Stille der Nacht - Patricia Briggs - E-Book

Stille der Nacht E-Book

Patricia Briggs

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Beschreibung

Mercy Thompson hat ihren Platz und ihre Stimme im Wolfsrudel der Tri-Cities gefunden. Doch eines nachts wird die Gestaltwandlerin von Vampiren entführt: Sie soll als Waffe gegen ihr Rudel und ihren Gefährten Adam eingesetzt werden. Mercy gelingt die Flucht. Und plötzlich findet sie sich allein, ohne Geld und ohne Kleidung mitten in Prag wieder. Sie muss neue Verbündete finden und alte Feinde abwehren, und vor allem muss Mercy Adam warnen. Denn im Herzen der uralten Stadt regt sich ein dunkler Geist. Mit dem Ziel, Krieg zwischen allen magischen Völkern zu stiften ...

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Seitenzahl: 577

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Das Buch

Eigentlich wollte Automechanikerin und Walkerin Mercy Thompson nur ein paar Einkäufe erledigen, als sie mit ihrem Wagen von Unbekannten gerammt wird. Ein lauter Knall – und Mercy verliert das Bewusstsein. Als sie wieder zu sich kommt, muss sie feststellen, dass sie sich in den Händen von Iacopo Bonarata, dem mächtigsten Vampir Europas, befindet. Sie wurde entführt! Und sie ist auch nicht mehr in den Tri-Cities, sondern in Italien! Während Mercys Gefährte Adam und die Vampirin Marsilia aufbrechen, um Mercy zu retten, gelingt dieser die Flucht aus Bonaratas Gefängnis. Es ist der Beginn eines packenden Abenteuers, das Mercy bis nach Prag und zu einem uralten Geheimnis führen wird …

Die MERCYTHOMPSON-Serie

Erster Roman:

Ruf des Mondes

Zweiter Roman:

Bann des Blutes

Dritter Roman:

Spur der Nacht

Vierter Roman:

Zeit der Jäger

Fünfter Roman:

Zeichen des Silbers

Sechster Roman:

Siegel der Nacht

Siebter Roman:

Tanz der Wölfe

Achter Roman:

Gefährtin der Dunkelheit

Neunter Roman:

Spur des Feuers

Zehnter Roman:

Stille der Nacht

Die ALPHA & OMEGA-Serie

Erster Roman:

Schatten des Wolfes

Zweiter Roman:

Spiel der Wölfe

Dritter Roman:

Fluch des Wolfes

Vierter Roman:

Im Bann der Wölfe

Die Autorin

Patricia Briggs, Jahrgang 1965, wuchs in Montana auf und interessiert sich seit ihrer Kindheit für Phantastisches. So studierte sie neben Geschichte auch Deutsch, denn ihre große Liebe gilt Burgen und Märchen. Neben erfolgreichen und preisgekrönten Fantasy-Romanen wie Drachenzauber und Rabenzauber widmet sie sich ihrer Mystery-Saga um Mercy Thompson. Nach mehreren Umzügen lebt die Bestsellerautorin heute gemeinsam mit ihrer Familie in Washington State.

PATRICIA BRIGGS

Ein MERCY-THOMPSON-Roman

Deutsche Erstausgabe

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

SILENCE FALLEN

Deutsche Übersetzung von Vanessa Lamatsch

Deutsche Erstausgabe 02/2018

Redaktion: Diana Mantel

Copyright © 2017 by Hurog, Inc.

Copyright © 2018 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Covergestaltung: Animagic, Bielefeld,

unter Verwendung der Motive von Daniel Dos Santos

Karte: Andreas Hancock

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-20078-7 V002

Für Libor, Martin und Jitka, die vorgeschlagen haben, dass Prag ein eigenes Werwolfrudel haben sollte.

Ich hoffe, ihr mögt sie. Viel Glück.

Außerdem für Shanghaied on the Willamette,

die ein neues Album veröffentlich haben (endlich), sodass ich keine drastischen Schritte einleiten muss.

Ernsthaft, Gentlemen, danke für eure Musik.

Und schließlich: für Richard Peters, der »Sodding Bart« seinen neuen Lieblingsfluch verschafft hat.

Liebe Leser,

bitte achtet für das beste Lesevergnügen auf Mercys Anmerkungen am Beginn jedes Kapitels. Nur als Warnung: Die Zeitlinie verläuft nicht immer vollkommen linear. Meine eingebildeten Freunde haben mich dazu gezwungen.

Alles Gute

Patricia Briggs

1

Mercy

Es war nicht das erste Mal, dass mich Schokolade in Schwierigkeiten gebracht hat.

Ich starb zuerst, also buk ich Cookies. Die waren an Piratenabenden sehr beliebt, also musste ich eine Menge davon machen. Darryl hatte mir zu Weihnachten eine riesige antike Rührschüssel geschenkt, in die genug Wasser gepasst hätte, um einen Elefanten einen Tag lang zu versorgen. Keine Ahnung, wo er sie aufgetrieben hat. Sollte ich diese Schüssel jemals bis zum Rand füllen, würde ich einen der Werwölfe bitten müssen, sie zu heben. Die achtzehn Tassen Mehl, die ich hineinkippte, füllten sie jedenfalls nicht mal ansatzweise. Die ganze Zeit über erklangen aus den Tiefen des Kellers Piratenschreie.

»Jesse …«, setzte Aiden an, wobei er die Stimme hob, um eine enthusiastisch gepfiffene Version von The Sailors Hornpipe zu übertönen.

»Nenn mich Barbary Belle«, erinnerte ihn meine Stieftochter Jesse.

Aiden mochte aussehen und klingen wie ein kleiner Junge, doch er war schon seit langer Zeit kein Kind mehr. Wir hatten ihn eher assimiliert als adoptiert, da er letztlich Jahrhunderte älter war als Adam und ich zusammengenommen. Es fiel ihm immer noch schwer, sich an manche Aspekte des modernen Lebens zu gewöhnen – wie zum Beispiel den Live-Rollenspiel-Aspekt des Piraten-Computerspiels, das sie gerade spielten.

»Es funktioniert nur, wenn du an mich als Piratin denkst und nicht als deine Schwester«, sagte Jesse geduldig. Sie ignorierte seine Antwort, dass sie nicht seine Schwester war, und fuhr fort: »Solange du mich Jesse nennst, denkst du weiterhin, du hättest es im Spiel mit mir zu tun. Du musst dich aber davon überzeugen, dass ich eine Piratin bin, damit das Spiel funktioniert. Und der erste Schritt dazu liegt darin, mich bei meinem Rollennamen zu nennen – Barbary Belle.«

Es folgte eine Pause im Gespräch, als jemand ein lautes Brüllen ausstieß, das in einem frustrierten Stöhnen ausklang.

»Friss Muschelschalen, du schlickfressender Hanswurst«, gluckste Ben. Sein Rollenname lautete »Sodding Bart«, aber ich musste ihn nicht mehr so nennen, weil ich ja sowieso schon tot war.

Ich holte meine kleinere Rührschüssel heraus – diejenige, die vollkommen ausgereicht hatte, bis ich in ein Werwolfrudel eingeheiratet hatte. Dann füllte ich sie mit weicher Butter, braunem Zucker und Vanille. Während ich alles mixte, entschied ich, dass mein Tod nichts damit zu tun hatte, dass ich eine schlechte Piratin war, sondern damit, dass ich einen taktischen Fehler begangen hatte. Dadurch, dass ich jedes Mal, wenn ich als Erste starb, zuckrige, schokoladige Köstlichkeiten buk, hatte ich mich selbst zur Zielscheibe gemacht.

Der Ofen piepte, um mich wissen zu lassen, dass er die nötige Temperatur erreicht hatte, und ich fand tatsächlich alle vier Backbleche in dem schmalen Schrank, wo sie hingehörten – ein kleines Wunder. Ich war nicht die Einzige, die in diesem Haus regelmäßig Küchendienst hatte, aber ich schien die Einzige zu sein, der es ebenso regelmäßig gelang, die Dinge auch wieder wegzuräumen (an den Ort, an den sie tatsächlich hingehörten). Besonders die Backbleche tauchten oft an den seltsamsten Orten auf. Einmal hatte ich sie in einem der Badezimmer im Keller gefunden. Ich habe lieber nicht nachgefragt – aber ich habe die Schnieptröten mit Bleiche abgewaschen, bevor ich sie das nächste Mal im Ofen verwendet habe.

»Schnieptröte« war ein Wort, das sich beängstigend schnell im Rudel ausgebreitet hatte, nachdem »Sodding Bart«-Ben begonnen hatte, es in seiner Piratenrolle zu verwenden. Ich war mir nicht ganz sicher, ob es ein neu erfundener Fluch war, eines dieser Worte, die in Bens Heimatland England tatsächlich ein Schimpfwort waren (das dort etwas ganz anderes bedeutete als hier), oder ein Ersatzfluch wie »Scheibenkleister«. Auf jeden Fall ertappte ich mich inzwischen dabei, es zu benutzen, wenn ich »Scheibenkleister« zu schwach fand – wie zum Beispiel, wenn ich Backbleche in Badezimmern entdeckte.

Nachdem ich die Backbleche gefunden hatte, dachte ich, ich wäre endlich bereit zum Backen. Doch als ich den Schrank öffnete, in dem eigentlich zehn Beutel mit Schokostreuseln hätten stehen sollen, fand ich dort nur sechs. Ich durchsuchte die Küche und fand noch eine weitere Tüte (geöffnet und halb leer) im obersten Schrank hinter den Spaghetti. Damit hatte ich sechseinhalb Tüten, etwas weniger, als ich für die vierfache Menge gebraucht hätte. Aber es würde schon gehen.

Was allerdings nicht ging, war Backen ohne Eier. Und es gab überhaupt keine Eier.

Ich durchsuchte den Kühlschrank ein zweites Mal, kontrollierte sogar die hintersten Ecken und schob die Milchtüten zur Seite, weil sich dahinter gerne mal Dinge versteckten. Doch obwohl ich erst vor zwei Tagen vier Dutzend Eier gekauft hatte, fand ich kein einziges Ei.

Das war ein normales Risiko, wenn man im Quasi-Clubhaus eines Werwolfrudels lebte. Roastbeef aufzutauen erforderte die Hinterhältigkeit eines heimlichen französischen Spionagenetzwerks des Zweiten Weltkriegs im Hauptquartier der Nazis. Ich hatte die Eier nicht versteckt, weil ich sie aufgrund der Tatsache, dass sie weder süß schmeckten noch bluteten, für ungefährdet gehalten hatte. Offenbar hatte ich mich geirrt.

Der Großteil des Eier und Roastbeef stehlenden Werwolfrudels befand sich gerade im Keller, vollkommen vertieft in Piraterie auf den weiten Gewässern des Computerbildschirms. Es war fast ironisch, dass sie ausgerechnet Piratenspiele so liebten – die Körper von Werwölfen sind ja zu dicht, um zu schwimmen. Kojoten dagegen, sogar Kojoten-Gestaltwandler wie ich, können ganz wunderbar schwimmen – außer vielleicht in Dread Pirate’s Booty-Szenarien, denn allein in diesem Monat war ich vier Mal ertrunken.

Dieses Mal allerdings war ich nicht ertrunken – dieses Mal war ich mit dem Messer meiner Stieftochter im Rücken gestorben. Barbary Belle konnte fantastisch mit Messern umgehen.

»Ich fahre zum Stop and Rob«, rief ich nach unten. »Braucht irgendwer noch etwas?«

Der Laden hieß natürlich nicht wirklich so – er hatte einen ganz normalen Namen, an den ich mich allerdings nicht erinnern konnte. »Stop and Rob« war eher die allgemeine Bezeichnung für rund um die Uhr geöffnete Tankstellenläden; ein Spitzname, den sie in der Zeit erworben hatten, als ein Angestellter ganz allein die Nachtschicht übernommen hatte, die Kasse gefüllt mit Tausenden von Dollar. Technologie – Kameras, Kassensafes, die sich erst am nächsten Tag wieder öffneten und stille Alarme – hatte die Nachtschicht sicherer gemacht, aber für mich würden die Läden immer »Stop and Rob« bleiben.

»Ahrrr.« Die Stimme meines Ehemannes Adam drang über die Treppe nach oben. »Gold und Frauen und Grog!« Er spielte nicht oft mit, aber wenn er es tat, dann mit Inbrunst und Herzblut.

»Gold und Frauen und Grog!«, echote ein ganzer Chor von Männerstimmen.

»Hört euch das an«, höhnte Mary Jo. »Gebt mir einen Mann, der weiß, was er mit dem anfangen soll, was der gütige Gott ihm gegeben hat, statt einen dieser ahnungslosen Taugenichtse, die beim ersten Blick auf eine echte Frau den Schwanz einziehen.«

»Ahrrr«, stimmte Auriele zu, während Jesse kicherte.

»Schrubbt das Deck, ihr Tölpel, damit ihr nicht im Blut ausrutscht und euch eure Holzschädel aufschlagt«, rief ich. »Und was immer ihr auch tut, lasst Barbary Belle nicht aus den Augen.«

Zustimmendes Brüllen erhob sich, und Jesse kicherte wieder.

»Und, Captain Larson«, sagte ich, womit ich Adam ansprach – mein Gefährte hatte sich den Namen aus Jack Londons Seewolf geliehen – »du kannst Gold haben, und du kannst Grog haben. Aber wenn du eine andere Frau anfasst, wirst du einen blutigen Stumpf zurückziehen.«

Es folgte ein Moment der Stille.

»Argh«, tönte Adam dann mit neuem Schwung. »Ich hab ’ne Frau. Was will ich mit mehr? Die Frauen sind für meine Männer!«

»Argh!«, brüllten seine Männer. »Bringt uns Gold, Grog und Frauen!«

»Männer!«, sagte Auriele mit süßer Stimme. »Bringt uns ein paar gute Männer.«

»Idioten«, knurrte Honey. »Sterbt!«

Dann folgte ein allgemeiner Aufschrei, denn anscheinend ereilte ein paar der Anwesenden das erwünschte Schicksal.

Lachend verließ ich das Haus.

Nach kurzem Nachdenken nahm ich Adams SUV. Ich würde mir bald überlegen müssen, welche Art von Auto ich mir für die ganz alltäglichen Fahrten anschaffen wollte. Mein geliebter Vanagon Syncro hatte langsam zu viele Kilometer auf dem Tacho, und sein Getriebe wurde auf dem Gebrauchtteilemarkt quasi für sein Gewicht in Gold gehandelt. Ich hatte ihn benutzt, seitdem mein armer Käfer zu Schrott gefahren worden war, und der Van wurde immer reparaturaufwendiger. Vor ein paar Tagen hatte ich mir einen 87er Jetta mit kaputtem Motor angeschaut. Die Verkäufer wollten zu viel dafür, aber vielleicht würde ich eben einfach dafür blechen müssen.

Der SUV brummte die paar Kilometer zu dem Laden, der um einiges näher am Haus lag als alle anderen Geschäfte, die zu dieser Nachtzeit noch geöffnet hatten. Der Verkäufer räumte gerade neue Zigaretten ein und sah nicht mal auf, als ich an ihm vorbeiging.

Ich holte zwei Dutzend überteuerte Eier und drei ebenso überteuerte Tüten mit Schokoladenstreuseln und stellte sie vor der Kasse ab. Der Verkäufer wandte sich von den Zigaretten ab, drehte sich zu mir um und erstarrte. Er schluckte schwer, dann wandte er den Blick ab – und scannte die Eier mit einer Hand, die so heftig zitterte, dass ich mir die Mühe, die Eier später aufzuschlagen, wahrscheinlich sparen könnte.

»Sie sind wohl neu?«, fragte ich, als ich meine Karte in den Leser steckte.

Anscheinend wusste er, wer ich war, ohne die wirklich wichtigen Dinge erfahren zu haben.

Ich fand das Rampenlicht unangenehm, aber langsam gewöhnte ich mich daran. Mein Ehemann war der Alpha des ortsansässigen Rudels; er war in den Tri-Cities bereits bekannt gewesen, seitdem die Werwölfe vor ein paar Jahren ihre Existenz öffentlich gemacht hatten. Als wir geheiratet hatten, hatte ich einen Teil der Aufmerksamkeit abbekommen, aber seitdem ich vor ein paar Monaten auf der Kabelbrücke dabei geholfen hatte, einen Troll zu bekämpfen, war ich mindestens genauso berühmt wie Adam. Die Menschen reagierten unterschiedlich auf die Existenz von Werwölfen in der Welt. Vernünftige Menschen hielten einen gewissen Abstand ein. Andere waren auf geradezu alberne Weise übertrieben freundlich oder etwas verängstigt. Dieser neue Kerl gehörte offensichtlich zur zweiten Fraktion.

»Habe letzte Woche hier angefangen«, murmelte der Verkäufer, während er die Streusel und die Eier einpackte, als könnten sie ihn jeden Moment beißen.

»Ich bin kein Werwolf«, erklärte ich ihm. »Sie haben von mir nichts zu befürchten. Und mein Ehemann hat diese Woche verboten, Tankstellenverkäufer zu töten.«

Der Verkäufer starrte mich blinzelnd an.

»Keiner aus dem Rudel wird Ihnen etwas tun«, stellte ich klar. Währenddessen ermahnte ich mich selbst, vor Leuten, die zu viel Angst hatten, um Humor zu erkennen, auf Witze zu verzichten. »Wenn Sie irgendwelche Probleme mit einem Werwolf oder etwas Ähnlichem haben sollten, können Sie uns anrufen.« Ich fand mein Kartenmäppchen in der Tasche und gab ihm eine der Visitenkarten des Rudels, gedruckt auf cremefarbenem Papier. »Hier ist die Nummer. Wir werden uns darum kümmern, wenn wir können.«

Inzwischen trugen wir alle diese Visitenkarten mit uns herum, weil wir jetzt die Aufgabe übernommen hatten, die übernatürliche Gemeinschaft der Tri-Cities zu kontrollieren und die menschlichen Bürger vor allem Unheimlichen in der Nacht zu schützen (mein Fehler). Wir waren schon gerufen worden, um verschwundene Kinder, Hunde und einmal sogar zwei Kälber und ihr Hüte-Lama zu finden. Zack hatte zu Ehren dieses Anlasses sogar ein Lied komponiert. Ich hatte vorher nicht mal gewusst, dass er Gitarre spielen konnte.

An manchen Tagen war der Job, die Tri-Cities zu schützen, glamouröser als an anderen. Die Viehrettung hatte nicht nur die Inspiration für einen Song geliefert, sondern sich sogar als ziemlich guter PR-Coup entpuppt; Fotos von Werwölfen, die kleine, verlorene Kälber (und ein Lama!) nach Hause trieben, hatten sich im Internet wie ein Lauffeuer verbreitet.

Der Verkäufer nahm meine Karte, als würde sie ihn jeden Moment beißen. »Okay«, log er.

Mehr konnte ich nicht tun, also verließ ich den Laden mit meinen Einkäufen. Ich sprang in den SUV, stellte die Tüte auf den Beifahrersitz und fuhr rückwärts aus dem Parkplatz. Mit einem Stirnrunzeln überlegte ich, ob der Verkäufer vielleicht deswegen so heftig reagiert hatte, weil ihm schon einmal etwas zugestoßen war – weil er persönlich eine schlechte Erfahrung gemacht hatte. Prüfend sah ich in beide Richtungen, bevor ich auf die Straße einfuhr. Vielleicht sollte ich noch mal mit ihm reden.

Ich machte mir immer noch Sorgen wegen des Verkäufers, als mir plötzlich ein lautes Geräusch den Atem raubte. Die Tüte mit den Eiern flog vom Sitz, und etwas traf mich mit einem ohrenbetäubenden Knall und einem scheußlichen Gestank – dann folgte ein scharfer Schmerz, gefolgt von … gar nichts.

Ich glaube, ich bin ab und zu aufgewacht, nur für ein paar Minuten, die jedes Mal abrupt zu Ende gingen, wenn ich versuchte, mich zu bewegen. Währenddessen hörte ich Leute, die sich unterhielten, überwiegend unbekannte Männerstimmen … aber ich verstand nicht, was sie sagten. Schimmernde Magie kribbelte auf meiner Haut. Dann durchdrang ein Hauch von Frühlingsluft den Schmerz und trug ihn davon. Ich schlief, müder, als ich es meiner Erinnerung nach jemals zuvor gewesen war.

Als ich endlich wieder voll zu Bewusstsein kam, konnte ich nicht das Geringste sehen. Zwar mag ich kein Werwolf sein, aber auch ein Gestaltwandler-Kojote sieht im Dämmerlicht gewöhnlich ziemlich gut. Entweder war ich erblindet oder an diesem Ort gab es wirklich absolut kein Licht.

Mein Kopf tat weh, meine Nase tat weh, und meine linke Schulter fühlte sich geprellt an. Mein Mund war trocken und schmeckte schrecklich … als hätte ich mir eine Woche lang nicht die Zähne geputzt. Ich fühlte mich, als hätte ich den Schlag eines Trolls eingesteckt – auch wenn das an der linken Schulter eher eine Sicherheitsgurt-Verletzung zu sein schien. Aber ich konnte mich nicht erinnern … gerade als dieser Gedanke die erste Welle Panik auslöste, stiegen einzelne Erinnerungen auf.

Ich war doch nur kurz zu unserem örtlichen Stop and Rob gefahren – zu derselben Vierundzwanzig-Stunden-Tankstelle mit Laden, wo ich vor all diesen Jahren zum ersten Mal unseren schwulen Werwolf Warren getroffen hatte. Warren hatte sich für das Rudel zu einem ziemlichen Gewinn entwickelt … Mit aller Kraft sammelte ich meine wandernden Gedanken und lenkte sie in eine Richtung, die vielleicht etwas helfen würde. Aufgrund der Tatsache, dass mir das ziemlich schwerfiel – und mich übles Kopfweh plagte –, vermutete ich, dass ich eine Gehirnerschütterung hatte.

Ich dachte an den lauten Knall und die Eier zurück. Da wurde mir klar, dass nicht die Eier explodiert waren und gestunken hatten, sondern die Airbags des SUVs. Schließlich war ich Mechanikerin, ich wusste also, wie platzende Airbags rochen. Was ich allerdings nicht wusste, war, welcher seltsame Schockeffekt dafür gesorgt hatte, dass ich gedacht hatte, es wären die Eier gewesen. Die Plötzlichkeit des Unfalls kombiniert mit dem Einkauf und dem Schlag der Airbags hatte mir offensichtlich einen Kausalzusammenhang vermittelt, den es gar nicht gab.

Langsam wurden meine Gedanken klarer, und mir wurde bewusst, dass der SUV seitlich getroffen worden war – fest genug, um die Airbags auszulösen.

Aufgrund dieser Information schätzte ich meine Situation neu ein, ohne mich zu bewegen. Mein Gesicht fühlte sich wund an – und es schmerzte anders und weniger als mein Kopf, daher ging ich davon aus, dass der Aufprall auf dem Airbag mich trotz allem nicht vor einer Gehirnerschütterung bewahrt hatte. Die schmerzende linke Schulter stellte keine ernstzunehmende Verletzung dar, genauso wenig wie die generelle Wundheit meines Körpers und die unendliche Erschöpfung, die ich empfand.

Wahrscheinlich stammten alle meine Schmerzen von dem Unfall … oder besser: von der Kollision, weil ich mir ziemlich sicher war, dass das kein Unfall gewesen war. Das Fahrzeug, das mich gerammt hatte, hatte seine Scheinwerfer nicht angeschaltet – an Scheinwerfer hätte ich mich erinnert. Und wenn es ein echter Unfall gewesen wäre, befände ich mich im Krankenhaus, und nicht da, wo auch immer ich mich jetzt befand. Unter den gegebenen Umständen war ich nicht allzu angeschlagen … aber daran konnte etwas nicht stimmen.

Plötzlich blitzte das Bild einer herausstehenden Rippe vor meinem inneren Auge auf – doch auch wenn ich mich nicht gut fühlte, hob und senkte sich meine Brust mühelos. Ich verdrängte diese Erinnerung, um mich erst dann damit zu beschäftigen, wenn ich herausgefunden hatte, wo ich mich befand und warum.

Mein Körper war trotz der vollständigen Dunkelheit davon überzeugt, dass ich mich im Inneren eines Hauses aufhielt. Der Boden wirkte allerdings … seltsam. Kühl – fast kalt – und glatt lag er unter meiner Wange. Das war angenehm für mein wundes Gesicht, doch gleichzeitig entzog das Material meinem Körper die Wärme. Metall. Es roch nicht vertraut – roch nicht intensiv nach irgendetwas oder irgendjemandem, als wäre es sehr altes Metall, oder ganz neues.

Eine Tür öffnete sich. Ein Licht wurde angeschaltet und machte all meine Hypothesen überflüssig, weil ich plötzlich alles sehen konnte. Ich befand mich in etwas, was ich nur als Kühlraum bezeichnen konnte – überall glänzende, silbrige Oberflächen. Da ich zusammengezuckt war, als die Tür geöffnet worden war, musste ich nicht mal versuchen vorzugeben, ich wäre noch bewusstlos. Die zweitbeste Reaktion wäre es jetzt, mich meinem Besucher auf meinen eigenen zwei Beinen zu stellen.

Ich rollte mich herum, um genau das zu machen. Aber bevor ich mehr tun konnte, wurde mein Körper von trockenem Würgen geschüttelt, was das Hämmern in meinem Schädel noch verstärkte. Als ich schließlich den Kopf hob und mir mit dem Handrücken den Mund abwischte, bemerkte ich zwei Männer im Türrahmen, die mich stirnrunzelnd musterten. Keiner von beiden machte Anstalten, mir zu helfen, oder reagierte – zumindest, soweit ich es mitbekam – auch nur im Geringsten.

Ich würgte noch ein paarmal zusätzlich, um die Eindringlinge in meine Kühlraumzelle genauer betrachten zu können.

Der eine war schön wie ein Männermodel, mit dunklem gelocktem Haar, warmen braunen Augen und einem Tausend-Dollar-Anzug, der jeden Muskel betonte, ohne gleichzeitig irgendwo wirklich eng anzuliegen. Im Blick des Schönlings lag etwas Raubtierhaftes, und dieser Funke brannte in ihm, der dafür sorgte, dass manche Männer von anderen als dominanter angesehen wurden, ohne dass sie auch nur ein Wort sagen mussten.

Ich war von Werwölfen aufgezogen worden, darum erkannte ich eine Alpha-Persönlichkeit, wenn ich ihr begegnete.

Der andere Mann wog mindestens fünfundzwanzig Kilo mehr und war fast zehn Zentimeter größer, mit dem Gesicht eines Boxers oder Werftarbeiters. Seine Nase war ein paarmal gebrochen worden, und über dem linken Auge prangte die Art von Narbe, die sich bildete, wenn man einen Schlag aufs Auge bekam und die Haut aufplatzte.

Der hübsche Kerl strahlte Macht aus, aber dieser hier … von ihm empfing ich gar nichts.

Auch seine Augen waren braun, doch es waren gewöhnliche Augen … abgesehen von dem Ausdruck darin. Etwas sehr Kaltes, Hungriges sah mir daraus entgegen. Er trug abgenutzte Jeans und ein eng anliegendes Henley-Shirt.

Dem Aussehen der beiden nach hätte ich genauso gut plötzlich in einem italienischen Gangsterfilm gelandet sein können. Es war nicht zu übersehen, dass sie aus dem Mittelmeerraum stammten.

Meine Nase verriet mir jedoch noch etwas anderes. Vampire.

Ich kauerte auf Händen und Knien, doch nachdem ich im Stehen kaum bessere Chancen im Kampf gegen zwei Vampire haben würde, blieb ich für den Moment, wo ich war.

Zwar trug ich meine eigene Kleidung, aber sie war zerrissen und steif von meinem eigenen getrockneten Blut – Blut, das roch, als wäre es mindestens einen Tag alt. Eine mir unbekannte, einfache Goldmanschette an meinem Handgelenk konnte nicht über den nagenden Verdacht hinwegtäuschen, der sich jetzt richtig bemerkbar machte. Ich hob die Hand, um nachzuprüfen, was ich schon relativ sicher wusste – ich trug keine Kette mehr. Was bedeutete, dass mir mein Ehering, Adams Hundemarke und mein Lamm fehlten – Letzteres das Symbol meines Glaubens, das mir Schutz vor Vampiren bot.

Und noch etwas fehlte mir. Etwas, was viel wichtiger war.

»Das braucht sie hier drin nicht«, sagte der Vampir mit der gebrochenen Nase. Er streckte die Hand aus und löste die Manschette an meinem Handgelenk. Die Haut dort war mit roten Punkten übersät, als hätte mich in regelmäßigen Abständen eine Mücke gestochen.

Ich achtete sorgfältig darauf, mich nicht zu bewegen.

»Ihr müsst uns vergeben«, sagte der schöne Vampir, als er vor mir in die Hocke ging. Die britische Härte seiner Stimme wurde ein wenig von seinem gleichzeitig vorhandenen italienischen Akzent gemildert. »Man hat uns gesagt, Ihr wärt die gefährlichste Person in den Tri-Cities. Daher haben wir Euch die Höflichkeit erwiesen, Euch auch so zu behandeln.« Und dann laberte er weiter über Verletzungen und eine Heilerin und bla, bla, bla.

Ich versuchte, Adam durch unsere Gefährtenverbindung zu kontaktieren und fand … Stille. Schweigen hatte sich zwischen uns ausgebreitet, und zwar nicht von der knisternden, erwartungsvollen Sorte. Dieses Schweigen erinnerte an die Leere, die nachts in einem Winter in Montana herrscht, wenn die Welt in Schnee gehüllt und eiskalt ist – ein Schweigen, das meine Seele umschloss und mich allein zurückließ.

»… Euch finden«, sagte der hübsche Vampir gerade. »Das Hexenarmband hat die ungünstige Verbindung zu Eurem Rudel und Eurem Gefährten blockiert, bis wir Euch in diesen Raum hier bringen konnten, den keinerlei Magie durchdringen kann. Wäre uns bewusst gewesen, wie zerbrechlich Ihr seid, hätten wir uns bemüht, eine schonendere Art der Extraktion zu wählen.«

Mich interessierte nur der »Keine-Magie-durchdringen«-Teil seiner Aussage. Wenn es sich hier um eine blockierende Magie oder einen Schutzkreis handelte, dann war dieses … Schweigen vorübergehend, ausgelöst von der Manschette und fortgeführt durch diesen Ort. Bis ich aus diesem Raum entkam, oder vielleicht auch aus den umgebenden Gebäuden, würde es mir nicht gelingen, Adam über unsere Gefährtenverbindung zu kontaktieren. Wichtig war jetzt nur, dass ich meine ganze Hoffnung und mein gesamtes Bemühen auf meine Flucht konzentrierte.

Ich dachte über das Wort nach, das ich vorher gehört hatte – Heilerin –, und erneut stieg das Bild vor meinem inneren Auge auf, wie meine Rippe an einem Ort, wo sie nichts zu suchen hatte, hervorgetreten war – und hinterließ einen Wow-Effekt. Die einzige Heilerin, die ich je gesehen hatte, die so etwas schaffte, war Baba Yaga.

In Ordnung. Ich war noch am Leben. Aus zusammengekniffenen Augen betrachtete ich die beiden Vampire.

Sie hatten eine Menge Ärger auf sich genommen (offensichtlich – wenn man bedachte, wie viel der hübsche Vampir redete), um mich hierherzubringen. Die beiden konnten mir erzählen, was sie wollten, dann würde ich einen Weg finden zu entkommen und meinen Kontakt zu Adam wiederherstellen.

Ich grübelte kurz darüber nach, was Adam wohl getan hatte, als unsere Verbindung abgebrochen war. Wahrscheinlich musste ich einfach darauf vertrauen, dass er damit klargekommen war.

Auf jeden Fall wurde es Zeit, ein paar Pläne zu schmieden. Wäre ich mir sicher gewesen, dass meine Beine mich tragen würden, wäre ich ungefähr zu diesem Zeitpunkt aufgestanden. Doch ob es nun an dem Mittel lag, das sie mir gegeben hatten, oder an der Heilung oder dem Unfall oder an einer Kombination aus allen drei Faktoren, ich hatte immer noch ziemlich weiche Knie.

Den Versuch zu starten aufzustehen, nur um dann auf den Hintern zu fallen, hätte eine schlechtere Verhandlungsposition bedeutet, als einfach zu bleiben, wo ich war. Also setzte ich mich hin, dankbar, dass ich mich nicht wirklich übergeben hatte, weil das meiner Würde einen ziemlichen Dämpfer verpasst hätte.

Ich war entschlossen, darauf zu warten, dass sie wieder etwas sagten, als etwas richtig einsank, was der hübsche Vampir zu Beginn gesagt hatte.

»Welcher Idiot hat Ihnen erzählt, ich wäre die gefährlichste Person in den Tri-Cities?«, fragte ich ungläubig. »Es gibt Goblins, die mich entführen könnten, ohne dabei ins Schwitzen zu geraten.«

Vielleicht übertrieb ich da, aber nicht sehr. Goblins sind um einiges zäher, als es ihnen die meisten Leute zutrauten. Sie hatten die Gewohnheit, zuerst zu fliehen, dann weiter zu fliehen und schließlich noch ein wenig zu fliehen. Sie kämpften nur, wenn es wirklich keinen anderen Ausweg gab. Diese Fluchtsache hatte ihnen den Ruf von übernatürlichen Schlappschwänzen eingebracht – ein Ruf, den sie aktiv kultivierten. Wenn man sie in eine Ecke trieb, waren sie wild und tödlich. Wir hatten erst vor Kurzem angefangen, mit ihnen zusammenzuarbeiten, und ich hatte schnell Respekt für ihre Fähigkeiten entwickelt.

»Vielleicht hat er ›mächtig‹ und ›gefährlich‹ nicht auf übliche Art definiert«, bot der Schlägervampir milde an. Wie Hübscher Vampir auch sprach er Englisch mit einem leichten britischen Akzent, gepaart mit einem italienischen Einschlag, der eher eine Färbung war als ein echter Akzent. Obwohl seine Worte sich mit meiner Frage beschäftigten, sprach er nicht mit mir. Seine Aufmerksamkeit war auf Hübscher Vampir gerichtet. »Wulfe ist subtil und gibt oft korrekte Antworten, die zu falschen Schlüssen führen. Diese Angewohnheit hätte man ihm schon vor langer Zeit austreiben sollen.«

Wulfe. Wulfe kannte ich. Er war die rechte Hand von Marsilia, die wiederum die Vampir-Siedhe in den Tri-Cities regierte. Er war der unheimlichste Typ, den ich je getroffen hatte – und inzwischen waren mir einige Anwärter auf diesen Titel begegnet. Aber Wulfe konnte Magie wirken, war wahnsinnig mächtig und vollkommen unberechenbar. Wie zum Beispiel jetzt. Was in aller Welt hatte ich ihm angetan, dass er mir eine Zielscheibe auf den Rücken gemalt und Schlägervampir und Hübschen Vampir auf mich gehetzt hatte?

Anders als sein Kumpel sprach Hübscher Vampir direkt mit mir. »Ihr seid die Gefährtin des Alphas des Tri-Cities-Werwolfrudels, das gerade einen Vertrag mit den Fae ausgehandelt hat, durch den Eure kleine Ortsansammlung der Tri-Cities in der retroterra im Osten des Staates Washington in eine sichere Zone für den Umgang mit dem Feenvolk verwandelt wurde«, sagte Hübscher Vampir.

»Wir bevorzugen die Bezeichnung ›neutrale Zone‹ statt ›sichere Zone‹«, erklärte ich ihm. »Das klingt weniger wertend und sachlicher.« Und außerdem mehr nach Star Trek.

Meine Stieftochter nannte es eine Freak-Zone, was meiner Ansicht nach die passendste Umschreibung war. Ein paar der Fae, die in die Tri-Cities zurückgekehrt waren oder sie besucht hatten, hatten das inzwischen ohne Schutzzauber getan – sie hatten also aufgehört, so zu tun, als wären sie menschlich. Unsere sommerliche Touristensaison, gewöhnlich nur getragen von den Weingütern, entwickelte sich zur besten aller Zeiten.

Der italienische Begriff, den Hübscher Vampir abgefeuert hatte, war meiner Aufmerksamkeit nicht entgangen. Eine Menge Vampire sprachen mit Akzent, besonders die alten. Ihre Wurzeln lagen, wie die der Werwölfe auch, in Europa. Unter Vampiren war ein Bekenntnis zu Amerika als Heimatland gleichbedeutend mit dem Eingeständnis, dass man jung und schwach war – also bemühte sich kaum jemand, seinen Akzent abzulegen.

Langsam beschlich mich in Bezug auf diese zwei Vampire ein wirklich schlechtes Gefühl. Okay, das schlechte Gefühl hatte sich eigentlich schon direkt nach der Entführung in mir ausgebreitet, aber das hier war schlimmer. Wenn diese Kerle wirklich aus Italien stammten oder kürzlich aus Italien gekommen waren – nun, ich kannte einen italienischen Vampir, der wirklich wirklich übel war. Ich fragte mich, ob Marsilia wohl wusste, dass fremde Vampire aus ihrem Heimatland in ihrem Territorium wilderten. Allerdings fürchtete ich, dass die Antwort auf diese Frage Nein lautete.

Der Job, Recherchen über jeden übernatürlichen Besucher anzustellen, war inzwischen auf unser Rudel übergegangen. Aber ich wusste verdammt gut, dass Marsilia sich auch über jegliches Kommen und Gehen informiert hielt. Wenn sie das Rudel nicht informiert hatte, bevor die italienischen Vampire Adams SUV (und mich) demoliert hatten, dann hatte sie wahrscheinlich nichts von ihnen gewusst.

»Ihr seid die Gefährtin«, sagte Hübscher Vampir wieder und lenkte mich damit von meinen rasenden Gedanken ab. »Ihr seid kein Werwolf, wie wir angenommen hatten. Werwölfe erholen sich von einer Nichtigkeit wie einem Autounfall um einiges schneller als Ihr. Glücklicherweise haben unsere Leute schnell reagiert, als ihnen klar wurde, dass Ihr im Sterben liegt, oder wir könnten dieses nette Gespräch jetzt nicht führen.«

»Nettes Gespräch«, stimmte ich ausdruckslos zu.

»Also, wieso hält Wulfe Euch für so mächtig?«, fragte er mit einem gewissen Biss in der Stimme.

Ich riss die Augen auf und bemühte mich sehr, hilflos zu wirken. »Ich habe keine Ahnung. Ich bin eine Automechanikerin«, erklärte ich ihm. Und zeigte ihm als Beweis meine Hände. Zwar bemühte ich mich, immer Handschuhe zu tragen, wenn ich denn daran dachte, aber trotzdem war Öl in meine Haut eingezogen, und meine Knöchel waren ziemlich aufgeschürft. »Ich gestehe natürlich gerne, dass es eine Superkraft darstellt, alte Autos reparieren zu können … aber das ist eigentlich nur wichtig, wenn man einen Bus besitzt oder ein Getriebeproblem gelöst haben will.«

Er schlug mich. In einem Moment stand er kurz hinter der Tür zum Kühlraum, fast zwei Meter von mir entfernt. Dann bewegte er sich im nächsten Augenblick so schnell, dass ich nicht einmal sah, wie er die Hand hob, sondern nur die Wucht des Schlages an meinem Kiefer spürte. Die mich auf die Seite warf.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich für einen Moment bewusstlos wurde, denn als ich wieder ganz da war, war das mitten in einer Diskussion, die scheinbar schon eine Weile andauerte. Und ich konnte nicht mal sagen, worüber sie sprachen, weil sie es auf Italienisch taten.

Ich öffnete die Augen einen Spalt, um ihre Körperhaltung zu beobachten, und stellte erfreut fest, dass ich recht gehabt hatte. Egal, wie dominant Hübscher Vampir auch sein mochte, es war Schlägervampir, der hier das Sagen hatte. In der Gegenwart von Macht absolut gar nichts auszustrahlen ist ein Hinweis auf noch größere Macht. Schlägervampir schubste Hübscher Vampir aus dem Raum, ohne ihn dabei zu berühren. Hübscher Vampir verbeugte sich den ganzen Weg über unterwürfig.

Schlägervampir kehrte allein zurück und kniete sich neben mich. Die Hand, die er erst unter meine Schulter schob und an mein Gesicht legte, war wärmer als der Metallboden. Er hob mich an, sodass mein Gesicht sanft an seinem Hemd lag.

Ehrlich gesagt hätte ich auf diese ganze Aktion gut verzichten können. Vampire sind böse. Sie sind unheimlich, und ich mag es nicht, von ihnen herumgetragen zu werden, wenn ich nur halb bei Bewusstsein bin. Ich schnappte nach Luft und bemühte mich schwer, nicht erneut in Ohnmacht zu fallen, als Schwindel mich hilflos machte. Mal wieder.

Er ging Richtung Tür, dann zögerte er.

»Fast«, murmelte er, »hätte ich Euch nach draußen getragen, wo wir für Eure Bequemlichkeit sorgen könnten. Aber Ihr und ich sollten verhandeln, bevor Euer für sein aufbrausendes Temperament bekannter Gefährte herausfindet, wo Ihr Euch befindet, nicht wahr?«

Er rief etwas auf Italienisch. Sofort erklangen eilige Schritte, dann betraten zwei mir unbekannte Vampire den Raum. Sie trugen ein Sofa im viktorianischen Stil zwischen sich, komplett mit purpurner Polsterung. Beide sahen aus wie ganz normale Menschen – doch ich konnte wittern, was sie wirklich waren.

Die Vampire mussten auf Abruf bereitgestanden haben. Er hatte genauso wenig vorgehabt, mich aus meiner Zelle zu bringen, wie er vorgehabt hatte, nackt in den Sonnenaufgang zu laufen, um zu einem Aschehäufchen zu zerbröseln. Stattdessen hatte er nur so getan, als wolle er mich nach draußen begleiten und als schränke das Verlassen meiner Zelle seine Fähigkeit ein, mit mir zu verhandeln. Warum? Vampire dachten kompliziert. Alte Vampire dachten in Spiralen gegen den Uhrzeigersinn und dann noch mal um die Ecke.

»Das ist besser«, sagte er, als er mich vorsichtig auf dem Sofa absetzte. Er streckte seine Hand aus, und einer der Möbelträger-Vampire drückte ihm ein Kühlpack in die Hand – von der chemischen Sorte. Dieses schüttelte er, drückte mir den viereckigen Beutel dann in die Hand und bedeutete mir, damit meine Wange zu kühlen.

»Guccio hat vergessen, dass Ihr kein Eindringling oder Übeltäter seid, den wir befragen«, erklärte er mir. »Er hat nicht viel Erfahrung mit Politik, also habe ich vielleicht zu viel von ihm erwartet. Wer seid Ihr, Mercedes Athena Thompson-Hauptman, und warum hat Wulfe behauptet, Ihr besäßet die Macht, die Euch zur besten Kontaktperson für Verhandlungen in Bezug auf die Tri-Cities macht?«

»Kontaktperson?«, sagte ich, als ich mir den Beutel an die Wange drückte, immer noch krampfhaft darum bemüht, nicht in Ohnmacht zu fallen. Ich hörte ein Rauschen in meinen Ohren, und vor meinen Augen tanzten Flecken, also war ich ziemlich stolz darauf, dass meine Stimme so fest klang. »Kontaktperson. Hmmm. Ganzkörperkontakt ist eine wirklich interessante Verhandlungstechnik. Fast diplomatisch. Wie die Gespräche, die das wohlbekannte Verhandlungs- und Waterboarding-Team der CIA so führt.« Meine Stimme mochte fest klingen, aber ich faselte nur herum. Sobald mir das bewusst wurde, hielt ich die Klappe.

»Ich bitte um Entschuldigung«, sagte er ernsthaft, ohne die Worte im Geringsten ernst zu meinen. »Wie Guccio bereits sagte, hatten wir – in die Irre geführt von Wulfes Informationen – nicht damit gerechnet, dass Ihr so zerbrechlich sein würdet.«

Am meisten Schmerzen bereitete mir immer noch mein Kopf, allerdings folgte mein Kiefer direkt an zweiter Stelle. Ich vermutete, dass diese gesamte Sache mit dem Schlag und der anschließenden Diskussion nur Show gewesen war. Wenn Hübscher Vampir – Guccio – wirklich so außer Kontrolle gewesen wäre, wie sie vorgaben, hätte ich eine gebrochene Wirbelsäule oder zumindest einen gebrochenen Kiefer. Was also …

Entsetzt wurde mir klar, dass sie Guter Vampir/Böser Vampir spielten. Der böse Vampir war weggeschickt worden, und ich sollte jetzt das Gefühl haben, Guter Vampir wäre mein Freund. Für wie dämlich hielten sie mich eigentlich?

Guter Vampir, bisher bekannt als Schlägervampir, gab ein leises, mitfühlendes Geräusch von sich und setzte sich neben mich, sodass sein Körper mir auf schützende, fast intime Weise zugewandt war. »Das sieht aus, als würde es wehtun, arme piccola. Als hättet Ihr noch eine Verletzung gebraucht.«

Ich richtete mich höher auf, rutschte von ihm weg und kämpfte dann mit dem daraus resultierenden Schwindelgefühl. Gerade musste ich voll auf der Höhe sein, dabei war ich alles andere.

Vampire waren keine Fae, die immer die Wahrheit sagen mussten. Ich konnte erkennen, wenn ein Mensch log – aber grundsätzlich galt: je älter das Wesen, desto besser konnte es lügen. Wenn er mit meinem Rudel verhandeln wollte – irgendeine Verhandlung herbeiführen wollte –, war mich zu entführen genau die falsche Maßnahme gewesen. Wenn er tatsächlich war, für wen ich ihn hielt, schien mir eher unwahrscheinlich, dass er einen Fehler begangen hatte. Also wollte er vielleicht gar nicht verhandeln.

Wulfe hatte ihnen erzählt, ich wäre mächtig. Und Wulfe kannte diese Vampire besser als ich. Warum also hatte Wulfe mich gewählt?

Und die ganze Zeit über, während ich versuchte, aus den Vampiren schlau zu werden, hämmerte ein Teil von mir verzweifelt auf die Wand aus Schweigen in meinem Kopf an, wo sich das Rudel befinden sollte. Wo sich Adam befinden sollte.

»Piccola«, sagte Guter Vampir, mit sanfter, leicht mahnender Stimme. Anscheinend fand er, dass ich mich gegen ihn lehnen sollte, damit er sich um mich kümmerte.

Wieso hatte Wulfe behauptet, ich wäre die mächtigste Person in den Tri-Cities? Vampire logen ständig – aber Wulfe ähnelte eher dem Feenvolk. Es erheiterte ihn, immer die Wahrheit zu sagen und die Leute glauben zu lassen, es wäre eine Lüge gewesen … bis es zu spät war.

Die mächtigste Person in den Tri-Cities … hmm. Na ja, vielleicht stimmte das sogar, wenn man die Sache verquer genug betrachtete – und »verquer« war ein gutes Wort, um Wulfe zu beschreiben. Ich beschloss, dass es um die Art von Macht ging, die mich noch eine Weile am Leben halten konnte und daher Gutem Vampir mitgeteilt werden sollte. Am Leben zu bleiben war immer das erste Ziel einer Geisel.

»Ich bin die Gefährtin von Adam Hauptman«, erklärte ich dem Vampir. Ich sah ihm dabei nicht in die Augen. Meine Existenz als Kojote-Gestaltwandlerin ging mit einer unvorhersehbaren Widerstandskraft gegen manche Arten von Magie einher. Besonders Vampirmagie hatte so ihre Probleme mit mir – aber diese Eigenschaft war weder so zuverlässig noch so nützlich wie volle Immunität.

Guter Vampir stieß ein aufmunterndes Brummen aus, sagte aber sofort: »Das wissen wir.«

»Richtig. Aber das verleiht mir Macht. Außerdem ist da noch etwas: Ich bin im Rudel des Marrok aufgewachsen, und sein ältester Sohn ist ein enger Freund von mir. Siebold Adelbertsmiter sieht mich als Teil seiner Familie – und selbst die Grauen Lords behandeln diesen alten Kerl mit Respekt.« Soweit ich gehört hatte, hatten sie endlich Teile des einen Feenwesens gefunden, das gegen Zee intrigiert hatte. Das Stück war auf dem Teller von jemandem aufgetaucht. »Sie kennen ihn vielleicht als den Dunklen Schmied von Drontheim.«

Der Vampir neben mir bewegte sich so schwach, dass es fast nicht auffiel, doch ich bemerkte es trotzdem. Er wusste genau, wer Zee war. Und zum ersten Mal schien er überrascht und vielleicht sogar ein wenig beeindruckt zu sein.

»Ich bin tatsächlich auch eine Art Kontaktperson«, fuhr ich fort, als wäre mir nichts aufgefallen. »Die örtliche Polizei wendet sich an mich, wenn sie Hilfe bei übernatürlichen Vorkommnissen in unserem Gebiet brauchen. Ich mag zerbrechlich sein, aber ich stehe auf den Schultern von Riesen – was vermutlich der Grund ist, wieso Wulfe meinen Namen genannt hat. Politische Macht, nicht angeborene Macht.«

Die unterschwellige Botschaft lautete: Es gab Leute, denen meine Unversehrtheit am Herzen lag. Ich war mir ziemlich sicher, dass er das mitbekam. Aber andererseits war manchmal Subtilität bei Weitem nicht so erfolgreich, wie mit dem Zaunpfahl zu winken.

»Der Marrok sieht mich als seine Tochter«, schob ich deswegen hinterher. »Mein Fae-Freund hat schon getötet, um mich zu schützen. Und mein Gefährte …« Ich versuchte, Worte zu finden, die keine direkte Drohung darstellten. »Er wäre sehr unglücklich, sollte ich verletzt werden.«

»Der Marrok hat alle Verbindungen zu Euch und Eurem Rudel abgebrochen«, sagte der Vampir.

Ich zuckte mit den Achseln, auch wenn das wehtat. »Ja. Aber das bedeutet nicht, dass es ihm egal wäre, ob Sie mich verletzen. Und Elizaveta Arkadyevna arbeitet für unser Rudel.« Elizaveta war mächtig genug, um fast weltweit einen gewissen Ruf zu genießen. Die unbewegliche Miene des Vampirs verriet mir, dass er tatsächlich wusste, wer sie war. »Genauso wie die Goblins.« Dieser letzte Zusatz klang wahrscheinlich weniger beeindruckend, als er tatsächlich war … aber trotzdem stimmte es.

Der Vampir schwieg einen Moment, dann sagte er: »Ihr habt den weiblichen Vampir nicht erwähnt.«

»Vampir?«, fragte ich verwirrt.

»Diejenige, die Euch über Blut an sich gebunden hat«, sagte er. »Ich habe versucht, die Bindung zu brechen, während Ihr geschlafen habt.«

Und plötzlich war ich nicht mehr zu beschäftigt, um Angst zu haben. Sofort hob ich eine Hand und befühlte meinen Hals mit Fingern, die zittern wollten. In der Tat, ich hatte kleine Bisswunden am Hals.

Ich hasse Vampire… ich hasse Vampire… ich hasse sie.

Das war der Grund, warum es den Vampiren nie, niemals möglich sein würde, die Menschen über ihre Existenz zu informieren. Wenn ein Vampir mit gewisser Macht jemanden biss – besonders, wenn es mehr als einmal geschah –, konnte dieser Vampir die betreffende Person kontrollieren. Sie nannten es den »Kuss«. Diese Tatsache erlaubte es der Herrin oder dem Herrn einer Siedhe, die jungen Vampire zu kontrollieren, die ohne regelmäßige Nährung von einem mächtigeren Vampir nicht bei klarem Verstand bleiben konnten. Es verlieh dem Schöpfer von Vampiren die Macht, die Neuerweckten zu zügeln. Ein Mensch, der den Kuss erhalten hatte, war dagegen nicht mehr als ein Haustier.

Schlägervampir hatte versucht, mich zu seinem Haustier zu machen, während ich bewusstlos und unfähig gewesen war, mich zu verteidigen.

»Ich hätte es trotzdem tun können«, sagte er. »Aber damit hätte ich die Vampirin getötet, an die Ihr gebunden seid, und ich bin mir nicht sicher, ob ich sie tot sehen will.« Er lächelte, hob die Hand und streichelte meine Wange.

Ich hielt mich still, statt schreiend aufzuspringen. Überwiegend, weil ich mir sicher war, dass ich – in meinem Zustand – einfach nur auf den Hintern gefallen wäre. Aber auch, weil ich das Gefühl hatte, dass er versuchte, Magie auf mich zu wirken, und ich mir nicht ganz darüber im Klaren war, ob ich wollte, dass er merkte, dass das nicht funktionierte. Schon morgen konnte seine Magie ganz wunderbar wirken – aber für den Moment schien meine unzuverlässige Widerstandskraft mich immun zu machen.

»Liebe«, sagte der Vampir nach einem Moment nachdenklich, »ist das mächtigste Gefühl der ganzen Welt. Ihr werdet von vielen geliebt. Wulfe hat recht: Das ist Macht. Ihr habt die Bindung an den Vampir akzeptiert, sogar gewünscht. Ich hätte sie brechen können – aber wenn ich das getan hätte, wäre sie gestorben.«

Sie? Langsam wurde mir klar, dass er ständig das falsche Personalpronomen verwendete. Der Vampir, an den ich gebunden war, war Stefan.

Dieser Vampir dachte … ich wäre an Marsilia gebunden. Wer sonst würde die Gefährtin des Rudelalphas an sich binden als die Herrin der Siedhe? Er hatte die Bindung nicht gebrochen, weil er wollte, dass Marsilia weiterlebte. Ich hatte recht. Ich hatte absolut recht! Ich wusste jetzt, wer er war.

Ich wusste, wer er war – und ich steckte in ernsthaften Schwierigkeiten. Inzwischen konnte ich hören, wie das Blut in meinen Ohren rauschte. Niemals gut, wenn man direkt neben einem Vampir saß.

»Ihr mögt sie«, murmelte er. »Ihr liebt sie. Ihr habt um die Bindung gebeten, und deswegen ist das Band so stark.«

Irgendetwas an seiner Körperhaltung verriet mir, dass ich mit ihm nicht über Marsilia sprechen wollte. Irgendetwas an seiner Pose signalisierte Eifersucht.

Ich zog eine Augenbraue hoch und antwortete in dem Versuch, das Thema zu wechseln: »Sie dagegen habe ich im Moment nicht besonders gern … Mr. Bonarata.«

Iacopo Bonarata, der Herr der Nacht, Meister von der Siedhe von Mailand, Italien, einst Liebhaber von Marsilia, war de facto der Anführer der europäischen Vampire – und wahrscheinlich jedes Landes, das er bereiste. Er war nicht wie der Marrok, der herrschte, weil es der beste Weg war, seine Leute zu schützen. Er war einfach ein beängstigender Bastard, den herauszufordern keiner der anderen Vampire für weise hielt. Soweit ich herausgefunden hatte, hatte seit der Renaissance niemand mehr Bonarata herausgefordert – seit er als sehr junges, sehr ehrgeiziges Monster an die Macht gekommen war.

Und er war eifersüchtig auf meine eingebildete Beziehung zur Königin der Verdammten, Marsilia.

Glücklicherweise schien mein Versuch, das Thema zu wechseln, erfolgreich zu sein. Als ich seinen Namen nannte, warf der Vampir seinen Kopf in den Nacken und lachte – ein lautes, dröhnendes Lachen, das mich dazu einlud einzufallen.

Auch wenn er nicht schön anzusehen war, strahlte er doch eine mächtige, anziehende Jovialität aus. Etwas Ähnliches hatte ich bisher nur empfunden, wenn der Kneipenbesitzer aus dem Feenvolk, Onkel Mike, seinen Charme anknipste. Bei Onkel Mike war es Magie und hatte nichts mit Sex zu tun. Beim Herrn der Nacht ging es nur um Sex und Sinnlichkeit – aber es war trotzdem Magie.

Er hatte sie von dem Moment an, da Hübscher Vampir meine Zelle verlassen hatte, subtil auf mich angewandt … doch als er lachte, drang seine Magie aus seinem Körper wie unsichtbarer Nebel.

Ich spürte den Effekt nur ansatzweise, ob das nun geplant war oder nicht. Diese Magie sollte die sexuelle Anziehungskraft des Herrn der Nacht verstärken. Sie glitt an mir ab, ohne mich großartig zu beeinflussen.

Der Sexappeal dieses Vampirs war schon ohne Magie stark – aber für mich zählte nur, dass er nicht Adam war. Was bedeutete, dass ich ihn auf jeden Fall hätte betrachten können, ohne eine Verlockung zu fühlen. Dass er ein Vampir war, verstärkte nur meinen Widerstand gegen seine Magie.

Der Herr der Nacht saß neben mir und wartete darauf, dass ich seinetwegen anfing zu sabbern.

Ich allerdings saß steif und wund neben ihm – und machte mir große Sorgen, was er tun würde, wenn er begriff, dass seine Magie keinerlei Effekt auf mich hatte. Würde er es auf meine Bindung an einen anderen Vampir schieben? Auf meine Bindung an Adam und unser Rudel? Oder würde er herausfinden, was ich wirklich war?

Die Vampire aus meiner Gegend hassten und fürchteten, was ich war. Die Walker, die Kinder der Alten, hatten im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert viele Vampire in Amerika getötet. Letztendlich hatten sie jedoch versagt, und die Vampire hatten die meisten meiner Art umgebracht.

Ich wusste nicht, ob Bonarata, der die ganze Zeit über in Italien gelebt hatte, genauso empfand. Ob er überhaupt wusste, was ich und meinesgleichen tun konnten. Wenn dem so war, könnte es sein, dass er mich sofort umbrachte statt … zu tun, was auch immer er sonst für mich geplant hatte.

Aber ich konnte mich einfach nicht dazu bringen, mich entspannt an ihn zu lehnen. Es gab Dinge, die ich einfach nicht über mich brachte – und vorzugeben, Bonarata würde anziehend auf mich wirken, gehörte dazu.

Ich wollte nicht, dass er erfuhr, was ich war. Ich wollte nicht, dass er herausfand, dass die Blutbindung – die ironischerweise geschaffen worden war, um mich vor einem anderen Vampir zu schützen – mich an meinen Freund Stefan band und nicht an Marsilia … weil ich nicht wusste, wie er darauf reagieren würde.

»Also«, sagte der Vampir, während ich verzweifelt über die Gefahren nachdachte, die unberechenbare, psychotische, besessene, unsterbliche Vampire darstellten. »Ihr wisst, wer ich bin. Das ist gut. Ihr könnt mich Jacob nennen. Iacopo scheint meinen amerikanischen Freunden sehr schwer über die Lippen zu gehen, daher habe ich meinen Namen vor kurzer Zeit in die englische Version geändert.«

Anscheinend hatte er vor zu ignorieren, dass ich nicht auf seine Magie reagierte. Das bedeutete aber nicht, dass er den Magiefluss stoppte.

»Dies sollte ein einfaches Treffen sein.« Seine Stimme klang verführerisch. Nicht schön, sondern tief und maskulin auf eine Weise, die nichts mit Magie zu tun hatte. »Ich brauche einen Ort, an dem andere sich unbesorgt mit mir treffen. Als Ihr und Euer Gefährte einen solchen Ort geschaffen habt, schien es mir, als könnte eine nützliche Abmachung zwischen Eurem Rudel und meinen Leuten geschlossen werden. Wir hatten vor, Euch an einen Ort zu bringen, an dem wir uns unterhalten können. Doch Euer Zustand zog nach sich, dass wir Euch länger behalten mussten als geplant. Aus irgendeinem Grund glaube ich nicht, dass Euer Alpha positiv darauf reagieren wird.« Fast jedes Wort, das aus seinem Mund drang, war eine Lüge. Er musste glauben, dass ich es nicht merken würde, weil ich kein Werwolf war. Entweder das, oder dass ich mich viel zu sehr unter seinem Einfluss befinden würde, um es zu merken.

Er lächelte charmant. »Ihr kennt ihn am besten. Was glaubt Ihr, wie ich im Weiteren vorgehen sollte?«

»Sie sollten mich laufen lassen«, erklärte ich sofort. »Und niemals in die Tri-Cities zurückkehren.«

Sein Lächeln verbreiterte sich, blieb jedoch kühl. »Versucht es noch mal.«

Ich zuckte wieder mit den Achseln. »Ich weiß nicht, was Sie wollen. Ich repariere Autos. Im Aushandeln von Verträgen zwischen verschiedenen Völkern sind Sie geschickter als ich.«

»Ihr seid eine sehr gute Geisel«, sagte er. Inzwischen war ich mir ziemlich sicher, dass er bemerkt hatte, dass ich mich nicht nach ihm verzehrte, weil ich einen leichten Anflug von Irritation aus seiner Stimme heraushörte. Ich konnte nur hoffen, dass er das meiner Bindung an einen anderen Vampir zuschreiben würde; manchmal – zumindest hatte Stefan mir das erklärt – hatte eine Blutbindung solche Auswirkungen. »Glaubt Ihr nicht, dass Euer Gefährte verhandeln wird, um Euch zurückzubekommen?«

»Werwölfe haben ein langes Gedächtnis«, erklärte ich ihm. Ich wollte seine Frage nicht beantworten, weil die Antwort Ja lautete, also wich ich aus wie ein Politiker kurz vor der Wahl. »Und sie sind unangenehm nachtragend. Mich als Geisel festzuhalten wird Ihnen auf lange Sicht nicht helfen.« Schmeichelei war bei alten Wesen gewöhnlich eine gute Taktik. Beim Marrok hatte sie nicht funktioniert, aber er war sich selbst gegenüber auch ehrlicher als die meisten anderen Leute. »Aber das wissen Sie bereits«, meinte ich. »Ich vermute, Sie haben bereits einen Plan.«

Er lächelte wieder. Es sollte sexy wirken, und das tat es auch. Aber für mich roch er nach Vampir – und ich hatte Adam.

»Ich könnte Euch töten und es noch mal versuchen«, schlug er sanft vor.

Und als hätte er einen Hahn abgedreht, endete die Magie, die er eingesetzt hatte, um mich zu beeinflussen.

Vielleicht hätte ich vorgeben sollen, an ihm interessiert zu sein – aber Vampire können besser riechen als Menschen. Die meisten Leute, die sich zu jemandem hingezogen fühlen, stinken nicht nach Angst und Stress. Ich war keine schlechte Schauspielerin, aber ich hätte meine Reaktion darauf, so nah neben dem Herrn der Nacht zu sitzen, nicht verbergen können. Hätte ich es versucht, hätte ich mich wahrscheinlich auf seinen Schoß übergeben.

Er schürzte die Lippen. »Ihr benehmt Euch nicht richtig«, informierte er mich. »Ihr müsst mir jetzt erklären, dass es in meinem eigenen, besten Interesse ist, Euch am Leben zu lassen. Was könnt Ihr für mich tun? Welche Informationen könnt Ihr mir liefern, die mich meinen Zielen näherbringen?«

Ich verdrehte die Augen. »Ich glaube, Sie haben es wirklich vermasselt, als Sie mein Auto gerammt und mich entführt haben. Sie müssen schon selbst einen Weg aus diesem Schlamassel finden oder zumindest warten, bis ich keine Kopfschmerzen mehr habe.«

Er lehnte sich vor. Sein Körper war warm – und ich konnte nur daran denken, wie viel Blut er aufgenommen haben musste, um seine Körpertemperatur so zu steigern, dass sie ein paar Grad höher lag als bei einem Menschen.

»Arme Kleine«, flötete er und umfasste meine Wange. »Es lag nicht in meiner Absicht, Euch zu verletzen.«

Ich war wirklich nicht ganz ich selbst. Gewöhnlich bin ich nämlich sehr gut darin, größenwahnsinnigen Egomanen entgegenzukommen und abzuwarten, bis es sicher war, sie zu foltern. So hatte ich schließlich meine Kindheit verbracht. Aber mein Kopf tat weh, und dieser Kerl jagte mir eine Heidenangst ein.

»Riesenreinfall«, erklärte ich. »Ich möchte Sie nur wissen lassen, dass ich von meinen Erzfeinden eigentlich ein gewisses Maß an Kompetenz erwarte.«

Er lachte, und mir stockte der Atem, weil er so unheimlich wirkte. Dieses fröhliche Geräusch in Kombination mit diesen leeren Augen. Die Verführung war misslungen – das Verängstigen nicht ganz so sehr. Es war keine Magie. Sondern einfach nur er.

»Ich will einen Vertrag mit Hauptmans Rudel«, sagte er. »Euer Glück, dass ich glaube, dass er mir nicht verzeihen würde, wenn ich Euch umbringe. Werwölfe sind in diesem Punkt ziemlich sentimental. Aber es wäre ziemlich leicht, Euch zu töten – und ihn zu töten. Sein Beta wäre mir vielleicht dankbar.«

Ich hielt seinen Blick und sagte: »Das glaube ich nicht.«

Vampire können Wahrheit nicht von Lüge unterscheiden, wie es Werwölfe (und ich) können. Aber die älteren Vampire erkennen sie gewöhnlich trotzdem. Darryl würde keinen Handel mit jemandem abschließen, der Adam umgebracht hatte. Dessen war ich mir sicher, und das ließ ich den Vampir auch wissen.

Er lächelte leise. Dann erklang ein höfliches Klopfen an der Tür.

»Herein«, sagte er.

Es überraschte mich, dass eine Werwölfin den Raum betrat, obwohl das eigentlich nicht hätte passieren dürfen. Ich wusste, dass Bonarata Marsilia verstoßen hatte, weil sie sich von seiner Werwolfgeliebten genährt hatte. Er und Marsilia waren zu dieser Zeit noch ein Paar gewesen – was wahrscheinlich zusätzliche Komplikationen ausgelöst hatte. Bisher hatte ich immer den Eindruck gehabt, dass sich in dem Akt, dass Marsilia von dem Werwolf getrunken hatte, eine tiefere Bedeutung für Vampire versteckte – vielleicht, dass sie den Werwolf für sich selbst beanspruchen wollte. Man hatte mir einmal erklärt, dass der ganze Vorfall etwas damit zu tun hatte, dass Marsilia missbilligte, dass Bonarata sich einen Werwolf hielt. Werwolfblut war anscheinend verlockender als das von Menschen, und ich hatte den Eindruck, dass der Herr der Nacht abhängig davon war.

Die Frau, die den Raum betrat, war wunderschön, mit scharf geschnittenen, symmetrischen Zügen. Doch ihr Gesicht war ausgezehrt, ohne jedes Unterhautfett, sodass sie sehr zerbrechlich wirkte. Ihr Haar war dunkel und zu einer Frisur zusammengebunden, die viel zu aufwendig war, um als Dutt bezeichnet zu werden. Die wenigen Strähnen, die offen um ihr Gesicht hingen, ließen vermuten, dass sie Locken hatte.

Sie trug ein weißes Seidenkleid, das deutlich erkennen ließ, dass sie darunter vollkommen nackt war – und viel zu dünn. Der weiße Stoff brachte die honiggoldene Färbung ihrer Haut zur Geltung und betonte die Narben – kleine, weiße Male, die von Pocken stammen könnten … oder von Bisswunden.

Sie trug ein silbernes Halsband – nur dass es kein echtes Silber sein konnte, weil die einzigen Narben an ihrem Hals von Fangzähnen stammten.

»Lenka«, sagte der Vampir. Sie zuckte zusammen und sah auf.

Ihre Augen schimmerten golden – ein Zeichen, dass sie sich vollkommen an ihren Wolf verloren hatte.

Sie fing an zu sprechen. Ich glaube, es war Italienisch, aber nachdem ich die Sprache nicht kenne, hätte es auch Rumänisch oder jede andere romanische Sprache außer Spanisch und Französisch sein können.

Bonarata stieß ein missbilligendes Schnalzen aus. »Sei höflich«, sagte er. »Unser Gast spricht nur Englisch.«

Sie starrte mich mit ihren wilden Augen an. »Er ist mein«, sagte sie, und ihr Englisch war so präzise und akzentfrei, als wäre sie in London geboren worden.

»Lenka«, schnurrte der Herr der Nacht, »muss ich dich bestrafen?«

Sie senkte den Blick zu Boden, dann überlief sie ein Schauder, wobei sie gleichzeitig nach Angst und Erregung roch. Ich fragte mich, ob er wohl wusste, dass sie nichts Menschliches mehr an sich hatte und das Einzige, was ihn vor ihr schützte, die Tatsache war, dass ihr Wolf absolut und vollkommen gebrochen war.

»Da ist ein Anruf für Euch«, sagte sie leise.

»Ah«, meinte er. »Darauf habe ich gewartet. Ihr müsst mich entschuldigen.« Bonarata legte eine Hand an den Oberarm der Werwölfin und führte sie nach draußen. An der Tür hielt er kurz an und sah zu mir zurück. »Ich werde Lenka zurücklassen, um die Tür zu bewachen. Ich gehe davon aus, dass Ihr als Gefährtin eines Alpha-Werwolfs wisst, dass sie in meiner Abwesenheit unfähig sein wird, sich davon abzuhalten, Euch anzugreifen und zu töten. Da ich sie sehr schätze, bitte ich Euch mir zuliebe um den Gefallen, mich nicht dazu zu zwingen, Lenka am Ende noch umbringen zu lassen, bloß weil sie meine Pläne durcheinandergebracht hat.«

Damit schloss er die Tür hinter sich, ohne sie zu verriegeln.

Einen Moment lang starrte ich sie nachdenklich an, dann sah ich mich um.

Eigentlich gebe ich größenwahnsinnigen Monstern niemals, was sie wollen. Aber diese unverschlossene Tür war eine Gelegenheit, die ich mir nicht entgehen lassen konnte. Ich lächelte grimmig, wobei ich das Brennen der Muskeln in meinem misshandelten Gesicht ignorierte. Dann stand ich auf und machte mich daran, meine blutbesudelte Kleidung auszuziehen – um mich darauf vorzubereiten, um mein Leben zu rennen.

2

Adam

Für Adam begann alles während dieses Piraten-Computerspiels. Sie können selbst entscheiden, ob er gut mit meiner unerwarteten, ungewollten Abwesenheit klargekommen ist oder nicht.

Adam fühlte einen scharfen Schmerz, der dafür sorgte, dass er schwankend auf die Beine sprang, ohne sich darum zu kümmern, dass ein Monitor zu Boden fiel. Denn es war nicht sein Schmerz – es war Mercys. Als das Echo dieser plötzlichen Empfindung kurz nach der Gefährtenverbindung auch die Rudelbindung durchfuhr, spürte er, wie Bereitschaft sich im Rudel ausbreitete. Alle standen auf, besorgt, wachsam und in Erwartung seiner Befehle.

»Was ist passiert? Ist es ein Unfall?«, fragte Darryl. »Geht es ihr gut?«

Seine Mercy war vielleicht körperlich zerbrechlich, aber nicht im Geiste. Zumindest körperlich zerbrechlich nach Werwolf-Standards. Das gesamte Rudel war sich ihrer Verletzlichkeit bewusst und in einer Weise auf ihren Schutz bedacht, der seine Ehefrau, hätte sie davon gewusst, unendlich wütend gemacht hätte.

»Nicht gut«, erklärte Adam, der daran gewöhnt war, Terror mit Logik und Handeln zu bekämpfen. Er bewegte sich in Richtung Treppe. »Ich werde …«

Dann breitete sich Stille statt des Schmerzes aus.

Bevor er sichs versah, rammte Adam mit der Schulter die Eingangstür und riss die stabile (und teure) Stahltür aus dem Rahmen, sodass sie zur Seite flog. Der Wolf gestattete ihm nicht, anzuhalten und in ein Auto zu steigen, weil er wusste, dass er ohne schneller wäre.

Adam spannte sich an, um die Verwandlung abzuwehren – denn auch die Verwandlung in einen Wolf hätte ihn aufgehalten. Doch der Wolf tat nichts anderes, als seinen Füßen mehr Geschwindigkeit zu verleihen, als er die Einfahrt entlang und auf die Straße rannte, in Richtung des letzten Ortes, wo er Mercy gespürt hatte. Vage nahm er wahr, dass das Rudel hinter ihm herlief, hörte das Brummen von Motoren – weil einige der praktischer veranlagten Rudelmitglieder der Meinung waren, dass ein oder zwei Autos wahrscheinlich nicht schaden konnten.

Kalter Schweiß, der nicht das Geringste mit der Anstrengung und dafür alles damit zu tun hatte, wie seine Gefährtenverbindung im Nichts endete, rann ihm über den Rücken, als er seinen Körper zu noch höherer Geschwindigkeit trieb. Sein Herz schlug so heftig, dass er die Schritte der Rudelmitglieder kaum hören konnte.

Er witterte den Unfall, bevor er ihn sehen konnte. Dieseldämpfe, Airbag, ihr Blut …

Nachdem er ihr Blut gerochen hatte, setzte seine Erinnerung für einen Moment aus.

Als er wieder zu sich kam, stand er vor den Überresten seines SUVs und starrte in den leeren Innenraum. Ein Sattelzug hatte sich seitlich in die glänzende schwarze Karosserie des SUVs gebohrt. Die Scheiben waren zerbrochen, und jemand mit viel Kraft hatte das Lenkrad herausgerissen, um an Mercy heranzukommen. Ihr Sicherheitsgurt war zerschnitten, und auf dem Sitz klebte viel zu viel Blut. Blut, zerbrochene Eier und Schokoladenstreusel.

Seine menschliche Hälfte war für einen Moment verwirrt und fragte sich, ob er es gewesen war, der Mercy befreit hatte, weil er sich einfach nicht erinnern konnte. Aber Mercy war weg, und sein Wolf wusste es besser.

Jemand war vor ihnen hier gewesen.

Jemand hatte Mercy mit einem Sattelschlepper gerammt und sie Adam dann gestohlen.

Sie hatten Mercys Tasche zurückgelassen, klein und ordentlich, weil Mercy es nicht mochte, viel Ballast mit sich herumzutragen. Sie lag ungeöffnet auf dem Beifahrersitz.

Adam beugte sich vor, um den Kopf in den Innenraum zu schieben. Dann atmete er tief durch. Zusammen mit dem Geruch von Mercys Blut, rohen Eiern und sich selbst entdeckte er die Witterungen von vier Vampiren. Vampiren. Drei von ihnen waren ihm unbekannt. Der vierte …