Rialla - Die Sklavin - Patricia Briggs - E-Book

Rialla - Die Sklavin E-Book

Patricia Briggs

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Beschreibung

Einst war sie wehrlos. Jetzt ist ihre Zeit der Rache gekommen!

Früher war Rialla eine wertvolle Sklavin, nun ist sie ausgebildete Spionin der Söldnernation Sianim. Ihr wird der Auftrag angeboten, einen Lord zu beschützen, der die Sklaverei abschaffen will. Dafür soll Rialla erneut in die Rolle der Sklavin schlüpfen - ein gefährliches Unterfangen, bei dem sie von Feinden umgeben wäre und erneut verkauft werden könnte. Aber es ist ihre Chance, sich an allen Sklavenhaltern zu rächen, und sie ergreift sie, ohne zu zögern. Auch wenn es bedeutet, dass sie in eine Welt voller Intrigen, Mordanschläge und tödlicher Magie zurückkehren muss ...

»Eine begabte Erzählerin ... eine fesselnde Geschichte.« The Best Reviews

Sianim, ein Reich voller Magier, Drachen und Gestaltwandlern - die packend erzählte Abenteuerfantasy-Reihe der beliebten New-York-Times-Bestsellerautorin Patricia Briggs.

Band 1: Aralorn - Die Wandlerin
Band 2: Aralorn - Der Verrat
Band 3: Rialla - Die Sklavin
Band 4: Shamera - Die Diebin

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Karte

Danksagung

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

Epilog

Über die Autorin

Alle Titel der Autorin bei beHEARTBEAT

Impressum

 

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Über dieses Buch

Früher war Rialla eine wertvolle Sklavin, nun ist sie ausgebildete Spionin der Söldnernation Sianim. Ihr wird der Auftrag angeboten, einen Lord zu beschützen, der die Sklaverei abschaffen will. Dafür soll Rialla erneut in die Rolle der Sklavin schlüpfen – ein gefährliches Unterfangen, bei dem sie von Feinden umgeben wäre und erneut verkauft werden könnte. Aber es ist ihre Chance, sich an allen Sklavenhaltern zu rächen, und sie ergreift sie, ohne zu zögern. Auch wenn es bedeutet, dass sie in eine Welt voller Intrigen, Mordanschläge und tödlicher Magie zurückkehren muss …

PATRICIA BRIGGS

RIALLA

DIE SKLAVIN

Aus dem amerikanischen Englischvon Christina Neuhaus

 

Ich möchte den folgenden Menschen danken:

Michael, Ehemann und (selbst ernannter) Cheflektor.

Laura Anne Gilman, (berufsmäßige) Lektorin, die mich um eine größere Änderung am Buch bat – danke, danke, danke dafür!

Mark und Kristi Dimke für ihre Freundschaft, Geduld sowie ihren Drucker – in dieser Reihenfolge.

Bon und Jolene Briggs für ihre Liebe und Unterstützung … und dafür, dass sie es mit meinem Pferd ausgehalten haben.

Ohne sie hätte diese Geschichte nie erzählt werden können.

1

Weit öffnete sie die Arme, die Finger anmutig gespreizt, und verharrte einen Moment lang in dieser Haltung – dann begann sie ihren ekstatischen Tanz. Jedes Setzen der Füße, jede Neigung des Handgelenks war sorgsam choreografiert, erfolgte ohne Nachdenken, war vollendet in der Ausführung. Ihr Körper floss von einer Figur in die nächste, präsentierte sich abwechselnd unnahbar, lockend oder fügsam.

Das Schlagen der Trommeln war ein vertrauter Begleiter: Es erfüllte sie ganz und gar. Ihr Herz schlug im Rhythmus der dumpfen Töne; ihre Hände und Füße waren im Takt der helleren Klänge der kleineren Instrumente. Der Tanz wurde langsamer, und ihre Bewegungen bedächtiger, lasziver.

Sie genoss die Euphorie, die der Tanz in ihr weckte. Das Schmerzen der Muskeln, der Preis für die Perfektion ihrer Kunst, verstärkte den Rausch. Schweiß lief ihr über das Gesicht und verschleierte ihr die Sicht, doch sie brauchte nicht zu sehen – der Boden unter ihren Füßen war flach und sandig, und sie wusste, wohin die Musik sie geleiten würde.

Das Trommeln wurde wieder schneller, steigerte sich zu einem Crescendo und brach dann abrupt ab. Die einsetzende Stille dröhnte in ihren Ohren, als sie mit dem Blick nach unten, um Atem ringend auf dem Boden zusammenbrach. Der Applaus einer einzelnen Person verdrängte die schwindende Erinnerung an die Trommelschläge.

»Sehr schön, meine Kleine«, hörte sie die Stimme des verhassten Meisters.

Rialla setzte sich kerzengerade im Bett auf. Die Laken waren durchtränkt vom Schweiß eines lange zurückliegenden Tanzes. Unweigerlich hob sie die Hände zum Hals, aber der Sklavenring war schon vor langer Zeit entfernt worden, und heute ersetzte eine Narbe in ihrem Gesicht die unerträgliche Tätowierung.

Benommen senkte sie den Kopf und fuhr sich mit den Händen durchs Haar. Dann schlug sie die Decke zurück und stand auf, obwohl der Morgen noch lange nicht dämmerte.

Im Labyrinth, dem ältesten Gebäude Sianims, nahm Ren, besser bekannt als Sianims Meisterspion, in seinem Sessel Platz und schaute ziellos aus dem offenen Fenster.

Der Sessel war für seinen Vorgänger gefertigt worden, der weitaus höher gewachsen war als er. Und so wirkte Rens schmale, kahl und grau werdende Gestalt ein wenig lächerlich auf diesem Möbelstück. Wie ein Kind, das einen Erwachsenen mimte, doch niemand in Sianims Söldner-Stadtstaat hätte den Meisterspion je lächerlich genannt: Vielmehr vereinte er mehr Macht auf sich als so mancher König.

Er wandte sich vom Fenster ab, legte die Füße auf den überfüllten Schreibtisch und ignorierte, dass dadurch einer der Papierstapel zu Boden rutschte. Dann stützte er das Kinn in die Hand und wartete geduldig auf die Person, die er hatte rufen lassen.

Endlich erklang von der Tür her ein leises Klopfen.

»Wer da?«, bellte der Meisterspion.

»Rialla von den Pferden, wie Ihr es befohlen habt, Herr.« Sie sprach mit weicher Stimme, wirkte fast kleinlaut. Rens Mund verzog sich zu einem missbilligenden dünnen Strich. Wenn sie so lammfromm, ja, verzagt war, wie sie sich anhörte, konnte er sie auch gleich wieder nach Hause schicken.

Nun gut, die Frau konnte nichts dafür, falls sein Informant ihn enttäuscht hatte. Selbst wenn sie ihm für den anstehenden Auftrag nicht dienlich sein konnte, mochte er immer noch die Informationen nutzen, die sie vielleicht für ihn hatte.

Er zwang sich zu einem etwas herzlicheren Ton und rief: »Komm herein, Rialla von den Pferden. Ich habe dich erwartet.«

Mit einem Seufzer öffnete sich die Tür und schloss sich wieder unter quietschendem Protest, als die Pferdeausbilderin sie zuzog. Sie war größer als er, doch so zierlich, dass sie fast zerbrechlich wirkte. Ihr rotes Haar war zu einem kurzen Zopf zusammengebunden, der kaum ihre Schultern berührte. Ren erhaschte einen kurzen Blick auf smaragdgrüne Augen, bevor sie den Kopf senkte.

Sie wartete schweigend darauf, dass er das Wort ergriff, während sie mit locker hängenden Armen und ausdrucksloser Miene dastand. Gedankenverloren stellte er fest, dass man sie eine schöne Frau nennen könnte, wäre da nicht diese Narbe, die fast die gesamte Wange bedeckte.

Er grüßte sie betont höflich. »Ausbilderin.«

Die grünen Augen trafen kurz seinen Blick. »Meisterspion.« Es lag ein spöttischer Unterton in diesem Wort, den niemand, der nur eine Spur weniger aufmerksam gewesen wäre, wahrgenommen hätte. Ren war so fasziniert von dem Widerspruch zwischen ihrer Unschuldsmiene und dieser unterschwelligen Respektlosigkeit, dass aufgrund seines Schweigens eine lange, unbehagliche Pause entstand.

Als er immer noch nicht sprach, zuckte sie die Achseln und wandte sich einem der Bücherregale zu, das ganz in der Nähe stand. Der Eindruck von Zerbrechlichkeit verflüchtigte sich, als er sah, wie sie sich bewegte. Sie besaß die Körperbeherrschung einer trainierten Athletin, und als sie eines der Bücher zur Hand nahm, traten starke Muskeln und Sehnen auf ihrem Arm hervor.

Der Meisterspion beobachte sie fast wohlgefällig. Es konnte funktionieren. Ab jetzt schwieg er ganz bewusst und beobachtete sie. Sie blätterte eine Seite um und schien schon bald ganz vertieft in ihre Lektüre.

Ren lachte leise auf, schob sich auf seinem Sessel vom Schreibtisch weg und fragte schließlich lächelnd: »Bist du denn kein bisschen neugierig darauf zu erfahren, warum ich dich heute rufen ließ?«

Sie stellte das Buch zurück und wandte sich ihm wieder zu. »Doch.« Diesmal klang ihre Stimme so kleinlaut wie zu Anfang.

»Ich hatte ein Gespräch mit Laeth«, begann er. »Ich glaube, er ist ein Freund von dir. Nun, er sagte mir, dass du akzentfrei Darranisch sprichst.« Er ließ diese Feststellung wie eine Frage klingen und sah sie prüfend an.

Sie hob unbestimmt die Schultern, während ihre linke Hand kurz die Narbe streifte, die ihr Gesicht entstellte; dann senkte sie wieder den Blick.

Darranische Sklaven trugen zur Identifizierung ausnahmslos aufwendige Tätowierungen auf der linken Wange. In Darran konnten Sklaven daher auch nicht befreit werden; die Tätowierung zeichnete sie ein Leben lang.

Ren beschloss, seine Taktik zu ändern. »Was weißt du über Lord Karsten?«, fragte er geradeheraus.

»Ihr meint abgesehen von der Tatsache, dass er Laeths Bruder ist?«, erwiderte sie, doch dann fuhr sie gleichmütig und ohne auf eine Antwort zu warten fort: »Er zählt zu den darranischen Lords, die eine Vereinigung der Königreiche Reth und Darran anstreben. Ich glaube, das gewünschte Bündnis umfasst auch die Vermählung von König Myr von Reth mit der älteren Schwester des darranischen Königs.«

Ren nickte zustimmend. »Lord Karsten ist das einflussreichste Mitglied des Regierungsrats. Mit seiner Unterstützung ist diese neue Allianz so gut wie sicher.«

Wieder lag leichter Spott in ihrer Stimme, als Rialla zum ersten Mal unaufgefordert sprach: »Und Sianim möchte den Zusammenschluss verhindern? Womöglich mithilfe eines Unfalls, der Lord Karsten ereilen wird?«

»Natürlich nicht!« In einer Mischung aus Überraschung und Entrüstung riss Ren angesichts dieses Vorschlags die Augen auf. »Mein liebes Mädchen, Sianim mischt sich niemals in die politischen Angelegenheiten welcher Regierung auch immer ein. Wir sind Söldner und stellen uns lediglich in den Dienst des höchsten Bieters.«

Es schwang Spott mit in dieser offiziellen Darstellung der Sachlage, und er wusste, dass sie ihn sehr wohl registriert hatte, als sich ihre Mundwinkel leicht hoben.

»Nun denn«, meinte sie. »Dann sagt mir doch einfach, warum Sianim die Allianz nicht zu verhindern wünscht. Immerhin hat die ewige Fehde zwischen Darran und Reth uns einen niemals versiegenden Goldfluss beschert, nicht wahr?«

Ren musterte sie so wohlgefällig wie ein Lehrer, der einen besonders aufgeweckten Schüler vor sich hat. Zufrieden rieb er sich die Hände und begann zu erzählen.

»Der Große Sumpf stellte lange Zeit die natürliche Grenze zwischen dem Osten und unserem Westen dar.« Er machte eine ungeduldige Geste. »Nun setz dich endlich, Mädchen. Das wird jetzt eine Weile dauern. Also … Der einzige Handel, der derzeit mit dem Osten möglich ist, erfolgt durch die Segelflotte der Ynstrah, welche die Untiefen und Riffs der Südlichen See bekanntlich nicht fürchten.

Einst führte eine Überlandstraße durch das Moor. Die Magie des Erzmagiers hielt die Uriah, die Wichte und die anderen widerlichen Sumpfbewohner auf Abstand. Doch die Zeiten änderten sich, wie auch die Prioritäten des Erzmagiers, und so wurden andere Angelegenheiten wichtiger. Die Straße wurde überschwemmt und wieder vom Sumpf verschluckt.«

Er machte eine Pause und trank einen Schluck Wasser aus einem Glas, das am Rand seines Schreibtischs stand.

»Von dieser Handelsstraße hab ich schon gehört«, meinte Rialla. »Aber was hat das mit Darran zu tun? Es liegt doch nicht mal in der Nähe dieses Sumpfes.« Sie hatte einen mit verschlissenem Gobelin bezogenen Stuhl leergeräumt und setzte sich nun auf die Kante. Die Hände ruhten entspannt auf ihrem Schoß.

»Hab Geduld, du wirst es gleich erfahren.« Rens Stimme verfiel in den Tonfall des Geschichtenerzählers, als er fortfuhr. »Als ich mein Amt antrat, stellte ich fest, dass wir so gut wie keine Informationen darüber hatten, was auf der anderen Seite des Sumpfs vor sich ging. Ein schweres Versäumnis, das ich natürlich nachholen musste.

Schon einige Zeit hatte ich die Expansionsbestrebungen eines östlichen Königsreichs namens Cybelle verfolgt. Noch ein Jahrzehnt zuvor war Cybelle ein kleines und sehr armes Land gewesen. Dann verstarb sein Regent und hinterließ nicht einen einzigen legitimen Nachfolger. Am Ende der sich anschließenden Machtkämpfe bestieg ein Mann den Thron, der als religiöser Fanatiker gilt und sich ›Stimme von Altis‹ nennt. Zehn Jahre lang versuchte ich etwas über die Herkunft dieses neuen Herrschers herauszufinden, aber er schien wie aus dem Nichts gekommen zu sein.

Dieser Mann wie auch seine Anhänger behaupten, der archaische Gott Altis sei ihnen erschienen und habe verkündet, dass es Cybelles Schicksal sei, über das Land zu herrschen – und zwar von der Östlichen See bis zum Westen, von den fernen Nordlanden bis zur Südlichen See. In der vergleichsweise kurzen Zeit, in der ›die Stimme‹ nun an Cybelles Spitze steht, hat sie es geschafft, sich die meisten Reiche zwischen der Östlichen See und dem Großen Sumpf einzuverleiben.«

Ren warf Rialla einen Blick zu, um zu überprüfen, ob sie ihm noch folgte, bevor er weitersprach: »Vor langer Zeit, nach den Magierkriegen, erhoben sich die aufgebrachten Bewohner des Ostens gegen jeden, der noch Magie praktizierte, so wie wir im Westen sie auch ablehnten. Im Osten jedoch gab es keine Zuflucht für sie. Und wo man ihnen in Ländern wie Reth oder Südwald Unterschlupf gewährte, gerieten die Magier des Ostens allmählich zu Schauergestalten, mit denen man Kinder erschreckte.

Das Wiedererstarken der Religion schritt indes noch rasanter voran als Cybelles Expansionskurs; die wenigen letzten Reiche, die sich anschlossen, taten dies gar kampflos. Ich habe erfahren, dass die Stimme von Altis Zauber wirkt. Es heißt, Altis selbst habe ihm diese Macht verliehen, um Licht dahin zu bringen, wo vormals Dunkelheit herrschte, um mit einem Handstreich Dinge in Flammen aufgehen zu lassen. Kurz: Er vermag mit nur einem Wort zu töten. Klingt das nicht irgendwie vertraut?«

Rialla vernahm seine Frage und hob den Kopf. »Ein versierter Magier hat sich also selbst auf den Thron von Cybelle gesetzt.« Ihre Stimme war bar jeden Spotts, klang vielmehr nachdenklich.

Ren nickte und war mehr denn je davon überzeugt, dass ein adäquates Werkzeug für seine Zwecke vor ihm saß. »Er plant, seinen Eroberungsfeldzug durch den Großen Sumpf fortzusetzen, indem er sich den alten Handelspfad zunutze macht. Und meine Quellen behaupten, dass er dazu sehr wohl imstande ist.«

Das Lächeln des Meisterspions erstarb, und er beugte sich auf seinem Stuhl vor. »Trotz seines exzellenten militärischen Rufs ist Sianim nur ein kleiner Stadtstaat. Allein gegen Cybelle hätten wir keine Chance. Die westlichen Staaten müssen denen aus dem Osten als Verbündete entgegentreten, wenn wir gegen deren Ansturm bestehen wollen. Ich habe mich in den letzten Jahren sehr bemüht dabei mitzuhelfen, alte Feindschaften aus der Welt zu schaffen. Doch der schwierigste Konflikt, den es beizulegen galt, waren die beständigen Scharmützel zwischen Darran und Reth.«

»Und wofür braucht Ihr mich? Es gibt viele andere, die Darranisch sprechen«, sagte Rialla ruhig und offenbar keineswegs darauf erpicht, in irgendeiner Weise behilflich zu sein.

»Lord Karsten ist die treibende Kraft hinter der Rethischen Allianz. Es gibt allerdings Leute, die nicht wollen, dass Darran und Reth ein Bündnis eingehen; der letzte Krieg ist denen noch gut in Erinnerung, die, egal auf welcher Seite, Angehörige verloren haben. Diesem Widerwillen nicht gerade zuträglich ist die Tatsache, dass Reth von jeher eine starke Affinität zur Magie hatte. Wie du selbst weißt, betrachten die Darraner die Zauberei als etwas Schädliches, ja, Verderbtes. Karstens Einfluss ist indes so stark, dass er imstande wäre, die Bedenken seiner Ratskollegen zu zerstreuen – sofern er denn so lange überlebt.«

Ren räusperte sich, bevor er fortfuhr, wobei er jede Regung der vor ihm sitzenden Frau verfolgte. »Letzte Woche wurde das Pferd, auf dem Lord Karsten ritt, durch den Pfeil eines Assassinen getötet. Karsten selbst hatte Glück, ihm geschah nichts, doch ich will wissen, wer hinter dem Anschlag steckt, damit ich dieser Sache ein Ende bereiten kann.

Es ist nun so, dass Lord Karsten ein einwöchiges Fest zu Ehren seines Geburtstags auf Westholdt, seinem Landsitz, gibt. Wegen des Mordversuchs an seinem Bruder hat auch Laeth sein Erscheinen zugesagt. So kann er sich direkt auf der Feste umsehen und schauen, ob er etwas dazu herausfinden kann.«

Ren lehnte sich noch weiter vor. »Aber ich brauche mehr. Meine liebe Mutter pflegte immer zu sagen: ›Eine ungebändigte Zunge vermag selbst die stärksten Mauern einzureißen.‹ Es ist allerdings sehr unwahrscheinlich, dass auch nur ein unbedachtes Wort gesprochen werden wird, wenn Lord Karstens Bruder zugegen ist.

Was ich also vor Ort brauche, ist etwas, von dem niemand Notiz nimmt – etwas so Unscheinbares wie ein Möbelstück. Leider kann ein Möbelstück mir aber nicht berichten, was es gehört hat. Ein Sklave hingegen schon.« Ren betrachtete Rialla genau, doch die zuckte angesichts seiner Worte nicht mal mit der Wimper.

Schweigend starrte sie zu Boden, dann sah sie kurz zu ihm auf. »Ich würde einiges für Sianim tun, aber nicht das! Malt von mir aus einem anderen eine Tätowierung auf, und ich werde dieser Person beibringen, sich wie ein Sklave zu verhalten, doch eher würde ich Sianim verlassen, als noch einmal nach Darran zurückzukehren.« Ihre Stimme war kalt und hart. Es war die Stimme einer Frau, die den Mut besessen hatte, sich eigenhändig die Haut von der Wange zu schneiden und die Wunde auszubrennen.

Unbeeindruckt lehnte sich Ren in seinem Stuhl zurück: Er hatte noch immer eine Karotte in petto, die er ihr vor die Nase halten konnte. »Um den Rethern die Allianz schmackhaft zu machen, hat Lord Karsten verschiedene Änderungsvorschläge an darranischen Gesetzen eingebracht. So soll die Ehe mit Ausländern erlaubt werden; nicht zuletzt eine Voraussetzung für die Heirat zwischen der Prinzessin und König Myr. Des Weiteren sollen die Handelsabgaben gesenkt oder möglicherweise sogar ganz gestrichen werden.« Er hielt inne und senkte die Stimme, um ihre ganze Aufmerksamkeit zu erhalten. »Die dritte Änderung betrifft die Abschaffung der Sklaverei innerhalb der darranischen Grenzen. Dies wurde als nötig erachtet, weil das Volk von Reth die Sklaverei als eine Abscheulichkeit betrachtet, derer nur die barbarischsten aller Zeitgenossen fähig sind.«

Er wusste nicht, ob sie den Köder geschluckt hatte, also fuhr er fort, um ihr Zeit zu geben, darüber nachzudenken. »Seltsamerweise ist es diese letzte Gesetzesänderung, welche die Darraner am anstößigsten finden. Die Sklavenhaltung ist für ihre Wirtschaft nicht entscheidend; Sklaven gelten vielmehr als Luxus, den sich ohnehin nur die wenigsten leisten können, aber sie sind wesentlich für Darrans kulturelles Selbstverständnis. Die meisten Ratsmitglieder besitzen gleich mehrere und sind mithin wenig geneigt, sich von ihnen zu trennen. Du, dessen bin ich mir sicher, wirst das alles viel besser verstehen als ich.«

Die ehemalige Sklavin beugte kurz ihr Haupt, dann schaute sie ihren Gesprächspartner wieder an. Ren hatte auf eine Reaktion gewartet, und nun sollte er sie bekommen. »Wisst Ihr eigentlich, was Ihr da von mir verlangt, Meisterspion?«

»Ja«, erwiderte er. »Mit deiner Hilfe könnte es gelingen, die Sklaverei in Darran abzuschaffen. Laeth meinte, dass du an einer solchen Mission interessiert sein könntest.«

Die Anspannung verließ ihren Körper so plötzlich, wie sie gekommen war. Mit matter Stimme sagte Rialla: »Berichtet mir in groben Zügen von Eurem Plan und gebt mir dann die Zeit, mir die Sache in Ruhe zu überlegen.«

Ren verschränkte die Arme vor der Brust, zufrieden, dass sein Plan aufgegangen war. »Nun, die einflussreichsten Adligen des Landes samt ihrem Gefolge werden auf Westholdt zugegen sein. Selbstredend werden sie dort nicht über ihren nächsten Attentatsversuch auf Lord Karsten plaudern. Ich möchte, dass du herausfindest, wer die Allianz befürwortet, wer sie ablehnt und – am wichtigsten – warum. Keine Sorge, selbst die unbedeutendsten Informationen, die unschuldigsten Äußerungen sind dazu geeignet, Licht ins Dunkel zu bringen, sofern man sie mit Gespür und Verstand miteinander verknüpft.«

Rialla rieb die Narbe auf ihrer Wange, als plage sie dort ein fortdauernder Schmerz, und fragte: »Seid Ihr sicher, dass Laeth diesen Plan gutheißt? Obwohl er sich für ein Leben in Sianim entschieden hat, ist er doch immer noch Darraner. Spionage beziehungsweise einen Spion in den Dunstkreis seines Bruders einzuschleusen, das muss für ihn mit der schlimmste Verrat sein.«

Ren nickte. »Er hat zugestimmt, weil Lord Karstens Leben bedroht ist.«

»Wann würden wir aufbrechen?«

»In fünf Tagen.«

Sie nickte und stand auf. »Ich werde Euch meine Antwort morgen früh mitteilen.« Leise schloss sich hinter ihr die Tür, als sie den Raum verließ.

Wie betäubt machte sich Rialla auf den Weg durch die belebten Straßen ihrer neuen Heimat. Sie erreichte die städtischen Ställe, wo die Kriegspferde, neben Söldnerdiensten und -ausbildung Sianims zweite Einnahmequelle, untergebracht waren. Sie durchquerte den alten Steintorbogen, der in die Stallungen führte, und genoss den vertrauten Geruch der Pferde, die sich friedlich in ihren Verschlägen bewegten. Es war Zeit für das Mittagessen, und so hatte sie diesen Ort ganz für sich allein.

Sie ignorierte die freundlich über die Boxentüren gesteckten Schnauzen, fand eine Bank, die nicht restlos vollgepackt war mit Zaumzeug und Wurzelbürsten, und kauerte sich mit angezogenen Beinen darauf. Erschöpft ließ sie sich gegen die Wand sinken.

Der graue Stein war kalt an ihrer Wange. Sie schloss die Augen und dachte darüber nach, worum Ren sie gebeten hatte. Allein bei der Vorstellung, wieder nach Darran zurückzukehren, brach ihr der kalte Schweiß aus. Darran hatte ihr die Familie genommen, ihr Erbe und auch einen großen Teil ihrer selbst. Und am Ende hatte es sie vernarbt zurückgelassen, innen wie außen.

Vielleicht wäre dieses Schicksal einfacher zu ertragen gewesen für jemanden, der in einer streng hierarchischen Gesellschaft aufgewachsen war, wo Frauen wenig Einfluss auf ihr persönliches Schicksal hatten. Doch sie war in einen der fahrenden Kaufmannsclans hineingeboren worden, die Handel treibend durch den Süden zogen, genauer gesagt durch den Südwald, Ynstrah und die kleinen Fürstentümer, welche die Anthran-Allianz bildeten. In den Kaufmannsclans galten die Frauen als überaus einflussreich, denn sie kontrollierten die Finanzen der Sippe und entschieden, wohin die nächste Reise ging.

Rialla hatte das Trainieren von Pferden von ihrem Vater erlernt. Die Pferde, die er ausgebildet hatte, waren sehr begehrt, da er ein einzigartiges Gespür für die Tiere besessen hatte. Oft hatte er Vorführungen arrangiert, auf denen er störrische und wilde Biester in brauchbare Pferde verwandelte. Seine besondere Gabe hatte dem kleinen Clan zu großem Ruhm verholfen, sodass sich ihre Leute um Geld keine Sorgen hatten machen müssen, und sie hatten als Händler Gebiete betreten dürfen, die anderen Clans verwehrt gewesen waren.

Rialla war als Empathin geboren worden und mithin imstande, die Gefühle und manchmal auch die Gedanken der Menschen und Tiere um sie herum zu empfangen. Ein seltenes Talent, aber bei ihrem Volk durchaus nicht ungewöhnlich, und ein Talent, das hoch geschätzt wurde unter Menschen, die absolut aufeinander angewiesen waren. Kurz nachdem ihre Gabe erkannt worden war, ließ ihr Vater sie mit den Pferden arbeiten und nutzte ihre Empathie dazu, seine Ausbildungserfolge noch zu verbessern. Gleichzeitig erlernte Rialla auf diese Weise, ihre Fähigkeit zu beherrschen.

Aufgrund ihres hohen Werts für den Handelsclan arrangierten der Frauenrat und ihr Vater eine Ehe mit dem Mitglied eines noch wohlhabenderen Clans. Und dann war während der Verlobungsfeier dieser Fremde bei ihnen aufgetaucht. An seiner Anwesenheit war zunächst nichts Ungewöhnliches gewesen, weil bei einem solchen Ereignis jeder willkommen war, auch Nicht-Clanangehörige. Der Grund, warum Rialla überhaupt auf ihn aufmerksam wurde, bestand darin, dass er einer der wenigen Personen war, die sie nicht empathisch erfassen konnte. Zwar konnte sie sich heute nicht mehr an sein Gesicht erinnern, aber sie wusste, dass sie ihn damals als gutaussehend wahrgenommen hatte.

Nach der Verlobungsfeier trennten sich die Clans, um erneut auf Handelsreise zu gehen, und verabredeten, dass man sich in genau einem Jahr wieder am gleichen Ort zusammenfinden würde, damit die Hochzeit gefeiert werden konnte. So war es Brauch.

Zwei Tage später dann wurde Rialla von den Sklavenhändlern überwältigt, nachdem man alle Männer und älteren Personen ihres Clans getötet hatte. Die jungen Frauen und Kinder ihrer Sippe wurden gefangengenommen. Es stellte sich heraus, dass der Fremde, der auf ihrer Verlobung erschienen war, die Sklavenhändler-Bande anführte. Noch immer konnte sie die Berührung seiner Hand auf ihrem Gesicht spüren. Und es war das erste Mal, dass sie ihn mithilfe ihrer Gabe zu lesen vermochte. Wie auch ihre erste Begegnung mit einen darranischen Sklavenabrichter.

Rialla zitterte heftig an der kalten Granitwand der Stallungen und ignorierte die Tränen, die ihr über die Wangen liefen. Wenn sie sich für Sianim als darranische Sklavin ausgeben sollte, musste sie sich ihrer Vergangenheit stellen.

Trotz all der Jahre war das Antlitz des Sklavenschinders in ihrer Erinnerung verschwommen – ein Unfreier sah seinem Gegenüber nicht oft ins Gesicht –, aber seine Stimme verfolgte sie bis in ihre Albträume hinein.

Am dritten Tag nach ihrer Gefangennahme hatte sich Rialla mit den anderen Frauen und Kindern in einer Ecke des Lagers zusammengedrängt, als ein Reiter sich der Gruppe näherte. Er wurde von ihrem Häscher herzlich begrüßt. Sie konnte die Sprache, in der sich die beiden unterhielten, nicht verstehen, aber der Name des Reiters sagte ihr etwas: Es war Geoffrey ae’Magi, der Erzmagier.

Später erfuhr Rialla, dass der Erzmagier kurz nach diesem Besuch getötet worden war; es tat ihr kein bisschen leid.

Einer nach dem anderen wurden die Kinder und Frauen ins Zelt des Sklavenschinders gebracht; nur Rialla und zwei andere nicht. Sie konnte von ihrem Platz aus nicht sehen, was der ae’Magi und ihr Häscher den Menschen im Zelt antaten, aber sie hörte ihre Schreie und fühlte ihre Qual in jedem empathischen Moment. Das grauenhafte Wissen verheerte ihren Geist, bis er sich wie zum Schutz selbst abschirmte und sie nur mit dem Schatten ihrer vormaligen Gabe zurückließ. Und das, was nach dem Besuch des Erzmagiers von ihrer empathischen Fähigkeit blieb, war so unstet und flüchtig, dass es sich als nahezu nutzlos erwies.

Für eine Sklavin indes gerade gut genug.

Zwei Jahre lang wurde Rialla als Tänzerin ausgebildet und am Ende mit der Tätowierung belohnt. Tänzer waren in Darran sehr beliebt, und sie war gut. Sehr gut. Man behandelte sie anständig und gewährte ihr mehr Freiheiten als den meisten anderen Sklaven, die man an Bordelle oder Schlimmeres vermittelte, und doch war sie nach wie vor eine Unfreie.

Fünf Jahre tanzte sie auf Befehl ihres Meisters. Und dann kam der Tag, an dem sich ihr eine Gelegenheit zur Flucht bot, und Rialla ergriff sie.

Im Zuge ihres Ausbruchs tötete sie einen Mann. Und selbst die armseligen Reste ihrer Empathiefähigkeit ließen sie bei seinem Tod vor Schmerz aufheulen. Trotzdem durchsuchte sie die Leiche mit zittrigen Händen, nahm des Mannes Messer und das bisschen Geld an sich, das er bei sich trug. Danach stahl sie aus den Ställen ein Pferd und floh.

Sie entkam über die Grenze nach Reth, wo sie das Messer so lange in ihrem Lagerfeuer erhitzte, bis es glühte, um sich danach ihre verhasste Tätowierung aus der Haut zu schneiden.

In der nächsten Stadt tauschte sie ihr Pferd gegen einen ungerittenen Wallach und eine Hand voll Münzen. Schließlich erreichte sie Sianim, wo ihre Begabung im Umgang mit Pferden ihr ein Auskommen sicherte. Der geschäftstüchtige Stadtstaat hatte ihr eine Zuflucht geboten, und nun bot er ihr sogar noch mehr an.

Man hatte ihr die Chance eröffnet, den Sklavenhaltern etwas Entscheidendes zu nehmen, so sie denn den Mut dazu hatte.

Im Schutz der Ställe von Sianim rieb sich Rialla über die Narbe auf ihrer Wange. Wenn sie das Angebot, nach Reth zurückzukehren, annahm, müsste sie sich ein weiteres Mal tätowieren lassen, und zwar genau über der alten Narbe. So oder so, das alte Wundmal würde sie als entflohene Sklavin verraten, womit sie gewiss unter besondere Beobachtung gestellt werden würde. Und wenn der Plan schiefging, dann würde sie niemals wieder ihre Freiheit zurückerlangen; ein zweiter Ausbruch wäre so gut wie unmöglich.

Ein fremdartiges Geräusch ließ sie aufschrecken; sie war nicht mehr allein.

Sie fuhr sich hastig über die Wangen, wusste aber, dass man ihr das Weinen ansehen würde. Sie holte tief Luft und wandte den Kopf, um zu sehen, wer in den Stall gekommen war.

Der Mann, der im Dämmerlicht des Gangs stand, war von durchschnittlicher Größe. Er hatte dunkles Haar, dunkle Augen und eine sonnengebräunte Haut. Er wirkte eher schmächtig, bewegte sich aber mit der routinierten Anmut und Kraft eines Kriegers.

Unbewusst hob Rialla fast trotzig das Kinn, was dem Mann, der sie beobachtet hatte, nicht entging. »Laeth«, sagte sie.

Er nickte ihr zum Gruß zu und lehnte sich dann gegenüber ihrer Bank an eine der Trennwände, sodass noch immer der Gang zwischen ihnen lag.

Nie zuvor hatte ein darranischer Lord sich in Sianim ausbilden lassen. Obwohl Sianims Kriegskunst-Akademien bis über seine Grenzen hinaus berühmt waren, hielten sich die Darraner auch in diesem Punkt lieber an ihre eigenen Leute. Als Laeth der Ausbildung wegen vor zwei Jahren nach Sianim gekommen war, war Rialla ihm bewusst aus dem Weg gegangen, bis ihnen eines Tages derselbe Lehrer für den unbewaffneten Kampf zugewiesen wurde.

Der Ausbilder sprach kein Darranisch, und Laeth beherrschte nur einige wenige Brocken Gemeinsprache, die er seit seiner Ankunft hier aufgeschnappt hatte. Die abgeschieden lebenden Darraner hatten von jeher wenig Verwendung für das Erlernen fremder Sprachen.

Einige Tage schaute sie sich an, wie Laeth und der Ausbilder miteinander radebrechten, dann gesellte sie sich zu ihnen und übersetzte, wann immer es nötig war. Ihre Hilfsbereitschaft war nicht zuletzt dadurch geweckt worden, dass Laeth im Gespräch immer wieder ins Stocken geraten war und dann über sich selbst gelacht hatte, während sie es sich gleichzeitig nicht gestatten wollte, alle Darraner ohne Ansehen der Person zu verachten, wo es doch nur einige wenige gewesen waren, die ihr ein Leid zugefügt hatten.

Er hatte sich zu ihr umgedreht, die verräterische Narbe auf ihrer Wange ignoriert und ihr mit leiser Stimme für die Hilfe gedankt. Dass sich daraus eine Freundschaft entwickelt hatte war für Rialla überraschend, und für ihn, wie sie annahm, ebenso. Sie lehrte ihn in den Abendstunden die Gemeinsprache, und er erzählte ihr dabei ein wenig von sich selbst.

Als jüngster Sohn eines einflussreichen darranischen Lords hatte Laeth sich die meiste Zeit darin gefallen, seine Familie gesellschaftlich unmöglich zu machen. Doch dann war sein Auge auf eine scheue Jungfer namens Marri gefallen, die er auf dem Fest eines örtlichen Anwesens kennengelernt hatte. Die Familie des Mädchens wollte jedoch einer Heirat mit dem schwarzen Schaf der Familie, und sei sie auch noch so mächtig, nicht zustimmen. Also beschloss Laeth, ein anständiges Leben zu beginnen, und überredete seinen Vater, ihm ein kleines Anwesen zu überlassen. Ein ganzes Jahr schuftete er, um Haus und Hof für seine zukünftige Braut herzurichten. Nachdem er dann die Einladung zur Vermählung seines älteren Bruders Karsten erhalten hatte, schien ihm mithin die Zeit reif zu sein, die Familie über seine eigenen Heiratspläne zu informieren.

Als er zu den Feierlichkeiten in seinem Elternhaus eintraf, wurde er von den Seinen herzlich begrüßt, und Karsten stellte ihm seine Verlobte vor: Es war Marri. Sein Bruder hatte beschlossen, ein ortsansässiges Mädchen zu heiraten.

Laeth machte gute Miene zum bösen Spiel und lächelte der offensichtlich unglücklichen Braut freundlich ins Gesicht. Er wusste nur zu gut, dass ein darranisches Mädchen aus gutem Haus sich einer von den Eltern arrangierten Ehe nicht widersetzen konnte. Am nächsten Morgen sagte Laeth seinen Eltern, dass gewisse Probleme auf seinem Hof seine umgehende Anwesenheit erforderten und er noch vor der Hochzeit seines Bruders abreisen müsse.

Die Familie sollte nie erfahren, warum er in seinen alten, unerhörten Lebensstil zurückgefallen war, wobei seine Reise nach Sianim den wohl größten Affront darstellte. Und so war Laeth seit der Hochzeit seines Bruders erst einmal wieder nach Darran zurückgekehrt: zur Beerdigung seines Vaters.

Eines der Pferde stupste Laeth ungeduldig an, und er kraulte dem Tier die Nase. »Und? Kommst du mit, Rialla?«, fragte er leise.

»Ja«, erwiderte sie. »Der Meisterspion hat mir kaum eine Wahl gelassen.«

»Ich war mir nicht sicher, ob ich Ren deinen Namen nennen sollte, aber so wie ich ihn kenne, wusste er ohnehin schon längst, dass du Darranisch sprichst.«

Sie nickte, verzog den Mund zu einem humorlosen Lächeln. »Ich kenne einige, die Darranisch besser sprechen als ich, und ich schätze, er auch. Was er braucht, ist jemanden, der einen darranischen Sklaven spielen kann. Ich bin mir sicher, dieses hinterhältige Wiesel wusste alles über mich, lange bevor er mit dir gesprochen hatte.«

»Vermutlich hast du recht«, sagte Laeth, der angesichts von Riallas entspannter Haltung sichtlich aufatmete. »Dieser Ruf eilt ihm voraus.« Er sah sich in den still daliegenden Ställen um, dann fügte er hinzu: »Ich würde dich gern zum Mittagessen einladen.«

Rialla sah ihn skeptisch an. »Etwa ins ›Verirrte Schwein‹?«

»Sianims Söldner verdienen nun mal nicht mehr die Welt. Davon abgesehen ist’s dort gar nicht mal so schlecht«, meinte Laeth. »Gestern haben sich nur zwei Leute den Magen verkorkst.«

Ergeben stöhnte Rialla wegen des alten Witzes auf und hob in gespielter Kapitulation die Hände. »Schon gut, schon gut. Aber diesmal rette ich dich nicht aus den Fängen der Bedienung, damit das klar ist.«

Laeth riss die Augen auf. »Noch nicht gehört? Letty hat sich jetzt auf großgewachsene Blondschöpfe verlegt.«

»Und wen hat sie jetzt im Visier?« Rialla erhob sich von der Bank und folgte Laeth zur Stalltür.

»Afgar, du weißt schon, den Leutnant der Siebenundfünfzigsten.«

Rialla blieb stehen und verzog ungläubig das Gesicht. »Ach? Nicht mehr dieser riesige Kerl aus dem Südwald, ich glaube, er war Gerber?«

Laeth grinste und zog Rialla am Arm mit sich. »Nein, Afgar, der sich immer in die Ecken drückt, sobald eine Frau vorbeikommt. Er ist so damit beschäftigt, dem weiblichen Geschlecht aus dem Weg zu gehen, dass vermutlich nicht mal die beiden Frauen in seiner Einheit ihn je zu Gesicht bekommen haben. Gestern dachte ich, er würde vor lauter Luftanhalten ersticken, als Letty sich im ›Schwein‹ an ihn gedrückt hat. Wäre ich nicht so dankbar dafür, dass sie es nicht mehr auf mich abgesehen hat, könnte er einem fast leid tun.«

»Ach komm«, schnaubte Rialla. »Dir hat’s doch fast so gut gefallen wie ihr. So schnell bist du nun auch nicht geflüchtet, als dass sie dich nicht ein, zwei Mal zu fassen bekommen hätte, stimmt’s?«

Er grinste schief. »Was soll ich sagen? Ich bin auch nur ein Mann. Außerdem hat sie tolle –« Rialla hob warnend eine Augenbraue. »– Zähne.«

Rialla lachte und schüttelte den Kopf, während das »Verirrte Schwein« in Sicht kam.

Die untere Hälfte der Schänke war aus alten Steinblöcken erbaut worden; die obere aus zusammengezimmerten Holzplanken unterschiedlichen Alters und Größe. Rialla hatte mal gehört, dass vor fünfzig Jahren oder so die hundertsieben Mann der Einundsiebzigsten im Alkohol- und Siegesrausch den hölzernen Überbau von der Steinbasis gehoben und mitten auf der Straße wieder abgeladen haben sollten.

Man setzte das Dach wieder instand, nachdem man mit dem Besitzer eine »Übereinkunft« erzielt hatte. Seitdem wurde der hölzerne Teil der Schänke an allen vier Ecken durch rostige Ketten an Ort und Stelle gehalten, und die Einundsiebzigste bekam ihre Getränke noch immer für die Hälfte dessen, was andere Gäste dafür bezahlten.

Als Anlaufstelle für Speis und Trank, dazu den Ställen und dem Ausbildungsgelände der diversen Kampfeinheiten am nächsten gelegen, war das »Verirrte Schwein« für gewöhnlich voll. So auch heute. Rialla und Laeth wurden durch den Trubel hindurch von verschiedenen Bekannten begrüßt, als sie versuchten, einen freien Tisch zu ergattern.

Als Rialla einem der besetzten Tische zu nahe kam, spürte sie, wie jemand ihre Hüfte tätschelte. Ohne sich umzudrehen, packte sie das Handgelenk des Übeltäters, trat mit dem Fuß gegen das Stuhlbein und brachte Mann und Hocker zu Fall. Es entstand ein überaus befriedigender Tumult, der den stets herrschenden Grundlärm in der Taverne übertönte.

Der Mann war schon ziemlich angetrunken und wurde wütend, doch Laeth ergriff ihn an der Schulter unter dem Vorwand, ihm wieder aufzuhelfen. Zuvorkommend klopfte er ihm den Staub vom Mantel und lenkte ihn damit so lange ab, bis dessen Feindseligkeit einer ehrlichen Verwunderung über so viel Fürsorge wich.

Als klar war, dass der Betrunkene nicht länger eine Bedrohung sein würde, sagte Laeth freundlich: »Weißt du, sie schätzt es nicht, ohne Aufforderung von ’nem Mann berührt zu werden. Hast Glück, dass sie guter Laune war, sonst hätte sie dir die Hand abgehackt. So wie bei dem letzten Kerl, der seine Finger nicht bei sich behalten konnte.«

Ein Freund von Laeth, der an einem der nahegelegenen Tische saß, lehnte sich vor und ergänzte: »Tja, der arme Jard ist seitdem nicht mehr derselbe.«

»Erinnert ihr euch noch, was sie mit Lothar gemacht hat?«, fragte ein anderer in die Runde und schüttelte bestürzt den Kopf.

»Drei Tage haben wir seine Körperteile zusammengesucht, bis wir ihn endlich unter die Erde bringen konnten«, führte ein kahlköpfiger und untersetzter Bursche aus – er war einer von Laeths Leutnant-Kameraden. Er lehnte sich nun ebenfalls vor und erklärte leise: »Aber der hat auch versucht sie zu küssen.«

Rialla lachte noch immer, als sie sich an einem kleinen unbesetzten Tisch niederließen. »Hast du den Ausdruck auf seinem Gesicht gesehen? Der arme Kerl. Wenn ich gewusst hätte, was ihr daraus macht, hätte ich fünfe gerade sein lassen.«

Laeth grinste von einem Ohr zum anderen. »Das wird ihm eine Lehre sein, in Zukunft die Hände still zu halten. Wo wir gerade davon sprechen: Wusstest du, dass sich einer der Rekruten aus meiner Einheit in dich verknallt hat?«

»Du meinst den jungen Rether, der sich immer hinterm Zaun versteckt und dabei die Pferde scheu macht, mit denen ich gerade arbeite?«, entgegnete sie. »Der mich wirklich jeden Abend zum Essen einladen will und mir neuerdings Blumen vor die Tür legt? Etwa so groß wie du, sandfarbenes Haar und braune Augen? Nein, davon hab ich noch gar nichts mitbekommen …«

Laeth musste lachen, als er ihr verdrossenes Gesicht sah. »Tut mir leid. Wusste nicht, dass der sich zu einem solch lästigen Problem auswachsen würde. Werde mich heute Nachmittag mal darum kümmern.«

»Oh nein«, keuchte Rialla in gespieltem Entsetzen auf. »Bitte nicht diese bizarre Seuche, die auf irgendeine Weise Impotenz verursacht. Es gibt immer noch einige in deiner Einheit, die die Straßenseite wechseln, wenn sie mich sehen.«

»Auf keinen Fall«, stimmte Laeth ihr zu. »Die Methode hab ich ja erst beim letzten Mal angewandt. Muss mir was Neues überlegen. Außerdem ist das alles deine Schuld, weißt du. Du könntest ein paar Pfund zulegen oder was mit deinem Haar anstellen.«

»Gleich morgen färbe ich’s mir grau, oder ich rasier mir am besten gleich ’ne Glatze«, meinte Rialla nicht unernst. Die Narbe tat ihrer Attraktivität offenbar keinen Abbruch, zumindest nicht bei Sianims Söldnern. Ja, bisweilen wäre sie allein deshalb lieber unversehrt, um nicht so viel unerwünschte männliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Bevor Laeth etwas erwidern konnte, erschien Letty, die dralle Schankmaid, an ihrem Tisch. Woher sie in der überfüllten Schänke wusste, wer bestellt hatte und wer nicht, würde Rialla für immer ein Rätsel bleiben.

»Wie lautet die Empfehlung des Tages, Liebes?«, fragte Laeth.

»Afgar«, seufzte Letty, und ihr riesiger Busen wogte.

»Wir wollten eigentlich wissen, was es zu essen gibt«, meinte Rialla, um dann schnell hinzuzusetzen: »Für uns.«

»Oh.« Lettys volle Lippen verzogen sich zu einem kleinen Schmollen in Laeths Richtung, dann zählte sie so freundlich wie möglich auf: »Das Brot ist frisch, und der Koch hat gerade ’nen Honigschinken aus dem Ofen gezogen. Der Ochsenbraten dagegen ist ein bisschen zu durch.«

»Dann nehmen wir Brote. Mit Schinken?« Laeth sah Rialla fragend an, und sie nickte. »Und zwei Krüge von dem verwässerten Bier.«

Als Letty wieder fort war, sagte Laeth: »Ren hatte mich heute Morgen zu sich gerufen. Er wollte, dass ich dich zum Mitkommen überrede.«

Rialla schüttelte den Kopf. »Das hat er dann ja bestens selbst hingekriegt.«

»Und warum genau schließt du dich der Mission an?«, fragte Laeth nun ernster. »Ich für meinen Teil gehe, um Karsten zu beschützen, doch meine größte Herausforderung besteht darin, Marri als seine Frau wiederzusehen. Und in einem möglichen Anschlag auf mein Leben, falls rauskommt, dass ich für Sianim spioniere. Du hingegen musst als Sklavin zurückkehren.«

»Ren hat gesagt, dass Karsten die Sklaverei in Darran abschaffen will«, antwortete Rialla. »Er scheint davon überzeugt zu sein, dass mein Einsatz dazu beitragen kann, obwohl ich nicht recht weiß, wie, wenn ich darüber nachdenke.«

»Du riskierst eine Menge für Sklaven, die du nicht mal kennst, Ria«, meinte Laeth.

Sie lächelte schwach und berührte ihre Narbe. »Ich tue das nicht für sie. Die meisten von ihnen sind vermutlich nicht mal unglücklich in ihrem Dasein; in Darran ist eine Existenz als Sklave oftmals nicht schlimmer als das Leben einer Ehefrau, wenn nicht besser. Nein, mein Beweggrund ist Rache. Die Sklavenhalter von Darran haben mir etwas gestohlen, das ich niemals zurückerlangen kann. Nun ist es an mir, ihnen etwas zu nehmen – ihm etwas zu nehmen.«

Letty brachte ihr Essen und erhielt dafür einige Kupfermünzen sowie einen Kuss von Laeth, bevor sie wieder im Trubel des Schankraums untertauchte.

»Hast du keine Angst?«, fragte Laeth leise, während er sich eine Scheibe Brot aus dem Korb nahm.

Rialla schluckte ihren Bissen hinunter und trank einen Schluck Bier, bevor sie antwortete: »Davor, wieder eine Sklavin zu sein?« Sie zuckte die Achseln. »Ich würde mit niemandem außer dir gehen, wenn du das meinst. Ich weiß, du würdest mich dort nicht hängenlassen. Für jemanden, der es nicht kennt, kann der Besitz einer Sklavin eine große Verlockung sein; noch dazu bin ich Tänzerin, also wertvoller als die meisten anderen. Ich könnte dir so viel Gold einbringen, wie es so mancher im ganzen Leben nicht sieht.« Während sie sprach, spürte Rialla, wie ihre Züge auf eine ihr vertraute Art erstarrten. Ihre Stimme wurde flach und verlor jegliches charakteristische Timbre.

»So etwas würde ich nie tun«, sagte Laeth sanft.

Sie lächelte ihn an und ließ ihre Sklavenmiene wieder fallen. »Das weiß ich. Was denkst du, warum ich nur mit dir gehen würde? Du hast beides gehabt: Sklaven und Grundbesitz, und du hast beides aufgegeben. Und selbst, wenn ich dich nicht kennen würde, würde ich eher dir folgen als einem Kerl aus dem Südwald, für den der Besitz eines Sklaven etwas völlig Neues wäre.«

Laeth beugte leicht den Kopf, um ihr für das Kompliment zu danken. Eine Weile aßen sie schweigend; es war die behagliche Stille, wie sie nur zwischen Freunden zu herrschen vermochte.

»Hat Ren dir gegenüber auch erwähnt, was er wegen der Tätowierung zu unternehmen gedenkt?« Rialla berührte leicht ihre Wange.

Laeth nickte und schluckte seinen Bissen herunter, bevor er antwortete: »Er hat da einen Magier, der deine Narbe verhüllen kann, indem er die alte Tätowierung durch eine Illusion ersetzt. Ren will, dass die neue Tätowierung exakt dem Original entspricht, für den Fall, dass dich jemand wiedererkennt. Kann man anhand dessen nicht deinen früheren Besitzer ermitteln?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin jetzt seit sieben Jahren fort; nach fünf Jahren der Trennung muss ein Sklave nicht mehr an seinen ursprünglichen Besitzer zurückgegeben werden. Obschon es wohl als in Ordnung angesehen wird, wenn man es dennoch tut. Wie auch immer, wenn Lord Karsten es sich nicht zur Gewohnheit gemacht hat, Sklavenschinder zu seinen Geburtstagsfeiern einzuladen, muss ich mir wohl keine Sorgen machen.«

»Nein«, sagte Laeth, nun beruhigter. »Ein Edelmann würde zu offiziellen Anlässen einen Sklavenabrichter genauso wenig einladen wie einen Schweinehirten.«

»Das dachte ich mir auch«, stimmte Rialla zu.

»Ren bat mich außerdem, dir mitzuteilen, dass, was auch immer dir dort zustoßen mag, er dich mit allen Mitteln aus Darran herausholen wird. Du musst dir also keine Sorgen machen, dass du am Ende wieder in die Sklaverei verkauft wirst.«

Rialla schenkte ihm ein böses Grinsen. »Nach all den Jahren des Trainings in Sianim mache ich mir darüber eigentlich keine Sorgen mehr.« Indem sie die Worte laut aussprach, fühlte sich die Aussage umso wahrhaftiger an, und ihre Nervosität legte sich.

Laeth erwiderte ihr Lächeln und stellte ihr gleichzeitig die Lieblingsfrage ihres Kampfausbilders: »Wie viele Wege gibt es, eine Person mit einem Messer zu töten?«

»Völlig egal«, erwiderte Rialla. »Es braucht nur einen, um die Sache zu erledigen.«

Gut gelaunt beendeten sie ihr Mittagessen und verließen die Schänke, als gerade eine neue Welle von Söldnern in den Schankraum quoll.

Draußen blieb Laeth stehen und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Ich muss mich noch um ein paar Dinge kümmern, bevor wir aufbrechen. Ren hat dir gesagt, dass wir uns in fünf Tagen auf den Weg machen?«

Sie nickte.

»Ich kümmere mich um den Reiseproviant. Würdest du in der Zwischenzeit geeignete Pferde beschaffen und bereitmachen?«

»Ich besorge uns zwei gute Tiere«, sagte sie. »Und vielleicht auch ein, zwei Tanzkostüme, sicher ist sicher.«

»Falls du diesbezüglich nicht fündig wirst, versuch’s mal im Bordell von Midge. Schätze, dass das eine oder andere Mädchen dort was Passendes im Kleiderschrank hat.«

»Hattest du nicht mal erwähnt, dass du niemals dafür bezahlen würdest?«

Laeth grinste verschmitzt. »Tu ich ja auch nicht.«

Rialla lachte auf. »Hätte ich mir ja gleich denken können. Nun gut, ich mach mich jetzt mal auf die Suche nach jemandem, der sich um meine Pferde kümmert, solange ich nicht in Sianim bin.«

»Ja, tu das«, sagte Laeth. »Wir sehen uns dann morgen.«

Die Morgensonne erleuchtete noch kaum den Himmel, als Rialla ein Pferd sattelte und es hinausführte. Sie war nicht die einzige Pferdeausbilderin in Sianim, aber die anderen nutzten andere Trainingsarenen.

Sie saß auf, und die Füße ihres Hengstes stampften rhythmisch auf dem Boden mit dem zusammengepressten Sägemehl. Doch seine Aufmerksamkeit galt ganz der Stute, die gerade über die Sprunghindernisse jenseits des Zauns geritten wurde. Er wappnete sich, um die derzeitige Reiterin abzuwerfen, wie er schon so viele vor ihr aus dem Sattel gehoben hatte – und wurde mit der kurzen Leine liebevoll daran gehindert.

Sich daran erinnernd, dass er der neuen Gebieterin, die da jetzt auf seinem Rücken saß, gehorchen musste, folgte er mit flach angelegten Ohren dem Pfad, den sie gewählte hatte. Rialla lachte angesichts des schwerfälligen Galopps, der nun an die Stelle der für gewöhnlich beschwingten Gangart des Hengstes trat.

Der Hengst brauchte dieses Training eigentlich gar nicht. Sie hatte für all die Pferde, mit denen sie derzeit arbeitete, Ersatzausbilder gefunden. Und doch hatte sie den Fuchs lieber zu einem letzten Ausritt mit hinausgenommen, anstatt auf Laeth zu warten und sich um Dinge zu sorgen, die sie doch nicht ändern konnte. Wie zum Beispiel die Tätowierung in Gold, Schwarz und Grün, die ihr nun narbenloses Gesicht einmal mehr zierte.

Ihre momentane Unaufmerksamkeit ausnutzend, warf sich der rotbraune Hengst ein Stück in just der Bewegung zur Seite, die schon mehr als einem seiner Vorbesitzer zum Verhängnis geworden war. Rialla blieb ungerührt im Sattel. Mit einem verächtlichen Schnauben schlug das stattliche Pferd mit dem Schwanz und verfiel wieder in den kurzen Galopp, offenbar beleidigt, dass sie seine kleine Eskapade nicht mal bemerkt hatte.

Rialla trieb das Pferd so lange durch die verschiedenen Gangarten, bis es seine Kapriolen einstellte, und danach war auch sie so müde, dass sie nicht mehr wusste, worauf sie sich eigentlich eingelassen hatte. Doch die Erinnerungslücke währte nicht lange. Als sie dem Pferd seine wohlverdiente Strohabreibung verpassen wollte, erwartete Laeth sie schon in den Ställen.

»Bereit zum Aufbruch?«

Rialla nickte und übergab das Pferd einem der Stallburschen. »Ich zieh mich nur schnell um und hole meine Sachen. Bis gleich.«

In ihrem Zimmer streifte sie sich das einfache graue Sklavengewand über, das sie auf der Reise tragen würde. Sie betrachtete sich in der polierten Kupfertafel, die anstelle eines Spiegels an ihrer Wand hing, und konnte die Person, für deren Werden sie so hart gearbeitet hatte, nicht darin erkennen.

Stattdessen erblickte sie das bleiche Gesicht einer Unfreien mit einem Sklavenmal auf der linken Wange; auch hing ein unbekannter schlichter goldener Ring an ihrem linken Ohr – er projizierte die Illusion auf ihr Gesicht, obwohl sie das alte Wundmal mit ihren Fingerspitzen ertasten konnte.

Eine blasse Peitschennarbe durchbrach die dunkle Hauttönung auf einem ihrer Arme: Der Sklavenabrichter hatte den dafür verantwortlichen Diener seinerseits gezüchtigt, da er überaus wertvolles Eigentum beschädigt hatte.

Sie schluckte, erhob die Hand zu einem feierlichen Gruß: »Viel Glück, Sklavin.«

Dann nahm sie ihre kleine Tasche auf, in der sich auch ihr Tanzkostüm befand, verließ den Raum und schloss die Tür hinter sich.

2

Wie eine Heuschreckenplage hatte sich die wütende Welle des Krieges durch das kleine darranische Dorf Tallonwald gefressen und nichts als Zerstörung hinterlassen. So manches einst ertragreiche Feld lag nun nackt und ausgedorrt da. Das Salz aus den Minen, das die größte Einnahmequelle der Region gewesen war, hatte das gute Ackerland in unfruchtbare Erde verwandelt, die der Wind in alle Himmelsrichtungen verteilte – ein stummes Zeugnis der jahrhundertelangen Fehde zwischen Darran und seinem Nachbarn Reth.

Als Ortschaft, die Westholdt (so genannt, da es sich westlich der Salzminen befand) am nächsten lag, eine der Hauptfestungen in Ostdarran und Lord Karstens Familienstammsitz, war Tallonwald in der Vergangenheit so manches Mal vom Feind überrannt worden. Und so war das einst wohlhabende Städtchen inzwischen verarmt, selbst nach darranischem Standard. Nachdem Darran auch den letzten Krieg gegen Reth verloren hatte, hatten dieser Tage selbst die wohlhabendsten Bewohner Sorge, ihr täglich Brot auf den Tisch zu bringen. Im letzten Winter, der dem Vernehmen nach als ausgesprochen mild angesehen wurde, waren zwei Alte und drei Kleinkinder an Unterernährung gestorben.

Lord Karsten, der über Westholdt und einige die Feste umgebende Dörfer, Tallonwald eingeschlossen, herrschte, war einer der wenigen darranischen Lords, die selbst in dieser Zeit der Not das alte Gesetz nicht aufgehoben hatten, demzufolge es Bauern unter Todesstrafe verboten war, in den Wäldern zu jagen. Er sorgte sich darum, dass der Wildbestand zurückgehen könnte, wie es anderswo in Darran schon der Fall war. In seinen Augen zählte das Wohlergehen von Bauern nicht halb so viel wie seine persönliche Freizeitentspannung. Und seine Aufseher sorgten dafür, dass seinen Anweisungen auch entsprochen wurde.

Eines der wenigen Gebäude in Tallonwald, die wieder hergerichtet worden waren, gehörte Tris, einem außerordentlich begabten Heilkünstler. Sein Ruf reichte weit über die Grenzen des Dorfes hinaus, und die Adligen aus der Feste zogen ihn für die Behandlung ihrer Ziegen genauso zu Rate wie für Magenverstimmungen oder Furunkel. Diese Dienstleistungen ließ sich Tris allerdings fürstlich bezahlen.

Ohne den Heiler wäre es den Menschen von Tallonwald noch schlechter gegangen, als es im vergangenen Winter ohnehin der Fall gewesen war. Denn mit dem Geld und den Juwelen, die er den Reichen für seine Dienste abknöpfte, erwarb er Getreide aus den Kornspeichern von Westholdt wie auch Schlachtvieh für die Leute des Dorfs.

Als auch die Bestände auf Westholdt zur Neige gingen und man dem Burgvogt untersagte, weitere Vorräte an die Dörfler zu verkaufen, wagte es Tris sogar, sich den Zorn von Lord Karsten zuzuziehen und im umliegenden Forst zu jagen. Dank der Jahre, die er heimlich, still und leise in allen möglichen Wäldern umhergestreift war auf der Suche nach Kräutern und anderen für seine Kunst nützlichen Dingen, war er dabei auch sehr erfolgreich. Er allein vermochte sich auf diese Weise sowohl vor dem Wild als auch vor den zweibeinigen Kreaturen zu verbergen, die Karstens Aufseher angeheuert hatte, um das Volk daran zu hindern, sich selbst zu helfen.

Im Verkaufsraum seines Zweizimmerhäuschens wischte Tris soeben den Tresen sauber, der die Kinder seiner Kunden davon abhielt, in die verschiedenen Töpfe und Krüge zu langen, die er im Regal dahinter aufbewahrte. Der Lappen, den der Heiler dafür benutzte, war nicht annähernd so fleckig wie seine allmächtigen Hände, die gerade in einem interessanten Lila schimmerten. Er hatte auf seinem morgendlichen Spaziergang ein Beet mit wildem Avendar aufgespürt; ein Kraut, aus dem man sowohl Brandsalbe wie auch eine schöne dunkelviolette Farbe herstellen konnte.

Zu seiner großen Überraschung fühlte er sich in dem kleinen Weiler wohl. Ja, er hatte sogar sein bescheidenes Häuschen, das jenseits von Tallonwalds kleinem Hügel stand, liebgewonnen. Dieser Standort vermittelte ihm die Illusion von Abgeschiedenheit und Privatsphäre, und er hatte den Vorteil, dass er hier flussaufwärts wohnte und so nicht mit den Abwässern des Dorfs in Berührung kam.

Tris sah auf und rieb sich den Bart, als die Türglocke den Besuch der Mutter des Dorfvorstehers ankündigte. Die alte und verkrüppelte Trenna trat stets so würdevoll auf, dass ihr selbst der Lord mit allem gebotenen Respekt begegnete. Wäre sie an einem anderen Ort zur Welt gekommen, hätte man sie sicherlich zur Magierin ausgebildet. In Darran war sie indes nicht mehr als die Dorfweise und beriet die Älteren in Fragen wie, welche Ziege noch gut zu melken und welche zu schlachten sei. Oder wann in diesem Jahr der erste Schnee fallen würde.

So wie Tris wusste, dass die Genauigkeit ihrer Vorhersagen auf mehr als nur Beobachtung und Erfahrung fußte, so wusste Trenna, dass in den Tränken des Heilers mehr steckte als verschiedene Kräuterauszüge. Ihrer beider Magie unterschied sich voneinander, und doch war und blieb es Magie.

Es war Trenna gewesen, die Tris aufgestöbert hatte, als sie auf der Suche nach einer besonderen Pflanze gewesen war. Von seinen eigenen Leuten gefesselt und auf den Tod wartend hatte sie ihn im Wald vorgefunden. Ihre Magie ermöglichte es ihr bisweilen, auch künftige Ereignisse zu sehen, und so erblickte sie an jenem Tag zum einen Tris’ wahre Natur und zum anderen so etwas wie Hoffnung für ihr Dorf.

Sie schlug dem Unbekannten einen Handel vor. Wenn sie ihn befreite, musste er sich im Gegenzug dazu verpflichten, ihren Leuten für ein Jahr als Heiler zu dienen. Die Bedingungen waren alles andere als einfach: Die Menschen von Tallonwald hassten die Magie, also musste er seine Gabe, so gut es irgend ging, geheim halten.

Tris hatte geduldig auf den Tod gewartet. Und selbst wenn ihm die Flucht gelungen wäre, hätte man ihn für seine unüberlegte, wenngleich gutgemeinte Tat für immer aus seiner eigenen Gemeinschaft verstoßen. Der Tod hatte ihn nicht geschreckt – bis zu dem Tag, da man ihm die Gelegenheit für ein Weiterleben bot. Er ließ sich auf Trennas Vorschlag ein.

Die Fesseln, die ihn gehalten halten, waren dazu gemacht, jeglicher Magie zu widerstehen, nicht so jedoch dem einfachen Stahlmesser, das Trenna benutzte, um Pflanzen für ihre Tränke zu ernten. Nachdem sie seine Wunden mithilfe ihrer seltsamen Kräuterkunde geheilt hatte (ihm fiel es schwer, seine Heilmagie auf sich selbst anzuwenden), erzählte Trenna den Dorfältesten, Tris wäre ein Verwandter, ein Heiler, der seiner Reisen müde sei und sich gern niederlassen würde.

Die Ältesten kauften ihr diese Geschichte ab. Darüber hinaus war Trenna inzwischen auch schon zu gebrechlich, um die Aufgaben einer Heilerin zu erfüllen, umso praktischer also, dass da jemand zur Stelle war, der ihren Platz einnehmen konnte. Dankbar wurde Tris in Tallonwald willkommen geheißen, ja, das Dorf sah in seiner Verzweiflung sogar darüber hinweg, dass er ein gänzlich Fremder war.

Tris war sich nicht ganz sicher, ob Trenna wirklich in vollem Umfang verstanden hatte, was er wirklich war, aber sie hatte verstanden, dass er ihren Leuten nichts zuleide tun würde, und das allein zählte für sie. Das Jahr, zu dem er sich verpflichtet hatte, war längst vorüber, aber Tris war in Tallonwald geblieben. Er hätte auch gar nicht gewusst, wohin er sonst hätte gehen sollen.

»Meine Dame«, begrüßte er Trenna in seinem eigenartig gefärbten Darranisch. Er ergriff die geschwollene Hand, die sie ihm über den Tresen hinweg reichte und küsste sie formvollendet.

»Mein Herr.« Sie lächelte angesichts seiner Galanterie zu ihm auf. Er war größer als die meisten Männer im Dorf, und sie war eine zierliche Person. »Wie geht es Euch an diesem wunderschönen Frühlingsmorgen.«

»Außerordentlich gut. Komme gerade von einem Ausflug in den Wäldern zurück und hab dort eine neue Stelle mit Thymian entdeckt; das alte Feld war doch schon sehr abgegrast. Darf ich euch ein Mittel gegen Euer Rheuma zusammenstellen? Erst letzte Woche hab ich ein paar Tharmud-Wurzeln gefunden, wodurch die Mixtur gleich viel wirkungsvoller wird.«

»Ja, das wäre nett«, erwiderte sie. Als er sich umdrehte, um die Ingredienzien zusammenzumischen, beugte und streckte sie vorsichtig ihre Finger. Die Gelenke waren sichtlich weniger entzündet als vor jenem Tag, da er sie zum ersten Mal berührt hatte.

Tris war immer sehr darauf bedacht, dass die Dörfler nichts von seiner Kunst mitbekamen, das sie nicht mitbekommen sollten. Trenna gegenüber konnte er sich jedoch so theatralisch aufführen, wie er wollte – sie genoss das ganze Brimborium fast genauso wie er.

»So, das hätten wir«, sagte er und reichte ihr die Medizin. Nicht vergessen: morgens und abends eine Dosis davon. Falls nötig, könnt Ihr auch am Tage eine weitere Portion einnehmen. Falls das immer noch nicht ausreicht, kommt noch einmal zu mir zurück. Gebt das Pulver in heißes Wasser und haltet so lange wie möglich die Luft an, bevor ihr es trinkt.«

Sie lächelte ihn an, und für einen Moment erlaubte sie ihm einen Blick auf die Schönheit, die sie in jungen Jahren gewesen war. Sie griff nach dem Beutel mit dem Pulver, doch als sich dabei ihre Finger berührten, ließ sie das Säckchen achtlos zu Boden fallen und umklammerte mit beiden Händen seine Arme mit einer Festigkeit, die ihre Gebrechlichkeit Lügen strafte. Er spürte ihre Magie förmlich durch seine Haut pulsieren.

Ihr ganzer Körper schien zu vibrieren, als sie mit angespannter Stimme zu sprechen begann: »Zwei kommen von Sianim … ein Mann und … eine Tänzerin. Ihr müsst ihnen helfen, sich der Flut des Katzengottes entgegenzustellen … Habt Acht vor den Kreaturen, die er aus dem Sumpf heraufbeschwört.« Sie schluckte und schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Schweißtropfen glitzerten auf ihrer Stirn, und sie lockerte den Griff um seine Unterarme, während sie plötzlich einige Worte in seiner Muttersprache sprach.

Dann verließ die Magie sie wieder, und sie zuckte wie vom Blitz getroffen zusammen. Bevor sie zu Boden sinken konnte, war Tris schon über die Verkaufstheke gesprungen und hatte dabei die kleine Pflanze heruntergerissen, die darauf stand. Im letzten Moment bekam er Trenna zu fassen und ließ sie sanft auf die gepolsterte Eichenbank sinken, die auf der gegenüberliegenden Seite stand. Er setzte sich neben sie und legte seinen Arm um sie, bis sie zu zittern aufhörte.

»Entschuldigt«, sagte sie, als sie wieder sprechen konnte.

Er schüttelte entschieden den Kopf. »Aber nein, Lady, ich danke Euch für den Rat – es gibt nichts, wofür Ihr Euch entschuldigen müsst. Erinnert Ihr Euch an Eure Worte?«

»Nein«, sagte sie. »Manchmal kann ich es, oder mir fällt zumindest das letzte Bild ein, das ich sah, aber, wartet … Ich habe viele, viele rote und grüne Edelsteine gesehen … Nein, ich glaube, das waren Augen.« Nun schüttelte sie den Kopf. »Das ist alles. Ich hoffe, die Botschaft wird Euch von Nutzen sein.«

Wieder ergriff er ihre Hand und küsste sie. »Das, meine Gute, kann allein die Zeit zeigen. Darf ich Euch nach Hause begleiten?«

Sie lächelte wieder und erhob sich langsam von der Bank. »Nein, aus irgendeinem Grund fühle ich mich schon wieder viel besser. Wenn Ihr mir das Säckchen mit dem Pulver reichen könntet, werde ich Euch bezahlen und dann heimgehen.«