicht ministerieller Erhabenheit; es kam einem adelichen Minister höchst auffallend vor, dass ein schlichter Landmann, ein Bürger aus der Stadt, ein Anwalt ihm unumwunden ins Gesicht sagte: »Das ist recht und das ist schlecht«, denn er war ja lediglich an den Bückling des Supplicantenfracks und baumwollene Redensarten gewöhnt.

Nun entstanden eine Reihe halb offizieller Artikel, in welchen man die Abwehr der Eingriffe in Verfassungs- und Volksrechte Anmaßung und Angriff auf die Rechte der Krone nannte; das monarchische Prinzip wurde mit der Person der Minister identifiziert, und wer einen Meister angriff, musste unfehlbar den Regenten angegriffen haben. Die Regierungsjournale versicherten auf das Bestimmteste, die deutschen Verfassungen seien samt und sonders keine repräsentativen, sondern deutsch-monarchisch-ständische. Was letzteres Wort bedeute, wurde eigentlich nicht gesagt, sondern so oft ein den Ministern unbequemer Akt vorging, hieß es immer: Das ist gegen den Geist der deutsch-monarchisch-ständischen Verfassungen. Im Hintergrund lauerte die Idee von Feudalständen, wenn’s gut ginge, von Postulatlandtagen, mit denen es sich so bequem regieren lässt; aber geradezu sagen wollte man es denn doch nicht, obschon in der neuesten Zeit die Sache deutlicher ausgesprochen wurde. Eine große Unwissenheit in Verfassungsgesetzen verriet freilich eine solche Behauptung in Baden, woselbst in dem Verfassungsgesetz vom 23. Dezember 1818 die Verfassung selbst, abgesehen von ihrem Geiste, sogar eine repräsentative