Riechen und Fühlen - Eva Heuberger - E-Book

Riechen und Fühlen E-Book

Eva Heuberger

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Beschreibung

Wie Geruchssinn und Gefühle zusammenhängen Gerüche begleiten uns durch unser ganzes Leben, wir können nicht atmen, ohne zu riechen. Doch wir nehmen Gerüche nicht immer in gleicher Weise wahr, sie ändern sich je nachdem, in welcher Stimmung wir sind. Das faszinierende Zusammenspiel von Geruchssinn und Emotionen erklären die Autorinnen, drei ausgewiesene Expertinnen, vor dem Hintergrund neuester wissenschaftlicher Forschungen. Sie zeigen, wie sich zum Beispiel bei Ängsten und Depressionen das Riechvermögen verändert und wie umgekehrt Duftstoffe die Heilung von psychischen Krankheiten unterstützen können. In einem großen Praxisteil werden anhand von Fallbeispielen konkrete neue Einsatzmöglichkeiten von Düften in der Aromatherapie sowie Tipps für deren Nutzung im Alltag vorgestellt.

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HEUBERGER | STAPPEN | RUDOLF VON ROHR

RIECHEN UND FÜHLEN

fischer&gann

EVA HEUBERGER | IRIS STAPPEN REGULA RUDOLF VON ROHR

RIECHEN UND FÜHLEN

WIE GERUCHSINN, ÄNGSTE UND DEPRESSIONEN ZUSAMMENSPIELEN

NEUE WEGE DER BEHANDLUNG

fischer & gann

WICHTIGER HINWEIS

Die Ratschläge in diesem Buch sind von den Autorinnen und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft worden. Sie bieten jedoch keinen Ersatz für kompetenten medizinischen Rat. Alle Angaben in diesem Buch erfolgen daher ohne jegliche Gewährleistung oder Garantie seitens des Verlags oder der Autorinnen. Eine Haftung der Autorinnen bzw. des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ebenfalls ausgeschlossen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.

© Verlag Fischer & Gann, Munderfing 2017

Umschlaggestaltung | Layout und Satz: Gesine Beran, Turin

Umschlagmotiv: © shutterstock | Veronika Galkina

Gesamtherstellung | Druck:

Aumayer Druck + Verlag Ges.m.B.H. & Co KG, Munderfing

ISBN 978-3-903072-56-5 | ISBN E-BOOK 978-3-903072-61-9

www.fischerundgann.com

INHALT

Ein persönliches Vorwort

KAPITEL 1 – WAS DIE NASE ALLES KANN

Der Geruchssinn des Menschen

Duftstoffe und Gerüche: Vom chemischen Molekül zum Sinneseindruck

Der »Tastsinn« in der Nase

Die Riechnerven – mit nur einmal Umsteigen von der Nase ins Gehirn

Der Weg der Gerüche vom Riechkolben zu höheren Hirnzentren

Die Nase auf dem Prüfstand

Wenn das Riechen beeinträchtigt ist …

Riechen Frauen anders als Männer?

Der Geruchssinn altert

Einfluss des Rauchens auf das Riechvermögen

Das Vomeronasale Organ – das rätselhafte Sinnesorgan

KAPITEL 2 – DER ZUSAMMENHANG ZWISCHEN RIECHEN UND FÜHLEN

Emotionen, Gefühle, Stimmungen und die Macht der Gerüche

Gemeinsamkeiten zwischen Fühlen und Riechen

Ängste und Depressionen

Wie Ängste und Depressionen sich auf das Gehirn auswirken

Bei Ängsten und Depressionen verändert sich auch das Riechvermögen

Die Rolle von Gerüchen bei der Entstehung von Ängsten und Depressionen

KAPITEL 3 – DUFTE WIRKUNGEN

Riechstoffe beeinflussen Gefühle

Bei Ängsten und Depressionen mit Düften unterstützen

Ätherische Öle im psychiatrischen Alltag

Das Basler Modell

Was Sie für sich tun können – Anwendungsempfehlungen für Laien

Anwendungen

Fallbeispiele aus der Aromatherapie

Ausblick

ANHANG

Danksagung

Übersicht über die im Text erwähnten ätherischen Öle und ihre botanischen Namen

Empfohlene Fachbücher zur Selbstbehandlung

Anmerkungen

Quellenangaben

EIN PERSÖNLICHES VORWORT

SCHON ALS KIND ROCH ICH AN ALLEM, was mir unter die Nase kam. Als Teenager legte ich mir eine Sammlung kleiner Parfümfläschchen zu, die ich fein säuberlich in verschiedene Setzkästen einsortierte und an die Wand hängte – die Düfte waren zu meiner Leidenschaft geworden.

Später, während meines Pharmaziestudiums, interessierte ich mich besonders für Heilkräuter mit ihrem teilweise herben, aber auch angenehmen Duft. Zu der Zeit hatte ich eine folgenschwere Begegnung: Eines Abends fuhr ich in Wien mit dem Taxi nach Hause und kam mit dem Fahrer ins Gespräch. Er erzählte mir, dass er einige Jahre zuvor eine schwere Erkältung gehabt hatte, die ihn seinen Geruchssinn gekostet hatte. Seither konnte er viel weniger Freude und Genuss in seinem Leben empfinden. Er berichtete, dass ihm alle Speisen gleich fade erschienen und er deshalb keine Lust mehr habe zu essen. Am meisten beunruhigte ihn aber, dass er seinen eigenen Geruch nicht mehr wahrnehmen konnte, und er befürchtete, für die Menschen in seiner Umgebung unangenehm zu riechen. Deshalb habe er sich mehr und mehr aus seinem Freundeskreis zurückgezogen, was ihn traurig mache. Ich glaube heute, dass diese Begegnung einen starken Einfluss auf meine Entscheidung hatte, mich als Wissenschaftlerin mit dem Riechen und der Wirkung von Düften auf uns Menschen auseinanderzusetzen.

Einige Zeit danach lernte ich Iris Stappen kennen. Ihr Interesse an Düften hatte sich entwickelt, als sie während ihres Pharmaziestudiums verschiedene Riechstoffbausteine aus dem ätherischen Sandelholzöl synthetisch nachbildete. Die Veränderungen der chemischen Struktur, die Iris dabei herbeiführte, bewirkten mehr oder weniger stark ausgeprägte Änderungen des Dufts, was eine große Faszination auf sie ausübte. Mehrere Jahre lang beschäftigte sie sich daraufhin an der Universität Wien mit der Synthese und den Struktur-Geruchsbeziehungen von Duftstoffmolekülen. Angeregt durch einen Forschungssaufenthalt im Ausland verlegte Iris ihren Arbeitsschwerpunkt weg von der Chemie der Duftstoffe hin zu deren Einfluss auf uns Menschen, und so arbeiteten wir einige Jahre lang an der Universität Wien zusammen.

Viel später erst kam ich schließlich auf die Idee, den Zusammenhang zwischen dem Geruchssinn und Angststörungen zu erforschen. Die Verbindung zwischen dem Riechen und dem Fühlen liegt nahe, wenn man die beiden Systeme von einem neurowissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet. Vor diesem Hintergrund entstand auch das vorliegende Buch.

Als ich Iris fragte, ob sie Interesse hätte, mit mir gemeinsam daran zu arbeiten, war sie gleich Feuer und Flamme. Regula Rudolf von Rohr hatte wie viele Kinder ihrer Zeit eine Duftlampe zu Hause, die jahrelang intensiv in Gebrauch war. Nach der Geburt ihres ersten Kindes begann sie sich ernsthaft mit der Anwendung von ätherischen Ölen im familiären Rahmen zu befassen. Ihr Schlüsselerlebnis war die Beschreibung der psychischen Wirkung ihres Lieblingsduftes in einem Fachbuch, die haargenau zu ihrer damaligen Situation passte. Damit war für sie klar: Ätherische Öle wirken! Nach einigen Jahren intensiver Beschäftigung mit ätherischen Ölen sammelte sie, ermuntert durch ihren Abteilungsleiter, erste Erfahrungen mit der Anwendung von Düften in der Psychiatrie. Das waren der Beginn von Aromatherapie und Aromapflege in den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel und der Grundstein ihrer weiteren beruflichen Entwicklung zur Aromatherapeutin. Zusammen mit anderen Pionierinnen in der Psychiatrie gründete sie den Verein »Psycharoma – Fachgruppe für ätherische Öle in der Psychiatrie«, um den Austausch und die Weiterentwicklung in diesem speziellen Anwendungsbereich zu fördern.

Ich wurde auf Regula durch einen Artikel in der Fachzeitschrift FORUM des Vereins »Forum Essenzia e.V.« aufmerksam. Wie sie darin ihre Arbeit in Basel beschrieb, das beeindruckte mich so sehr, dass ich sofort wusste: Regula ist meine Frau für die praktischen Aspekte der Aromatherapie bei Menschen mit psychischen Störungen! Glücklicherweise musste ich auch sie nicht lange zur Zusammenarbeit überreden.

Mit Iris Stappen und Regula Rudolf von Rohr habe ich zwei kongeniale Mitautorinnen gefunden, die meine eigenen Erkenntnisse einerseits aus wissenschaftlicher Sicht, andererseits aus der praktischen Erfahrung in der Psychiatrie heraus hervorragend ergänzen und bereichern.

Auf den folgenden Seiten wollen wir Ihnen den Geruchssinn, unser ältestes Sinnessystem, näher vorstellen, seine Rolle bei der Entstehung von psychischen Störungen beleuchten sowie auch diskutieren, wie man Gerüche vielleicht besser für die Diagnostik und die Therapie dieser Störungen benutzen könnte. Vor allem wollen wir Ihnen aber zeigen, wie auch Sie Düfte, allen voran die von ätherischen Ölen, verwenden können, um Ihr psychisches Wohlbefinden zu steigern. Wir laden Sie also ein, uns zu begleiten und mit uns in die Welt des Riechens und Fühlens einzutauchen.

Eva Heuberger

KAPITEL 1 | WAS DIE NASE ALLES KANN

DER GERUCHSSINN DES MENSCHEN

IM VERGLEICH ZU ANDEREN ARTEN haben wir Menschen einen wenig entwickelten Geruchssinn, er spielt in unserem Leben heute kaum eine Rolle. Das kann man in jedem Biologielehrbuch nachlesen. Doch stimmt das wirklich? Biologisch gesehen zählt der Mensch zu den sogenannten Mikrosmaten, also jenen Arten, die vergleichsweise schlecht riechen können. Tatsächlich ist die Fläche, die das Riechepithel in unserer Nase einnimmt, weitaus kleiner als beispielsweise beim Hund. Dennoch haben Wissenschaftlerinnen1 in den letzten zehn Jahren so viel Erstaunliches über unseren Geruchssinn herausgefunden, dass die Behauptung, unser Riechsystem sei rudimentär und mehr oder weniger nutzlos, nach und nach revidiert werden muss.

Unser olfaktorisches System ist einzigartig und wesentlich besser als sein Ruf, so Matthias Laska, Zoologe von der Linköping-Universität in Schweden. Es kommt darauf an, welchen Aspekt des Geruchssinns man betrachtet. Wenn man die menschliche Geruchssensitivität für einen Duftstoff namens Amylacetat mit jener von Hunden, Ratten oder Mäusen vergleicht, so stellt man überraschenderweise fest, dass Menschen dessen Geruch bei weitaus geringeren Konzentrationen wahrnehmen können als die erwähnten Tiere. Ähnlich sensitiv gegenüber diesem Duft sind (von den untersuchten Tieren) nur noch Klammeraffen und Totenkopfäffchen. Natürlich gilt das nicht für jeden Geruch. Amylacetat riecht jedoch nach reifen Bananen, einem Lebensmittel, das auf der Speisekarte der Primaten ganz oben steht. Deshalb sind Menschen wie Affen so gut darin, den Duft von Amylacetat aufzuspüren. Doch auch für andere Gerüche haben wir ein Näschen. Wir können zum Beispiel gut erkennen, ob Lebensmittel verdorben oder noch genießbar sind, ob es in unserer Nähe brennt oder ob giftige Gase in der Luft sind. Wir können uns mit Hilfe unseres Geruchssinns orientieren und an das erinnern, was wir einst gelernt und erlebt haben. Am Geruch erkennt eine Mutter ihr Baby und das Baby die Brustwarzen seiner Mutter. Und Babys können anhand des Geruchs sogar »ihre« Muttermilch vor der fremder Mütter erkennen.

Apropos unterscheiden: Ging man bis vor kurzem noch davon aus, dass wir Menschen nur rund 10.000 Gerüche voneinander unterscheiden können, so legen neueste wissenschaftliche Berechnungen nahe, dass es wahrscheinlich eher eine Milliarde sind. Und diese Zahl ist laut Andreas Keller und seinem Team von der Rockefeller-Universität in New York, die diese Kalkulationen angestellt haben, noch eine eher konservative Schätzung! Sie sehen also, wir sind gar nicht so schlecht im Riechen!

Wie das Riechen Ihr Leben jeden Tag beeinflusst, was Sie mit Ihrer Nase alles anstellen können, aber auch, was es bedeutet, wenn sie Ihnen ihren Dienst versagt, das wollen wir Ihnen auf den folgenden Seiten zeigen. Außerdem wollen wir skizzieren, wie das Riechsystem aufgebaut ist und wie Ihre Nase überhaupt so viele verschiedene Gerüche erkennen und unterscheiden kann.

Warum haben wir überhaupt einen Geruchssinn?

NATÜRLICH VERTRAUEN WIR IM ALLTAG in erster Linie unseren Augen und Ohren. Dennoch ist unser Geruchssinn kein evolutionärer Luxus, sonst hätten wir ihn schon lange nicht mehr. Denn eines ist sicher: Was bloß Energie kostet, aber keinen Nutzen hat und nicht gebraucht wird, das schafft die Evolution umgehend ab. Denken Sie nur an die Körperbehaarung: Wir haben sie weitgehend verloren, seit Kleidung an ihre Stelle getreten ist. Wie groß die Bedeutung des Geruchssinns im Lauf der Evolution für unser Überleben war und wie wichtig das Riechen immer noch ist, das spiegelt sich nicht zuletzt in unzähligen Redewendungen wider: jemanden (nicht) riechen können; ein Näschen oder einen Riecher für etwas oder die Nase gestrichen voll haben; den Braten riechen; etwas ruchbar machen, um nur einige zu nennen.

Das Riechen hat jedoch eine andere Funktion als das Sehen und das Hören. Während die beiden letztgenannten Sinne als Fernsinne bezeichnet werden, ist der Geruchssinn, wie übrigens auch der Geschmacksinn und der Tastsinn, ein sogenannter Nahsinn. Sehen und Hören informieren uns über etwas, das noch weit weg ist. Riechen, Schmecken und Tasten geben uns dagegen Auskunft über das, was in unserer unmittelbaren Nähe passiert. Wenn wir eine Straße überqueren wollen, ist es also sinnvoll, nach links und nach rechts zu schauen und zu lauschen, ob sich ein Fahrzeug nähert oder nicht. Es wäre töricht, dies erschnüffeln zu wollen. In dem Augenblick, in dem wir die Abgase des nahenden Autos wahrnehmen können, ist es möglicherweise schon zu spät.

Aus der Tatsache, dass Geruchsinformationen in der Regel über kurze Distanzen transportiert werden, erschließt sich, für welche Lebensbereiche sie relevant sind: für die Nahrungsaufnahme, für die Hygieneüberwachung, für die Sexualität und die soziale Interaktion sowie für Gefahren, die sofortiges Handeln erfordern. Denken Sie zum Beispiel an einen Brand. Solange Sie das Feuer bloß knistern hören und die Flammen lodern sehen, haben Sie noch Zeit, sich in Sicherheit zu bringen. Sobald Sie aber den Brand riechen können, sollten Sie sich schleunigst aus dem Staub machen.

Wir riechen an Lebensmitteln, um zu überprüfen, ob sie noch essbar sind oder ob wir sie besser wegwerfen sollten. Das Riechen ist übrigens auch stark mit dem Gefühl des Ekels verknüpft. Wenn wir Verdorbenes erkennen, dann auch, weil es in der Regel einen Geruch aussendet, den wir »zum Kotzen« finden. Dieses Ekelgefühl kann dann Erbrechen auslösen, um das verdorbene und daher potentiell schädliche Lebensmittel auf schnellstem Wege wieder loszuwerden, sollte es sich bereits in unserem Magen befinden. Gerüche geben uns ebenso einen Anhaltspunkt, ob etwas überhaupt ein Lebensmittel ist. Außerdem gibt es starke Verbindungen zwischen dem Geruch, dem Geschmack und dem Nährwert eines Lebensmittels. Aufgrund von Lernerfahrungen beim Essen können wir Vermutungen über den Geschmack einer Speise und ihren Kaloriengehalt anstellen.

Wussten Sie übrigens, dass das, was wir gern als den Geschmack eines Lebensmittels bezeichnen, in Wahrheit sein Geruch ist bzw. eine Kombination aus Geschmack und Geruch? Wir können nur fünf, vielleicht sechs Geschmacksrichtungen unterscheiden,2 aber eine Milliarde Gerüche. Deshalb kennen wir vermeintlich so viele unterschiedliche »Geschmacksrichtungen«. Gerüche erreichen nämlich unsere Riechschleimhaut nicht nur über die Nase, sondern auch über den Rachen. Wie wir den Geruch eines Lebensmittels bewerten, hat auch etwas damit zu tun, wie satt wir sind, wie Forscherinnen um Martin L. Kringelbach von der Universität Oxford berichteten. Versuchspersonen mussten bewerten, wie angenehm sie den Geruch von Schokoladenmilch empfanden. Dann durften sie Schokoladenmilch trinken, bis sie satt waren, und mussten anschließend erneut ihren Geruch bewerten. Es stellte sich heraus, dass die Versuchspersonen diesen als weniger angenehm einstuften, wenn sie satt waren. Das bedeutet also, dass der Belohnungswert der Schokoladenmilch geringer wird und damit auch die Motivation, mehr davon zu konsumieren. Auf diese Weise limitiert der Geruchssinn auf natürliche Weise die Nahrungsaufnahme.

Sind Geruchsvorlieben angeboren oder erlernt?

AUCH EINE ANDERE KATEGORIE VON GERÜCHEN löst meistens Ekelgefühle aus, nämlich alle Gerüche, die mit Fäkalien, Erbrochenem und Verwesung einhergehen. Obwohl eine Aversion gegenüber solchen Gerüchen anscheinend universell und kulturübergreifend besteht, ist sie doch nicht angeboren. Wir haben aber gelernt, dass diese Art von Gerüchen auf Bakterien hinweist, die unserer Gesundheit gefährlich werden könnten. Dass es sich dabei nicht um vererbte Präferenzen handelt, zeigen die Reaktionen von Kleinkindern auf solche Gerüche und die Geruchsquellen: Sie gehen damit relativ unverkrampft um.

Es gibt aber anscheinend auch Gerüche, die wir alle lieben, Vanille zum Beispiel. Ist diese Vorliebe angeboren? Das könnte man denken, wenn man die Verhaltensmuster untersucht, die erst wenige Tage alte Säuglinge auf diesen Geruch hin zeigen. An ihren Gesichtsausdrücken und Bewegungen kann man ablesen, dass sie alle den Vanillegeruch lieben, sogar unabhängig davon, aus welchem Kulturkreis sie stammen.

Doch mit der Schlussfolgerung einer angeborenen Reaktion sollte man vorsichtig sein. Im Fall von Vanille haben Forscher herausgefunden, dass das aus der Nahrung stammende Vanillearoma nicht nur in die Muttermilch übergeht – wo die Babys es mit dem angenehmen Gefühl des Gestillt-Werdens assoziieren –, sondern bereits im Fruchtwasser gefunden werden kann. So prägt es wahrscheinlich schon vor der Geburt die Geruchsvorlieben von Säuglingen.

Gerüche als Indikatoren für Hygiene und mehr

WENN SIE VOR DER ENTSCHEIDUNG STEHEN, ob ein bereits getragenes, aber anscheinend makelloses T-Shirt noch einmal angezogen werden kann oder ob es besser in die Wäsche sollte, riechen Sie bestimmt daran. Auch wenn Sie sich an Ihre Partnerin kuscheln und einen strengen Körpergeruch an ihr wahrnehmen, werden Sie ihr wohl nahelegen, doch bitte wieder einmal zu duschen. Wir setzen also unseren Geruchssinn zur Kontrolle der Körperhygiene bei uns selbst, aber auch bei anderen ein. Aber gerade Körperausdünstungen scheinen eine ganz besondere Art von Gerüchen zu sein, wie wir weiter unten in diesem Kapitel noch ausführlich darlegen werden. Auf der einen Seite finden wir diese Gerüche unangenehm, besonders wenn sie von Fremden stammen, andererseits können sie abhängig von der Situation auch sehr anregend sein. Ob jemand fremd ist oder zur Familie gehört, welches Geschlecht oder Alter er hat, all das können wir an seinem Geruch ablesen.

Während viele Säugetiere, wenn sie aufeinandertreffen, sich gegenseitig beschnüffeln, um mehr übereinander zu erfahren, ist bei uns Menschen zumindest in unseren Breiten das Schnüffeln an anderen doch einigermaßen verpönt. Deswegen haben wir das Händeschütteln erfunden, behaupten zumindest israelische Wissenschaftler vom Weizmann-Institut für Wissenschaft in Rohovot. Die Forschergruppe um Idan Frumin und Noam Sobel filmte Menschen, nachdem diese einem Fremden die Hand zur Begrüßung gegeben hatten. Man stellte fest, dass diese Personen sich häufiger mit den Händen an oder in der Nähe der Nase berührten. Die Wissenschaftler interpretierten dieses Ergebnis als Ersatz für das Beschnüffeln, weil sie auch festgestellt hatten, dass beim Händeschütteln tatsächlich körpereigene Duftstoffe von einer Person auf die andere übertragen werden. Woran nach dem Handschlag gerochen wurde – an der Hand, die die andere Person berührt hatte, oder an der anderen –, hing vom Geschlecht des Gegenübers ab: War die per Handschlag begrüßte Person gleichgeschlechtlich, wurde öfter an der gegebenen Hand gerochen. War sie jedoch vom entgegengesetzten Geschlecht, wurde öfter die andere Hand beschnuppert. Die genauen Zusammenhänge zwischen diesem Verhalten und dem Geschlecht der beteiligten Personen müssen allerdings noch näher untersucht werden, so die Autoren dieser Studie.

Die Wissenschaft kann heute noch nicht bis ins letzte Detail erklären, wozu bestimmte Verhaltensweisen dienen, die mit dem Riechen in Verbindung stehen. Auch gibt es noch Unstimmigkeiten darüber, ob solche Verhaltensweisen eher angeborene oder erlernte Phänomene darstellen. Was wir jedoch als Schlussfolgerung aus den bisherigen Erkenntnissen ziehen können, ist, dass der Geruchssinn beileibe kein nutzloses Relikt aus unserer Vergangenheit darstellt. Er ist im Gegenteil ein hochpräzises Instrument, das wir aktiv nutzen, um unsere nähere Umgebung zu erforschen.

Auch über den Riechvorgang selbst haben Wissenschaftlerinnen in den letzten zehn Jahren bereits vieles herausgefunden. Wir wollen daher als Nächstes betrachten, wie die Informationen, die in einem Riechstoffpartikel, einem Molekül, enthalten sind, in eine Geruchswahrnehmung »übersetzt« werden.

DUFTSTOFFE UND GERÜCHE: VOM CHEMISCHEN MOLEKÜL ZUM SINNESEINDRUCK

WIE SCHON EINGANGS ERWÄHNT wurde der Mensch lange Zeit als »mikrosmatisches Tier« bezeichnet, dessen Geschmacks- und Geruchssinn angeblich eine eher untergeordnete Rolle spielten. Viel mehr Bedeutung schienen der Seh- und der Gehörsinn zu haben, zum Beispiel um Informationen aus der Umwelt zu sammeln. Auf der anderen Seite wurden und werden seit dem Altertum bis heute Düfte im Alltag eingesetzt, sei es im Rahmen von religiösen Ritualen oder um den eigenen Geruch zu maskieren. Um diesen Widerspruch aufzuklären begannen, Wissenschaftlerinnen Mitte des 20. Jahrhunderts, den Geruchssinn genauer zu erforschen.

Ein großes Problem war es allerdings, die entsprechende anatomisch-physiologische Struktur für den Riech-Stimulus zu finden. Während die Grundfarben (rot, blau, gelb) und die – ursprünglich – vier Geschmacksrichtungen (süß, salzig, bitter, sauer) sowie das Funktionieren von Seh- und Geschmackssinn bereits seit Jahrzehnten bekannt waren, fehlte etwas Essenzielles zum Verständnis des Geruchssinns: das sogenannte »missing link« zwischen Duftstoffmolekül und Riechsystem. Im Jahr 1991 wurde schließlich von der Neurophysiologin Linda Buck und dem Mediziner Richard Axel von der Columbia-Universität die Familie der Riechrezeptor-Gene entdeckt. So gelang es den Geruchsforscherinnen zusehends, den Geruchssinn besser zu verstehen. Beginnend mit dieser Entdeckung konnte das komplizierte System in kleinere Untereinheiten zerlegt und ihre verschiedenen Funktionen aufgeklärt werden. Die beiden Forscher, die den Grundstein hierfür gelegt hatten, erhielten für ihren unschätzbaren Beitrag 2004 den Nobelpreis für Physiologie und Medizin. »A Nobel for Smell« titulierten David Julius und Lawrence C. Katz, zwei weltbekannte US-amerikanische Sinnesphysiologen, sehr treffend ihren Artikel anlässlich der Preisverleihung.

Wie funktioniert nun dieser Geruchssinn, der nicht nur unglaubliche Differenzierungsfähigkeiten, sondern auch eine erstaunliche Sensitivität für bestimmte flüchtige Verbindungen ausweist und dabei sogar so manches elektronische Gerät übertrifft? Nun, zu Beginn bedarf es eben einer solchen flüchtigen Verbindung, also eines Duftstoffmoleküls in der Luft. Dieses wird eingeatmet und gelangt so zu den Riechrezeptoren im hinteren Teil der Nasenhöhle. Die Riechrezeptoren sitzen in der Riechschleimhaut und sind umgeben von einer dünnen wässrigen Schleimschicht. Zusätzlich haben sie eine hydrophobe Bindungstasche, also eine Teilstruktur, die wasserabweisend ist, an der das Duftstoffmolekül »andockt«. Daher muss ein Duftstoffmolekül einerseits hydrophob sein, andererseits aber auch einen hydrophilen Teil aufweisen, um durch den wässrigen Schleim überhaupt erst zu den Rezeptoren vordringen zu können.

Wie die Struktur eines solchen Moleküls letztendlich jedoch mit seinem Duft zusammenhängt, ist noch ein großes Rätsel der Wissenschaft. Man weiß immer noch wenig über die essenziellen Charakteristika der Moleküle, und es ist auch für einen Parfümeur oder eine Wissenschaftlerin bis heute nicht möglich, den Geruch eines neuen, unbekannten Duftmoleküls vorauszusagen. Man kennt zwar grundsätzlich ein paar Struktureinheiten, die für bestimmte Düfte verantwortlich sind, wie zum Beispiel Schwefelverbindungen, die nach faulen Eiern riechen, oder Amine – das sind bestimmte Stickstoffverbindungen, die »fischeln« – und Ester mit ihrem fruchtigen Duft. Während man in der Optik die Wellenlänge direkt einer Farbe und in der Akustik die Frequenz einem Klang zuordnen kann, gibt es beim Riechen aber keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Molekül und seinem Duft. Verbindungen ähnlicher Struktur können komplett unterschiedlich riechen, während manche Duftstoffe verschiedener Molekül-Struktur wiederum einen sehr ähnlichen Geruch aufweisen. Die Arbeitsgruppe um Gerhard Buchbauer am Department für Pharmazeutische Chemie der Universität Wien synthetisierte in jahrelanger Arbeit eine Vielzahl von Duftstoffen aus dem ätherischen Vetiver- und vor allem Sandelholzöl, die kleine Veränderungen der Molekülstruktur aufwiesen, um zum Verständnis von Struktur-Geruchs-Beziehungen beizutragen. Zu allem Überfluss treten die meisten Gerüche auch nicht als einzelne Substanz auf, sondern als komplexe Mischung vieler verschiedener Duftstoffmoleküle, was es noch schwieriger macht, diesen Zusammenhang zu klären.

Doch kehren wir nach diesem kurzen Ausflug in die Chemie der Duftstoffe zum Thema zurück. Bei Säugetieren besteht das Riechsystem oder olfaktorische System aus mehreren Untereinheiten: dem trigeminalen System, dem eigentlichen olfaktorischen System, dem vomeronasalen System sowie einigen weiteren, die aber noch zu wenig charakterisiert wurden und zum Teil beim Menschen keine wesentliche Rolle spielen dürften.

DER »TASTSINN« IN DER NASE

DER NERVUS TRIGEMINUS, DER FÜNFTE HIRNNERV, besteht aus frei in der Nasenschleimhaut liegenden Nervenendigungen und vermittelt uns das Gefühl von Wärme, Kälte, Schmerz, Druck und Irritation. Er ist also kein Riechnerv, trägt aber zur Charakterisierung eines Dufts maßgeblich bei. Der kühlende Effekt des (–)-Menthols aus der Pfefferminze, der in hoher Konzentration übrigens in ein Hitzegefühl übergeht, ist ein klassisches Beispiel für einen stark auf den Trigeminus (trigeminal) wirkenden Duftstoff. Dieser Nerv versorgt das gesamte Gesicht und stellt so eine direkte Verbindung von scharfen Gerüchen und tränenden Augen dar. Reizt man ihn zu stark, wird ein Schutzreflex ausgelöst. Wenn wir die Nase zum Beispiel zu tief über eine Säure wie Essig stecken, ziehen wir reflexartig den Kopf zurück. Der Nerv steht zudem im Zusammenhang mit dem Zustand der Wachheit. Zu Zeiten, als Damen der feinen Gesellschaft ihre Oberkörper in enge Mieder steckten und deshalb gelegentlich in Ohnmacht fielen, hatte man immer ein Fläschchen »Riechsalz« bei sich. Dabei handelte es sich in der Regel um Ammoniumsalze, welche durch ihren beißenden Geruch rasch aus der Ohnmacht weckten, wenn man sie unter die Nase gehalten bekam.

Grundsätzlich scheinen alle Riechstoffe, wenn sie nur hoch genug konzentriert sind, zu einem gewissen Grad auch den Nervus trigeminus zu reizen, was dem Duft ein gewisses Prickeln verleiht.

DIE RIECHNERVEN – MIT NUR EINMAL UMSTEIGEN VON DER NASE INS GEHIRN

DAS OLFAKTORISCHE SYSTEM oder das Haupt-Riechsystem kann man als den eigentlichen Geruchssinn bezeichnen. Die Duftstoffmoleküle, die wir aus der Luft einatmen, gelangen durch die Nasenschleimhaut ins Riechepithel, also die Riechschleimhaut, eines spezialisierten Neuroepithel-Gewebes, das am oberen Ende der Nasenhöhle direkt unter der Siebbeinplatte liegt. In der Riechschleimhaut sitzen, eingebettet zwischen Stütz- und Basalzellen, Millionen von Riechneuronen, welche die herbeigeführten Duftstoffe wahrnehmen.

Nun, wie machen sie das? Die Riechneuronen sind langgestreckt – das eine ihrer Enden reicht in die Riechschleimhaut, wo es in einer Knolle endet. Von dieser breiten sich um die 12 Zilien, also feine, frei bewegliche Zellfortsätze, in der Riechschleimhaut aus und bilden die erste Kontaktstelle zu den Duftmolekülen, denn auf den Zilien sitzen die Riechrezeptoren. Das andere Ende der Riechneuronen verjüngt sich zu einem Axon – so nennt man den Ausläufer einer Nervenzelle –, welches sich mit bis zu 100 anderen Axonen von anderen Riechneuronen bündelt und durch eine der vielen kleinen Öffnungen in der Siebbeinplatte ins Gehirn tritt. Das bedeutet also: Ein Duftmolekül wird mit der Luft eingeatmet, durchdringt die Riechschleimhaut und dockt an die Riechrezeptoren auf den Zilien des Riechneurons an. Dadurch wird ein elektrisches Signal ausgelöst, denn die Duftmoleküle selbst bleiben natürlich in der Nase zurück. Das Signal aber läuft entlang des Riechneurons und von dessen Ausläufer, dem Axon, durch die Siebbeinplatte direkt in unser Gehirn. Das macht die Riechneuronen so einzigartig, denn sie stellen als einzige Neuronen eine direkte Verbindung zwischen Außenwelt und dem Gehirn dar! Sie sind zudem kurzlebig und werden ungefähr alle 40 Tage durch die Basal-Stammzellen erneuert. Auch das ist ungewöhnlich und liegt vermutlich daran, dass die Riechneuronen durch ihre Exposition mit der Umwelt Giften oder reizenden Substanzen ungeschützt ausgesetzt sind. Auf der anderen Seite der Siebbeinplatte vereinen sich noch weitere Axone, die durch andere Öffnungen ins Gehirn getreten sind, zum Riechnerv, dem ersten Hirnnerv, der in den Riechkolben führt.

Die Duftwahrnehmung beginnt also mit der Aktivierung der Riechneuronen. Bereits hier wird die Information über Identität, Qualität, Intensität und hedonische Valenz, also die »Angenehmheit«, des Geruchs aufgenommen und ist für jeden Duft spezifisch. Aber wie kann das bei derartig vielen möglichen Gerüchen funktionieren?

Es ist kompliziert, doch im Grunde ganz einfach: Die meisten Düfte bestehen aus mehreren unterschiedlichen Duftstoffmolekülen und aktivieren eine andere Art und Anzahl von Riechneuronen. Dieses Aktivierungsmuster ist für den speziellen Duft charak-teristisch wie ein Fingerabdruck. Der Schlüssel hierfür sind die Riechrezeptoren, die, wie bereits erwähnt, an den Zilien sitzen und von den Riechneuronen hergestellt (exprimiert) werden. Die Riechrezeptoren gehören zu der Familie der sogenannten G-Protein-gekoppelten Rezeptoren. Das sind biologische Rezeptoren in der Zellmembran, die Signale von bestimmten Proteinen (G-Protein) weitergeben. Sie stellen mit mehr als 1000 verschiedenen Mitgliedern die größte Proteinfamilie dar, man spricht daher von einer »Proteinsuperfamilie«. Und auch hier zeigt sich wieder, dass der Geruchssinn weitaus komplizierter ist als unsere übrigen Sinne. Denn unser Sehsystem benötigt nur drei verschiedene Typen dieser Rezeptorart, um Farben zu repräsentieren, der Geschmackssinn um die 40. Das humane Riechsystem hat circa 800 Rezeptorgene, von denen aber die Hälfte als funktionsunfähige »Pseudogene« vorliegt. Somit bleiben immer noch 400 Riechrezeptor-Typen, die in verschiedenen Zonen in der Riechschleimhaut verteilt gebildet werden! Das ist das Zehnfache des Geschmackssinns und mehr als das 100fache des Farb-Sehsinns! Einige Riechrezeptor-Typen sind überall in der Riechschleimhaut vertreten, andere wieder nur in bestimmten Zonen, wobei der Grund hierfür noch nicht genau geklärt ist. Die einzelnen Riechrezeptor-Typen unterscheiden sich zusätzlich in der Bandbreite der Substanzen, für die sie empfänglich sind. Manche Riechrezeptoren reagieren auf 50 verschiedene Molekülstrukturen, andere sind feiner eingestellt und antworten nur auf ein paar Verbindungen. Das bedeutet also, dass an einige Rezeptoren viele unterschiedliche Duftmoleküle andocken können, während andere nur ein paar ausgewählte an sich heranlassen. Steigt die Konzentration eines Duftstoffs, so werden zudem mehr bzw. andere Riechrezeptoren aktiviert. Auf diese Weise wird die Information über die Konzentration eines Dufts über ein ganz spezifisches Aktivierungsmuster der Riechrezeptoren bereits in der Riechschleimhaut entschlüsselt.

Sobald ein Duftstoff an den Riechrezeptor in den Zilien des Geruchsneurons gebunden wurde, tritt eine Signaltransduktionskaskade in Kraft, welche vereinfacht wie folgt abläuft: Der Riechrezeptor aktiviert sein zugehöriges G-Protein, zyklisches Adenosin-Monophosphat (cAMP) wird produziert, die Kalziumkanäle werden geöffnet, und der Einstrom von Kalzium und Natrium in die Zelle führt zu deren Depolarisation. Der Reiz verläuft entlang des Riechneurons und des Axons durch die Siebbeinplatte bis zu seinem synaptischen Ende im Riechkolben, wo schließlich ein Neurotransmitter freigesetzt wird, also ein biochemischer Botenstoff, der die Erregung der Nervenzelle auf eine andere überträgt. Diese Signalantwort des Riechrezeptors, also dessen Reaktion auf ein Duftmolekül, muss schnell gehen und auch wieder rasch ausgeschaltet werden, um für das nächste Duftstoffmolekül zur Verfügung zu stehen. Ein längerer Kontakt mit einem Duftstoff kann eine negative Regulation auslösen, die zu einer herabgesetzten Duftwahrnehmung führt, der sogenannten olfaktorischen Adaptation.

Sammelstelle Riechkolben

DER RIECHKOLBEN (BULBUS OLFACTORIUS) ist die erste Stelle, an der die Informationen über einen Duft aus der Nase verarbeitet werden. Er liegt als bilaterales, also beidseitiges Gebilde im Stirnlappen des Gehirns direkt über der Siebbeinplatte. Die Empfindlichkeit des Geruchssinns hängt wesentlich von der Intaktheit des Riechkolbens ab. Veränderungen, wie zum Beispiel Schrumpfungen oder Verletzungen in diesem Bereich, gehen mit einer Verringerung der Riechschärfe einher.

Der Riechkolben ist aus sechs Schichten aufgebaut, die alle unterschiedliche Neuronenarten aufweisen. Nach dem Freisetzen des Neurotransmitters in den synaptischen Spalt wird das Aktionspotential, das heißt die Erregung des Duftreizes, auf die Neuronen der Mitral- und Büschel- oder Pinselzellen des Riechkolbens übertragen. Die interessantesten anatomischen Gebilde im Riechkolben sind allerdings die Glomeruli (Glomeruli olfactorii), zu Deutsch »Knäulchen«, in der sogenannten Glomerula-Schicht. Sie sind die Schaltzentralen zwischen den Riechneuronen und den Mitral- und Büschelzellen. Wir Menschen besitzen vermutlich gut 5000 dieser Nervenknäuel. Jetzt wird es wieder etwas komplizierter: Obwohl die verschiedenen Riechrezeptor-Typen, wie wir ja gehört haben, mehr oder weniger verstreut in den verschiedenen Zonen der Riechschleimhaut liegen, laufen alle Riechneuronen von einem bestimmten Riechrezeptor-Typ zu einigen wenigen bestimmten Glomeruli zusammen. Es gibt also zu jedem Riechrezeptor-Typ ein paar spezifische Glomeruli, zu denen die Duftinformation gelangt.

Da ein Duft, wie weiter oben bereits erwähnt, immer ein bestimmtes Muster von Riechrezeptoren aktiviert, führt das in weiterer Folge auch zu einem spezifischen Aktivierungsmuster von Glomeruli im Riechkolben. Mit Buchstaben lässt sich das vielleicht besser veranschaulichen: Man stelle sich ein Duftmolekül vor. Seine chemische Struktur muss ja aus einem hydrophilen und einem hydrophoben Teil bestehen, wie wir schon weiter oben diskutiert haben. Der hydrophobe Teil ist jener, der mit dem Rezeptor in Wechselwirkung tritt. Diese Teilstruktur entspräche in unserer Vorstellung einem Buchstaben, zum Beispiel A. Auf den Zilien des einen Riechneurons sitzen die Rezeptoren für A, und unser Buchstabenmolekül reagiert mit diesem Rezeptor. Andere Rezeptoren sind auf Moleküle mit der Struktur B spezialisiert, und so fort. Das gesamte Alphabet kann also wild verstreut in der Riechschleimhaut an den jeweils für den Buchstaben spezifischen Rezeptor andocken. Die Neuronen und Axone von A laufen mit Axonen anderer Buchstaben-Rezeptoren gebündelt durch verschiedene Löcher in der Siebbeinplatte ins Gehirn, von wo sie auch gesammelt über den Riechnerv in den Riechkolben gelangen. Dort trennen sie sich dann aber von den übrigen Buchstaben-Axonen und sammeln sich nur in den Glomeruli für A. Die von B kommen in den B-Glomeruli zusammen. Der Reiz des Dufts aus den Duftmolekülen ABC gelangt also in die Glomeruli A, B und C, der Duft XYZ aktiviert hingegen die Glomeruli X, Y und Z. Düfte, die ein ähnliches Aktivierungsmuster hervorrufen, also zum Teil dieselben Glomeruli aktivieren, riechen ähnlich. Oder anders ausgedrückt: Je stärker sich Duftstoffe in ihrem Aktivierungsmuster unterscheiden, desto unterschiedlicher wird auch die Qualität ihres Dufts sein. In unserem Buchstaben-Beispiel würden die beiden Gerüche ABC und XYZ komplett anders riechen, denn sie aktivieren völlig unterschiedliche Glomeruli. Die Düfte ABC, BCD oder ABCD hingegen würden sich ähneln, sie weisen ein ähnliches Aktivierungsmuster auf.

Aus den Glomeruli im Riechkolben wird die Duftinformation entlang des sogenannten Tractus olfactorius lateralis, der seitlichen Riechbahn, schließlich zum Riechhirn weitergeleitet.

DER WEG DER GERÜCHE VOM RIECHKOLBEN ZU HÖHEREN HIRNZENTREN

DASS HIRNFORSCHER HEUTE so genau Bescheid wissen, wie Gerüche im Zentralnervensystem verarbeitet werden, haben sie auch dem technischen Fortschritt zu verdanken. Die Neurowissenschaftlerinnen früherer Zeiten gewannen ihre Erkenntnisse überwiegend dadurch, dass sie anatomische Präparate zerschnitten und auf diese Weise erkennen konnten, wie die einzelnen Teile des Gehirns miteinander verbunden sind. Durch die Entdeckung der Elektroenzephalographie (EEG) und später der sogenannten bildgebenden Verfahren, insbesondere der Positronenemissionstomographie (PET) und der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT), bot sich erstmals die Möglichkeit, dem lebenden Gehirn beim Arbeiten zuzusehen. Bei den beiden letztgenannten Verfahren geht man davon aus, dass die Aktivität der Nervenzellen im Gehirn mit seiner Durchblutung in einem engen Zusammenhang steht. Damit Neuronen aktiv sein, also einen elektrischen Impuls generieren und weiterleiten können, müssen sie mit Energie in Form von Glucose (Zucker) und Sauerstoff versorgt werden. Diese Nahrung wird mit dem Blut in das Gehirn transportiert. Es liegt daher der Schluss nahe, dass Regionen, die stärker aktiv sind, auch vermehrt Energie verbrauchen und daher kurzfristig stärker durchblutet werden. Während mit Hilfe von PET direkt der Zuckerverbrauch einzelner Gehirnareale gemessen werden kann, erfasst fMRT die Menge an sauerstoffreichem Blut, das dorthin transportiert wird.

Die Riechbahn – der Duft-Highway durchs Gehirn

DIE RIECHNERVENFASERN ZIEHEN VOM RIECHEPITHEL durch die Siebbeinplatte zum Riechkolben. Dort werden sie auf die Nervenzellen des Riechkolbens umgeschaltet. Die Nase ist also nur durch eine einzige Synapse, den winzigen Spalt zwischen zwei Nervenzellen, vom Gehirn getrennt! Das ist außergewöhnlich und kommt bei keinem anderen Sinnessystem vor. Das olfaktorische System verfügt aber noch über zwei weitere wichtige Besonderheiten: Erstens sendet der Riechkolben jeder Gehirnhälfte die Duftinformation auf derselben Gehirnseite zum überwiegenden Teil an die übergeordneten, kortikalen Geruchszentren weiter. Das heißt, die Nervenstränge aus dem linken Riechkolben ziehen überwiegend in die linke Großhirnrinde, jene aus dem rechten Riechkolben hauptsächlich in die rechte. Im Gegensatz dazu überkreuzen sich die Nervenbahnen bei allen anderen Sinnen, es gelangt also zum Beispiel das Bild des linken Auges in die Sehrinde der rechten Gehirnhälfte und umgekehrt. Zweitens erreicht die Geruchsinformation die Großhirnrinde, auch ohne dass sie zuerst in den Thalamus3 geleitet wird. Bei allen anderen Sinnen werden die eintreffenden Signale zuerst im Thalamus auf ihre Wichtigkeit hin überprüft und dann erst an den Kortex weiterverteilt. Beim Riechen hingegen gibt es neben diesem Weg auch direkte Verbindungen zwischen dem Riechkolben und der Großhirnrinde. Aufgrund dieser fehlenden Kontrolle durch den Thalamus können Geruchsinformationen auch unbewusst verarbeitet werden.

ABBILDUNG 1: Die zentrale Verarbeitung der Geruchsinformation beginnt eigentlich bereits im Riechkolben (Bulbus olfactorius), der laut Jessica Albrecht und Martin Wiesmann von der Ludwig-Maximilians-Universität in München ein Teil des sogenannten Paläokortex, des ältesten Teils der Großhirnrinde, ist. Die Abbildung zeigt die vielfältigen Verbindungen zwischen den einzelnenTeilgebieten des Riechnetzwerkes im Gehirn (nach Heuberger, 2013). Viele Teile des olfaktorischen Netzwerkes haben auch außerhalb der Geruchswahrnehmung (hellgrau) eine wichtige Aufgabe, vor allem bei der Verarbeitung von Emotionen (dunkelgrau), dem Speichern von Gedächtnisinhalten (schraffiert) und dem Filtern und Bewerten von Reizen (schwarz). VOK: Vorderer olfaktorischer Kern (Nucleus olfactorius anterior).

Obwohl Geruchsinformationen, wie bereits erwähnt, überwiegend ipsilateral, also auf derselben Seite, wo sie eintreffen, verarbeitet werden, gelangt ein Teil der Nervenfasern auch in die gegenüberliegende, kontralaterale Gehirnhälfte. Für diese Umleitung auf die Gegenseite ist in erster Linie der Nucleus olfactorius anterior, also der vordere olfaktorische Kern, verantwortlich, den es in jeder Gehirnhälfte gibt. Die beiden Kerne leiten die Geruchsinformation von einer Gehirnhälfte in die andere und ermöglichen damit den Ver- und Abgleich zwischen der Geruchsinformation, die ins rechte, und derjenigen, die ins linke Nasenloch gelangt. Das ist insofern wichtig, als nur so ein vollständiges »Geruchsbild« entsteht, die Flussrate in jedem Nasenloch unterliegt nämlich zyklischen Schwankungen. So strömt einmal mehr Luft durch das linke, dann wieder durch das rechte Nasenloch. Man bezeichnet dieses Phänomen als Nasenzyklus. Dieser wird durch ein geringes An- und Abschwellen der Nebenhöhlen auf einer Nasenseite verursacht. Dabei wechseln sich die linke und die rechte Seite im Schnitt alle ein bis zwei Stunden ab. Eine Funktion dieses Nasenzyklus ist es laut Forschern von der kalifornischen Stanford-Universität, dass allen Duftstoffen ausreichend Zeit für das Andocken an die Riechrezeptoren verschafft wird. Manchen Molekülen gelingt diese Bindung in kurzer Zeit, andere brauchen dazu etwas länger. Die unterschiedlichen Geschwindigkeiten garantieren, dass langsame wie schnelle Moleküle an ihren jeweiligen Rezeptoren andocken können. So erst bekommen wir einen umfassenden Eindruck von unserer Geruchsumgebung.

Der piriforme Kortex bringt Ordnung ins Duft-Chaos

VOM RIECHKOLBEN GELANGT DIE GERUCHSINFORMATION zum piriformen (birnenförmigen) Kortex. Dieser kleine Teil der Großhirnrinde, der an der Unterseite des Stirnlappens liegt und wie der Riechkolben zum Paläokortex zählt, also zum ältesten Teil der Hirnrinde, ist ein äußerst interessantes Gebiet. Der piriforme Kortex gliedert sich in einen vorderen und einen hinteren Teil. Man nimmt an, dass der vordere Teil der Geruchsidentifikation, der hintere Teil dagegen eher der Geruchsklassifizierung dient. Im vorderen Teil wird also ermittelt, ob ein Geruch zum Beispiel von einer Orange oder einer Rose stammt, während der hintere Teil den Geruch in fruchtig, blumig oder eine andere Kategorie einsortiert.

Dem piriformen Kortex werden darüber hinaus aber auch noch andere Aufgaben zugeschrieben. So soll er dafür sorgen, dass unwichtige Geruchsinformationen, sozusagen das olfaktorische Hintergrundrauschen, ausgeblendet werden, damit herausstechenden Gerüchen mehr Aufmerksamkeit zukommt. Außerdem dürfte er auch mit dem Gedächtnis in Verbindung stehen, sodass neu eintreffende Geruchsinformationen mit bereits im Gedächtnis abgespeicherten Erinnerungen an Gerüche verglichen oder dorthin weitergeleitet werden können. So können (neue) Geruchseindrücke zusammen mit ihrer Bedeutung im Gedächtnis abgelegt und bei Bedarf abgerufen werden. Daraus folgt, dass der piriforme Kortex an der Geruchsidentifikation, dem Unterscheiden von Gerüchen und dem Geruchsgedächtnis beteiligt ist.

Der orbitofrontale Kortex – die Schnittstelle zwischen Riechen und Verhalten

VOM PIRIFORMEN KORTEX AUS laufen die olfaktorischen Nervenverbindungen weiter zum orbitofrontalen Kortex. Dieser Teil der Großhirnrinde zählt zum sogenannten Neokortex, also zum neueren Teil der Hirnrinde. Er liegt an der vorderen Unterseite des Stirnlappens über den Augenhöhlen (Orbitae) und wird zum Stirnhirn gezählt. Erstaunlicherweise erreicht die Geruchsinformation aus dem piriformen Kortex den orbitofrontalen Kortex auf zwei Wegen: einmal direkt und einmal indirekt über den Thalamus. Es ist allerdings noch nicht geklärt, wozu diese duale Verbindung genau dient. Jedenfalls werden die direkten Verbindungen zwischen dem piriformen und dem orbitofrontalen Kortex auch mit Informationen aus anderen Sinnessystemen und aus den inneren Organen verschaltet.

So beeinflussen diese Hinweise die Aktivität des orbitofrontalen Kortex. In dem Experiment der Forscherinnen aus Oxford, in dem die Versuchspersonen bis zur Sättigung Schokoladenmilch tranken (s. S. 15