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Rise & Doom 1: Prinzessin der blutroten Wüste E-Book

Ina Taus

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Beschreibung

**Eine rebellische Prinzessin auf der Suche nach ihrem eigenen Weg** Red Desert ist ein karges Land, in dem die Menschen ein einfaches Dasein fristen, während der König im Luxus lebt. Selbst seine Tochter Rise wächst mit strengen Regeln auf und durfte in ihrem Leben noch nie das Schloss verlassen. An ihrem siebzehnten Geburtstag erfährt Rise dann, dass sie mit dem Prinzen der Vampire verheiratet werden soll, um den wackeligen Frieden mit ihnen zu sichern. Aber Rise hat lange genug Gehorsam geleistet. Sie beschließt, endlich ihren eigenen Weg zu suchen – und begegnet dabei einem mysteriösen Gesandten aus dem Reich der Vampire… //Alle Bände der bittersüßen Fantasy-Trilogie bei Impress:   -- Rise & Doom 1: Prinzessin der blutroten Wüste  -- Rise & Doom 2: Prinz unter dem blutroten Mond   -- Rise & Doom 3: Königin des blutroten Throns// Diese Reihe ist abgeschlossen.

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Ina Taus

Rise & Doom 1: Prinzessin der blutroten Wüste

**Eine rebellische Prinzessin auf der Suche nach ihrem eigenen Weg** Red Desert ist ein karges Land, in dem die Menschen ein einfaches Dasein fristen, während der König im Luxus lebt. Selbst seine Tochter Rise wächst mit strengen Regeln auf und durfte in ihrem Leben noch nie das Schloss verlassen. An ihrem siebzehnten Geburtstag erfährt Rise dann, dass sie mit dem Prinzen der Vampire verheiratet werden soll, um den wackeligen Frieden mit ihnen zu sichern. Aber Rise hat lange genug Gehorsam geleistet. Sie beschließt, endlich ihren eigenen Weg zu suchen – und begegnet dabei einem mysteriösen Gesandten aus dem Reich der Vampire …

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Vita

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© privat

Ina Taus wurde 1986 geboren und lebt mit ihrem Mann und ihren Kindern in Niederösterreich. Wenn sie nicht gerade als Sachbearbeiterin mit Zahlen jongliert, lässt sie die Buchstaben tanzen und bringt die vielen Ideen, die ihr im Kopf herumschwirren, zu Papier. Bereits als Kind steckte sie ihre Nase am liebsten in Bücher und war eine große Geschichtenerzählerin. Mit »Bandstorys« veröffentlichte sie ihren Debütroman bei Impress.

Für meine beiden Töchter.

Und für alle, die mit uns nach Nimmerland fliegen möchten.

Ein Kind zu bleiben ist keine Frage des Alters,

sondern hängt von der Bereitschaft ab,

weiterhin Regenbögen zu fangen und nach

dem Zugang zu verborgenen Welten zu suchen.

Prolog

Die Landkarte, vor der die Hexe mit schräg gelegtem Kopf stand, nahm fast die ganze Wand ein. Sie ließ ihren Blick über die Kontinente schweifen, die bereits seit einem knappen Jahrhundert neue Namen trugen. Fast sah es so aus, als hätte man mit aller Macht das Alte vergessen und Platz für Neues schaffen wollen.

Die Hexe schloss für den Bruchteil einer Sekunde die Augen, sah das Licht jedes Lebewesens auf Erden wie eine tanzende Flamme.

Sah die Vergangenheit.

Die Gegenwart.

Die Zukunft.

Jahrtausendelang hatte sie den Dingen ihren Lauf und allen den freien Willen gelassen. Egal ob Feenwesen, Werwolf, Vampir, Dämon oder Mensch – sie alle hatten selbst bestimmen dürfen.

Jetzt aber sah sie besorgt auf die Karte. Es waren dieselben Kontinente wie schon seit Tausenden von Jahren – und doch hatte sich viel verändert. Die Kreaturen, von denen jeder bereits gehört, sie aber immer für Märchenfiguren gehalten hatte, waren aus dem Verborgenen ins Licht getreten. Die Regierungen der Menschen hörten auf Krieg gegeneinander zu führen und wandten sich stattdessen gemeinsam gegen jene, von denen sie nicht wussten, wie sie sie bekämpfen sollten.

Nicht alle Menschen waren mit dem Kampf gegen die Verborgenen einverstanden, immer mehr Sympathisanten stellten sich auf deren Seite.

Nur ein hartnäckiger kleiner Teil der Menschheit schaffte es, unabhängig zu bleiben. Sie waren nach Australien geflüchtet, das bald darauf den Namen Red Desert trug. Es wurde erzählt, dass der blutrote Sand im Inneren des Kontinents seine Farbe durch Tausende erloschene Menschenleben bekommen hatte, die der selbsternannte König auf dem Gewissen hatte …

Spielerisch wanderten die Finger der Hexe über die Landkarte. Stoppten über dem alten Europa.

Red Ancient.

Red Desert.

Zwei Kontinente, ähnliche Namen. Und doch unterschieden sie sich wie Tag und Nacht voneinander.

Wie Mensch und Vampir.

Ein weiteres Mal schloss sie ihre Augen, auf der Suche nach den Flammen, die am hellsten unter dem Firmament leuchten würden.

Die Geburt derjenigen lag in ferner Zukunft, doch in der Hexe reifte ein Plan. Eine Möglichkeit, wie sie die Welt davor bewahren konnte, in ihre Einzelteile zu zerfallen, ohne ihren Bewohnern den freien Willen zu nehmen.

Zumindest … fast.

Kapitel 1

Rise

»Rise, du wirst den Prinzen von Red Ancient heiraten.«

Die Worte meines Vaters hallen immer noch in meinem Kopf nach. Den Blick fest auf den Hinterkopf meiner persönlichen Wache Nadeen gerichtet folge ich ihr in Richtung meiner Gemächer. Wie immer hat sie ihre blonden Haare zu einem strengen Dutt nach oben gedreht, der sich keinen Millimeter zur Seite bewegt. Nicht einmal bei dem mörderischen Tempo, das sie vorgibt. Neben ihr komme ich mir mit meinen braunen Haaren, die ich wie immer offen trage, richtiggehend unfrisiert vor.

In Anbetracht der Worte meines Vaters ist dies aber auch nicht wichtig …

Ich raffe meine Röcke in der Hoffnung, ihr so besser folgen zu können. Das gehört sich zwar nicht für eine Prinzessin, doch das Schloss wirkt wie ausgestorben, also sieht mich bestimmt niemand. Kein einziger Bediensteter hat unseren Weg gekreuzt, seitdem wir das Speisezimmer verlassen haben.

Eigentlich wäre heute ein Tag zum Feiern …

Traurig schüttle ich meinen Kopf. Meinen siebzehnten Geburtstag habe ich mir definitiv anders vorgestellt. Natürlich habe ich keine Party oder überschwängliche Geburtstagswünsche zu meinem Ehrentag erwartet, nur den einen oder anderen Schlossbewohner, der mir heimlich zunickt. Vielleicht sogar eine Torte, die ich gemeinsam mit meinem Bruder verspeise. Ich wäre mit allem zurechtgekommen. Nur nicht mit einer arrangierten Zwangsehe.

Seit der König die Worte ausgesprochen hat, wandern unaufhörlich Schauder über meinen Rücken. Der Prinz Red Ancients … einer unserer Feinde!

Bereits seit über einem Jahrhundert leben die Menschen in meiner Heimat abgeschottet vom Rest der Welt. Niemand kommt in unser Land. Und niemand verlässt es. Nicht, seit ein Krieg die Welt verändert und sich die Menschheit neu formiert hat. Die Verborgenen – Wesen wie Vampire, Werwölfe, Dämonen oder Hexen – wollten nicht länger ein Leben in der Dunkelheit, fernab von uns Menschen, führen. Sie haben für ihr Recht gekämpft, dass die Erde zukünftig nicht nur von uns Menschen regiert wird, sondern auch von ihnen. Und gewonnen.

Der Teil der Bevölkerung, der sich nicht von den Verborgenen unterjochen lassen wollte, hat Australien, das heutige Red Desert, für sich beansprucht. Sich verschanzt. Sich ein neues Leben aufgebaut. Die Verborgenen zu ihren Feinden erklärt.

Und nun soll ausgerechnet ich einen Vampir … heiraten.

Ein angewidertes Schnauben verlässt meinen Mund, während meine Finger über den weißen Kalkstein tanzen, aus dem das Schloss erbaut wurde. Immer weiter lasse ich die Fingerspitzen über den Stein wandern, bis sie den prunkvollen Wandteppich erreichen, der den sonst so kahlen Weg zu meinen Gemächern schmückt. Sofort bleibe ich stehen, kann den Blick nicht mehr abwenden. Alle Kontinente sind dort abgebildet.

»Rise, kommst du?«, will Nadeen wissen und ich zwinge mich dazu, sie kurz anzusehen, ehe ich meinen Blick wieder dem Wandteppich zuwende.

Statt weiterzugehen oder zu antworten, frage ich: »Die Vampire haben das ehemalige Europa für sich beansprucht, oder?« Ich hätte nicht fragen müssen, da ich genau weiß, dass sie sich dort niedergelassen haben. Das weiße Schloss verfügt über eine große – veraltete – Bibliothek, in der man alles über die alte Zeit, aber auch über den Wandel der Welt lesen kann.

Ich weiß, dass es auch Leben außerhalb von Red Desert gibt, doch ich finde es plötzlich … unvorstellbar. Ich kenne nicht einmal ein Leben außerhalb der Schlossmauern.

Nadeen räuspert sich. »Ja. Red Ancient entspricht ungefähr dem Gebiet des ehemaligen Europa. Wieso fragst du?«

Ich beiße mir auf die Unterlippe. »Weißt du das denn nicht?«

Dass sie den Blick abwendet und zur Seite sieht, ist mir Antwort genug. »Wieso hast du mich nicht vorgewarnt?« Meine Stimme klingt vorwurfsvoll. Zu Recht. Immerhin dachte ich, dass Nadeen für mich mehr als eine Wache sei. Eine Freundin … Doch vermutlich habe ich mich getäuscht.

Nadeen überwindet die Distanz, die ich wegen meines Anhaltens zwischen uns geschaffen habe, und stellt sich neben mich. Sie sieht den Wandteppich an, als sie mir antwortet: »Ich habe es auch eben erst erfahren.« Beinahe in Zeitlupe streckt sie sich und legt ihre Hand auf Europa. »Red Ancient ist weit weg.« Danach fährt sie mit ihrer Hand nach rechts zum ehemaligen Asien. »Zuerst musst du durch ganz Wideland, dann übers Meer und erst dann wärst du wieder daheim.«

Innerlich verdrehe ich meine Augen. Ein Zuhause ist mehr als der Ort, an dem man lebt. Es ist der Platz, an dem die Menschen sind, die man liebt.

Von dem Gedanken, dass mein Vater und ich eine Bindung zueinander aufbauen könnten, habe ich mich bereits seit Jahren verabschiedet. Selbst wenn ich noch einen Funken Hoffnung in mir hatte, wurde dieser heute abgetötet. Die traurige Wahrheit ist, dass es nur drei Personen gibt, die ich wirklich vermissen werde, wenn ich nach Red Ancient gehe. Meinen Bruder Madoc. Und meine zwei Wachen: Nadeen und Zeak. Wobei ich mir bei den letzten beiden nicht sicher bin, ob es ihnen genauso gehen würde.

Ich zwinge mich Nadeen anzusehen. Nein! Besonders traurig wirkt sie nicht darüber, dass ich das Königsschloss und damit auch die Königsstadt Whitecastle verlassen werde.

Nachdenklich sieht Nadeen mich an, öffnet ihren Mund und schließt ihn wieder, ehe sie sich doch entschließt etwas zu sagen: »Wie hat dein Bruder reagiert?«

Ein trauriges Lächeln stiehlt sich auf mein Gesicht. »Der übliche Wutanfall.« Zerschmetterte Teller. Kaputte Stühle. Die ganz normale Verwüstung.

Eigentlich hätte das meine Reaktion auf diese Neuigkeit sein sollen, nicht seine. Doch das hätte nicht zu mir gepasst. Zwei cholerische Königskinder würde der König bestimmt nicht tolerieren. Wobei sich mein Bruder in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Selbstbeherrschung antrainiert hat, die nur selten Risse bekommt.

»Wo ist er jetzt?«, möchte Nadeen wissen.

Ich zucke mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Du hast doch gesehen, wie er überstürzt den Speisesaal verlassen hat.«

Wieder wende ich mich der Landkarte zu. Es ist fast so, als würde sie mich verspotten. Sobald ich in Red Ancient lebe, werde ich von den Verborgenen umzingelt sein. In meiner neuen Heimat der Vampire. Unterhalb von Europa liegt Black Desert, das ehemalige Afrika, wo die Dämonen leben. Links, nur durch den nordatlantischen Ozean getrennt, befindet sich Northern Land, das Herrschaftsgebiet der Werwölfe. Auf der rechten Seite das der Hexen von Wideland.

»Ich werde umzingelt sein«, flüstere ich.

Mit einem »Wir gehen« gibt mir Nadeen zu verstehen, dass unser Gespräch beendet ist. Mit hängendem Kopf folge ich ihr. Im Normalfall würde ich sie bitten mich zur Bibliothek statt zu meinen Gemächern zu bringen. Doch mir ist klar, dass ich mich auf kein Buch der Welt konzentrieren könnte, solange immer wieder der Satz »Du musst den Prinzen von Red Ancient heiraten« durch meinen Kopf geistert.

Vor meinem Gemach nickt Nadeen meiner zweiten Wache Zeak kurz zu, der in einem Stuhl lümmelt. Als er mich sieht, erhebt er sich, so wie die Etikette es verlangt, und neigt kurz seinen Kopf. Ich nehme einen tiefen Atemzug und beobachte, wie Nadeen den Code in das Bedienfeld neben der Tür eingibt, um sie zu öffnen. Hier im Schloss gibt es sehr viel Technik, doch mein Vater versucht sie so gut wie möglich zu verbergen, damit es keine Aufstände seiner Untertanen gibt. Jeden Abend, wenn die Straßenlaternen entzündet werden, wird auch das Schloss durch zahlreiche Kerzen und Fackeln erhellt. Ich weiß, dass es in den Bereichen, die die Soldaten bewohnen, Computer, elektrisches Licht und anderen technischen Schnickschnack gibt, habe also ein paar mehr Informationen als der Rest der Bevölkerung, der jeden Abend Feuer machen muss, um ein warmes Essen auf den Tisch zu bekommen.

Nadeen flucht laut, als sie den Code ein zweites Mal falsch eingibt.

Sofort ist Zeak zur Stelle: »Kann ich dir helfen?« Im Normalfall agiert Nadeen wie ein Roboter und tippt die Zahlen nahezu blind ein. Dass sie heute neben sich steht, beunruhigt mich. Denn sie ist in allem, was sie tut, absolut perfekt und korrekt. Anders als Zeak, der mir sehr viele Freiheiten lässt. Ich würde Nadeen ebenfalls gerne helfen, doch leider kenne ich den neuen, wöchentlich wechselnden Code selbst noch nicht.

Nadeen wirft Zeak einen kurzen Blick über ihre Schulter zu. »Danke, ich schaffe das schon.« Ihre Stimme klingt nicht so förmlich wie ihre Worte, denn man hört die Frustration deutlich darin mitschwingen. Bei ihrem dritten Versuch ist Nadeen so wütend, dass sie nicht einmal bemerkt, dass ich über ihre Schulter spähe.

2213

Da mir mein Bruder oder Zeak im Normalfall die immer wechselnden Zahlen verraten, schäme ich mich nicht dafür, dass auch Zeak mitbekommt, wie ich mir die neue Kombination einpräge. Auch wenn ich sie nicht dazu benötige, aus meinem Zimmer hinauszukommen, so brauche ich sie doch, damit ich wieder hineinkomme. Zeak begleitet mich nachts oft in den Schlossgarten und sieht keinen Grund, warum ich meine Tür nicht selbst öffnen sollte, wenn wir uns wieder zurückschleichen. Manchmal lässt er mich sogar allein losziehen und ist bei meiner Rückkehr noch im Schloss unterwegs. Und ich bin ihm mehr als dankbar, dass er mir einige Stunden in Freiheit schenkt. Unter den Sternen kann ich mich in dem Gefühl verlieren, dass ich keine Gefangene in meinem eigenen Zuhause bin, auch wenn ich mich dabei selbst belüge.

Jahrelang habe ich mir gewünscht eines Tages nach draußen zu können, um am Leben außerhalb der Schlossmauern teilzunehmen. Hätte ich gewusst, dass sich mein Wunsch irgendwann erfüllt – allerdings ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe –, hätte ich mich mit meinem bisherigen Leben abgefunden.

Leider kann ich mich jedoch ganz und gar nicht damit abfinden, dass ich mit einem Vampir verheiratet werden soll, einem Wesen, vor dem man sich fürchten muss und vor dem ich mein ganzes Leben lang gewarnt wurde. Zwar tobe ich nicht wie mein Bruder, dafür fühle ich mich innerlich taub. Und noch passiver als sonst, obwohl die Gedanken unaufhörlich in meinem Kopf herumwirbeln. Auf Außenstehende wirke ich bestimmt, als würde ich mich stumm der Anweisung meines Vaters fügen, aber ich denke nicht, dass ich das so einfach kann.

»Endlich«, seufzt Nadeen, als sich die Tür mit einem leisen Piepton öffnet. Sie winkt mich an sich vorbei in den Raum. Anstatt aber wie sonst draußen vor der Türe zu bleiben, folgt sie mir und schließt sie hinter sich. Zeak soll anscheinend nicht hören, was sie mir zu sagen hat.

Mein Zimmer ist nicht so groß wie das von Madoc und nicht besonders pompös ausgestattet. Ich würde sogar so weit gehen und den quadratischen Raum als karg bezeichnen. Außer einem großen Bett, einem Schrank für meine Kleider, einem Schreibtisch, auf dem sich meine unzähligen Bücher stapeln, und einer kleinen Waschnische, in der ich mich morgens und abends erfrische, gibt es nicht viel zu sehen.

»Alles in Ordnung?«, fragt sie und sieht mir forschend in die braunen Augen.

Nein. »Ja, alles ist gut«, antworte ich ausweichend.

Ich mache einen Schritt auf Nadeen zu und umarme sie kurz. Etwas, das ich sonst nie tue. Würde uns in diesem Moment jemand beobachten, gäben wir ein eigenartiges Bild ab. Meine blonde Leibwächterin in der militärischen Uniform ist das absolute Gegenteil von mir, der um einen Kopf kleineren Prinzessin mit den braunen Haaren und dem altrosa Kleid. Nadeen kommt mir immer so stark vor und das liegt nicht an ihrem athletischen Körper, sondern an ihrer Ausstrahlung. Ich hingegen schaffe es nicht einmal, mich gegenüber meinem Vater zu behaupten.

»Ich bin nicht der Typ Frau, der dir den Rücken tätschelt oder dich in den Arm nimmt, wenn du dich schlecht fühlst«, murmelt sie, nachdem wir uns voneinander gelöst haben. Resigniert zuckt sie mit den Schultern. »Aber wenn du Bedenken wegen der Hochzeit hast, dann sag es mir. Ich werde dich nicht einfach so in dein Unglück laufen lassen.« Perplex starre ich sie an. Hat sie mir gerade angeboten mir zu helfen? Sich gegen die Anweisungen meines Vaters zu stellen oder habe ich mich verhört?

Sie nickt mir zu und wendet sich ab, bleibt aber im Türrahmen noch einmal stehen. »Und, Rise?«

»Ja?«

»Alles Gute zum Geburtstag.« Mit diesen Worten verlässt sie mein Zimmer.

Seufzend gehe ich auf die breite Fensterbank zu, die ich mir mit Kissen bequemer gemacht habe, und greife nach meinem abgegriffenen Lieblingsbuch. Rapunzel. Ich wünschte, zu mir würde ebenfalls ein Prinz kommen, der mich in sein Schloss mitnimmt. Am besten einer, der kein Vampir ist und mich nicht heiraten will.

Kapitel 2

Rise

Frustriert werfe ich das Buch zur Seite. Ich konnte keine einzige Seite lesen. Nervös sehe ich mich in meinem Zimmer um, denn nur noch ein einziger Gedanke beherrscht meinen Kopf: Ich muss von hier weg, denn ich kann keinen Verborgenen heiraten. Keinen Vampir. Keinen Werwolf. Keinen Hexer. Keinen Dämon. Es geht nicht.

Mein ganzes Leben wurde mir eingetrichtert, dass die verborgenen Kreaturen anders sind. Dass sie böse sind. Jetzt wird von mir verlangt, dass ich mich opfere. Und das nur für das Wohl meines Volkes …

Und das ist genau der Punkt, an dem meine rasenden Gedanken ins Stocken kommen. Wenn ich gehe, tue ich es für die Menschen Red Deserts. Sie könnten weiterhin in Frieden leben – und möglicherweise ist es genau das, was sie brauchen. Wenn niemand mehr Angst vor Angriffen haben müsste, bräuchte man weniger Soldaten an der Küste. Vielleicht könnten genau diese Soldaten dazu eingesetzt werden, dem Kontinent wieder zu seiner vollen Blüte zu verhelfen. Wir müssten uns nicht mehr in der kargen Wüste zusammenrotten, sondern könnten versuchen die Küstenmetropolen wieder aufleben zu lassen. Falls mein Vater den Menschen überhaupt die Möglichkeit gibt, zurück an die Küste zu siedeln. Dort Ackerwirtschaft zu betreiben … Es gäbe so viele Möglichkeiten – aber nur, wenn ich nach Red Ancient gehe.

Ungeduldig rüttle ich am Griff zu meiner Balkontür, obwohl mir klar ist, dass es keinen Sinn macht. Sie ist verschlossen. So wie immer.

Mit wenigen Schritten durchquere ich mein Zimmer und reiße die Tür auf. Zeak, der Wache hält, zuckt nicht einmal mit der Wimper, als ich mich gegen die Wand lehne und ihn ansehe. Möglicherweise, weil es eine Zeit gab, in der ich meinen Blick kaum von ihm abwenden konnte. Er ist einen Kopf größer als ich – was bei meiner Größe von knapp einem Meter sechzig nicht besonders schwer ist –, hat fast rabenschwarze Haare und steingraue Augen. Es gibt nicht viele Wachen im Schloss, die so jung sind wie er. Ausgenommen Nadeen. Soweit ich weiß, sind sie gleich alt. Beide zweiundzwanzig.

Vielleicht ist es dumm, doch ich vergleiche Zeak gerne mit den Helden aus den Romanen, die ich lese. Leider musste ich in den letzten Jahren feststellen, dass Zeak alles andere als ein Held ist. Ein Draufgänger, der mir mehr Freiheiten lässt, als es dem König lieb ist? Definitiv. Doch heldenhaft genug, um seinem König die Stirn zu bieten? Nicht wirklich.

Fragend neigt Zeak seinen Kopf, sodass ihm eine schwarze Haarsträhne vor die Augen fällt, die er beiläufig zur Seite streicht. »Wie kann ich dir helfen, Rise?«

Ich bin froh, dass er es nach den drei Jahren, in denen er mich nun beschützt, endlich schafft, mich bei meinem Vornamen zu nennen. Ich hätte nicht gedacht, dass er das jemals hinbekommen würde.

»Ich würde gerne auf den Balkon.« Meine Stimme klingt kleinlaut, denn ich weiß, dass ich nicht nach draußen soll. Zeak hat schon oft über diese Regel hinweggesehen, also besteht auch die Chance, dass er es heute tut.

Sofort verzieht er das Gesicht, als hätte er Schmerzen. »Du weißt, dass König Isaac nicht möchte, dass du vor die Tür gehst.«

Ja, das weiß ich allerdings, denn mein ganzes Leben wurden mir die Worte »Verlass nie die schützenden Mauern des Schlosses« eingebläut. Mir entgeht nicht die Ironie, dass es nun mein Vater ist, der mich dazu zwingen möchte, mein altes Leben hinter mir zu lassen.

Zeak sieht mich abwartend an. Offensichtlich hofft er darauf, dass ich den Kopf einziehe und wieder zurück in mein Zimmer schleiche. Manchmal tue ich das, weil ich ihm keinen Ärger bereiten möchte. Heute nicht …

Mit einem Seufzen lege ich meinen Kopf schief. »Ich weiß, dass du nur den Anweisungen meines Vaters folgst. Und wir können gerne noch ein wenig diskutieren, aber ich stehe in spätestens zwanzig Minuten draußen, da ich nicht nachgeben werde.«

Ich zwinkere ihm zu, weil ich mir ziemlich sicher bin, dass er mich nicht hängen lässt. Wie den meisten Bediensteten im Schloss ist auch Zeak klar, dass ich aufgrund der Strenge meines Vaters noch nie einen Fuß in die Königsstadt gesetzt habe. Deshalb knickt er regelmäßig ein, wenn es darum geht, mir ein kleines Stück Freiheit zu gewähren.

Er hält die Hände so in die Luft, als würde er sich ergeben. »Schon gut. Aber verpfeif mich nicht beim König.« Vertraulich lehnt er sich zu mir. »Oder bei Nadeen.«

»Nach dir«, fordert mich Zeak auf und zeigt ins Innere meines Gemachs. Sofort mache ich auf dem Absatz kehrt und eile auf die verschlossene Balkontür zu. Ich steige von einem Fuß auf den anderen, da ich es nicht mehr erwarten kann, nach draußen zu kommen.

»Nicht so ungeduldig«, tadelt er mich. Als er neben mir zum Stehen kommt, zieht er einen Schlüsselbund aus seiner Uniformhose. Es wundert mich, dass man hier noch kein Tastenfeld zur Codeeingabe angebracht hat. Vermutlich haben sie Angst, dass ich ihn herausfinde.

Aufgeregt beiße ich mir auf die Unterlippe. Ich muss nach draußen, um frische Luft in meine Lungen zu saugen und vielleicht etwas Klarheit in meine Gedanken zu bringen. Und natürlich auch, um den Ausblick zu genießen. Da sich mein Balkon weit oben befindet und das Schloss das höchste Gebäude in Whitecastle ist, habe ich die Chance, das Treiben außerhalb der Schlossmauern zu beobachten.

Zeak dreht den Schlüssel zweimal im Schloss und dann ist es so weit. Die Tür schwingt weit auf und ich darf nach draußen. Schnell drücke ich mich an ihm vorbei.

Nachdem ich die Schwelle übertreten habe, fällt alle Aufregung von mir ab. Ich nehme einen tiefen Atemzug und genieße die Sommerluft, die sich Anfang November nun endlich bemerkbar macht und die Temperaturen auch nachts selten unter fünfundzwanzig Grad Celsius fallen lässt. Die Sonne ist gerade dabei unterzugehen und es sieht so aus, als würde sie in der Ferne mit dem Wüstensand verschmelzen, was ihm eine blutrote Färbung verleiht. Manchmal stelle ich mir vor, dass dort, wo die Wüste und der Horizont einander berühren, die Küste liegt. Was leider nur eine Wunschvorstellung ist, da man von der Königsstadt Whitecastle aus mit dem Wagen mindestens fünfzehn Stunden bis dorthin braucht. Zumindest wenn mein Bruder Madoc mich nicht belogen hat.

Ich trete an den Rand des Balkons und sehe aus dem Augenwinkel, wie Zeaks Kopf unruhig hin und her wandert. Er behält die Umgebung im Auge, auch wenn ich mir nicht sicher bin wozu. Erwartet er Scharfschützen, die auf mich zielen? Lächerlich. Whitecastle liegt so weit unter uns, dass das wohl kaum möglich wäre. Unberührt von Zeaks Unruhe sauge ich die Eindrücke meiner Heimat in mich auf. Wenn ich mich über den Rand der Brüstung lehne und nach unten sehe, erkenne ich den weitläufigen Schlossgarten mit seiner saftig grünen Wiese und zahlreichen bunten Blumen. Auch Früchte und Gemüse werden innerhalb der Mauern angebaut. Bis heute ist es mir ein Rätsel, wie die prachtvollen Pflanzen innerhalb der Schlossmauern blühen können, während die rote Wüste außerhalb den Menschen das Leben schwer macht.

Um den Garten vor Übergriffen der Bevölkerung zu schützen, ist er von einer dicken Schlossmauer umgeben. Sie ist bestimmt so hoch wie drei Männer. Gleich dahinter befindet sich die Königsstadt Whitecastle mit ihren windschiefen Bauten. Häuser, die aussehen, als würden sie jeden Moment zusammenbrechen. Menschen, die ihrer Arbeit nachgehen, sich mit ihren Nachbarn unterhalten oder sich auf dem Markt treffen, der nicht weit von der Schlossmauer entfernt liegt. Ich kann die Menschen von meinem Standort aus nicht hören, aber sehen. Zwar nur als Miniaturen, doch ich weiß, dass sie da sind und nicht wissen, dass ich sie vom Balkon aus beobachte. Oder im Garten meine Hand auf die Schlossmauer lege, in der albernen Hoffnung, dass es mir auf der gegenüberliegenden Seite jemand gleichtut.

Neben dem Garten ist die Bibliothek mein zweitliebster Ort im Schloss. Dort kann ich Stunden damit verbringen, alte Bücher durchzublättern. Vermutlich hat mein Vater keinen blassen Schimmer, welche Schätze sich in den Regalen tummeln, denn sonst hätte er sie längst entfernen lassen. Ich habe das Gefühl, er will nicht, dass die Bewohner Red Deserts zu viel über die Vergangenheit wissen. Manchmal frage ich mich, ob es mir vielleicht ebenfalls besser gehen würde, wenn ich niemals erfahren hätte, wie anders die Welt früher war.

Wieder sehe ich zu Zeak, frage mich im Stillen, wie viel er – oder die anderen Soldaten – weiß. Ich traue mich nicht nachzufragen, aber es kommt mir eigenartig vor, dass all das Wissen verloren zu sein scheint. Auch Zeitzeugen gibt es keine mehr. Die Lebenserwartung in Red Desert ist nicht mehr so hoch, wie sie es früher einmal war. Es gibt kaum noch jemanden, der sehr viel älter als sechzig Jahre alt wird. Und das bloß, weil grundlegende Dinge wie gute Nahrung, sauberes Wasser und Medikamente fehlen.

Bevor sich die Welt verändert hat, gab es richtig ausgebildete Ärzte. Heute wird das Wissen von Vätern und Müttern an ihre Kinder weitergegeben und es geht viel zu viel verloren. Für mich ist es schlimm, in meinen geliebten Büchern darüber zu lesen, wie hochentwickelt der Kontinent noch vor hundert Jahren war, da von Jahr zu Jahr immer mehr Kenntnisse von früher verschwinden. Auch wenn ich die Schlossmauern nicht verlassen darf, höre ich, worüber die Bediensteten sich leise zischend unterhalten. Ich kann nicht verstehen, wie mein Vater zulassen kann, dass es der Bevölkerung schlecht geht, während wir im Schloss ein nahezu sorgenfreies Leben haben.

»Worüber denkst du nach?«, unterbricht Zeak meine Gedanken.

Ich schüttle den Kopf. »Über nichts. Und über alles.«

Es ist nicht nötig, ihn anzusehen. Ich weiß auch so, dass er die Augen verdreht. »Schon gut, du musst nicht mit mir darüber sprechen«, sagt er, ohne mich anzusehen, da er immer noch die Umgebung sondiert.

Aber ich will.

»Ich bin seit heute verlobt«, purzeln die Worte aus mir heraus. Gut, es hat mir noch niemand einen Ring an den Finger gesteckt, doch ich nehme an, dass die Kunde über meine baldige Vermählung in Kürze die Runde machen wird.

»Was?« Zeak macht einen Schritt auf mich zu und legt seine Hände auf meine Schultern. Eigentlich habe ich mir immer gewünscht, dass er mir hier am Balkon meinen ersten Kuss gibt, doch er sieht nicht so aus, als würde er mich küssen wollen. Er wirkt viel zu schockiert.

Ich schließe meine Augen für eine Sekunde. Nicht in Erwartung eines Kusses, dafür ist mir meine frühere Schwärmerei für Zeak viel zu peinlich. Nur weil er der einzig greifbare junge Mann in meiner Nähe ist, muss er sich nicht zwangsläufig in mich verlieben. Oder ich mich in ihn.

Als ich meine Augen öffne, schüttelt Zeak den Kopf.

»Können wir bitte nach drinnen gehen? Ich kann dich nicht beschützen, die Umgebung im Auge behalten und dir zuhören.«

Fest presse ich die Lippen zusammen, möchte eigentlich nicht hinein. Ich hätte nichts sagen sollen.

»Gut«, stimme ich dennoch zu und verlasse vor Zeak den Balkon, nur um keine Sekunde später in meinem Zimmer auf und ab zu gehen. Ich verknote meine Hände ineinander und weiß nicht genau, was ich ihm erzählen soll.

Mitten im Raum bleibe ich stehen und sehe mich nach ihm um. Er hat sich auf mein Bett gesetzt. Etwas, das er sonst nie tut. Sein Körper ist nach vorne gebeugt und er hat die Ellbogen auf seinen leicht gespreizten Beinen abgestützt.

»Wer hat um deine Hand angehalten?«, fragt er und sieht interessiert zu mir. Mir war schon immer klar, dass meine Schwärmerei für ihn einseitig ist, doch es wäre doch irgendwie schön gewesen, wenn er mich geschnappt und mit mir das Schloss verlassen hätte. Nicht um mit mir in den Sonnenuntergang zu reiten, sondern um mich aus dieser Hölle zu befreien.

»Es ist so«, beginne ich zögerlich und muss fest schlucken, um den Kloß in meinem Hals loszuwerden, »dass kein strahlender Ritter in goldener Rüstung ins Schloss gekommen ist, um mich von meinem Dasein in Einsamkeit zu befreien.«

Zeak zieht eine Augenbraue hoch, lässt mich meine Übertreibungen aber weiter ausführen.

»Viel eher ist es so, dass ich zu einer arrangierten Ehe gezwungen werde, um das Land vor Angriffen von außerhalb zu schützen.«

Wir sind im Inneren des Landes einigermaßen sicher. Die Soldaten an den Küsten würden Angriffe so gut es geht abfangen, könnten Feinde aber nicht auf Dauer von uns fernhalten.

Zeak schüttelt verständnislos den Kopf. »Aber vor welchen Angriffen? Ich habe einen Freund, einen Soldaten an der Küste. Wenn wir uns im Krieg befänden, würde ich es wissen. Aber sag mir … wen sollst du heiraten?«

Ich ziehe die Schultern hoch. »Den Vampirprinzen aus Red Ancient.«

Sofort ist Zeak auf den Beinen. Mit wenigen Schritten ist er bei mir. »Das … das kann nicht wahr sein. Ich meine … wieso sollte der König das von dir verlangen? Jedem Menschen in Red Desert wird ab dem Zeitpunkt seiner Geburt eingebläut, dass die Verborgenen unsere Feinde sind. Vampire. Hexen. Werwölfe. Dämonen.«

Er wendet sich von mir ab, läuft nun statt mir durch meine Gemächer. »Dein Bruder wäre dazu ausgebildet, zu den Vampiren zu gehen. Nadeen und ich hatten gemeinsam mit ihm unsere Ausbildung und er war im Training immer der Beste. Aber du …«, er lässt seinen Blick über meinen Körper schweifen und sieht von Sekunde zu Sekunde verzweifelter aus, »du bist so …«

»Was?«

»Unsportlich.« Unfähig würde es wohl eher treffen, doch Zeak ist zu nett, um es laut auszusprechen.

Ich kann ihm seine Worte nicht verübeln, denn ich hätte den Vampiren tatsächlich nichts entgegenzusetzen, da ich nicht nur zwei linke Hände, sondern auch zwei linke Füße habe. Zeak wollte mir vor einiger Zeit beibringen mich selbst zu verteidigen. Vermutlich nur, damit er nachts ruhiger vor meinem Zimmer schlafen kann – unsere Unterrichtsstunde hat jedoch damit geendet, dass ich mich selbst statt Zeak auf den Boden befördert habe.

»Dein Vater hätte dich ebenfalls ausbilden sollen. So wie Madoc. So wie jeden anderen Soldaten. Er kann dich doch nicht einfach so zu den Verborgenen schicken«, sagt er mit zitternder Stimme.

Ein Schauer läuft über meinen Körper. Zeak macht mir Angst. Im Normalfall ist er immer ausgeglichen, aber dass er gerade die Fassung verliert, gibt mir zu denken. »Meinst du, er lässt mich alleine gehen?«

Er wird blass. »Ich weiß es nicht.« Er zuckt mit seinen Schultern. »Aber du wärst in Red Ancient nicht der einzige Mensch.«

Wie aufbauend. Menschen, die von den Vampiren unterdrückt werden und deren einzige Aufgabe es ist, ihnen zu dienen.

»Ich … Rise«, fährt Zeak fort, »ich sollte mit Nadeen sprechen. Vielleicht weiß sie mehr.«

»Was soll das bringen? Ich muss den Vampirprinzen heiraten, dessen Namen ich nicht einmal kenne. Dagegen kann auch Nadeen nichts machen.«

»Niemand kennt seinen Namen. Genauso wie niemand deinen Namen oder dein Aussehen kennt. Nicht nur dein Vater ist paranoid, was eure Sicherheit angeht.«

Ich schiebe die Unterlippe vor. »Er könnte tausend Jahre alt sein.«

»Vielleicht ist er aber auch erst hundert.« Zeak zwinkert mir zu. »Aber du kannst dich glücklich schätzen, denn er wird vermutlich so aussehen, als ob er nicht älter als fünfundzwanzig wäre.«

Seine Worte entlocken mir ein trockenes Lachen. »Schön, dann sieht er zwar nicht aus wie ein alter Mann, ist aber trotzdem einer.«

»Umgekehrt wäre es doch schlimmer.«

Ich schüttle den Kopf. »Weißt du, das Schlimmste ist, dass ich eigentlich gar keine andere Wahl habe, als mich der Anweisung meines Vaters zu fügen.«

»Du könntest dich verstecken«, schlägt Zeak vor.

»Wenn ich verschwinde, wird er die Hochzeit nicht einfach platzen lassen. Er wird ein anderes Mädchen schicken, da sowieso niemand weiß, wie ich aussehe.«

»Das wäre doch gut für dich.«

»Ja, aber ich weiß nicht, ob ich es mit mir vereinbaren könnte, das Leben eines anderen Menschen zu opfern.«

Zeak legt mir eine Hand auf die Schulter. Die Geste hat etwas Tröstliches an sich. »Weißt du, warum er dich zwangsverheiratet?«

»Weil Madoc der Thronfolger ist und er ihn deshalb noch braucht?«

Er schnaubt belustigt auf. »Nein, weil auch dem König nicht entgangen ist, dass du dich nicht nur um dein eigenes Leben kümmerst, sondern dir Gedanken um alle anderen im Schloss machst. Genauso wie du es auch in Red Ancient machen wirst.«

Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Einerseits hat er recht, anderseits flüstert eine leise Stimme in meinem Kopf, dass ich flüchten soll.

Da ich stumm bleibe, fällt Zeak auf, wie nah wir beieinanderstehen. Er macht einen Schritt zurück.

»Ich sollte jetzt wohl besser wieder zurück auf meinen Posten gehen«, sagt er leise und deutet mit dem Daumen auf die Tür. Eigentlich wäre es nicht notwendig, dass er vor der Tür sitzt, da ohne Code sowieso niemand zu mir ins Zimmer kann. Allerdings kann ich jederzeit nach draußen, da ich keine Gefangene – wie mein Vater gerne betont – in meinen eigenen vier Wänden bin. Leider fühlt es sich jedoch genau so an, wenn deine Tür rund um die Uhr bewacht wird und du keinen Schritt ohne eine Wache machen darfst.

Ich nicke. »Ja, vielleicht ist es besser.«

Er wirft mir noch einen nachdenklichen Blick zu, bevor er aus meinem Zimmer geht und mich mit meinen Gedanken alleine lässt.

Kapitel 3

Doom

Wie ein Ninja springe ich den letzten Meter, der mich noch von dem kleinen Beiboot trennt, nach unten. Ich lande eher wenig elegant, dafür mit einem Grinsen im Gesicht. Man braucht kein Vampir zu sein, um sich leise von einem Schiff zu schleichen.

Kurz sehe ich mich um. Den Motor kann ich nicht anlassen, denn sonst würde Calean viel zu schnell von meinem unbewilligten Ausflug Wind bekommen, also muss ich wohl oder übel rudern. Mit einem Jetski wäre mein Eintreffen in Red Desert zwar cooler, dafür aber auffälliger. Leider. Ich schirme mein Gesicht gegen die Sonne ab und freue mich, dass sie so hoch am Himmel steht, denn die Vampire an Bord schlafen im Moment. Und die Menschen haben bei Weitem nicht so gute Sinne, dass sie mich abhauen hören könnten.

Sehen: unwahrscheinlich, da gerade Wachablösung ist.

Hören: no way!

Ich binde das kleine Boot los, greife nach den Rudern und lege mich ins Zeug. Ganz schön anstrengend. Und ganz schön weit bis zur Küste. Es wäre um vieles einfacher gewesen, wenn wir einfach nach Red Desert geflogen wären. Ganz normal. Aber nein! Wir mussten wie verdammte Piraten mit dem Schiff kommen. Einem Schiff!

Ich sollte mir darüber keine unnötigen Gedanken machen, denn hier ist absolut nichts normal, wenn man den Geschichten glaubt. Aber egal, wenn ich in Whitecastle bin, werde ich mir die Prinzessin schnappen und mein Ding durchziehen. Alles cool. Alles easy.

Die Küste zu erreichen geht dank des langen Stegs, der ins Meer führt, schneller als gedacht. Mit schnellen Handgriffen befestige ich das Boot und ziehe mich nach oben. Freundlicherweise hat man mir auch sofort ein Begrüßungskomitee geschickt – ein paar sehr finster dreinschauende Soldaten.

Ich richte mich mit einem Ächzen auf und grinse meinen Willkommenstrupp an. »Hey, Jungs!«

Gerade mal fünf Sekunden stehe ich aufrecht, bevor meine Nase auf das Holz gedrückt wird und man mir meine Waffen abnimmt.

Großartig.

Einfach großartig.

Leise fluche ich vor mich hin. Ich hätte damit rechnen müssen, dass man mich hier nicht mit Cocktails und einer Blumenkette begrüßt. Wäre ja auch zu schön gewesen. Ein paar Drinks, nette Gespräche, eine Prinzessin zum Mitnehmen.

Die Realität ist leider nur halb so schön, denn kaum habe ich mich daran gewöhnt, auf dem Boden zu liegen, zieht man mich wieder auf die Beine.

»Was tust du hier, Vampir?« Einer der Männer drückt mir zur Untermalung seiner Worte eine Pistole an die Stirn. Ich fühle mich schon richtig wohl mit meinen neuen Freunden.

»Ich bin kein Vampir.« Idioten. Mit einer Hand deute ich auf die Sonne und dann auf mich. »Es ist Tag. Und ich stehe nicht in Flammen.«

Nun wird mir eine weitere Waffe in den Rücken gedrückt. »Dann können wir dich ja einfach töten.«

»Und bei einem Vampir hättet ihr gezögert?«

Mein Herzschlag beschleunigt sich, als ich ein Klicken höre. Vermutlich hat mein Mund die Kontrolle über meinen Körper übernommen, doch langsam dürften die Alarmbotschaften, die mein Gehirn sendet, tatsächlich ankommen.

»Nein, aber dann hätten wir erst unsere Spezialmunition geholt.«

»Verschwendet nicht eure Kugeln«, versuche ich so ruhig wie möglich zu sagen, während ich nicht eine – nein! –, sondern gleich zwei Pistolen an den Kopf gehalten bekomme.

Ich zwinge meine Beine dazu, nicht zu zittern, damit ich nicht wie eine Jungfrau in Nöten zusammenklappe. Diesen Teil lasse ich bestimmt aus, wenn ich meinem besten Freund Morgan davon erzähle, wie ich ganz alleine losgezogen bin, um die Prinzessin zu holen. »Ich bin ein Gesandter der Königsfamilie und habe den Auftrag erhalten, die Prinzessin wohlbehalten zu unserem Schiff zu eskortieren.« Den Auftrag gibt es wirklich, nur war nicht ich derjenige, der dafür ausgewählt wurde.

Zu meiner vollkommenen Verblüffung verschwindet der Druck der Waffe in meinem Rücken und auch der Mann vor mir lässt die Pistole sinken.

Jetzt, wo sich mein Herzschlag einigermaßen beruhigt, bin ich seltsam enttäuscht, dass ich nicht mit einem Schwert bedroht wurde. Hier soll doch alles so rückständig sein. Wo sind die Ritter mit ihren Rüstungen? Die Männer in den grünen Tarnuniformen sehen nicht annähernd mittelalterlich aus.

»Los, beweg dich.« Unsere kleine Truppe setzt sich wie einstudiert in Bewegung und ich werfe dem Typen, der mich zuvor noch bedroht hat, einen irritierten Blick zu. Er kann nicht viel älter sein als ich.

»Wohin bringt ihr mich?«

Er zieht eine Augenbraue hoch. »Was denkst du denn?«

»Zum Schloss?«

Der junge Soldat öffnet bereits seinen Mund, um mir zu antworten, doch die schroffe Stimme des Befehlshabers unterbricht uns. »Phoenix, halt die Klappe.«

Kurz rollt der junge Typ mit den Augen, sagt aber kein Wort mehr, deutet nur mit einem Nicken an, dass ich mich besser wieder auf den Weg vor mir konzentriere.

An Land geht der Anführer zu Phoenix, zischt ihm leise ein paar Worte zu und verschwindet dann stumm mit den anderen beiden Soldaten in Richtung einer großen, etwas in die Jahre gekommenen Halle. Diese wirkt von Weitem fast so groß wie ein Flugzeughangar, was mich zum Schmunzeln bringt. Vermutlich wissen die hier nicht einmal, was Flugzeuge sind. Laut Calean, der Zugriff auf die Satellitenaufnahmen Red Deserts hat, wurden bereits seit mehr als fünfzig Jahren keine Starts und Landungen mehr aufgezeichnet.

Phoenix unterbricht meine abschweifenden Gedanken. »Wir warten hier.«

Ich verschränke meine Arme vor der Brust und sehe mich um. »Machen deine Kumpels Platz, damit mich eure Sniper besser treffen?« Keine nette Vorstellung, bald eine Kugel im Hinterkopf zu haben.

Phoenix, der seine Pistole locker in der Hand hält, grinst. »Wir haben hier keine Scharfschützen. Außer uns vier – na ja, jetzt fünf – gibt es hier niemanden. Du hast dir also eine gute Stelle ausgesucht, um an Land zu kommen, also mach dir nicht in die Hosen.«

Arrogant frage ich: »Sehe ich aus, als wäre ich nervös?« Gut, ich bin ziemlich angespannt, da ich nicht weiß, was auf mich zukommt, aber eigentlich lasse ich mir so etwas nur ungern anmerken.

»Es gibt Menschen, die fangen zu quatschen an, wenn sie aufgeregt sind …«

Ich winke ab. »Nein, ich rede immer«, erkläre ich ihm, während ich die Umgebung wieder genauer betrachte. Es ist immerhin möglich, dass er mich angelogen hat, nur um mich in Sicherheit zu wiegen. Es ist nicht so, dass ich den Worten des jungen Soldaten nicht traue, aber … ich glaube ihm nicht. »Also, wo sind die anderen hin? Holen sie die Kutsche?«

Von Phoenix kommt ein belustigtes Schnauben. »Ja, klar, die spannen nur noch schnell die Pferde vor den Karren.« Der Sarkasmus trieft nur so aus seiner Stimme. »Nein, keine Kutsche. Keine Pferde. Sie holen den Wagen.«

Meine Augenbrauen wandern bestimmt bis zu meinem Haaransatz, denn ich bin … überrascht. »Ich dachte, es gibt hier keine Technik. Dass die Menschen hier eher wie im Mittelalter leben.« Ich zucke mit den Schultern, da ich eigentlich keine Ahnung habe, wie es in Red Desert wirklich abläuft. Es gibt nur Vermutungen, da König Isaacs Vorgänger bereits sämtliche Beziehungen zu außerhalb unterbunden haben. Zuerst wurden die Handelsbeziehungen abgebrochen, es gab – und gibt bis heute – keinen Im- und Export mehr. Nicht einmal diplomatische Beziehungen werden gepflegt. Es ist schwer, etwas über das Leben hier herauszufinden, da sich der letzte rein von Menschenhand regierte Kontinent völlig vom Rest der Welt isoliert hat.

Ich bemerke, dass sich Phoenix nun ebenfalls umsieht. »Hör mal«, flüstert er. »Dass es keine Technik gibt, ist das, was der König dem Volk weismachen will.« Wieder sieht er sich unsicher um. »Vielleicht halten die Gelehrten bei Neuentwicklungen nicht mit dem Rest der Welt mit, aber wir sind ziemlich gut darin, mit den Ressourcen, die wir haben, umzugehen. Gib einem unserer Techniker einen alten Wagen und er wird alles tun, um ihn wieder fahrtüchtig zu machen. Es gibt Fabriken, die Ersatzteile für das Militär herstellen, es gibt Strom, es gibt Kommunikationsmöglichkeiten. Jedoch nur für uns Soldaten.«

Ich schüttle meinen Kopf und kann nicht fassen, was Phoenix erzählt. »Das heißt, würden hier Vampire, Werwölfe oder wer auch immer einmarschieren, könntet ihr sie aufhalten.«

Ein Lächeln huscht über Phoenix’ Gesicht. »Eine ganze Weile, ja. Deshalb leben an der Küste nur Soldaten, keine Menschen. Die halten sich nur im Inneren des Landes auf.«

»Dort, wo vegetationsbedingt die Umstände schlechter sind«, trumpfe ich mit meinem Wissen über den roten Kontinent auf.

Es wundert mich, dass Phoenix mir so freizügig erzählt, wie es hier abläuft, doch beschweren will ich mich nicht.

Als ich ein Motorengeräusch höre, weiß ich, dass keine Zeit mehr für langes Nachfragen bleibt. »Wieso erzählst du mir das alles?«

Phoenix wendet den Blick ab. »Vielleicht … weil ich es ebenfalls nicht besonders gut finde, dass der König und das Militär alles haben … und die einfachen Menschen nichts.«

Danach sieht er stur auf den sich nähernden Wagen und tut so, als hätte unser Gespräch niemals stattgefunden.

Auf meiner Stirn bilden sich erste Schweißtropfen, da ich keine Ahnung habe, was nun passieren wird. Und weil es so verdammt heiß ist. Red Desert ist schon ein eigenartiges Land. Wenn bei uns in Red Ancient der Winter beginnt, knallt hier die Sonne vom Himmel. Aber dafür kann ja niemand etwas. Wofür der König aber sehr wohl etwas kann, ist, dass er sein Volk dahinvegetieren lässt, dem Militär aber neu aussehende Waffen zukommen lässt. Und auch der Wagen sieht neuer aus, als man es erwarten würde.

Von meinem Empfangskomitee von vorhin sind nur zwei Männer zurückgekommen. Einer sitzt auf dem Fahrersitz, ein anderer macht die Tür von innen auf. »Steig ein.« Ach, was habe ich den Anführer der kleinen Truppe vermisst.

»Ich lasse Phoenix gerne den Vortritt«, sage ich mit einem provozierenden Grinsen.

Der Soldat packt mich am T-Shirt und zieht mich zu sich. Eine Ader pocht an seiner Schläfe. Was ich wohl tun muss, um sie zum Platzen zu bringen?

Speicheltropfen lassen mich angewidert mein Gesicht verziehen, während mich der Choleriker anschreit. »Wenn du nach Whitecastle willst, steig in den Wagen!«

Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber Phoenix flüstert leise: »Geh schon, Mann.«

Alles in mir weigert sich. Aber ich will nach Whitecastle, also bleibt mir nichts anderes übrig, als in das Auto zu steigen.

»Schon gut. Kein Grund, so rumzubrüllen.« Mit verschränkten Armen nehme ich auf der Rückbank Platz. Eigentlich kann ich froh sein, dass man mich nicht mit einer Kugel in den Kopf begrüßt hat. Trotzdem beginne ich meine unüberlegte Aktion zu bereuen. Nur ein klein wenig. Irgendwie hatte ich mir das alles anders vorgestellt.

»Gute Fahrt«, wünscht Phoenix, dreht sich mit finsterem Gesichtsausdruck um und wirkt plötzlich genauso unfreundlich wie die beiden Typen, die mich zum Königsschloss eskortieren werden.

Das Auto setzt sich in Bewegung. Ein Neuwagen sieht definitiv anders aus, aber er ist verdammt gut in Schuss, denn es dauert nicht lange, bis wir mit rasender Geschwindigkeit über die holprigen Straßen preschen. Anscheinend hat Phoenix mich nicht belogen, denn sonst würden wir nicht so rasen.

Während wir die Küste verlassen, an der es nichts als verlassene Häuser und verfallene Städte gibt, komme ich zu der Ansicht, dass die Prinzessin froh sein muss das bald nicht mehr miterleben zu müssen. Eine Schande, wie man so prachtvolle Metropolen einfach zerfallen lassen kann …

Weil die Soldaten nicht mit mir sprechen, habe ich nichts anderes zu tun, als aus dem Fenster zu starren, während die Landschaft an mir vorbeizieht. Je weiter wir ins Landesinnere vordringen, desto uriger wird die Kulisse. Der Truck wirbelt roten Sand auf, der auf den staubigen Straßen liegt. Anderen Fahrzeugen begegnen wir selten, dafür Menschen, die halb verhungerte Esel oder Pferde über trockene Felder treiben, die so wirken, als würden sie nicht einmal für eine Person genug Nahrung bieten.

Immer wieder durchfahren wir kleine Siedlungen oder größere Städte, einmal treffen wir auf eine Rinderherde, die mehr als tausend Tiere zählen muss. Hoffentlich bekommt nicht nur der König etwas von dem Fleisch ab, sondern auch seine Untertanen …

Die Vegetation wird immer spärlicher, je weiter wir uns in die Wüste vorwagen. Nichts als Staub und rote Erde. Ich lehne meinen Kopf gegen die verschmierten Scheiben des Militärtrucks und presse meine Lippen fest aufeinander. Ich fühle mich, als hätte man mich aus dem Jetzt in die Vergangenheit gesaugt, und das ist kein besonders gutes Gefühl. Zu wissen, dass die Menschen ein anderes Leben führen könnten, lässt mich meine Hände zu Fäusten ballen.

Bald lockere ich sie wieder, da ich immer müder werde. Es fällt mir immer schwerer, meine Augen offen zu halten. Ob es an dem Elend, der Hitze oder daran liegt, dass ich letzte Nacht nicht wirklich schlafen konnte, weiß ich nicht. Alles in mir sträubt sich dem Drang nachzugeben, ein kleines Nickerchen zu machen. Es ist weder der passende Zeitpunkt noch der richtige Ort. Anderseits … wenn nicht jetzt, wann dann? Hätten mich die Typen umbringen wollen, hätten sie das ja bereits erledigen können, als ich angekommen bin. Dazu müssen sie mich nicht in die Wüste karren. Es hätte durchaus gereicht, mich im Meer zu versenken.

Trotzdem … das unangenehme Gefühl bleibt.

Also reiße ich meine Augen weit auf – Streichhölzer habe ich leider keine dabei, die mir helfen könnten – und starre auf die kleinen Dörfer, zwinge mich den Blick nicht abzuwenden. Nichts ist mehr übrig von den prachtvollen Metropolen, wo das Leben noch vor hundert Jahren floriert hat. Nicht dass ich zu diesem Zeitpunkt bereits gelebt habe. Nein, ich bin wirklich achtzehn Jahre alt und sehe nicht nur so aus. Aber ich lebe auf einem Kontinent voller Vampire, die gerne über die alte Zeit schwafeln. Damals, als sie ihr Leben im Schatten aufgeben und endlich ans Licht treten konnten. Metaphorisch gesprochen, denn in der Sonne wären sie schneller ein Häufchen Staub, als sie »Es lebe die Revolution!« schreien könnten.

Draußen sehe ich ausgemergelt wirkende Frauen, die Körbe mit Früchten auf ihren Köpfen schleppen. Arbeitstiere, die Pflüge hinter sich herziehen, für die sie selbst Steinzeitmenschen ausgelacht hätten.

Bitte! Als würde hier ernsthaft genug wachsen, um alle Menschen ausreichend zu versorgen. Die Versuche, den verdorrten Boden zu bestellen, grenzen nahezu ans Lächerliche. Dennoch kann ich die Bewohner Red Deserts verstehen. Was bleibt ihnen auch anderes übrig, außer zu versuchen das Leben besser zu machen?

***

Erschrocken zucke ich hoch. Fuck! Ich bin eingeschlafen, obwohl ich es nicht wollte. Aber die Sache hat ein paar gute Seiten. Erstens: Ich fühle mich halbwegs ausgeschlafen. Und zweitens: Ich lebe noch. Wohooo.

Draußen ist es bereits dunkel, nur vereinzelt flackern in der Ferne Lichter. Wir müssen also den größten Teil der Strecke bereits hinter uns gebracht haben. Das einzig Dumme an meinem Nickerchen ist: Ich habe keine Ahnung, wie weit wir von der Küste entfernt sind und wo ich mich überhaupt befinde. Mit meiner Hand taste ich nach dem faltbaren Minismartphone, dünn wie ein Blatt Papier, in der Hosentasche. Ich nehme mal stark an, dass mein GPS hier eher nicht funktioniert.

Gerade als ich mich zu dem unfreundlichen Typen neben mir beugen will, um ihn zu fragen, wann wir endlich ankommen, sehe ich aus dem Augenwinkel, dass das nicht mehr notwendig ist.

Mein Mund klappt weit auf. Beim König der Vampire …

Einige Kilometer entfernt strahlt das Schloss von König Isaac wie ein Leuchtturm. Es ist … riesig. Selbst es imposant zu nennen ist vermutlich immer noch eine Beleidigung, denn es erhebt sich aus der Wüste wie ein Wolkenkratzer. Ich habe von dem Schloss gehört, es sogar auf Satellitenbildern betrachtet, doch es tatsächlich zu sehen ist verdammt beeindruckend. Der weiße Stein setzt sich deutlich von der Dunkelheit ab und mindestens tausend Lichter erhellen den Palast. Dieser Bau raubt mir für einige Sekunden den Atem. Doch meine Ehrfurcht hält nicht lange an, denn sofort wird sie durch Wut ersetzt. War ja klar, dass die Königsfamilie anders residiert als der Rest der Bevölkerung.

Je näher wir dem Schloss kommen, desto mehr Details fallen mir auf. Bei den Lichtern handelt es sich um keine Spots, sondern um Fackeln, die in regelmäßigen Abständen rund um das Schloss drapiert vor sich hin flackern.

Als wir die Wüste verlassen und auf einer holprigen Straße eine Mauer entlangfahren, wird meine Sicht auf das weiße Schloss unterbrochen. Während die Residenz des Königs so beleuchtet ist, dass man sie bereits von Weitem erkennt, liegt Whitecastle beinahe in völliger Dunkelheit. Es gibt zwar Straßenlaternen, doch sie liegen weit auseinander. Menschen in zerschlissener Bekleidung wuseln auf den gepflasterten Straßen herum und scheinen das Leben, das sie führen, als normal zu empfinden. Vermutlich ist es das für sie auch. Sie kennen es nicht anders und wissen nicht, wie es in anderen Teilen der Welt sein kann.

Es dauert nicht lange und der Wagen wird durch einen Torbogen gelenkt. Wir halten kurz, der Fahrer spricht mit gedämpfter Stimme mit der Wache. Leider viel zu leise, als dass ich etwas verstehen könnte.

Mit einem Ruck setzt sich das Auto wieder in Bewegung. Kurz sehe ich über meine Schulter hinweg nach hinten. Was habe ich mir nur dabei gedacht, alleine in dieses Schloss zu gehen? Die Wahrheit ist wohl: nicht besonders viel. Das Aufblitzen eines unkonkreten Gedankens hat schon gereicht … und hier bin ich.

Ich wische mir mit beiden Händen über das Gesicht und als ich sie wieder wegnehme, passieren wir eine wirklich beeindruckende Grünanlage. Ziemlich viel Grün, dafür dass sich außerhalb der Mauern nur roter Sand befindet.

Kein Plan, wie sie es schaffen, mitten in der Wüste das alles wachsen zu lassen …