Risiko- und Präferenzmessung in Kreditinstituten - Martin Polle - E-Book

Risiko- und Präferenzmessung in Kreditinstituten E-Book

Martin Polle

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Beschreibung

Die langfristige Existenzsicherung und der Schutz der Gläubiger sind zwei wesentliche Ziele für die Geschäftsleitung einer Bank. Für den Vorstand einer Genossenschaftsbank gilt dies aufgrund der in § 1 GenG und in der Satzung verankerten Mission in besonderer Weise. Eine Förderung der Mitglieder setzt den Erhalt der Förderfähigkeit und damit die langfristige Existenzsicherung der Bank zwingend voraus. Eine entscheidende Grundbedingung für die Sicherung der Existenz ist die fortlaufende Gewährleistung der Risikotragfähigkeit (RTF). Die Steuerung der RTF basiert auf einer RTF-Konzeption. Im Rahmen einer solchen Konzeption hat die Geschäftsleitung Entscheidungen über ihre Risikotoleranz, die Verteilung von Risikokapital und die Parametrisierung von Haltedauer und Konfidenzniveau im Rahmen der Risikomessung zu treffen. Eine zusammenhängende Analyse und darauf basierte Entscheidungskonzeptionen sind bislang nicht ausreichend vorhanden. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es daher, die erwähnten Entscheidungen aus der Sicht eines rationalen Akteurs zu betrachten und eine entscheidungstheoretisch fundierte RTFKonzeption am Beispiel ausgewählter Risikokategorien von Genossenschaftsbanken zu entwickeln. Diese RTF-Konzeption bietet eine Grundlage für Entscheidungen, welche im Einklang mit den Zielen und der Risikoeinstellung des Entscheidungsträgers sowie den Anforderungen der Bankenaufsicht stehen. Die Idee für diese Arbeit hat sich aus den Beobachtungen und Erfahrungen im Rahmen meiner langjährigen Tätigkeit als Geschäftsleiter einer Kreditgenossenschaft entwickelt. In zahlreichen Diskussionen mit Berufskollegen, Mitarbeitern der Prüfungsverbände und verschiedenen Spezialisten kam immer wieder die Frage auf, ob ein bestimmtes Risikoniveau einer Bank vereinbar mit dem Ziel der langfristigen Existenzsicherung ist. Damit verbunden war die Frage, ob die umgesetzte Allokation der Bank als konservativ oder doch eher als risikofreudig zu bezeichnen ist und ob die gewählte Positionierung der tatsächlichen Risikoeinstellung des Entscheidungsträgers entspricht. Meine Forschungstätigkeit wurde durch vielfältige Anregungen und konstruktiv kritische Diskussionen begleitet. Mein besonderer Dank gilt meinem akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. Michael Lister. Über viele Jahre hat er meine akademische Entwicklung entscheidend betreut und mir dabei die Kenntnisse vermittelt, die zur Anfertigung einer solchen Arbeit notwendig sind. Zudem hat er in vielen Diskussionen wertvolle Hinweise gegeben und damit den Fortgang der Arbeit stets unterstützt. Für die Übernahme des Korreferats bedanke ich mich bei Herrn Prof. Dr. Bernd Rolfes. Wertvolle Hinweise erhielt ich auch von Freunden und Kollegen. Großer Dank gilt den Herren Dr. Mario Brandtner, Dr. Jürgen Braun und Ronny Sattler, die trotz eigener starker Arbeitsbelastungen als sehr aufmerksame und kritische Gesprächspartner zur Verfügung standen. Für die Unterstützung im Rahmen der Literaturrecherche danke ich meinen Sekretärinnen Frau Werth und Frau Scherf. Bei der Akademie Deutscher Genossenschaftsbanken ADG möchte ich mich für die Aufnahme in das ADG-Studienprogramm GoAhead bedanken. Darüber hinaus danke ich zeb für die Veröffentlichung meiner Arbeit in der Schriftenreihe und Frau Silke Rahe und Frau Eugenia Demmel für das Lektorat. Bedanken möchte ich mich auch bei meinen Eltern. Sie haben meine Entwicklung immer tatkräftig unterstützt. Insbesondere mein Vater hat mich durch sein Vorbild ermuntert, mich an ein solches Forschungsprojekt heranzuwagen. Tiefer Dank gebührt meiner Frau Annett. Mit großer Geduld hat sie meine Forschungsarbeit jederzeit vorbehaltlos unterstützt. Sie hat mir nicht nur die nötigen zeitlichen Freiräume gegeben, sondern war stets auch eine starke mentale Stütze. Templin, im Mai 2019 Martin Polle

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Band 71

Schriftenreihe des zeb

begründet und herausgegeben von

Prof. Dr. Bernd RolfesProf. Dr. Dres. h.c. Henner Schierenbeck

Risiko- und Präferenzmessung in Kreditinstituten

Entwicklung einer entscheidungstheoretischfundierten Risikotragfähigkeitskonzeptionam Beispiel ausgewählter Risikokategorienvon Genossenschaftsbanken

von

Dr. Martin Polle

ISBN 978-3-8314-0896-2

eISBN 978-3-8314-0901-3

Zugleich Steinbeis-Hochschule Berlin, Dissertation 2018.

© 2019 by Verlag Fritz Knapp GmbH, Frankfurt am Main

Besuchen Sie uns im Internet: www.kreditwesen.de

Geleitwort

von Prof. Dr. Bernd Rolfes

Seit dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers und der damit beschleunigten globalen Finanzkrise im Jahr 2008 bemühen sich Akteure wie Bankenaufseher, Interessen- und Prüfungsverbände sowie die Kreditinstitute selbst die Stabilität des Finanzsystems zu erhöhen. Im Zentrum der Überlegungen steht die Verbesserung der Risikotragfähigkeit (RTF) der Kreditinstitute auf der Grundlage einer Risikotragfähigkeitskonzeption. Damit wird das Ziel der langfristigen Existenzsicherung der Kreditinstitute verfolgt.

Nach dem klassischen Risikotragfähigkeitskalkül ist die RTF gegeben, wenn die Risikodeckungsmassen eines Instituts stets mindestens der Höhe der Risiken dieses Instituts entsprechen. In diesem Kontext wird Risiko als eigenständiges Konzept verstanden. Entscheidungsträger haben in einer auf diesem Kalkül basierenden RTF-Konzeption drei wesentliche Fragen zu beantworten. Sie haben darzulegen,

•wie viel Risikokapital sie investieren wollen,

•wie das Risiko gemessen und

•wie das Risiko auf die einzelnen Risikoklassen verteilt werden soll.

Unberücksichtigt bleibt dabei eine rationale Bewertung von Entscheidungsalternativen, z. B. auf der Grundlage der axiomatisch begründeten Erwartungsnutzentheorie.

In der vorliegenden Arbeit werden diese Fragen und die daraus resultierenden Entscheidungsprobleme zusammenhängend analysiert und aus der Perspektive eines rational handelnden Akteurs beantwortet. Zunächst werden allgemeine Grundlagen und Probleme einer RTF-Konzeption diskutiert. Ausführlich wird auf die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten von Risiko im Rahmen von (rationalen) Entscheidungen eingegangen. Darüber hinaus werden die wesentlichen in einer RTF-Konzeption zu behandelnden Entscheidungsprobleme herausgearbeitet. Diese betreffen die Festlegung der Risikotoleranz, die Wahl von Haltedauer und Konfidenzniveau im Rahmen der Risikomessung und die Verteilung des Risikokapitals.

Danach werden sehr detailliert die Elemente einer entscheidungstheoretisch fundierten RTF-Konzeption entwickelt. Auf der Grundlage einer qualitativen Studie werden zunächst die relevanten Faktoren herausgearbeitet, welche bei der Festlegung der Risikotoleranz und der Wahl von Haltedauer und Konfidenzniveau zu beachten sind. Darauf aufbauend werden geeignete Entscheidungsmodelle entwickelt. Zur Verteilung von Risikokapital wird ein nicht kompensatorisches lexikografisches Risiko-Wert-Modell vorgeschlagen. Dies ermöglicht eine Verbindung der Theorie zur Wahl zwischen riskanten Alternativen mit der Behandlung von Risiko als eigenständiges Konzept.

Eine zusammenfassende Darstellung der entscheidungstheoretisch fundierten RTF-Konzeption findet sich in Teil 3. Zudem werden die Möglichkeiten und Grenzen herausgearbeitet. Auf der Grundlage der Einflussmodelle und Entscheidungsregeln wird eine analytische Behandlung der Entscheidungsprobleme unterstützt. Ferner wird die Risikotoleranz systematisch hergeleitet und die Risikoeinstellung über die Nutzenfunktion sichtbar gemacht. Die strategische Allokationsentscheidung wird als integraler Bestandteil der RTF-Konzeption betrachtet. Insgesamt ermöglicht die hier vorgestellte Konzeption Entscheidungen, die im Einklang mit den Präferenzen des Entscheidungsträgers und den Anforderungen der Bankenaufsicht widerspruchsfrei zum Ziel der langfristigen Existenzsicherung des Instituts getroffen werden. Hervorzuheben ist, dass an verschiedenen Stellen heuristische Entscheidungsregeln einbezogen werden. Breiten Raum nehmen die Handlungsempfehlungen ein, die für Institute, Institutsgruppen und Sicherungssysteme gegeben werden.

Die vorliegende Arbeit zeichnet sich durch eine sehr interessante Kombination angewandter Forschungsmethoden aus. Trotz des hohen formalen Anspruchs bleibt sie verständlich. Mit den Ergebnissen dieser Arbeit wird der wissenschaftliche Erkenntnisstand auf dem Gebiet der Risikotragfähigkeitskonzeption erheblich vorangetrieben und damit zugleich ein großer praktischer Nutzen generiert. Es ist ihr eine weite Verbreitung und eine intensive Diskussion in Wissenschaft, Bankenregulatorik und Praxis zu wünschen.

Duisburg, im Mai 2019

Bernd Rolfes

Geleitwort

von Prof. Dr. Michael Lister

Mit der Einführung des Value at Risk und anderer daraus resultierender Risikomaße hat sich das Risikomanagement der Kreditinstitute dramatisch verändert. Endlich wurden Risiken messbar, sodass risikopolitische Ideen nicht mehr alleine durch Simulationen operationalisiert werden mussten. Stattdessen konnten nun insbesondere die Grundsätze des Risiko-Chancen-Kalküls und der Risikotragfähigkeit präzisiert werden. Diesen Erkenntnisgewinn haben sich auch die Aufsichtsbehörden weltweit zu Nutze gemacht und ihre Verfahren angepasst. So wurde die Risikotragfähigkeitskonzeption einer jeden Bank auf den Prüfstand gestellt. In Deutschland wurden mit den MaRisk Vorschriften geschaffen, die jede Bank dazu zwingen, geeignete Tragfähigkeitskonzepte einzuführen.

Ernüchternd waren die Range-of-Practice-Berichte der Deutschen Bundesbank aus den Jahren 2009 und 2010. Die Befragung ausgewählter Kreditinstitute offenbarte ein teilweise grenzenloses Unverständnis. Insbesondere die psychologischen Vertreter der Behavioral Finance wurden in ihrer Meinung bestärkt, dass Menschen allergrößte Schwierigkeiten haben, mit Wahrscheinlichkeiten umzugehen. Das gilt auch, und leider mit schwerwiegenden Konsequenzen, für Entscheidungsträger in Banken.

Vor diesem Hintergrund hat sich Martin Polle mit der Risiko- und Präferenzmessung in Kreditinstituten beschäftigt. Sein Ziel ist es, eine entscheidungstheoretisch fundierte Risikotragfähigkeitskonzeption aufzubauen. Dies geschieht gemäß Titel der Arbeit grundsätzlich im Kontext von Genossenschaftsbanken. Begründung hierfür ist, dass das genossenschaftliche Sicherungssystem das Entscheidungsverhalten beeinflusst. Letztlich wird das gewählte Vorgehen aber auch für alle anderen Institutsgruppen anwendbar sein.

Herrn Polle ist eine sehr gute inhaltliche Auseinandersetzung gelungen. Die Innovationskraft seiner Arbeit ist besonders hoch. Eine strukturierende Inhaltsanalyse hat es im Rahmen entscheidungsorientierter Arbeiten zur Risikotragfähigkeitskonzeptionen so noch nicht gegeben. Das entwickelte Modell ist auch hinsichtlich des inhärenten Praxistransfers bemerkenswert.

Es bleibt zu hoffen, dass Herrn Polle und seiner Arbeit sowohl in der praktischen Anwendung als auch in der wissenschaftlichen Anerkennung große Aufmerksamkeit widerfährt. Mit dem Praxistransfer dieser Dissertation könnte ein sehr wertvoller Beitrag zum besseren Verständnis der Risikogrundsätze in Kreditinstituten geliefert werden. Nicht zuletzt der Range-of-Practice-Bericht 2015 der Deutschen Bundesbank zeigt, wie groß das Dilemma hinsichtlich des Risikoverständnisses in deutschen Kreditinstituten immer noch ist.

Berlin, im Mai 2019

Michael Lister

Vorwort

Die langfristige Existenzsicherung und der Schutz der Gläubiger sind zwei wesentliche Ziele für die Geschäftsleitung einer Bank. Für den Vorstand einer Genossenschaftsbank gilt dies aufgrund der in § 1 GenG und in der Satzung verankerten Mission in besonderer Weise. Eine Förderung der Mitglieder setzt den Erhalt der Förderfähigkeit und damit die langfristige Existenzsicherung der Bank zwingend voraus. Eine entscheidende Grundbedingung für die Sicherung der Existenz ist die fortlaufende Gewährleistung der Risikotragfähigkeit (RTF). Die Steuerung der RTF basiert auf einer RTF-Konzeption. Im Rahmen einer solchen Konzeption hat die Geschäftsleitung Entscheidungen über ihre Risikotoleranz, die Verteilung von Risikokapital und die Parametrisierung von Haltedauer und Konfidenzniveau im Rahmen der Risikomessung zu treffen. Eine zusammenhängende Analyse und darauf basierte Entscheidungskonzeptionen sind bislang nicht ausreichend vorhanden.

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es daher, die erwähnten Entscheidungen aus der Sicht eines rationalen Akteurs zu betrachten und eine entscheidungstheoretisch fundierte RTF-Konzeption am Beispiel ausgewählter Risikokategorien von Genossenschaftsbanken zu entwickeln. Diese RTF-Konzeption bietet eine Grundlage für Entscheidungen, welche im Einklang mit den Zielen und der Risikoeinstellung des Entscheidungsträgers sowie den Anforderungen der Bankenaufsicht stehen.

Die Idee für diese Arbeit hat sich aus den Beobachtungen und Erfahrungen im Rahmen meiner langjährigen Tätigkeit als Geschäftsleiter einer Kreditgenossenschaft entwickelt. In zahlreichen Diskussionen mit Berufskollegen, Mitarbeitern der Prüfungsverbände und verschiedenen Spezialisten kam immer wieder die Frage auf, ob ein bestimmtes Risikoniveau einer Bank vereinbar mit dem Ziel der langfristigen Existenzsicherung ist. Damit verbunden war die Frage, ob die umgesetzte Allokation der Bank als konservativ oder doch eher als risikofreudig zu bezeichnen ist und ob die gewählte Positionierung der tatsächlichen Risikoeinstellung des Entscheidungsträgers entspricht.

Meine Forschungstätigkeit wurde durch vielfältige Anregungen und konstruktiv kritische Diskussionen begleitet. Mein besonderer Dank gilt meinem akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. Michael Lister. Über viele Jahre hat er meine akademische Entwicklung entscheidend betreut und mir dabei die Kenntnisse vermittelt, die zur Anfertigung einer solchen Arbeit notwendig sind. Zudem hat er in vielen Diskussionen wertvolle Hinweise gegeben und damit den Fortgang der Arbeit stets unterstützt. Für die Übernahme des Korreferats bedanke ich mich bei Herrn Prof. Dr. Bernd Rolfes.

Wertvolle Hinweise erhielt ich auch von Freunden und Kollegen. Großer Dank gilt den Herren Dr. Mario Brandtner, Dr. Jürgen Braun und Ronny Sattler, die trotz eigener starker Arbeitsbelastungen als sehr aufmerksame und kritische Gesprächspartner zur Verfügung standen. Für die Unterstützung im Rahmen der Literaturrecherche danke ich meinen Sekretärinnen Frau Werth und Frau Scherf.

Bei der Akademie Deutscher Genossenschaftsbanken ADG möchte ich mich für die Aufnahme in das ADG-Studienprogramm GoAhead bedanken. Darüber hinaus danke ich zeb für die Veröffentlichung meiner Arbeit in der Schriftenreihe und Frau Silke Rahe und Frau Eugenia Demmel für das Lektorat.

Bedanken möchte ich mich auch bei meinen Eltern. Sie haben meine Entwicklung immer tatkräftig unterstützt. Insbesondere mein Vater hat mich durch sein Vorbild ermuntert, mich an ein solches Forschungsprojekt heranzuwagen.

Tiefer Dank gebührt meiner Frau Annett. Mit großer Geduld hat sie meine Forschungsarbeit jederzeit vorbehaltlos unterstützt. Sie hat mir nicht nur die nötigen zeitlichen Freiräume gegeben, sondern war stets auch eine starke mentale Stütze.

Templin, im Mai 2019

Martin Polle

Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Einleitung

1Grundlagen und Probleme einer RTF-Konzeption

1.1Entscheidungen unter Risiko

1.1.1Die Risikoperzeption von Entscheidungsträgern

1.1.1.1Der Risikobegriff

1.1.1.2Risiko als Konzept

1.1.1.3Abgrenzung wesentlicher Risikoarten von Kreditinstituten

1.1.2Das Entscheidungsmodell

1.1.2.1Einführende Überlegungen

1.1.2.2Das Entscheidungsfeld

1.1.2.3Die Entscheidungsregel

1.1.3Die Erwartungsnutzentheorie

1.1.3.1Formen von Rationalität

1.1.3.2Der Erwartungsnutzen

1.1.3.3Zum Begriff der Risikoaversion

1.2Risikomessung

1.2.1Einführende Überlegungen

1.2.1.1Maße und Funktionen zur Abbildung von Risiken

1.2.1.2Der Begriff des Risikomaßes

1.2.1.3Das Axiomensystem von Artzner, Delbean, Eber, Heath

1.2.2Risikomaße

1.2.2.1Stochastische Dominanz

1.2.2.2Varianz und Standardabweichung

1.2.2.3Schiefe und Wölbung

1.2.2.4Semivarianz und Semivolatilität

1.2.2.5Die Ausfallwahrscheinlichkeit

1.2.2.6Die Lower Partial Moments

1.2.2.7Der Value-at-Risk

1.2.2.8Der Expected Shortfall

1.2.3Abhängigkeitsmaße und -funktionen

1.2.3.1Kovarianz und Korrelationskoeffizient

1.2.3.2Copulas

1.3Risikotragfähigkeit

1.3.1Das Risikotragfähigkeitskalkül

1.3.1.1Zum Begriff der Risikotragfähigkeit

1.3.1.2Steuerungsansätze zur Sicherstellung der Risikotragfähigkeit

1.3.1.3Abgrenzung der Risikodeckungspotenziale und -massen von Kreditgenossenschaften

1.3.2Entscheidungsprobleme bei der Steuerung der Risikotragfähigkeit

1.3.2.1Bestimmung der Risikotoleranz

1.3.2.2Verteilung des Risikokapitals

1.3.2.3Wahl von Haltedauer und Konfidenzniveau

1.3.3Methoden zur Behandlung von Ungewissheit in der RTF-Konzeption

1.3.3.1Stresstests

1.3.3.2Benchmarking

1.3.3.3Heuristiken

2Komponenten einer entscheidungstheoretisch fundierten RTF-Konzeption

2.1Studie zu Einflussfaktoren auf die Wahl von Risikotoleranz, Haltedauer und Konfidenzniveau

2.1.1Experteninterview

2.1.1.1Zielsetzung

2.1.1.2Auswahl der Experten

2.1.1.3Vorgehen bei der Befragung

2.1.2Inhaltlich strukturierende Inhaltsanalyse

2.1.2.1Vorgehensmodell

2.1.2.2Bildung von Kategorien

2.1.2.3Extraktion von Inhalten

2.1.3Ergebnisse

2.1.3.1Code-Subcode-Model Risikotoleranz

2.1.3.2Code-Subcode-Model Haltedauer

2.1.3.3Code-Subcode-Model Konfidenzniveau

2.2Entscheidungsmodelle zur Wahl von Risikotoleranz, Haltedauer und Konfidenzniveau

2.2.1Modell zur Wahl der Risikotoleranz

2.2.1.1Prämissen

2.2.1.2Einflussdiagramm

2.2.1.3Entscheidungsregel

2.2.2Modell zur Wahl der Haltedauer

2.2.2.1Prämissen

2.2.2.2Einflussdiagramm

2.2.2.3Entscheidungsregel

2.2.3Modell zur Wahl des Konfidenzniveaus

2.2.3.1Prämissen

2.2.3.2Einflussdiagramm

2.2.3.3Entscheidungsregel

2.3Die strategische Allokation von Risikokapital als Entscheidungsproblem im Rahmen der RTF-Konzeption

2.3.1Ein Präferenzfunktional für Entscheider in Kreditinstituten

2.3.1.1Prämissen

2.3.1.2Das lexikografische Bewertungsprinzip

2.3.1.3Ein nicht kompensatorisches Risiko-Wert-Modell

2.3.2Die Bestimmung der Risikonutzenfunktion von Entscheidungsträgern

2.3.2.1Klassen von Nutzenfunktionen mit konstanter Risikoaversion

2.3.2.2Experimentelle Bestimmung des Risikoaversionsparameters

2.3.2.3Bestimmung der Risikonutzenfunktion als Gruppenentscheidung am Beispiel einer Kreditgenossenschaft

2.3.3Die Ermittlung der optimalen strategischen Allokation

2.3.3.1Das Grundmodell des Portfoliomanagementprozesses

2.3.3.2Der Prozess zur Bestimmung der optimalen strategischen Allokation

2.3.3.3Die Bestimmung der optimalen strategischen Allokation am Beispiel einer Kreditgenossenschaft

2.3.3.4Exkurs: Fallstudie zur Bestimmung der optimalen strategischen Allokation am Beispiel einer Kreditgenossenschaft

3Kritische Würdigung der Ergebnisse

3.1Interpretation der Ergebnisse

3.1.1Zusammenfassende Darstellung

3.1.1.1Die Grundidee einer entscheidungstheoretisch fundierten RTF-Konzeption

3.1.1.2Die entscheidungstheoretisch fundierte RTF-Konzeption im Überblick

3.1.1.3Prämissen zur Anwendung der RTF-Konzeption

3.1.2Möglichkeiten der Konzeption

3.1.2.1Transparenz von Entscheidungen

3.1.2.2Konsistenz von Entscheidungen

3.1.2.3Heuristisches Entscheiden

3.1.3Grenzen der Konzeption

3.1.3.1Probleme bei der Schätzung der Risikonutzenfunktion von Entscheidungsträgern

3.1.3.2Probleme bei der Schätzung von Wahrscheinlichkeitsverteilungen

3.1.3.3Beurteilung nicht messbarer Risiken

3.2Handlungsempfehlungen

3.2.1Empfehlungen auf der Ebene eines Einzelinstituts

3.2.1.1Ein integriertes Planungssystem als Grundlage einer langfristig orientierten RTF-Konzeption

3.2.1.2Die Berücksichtigung von Ungewissheit

3.2.1.3Ablauf der Sicherstellung der Risikotragfähigkeit

3.2.2Empfehlungen auf der Ebene einer Institutsgruppe

3.2.2.1Empirische Analysen innerhalb der Institutsgruppe

3.2.2.2Bereitstellung plausibler Szenariosets für die Institutsgruppe

3.2.2.3Anforderungen an die Risikomessung

3.2.3Empfehlungen für ein Sicherungssystem

3.2.3.1Historische Analyse von Bankensanierungen

3.2.3.2Ermittlung der Ausfallwahrscheinlichkeit von Banken

3.2.3.3Vorgaben zur Parametrisierung von Risikomodellen

3.3Offene Forschungsfragen und Ausblick

3.3.1Messung der Risikoeinstellung von Entscheidungsträgern

3.3.2Messung der Risikobereitschaft der Eigentümer

3.3.3Entwicklung von Heuristiken im Rahmen der Risikotragfähigkeitskonzeption

Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Anhang A: Interviewleitfaden

Anhang B: Fragebogen zur Ermittlung der Nutzenfunktion

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1:

Risikoarten

Abbildung 2:

Einzeladressrisiko

Abbildung 3:

CARA-Nutzenfunktionen

Abbildung 4:

Maße und Funktionen zur Risikoabbildung

Abbildung 5:

Stochastische Dominanz ersten Grades

Abbildung 6:

RDP (periodisch) von Genossenschaftsbanken

Abbildung 7:

RDP (wertorientiert) von Genossenschaftsbanken

Abbildung 8:

RTF-Konzeption (periodisch) einer Kreditgenossenschaft

Abbildung 9:

Inhaltsanalyse

Abbildung 10:

Code-Subcode-Model Risikotoleranz

Abbildung 11:

Code-Subcode-Model Haltedauer

Abbildung 12:

Code-Subcode-Model Konfidenzniveau

Abbildung 13:

PDF für Kreditverluste

Abbildung 14:

Realisationen einer Gauss-Copula mit uniformen Randverteilungen

Abbildung 15:

Realisationen einer Gauss-Copula mit verschiedenen Randverteilungen

Abbildung 16:

t-Verteilungen (PDF) und Quantile

Abbildung 17:

Einflussdiagramm zur Bestimmung der Risikotoleranz

Abbildung 18:

Einflussdiagramm zur Bestimmung der Haltedauer

Abbildung 19:

Entscheidungsregel zur Bestimmung der Haltedauer

Abbildung 20:

Einflussdiagramm zur Bestimmung des Konfidenzniveaus

Abbildung 21:

Fast-and-frugal tree zur Bewertung des Konfidenzniveaus

Abbildung 22:

Vergleich CARA- und CRRA-Nutzenfunktion

Abbildung 23:

Der Portfoliomanagementprozess

Abbildung 24:

Prozess zur Bestimmung der strategischen Allokation

Abbildung 25:

Kursdaten der Indices

Abbildung 26:

Renditen der Indices

Abbildung 27:

Korrelationsmatrix

Abbildung 28:

Untere Dreiecksmatrix

Abbildung 29:

Verteilungsparameter

Abbildung 30:

Zufallszahlen

Abbildung 31:

Korrelierte Zufallszahlen

Abbildung 32:

Korrelierte Renditen

Abbildung 33:

Rendite, Endvermögen und Nutzen je Umweltzustand

Abbildung 34:

Optimierungsbereich

Abbildung 35:

RTF-Konzeption

Abbildung 36:

Planungssystem

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1:

Eigenkapitalausstattung deutscher Bankengruppen

Tabelle 2:

Ergebnismatrix für Entscheidungen unter Risiko

Tabelle 3:

Risikoaversionsparameter aus Portfolioproblem

Abkürzungsverzeichnis

Aufl.

Auflage

BaFin

Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht

Bd.

Band

BRL

Basis-Referenz-Lotterie

BVR

Bundesverband der Volksbanken Raiffeisenbanken e.V.

bzw.

beziehungsweise

CAPM

Capital Asset Pricing Model

CARA

constant absolute risk aversion

CRRA

constant relative risk aversion

DGRV

Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband e.V.

d. h.

das heißt

EAD

Exposure at Default

ed.

edition

EL

Expected Loss

erw.

erweiterte

et al.

et alii

ETP

Exception to Policy

f.

folgende

ff.

fortfolgende

FFT

fast-and-frugal trees

FSD

first degree stochastic dominance

hrsg.

herausgegeben

ICAAP

Internal Capital Adequacy Assessment Process

IOS

Investment-Opportunity-Set

LGD

Loss given Default

MaRisk

Mindestanforderungen an das Risikomanagement

MKA

Mindestkapitalanforderungen

PD

Probability of Default

PDF

Probability Density Function

PMP

Portfoliomanagementprozess

RAZ

Risikoabbauzeitraum

RBH

Risikobetrachtungshorizont

RDM

Risikodeckungsmassen

RDP

Risikodeckungspotenzial

rev.

revised

RL

Risikolimit

RT

Risikotoleranz

RTF

Risikotragfähigkeit

S.

Seite

SRR

Square Root Rule

SSD

second degree stochastic dominance

TFF

Teil-Forschungsfrage

u. a.

unter anderem/und andere

überarb.

überarbeitete

UL

Unexpected Loss

vgl.

vergleiche

vollst.

vollständig

z. B.

zum Beispiel

Einleitung

Problemstellung

Banken sind Intermediäre und übernehmen in einer Volkswirtschaft unter anderem die Bonitäts-, Fristen- und Losgrößentransformation.1 Mit diesen Transformationsfunktionen sind zahlreiche Risiken verbunden. Verluste aus schlagend werdenden Risiken sind durch das Eigenkapital auszugleichen. Insofern wird der Geschäftsumfang der Banken durch deren Eigenkapital begrenzt.2 Wie die folgende Tabelle zeigt, liegen die Eigenkapitalquoten der wesentlichen Bankengruppen in Deutschland zwischen 5,13 % und 8,71 %.3

Tabelle 1: Eigenkapitalausstattung deutscher Bankengruppen

Diese im Verhältnis zur Bilanzsumme und zu anderen Branchen knappe Eigenkapitalausstattung stellt besondere Anforderungen an das Risikomanagement.4 Mit dem Ziel der Solvenzsicherung und dem damit intendierten Schutz der Gläubiger fordert die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in AT 4.1 Tz. 1 der Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk), dass die Geschäftsleitung einer Bank auf der Grundlage des Gesamtrisikoprofils dafür Sorge zu tragen hat, dass die wesentlichen Risiken durch Risikodeckungsmassen (RDM) laufend abgedeckt sind und damit die Risikotragfähigkeit gegeben ist.5 Die Steuerung der Risikotragfähigkeit (RTF) basiert auf einer sogenannten RTF-Konzeption.

Um die Anforderungen der Bankenaufsicht einzuhalten, muss ein Kreditinstitut in einer solchen Konzeption folglich mindestens das allgemein formulierte Risikotragfähigkeitskalkül Risiko ≤ RDM berücksichtigen.6 Diese – auf den ersten Blick trivial anmutende – Formel fordert die Auseinandersetzung mit einigen grundsätzlichen Problemstellungen. So haben Entscheidungsträger einer Bank im Rahmen ihrer RTF-Konzeption zu erklären, über welche Risikodeckungsmassen die Bank verfügt, Teilproblem (1) welcher Teil der Deckungsmassen (Risikokapital) zur Übernahme von Risiken bereitgestellt, Teilproblem (2) wie das Risikokapital verteilt und Teilproblem (3) wie das Risiko gemessen werden soll. In allen Fällen handelt es sich um Entscheidungsprobleme.

Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist es, die genannten Teilprobleme aus der Perspektive eines rational handelnden Akteurs zu betrachten und die zentrale Forschungsfrage zu beantworten, wie eine entscheidungstheoretisch fundierte Risikotragfähigkeitskonzeption aufgebaut werden kann. Einen geeigneten Rahmen dazu bietet die (präskriptive) Entscheidungstheorie. Auf dieser Grundlage soll eine Anleitung gegeben werden, wie im Kontext einer RTF-Konzeption (rationale) Entscheidungen getroffen werden können, die im Einklang (d. h. widerspruchsfrei) zu den Zielen und Risikoeinstellungen der Entscheidungsträger stehen. Der Aspekt der Widerspruchsfreiheit ist aus zwei Gründen von zentraler Bedeutung. Einerseits sollen die Vorgehensweise bei der Wahl zwischen riskanten Alternativen die individuelle Risikoeinstellung zutreffend abbilden und die Verfahren der Risikomessung eine realistische Risikoperzeption ermöglichen. Erst auf dieser Grundlage können Entscheidungen über die Höhe und die Verteilung des Risikokapitals getroffen werden. Andererseits besteht die Anforderung, Entscheidungen und deren Grundlagen für Dritte nachvollziehbar zu dokumentieren. Transparenz und Konsistenz von Entscheidungen spielen unter diesem Gesichtspunkt eine besondere Rolle. Ausgehend von den genannten Teilproblemen und deren Einordnung in den Kontext der Entscheidungstheorie sollen die folgenden Teil-Forschungsfragen (TFF) beantwortet werden:

TFF (1) Welche Faktoren sollten Entscheidungsträger bei der Festlegung ihrer Risikotoleranz berücksichtigen?

TFF (2) Welche Faktoren sollten Entscheidungsträger bei der Wahl von Haltedauer und Konfidenzniveau berücksichtigen?

TFF (3) Wie sollte Risikokapital entscheidungstheoretisch fundiert (rational) investiert werden?

Erkenntnisobjekte sind Kreditinstitute im Allgemeinen und die genossenschaftliche Finanzgruppe in Deutschland im Besonderen. Die genossenschaftliche Finanzgruppe stellt neben dem Sparkassensektor und den Kreditbanken eine bedeutende Säule des deutschen Bankensystems dar. Teil der Finanzgruppe sind per Oktober 2016 986 Volksund Raiffeisenbanken.7 Die einzelnen Genossenschaftsbanken sind juristisch selbstständige Institute im Sinne des § 1 Abs. 1b KWG. Der Schwerpunkt der Geschäftstätigkeit liegt im regionalen Privat- und Firmenkundengeschäft. Die Unternehmen der genossenschaftlichen Finanzgruppe sind in Verbänden organisiert.8 Die Verbandsstruktur umfasst die regionalen Prüfungsverbände, den BVR sowie den DGRV. Der BVR ist der Spitzenverband der Finanzgruppe, der DGRV der Dachverband des gesamten deutschen Genossenschaftswesens. Die Zusammenarbeit innerhalb der genossenschaftlichen Finanzgruppe erfolgt nach den Prinzipien eines kooperierenden dezentralen Netzwerks9 auf der Grundlage finanzieller und personeller Verflechtungen.10 Dabei verzichten die einzelnen Kooperationspartner freiwillig auf einen Teil ihrer Handlungsfreiheit zugunsten eines wirtschaftlichen Erfolgs, der sogenannten Kooperationsrente. Im Zusammenhang mit der „Neuen Institutionenökonomik“ wird die einzelne Genossenschaftsbank und auch die gesamte Finanzgruppe als hybride Organisationsform zwischen Markt und Hierarchie bezeichnet.11 Darunter ist nach Greve (2002) und Wagner (2004) zu verstehen, dass rechtlich und wirtschaftlich selbstständige Mitglieder (Markt) bestimmte Finanzdienstleistungen mit dem Ziel der Senkung von Transaktionskosten sowie der Nutzung von Zentralisierungs- und Dezentralisierungsvorteilen über die Kreditgenossenschaft bzw. die genossenschaftliche Finanzgruppe betreiben (Hierarchie).

Im Rahmen der Teil-Forschungsfrage 1 wird untersucht, welche Aspekte Entscheidungsträger in Banken bei der Festlegung ihrer Risikotoleranz berücksichtigen sollten. Die Risikotoleranz (RT) gibt an, welcher Teil der Risikodeckungsmassen zur Übernahme von Risiken maximal bereitgestellt wird. Durch diese Kennziffer ist es möglich, Risikobereitschaften verschiedener Institute vergleichbar zu machen. Auf der Grundlage eines Einflussdiagramms wird eine Entscheidungsregel entwickelt, welche bei der Festlegung der Risikotoleranz unterstützen kann.

Gegenstand der Teil-Forschungsfrage 2 ist eine Systematisierung von Faktoren, die Entscheidungsträger bei der Wahl von Haltedauer und Konfidenzniveau berücksichtigen sollten. Auf der Grundlage eines Einflussdiagramms wird analog zum Vorgehen bei Teil-Forschungsfrage 1 eine Entscheidungsregel entwickelt.

Die Beantwortung der Teil-Forschungsfrage 3 erfordert zunächst eine Festlegung darüber, wie Entscheidungsträger aus einer Menge zulässiger Alternativen auswählen. Dies wird von allgemeinen, aus dem sogenannten Risiko-Chancen-Kalkül abgeleiteten strategischen Überlegungen und den daraus formulierten konkreten Zielen, der Präferenzstruktur sowie von der Risikoperzeption der Entscheidungsträger abhängen.12 Rationale Entscheidungen ermöglicht die auf dem Bernoulli-Prinzip basierende und von Neumann/ Morgenstern (1947) axiomatisch begründete Erwartungsnutzentheorie. Da die Auswahl nach der Erwartungsnutzentheorie eine etwa von der Bankenaufsicht vorgegebene Risikotoleranz nicht berücksichtigt, ist eine Verbindung zwischen dem Risiko einer Alternative X und deren Erwartungsnutzen Eu(X) herzustellen. Dabei wird das Risikotragfähigkeitskalkül Risiko ≤ RDM als Nebenbedingung des Erwartungsnutzenkalküls behandelt. Daraus entsteht dann ein Optimierungsproblem auf der Grundlage eines nicht kompensatorischen Risiko-Wert-Modells der Form:

Im Rahmen der von der Deutschen Bundesbank im November 2010 durchgeführten Studie „Range of Practice“ wurden die Risikotragfähigkeitskonzeptionen von 150 deutschen Kreditinstituten untersucht. Eine Erkenntnis dieser Studie ist, dass das Value-at-Risk-Konzept zur Risikomessung in der deutschen Bankenlandschaft sehr stark verbreitet ist, obgleich im Schrifttum zahlreiche Kritik am Value-at-Risk (VaR) vorgetragen wird. Zudem ist eine große Bandbreite bei der Wahl von Haltedauer und Konfidenzniveau im Zusammenhang mit der Ermittlung des VaR festzustellen.13

Lister/Polle (2014) zeigen in einer beispielhaften Anwendung der Parametrisierungen in den Bandbreiten der „Range of Practice“ auf die wesentlichen Risikoarten, Adress- und Marktpreisrisiken einer Kreditgenossenschaft, dass bei Verwendung eher milder Parametrisierungen für Haltedauer und Konfidenzniveau wenig Risikokapital gebunden wird und folglich Steuerungsimpulse entstehen, die eine Ausweitung des Risikos begründen können. Die Verwendung von eher strengen Parametrisierungen führt hingegen dazu, dass die Risiken das bereitgestellte Risikokapital deutlich überschreiten. Der Steuerungsimpuls kann in diesem Fall zu einer Reduktion der eingegangenen Risiken und damit unter Umständen auch zu einer Begrenzung der Ertragschancen führen. Es ist offensichtlich, dass die Wahl der Parameter einen erheblichen Einfluss auf die durch das Risikomaß induzierte Risikoperzeption hat.

Eine entscheidungstheoretisch fundierte Risikotragfähigkeitskonzeption weist verschiedene Vorteile gegenüber einer Konzeption auf, die ausschließlich auf der Grundlage des Risikotragfähigkeitskalküls Risiko ≤ RDM fußt. So ist es möglich, Risiko- und Höhenpräferenzen durch die Erwartungsnutzentheorie und Risikotoleranzen von Entscheidungsträgern oder von Dritten (z. B. Bankenaufsicht) durch separate Risikomessung („risk as a primitive“) gemeinsam bei der Wahl von Alternativen zu berücksichtigen. Die Allokationsentscheidung wird als Teilproblem der Risikotragfähigkeitskonzeption behandelt. Dies ist deshalb folgerichtig, weil durch die Allokationsentscheidung eine wesentliche „Vorsteuerung“ des Gesamtrisikos vorgenommen wird. Ein weiterer wichtiger Aspekt besteht darin, dass die häufig nicht normalverteilten Risikofaktoren im Rahmen der Entscheidungsfindung sachgerecht behandelt werden können.

Gang der Untersuchung

In Teil 1 der Arbeit werden für die Themenstellung relevante Grundlagen und Probleme einer Risikotragfähigkeitskonzeption von Kreditinstituten behandelt. Kapitel 1.1 behandelt theoretische Grundlagen von Entscheidungen unter Risiko. Hier wird zunächst auf die Risikoperzeption von Entscheidungsträgern eingegangen. Darauf folgt eine Darstellung des allgemeinen Entscheidungsmodells der präskriptiven Entscheidungstheorie. Den Abschluss von Kapitel 1.1 bildet die Vorstellung der Erwartungsnutzentheorie als die zentrale Theorie für die Auswahl zwischen riskanten Alternativen. Gegenstand von Kapitel 1.2 ist die Risikomessung. Nach einer Diskussion zum Begriff des Risikomaßes und einer allgemeinen Systematisierung von Maßen und Funktionen zur Abbildung von Risiken folgt eine Darstellung der Anforderungen an ein Risikomaß auf der Grundlage des Axiomensystems von Artzner et al. (1999). Im Anschluss daran werden verschiedene Maße und Funktionen vorgestellt und einige ausgewählte im Hinblick auf die Anforderungen beurteilt. Kapitel 1.3 beschäftigt sich mit der Steuerung der Risikotragfähigkeit. Zunächst wird auf das allgemeine Risikotragfähigkeitskalkül eingegangen. Darauf aufbauend werden die typischen Entscheidungsprobleme behandelt, die im Rahmen der Steuerung der Risikotragfähigkeit auftreten. Abschließend wird auf die Möglichkeiten zur Behandlung von Ungewissheit in der RTF-Konzeption eingegangen.

Teil 2 widmet sich den Komponenten einer entscheidungstheoretisch fundierten RTF-Konzeption. Grundlage hierfür bildet eine qualitative Studie zu Einflussfaktoren auf die Wahl von Risikotoleranz, Haltedauer und Konfidenzniveau. Kapitel 2.1 geht zunächst auf das Design der Studie und die Durchführung einer Expertenbefragung ein. Daran anschließend wird gezeigt, wie die im Rahmen der Befragung gewonnenen Interviewtexte mithilfe einer qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet wurden. Die wesentlichen Ergebnisse werden in Form von Code-Subcode-Models vorgestellt. Kapitel 2.2 beschäftigt sich mit der Entwicklung von Entscheidungsmodellen zur Wahl von Risikotoleranz, Haltedauer und Konfidenzniveau. Die Grundlage dazu bilden die Ergebnisse der qualitativen Inhaltsanalyse. Aufbauend auf bestimmten Prämissen werden jeweils Einflussmodelle nach Shachter (1986) und Howard/Matheson (2005) sowie spezielle Entscheidungsregeln entwickelt. In Kapitel 2.3 wird auf die Bedeutung der Allokationsentscheidung als Teil der RTF-Konzeption eingegangen. Nach der Vorstellung eines Präferenzfunktionals für Entscheider in Kreditinstituten folgt die Vorstellung einer Möglichkeit zur Ermittlung der Risikonutzenfunktion von Entscheidungsträgern. Im Fokus steht hier eine Risikonutzenfunktion vom Typ CRRA. Kapitel 2.3 endet mit der Darstellung eines Vorgehensmodells zur Ermittlung der optimalen strategischen Risikokapitalallokation.

Teil 3 der Arbeit widmet sich der kritischen Würdigung der Ergebnisse. Kapitel 3.1 beschäftigt sich mit der Interpretation der Ergebnisse. Nach einer zusammenfassenden Darstellung der entscheidungstheoretisch fundierten RTF-Konzeption werden die Möglichkeiten und Grenzen einer solchen Konzeption beleuchtet. Dabei geht es insbesondere um Transparenz und Konsistenz von Entscheidungen im Rahmen der Steuerung der Risikotragfähigkeit sowie um die Berücksichtigung von Heuristiken im Umgang mit Ungewissheit. Bei der Beurteilung der Grenzen wird auf verschiedene Probleme im Umgang mit Nutzenfunktionen, Wahrscheinlichkeitsverteilungen und der Quantifizierung nicht messbarer Risiken eingegangen. In Kapitel 3.2 werden Handlungsempfehlungen zur Umsetzung der RTF-Konzeption gegeben. Diese werden gegliedert in Empfehlungen für ein einzelnes Institut, Empfehlungen an eine Institutsgruppe und Empfehlungen an ein Institutssicherungssystem. Kapitel 3.3 beschäftigt sich mit den offenen Forschungsfragen und gibt einen Ausblick.

1Vgl. Köppen (1996), S. 22.

2Vgl. Deutsche Bundesbank (2002), S. 41.

3Vgl. Deutsche Bundesbank (2016), S. 24–25 und eigene Berechnungen.

4Vgl. Bieg (2010), S. 448 und Deutsche Bundesbank (2015b), S. 40.

5Vgl. BaFin (2017).

6Vgl. zum Risikotragfähigkeitskalkül Schierenbeck et al. (2008), S. 14 ff. oder Hannemann/Schneider (2011), S. 136 f. Dieses Kalkül basiert auf der Behandlung von Risiko als eigenständiges Konzept. Sarin/Weber (1993) sprechen in diesem Zusammenhang von „risk as a primitive“.

7Vgl. Deutsche Bundesbank (2016), S. 24.

8Vgl. Aschhoff/Henningsen (1995), S. 55.

9Vgl. Theurl (2013a), S. 493.

10Vgl. Blisse (2006), S. 68.

11Vgl. Greve (2002), S. 17 und auch Wagner (2004), S. 26.

12Vgl. zum Risiko-Chancen-Kalkül Schierenbeck et al. (2008), Erstes Kapitel, Abschnitt C.

13Vgl. Deutsche Bundesbank (2010), S. 16 ff.

1Grundlagen und Probleme einer RTF-Konzeption

1.1Entscheidungen unter Risiko

Die Wahl für eine bestimmte Alternative hängt bei Entscheidungen unter Risiko einerseits von der Risikoeinstellung des Entscheiders ab. Andererseits wird die Entscheidung auch davon beeinflusst, wie hoch das wahrgenommene (perzipierte) Risiko einer Alternative ist. Bei einem bestimmten Risikogehalt wird aus verschiedenen Gründen ein Risiko nicht mehr durch eine zusätzliche Gewinnmöglichkeit kompensiert. Dies wird in Kreditinstituten insbesondere dann der Fall sein, wenn die Existenz der Bank durch zu hohe Risiken gefährdet sein könnte. In den folgenden Abschnitten werden die grundlegenden Aspekte der Risikoperzeption und die (rationalen) Vorgehensweisen im Zusammenhang mit Entscheidungen unter Risiko betrachtet.

1.1.1Die Risikoperzeption von Entscheidungsträgern

1.1.1.1Der Risikobegriff

Knight (1921) hat mit seinem grundlegenden Werk „Risk, Uncertainty and Profit“ einen bedeutenden Beitrag zum heutigen Risikoverständnis geleistet. Gleichwohl existieren unterschiedliche Auffassungen über die konkrete Interpretation des Risikos.

Nach den Erkenntnissen der modernen Risikoforschung verstehen und behandeln Menschen Risiken auf zwei verschiedene Arten. Slovic et al. (2004) unterscheiden das Erfahrungssystem (Risk as feelings) und das Analysesystem (Risk as analysis). Das Erfahrungssystem versetzt den einzelnen Menschen in die Lage, intuitiv und schnell auf gefährliche Situationen zu reagieren. Die Nutzung des Analysesystems ist mit bedeutend mehr Anstrengung verbunden. Mit seiner Hilfe wird versucht, das Risiko mit logischen Regeln plan- und kalkulierbar zu machen.14

Nachfolgend wird der Risikobegriff im Kontext des modernen bankbetrieblichen Risikomanagements präzisiert. Dabei wird zunächst auf den analytischen Risikobegriff (Risk as Analysis) abgestellt. Gleichwohl spielen das Erfahrungssystem und daraus abgeleitete Heuristiken speziell im Umgang mit Situationen der Ungewissheit eine besondere Rolle.15 Auf diese Art des Umgangs mit Risiken wird in Abschnitt 1.3.3 eingegangen.

Allgemein entsteht ein Risiko im Zusammenhang mit der Umsetzung einer von einem Entscheidungssubjekt (Entscheidungsträger)16 getroffenen Entscheidung.17 Von Entscheidungsträgern mit einer bestimmten Zielsetzung getroffene Entscheidungen führen in der Regel zu einer großen Anzahl von Ergebnismöglichkeiten.18 Eine Risikosituation ist dadurch gekennzeichnet, dass einem Entscheidungsträger Wahrscheinlichkeiten für den Eintritt der verschiedenen Ergebnismöglichkeiten einer Entscheidung a priori bekannt sind.19 Unter dieser Voraussetzung existiert eine Wahrscheinlichkeitsverteilung der Ergebnismöglichkeiten einer Entscheidung.20 Die möglichen Ergebnisse können als Zufallsvariable aufgefasst werden.21

Ein wichtiger Parameter zur Beschreibung einer Wahrscheinlichkeitsverteilung ist der Erwartungswert.22 Der Erwartungswert E(X) der Wahrscheinlichkeitsverteilung einer Zufallsvariablen X mit den möglichen Zuständen xi, deren Eintrittswahrscheinlichkeiten pi und der Dichtefunktion f(x), wird wie folgt berechnet:

Als Schätzer für den Erwartungswert wird häufig der empirische Mittelwert einer Stichprobe herangezogen.23 Wird der Erwartungswert approximativ aus einer Stichprobe ermittelt, lautet die Gleichung:

Aus den Gleichungen (1.1) und (1.2) wird deutlich, dass der statistische Erwartungswert den Mittelwert der wahrscheinlichkeitsgewichteten Ergebnismöglichkeiten darstellt. Dieser so berechnete Erwartungswert ist somit durchschnittlich wahrscheinlich, muss jedoch nicht eintreten. Davon abzugrenzen ist der in der Umgangssprache verwendete Erwartungswert, der ein Ereignis kennzeichnet, welches mit hoher Wahrscheinlichkeit eintritt.24

Von der Risikosituation abzugrenzen sind die Situation der Ungewissheit, bei der die Angabe von (objektiven) Wahrscheinlichkeiten für die einzelnen Entscheidungsresultate nicht möglich ist, und die Situation der Sicherheit, bei der das Ergebnis der Entscheidung feststeht.25 Die Situation der Sicherheit kann als Spezialfall der Risikosituation betrachtet werden, bei der die Ergebniswahrscheinlichkeit die Werte „0“ oder „1“ annehmen kann.26 Durch die Identifikation einer (subjektiven) a priori Wahrscheinlichkeitsverteilung der Ergebnismöglichkeiten einer Entscheidung kann jede Entscheidungssituation unter Ungewissheit in eine Situation unter Risiko transformiert werden.27 Die Sinnhaftigkeit einer solchen Vorgehensweise muss besonders sorgfältig abgewogen werden. Aikman et al. (2014) argumentieren, dass das Verhalten von Finanzsystemen eher einer Situation der Ungewissheit entspricht. Als wesentliche Gründe dafür werden

•die Schwierigkeiten bei der Ermittlung der Wahrscheinlichkeiten für seltene Ereignisse mit schweren Auswirkungen,

•die Empfindlichkeit des Finanzsystems auf geringfügige Veränderungen und Schocks sowie

•das Verhalten der (menschlichen) Akteure genannt, das von unterschiedlichen, schwer erfassbaren Erwartungshaltungen geprägt ist.

Subjektive Wahrscheinlichkeiten kennzeichnen den Grad der Überzeugung eines Entscheidungsträgers von dem Eintritt bestimmter Ereignisse. Je größer der Informationsmangel bei der Ermittlung subjektiver Wahrscheinlichkeiten, desto größer ist der Grad der Ungewissheit.28 Sollen subjektiv ermittelte (A-priori-)Wahrscheinlichkeiten trotz der genannten Probleme in Entscheidungsprozessen verwendet werden, dann sollte die Schätzung auf einem ausreichenden Informations- und Erfahrungsumfang beruhen.29

Die konkrete Auffassung von Risiko ist abhängig von der mit der getroffenen Entscheidung verfolgten Zielsetzung der Subjekte.30 Wossidlo (1970) unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen Punkt- und Intervallzielen. Besteht die Zielsetzung darin, einen bestimmten definierten Wert zu erreichen (Punktziele), dann kann jede potenzielle Abweichung von diesem Wert als Risiko aufgefasst werden. Punktziele können beliebige Werte aus dem Ereignisraum der Ergebnismöglichkeiten darstellen. Darunter fallen auch Maximal- und Minimalwerte. Wird hingegen ein Ziel definiert, welches das Erreichen eines Wertebereichs vorsieht (Intervallziele), dann besteht das Risiko in der potenziellen Abweichung des tatsächlichen Werts von dem Zielbereich.31

Das Risiko soll im Rahmen dieser Arbeit als Möglichkeit verstanden werden, dass in Bezug auf die mit einer getroffenen Entscheidung verfolgte Zielsetzung eines Entscheidungsträgers ungünstige Ergebnisse eintreten können. Es wird ferner der Fall betrachtet, dass Entscheidungsträger in Kreditinstituten Zielsetzungen in Form von Punktzielen wie dem Erwartungswert gemäß Gleichungen (1.1) bzw. (1.2) oder einem anderen Wert aus dem Ereignisraum der Ergebnismöglichkeiten verfolgen. Das Risiko wird folglich durch den Teil der Wahrscheinlichkeitsverteilung mit den aus Sicht des Entscheidungsträgers im Hinblick auf dessen Zielsetzung ungünstigen Ergebnismöglichkeiten einer Entscheidung beschrieben. Ungünstige Ergebnismöglichkeiten seien negative Abweichungen von dem definierten Zielwert des Entscheidungsträgers. Der Zielwert kann beispielsweise ein angestrebter Jahresüberschuss eines Kreditinstituts sein.

1.1.1.2Risiko als Konzept

Eine Möglichkeit des analytischen Umgangs mit Risiko ist die Behandlung von Risiko als eigenständiges Konzept. Gegenstand ist dabei das vom Entscheidungsträger wahrgenommene Risiko einer Alternative.32 Dazu ist erforderlich, dass die finanziellen Konsequenzen von Handlungsalternativen anhand ihres Risikogehalts geordnet werden können.33 Dies ist möglich, wenn eine binäre Relation R existiert, wodurch zwei Alternativen X1 und X2 bezüglich ihres Risikogehalts verglichen werden können. Die Relation X1R X2 bedeutet, dass X1 mindestens so riskant ist wie X2. Mithilfe einer Risikomessfunktion ρ kann die Risikoordnung numerisch repräsentiert werden. Es gilt:

Die Behandlung von Risiko als eigenständiges Konzept ist in Wissenschaft und Praxis weit verbreitet. Prominente Beispiele aus dem Bereich der wirtschaftswissenschaftlichen Theorien und Modelle sind etwa die von Markowitz (1952), Markowitz (1959) und Tobin (1958) begründete Theorie der Portfolioselektion oder das Capital Asset Pricing Model von Sharpe (1964). Das Risiko wird hier durch das statistische Maß Varianz σ2 bzw. die Standardabweichung σ ausgedrückt, wobei jeweils Abweichungen vom Renditeerwartungswert E(X) als Risiko betrachtet werden.

In der praktischen Steuerung von Kreditinstituten existieren vielfältige Anwendungsfelder, in denen sich eine Konzeptualisierung von Risiko als sinnvoll erwiesen hat. Ausgangspunkt ist dabei unter anderem die Erkenntnis, dass Investitionen in Risikomanagement nicht nur nützlich für die Gesellschaft sind, sondern im Interesse der Eigentümer einen positiven Beitrag zum Unternehmenswert leisten können.34

Ein wichtiger Aspekt ist die Verbindung von Risiko zum Eigenkapital. Dahinter steht die Absicht der Entscheidungsträger und der Bankenaufsicht, nur so viel Risiko zu erlauben, dass die Solvenz der Bank in einem bestimmten Zeitraum mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit bei einem bestimmten Eigenkapital gegeben ist. Risiko wird somit als notwendiges vorzuhaltendes Eigenkapital verstanden. Eine aktive Steuerung des Risikos dient dazu, das vorhandene Eigenkapital so effizient wie möglich einzusetzen und somit eine attraktive Kombination aus Ertrag und Risiko zu erreichen.

In Kreditinstituten werden Entscheidungskompetenzen häufig delegiert. Aus diesem Grund ist zur Synchronisation der Risikowahrnehmung aller Entscheider eine unternehmenseinheitliche Auffassung und Messung von Risiko unabdingbar. Grundlage der Delegation von Kompetenzen sind Vorgaben zur Risikobegrenzung etwa in Form von Limiten für Risikoarten, Regionen, Produkte, Branchen, Größenklassen und Bonitäten. Eine Konzeptualisierung von Risiko ist in diesem Zusammenhang notwendig, um die Menge zulässiger Investitions- und Finanzierungsalternativen einzugrenzen und ein wirksames Risikomanagement umzusetzen.35

Ein weiterer Aspekt für eine Konzeptualisierung von Risiko ist die Möglichkeit, Risiken zu mobilisieren und so im Interesse einer aktiven Risikosteuerung handelbar zu machen.

1.1.1.3Abgrenzung wesentlicher Risikoarten von Kreditinstituten

Das Gesamtrisikoprofil eines Kreditinstituts kann vielfältige Risikoarten aufweisen. In der Literatur werden verschiedene Möglichkeiten zur Systematisierung der Risiken genannt.36 Eine umfassende Darstellung findet sich bei Jorion (2007). Dort wird allgemein zwischen dem Business Risk und dem Nonbusiness Risk differenziert. Dem Business Risk werden sowohl Risiken aus grundsätzlichen unternehmerischen Entscheidungen wie Strategie, Organisation und Marketing als auch Risiken aus dem Unternehmensumfeld wie wirtschaftliche Rahmenbedingungen, Technologie oder Wettbewerb zugeordnet. Hinsichtlich des Nonbusiness Risk wird zwischen Finanzrisiken wie dem Kredit-, Marktpreis-, Liquiditäts- und operationellen Risiko sowie anderen nicht finanziellen Risiken unterschieden. Andere nicht finanzielle Risiken können neben Reputationsrisiken politische oder regulatorische Risiken sein.37

Die Beurteilung der für ein Kreditinstitut relevanten Risiken erfolgt im Rahmen einer regelmäßig durchzuführenden Risikoinventur.38 Gemäß AT 4.1 der Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) haben Banken mindestens die wesentlichen Risiken in ihrer Risikotragfähigkeitskonzeption zu berücksichtigen.

In Anlehnung an den DGRV (2013) kann eine für die Risikotragfähigkeitskonzeptionen von Genossenschaftsbanken typische Gliederung der Risikoarten nach Verlustquellen gemäß Abbildung 1 vorgenommen werden.39 Diese Gliederung referenziert auf die typischen finanziellen Risiken von Kreditgenossenschaften. Ferner ist zu beachten, dass nach dieser Systematisierung jede potenzielle negative Abweichung von einem angestrebten Jahresüberschuss (Punktziel) als Risiko aufgefasst wird.

Abbildung 1: Risikoarten

Unter dem operationellen Risiko wird die Gefahr von Verlusten verstanden, welche durch mangelhafte Organisation oder durch Versagen interner Prozesse, von Menschen, Systemen oder durch externe Ereignisse eintreten können.40 Das Rechtsrisiko ist Teil des operationellen Risikos.

Das Liquiditätsrisiko kennzeichnet Verlustmöglichkeiten, die durch eine Verschlechterung der Refinanzierungsbedingungen (Funding Liquidity Risk) oder der Glattstellungsmöglichkeit von Positionen durch Marktverwerfungen (Market Liquidity Risk) eintreten können.41

Die mögliche Verfehlung von den zu Beginn einer Periode durch die Geschäftsleitung eines Kreditinstituts formulierten Zielen kann als Geschäftsrisiko aufgefasst werden. Es umfasst all jene Abweichungen, die nicht bereits Gegenstand der anderen Risikoarten sind. Teil des Geschäftsrisikos können potenzielle negative Abweichungen bei den Vertriebsergebnissen (Vertriebsrisiko) oder potenzielle Überschreitungen von betrieblichen Aufwendungen sein.

Portfoliorisiken können als Konzentrations- und Korrelationsrisiken auftreten. Korrelationsrisiken entstehen, wenn eine Bank mehreren Risikoarten ausgesetzt ist und/oder wenn einzelne Risikoarten von mehreren Risikofaktoren determiniert werden. Risiken aus Korrelationen entstehen unabhängig von dem jeweiligen Risikovolumen (Exposure) aus der Art des Zusammenhangs zwischen Risikofaktoren innerhalb einer Risikoart (Intra-Korrelationsrisiken) oder aus Interdependenzen zwischen Risikofaktoren verschiedener Risikoarten (Inter-Korrelationsrisiken). Konzentrationsrisiken hingegen resultieren aus ungünstigen Verdichtungen von Risikovolumina auf der Ebene der Einzelrisiken, dieses Risiko wird auch als Intra-Konzentrationsrisiko bezeichnet, oder auf der Ebene der Risikoarten, dieses Risiko wird auch Inter-Konzentrationsrisiko genannt.

Den größten Umfang an Risikokapital allozieren Genossenschaftsbanken in der Regel auf das Adress- und das Marktpreisrisiko. Traditionell die größte Bedeutung für die Kreditwirtschaft besitzt das Adressrisiko.42 Da an einigen Stellen dieser Arbeit beispielhaft auf das Adress- und Marktpreisrisiko zurückgegriffen wird, folgt eine vertiefte Betrachtung beider Risikoarten.

Das Adressrisiko

Das Adressrisiko einer Bank kann in das Risiko aus einem einzelnen Kredit (Einzeladressrisiko) und in das Risiko aus der Struktur des Kreditgeschäfts (Kreditportfoliorisiko) differenziert werden.43

Unter einem Einzeladressrisiko wird allgemein die Gefahr verstanden, dass ein Kreditnehmer die künftigen Ansprüche der Bank aus einem Kreditgeschäft nicht mehr erfüllen kann (Ausfallrisiko) oder dass sich die Bonität des Kreditnehmers während der Kreditlaufzeit verschlechtert (Bonitätsrisiko).44 Eine weitere Ausprägung des Adressrisikos besteht in der Gefahr der Ausweitung des Risikoaufschlags auf risikolose Zinssätze (Spreadrisiko).45

Das Ausfallrisiko kann als Teil des Bonitätsrisikos aufgefasst werden, da der Ausfall eine Migrationsmöglichkeit der Schuldnerbonität darstellt. Hinsichtlich des Spreadrisikos kann zwischen dem systematischen und dem idiosynkratischen Risiko differenziert werden.46