Ruf des Sturms - Patricia Briggs - E-Book

Ruf des Sturms E-Book

Patricia Briggs

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Beschreibung

Mein Name ist Mercedes Athena Thompson. Ich bin Automechanikerin, Gestaltwandlerin und die Gefährtin eines mächtigen Werwolf-Alphas. Nichts davon wäre ein Problem, hätte ich vor einigen Monaten nicht einen schrecklichen Fehler begangen. Einen Fehler, der die Grauen Lords der Fae auf den Plan gerufen hat. Mit einem Mal ist niemand in unserem Revier mehr sicher. Doch wir haben versprochen, alle, die sich unserer Obhut anvertraut haben – Menschen wie magische Wesen – zu beschützen. Und wir werden unser Wort halten. Selbst, wenn es uns das Leben kostet.

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Seitenzahl: 524

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Das Buch

Als Gestaltwandlerin Mercy Thompson gebeten wird, zusammen mit einigen Werwölfen ihres Rudels, eine Herde wildgewordener Zombie-Ziegen einzufangen, ahnt sie noch nicht, dass dies erst der Beginn einer Reihe mysteriöser Ereignisse ist, die ihr Leben auf den Kopf stellen werden. Denn in den Tri-Cities soll in wenigen Tagen ein hochbrisantes Treffen zwischen Vertretern der US-Regierung und den Grauen Lords der Fae stattfinden. Und ausgerechnet Mercy soll inzwischen den Menschen und den Fae vermitteln. Doch die Person, die die Zombies erschaffen hat, scheint dieses Treffen unbedingt verhindern zu wollen. Und sie schreckt auch vor Mord nicht zurück. Sollte es Mercy und dem Rudel nicht gelingen, ihren geheimnisvollen Gegner aufzuhalten, droht ein schrecklicher Krieg zwischen Fae und Menschen auszubrechen …

Die MERCYTHOMPSON-Serie

Erster Roman: Ruf des Mondes

Zweiter Roman: Bann des Blutes

Dritter Roman: Spur der Nacht

Vierter Roman: Zeit der Jäger

Fünfter Roman: Zeichen des Silbers

Sechster Roman: Siegel der Nacht

Siebter Roman: Tanz der Wölfe

Achter Roman: Gefährtin der Dunkelheit

Neunter Roman: Spur des Feuers

Zehnter Roman: Stille der Nacht

Elfter Roman: Ruf des Sturms

Die ALPHA & OMEGA-Serie

Erster Roman: Schatten des Wolfes

Zweiter Roman: Spiel der Wölfe

Dritter Roman: Fluch des Wolfes

Vierter Roman: Im Bann der Wölfe

Die Autorin

Patricia Briggs, Jahrgang 1965, wuchs in Montana auf und interessiert sich seit ihrer Kindheit für Phantastisches. So studierte sie neben Geschichte auch Deutsch, denn ihre große Liebe gilt Burgen und Märchen. Neben erfolgreichen und preisgekrönten Fantasy-Romanen wie Drachenzauber und Rabenzauber widmet sie sich ihrer Mystery-Saga um Mercy Thompson. Nach mehreren Umzügen lebt die Bestsellerautorin mit ihrer Familie in Washington State.

PATRICIA BRIGGS

Ein Mercy-Thompson-Roman

Deutsche Erstausgabe

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Titel der amerikanischen Originalausgabe: STORM CURSEDDeutsche Übersetzung von Vanessa Lamatsch

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Deutsche Erstausgabe 10/2019

Redaktion: Anita Hirtreiter

Copyright © 2019 by Hurog, Inc.

Copyright © 2019 der deutschsprachigen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Animagic, Bielefeld, unter Verwendung

der Motive von Daniel Dos Santos

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-24073-8V004

www.heyne.de

Für die nächste Generation:

Genevieve, Dylan und Wren.

Voller Vertrauen, Glauben und Feenstaub –

ich wünsche euch allen eure eigenen glücklichen Gedanken, sodass ihr fliegen könnt.

Eine nach der anderen –

manchmal auch zu zweit –

kommen die Hardesty-Hexen

und machen sich breit.

Aus ihrem Buch wirbeln Flüche

wie ein Sturm aus Wut.

Sie fressen deine Knochen

und trinken dein Blut.

KINDERREIM, BELAUSCHT IM JAHR 1934 IN RHEA SPRINGS, TENNESSEE

1

Also, was hast du getan, Mary Jo?«, rief Ben mit seinem britischen Akzent.

Mary Jo schloss die Autotür, dann kam sie auf uns und damit auch auf die hohe Metallscheune zu, neben der Ben und ich warteten. Sie bedachte ihn mit einem Stirnrunzeln, sagte aber nichts, bevor sie uns nicht erreicht hatte. Schließlich fragte sie: »Was soll das denn jetzt heißen?«

Es war ein wenig frisch, was noch von einer leichten Brise verstärkt wurde, die mir eine Haarsträhne in die Augen wehte, die sich aus meinem Zopf gelöst hatte. Die Tri-Cities kühlten in der Dunkelheit nicht so aus, wie es in den Bergen von Montana der Fall war, in denen ich aufgewachsen war, aber trotzdem vertrieb die Nacht meist die Hitze des Tages.

Ben wippte auf den Ballen – ein Zeichen, dass er bereit und durchaus erpicht darauf war, gewalttätig zu werden. Wie ich erkennen konnte, blieb seine Aufmerksamkeit, genau wie meine, überwiegend auf die Scheune gerichtet, obwohl er Mary Jo ansah. »Ich habe Mercy vorgestern in einer einzigen Partie Pirate’s Booty dreimal getötet. Ich glaube, das ist der Grund, warum sie mich aufgeweckt hat, um heute Nacht auf die Jagd zu gehen.« Er warf mir einen Blick zu und hob die Augenbrauen, was eine klare Aufforderung war, mich auch dazu zu äußern.

Okay, das war nicht genau das, was er sagte. Wie gewöhnlich schmückte Ben seine Aussage mit heftigen Schimpfwörtern aus, doch in der Regel hörte ich dann einfach darüber hinweg.

»Beim letzten Mal hast du dir die Chance entgehen lassen, hundert spanische Dublonen zu verdienen, bloß um mich zu töten«, entgegnete ich. Selbst einen Tag später gelang es mir nicht, meine Empörung zu verbergen. In den wilden, computergenerierten Kämpfen auf hoher See, die das Werwolf-Rudel so liebte, waren hundert spanische Dublonen ein Schatz, der mehr oder bessere Waffen, Ausrüstung und Schiffsreparaturen versprach. Nur ein gemeingefährlicher Irrer ließ sich so viel Geld entgehen, um jemanden zu töten.

Ben grinste mich an, ohne die geringste Spur von Bitterkeit, die früher einmal so sehr Teil seines Selbst gewesen war. »Ich bin einfach in meiner Rolle geblieben, nichts weiter. Sodding Bart liegt mehr am Töten als am Geld, Süße. Deswegen liegt mein Kill-Score auch auf Platz drei, direkt hinter Lady Mockingbird und Captain Wolf.«

Captain Wolf Larsen – der nach dem Hauptcharakter von Jack Londons Der Seewolf benannt ist – ist der Kampfname meines Gefährten Adam, dem Alpha des Rudels. Lady Mocking­bird, alias Auriele Zao, die fünfzehn Leute mehr getötet hat als alle anderen, unterrichtet Chemie an der Highschool. Sie ist eine wirklich beängstigende Frau. Ich habe gehört, dass ihre Schüler das ebenfalls denken.

Bens Blick, der zu Mary Jo zurückglitt, blieb kurz an der dunklen Öffnung vorne in der Metallscheune hängen – dem einzigen Gebäude meilenweit.

Es war entweder sehr spät abends oder sehr früh morgens, je nachdem, wie man es sah. Bis zur Dämmerung war es noch eine Weile hin, aber der zunehmende Mond strahlte hell vom Himmel. Der Eingang zur Scheune war breit genug, um mehrere Schulbusse nebeneinander darin zu parken, und zumindest ein Teil des Lichtes hätte ins Innere vordringen müssen.

Ben musterte die Scheune ein paar Sekunden lang, dann grinste er Mary Jo an. »Mercy hat gerade bestätigt, warum ich hier bin. Was hast du getan, um bei der Drecksjob-Lotterie zu gewinnen?«

»Hey«, sagte ich, »ehe ihr total in Selbstmitleid versinkt, vergesst nicht, dass ich auch noch da bin.«

»Weil du das Sagen hast«, erklärte Mary Jo abgelenkt, den Blick auf die Scheune gerichtet. »Die Bosse müssen sich ab und zu mit den einfachen Arbeitern gemein machen. Das ist gut für die Moral.«

Mary Jo trug ein T-Shirt mit der Aufschrift Feuerwehrleute mögen es heiß, wobei das letzte Wort aus roten und goldenen Flammen gebildet war. Das Oberteil hing genauso locker an ihrem Körper wie die Schlafanzughose, die sie anhatte, doch ihre Kleidung konnte ihren gestählten Körper nicht verbergen.

Sie wandte den Blick von der Scheune ab und sah Ben an. »Vielleicht verdanke ich diese … Gelegenheit der Art, wie ich sie behandelt habe, bevor Adam ein Machtwort gesprochen hat.« Sie legte den Kopf schräg, eine Geste, die, wie Bens hochgezogene Augenbrauen, nach meiner Meinung fragte. Aber sie sah mir nicht in die Augen, wie sie es früher einmal getan hätte.

Ich fand mich langsam damit ab, wie das Rudel mit mir umging, seitdem mein Gefährte erklärt hatte, dass alle mich mit höchstem Respekt zu behandeln hatten, weil sie sonst ihr Leben aufs Spiel setzten. Der allgemeine Konsens war, meine Anweisungen zu befolgen, als wäre ich ein Wolf, der einen Rang über ihnen stand.

Es fühlte sich seltsam und ganz klar nicht richtig an und verursachte mir ein Kribbeln im Nacken. Ich fragte mich, was es wohl über mich aussagte, dass ich mich mit gehässigen Kommentaren und persönlichen Angriffen wohler fühlte als mit ehrerbietiger Unterwürfigkeit.

»Falsch«, erklärte ich ihr und deutete auf Ben. »Mich zu töten, statt reich zu werden, ist böse. Betrachte dich als bestraft.« Dann sah ich wieder Mary Jo an. »Ben ist ein einfaches Problem, für das es eine einfache Lösung gibt. Bei dir ist die Sachlage komplizierter, und das hier ist keine Bestrafung. Oder zumindest keine echte. Das hier« – ich machte eine Geste in Richtung der frühmorgendlichen Landschaft – »findet statt, damit du aufhörst, dich für etwas zu entschuldigen, das du in der Vergangenheit getan hast und das du damals absolut ernst gemeint hast und unter denselben Umständen wieder tun würdest. Deine Entschuldigungen sind verdächtig – und sie nerven.«

Ben gab ein amüsiertes Geräusch von sich und klang dabei entspannt und glücklich – gleichzeitig wippte er wieder auf den Ballen. »Sie übertreibt, Mary Jo. Wenn Mercy sich wirklich für all den Ärger revanchieren wollte, den du ihr gemacht hast … würde sie sich bitter an dir rächen. Dir könnten schlimmere Dinge zustoßen, als mitten in der Nacht aus dem Bett geholt zu werden.«

»Also muss ich nur aufhören, mich zu entschuldigen, und du wirst es künftig unterlassen, mich um drei Uhr morgens anzurufen, um Goblins zu jagen oder Kreaturen zu verfolgen wie das unidentifizierte Freak-Wesen, das wir letzte Woche getötet haben?«, fragte Mary Jo skeptisch.

»Das kann ich nicht versprechen«, antwortete ich. Mary Jo gehörte zu den wenigen Wölfen, bei denen ich mich darauf verlassen konnte, dass sie eine ohnehin schon dramatische Situation nicht noch weiter verschärfen würde. »Aber ich werde …« Ich musste ehrlich sein, also zuckte ich reumütig mit den Schultern. »Aber es könnte bedeuten, dass ich dich nicht mehr als Erste anrufe.«

»Wenn du mir damit drohst, dann werde ich wohl doch besser damit aufhören, mich zu entschuldigen«, sagte sie mit einem Blick zu Ben und schob hinterher: »Also muss ich wohl einen anderen Weg finden, um dich zu ärgern.«

Ha! Ich hatte recht gehabt – ihre Entschuldigungen waren wirklich verdächtig gewesen. Ich hatte Mary Jo von Anfang an gemocht – auch wenn das nicht auf Gegenseitigkeit beruhte.

Sie sah erneut zur Scheune und seufzte schwer. »Hast du den Goblin da drin schon gesehen?«

Sie versuchte nicht einmal, leise zu sein – keiner von uns hatte das getan. Unsere Beute konnte mindestens so gut hören wie wir. Wenn er da drin war, hatte er sicherlich bereits die Motoren unserer Autos gehört. Ich lernte immer noch einiges über Goblins und darüber, wozu sie fähig waren, aber so viel wusste ich längst.

»Nein«, sagte ich.

»Glaubst du, er ist noch da drin?«, fragte sie.

Ja.« Ich hob den Arm, sodass sie beobachten konnte, wie die kleinen Haare darauf sich aufstellten, als ich mich der Scheune näherte. »Wäre er das nicht, wäre das Gebäude nicht von so viel Magie umgeben.«

Mary Jo brummte. »Bilde ich mir das nur ein, oder ist es da drin sehr dunkel?«

»Ich glaube, ich erinnere mich an so was«, meinte Ben nachdenklich, als er in die Scheune spähte. Sein britischer Akzent hatte den seltsamen Effekt, dass damit alles, was er sagte, ein wenig intelligenter klang … eine Wirkung, die er bewusst – davon war ich überzeugt – dadurch relativierte, dass er seine Sätze mit derben Ausdrücken spickte. »Ihr wisst schon … dass man in der Dunkelheit nicht mal die Hand vor Augen sieht.«

»Ich war nie ein Mensch«, erklärte ich ihm. »Ich konnte im Dunkeln schon immer sehr gut sehen.« Nachdem ich die Worte ausgesprochen hatte, kam mir ein Gedanke.

Es bestand eine geringe Chance, dass die Magie des Goblins unsere Sehfähigkeiten beeinflusste, statt nur die Illusion von Dunkelheit im Inneren der Scheune zu erzeugen. Ich löste den Blick von der Scheune, um sicherzustellen, dass meine Augen normal funktionierten.

Um uns herum gab es nichts als offene Felder und ein paar alte Holzpfähle im Boden, die wirkten, als wären sie einst Teil eines Zauns gewesen. Ein paar Kilometer entfernt konnte ich das neue Viertel aus Fertighäusern sehen, das ich auf meiner Fahrt hierher passiert hatte.

Mesa war eine Kleinstadt mit vielleicht fünfhundert Einwohnern. Der Ort drohte von Pascos ausufernden Stadtgrenzen verschlungen zu werden. Die Gegend war flacher als der Rest des Tri-Cities-Gebietes, mit einer Wirtschaft, die hauptsächlich auf Trockenfeldbau beruhte, also Weizen, Heu und Viehhaltung.

Der Stadtname wird Meesa ausgesprochen, nicht Meysa – was in meinen Ohren auch nach all meinen Jahren in den Tri-Cities noch falsch klingt. Bei so vielen Hispanoamerikanern, die in der Gegend lebten, sollte man meinen, wir wären fähig, ein spanisches Wort richtig auszusprechen, statt eine Aussprache einfach aus dem lächerlichen Dialog eines Star Wars-Charakters unreflektiert zu übernehmen, oder? Aber es heißt nun einmal Meesa.

»Kains haarige Titten«, murmelte Ben, als er sich meiner Betrachtung der ländlichen Umgebung anschloss. »Welcher Einsiedler war in seinem Leben so fehlgeleitet, dass er in finsterer Nacht in dieser menschenleeren Landschaft herumhing und dabei zufällig gesehen hat, wie ein verdammter Goblin in einem Heuschober verschwunden ist? Und wenn wir schon dabei sind … Goblins sind Stadtbewohner wie ich auch. Was zur Hölle tut er denn hier draußen, verdammt?«

»Kein lebendes Wesen war hier, als er kam«, erklärte ich ihm düster.

Er warf mir einen Blick zu.

Verschwörerisch flüsterte ich: »Ich rede mit toten Menschen.«

Er starrte mich mürrisch an. Ich log nicht, aber er kannte mich gut genug, um zu wissen, dass ich ihn auf den Arm nahm. Dann starrte er mit zusammengekniffenen Augen die Scheune an und schnaubte. »Quatsch, Mercy. Hier gibt es Kameras.«

Ich glaube nicht, dass Ben die Geräte wirklich entdeckt hatte – ich jedenfalls hatte bisher keine gesehen. Aber Ben war ein Nerd; wenn er sich unsicher war, dachte er an Elektronik.

»Ein Überwachungssystem, das direkt mit dem iPhone des Besitzers verbunden ist«, bestätigte ich und gab meine dramatische Haltung auf. »Anscheinend gab es hier mal eine Party mit minderjährigen Teenagern und mehreren Fässern Bier, die in einem totalen Chaos und mit mehreren Tausend Dollar Schaden endete. Daher hat der Eigentümer Kameras und einen Bewegungsmelder installiert. Sie hatten den positiven Effekt, weitere Partys zu unterbinden … und heute Abend haben sie den Besitzer der Scheune darauf aufmerksam gemacht, dass er einen ungeladenen Gast hat. Er hat mich angerufen.«

»Und du wiederum uns«, meinte Mary Jo trocken. »Vielen Dank dafür.«

Ich grinste sie an und sagte in meiner besten John-Wayne-Imitation: »Es ist ein dreckiger Job, Ma’am, aber jemand muss ihn machen.«

»Wo ist Adam?«, fragte Ben plötzlich. »Er würde dich niemals allein losschicken, um einen Goblin zu jagen, nicht mal einen halbarschigen, Heu fickenden Trottel, der nicht klug genug ist, wie ein zivilisiertes Wesen in der Stadt zu bleiben.«

Wie ich hatte das gesamte Rudel in letzter Zeit eine Menge über Goblins gelernt und einen ganz neuen Respekt für sie entwickelt.

Ich zuckte mit den Achseln. »Er war nicht zu Hause, als der Anruf kam. Top-Secret-Meeting. Ich habe eine Nachricht auf seiner Mailbox hinterlassen.«

»Ein Meeting zu dieser Stunde?«, fragte Mary Jo.

»Gehört zum Job«, erklärte ich.

Adam, mein Gefährte, war nicht nur der Alpha des örtlichen Werwolfrudels, sondern ihm gehörte auch eine Sicherheitsfirma mit zwei Operationsbasen, die hauptsächlich geheime Regierungsaufträge erfüllte. Besprechungen, die bis spät in die Nacht gingen, waren ungewöhnlich – kamen aber durchaus vor. Im letzten Monat hatte es sieben davon gegeben.

Er durfte mir nichts über die Treffen erzählen – und das störte ihn mehr als mich. Ich musste nicht wissen, wen oder was er vor wem schützte. Ich kannte meinen Ehemann. Er würde niemals etwas tun, was er als unmoralisch betrachtete … und das reichte mir. Gefahr war immer dabei – doch er hatte eine militärische Ausbildung und war ein Werwolf. Er war genauso gut fähig, sich selbst zu beschützen, wie jeder andere, den ich kannte.

Ja, ich hatte trotzdem Angst. Aber er hatte auch Angst wegen einiger Dinge, in die ich so verwickelt wurde. Wir beide hatten uns sehenden Auges auf diese Beziehung, diese Ehe, eingelassen.

Solange er keine Geheimnisse vor mir haben wollte, konnte ich damit umgehen, wenn er sie haben musste.

»Ben hat da eine gute Frage gestellt«, meinte Mary Jo. »Warum versteckt sich ein Goblin in einer Scheune in Mesa?«

»Er flieht vor dem Gesetz«, sagte ich. »Wahrscheinlich. Erinnert ihr euch an all die Schlagzeilen über das Monster, das in Long Beach, Kalifornien, einen Polizisten getötet hat?«

»Stimmt«, meinte Ben nachdenklich, »ich erinnere mich. Sein Gesicht war überall in den Nachrichten zu sehen. Sind wir uns sicher, dass es derselbe Goblin ist?«

Ich zog mein Handy heraus und zeigte ihm die Schnappschüsse vom Gesicht des Goblins, die die Kamera des Farmers aufgefangen hatte. Die Umgebung der Scheune war ziemlich gut ausgeleuchtet gewesen, bevor der Goblin die Lampen zerstört hatte.

Auch als der Goblin den Cop getötet hatte, war das von einer Kamera aufgezeichnet worden. Dieses Video, pixelig und unscharf, war immer wieder ausgestrahlt worden. Der tatsächliche Mord hatte jenseits der Kamera stattgefunden, doch das Gesicht des Goblins und seine Unmenschlichkeit waren unverkennbar gewesen.

Mary Jo spähte um Ben herum, also drehte ich das Display in ihre Richtung.

»Kein schönes Gesicht«, merkte sie an. »Aber was ist mit einem Glamour?«

Ein Glamour war der Tarnzauber, den die Fae einsetzten, um ihr Aussehen zu verändern.

»Wieso sollte ein Fae wie jemand aussehen wollen, der einen Gesetzeshüter getötet hat?«, fragte ich. »Das wäre wirklich unglaublich dämlich. Wahrscheinlich ist doch, dass der hier zu den Goblins gehört, die nur mit Mühe einen Glamour halten können, und deswegen seine normale Gestalt zeigt, wenn er sich nicht aktiv tarnen muss.«

Der Farmer, der mich vor ungefähr einer Stunde angerufen hatte, hatte sich mehrfach für die Störung entschuldigt. Sein Sohn arbeitete beim Franklin County Sheriff’s Office, und das war eigentlich die Polizeidienststelle, die er verständigen sollte.

»Diese Kreatur schien allerdings kein großes Problem damit gehabt zu haben, den Polizisten in Kalifornien zu töten, und mein Sohn hat heute Abend Dienst«, hatte er gesagt. »Ich dachte, ich rufe zuerst Sie an und frage, ob Sie Mesa als Teil des Territoriums betrachten, das vom Rudel beschützt wird.« Er hatte innegehalten. »Wenn Sie herkommen, werde ich einiges erklären müssen, aber ich nehme an, das ist besser, als der Beerdigung meines Sohnes beizuwohnen.«

Ich hatte auf der Stelle beschlossen – ohne Rücksprache mit meinem Ehemann zu halten –, dass wir Mesa als Teil unseres Reviers betrachteten. Wenn ich so weitermachte, würde ich dafür sorgen, dass wir für den halben Bundesstaat verantwortlich waren.

Doch Menschen hatten kaum eine Chance gegen einen Goblin. Ich würde nicht einfach herumsitzen, während Leute in Situationen gebracht wurden, denen sie nicht gewachsen waren, wenn ich sie gefahrlos lösen konnte. Überwiegend gefahrlos. Wahrscheinlich gefahrlos.

Ich bemerkte, dass sich in der undurchdringlichen Dunkelheit etwas bewegte. Vielleicht könnte ich besser sehen, wenn ich mich in einen Kojoten verwandelte. Kojoten sind sehr gut darin, sich im Dunkeln bewegende Dinge aufzuspüren. Aber ich kann in meiner Kojotenform nicht reden, also könnte ich meine Erkenntnisse nicht an Ben und Mary Jo weitergeben. Den Goblin als Kojote anzugreifen wäre sogar noch dämlicher, als die Deputys des Franklin County Sheriff’s Office auf ihn zu hetzen. Der Farmer hatte recht gehabt; ein normaler Mensch hatte gegen einen Goblin keine Chance. Aber ein Kojote genauso wenig. Goblins mochten zu den weniger mächtigen Fae zählen … aber das bedeutete nicht, dass sie schwach waren.

Ich tätschelte zur Beruhigung die Waffe aus Stahl und Silber, die an meiner Hüfte hing.

Die erste Partie von ISTDPB4 (Instant Spoils: The Dread Pirate’s Booty Four), die das Rudel direkt nach meiner Rückkehr aus Europa gespielt hatte, hatte ich untypischerweise gewonnen. Für gewöhnlich gehörte ich zu den Ersten, die starben – dank meiner Sonderstellung als Sie-die-backt-sobald-sie-stirbt. Doch nachdem ich es geschafft hatte, mich von Vampiren entführen zu lassen, hatten alle mich wie einen Schwächling behandelt. Irritiert hatte ich schmutzige Tricks eingesetzt, um die üblichen Sieger auszuschalten, und den Rest bis zum bitteren Ende bekämpft.

Ben behauptete nach wie vor, dass ich nur gewonnen hatte, weil sie alle versuchten, mich in Watte zu packen. Honey meinte, ich wäre einfach verschlagener geworden, nachdem ich von Bonarata, dem machiavellistischen Vampir-Herrscher von Europa, festgehalten worden war. Tunnel, Tunnel – beides stimmte. Adam hatte mit einem verschmitzten Lächeln gesagt, dass die anderen nur deswegen meistens gewannen, weil ich mich üblicherweise nicht allzu sehr anstrengte, aber diesmal etwas zu beweisen hatte. Ganz genau. Es ist nichts dagegen einzuwenden und wichtig, dass der eigene Gefährte einen durch die rosarote Brille sieht. Trotzdem kehrte beim nächsten Spiel wieder Normalität ein, und ich war nach zwei Runden tot.

Doch um meinen einzigen Sieg in drei Monaten zu würdigen, hatte mir das Rudel offiziell einen Preis verliehen. Normalerweise bekamen die Gewinner witzige Geschenke wie Schokomünzen in Goldfolie oder Augenklappen für Kinder. Einmal, am Ende einer vier Partien anhaltenden Siegesserie, hatte Auriele ein komplettes Lego-Piratenschiff mit einer Piratenflagge aus Plastik bekommen.

Ich hatte mir allerdings ein Entermesser verdient, einen echten Säbel, mit einer Klinge aus Stahl und einem Knauf aus Silber. Und als Bonus bekam ich noch eine Menge Werwölfe dazu, die sich selbst als Experten im Kampf mit dieser Waffe betrachteten und mir beibringen wollten, wie ich mich verteidigen konnte, damit kein dämlicher Vampir jemals wieder fähig wäre, mich zu entführen.

Ich erzählte ihnen nicht, dass mich nicht einmal Excalibur selbst vor Bonarata hätte retten können. Es ist wirklich schwer, sich zu verteidigen, wenn man bewusstlos ist. Stattdessen machte ich mich daran, den Umgang mit dem Säbel zu lernen – weil ich beim nächsten Mal vielleicht die Chance bekäme, mich zu wehren. Mein Rudel war sehr beunruhigt angesichts dessen, wie mühelos der Vampir mich geschnappt hatte – und ich konnte spüren, wie ihre Anspannung nachließ, je besser ich mit dem Entermesser wurde. Daraufhin arbeitete ich umso härter an meinen Fähigkeiten.

Ich hatte ein wenig Erfahrung mit dem Katana, was hilfreicher war als erwartet. Die meisten der Wölfe, die versuchten, mir etwas beizubringen, konnten nicht besser mit dem Säbel umgehen als ich – wenn man über die Vorteile durch Stärke und Geschwindigkeit hinwegsah, die das Werwolf-Dasein gewährte. Trotzdem waren sie gute Sparringpartner. Doch ein paar der Wölfe wussten wirklich, wie man mit einer Klinge kämpfte. Die beiden besten waren unser einziger unterwürfiger Wolf, Zack, und der einbeinige Sherwood Post.

Ich trug das Entermesser an meinem Gürtel, wann immer ich das Haus verließ. Ich fühlte mich damit besser und das Rudel sich auch. Ich hatte damit gerechnet, Ärger mit der Polizei zu bekommen, aber anscheinend hatte sie kein Problem damit. Wenn das Rudel schon die Menschen in unserem Territorium vor den Fae beschützte, schien die Tatsache, dass ich ein Entermesser trug, den Eindruck zu verstärken, dass wir fähig waren, unseren Job auch zu erledigen. Der Brückentroll-Vorfall hatte uns Rudelmitgliedern eine Art Kampfgefährten-Status bei den meisten Gesetzeshütern eingebracht.

Also war ich bewaffnet mit meinem Entermesser und meiner Lieblingspistole. Doch mein wachsender Respekt vor den Fähigkeiten der Goblins nahm mir jede Illusion, dass ich fähig war, einen Goblin zu erledigen. Wenn es wirklich darauf ankam, war ich gegen die übernatürlich Begabten nicht viel besser ausgestattet als ein normaler Mensch. Kojoten sind keine großen und mächtigen Raubtiere. Was der Grund war, dass sich Mary Jo und Ben, meine Werwolf-Lakaien, ebenfalls hier befanden.

»Was wollen wir tun? Hier herumstehen, bis der Goblin aufgibt und schreiend davonrennt, vor lauter Langeweile in die Verzweiflung getrieben?«, fragte Mary Jo nach einer Weile.

Ich lauschte auf Sarkasmus und hörte keinen. Was allerdings nicht bedeutete, dass sie es nicht so meinte – sondern nur, dass sie vorsichtig war. Mein Gefährte war sehr deutlich gewesen, als er das Rudel wegen mir in Angst und Schrecken versetzt hatte. Ich unterdrückte ein Knurren.

»Wir«, erklärte ich den beiden, »warten auf Rückendeckung.« Besorgt sah ich zum Himmel auf. Ich hatte meine Werkstatt erst vor zwei Tagen wieder eröffnet, also konnte ich es mir nicht leisten, zu spät zur Arbeit zu kommen. »Hoffe ich zumindest.«

»Wer hat dich noch genug genervt, dass du ihn angerufen hast?«, fragte Ben.

»Er hat mich nicht genervt«, erklärte ich. »Aber ich dachte, wir könnten einen Experten brauchen, also habe ich Larry kontaktiert.«

»Den Goblinkönig«, sagte Mary Jo fast ehrfürchtig. Vielleicht war sie auch eher entsetzt, doch ich wollte optimistisch bleiben. »Du hast mitten in der Nacht den König der Goblins angerufen. Was hat er dir getan?«

Larry war vor ein paar Jahren in die Tri-Cities gezogen, weil er fand, dass die Sache hier interessant wurde. Den Sagen nach flohen Goblins vor Ärger, aber Larry war kein gutes Beispiel dafür. Ich war mir nicht sicher, ob er über alle Goblins herrschte oder nur über die in den Tri-Cities – in dieser Hinsicht blieb er vage, wie die meisten mächtigen Fae, denen ich je begegnet war. Das Einzige, was Larry bisher in meiner Gegenwart über seinen Rang gesagt hatte, war, dass die Goblins eigentlich das Wort »König« nicht verwendeten.

»Verdammtes Goblinproblem«, erklärte Ben gut gelaunt, bevor ich Mary Jo antworten konnte. »Wen hätte sie denn sonst anrufen sollen als den Elefanten fickenden König der schimpfwortgelöschten Goblins?« Dieser letzte Satz war eigentlich gute vier Wörter länger, und er sagte nicht wirklich »schimpfwortgelöscht«.

»Um fair zu bleiben«, meinte Larry milde von der anderen Seite meines Autos, »war ich noch wach. Ich bin eher nachtaktiv.«

Ich hatte weder ein Auto heranfahren gehört noch gesehen oder gehört, von wo Larry hergekommen war. Ich hätte mich dumm gefühlt, dass ich nicht wachsamer gewesen war, aber Ben und Mary Jo versteiften sich, weil Larry auch sie überrascht hatte. Keiner von uns litt an normalen, menschlichen Sinnen. Larry hätte sich uns eigentlich nicht nähern dürfen, ohne dass wenigstens einer von uns ihn bemerkte.

Nachdem die Dunkelheit die unwirkliche Farbe seiner Augen verbarg und er Handschuhe trug, hätte er mühelos als Mensch durchgehen können. Ich war mir nicht sicher, ob er sich aktiv darum bemühte oder das einfach ein Effekt der Nacht war.

Sein mittelbraunes Haar hatte er bei einem teuren Friseur schneiden lassen, das erkannte sogar ich. Seine Jeans wirkten zu eng für einen Kampf, nur dass sie sich problemlos dehnten, als er sich bewegte. Dazu trug er ein schwarzes T-Shirt, das an seiner Brust anlag wie eine zweite Haut.

Er stoppte seine schnellen Schritte, als er an meinem Auto vorbeikam, einem alten Jetta, der bereits vor Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts eine Menge Kilometer auf dem Tacho gehabt hatte. Der Wagen war von mir auserwählt worden, meinen vernichteten Golf zu ersetzen. Das hatte sich als herausforderndes Projekt entpuppt, dessen Ende noch nicht mal ansatzweise abzusehen war.

Larry musterte den Jetta ein paar Sekunden lang stumm und sagte dann: »Bist du dir sicher, dass du damit fahren darfst?«

»Alle Lichter funktionieren«, erklärte ich.

Mein Vanagon, der trotz seines Alters eigentlich in sehr gutem Zustand war, hatte irgendwo ein Kühlflüssigkeitsleck entwickelt. Mit dem Kühler ganz vorne und dem Motor im hintersten Teil des fünf Meter langen Vans war es ein langwieriger und frustrierender Prozess, ein Loch zu finden, das wahrscheinlich nicht größer war als ein Stecknadelkopf. Adam hatte den neuen SUV genommen, den wir anstelle des Wagens angeschafft hatten, den die Vampire mit einem Truck platt gemacht hatten. Damit war nur der Jetta übrig geblieben, um damit zur Goblinjagd zu fahren.

Ich hatte den hinteren linken Blinker notdürftig mit einem Draht befestigt, der sich aus dem Kofferraum zu dem Licht erstreckte, das wiederum von Zip-Strips gehalten wurde. Dann hatte ich auf Holz geklopft und war aufgebrochen.

Ich war zuversichtlich, dass ich es auch wieder nach Hause schaffen würde. Für den gegenteiligen Fall hatte ich meinen kleinen Werkzeugkasten auf den Rücksitz geworfen – oder vielmehr auf den Platz, wo der Rücksitz sich eines Tages befinden würde.

»Prinzessin«, meinte Larry zweifelnd, »ich glaube, du wirst deine liebe Mühe mit diesem Wagen haben. Dieses Ding sieht aus, als wäre es älter als Zee.« Doch sein Blick löste sich von meinem Auto und glitt zur Scheune. Als Larry sich wieder bewegte, tat er es, ohne zu zögern, ging an mir und den Werwölfen vorbei und trat in das Tor der Scheune, wo er anhielt.

»Hey, du!«, rief er, während er genau an der Kante zwischen Licht und Dunkelheit stand. Die weißen Spitzen seiner teuren Tennisschuhe ragten in die Finsternis und waren damit unsichtbar, als hätte man sie mit einer Axt abgetrennt.

Mit wachsamem Blick wartete Larry, doch niemand antwortete. Wieder sprach er – diesmal in einer Sprache mit jeder Menge Zungenschnalzern und ein paar seltsamen Geräuschen, von denen ich mir sicher war, dass kein menschlicher Mund sie erzeugen konnte. Er war nicht besonders laut, aber was immer er auch sagte, war effektiv.

»Nein«, rief eine quäkende Stimme aus dem Inneren der Scheune, »ich suche Zuflucht! Ich bitte um Asyl in dieser wunderbaren und erstaunlichen Stadt, in denen die Fae und ihre Gegner gleichermaßen sicher sein sollen. Gewährt mir das, mein teurer Lord! Und sobald es gewährt ist, werde ich mich glücklich in Eure Obhut begeben, o Großer.«

Ich wusste nicht, wie alt Goblins wurden. Ich wusste nicht, ob sie zu den unsterblichen oder fast unsterblichen Fae gehörten. Ich hatte das einzige vertrauenswürdige Buch, das einen Überblick über die verschiedenen Arten von Feenwesen gab, zurückgegeben, bevor mir bewusst geworden war, wie dringend ich dieses Wissen brauchen würde.

Ich hatte den Eindruck bekommen, dass die Goblins zu den kurzlebigeren Rassen der Fae gehörten – doch da war etwas in der Art, wie die Stimme aus der Dunkelheit die Sätze bildete und Ideen formulierte, die darauf hinwies, dass entweder meine Erinnerung oder meine Deutung der Tatsachen trügerisch war. Es war durchaus möglich, dass »kurzlebiger« für die Fae-Frau, die das Buch geschrieben hatte, etwas anderes bedeutete als für mich. Oder vielleicht hatte unser Flüchtiger zu viel Zeit auf Shakespeare-Festivals verbracht.

Larry wandte mir seinen Körper zu, ohne den Blick vom Inneren der Scheune abzuwenden. »Weißt du, wovor er flieht?«

»Letzte Woche hat ein Goblin in Kalifornien einen Polizisten getötet. Das Video des Vorfalls war in allen Nachrichten«, setzte ich an, nur um innezuhalten, als Larry sich kurz zu mir umschaute. Gerade lang genug, dass ich seine seltsame Miene sehen konnte.

»Und die Leute sagen, Menschen besäßen keine Magie«, murmelte er, als er sich wieder unserem Flüchtigen zuwandte. Er machte eine auffordernde Geste mit der Hand. »Aber egal, sprich weiter.«

»Er hat eine ziemlich leicht zu erkennende Narbe«, erklärte ich und deutete auf die Narbe auf meiner eigenen, Wange. »Seine ist allerdings viel größer. Ein Goblin mit einer Narbe im Gesicht hat den Polizisten in L.A. getötet, als der versucht hat, ihn festzunehmen. Die Polizei hat eine Menschenjagd« – ich räusperte mich und korrigierte mich dann – »eine Goblinjagd auf ihn ausgerufen.«

Larry murmelte etwas in dieser anderen Sprache. Danach rief er: »Anscheinend hast du eine Schwäche dafür, dich filmen zu lassen. Sehr unvorsichtig von dir, dich von einem geistlosen menschlichen Gerät dabei aufnehmen zu lassen, wie du einen Mord begehst. Und dich dabei erwischen zu lassen, wie du ausgerechnet einen Ritter des menschlichen Gesetzes umbringst.«

Er legte eine seltsame Betonung auf manche Wörter, was mich vermuten ließ, dass mehrere tödliche Beleidigungen darin versteckt lagen. Ich wusste, dass es in der Goblinkultur eine große Schande war, erwischt zu werden – aber ich hatte nicht geahnt, dass von Technologie erwischt zu werden als noch schlimmeres Vergehen betrachtet wurde. Und ich fand es beruhigend, dass es offensichtlich selbst unter Goblins als böse betrachtet wurde, einen Polizisten umzubringen.

»Nein, nein – ich habe niemanden getötet«, quiekte unsere Beute. »Kein Kind der Menschheit starb durch meine Hand, o Großer. Nein. Kein Mörder bin ich. Ich tötete kaum einen. Weder Ritter noch Kind. Keinen kleinen Jungen mit blinkenden Schuhen. Nicht ich. Niemals würde ich auf diese Art den Grauen Lords trotzen, o Großer. So wenig, wie ich mich je Euren Befehlen erwehren würde.«

Das ließ mich zögern.

Es verstand sich von selbst, dass Werwölfe nicht lügen – weil die meisten Werwölfe erkennen können, ob jemand lügt. Ich bin unter Werwölfen aufgewachsen, und obwohl ich keiner bin, können offensichtlich auch Kojoten erkennen, wenn jemand lügt. Daher lüge ich nur, wenn ich glaube, damit auch durchzukommen.

Doch die Fae können nicht lügen. Sie verdrehen die Wahrheit, bis sie an einen Gordischen Knoten erinnert, aber sie können nicht lügen.

Trotzdem klangen die Worte dieses Goblins seltsam spezifisch für jemanden, der keinen Polizisten oder allem Anschein nach ein Kind mit blinkenden Schuhen getötet hatte. Aber er war unschuldig, weil er das sagte. Vielleicht, dachte ich, war er ja bloß Zeuge gewesen. Doch für mich fühlten sich seine Worte wie eine Lüge an. Und nicht mal wie eine gute Lüge.

Beide Werwölfe neben mir lockerten die Muskeln und entspannten sich. Der Goblin war unschuldig, weil er das gesagt hatte. Und anders als bei menschlichen Kriminellen war es die Wahrheit, egal, wie sehr es auch nach einer Lüge klingen mochte.

Mary Jo wandte sich an mich. »Müssen wir ihm Zuflucht gewähren? Wenn die Menschen ihn ins Visier nehmen, nur weil er ein Goblin ist … ging es nicht genau darum, als wir die Herrschaft über die Tri-Cities verkündet haben?«

»Nein, Liebes«, sagte Ben in einem vorgespielt traurigen Ton, der – anders als Mary Jos Aussage – für den Goblin in der Scheune gedacht war, »darum geht es absolut nicht. Wir passen auf die Leute auf – aber Asyl zu gewähren wäre eine ganz neue Ebene von Dämlichkeit.«

Ich versuchte immer noch herauszufinden, wieso der Goblin sich so präzise ausdrückte, wenn er keinen Polizisten und anscheinend auch kein Kind getötet hatte. Goblins konnten Glamour wirken. Womöglich hatte ein anderer Goblin – oder ein anderer Fae – versucht, diesem hier etwas anzuhängen?

Larry verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Sag mir zumindest, dass es nicht auf Kamera aufgezeichnet wurde, als du dieses Kind getötet hast«, sagte er fast schicksalsergeben.

Ich starrte Larry stirnrunzelnd an. Zuerst, weil er klang, als wäre es schlimmer, gefilmt zu werden, als ein Kind zu töten. Doch überwiegend runzelte ich die Stirn, weil er klang, als wüsste er genau, dass der Goblin schuldig war. Aber Goblins konnten nicht lügen.

»Nein, nicht ich«, erklärte die Stimme innerhalb der Scheune ernst. »Ich habe keinen kleinen Jungen mit süßen blauen Augen getötet. Augen wie die Eier eines Vogels, so rund und unschuldig, einfach derart lecker. Ebenso wenig habe ich den Polizisten mit der lauten Stimme umgebracht, der kam, um mich aufzuhalten.«

Mary Jo und Ben wirkten inzwischen genauso verwirrt wie ich.

»Ich bin unschuldig«, jammerte der Goblin in der Scheune. »Unschuldig. Und sie werden mir Schaden zufügen, so Ihr mich nicht vor den Menschen schützt.«

»Die Fae sind Teil des Handels, den wir abgeschlossen haben«, sagte ich. Mussten wir dem Goblin Asyl gewähren? Eventuell sollte ich dieses ganze dämliche Dokument, das wir unterzeichnet hatten, noch einmal lesen. Wenn es so weiterging, könnte ich es bis Weihnachten wahrscheinlich auswendig aufsagen.

»Und die Goblins sind Fae«, sagte Mary Jo. Larry schnaubte. Mary Jo fuhr fort: »Zumindest insofern, als sie Glamour wirken können und gezwungen sind, die Wahrheit zu sagen.« Doch ihre Stimme klang zögerlich.

»Wir sind Teil dieses uralten Handels, ja«, stimmte Larry ihr zu, den Blick immer noch stirnrunzelnd auf die Scheune gerichtet. »Wenn die Mächtigen uns lügen hören, ereilt uns ein schreckliches, tödliches Schicksal, wie alle Fae. Diejenigen mit mehr Macht mögen dieses Schicksal eine Weile abwehren können, doch die geringeren Fae, wie Goblins … wir sterben in dem Moment, in dem uns eine absichtlich gesprochene Lüge über die Lippen kommt.«

»Das bedeutet, wir müssen ihn beschützen«, meinte Mary Jo wenig begeistert. Sie sah mich an, um dann den Blick wieder abzuwenden, wobei sie sorgfältig darauf achtete, sich auf keine andere Weise anmerken zu lassen, dass sie mich für die Zwangslage verantwortlich machte, in der das Rudel sich befand. Doch dann richtete sie sich hoch auf, hob das Kinn und sagte fest, mit einem Unterton der Befriedigung, von dem ich glaubte, dass er nicht für meine Ohren bestimmt war: »Wir beschützen die Unschuldigen.«

Sie war nicht der einzige Wolf, der in unserer neuen Rolle als Helden Trost fand, die die alte Rolle als Monster verdrängt hatte. Die gesamte Stimmung im Rudel hatte sich seit meiner voreiligen Proklamation auf der Cable Bridge verbessert.

Der alten Cable Bridge, denn die neue wäre frühestens in einem Jahr fertig. Die Ingenieure hatten Probleme mit der Bodenbeschaffenheit, nachdem einer der Grauen Lords der Fae den Boden dort geöffnet hatte, sodass er die alte Brücke verschlang. Die Fae hatten angeboten, eine neue Brücke zu bauen, doch bisher waren die Stadtplaner klug genug gewesen, dieses Angebot nicht anzunehmen. Ich glaube, sie störten sich hauptsächlich daran, dass das Bauwerk keinerlei Stahl enthalten würde, aber ich war mir ziemlich sicher, dass das größere Problem darin läge, Geschenke von den Fae anzunehmen.

Ben seufzte – offensichtlich hatte er sich auf den Kampf gefreut. »Dazu haben wir uns eigentlich nicht bereit erklärt – aber ich nehme an, wir werden es tun müssen, nachdem er unschuldig ist.«

Ben hatte nicht genau gehört, was Larry gesagt hatte, nicht so wie ich. Vielleicht war ich paranoid … oder ich hatte in letzter Zeit zu viel Kontakt zu Fae gehabt.

»Unschuldig ich bin«, sagte der flüchtige Goblin. Es klang, als nähere er sich langsam dem Eingang der Scheune. Seine Stimme klang wild, als er wiederholte: »Unschuldig ich bin.«

Larry rieb sich das Gesicht, sah zu mir und seufzte, viel tief empfundener als Ben noch gerade eben. »Ich werde euch jetzt etwas enthüllen … Mercy, das dürfen die Fae nie erfahren.«

»Die Nicht-Goblin-Fae«, stellte ich klar.

Er nickte. »Ja, diese Leute.«

»Okay«, antwortete ich. »Wir sind nicht verpflichtet, den anderen Fae Goblingeheimnisse zu verraten.«

»Schwöre es«, sagte er ernst. »Das hier ist größer als ich. Hier geht es um die Sicherheit von mir und den Meinen. Schwöre, dass du niemandem erzählen wirst, was ich hier tue.«

»Nein, Großer«, sagte die Stimme in der Scheune, leise und ernst. »Nein. Unsere Geheimnisse zu enthüllen ist meinen unwürdigen Tod nicht wert. Ist es nicht. Ich sollte gehen, ich kleines, unwichtiges Kind. Mein Schicksal ist es nicht wert, ein großes Geheimnis an solche wie diese zu verraten.«

»Schweig!«, brüllte Larry mit einer Stimme, die gar nicht nach ihm klang. »Du hast unserer Art schon genug Probleme bereitet. Du hast mir nicht zu sagen, was ich tun soll.«

»Alles, was ich weiß«, warnte ich Larry, »weiß auch Adam. Alles, was Adam weiß, weiß auch Bran.«

Larry nickte. »Ja, ja, natürlich. So ist es unter Gefährten. Und Bran Cornick ebenfalls. Der Marrok hütet Geheimnisse, neben denen dieses klein erscheint – außer natürlich, man ist ein Goblin.«

»Ich werde es niemand anderem erzählen«, erklärte ich. Dann sah ich zu Ben und Mary Jo.

»Ich schwöre, dieses Geheimnis zu wahren«, sagte Mary Jo.

Ben sagte: »Wenn es nichts ist, was Leuten schadet, die mir etwas bedeuten, werde ich dein Geheimnis wahren.«

Larry sah uns nacheinander an und seufzte dann. »Es hat eine Zeit gegeben, da hätte ich euch zu Schweigen verpflichtet und ihr wärt nicht fähig gewesen zu reden, wisst ihr?«

Ja, dachte ich, ich hatte zu viel Zeit mit den Fae verbracht. Oder nur mit Larry. »Es hat eine Zeit gegeben« bedeutete nicht wirklich, dass er diese Macht verloren hatte – auch wenn ich wusste, dass viele Fae heute über weniger Macht verfügten als früher. Ich dachte darüber nach, meine Beobachtung für mich zu behalten. Doch wenn wir schon Geheimnisse miteinander teilen wollten, dann sollten wir besser auf Ehrlichkeit achten.

»Ich vermute, dass du es immer noch könntest«, sagte ich.

Seine Miene verriet mir, dass es stimmte. Und es schien ihn zu freuen, dass ich ihn ertappt hatte.

»Warum also tust du es nicht?«, fragte ich.

Er schüttelte den Kopf. »Ich bin ein Romantiker und ein Optimist dazu, Mercy Hauptman. Ich glaube, dass meine Beziehung zu dir und den Deinen, genau hier und jetzt, der Grund dafür sein könnte, dass mein Volk die nächsten hundert Jahre überlebt. Wenn ich dein Vertrauen missbrauche – das Vertrauen, das dich dazu gebracht hat, mich anzurufen, damit ich mich um einen der Meinen kümmern kann –, wenn ich dieses Vertrauen verrate, hätte ich doch damit jede Chance auf echte Freundschaft zwischen uns verwirkt, oder?«

»Ja«, knurrte Ben, ohne meine Reaktion abzuwarten.

»Wie auch immer«, sagte Larry. »Also vertraue ich darauf, dass ihr drei den Ernst dessen erkennt, was ich euch jetzt enthüllen werde – dass ihr die Konsequenzen abschätzen könnt, die es für mein Volk und für euer Volk als auch für die Menschen auf diesem Planeten hätte, wenn die Fae erführen, was ein paar der Meinen tun können. Und ich vertraue darauf, dass du es niemandem außer Adam erzählst und er es wiederum nur Bran Cornick erzählt, der niemandem etwas davon sagen wird.« Wieder seufzte er. »Außer er denkt, es könnte zum Vorteil der Werwölfe eingesetzt werden. Nun ja.«

Er wandte sich der Scheune zu und spuckte in einer Reihe von Lauten, die rein gar nichts mit Sprache zu tun hatten, sondern damit, mit dem Boden zu kommunizieren, auf dem ich stand, und mit der Luft, die ich atmete, Magie aus. Der Lärm, den er dabei erzeugte, tat mir in den Ohren weh, ließ Lichtblitze vor meinen Augen tanzen, die trotzdem Geräusche waren, und sorgte dafür, dass meine Muskeln sich in Wasser verwandelten.

Magie und ich haben eine komplizierte Beziehung, aber das war eine vollkommen neue Reaktion.

Ich setzte mich auf den Boden, um nicht zu fallen. Ben – der anscheinend keinerlei Auswirkungen spürte – kniete sich neben mich. »Mercy?«

Ich schüttelte den Kopf und richtete dabei meine Aufmerksamkeit auf die Scheune, wo die unnatürlichen Schatten langsam zu normaler Dunkelheit verblassten. Ein Mensch hätte den Unterschied vielleicht nicht erkannt, aber ich schon.

Larry schlug die Handflächen gegeneinander, als wolle er Dreck abschlagen, und sagte mit einer Stimme, die ich kaum als seine erkannte, weil ich ihn noch nie so drohend hatte sprechen hören: »Und jetzt, du verrottendes Stück verdorbenes Fleisch, jetzt sag diesen guten Leuten, dass du weder diesen Polizisten getötet noch den kleinen Jungen mit den blinkenden Schuhen umgebracht hast. Lass zu, dass die Mächtigen dich töten, und erspar uns allen ein wenig Mühe.«

Ich ließ mir von Ben wieder auf die Beine helfen.

»Aber sie leuchteten wie die Sterne«, sagte die Stimme aus der Scheune, viel kleinlauter als bisher. »Wie konnte ich mich daran nicht gütlich tun, o Großer? Wie konnte ich mich von einem Menschen, einem Menschen, gefangen nehmen lassen? Wie konnte ich erdulden, dass er mich berührte, mich, der ich einst der Erste von dreißig war?«

»Er hat gelogen«, sagte Ben leise. »Er ist ein Goblin, ein Fae, und an euren Vertrag gebunden – und trotzdem konnte er lügen.«

Larry nickte. »Er hat sich hinter einem Vorhang aus Magie versteckt, um nicht den Fluch des Handels auszulösen, den wir abgeschlossen haben. Diese Magie ist eine Version des Glamours, die andere Fae nicht wirken können. Noch nicht. Ein Geheimnis, das wir bewahrt haben …« Er schüttelte seufzend den Kopf. »Seit Ewigkeiten. Bis dieser sabbernde Narr, so dumm, dass er nicht einmal einer Kamera ausweichen konnte, versucht hat, meine Verbündeten zu übervorteilen.«

Ich schwieg, weil ich zu sehr damit beschäftigt war, diese neuen Informationen mit etwas zu verbinden, was ich gehört hatte. Es hatte vor ein paar Jahren eine Fae gegeben, die einen Handel rückgängig gemacht hatte, den sie mit Bran eingegangen war. Bran hatte darauf vertraut, dass sie den Frieden wahrte, als Abgesandte der Werwölfe von Europa nach Seattle gekommen waren, um dort zu erfahren, dass der Marrok vorhatte, den Menschen zu enthüllen, dass es Werwölfe auf der Welt gab. Diese Fae hatte ihn angelogen. Es hatte mich immer gestört, dass die Fae lügen konnte – obwohl Bran gesagt hatte, dass sie am Ende für ihre Lügen bezahlt hatte.

Ich fragte mich, ob diese Fae aus Seattle, das Geheimnis der Goblins gekannt hatte oder ob sie etwas Ähnliches selbst erfunden hatte. Wenn eine Fae lügen konnte …

»Es ist viel besser, wenn auch sie selbst denken, dass sie es nicht können«, murmelte Larry mir zu, obwohl ich davon überzeugt war, meine Gedanken nicht laut ausgesprochen zu haben.

»Und was jetzt?«, fragte Mary Jo misstrauisch. »Dieser …« Eilig entschied sie sich, ein anderes Wort zu verwenden als das, was ihr offensichtlich auf der Zunge gelegen hatte. »Dieser Goblin da drin hat recht. Er ist es nicht wert, ein so allumfassendes Geheimnis zu verraten.«

Larry schüttelte den Kopf. »Wir sind ein seltsamer Haufen, wir Goblins«, erklärte er ihr. »Im Vergleich zu den anderen Fae haben wir so wenig Macht. Und doch besitzen wir einige Gaben, um die sie uns beneiden würden, wenn sie davon wüssten. Ich zum Beispiel kann manchmal wichtige Momente in der Zeit spüren.« Er sah mich an. »Du solltest dir darüber im Klaren sein, dass dieser Goblin dich anlügen könnte. Ich weiß nicht, warum oder wann. Ich weiß nicht, ob das nur für dich oder auch für mich wichtig sein wird. Aber ich glaube, dass dein Vertrauen in mich, Mercy, in mein Volk, uns alle retten wird. Und wenn ich dir das bestgehütete Geheimnis meines Volkes anvertraue, da bin ich mir sicher, wirst du das auch nie vergessen.«

Ich blinzelte in seine Richtung.

Er schenkte mir ein breites Grinsen, dann sah er die Wölfe an. »Wollt ihr euch mir bei der Jagd anschließen?«

»Selbstverständlich«, erklärte Ben eifrig.

»Dafür sind wir doch hier«, stimmte Mary Jo ihm zu. Sie klang eher resigniert als aufgeregt, aber ich konnte ihre Anspannung spüren.

Larry warf mir einen Blick zu.

»Ich weiß«, sagte ich schicksalsergeben, »ich spiele nicht in derselben Gewichtsklasse. Wie wäre es, wenn ich das Tor bewache, für den Fall, dass er abhauen kann?«

»Wir werden ihn nicht entkommen lassen«, sagte Mary Jo getroffen.

Ben brummte. »Jetzt hast du es verschrien«, erklärte er ihr. »Fordere niemals das Schicksal heraus.«

Niemand hatte Lust, noch mal die zehn oder fünfzehn Minuten zu warten, die es die Werwölfe kosten würde, sich zu verwandeln, also waren alle in menschlicher Form, als sie die Scheune betraten. Ich konnte sehen, wie sie sich als vorsichtiges Dreieck vorwärtsbewegten, bis die Dunkelheit sie vor meinen Blicken verbarg.

Ich zog mein Entermesser und hörte darauf, wie der dem Untergang geweihte Goblin meinen Namen schrie. Es hatte gewisse Nachteile, Mercy zu heißen. Zum Ersten war ich diesen speziellen Shakespeare-Monolog wirklich leid. Jeder, mit dem ich je ausgegangen war – Adam nicht ausgeschlossen –, hatte ihn irgendwann zitiert. Dachten sie wirklich, ich hätte ihn noch nie gehört? Zum Zweiten sorgte es manchmal dafür, dass ich in der Dunkelheit stand und zuhörte, wie Leute getötet wurden, während sie nach mir riefen.

Nach Gnade. Mercy.

Dieser Goblin hier hatte verdient, was ihn erwartete, aber ich versuchte trotzdem, die Geräusche aus der Scheune auszublenden.

»Sie hat gesagt, sie hat versprochen, ich könnte hierherkommen, damit ich in Sicherheit bin«, rief der Goblin verzweifelt, bevor er kreischte – ein Geräusch, das am lautesten Punkt plötzlich abbrach. »Sie hat es versprochen.«

Wer sie?, dachte ich.

Mir blieb keine Zeit zum Nachdenken, weil auf seine Worte eine Welle aus Magie folgte, die mich in die Knie zwang. Der Boden zitterte und bebte, als Spreu und Staub aus der Scheune quollen. Zwei Meter breite große Heuballen polterten aus dem Eingang wie riesige Bauklötze, die ein Kind aus Versehen umgeworfen hat. Der Boden vibrierte unter meinen Knien, als die Ballen noch ein paar Sekunden lang zu Boden stürzten.

Ich ging nicht davon aus, dass selbst ein fünfhundert Kilo schwerer Heuballen einen Werwolf töten konnte – und ich hatte nicht die Erschütterung der Rudelverbindung gespürt, die mir verraten hätte, wenn jemand tot oder (weniger zuverlässig) schwer verletzt war. Aber diese Heuballen waren ziemlich hoch aufgestapelt gewesen.

Ich ging auf die Scheune zu, nur um anzuhalten, als der flüchtige Goblin über einen Ballen aus der Scheune kletterte. Er rannte nicht, sondern bewegte sich leise, den Blick hinter sich gerichtet. Er war größer als Larry, sein Körperbau fast menschlich, doch seine nackten Füße waren seltsam geformt – mehr wie die Pfoten eines Hundes, mit langen Zehen, die weder von Socken noch Schuhen verborgen wurden. Wenn er einen Glamour einsetzte, dann nicht, um menschlich auszusehen – trotz der Jogginghose, die er trug.

Ich packte das Entermesser mit links und zog mit der rechten Hand meine Sig. Mein pragmatisches Ich wusste, dass ich einfach schießen sollte … doch jemand in den Rücken zu schießen, der mich (noch) nicht verletzt hatte, erschien mir falsch.

Inzwischen konnte ich Ben hören, der abwechselnd hustete und fluchte wie ein Kutscher. Er klang nicht verletzt – bloß wütend. Ein kleiner Teil von mir lauschte auf Mary Jo oder Larry, aber der Rest konzentrierte sich auf den Goblin.

Er hatte ein Kind getötet, erinnerte ich mich grimmig und hob den Arm.

Ich weiß nicht, ob ich ihn in den Rücken geschossen hätte oder nicht, weil er den Kopf drehte und mich bemerkte, um dann elegant zu mir herumzuwirbeln.

Er zögerte. Ich schoss ihn zweimal in den Körper und einmal in den Kopf. Die Körpertreffer ließen ihn zusammenzucken, doch es öffneten sich keine Wunden in seiner Brust, wo ich ihn getroffen hatte. Vielleicht hätte ich die .44 Magnum mitbringen sollen – allerdings hätte ich dann einhändig nicht mal halbwegs genau zielen können. Die dritte Kugel, die eigentlich seine Stirn hätte treffen sollen, wurde von einer Art unsichtbarem Schild abgewehrt und schoss in eine andere Richtung davon.

Der Goblin senkte leicht den Kopf, wie ein Stier kurz vor dem Angriff, und lachte. »Kleiner Kojote, ich war der Erste von dreißig. Glaubst du, du und dein Spielzeug, ihr könnt mich aufhalten …«

Ich schoss wieder. Zweimal. Die erste Kugel traf ihn ein kleines Stück links von der Mitte der Brust, statt abzuprallen, also erforderte die Magie, die er einsetzte, bewusste Anstrengung, statt ein unsichtbares Schild zu bilden, das er unendlich lange aufrechterhalten konnte. Doch der zweite Schuss, der ihn an genau derselben Stelle hätte treffen sollen, verfehlte ihn ganz.

Er wich der Kugel nicht aus. Kugeln sind schnell. Er war einfach nur schneller als ich. In der Zeit, die es mich kostete, mein Ziel wieder ins Visier zu nehmen und den Abzug zu drücken, war er zur Seite getreten und stürzte sich auf mich.

Ich ließ meine Pistole fallen – nicht freiwillig –, rollte mich aus dem Weg und versuchte gleichzeitig, ihn mit dem Entermesser festzunageln. Die ersten zwei Dinge gelangen, doch meine linke Hand ist nicht so schnell wie meine rechte. Der Goblin hatte keine Probleme, meiner Klinge auszuweichen, sondern vollführte noch einen unnötigen Salto und landete auf den Füßen, wie ein Akrobat aus dem Cirque du Soleil.

Vielleicht wollte er ja bloß angeben, aber mein Schlag mit dem Entermesser hielt ihn trotzdem weit genug von mir entfernt, weshalb ich mich wieder auf die Beine rollen konnte.

Ich bin schnell. Das ist meine beste Superkraft. Ich bin so schnell wie die Werwölfe, vielleicht sogar so schnell wie die Vampire. Aber ich war nicht so schnell wie dieser Goblin. Es war bloß gut, dass ich ihn nicht besiegen musste. Ich musste nur verhindern, dass er flüchtete, bevor die anderen aus der Scheune kamen.

Zu meinem großen Nachteil verrieten mir die Geräusche aus der Scheune, dass meine Mitstreiter eine Weile brauchen würden, um sich von den Heuballen zu befreien. Mary Jo und Larry waren am Leben – ich konnte ihre Stimmen hören –, also war das wenigstens etwas.

Der Goblin lächelte mich an. »Ah, es hat Zähne, ja?« Er fletschte seine, schärfer und grüner als die Zähne eines Menschen. »Das ist schön. Ich mag einen Biss oder zwei zu meinem Abendessen.«

Meine Nackenhaare stellten sich auf, als der Goblin eine kleine, schwungvolle Geste in meine Richtung machte. Magie, dachte ich, obwohl ich nicht sagen konnte, was er getan hatte. Ich konnte mir auch keine Sorgen darum machen, weil er breit grinsend ein Messer aus Kupfer gezogen hatte – vielleicht zwei Drittel so lang wie mein Entermesser – und mich angriff.

Ich parierte seine Klinge – sein Angriff war lächerlich direkt und langsam gewesen, vor allem, wenn man bedachte, welche Geschwindigkeit er bereits an den Tag gelegt hatte. Fast so, dachte ich, als hätte die Magie, mit der er mich unter Kontrolle gebracht hatte, dafür sorgen sollen, dass er nicht mehr auf meine Klinge achten musste.

Stahl drang in Kupfer ein, während ich die interessante und überraschende Nachricht verarbeitete, dass meine seltsame Halb-Immunität gegen Magie zur Abwechslung wirklich mal bei etwas funktioniert hatte, was darauf ausgelegt war, mich zu verletzen.

Die Begegnung der Klingen sorgte dafür, dass der Goblin beinahe überrascht zischte. Doch er zögerte nicht, sondern änderte sofort seinen Bewegungswinkel und den seiner Waffe. Gleichzeitig öffnete er den Mund und zielte mit seinen großen, scharfen Zähnen auf meine Kehle.

Nicht umsonst hatte ich mich einen Monat lang der Aufmerksamkeit von piratenbegeisterten Werwölfen unterworfen; selbst ernannten Experten, die entschlossen waren, dass ich diese Klinge so gut schwingen sollte, wie jede Bewerberin auf Anne Bonnys Titel als Piratenkönigin es je gekonnt hatte.

Ich zog meine Klinge zurück und rammte dem Goblin in derselben Bewegung die Parierstange ins Gesicht. Traurigerweise bestand die Parierstange aus Silber (gegen Werwölfe) und nicht aus Eisen, wie die Klinge. Kaltes Eisen, selbst in der Form von Stahl, hätte die Aufmerksamkeit meines Gegners erregt.

Mein Schlag warf ihn nach hinten, doch er packte mich an Schulter und Knie und riss mich mit zu Boden.

Am Boden zu liegen ist schon schlecht, wenn man es mit Menschen zu tun hat. Wenn man es mit Kreaturen zu tun hat, die übermenschliche Stärke besitzen, ist es dagegen tödlich. Irgendwie gelang es mir, das Entermesser zwischen uns zu schieben, ohne mich selbst zu verletzen. Die flache Seite der Klinge drückte sich von der Hüfte bis zur gegenüberliegenden Schulter an meinen Körper. Was bedeutete, dass es bei dem Goblin genauso war.

Eisen stellt für die meisten Fae eine Bedrohung dar, doch die Intensität des Schadens variiert. Der Goblin kreischte, ein Geräusch, das meine Ohren zum Klingeln brachte, dann stieg mir der Gestank von verbranntem Fleisch in die Nase.

Für einen Moment stieg Hoffnung in mir auf, aber es flackerte kein Feuer auf. Die Klinge versengte ihn nur ein wenig.

Mein Martial-Arts-Lehrer – mein menschlicher Lehrer – warnt in den meisten Fällen davor, die Hoden eines Mannes anzugreifen, trotz aller Ratschläge in Büchern und Filmen. Die meisten Männer jenseits der Pubertät haben lebenslange Erfahrung darin, diese Körperregion zu schützen, also ist es schwer, einen guten Treffer zu landen. Und wenn man den Mann nicht wirklich hart genug trifft, um ihn kampfunfähig zu machen, ist er hinterher bloß umso wütender.

Anscheinend gilt dasselbe für Goblins und Stahl.

»Du bist dem Tod geweiht«, knurrte er mich an, hielt mich mit einem Arm fest und hob das mitgenommene Messer, das er immer noch in der anderen Hand hielt. Wie jeder vernünftige, mordlüsterne Goblin es tun würde, rechnete er damit, dass ich, nachdem ich nicht stark genug war, um mich zu befreien, einfach daliegen und sterben müsste.

Ha!

Ich verwandelte mich. Und während er damit kämpfte, zu verarbeiten, was gerade geschehen war, wand ich mich aus seinem Griff. Ich ließ meine Kleidung dort zurück, aber nicht meine Waffe. Törichterweise (wie mir später mitgeteilt wurde) schnappte ich mir das Entermesser mit den Zähnen, als ich davonlief.

Ich packte es am Heft. Niemand außerhalb dieser lächerlichen alten Filme oder Computerspiele würde jemals die Klinge packen, außer sie waren sich sehr, sehr sicher, dass es sich dabei um eine stumpfe Filmwaffe handelte.

Ich sprang zur Scheune und sorgte dafür, dass ich einen Heuballen im Rücken hatte. Dann wechselte ich wieder in meine menschliche Gestalt, nackt, nahm das Entermesser in die rechte Hand und wandte mich dem Goblin zu. Während meiner Flucht war er wieder auf die Füße gekommen. Er knurrte etwas nicht gerade Schmeichelhaftes und sprang auf mich zu, die verbogene Kupferklinge erhoben.

Ich hob meine Klinge zu einer Parade – doch dann sprang Larry über meinen Kopf hinweg und landete leichtfüßig ungefähr zwei Meter vor mir. Was ihn direkt in den Weg des angreifenden Goblins brachte. Soweit ich sehen konnte, war er nicht bewaffnet.

»Mein«, sagte Larry mit einer Stimme, in der so viel Macht mitschwang, dass sie auch dem Marrok hätte gehören können.

Bevor der andere Goblin mehr tun konnte, als langsamer zu werden – sein vernarbtes Gesicht war vor lauter Entsetzen ganz verzerrt –, streckte Larry die Arme aus und packte den Goblin an Schulter und Bein. Das Ganze ähnelte dem Angriff, den der Goblin bei mir ausgeführt hatte, war aber noch effektiver. Und brutaler. Der Goblinkönig nutzte den Schwung des anderen, um ihn hoch in die Luft zu schleudern – und schließlich Schultern und Beine in die gegengesetzte Richtung zu reißen.

Es war eine Bewegung, die Kraft und Geschick erforderte und von der ich mir nicht sicher war, ob einer der Werwölfe sie hätte ausführen können. In einer einzigen Bewegung brach Larry dem anderen Goblin die Wirbelsäule und renkte ihm die Hüfte aus, begleitet von einem zweifachen Knacken, das fast klang wie Schüsse.

Er ließ den Goblin zu Boden fallen und erlaubte ihm, sich eine Weile dort zu winden. Dann beendete er das Geschrei mit einer schlangenschnellen Bewegung, indem er ihm das Genick brach.

»Ach du Scheiße«, sagte Ben auf dem Heuballen hinter mir. »Larry, du Flachwichser, du hast uns den ganzen Spaß verdorben.«

Ich drehte mich um. Mary Jo und Ben standen beide auf den Heuballen, von dem Larry gesprungen war. Mary Jo hatte einen Schnitt an der Seite und Blut an einer Hüfte, auch wenn die Wunde, aus der es stammte, bereits verheilt war.

Eine Platzwunde an Bens Wange verblasste, doch sein Hemd war von seiner Schulter bis zum Saum aufgerissen, und aus seiner Brust fehlte ein Stück Muskel. Die Haut hatte sich bereits über der Verletzung geschlossen, doch ich wusste, dass es ein paar Tage dauern würde, bis der Muskel nachgewachsen war.

Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf den gefährlichsten von uns.

Larry war, soweit ich sehen konnte, unverletzt.

»Das wäre erledigt«, sagte er fröhlich, als hätte er nicht gerade jemanden brutal getötet. Er schüttelte die Aura der Macht, die ihn gerade noch umgeben hatte, so mühelos ab, dass es fast besorgniserregend war. Bran, der Marrok, konnte das ebenfalls.

Larry starrte einen Moment auf die Leiche herunter, runzelte die Stirn und zog dann ein Bronzemesser mit langer Klinge von irgendwoher. Er packte den Goblin am Haar und trennte den Kopf vom Körper. Irgendwie erschien mir das zu viel des Guten. Vielleicht, dachte ich, musste Larry sicherstellen, dass der andere Goblin tot war.

Das Messer musste unglaublich scharf sein, weil es aussah, als koste die Aktion Larry nicht mehr Anstrengung, als eine Wassermelone zu zerteilen. Er ließ den Kopf zu Boden fallen, säuberte sein Messer und deutete schließlich auf das Haupt.

Zu mir sagte er: »Bring das zu deinen menschlichen Gesetzeshütern. Sag ihnen, dass der Goblinkönig aufgetaucht ist und Gerechtigkeit für ihr verlorenes Kind und den Wächter geschaffen hat, der so mutig sein Leben hingegeben hat. Sag ihnen, wie sehr ich es bedauere, dass ich nicht mehr tun konnte, um sicherzustellen, dass dieser hier keinen Schaden mehr anrichten wird.«

»Ich dachte, du würdest dich selbst nicht als Goblinkönig bezeichnen«, meinte ich.

Er zuckte mit den Achseln und ließ sein Messer wieder durch einen Spalt in seiner Kleidung in der Scheide verschwinden – für mich wirkte es gefährlich, etwas so Scharfes auf diese Weise wegzustecken. »Es geht nichts über gute Publicity. Vor Kurzem wurde ich darauf hingewiesen, dass ich bin, was ich bin; es spielt keine Rolle, welchen Titel mir jemand außerhalb unserer Gemeinschaft verleiht, oder? Der Goblinkönig ist zumindest etwas, wovon die Menschen schon gehört haben.«

»Ihr tretet also an die Öffentlichkeit, Kumpel?«, fragte Ben.

Larry grinste – und der Ausdruck hätte vollkommen natürlich gewirkt, wäre da nicht die Ernsthaftigkeit seines Blickes gewesen. »Wir sind bereits öffentlich, Alter.« Die Betonung auf dem letzten Wort ließ mich glauben, dass es eine Retourkutsche auf Bens »Kumpel« war. »Aber ja. Wir werden ein wenig Öffentlichkeitsarbeit betreiben. Dafür sorgen, dass wir eine Macht mit Verbündeten werden – und dann wird es weniger wahrscheinlich, dass wir als Futter für die Grauen Lords enden. Und wo wir gerade von Essen reden …«

Ohne sich um das Blut zu kümmern, hob er den Körper des toten Goblins – ohne Kopf – hoch und warf ihn sich über die Schulter. Das ausgerenkte Bein schlackerte, und das gebrochene Rückgrat sorgte dafür, dass der Körper sich auf seltsame Art bewegte.

»Ich würde euch auch den Körper dalassen«, erklärte er mir, »aber dann müsste ich meiner Alten erklären, wieso ich jagen gegangen bin, ohne Essen für die Familie nach Hause zu bringen. Der Kopf sollte ausreichen, ihn zu identifizieren.«

Er warf noch einen bedauernden Blick auf das abgetrennte Haupt. Ich fragte mich, ob er den anderen Goblin gekannt hatte oder ob er einfach nur bereute, dass es notwendig gewesen war, einen der Seinen zu töten.

Er sah auf, bemerkte, dass ich ihn beobachtete, und murmelte: »Die Augen sind das Beste.«

Ich starrte ihn an.

Larry salutierte mir mit einem Grinsen und ernstem Blick, trat zurück und verschwand – löste sich ohne ein Geräusch einfach auf.

Ben sagte: »Ha.« Nach einem Moment, als die Witterung des Goblinkönigs langsam verklang, sagte er: »Nun, dann verpiss dich und bon appétit.«

»Vielleicht hat er ja bloß einen Witz gemacht«, meinte ich wenig überzeugt. Ich mochte Larry, aber das bedeutete noch lange nicht, dass ich ihn verstand.

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