Rock 4 Life - Jamie Scallion - E-Book

Rock 4 Life E-Book

Jamie Scallion

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Beschreibung

Ein Poser, ein Nerd, ein Bad Boy, eine Sportskanone. Eine Rockband. Eine Mission: Die größte Band der Welt zu werden. Seit vielen Jahren versucht Burt, die schöne Bex für sich zu gewinnen – ohne Erfolg. Doch dann erfährt er, dass Bex auf Rocker steht! Also gründet Burt eine Rockband. Obwohl die Mitglieder kaum unterschiedlicher sein könnten, geschieht das Unglaubliche: Zusammen sind sie richtig gut, spielen super Gigs und landen Download-Hits im Internet. Sogar ein großes Musiklabel interessiert sich für sie. Doch kann eine Band mit so unterschiedlichen Jungs funktionieren? Und wird Burt seine Bex endlich rumbekommen? "Rock 4 Life" ist der Debütroman von Jamie Scallion, der in der britischen Rockband Officer Kicks Sänger und Songwriter ist. Dieses coole, witzige und authentische Jugendbuch rund um das Leben einer frisch gegründeten Rock `n` Roll-Band liefert alles, was man von echten Rockstars erwartet und wird sowohl Mädchen als auch Jungs ab 13 Jahren in seinen Bann ziehen. Blog-Tagebucheinträge wechseln sich mit erzählten Textpassagen ab, so ist der Leser immer ganz nah dabei. Mehr Infos rund ums Buch unter: www.therocknrolldiaries.com

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Burt – 9.September

Mein Name ist Burt Windsor und ich habe alles: das Aussehen, den Style, ein riesiges Haus, coole Freunde und natürlich alle Mädchen, die ich will.

Wenn ich einen Lebenslauf schreiben müsste, was ich zum Glück nicht muss, weil ich erst fünfzehn bin, wäre das der erste Satz. Da würde sich jeder denken: Shit, der muss was draufhaben, und ich hätte den Job so was von in der Tasche.

Bloß das Letzte wäre leider gelogen. Das Einzige, was ich wirklich will, seit ich elf bin, habe ich nämlich nicht: Rebecca Vargas. Schon als ich sie zum ersten Mal gesehen habe, wusste ich es – die und keine andere! Damals war ich noch ein armseliges Sackgesicht aus der Siebten, aber Rebecca war schon das schärfste Mädchen der Klasse. Jetzt ist sie das schärfste Mädchen der Schule, und ihr sind auch noch die besten Brüste gewachsen.

Langes schwarzes Haar, olivbraune Haut, grüne Augen und Monstertitten. Das ist die ideale Kombination, wenn ihr mich fragt. Wenn ich so darüber nachdenke, was ich unbedingt noch erledigen muss, bevor ich abtrete, fällt mir nur eines ein: Bex rumkriegen. Aber das ist bisher jedes Mal brutal in die Hose gegangen.

#Herzschmerzhochzehn

Zum ersten Mal habe ich sie beim Abschlussball der Siebten gefragt. Da hat sie einfach Nein gesagt. In der Achten, bei Zayns Silvesterparty, meinte sie, ich wäre ihr zu arrogant.

Und in der Neunten, auf einem Schulausflug nach Brighton, erklärte sie mir, dass sie nicht auf verzogene reiche Jungs steht. Letztes Jahr, als ich schon älter und ungefähr hundertmal weiser war, habe ich meinen Versuch bei der Hohen Bank im Greenwich Park gestartet, meinem absoluten Lieblingsplatz, denn da ist es extrem romantisch.

Wie ich sie da hinbekommen habe? Ich habe ihr gesagt, ich müsste mit ihr über ihre Freundin Riana reden. Blöderweise hat sich dann herausgestellt, dass Riana wirklich was von mir wollte, und ich saß in der Scheiße. Jedes verdammte Jahr hat sie mich abserviert wie einen schwanzlosen Versager.

Und jetzt stehen die ganzen Vollpfosten bei ihr Schlange. Auch ein paar Freunde von mir. Aber das kann ich nicht zulassen. Mittlerweile sind wir in der Elften, und dieses Jahr fahre ich eine ganz natürliche Strategie: Ich werde zu dem Typen, den sie will. Ich werde nicht aufgeben, ich werde nicht scheitern. Der Burtmeister ist bereit.

1. Song

Mitgliedersuche

»Also war’s das?«

»Was?«

»Das ist deine endgültige Antwort?«

»Wie oft denn noch, Burt? Ich will nichts von dir.«

»Aber diesmal brauche ich ein bisschen Feedback. Findest du meinen Style scheiße? Am Aussehen kann’s ja nicht liegen.«

»Ist das dein Ernst?« Bex musterte Burt von Kopf bis Fuß. »Na gut. Erstens stehe ich auf Rockbands, und du ziehst dich an wie ein Boy-Band-Idiot. Diese Schuhe! Gott!«

»Was ist denn damit?«

»Mann, es geht doch nicht um die Schuhe!«

Bex verdrehte die Augen, kehrte ihm den Rücken zu und ging zum Klassenzimmer. Burt blickte ihr hinterher. Hatte sie denn gar keine Ahnung, was für ein gut aussehendes Paar sie wären? Und: Boy Band!? Das war doch wohl ein Scherz. Er sah doch nicht nach Boy Band aus? Jetzt brauchte Burt erst mal eine Kippe und ein bisschen Zeit zum Nachdenken.

Er lief zum Schulgarten. Das kleine eingemauerte Gemüsebeet schien extra als Zuflucht für Raucher gebaut worden zu sein. Dort fand Burt es ganz nett, vor allem wenn alle anderen im Unterricht saßen. Er ließ sich auf einen moosbewachsenen Plastikstuhl sinken und drehte sich eine Zigarette.

Wieder hatte Bex ihn gnadenlos abblitzen lassen. Fünf bittere Niederlagen in fünf Schuljahren. Eine traurige Serie. Irgendwas musste sich ändern. Einfach nur hartnäckig zu sein brachte offenbar gar nichts. Die ganze Schule wusste, dass er schon ewig hinter Bex her war, und inzwischen musste er sich deshalb selbst von seinen Freunden verarschen lassen. Burt sah zu, wie der Rauch seiner Zigarette über das verfallene Gewächshaus geweht wurde, und überdachte seine Taktik.

Die Schuhe würde er in die Tonne treten. Dieses Problem war schnell gelöst. Und plötzlich hatte er die Erleuchtung: Ein komplett neuer Look musste her. Bex stand auf Rock, und es konnte doch nicht so schwierig sein, sich wie ein Rocker anzuziehen. Eine Lederjacke, enge Jeans, vielleicht noch Cowboystiefel und die Sache wäre geritzt.

Nein, wäre sie eben nicht.

Burt nahm einen langen Zug von seiner Selbstgedrehten und konzentrierte sich mit aller Kraft. Er wusste: Um an Bex Vargas ranzukommen, musste er an seine Grenzen gehen. Und darüber hinaus.

Die Idee brach über ihn herein wie ein Wirbelsturm. Er drückte die Kippe in einer schlaffen Tomatenpflanze aus und rannte in die Schule.

* * *

Edward Poacher, der von seinen Mitschülern nur Egg genannt wurde, hatte keinen großen Spaß daran, jeden Mittag allein in der Mensa zu sitzen. Aber was sollte er machen? Er war kein sportlicher, cooler oder witziger Typ, das wusste er ganz genau. Schon am ersten Tag der Siebten hatten ihn die anderen als Nerd abgestempelt und er hatte sich nicht dagegen gewehrt. An seinem flammend roten Haar und seiner blassen, fleckigen Haut konnte er nichts ändern, seine Drahtgestellbrille hatte seine Mum ausgesucht, seine billigen Klamotten auch. Und wenn man über eins achtzig war, konnte man sich schlecht unauffällig verhalten, selbst wenn man absichtlich geduckt ging. All das ergab eine tragische Mischung, die jedes berühmt-berüchtigte Arschloch seiner Jahrgangsstufe magisch anzog, während die weibliche Hälfte der Schule ihn noch nie bewusst wahrgenommen hatte.

Musik war Eggs Leben. Jedes Instrument, das Egg in die Finger bekam, beherrschte er sofort. Beim Klavier hatte er schon mit zehn Jahren ein Level erreicht, das normalen Klavierunterricht unnötig machte. Jede freie Minute drehte sich um musikalische Neuentdeckungen. Wenn es darum ging, Meisterwerke der Musik auszugraben, war ihm kein Weg zu weit. Klassik, Rock, Roots, Alternative – alles, was irgendwie gut war, würde Egg eines Tages aufspüren. Die Musik und der immer gleiche Trott des Schulalltags waren seine Freunde.

Egg saß auf seinem Stuhl, saugte die letzten traurigen Reste aus einer Billigmarken-Safttüte und sah zu, wie die coolen Jungs und Mädchen miteinander lachten und scherzten. Er sah Rebecca Vargas zu. Sie war rundum perfekt und zehn Nummern zu groß für ihn. Er konnte sie nicht mal direkt anschauen, ohne Gewissensbisse zu bekommen, und wenn sie lächelte, schoss ihm ein Kribbeln durch den Nacken und mitten in den Kopf. Würde er es überhaupt überleben, wenn sie ihn anlächelte? Egg wusste es zwar nicht, aber er hätte es gern drauf ankommen lassen.

* * *

Als er Egg so beobachtete, kamen Burt ernsthafte Zweifel. Burt Windsor in einer Band mit dem da? Er ließ die Augen durch den Saal schweifen. Hoffentlich merkte niemand, dass er sich auf der falschen Seite der Mensa aufhielt. Bex saß bei Riana und sah dabei unverschämt heiß aus. Burt musste sich anpassen. Kompromisse eingehen. Worauf wartete er noch?

Unauffällig huschte er zu Eggs Tisch. »Hey, Kumpel!«

Egg blickte von seinem Salatsandwich auf. Seine Augen weiteten sich. Es war das erste Mal, dass er den attraktivsten Jungen der Schule aus der Nähe sah. Er suchte Burts Gesicht nach Schönheitsfehlern ab und fand keine: hohe Wangenknochen, ein ausgeprägtes Kinn, strahlend blaue Augen. Und was wollte so einer von ihm?

»Hast du was drauf?«, fragte Burt und deutete lässig auf den Tubakasten unter dem Mensatisch.

Egg wurde rot. »Also ich bin jetzt kein Anfänger mehr …«

»Und Gitarre kannst du auch, oder?«

»Ja. Wieso?«

»Hab gehört, du hast ganz schön was auf dem Kasten.«

»Geht so.«

Burt atmete tief ein und räusperte sich. »Ich will eine Band gründen und brauche noch jemanden für die Leadgitarre. Deshalb dachte ich mir, ich frag mal dich.«

Egg rutschte bloß auf seinem Stuhl hin und her.

»Bist du dabei?«, fragte Burt.

Einige Sekunden lang herrschte Stille. Dann nickte Egg vorsichtig.

»Perfekt! Nächsten Donnerstag nach der Schule machen wir in der Aula ein Casting für den Bassisten und den Drummer. Wir zwei sitzen in der Jury, du weißt schon, so Good Cop/Bad Cop-mäßig, wie bei Starfinder … das ist eine Fernsehshow, falls du das nicht kennst.« Burt ballte die Faust und streckte sie Egg entgegen. »Deal?«

Egg starrte auf Burts Faust, runzelte die Stirn und hielt ihm die Hand hin. Daraufhin seufzte Burt, schüttelte den Kopf und stupste Eggs Knöchel mit der Faust an, ehe er zurück zu seinen Freunden schlenderte.

Wieder saß Egg da und sah den coolen Jungs und Mädchen zu. Aber irgendetwas hatte sich verändert. Ein paar Tropfen Farbe sickerten in sein Schwarz-Weiß-Leben. Ihm schwirrte der Kopf. Auf einmal schien vieles möglich zu sein.

* * *

Burt – 12.September

Wenn Bex mich nicht bald ranlässt, sterbe ich noch vor Geilheit. Zum Glück habe ich ein Foto von Bex in Sportklamotten auf meinem iPhone, das bringt schon was. Ich habe mich vollständig neu eingekleidet und Bex gefragt, ob sie jetzt mit mir ausgeht. Sie hat gelacht und ist abgehauen. Ich bin ihr hinterher, um sie zu fragen, ob sie mich neulich nur veralbert hat. Da hat sie mir erklärt, dass ein Typ in einer Lederjacke noch lange kein Rock'n'Roller ist. Rock muss man »leben«. Also habe ich ihr von der Band erzählt. Sie hat geantwortet, dass ich vom Aussehen her auf einer Skala von eins bis zehn nur eine Sechs wäre, aber wenn das mit der Band stimmt, wäre icheventuell eine glatte Zehn. Hallo, eine Sechs? Sorry, aber das kann doch nur Verarsche sein. Dass ich nach Boy Band aussehen soll, war schon weit hergeholt, aber das mit der Sechs, das ist purer Schwachsinn. Doch ich nehme die Herausforderung an.

Ich werde eine Zehn auf der Bex-Hotness-Skala erreichen. Es geht nicht anders. Und sie hat ja noch keine Ahnung, wie verdammt heiß meine Band sein wird.

Ich hab Egg gefragt, ob er mitmachen will. Der Typ ist ein unfassbarer Loser mit abstoßenden roten Haaren, aber ich hatte keine Wahl. Irgendwer muss schließlich ein Instrument spielen können. Die Lage spitzt sich zu. Absolute Alarmbereitschaft.

Nächste Woche veranstalte ich ein Casting, Egg und ich machen einen auf Jury. Dad erzählt mir bei jeder Gelegenheit, ich hätte eine große Klappe und nichts dahinter und dass ich noch nie was auf die Reihe gekriegt hätte. Ich bin fünfzehn, was erwartet der von mir? Ich muss »scheiße cool« sein, alles andere interessiert die Leute einen feuchten Furz. Ich habe mal versucht, es ihm zu erklären, aber Dad hat bloß durch mich durchgeschaut. Sorry, aber wer das nicht checkt, ist ein Vollpfosten. Ich habe eine große Klappe und sehr viel dahinter, und ich werde noch eine Menge auf die Reihe kriegen. Also fick dich doch, Dad. Und richte Mum aus, dass ich auf eure elterlichen Ratschläge verzichten kann, solange ihr nie länger als fünf Minuten im Land seid.

Die letzte Reihe des Oberdecks war der gefährlichste Ort der Welt, und dort war Michael Twining, besser bekannt als Tea, exakt richtig. Er ließ sich auf den Hartschalensitz sinken, zündete sich seinen Joint an, inhalierte tief und legte den Kopf in den Nacken. Beim Ausatmen fragte er sich, wieso er eigentlich schon seit einem ganzen Jahr nichts mehr gesprayt hatte. Der blaue Rauch sammelte sich unter der Decke des leeren Busses. Tea zog seinen iPod hervor und scrollte sich durch die Musikbibliothek bis zu Public Enemy. Ein Klassiker. Er drehte die Lautstärke voll auf.

Vielleicht war er raus aus dem Alter? Vielleicht hatte er sich weiterentwickelt? Seine Mum hätte sicher nichts dagegen gehabt, wenn er in Zukunft keine Tags mehr sprayen würde, und seine Mum war großartig. Tea durfte in der Wohnung rauchen und Mädchen mitbringen, und seit sein Dad die Biege gemacht hatte, konnte er abends wegbleiben, so lange er wollte. Aber er nutzte seine Freiheiten nicht übermäßig aus.

Manchmal erwischte er seine Mum, wie sie mit traurigem Gesicht aus dem Fenster auf das heruntergekommene Viertel starrte. Es tat ihm weh, sie so zu sehen. Wie konnte Dad sie nur mit den ganzen Schulden sitzen lassen? Onkel Frank, Mums Bruder, tat zwar, was er konnte, aber im Wesentlichen mussten sie sich allein durchschlagen. Zu zweit gegen den Rest der Welt.

Als Burt Windsor den Gang hinaufgetaumelt kam, verkrampften sich Teas Schultern. Scheiße, was wollte der denn hier? Hinten im Bus hatten Schönlinge wie Burt nichts zu suchen. Wollte er ihm den Joint verbieten? Bisher hatte Tea ihn nicht als Moralapostel eingeschätzt. Als schmierigen Poser schon, aber nicht als Moralapostel.

Burt sagte nichts. Ohne die Miene zu verziehen, hielt er Tea einen Flyer hin:

MITGLIEDER FÜR MEHR ALS GENIALE ROCKBAND GESUCHT. CASTING AM DIENSTAG 18.SEPTEMBER NACH DER SCHULE IM MUSIKZIMMER. BITTE NUR BEI ERNSTHAFTEM INTERESSE ERSCHEINEN!

Tea hievte sich hoch, bis er einigermaßen gerade saß. In seinem Leben gab es nur eine Sache, die er wirklich ernst nahm und sogar noch besser konnte als Gras rauchen: Bass spielen. Sein Fender Precision war alles, was sein Vater ihm hinterlassen hatte. Und Bass spielen war das Einzige, was er Tea beigebracht hatte. Das heißt, nicht das Einzige, aber alles andere verstieß gegen das Gesetz.

* * *

Um zur Schule zu gelangen, musste Egg den steilsten Hügel Südlondons hinaufstapfen. An diesem Septembermorgen lag schon etwas Winter in der Luft. Eggs Jacke war zu dünn, und noch dazu lastete die Tuba schwer auf seinen Schultern und klatschte bei jedem Schritt gegen seine Oberschenkel.

Hinter sich hörte er einen Schrei. »Hey-ho! Egg von Schleck!«

Mit der Tuba auf dem Rücken konnte Egg kaum über die Schulter blicken. Aber er wusste auch so, wer es war: George Graves, sein schlimmster Peiniger. George konnte es sich erlauben, andere fertigzumachen – er war in der LBC, Burt Windsors Gang. Er sah gut aus. Er war beliebt. Er war der hinterhältigste Bastard der ganzen Jahrgangsstufe.

»Alles senkrecht, Käsegesicht? Oder plauderst du mal wieder mit toten Menschen?«

George tänzelte neben ihm her und schubste ihn so kräftig von hinten, dass Egg nach vorn torkelte und sich nur mit Müh und Not auf den Beinen halten konnte.

»Was geht, Schleck?« In der kalten Luft war Georges Atem zu sehen – beißende Dampffetzen. »Willst du für die Band vorspielen?«

»Ich spiele für gar nichts vor. Keine Ahnung, was du meinst.« Egg wagte kaum, George anzusehen.

George hatte nicht bei John Lewis vorbeigeschaut, um sich eine Schuluniform zu besorgen. Statt schwarzen Schuhen, weißem Hemd, blauer Hose und Krawatte in den offiziellen Farben der Schule trug er schwarze Mokassins ohne Socken, hautenge blaue Jeans, ein weißes Polohemd von Fred Perry und eine maßgefertigte, burgunderrote Krawatte. George hatte makellose Haut und schulterlanges blondes Haar und war rund ums Jahr perfekt gebräunt. Bei der Wahl zum bestaussehenden Typen der Schule war er auf dem zweiten Platz gelandet. Egg hatte den Verdacht, dass er sich die Haare färbte, um Burt ähnlicher zu sein, und manche spekulierten sogar, dass er sich die dunklen Augenbrauen zupfte. Aber Egg fand, dass Georges gefühllose blaue Augen viel zu tief in den Höhlen lagen. Sie wirkten hohl und leer, wie ausgehungert.

»Burt hat gesagt, du kannst ganz gut Gitarre spielen.«

»Hat er das?«

»Ja. Aber dann hat er auch noch gesagt, du bist der größte Schlappschwanz in ganz London. Also mach dir mal keine Hoffnungen.«

Egg beschleunigte seine Schritte, doch George holte ihn ein und verpasste ihm einen Tritt an den Knöchel. Egg kippte vornüber und knallte mit dem Gesicht auf den Asphalt, während die Tuba auf seinen Hinterkopf donnerte. George lachte und spazierte fröhlich weiter.

* * *

Clipper raste den Flügel hinauf, umkurvte den rechten Außenverteidiger, schnitt scharf nach innen und schlug eine perfekt bemessene Flanke auf den Kopf des Mittelstürmers – und Burt schloss den Angriff wundervoll ab. Das vierte Tor. Zum vierten Mal sprintete Clipper los, schlang die Arme um seinen Mannschaftskameraden und zerquetschte ihm fast die Hüfte.

Später in der Umkleide studierte er Burts Bauchmuskulatur. Burts Sixpack war nicht von dieser Welt. Clipper warf einen Blick auf die anderen halb bekleideten Jungs und entdeckte keinen Bauch, der auch nur halb so definiert war wie Burts. Als Burt aufsah, blickte Clipper zu Boden.

»Gutes Spiel, Clip!«, rief Burt durch das Gequatsche der anderen. »Wann hast du noch mal das Probetraining bei Charlton Youth?«

»Nächsten Donnerstag«, antwortete Clipper. Er konnte seinem Kameraden nicht in die Augen sehen.

»Hey, spielst du nicht Schlagzeug?« Burt marschierte rüber und drückte ihm einen Flyer in die Hand.

Clipper las den Flyer. Er ließ sich Zeit damit. Abseits des Platzes redeten Burt und er kaum miteinander. Burt hatte seine LBC, Clipper hing mit den Fußballverrückten ab. »Äh … ja«, sagte er – und flüchtete dann aus der Umkleide.

Wirklich sicher fühlte er sich erst, als er den kleinen Laden an der Ecke seiner Wohnsiedlung erreicht hatte. Hierher kam Justin Liam Clipper, wenn er in Ruhe nachdenken musste. Es gab kaum etwas Schöneres, als zuerst an der Schokoriegeltheke entlangzuschlendern und sich dann bei den Zeitschriften umzuschauen. Warum schüchterte Burt ihn so sehr ein? Das musste er in den Griff kriegen, wenn er mit dem Typen in einer Band spielen wollte.

Clipper hatte ein festes Ritual: Er nahm ein Fußballheft aus dem Regal, blätterte es kurz durch, blickte sich unauffällig um, schnappte sich eine Modezeitschrift und vertiefte sich in die neuesten Kollektionen. So konnte er locker eine volle Stunde totschlagen. Den Besitzer des Ladens störte es nicht, denn Clipper war ein netter Junge.

Manchmal fragte Clipper sich, wie er wohl in einem der Outfits aus den Magazinen aussähe. Seine Augen blieben meist an den extravaganteren Looks hängen. Warum kaufte er sich nicht einfach ein Heft? Würde das irgendwen jucken? Und selbst wenn – Clipper war der härteste Kerl der Schule. Sieben Kämpfe, sieben Siege.

Mit seinem letzten Fight, einem Duell mit einem Typen namens George Graves, hatte Clipper sich endgültig einen Namen gemacht. George war ein Dreckskerl, der kleinere und schwächere Kids herumschubste, und solche Typen verabscheute Clipper. Sein Dad war in der Schule jahrelang herumgeschubst worden.

Dass George zur LBC gehörte, interessierte Clipper dabei nicht weiter. Keiner, der auf dicke Hose machte, war unantastbar. Es fing damit an, dass George einen nerdigen Typen stresste, der allein an einem Mensatisch saß. Clipper forderte ihn auf, die Sache nach allen Regeln der Kunst auszutragen, und George nahm an. Zeit und Ort wurden festgelegt: nach Schulschluss am Fußgängertunnel. Die Mitte der Unterführung befand sich unter freiem Himmel, zwischen den vier Ausgängen lagen steile, grasbewachsene Böschungen. Das beste Amphitheater weit und breit. Ideal für Gladiatorenkämpfe.

Die Kids standen dicht an dicht auf den Hängen. Niemand wollte den Kampf des Jahres verpassen. Nach vierzig Sekunden lag George am Boden und die Zuschauer hatten jede einzelne genossen. Clipper war der neue Daddy der Schule.

Ihm würde keiner blöd kommen. Niemals. Also warum machte er ein Geheimnis daraus, dass er sich für Mode interessierte?

Am Morgen nach dem großen Spiel schleppte Clipper sich auf müden Beinen in die Schule. Der Flyer, den Burt ihm in der Umkleide überreicht hatte, hatte ihn die halbe Nacht wach gehalten. Und als er den Spielbericht auf dem schwarzen Brett las, sah er, dass darunter der gleiche Flyer hing, mit Kaugummi an die Tafel gepappt. Er überflog ihn noch einmal, atmete tief durch und traf eine Entscheidung.

2. Song

Casting

Egg stand auf der weitläufigen Schottereinfahrt, betrachtete das riesige Haus und fragte sich, wie man in so viel Luxus leben konnte. Was fingen die Leute bloß mit dem ganzen Platz an? Egg hätte nur ein Musikzimmer und ein Schlafzimmer gebraucht. Vielleicht noch eine Küche und ein Bad. Doch dieses Haus hatte drei Stockwerke, und allein von seinem Standort aus zählte Egg sechzehn Fenster.

In der Einfahrt standen drei Wagen. Egg war kein Autofachmann, aber einen Lamborghini und einen Porsche erkannte selbst er. Den großen silbernen Range Rover hatte er schon mal gesehen – letztes Schuljahr war Burt damit zur Schule gefahren und hatte ihn neben dem Kia des Rektors geparkt. Er hatte eine Woche Schulverbot bekommen.

Es fiel Egg nicht leicht, auf die prächtige Treppe vor dem Eingangsportal zuzugehen. Es war nicht körperlich schwer, sondern mental. Seit Burt ihn gefragt hatte, ob er bei der Band mitmachen wolle, wurde Egg von zahlreichen Sorgen geplagt: Er machte sich Sorgen über die Reaktion seiner Mum, über die Reaktion von Burts Freunden, über seine Fähigkeiten als Gitarrist. Und seit Burt ihm klargemacht hatte, dass er zu einer ersten Bandbesprechung vorbeikommen musste, konnte Egg überhaupt nicht mehr schlafen. Er hatte eine Stunde lang im Schrank gewühlt und hin und her überlegt, was er anziehen sollte.

Oben schwang die Tür auf. Egg wirbelte auf dem Absatz herum und wollte die Flucht ergreifen.

»Egg? Was machst du da?«

Er erstarrte, lief tiefrot an und drehte sich zögerlich zu der Stimme in seinem Rücken. »Ich, äh … ich hab noch was zu Hause vergessen.«

»Was denn?«, fragte Burt, der locker in der Tür lehnte.

»Mei… meine Gitarre.«

»Ich hab dir doch gestern gesagt, dass ich genug Gitarren dahabe. Ich habe alles.«

»Ja, das sieht man.« Egg entspannte sich ein bisschen. Er nickte Richtung Villa. »Wahnsinnshaus.«

»Gib mir 3,3Millionen und es gehört dir.« Burt grinste. »Komm rein. Wir sollten anfangen.«

Drinnen verrenkte Egg sich den Hals hierhin und dorthin, bis sich sein Genick anfühlte wie Gummi. Es war richtig anstrengend, den ganzen Reichtum zu erfassen – die vielen chinesischen Vasen, vergoldeten Spiegel, samtigen Teppiche und verschnörkelten Uraltmöbel. Die Eingangshalle wurde von einer großen Treppe beherrscht, die sich hinauf in den ersten Stock schwang, mindestens fünf Mal so breit wie die Treppe zu Hause bei Egg. Kopfschüttelnd folgte er Burt durch einen Flur mit Marmorboden in die Küche. Doch die »Küche« hatte keinerlei Ähnlichkeit mit den Küchen, die Egg bisher gesehen hatte. Sie war riesig. In der Mitte prangte eine gewaltige quadratische Kochinsel, darüber hingen unzählige glänzende Töpfe, Pfannen und andere Küchenutensilien an Stahlhaken. Gegenüber, in einer Nische vor dem gigantischen Doppelfenster, befand sich der Essbereich, dessen Herzstück ein runder, mit kunstvollen Schnitzereien verzierter Tisch war. Und an dem Tisch saß eine kleine Gestalt. Es war ein Mädchen, neun oder zehn Jahre alt, mit einer Riesenmenge Locken auf dem Kopf und einer blauen Plastikbrille auf der Nase.

Damit hatte Egg nicht gerechnet.

»Hi«, sagte das Mädchen.

»Hallo«, antwortete er, zur Salzsäule erstarrt. »Ich bin Edward, aber alle nennen mich Egg.«

Das Mädchen lächelte. »Du bist anders als Burts andere Freunde.« In ihren Augen brannte eine unbändige Neugier. »Willst du was zu trinken?«

»Oh. Okay. Ein Wasser, bitte.«

»Du musst ihn nicht bemuttern, Millie«, sagte Burt. »Wir haben was Wichtiges zu besprechen.«

»Du meinst wichtigen Musikkram?«, fragte Millie, während sie zum mannshohen und meterbreiten Kühlschrank hopste.

»Woher weißt du das schon wieder?«

»Hab ich auf deinem Laptop gelesen.« Sie füllte ein elegantes Glas mit Sprudelwasser aus einem eingebauten Wasserspender.

Burt schüttelte den Kopf. »Mein Laptop ist Privatsache, das habe ich dir schon tausendmal gesagt. Kannst du das bitte mal bleiben lassen?«

Millie brachte Egg das Wasser. »Und du bist das Musikgenie der Schule?«

»Das würde ich so nicht sagen …«, murmelte Egg.

»Was für Instrumente spielst du denn?«

»Hmmm … mal nachdenken.« Zum ersten Mal lächelte Egg. »Bei Klavier, Gitarre, Geige und Tuba habe ich schon ein anständiges Niveau erreicht. Und eine Zeit lang habe ich Tabla-Unterricht genommen, das ist ein indisches Schlaginstrument. Also wenn ich ehrlich bin, kann ich wohl die meisten Instrumente spielen. Weißt du, wenn man mal ein Blas-, Schlag-, Saiten-, Zupf-, Plink- und Plonkinstrument beherrscht, kommt der Rest so ziemlich von allein.«

Millie brach in ein Gelächter aus, das so ansteckend war, dass Egg einen Schwall Wasser aus der Nase schnaubte. Vor Scham starrte er stumm auf die Fliesen.

»Schon gut, Egg. Du musst ihr nicht gleich dein ganzes Leben erzählen«, sagte Burt ungeduldig. »Sollen wir mal raufgehen und das Musikzimmer auschecken?«

»Hat mich gefreut, dich kennenzulernen, Edward Egg«, meinte Millie.

Schnell trank Egg das restliche Wasser aus und lief zur Spüle. Er wollte das Glas abspülen, doch nach einem Blick auf den hypermodernen Wasserhahn, der quasi aus einem einzigen Hebel bestand, überlegte er es sich anders. Außerdem gab es keinen Platz, wo man das Geschirr abtropfen lassen konnte. Es gab überhaupt nur ein Loch in der Granitarbeitsplatte. Behutsam stellte er das Glas ab.

»Mann, Schleck, du bist aber gut dressiert«, sagte Burt, der schon halb im ausufernden Flur verschwunden war. Egg eilte ihm hinterher und die Treppe hinauf, über staubfreie Treppenabsätze, die mit weiteren erlesenen Möbelstücken und Antiquitäten dekoriert waren.

»Wo sind eigentlich deine Eltern?«, fragte Egg, als sie hoch in den obersten Stock stiegen.

»Weg«, sagte Burt tonlos. »Die verpissen sich immer monatelang.«

»Und wer kümmert sich dann um dich und Millie?«

»Niemand. Ich hab meinem Dad eingeredet, ich wäre schon zwei Jahre älter. Und dass er Geld sparen kann, indem er die Haushälterin rausschmeißt, die vorher bei uns gewohnt hat. Seitdem haben wir immer sturmfrei. Dreimal die Woche kommt eine Putzfrau vorbei, einmal die Woche wird Essen geliefert, und das war’s.«

Egg runzelte die Stirn. »Aber dein Dad weiß doch sicher, wie alt du bist. Und was ist mit deiner Mum?«

»Ja, wahrscheinlich weiß er’s schon«, erwiderte Burt, ohne stehen zu bleiben. »Aber die Sache ist die, Egg: Es geht ihm am Arsch vorbei. Und meiner Mum auch. Mills und ich brauchen die beiden eh nicht. Uns geht’s gut.«

Langsam wurde Egg klar, dass Burt nicht allzu gern über das Thema sprach. Er schluckte seine Neugier hinunter und folgte ihm die letzten Stufen hinauf. Das Musikzimmer befand sich im dritten Stock.

Egg blieb in der Tür stehen und staunte. Burt besaß jedes Instrument. Wirklich jedes.

»Ist das eine Bouzouki?«, fragte Egg, während er sich fasziniert ins Zimmer wagte.

»Mann, Egg. Ich weiß nicht mal, was für eine Sprache das sein soll.«

Egg tastete sich durch den vollgestopften Raum. Er befreite ein gitarrenartiges Instrument aus der Wandhalterung, stützte es auf das Knie, stellte den Fuß auf einen Klavierhocker und zupfte ein paar Noten. Harte, metallische Klänge erfüllten das Zimmer. Burt riss die Augen auf.

»Das ist ein griechisches Instrument aus der Familie der Laute!«, rief Egg. Er konnte nicht aufhören zu spielen.

»Mir egal, ob das Teil chinesisch, mexikanisch oder schwedisch ist«, sagte Burt. »Aber bei dir klingt es einfach geil!«

* * *

Burt – 18.September

Die Leute respektieren mich wie keinen anderen. Sie respektieren mein Aussehen, meine Markenklamotten, meine Gang aus treuen Burt-Fans, meinen Fuhrpark aus Luxuskarossen. (Hallo Dad! Ich hab dein neues Schlüsselversteck gefunden! Du bist echt dumm wie Brot.) Seit ich auf die Sekundarschule gekommen bin, wurde ich jedes Jahr zum bestaussehenden Typen gewählt. Also warum zur Hölle will Bex nichts von mir? Das ist einfach unlogisch.

Heute ist das Casting! Mum war zwei Monate unterwegs und kommt morgen für zwei Tage zurück. Die will mich wohl verarschen. Sie ist nicht mal auf die Idee gekommen, mich zu fragen, was ich zu meinem sechzehnten Geburtstag will. Der übrigens schon war, Mum, nur so zur Info. Wäre trotzdem schön gewesen, sie mal länger als zwei Tage zu sehen. Aber scheiß drauf, ich habe eine Band, was will ich da noch mit Mummy und Daddy? Gestern war Egg da. Der Typ ist krass schräg drauf, aber er kann sehr gut spielen und mein Musikzimmer hat ihn ordentlich beeindruckt.

Dad hat noch nie was Sinnvolles gemacht, jedenfalls nicht für mich, aber für die Instrumentensammlung bin ich ihm wirklich dankbar. Auch wenn er den Kram nicht direkt für mich gesammelt hat.

* * *

Egg saß seit zwei Stunden auf seinem Stuhl. Er durfte nicht weg. Dabei musste er schon so dringend, dass ihm der Schmerz von der Blase bis in den Magen zuckte.

Burt warf einen Blick auf sein Klemmbrett. »Okay. Noch drei.«

Er hatte MrAndrews um Erlaubnis gebeten, das Casting im Musikzimmer der Schule abhalten zu dürfen. Offensichtlich nahm er das Ganze sehr ernst. Egg und er saßen hinter einem eigens aufgestellten Tisch, während vor ihnen das Trauerspiel seinen Lauf nahm. Bisher hatte Egg sich alle kritischen Kommentare verkniffen – aber jetzt konnte er sich nicht mehr zurückhalten. Vielleicht lag es an den Schmerzattacken auf seine Eingeweide, vielleicht auch an der Folter für seine Ohren.

»Burt«, sagte er, »das ist doch Wahnsinn. Wir sitzen hier seit Stunden rum und hören Leuten zu, die weder singen noch irgendein Instrument spielen können. Das bringt doch nichts!«

Burt war empört. »Wie bitte? Was machst du hier die Leute schlecht? Nur weil du der totale Musikchecker bist!? Halt die Fresse und tu mal was für dein Geld, klar?«

»Geld? Ich krieg kein Geld. Und als ich gestern bei dir war, meintest du, ich soll meine ehrliche Meinung sagen. Weil ich hier der Experte bin.«

»Aha«, sagte Burt. »Und jetzt?«

»Und jetzt sage ich dir, dass es nichts bringt, deine Freunde vorspielen zu lassen, weil deine Freunde alle kein Talent haben.«

Nun regte Burt sich richtig auf. »Pass mal auf, was du sagst, Kleiner!« Er hämmerte die Faust auf den Tisch. Egg zuckte zusammen. »Meinetwegen haben sie kein Talent, aber sie ziehen sich wenigstens vernünftig an!« Er atmete durch. »Was ist denn mit Sid Vicious und Stuart Sutcliffe? Die hatten auch kein Talent, aber sie sahen großartig aus.«

Egg hob die Hände, als wollte er sich ergeben. »Okay, okay. Noch drei, oder? Wer kommt als Nächstes?«

»George Graves!«

Eggs Kopf sank in die Hände, während die nächste Schmerzwelle durch seinen Magen schwappte.

George stolzierte herein und zwinkerte Egg zu.

»Wie heißt du und woher kommst du?«, fragte Burt, als George an der für die Kandidaten vorgesehenen Stelle angekommen war.

»Du weißt doch, wer ich bin.« George lächelte spöttisch. »Und wo ich wohne auch.«

»Ja, ja, aber bitte sag doch kurz deinen Namen und woher du kommst. Meinem Jurykollegen zuliebe.«

»Dem zuliebe lasse ich nicht mal einen fahren.«

Burt wandte sich an Egg. »Ihr kennt euch?«

»George hilft mir manchmal, meine Tuba den Hügel raufzutragen«, sagte Egg leise.

»Na dann …« Mit verwirrtem Gesicht drehte Burt sich wieder nach vorn. »Okay, was willst du für uns spielen?«

»Spielen kann ich nichts. Ich singe euch was vor.«

»Und was singst du uns vor?«

»Who Shot The Sheriff von Bob Marley.«

Und bevor Burt noch etwas sagen konnte, schmetterte George eine ganz eigene Interpretation des bekannten Songs – ein unmelodisches, abgehacktes A-cappella-Klagelied, das Eggs Ohren leiden ließ wie nie zuvor.

Bei der ersten Zeile der zweiten Strophe riss Burt die Hand hoch. »Das war wirklich richtig super, George. Wir melden uns dann bei dir.«

Mit einer gewissen Schadenfreude sah Egg dabei zu, wie Georges Gesichtsausdruck innerhalb weniger Sekunden drei Phasen durchlief: Konzentration, Verwunderung, Demütigung. Er warf Egg noch einen bösen Blick zu und stapfte aus dem Zimmer.

»Das ist ja klasse gelaufen«, sagte Egg feierlich.

Burt ignorierte seinen Kommentar. »Als Nächster ist Clipper dran, der Kapitän der Schulfußballmannschaft und Daddy der Schule.«

»Daddy der Schule? Was ist das?«, fragte Egg.

»Der härteste Typ der Schule«, erklärte Burt ihm entnervt. »Außerdem soll er ganz gut Schlagzeug spielen. Deswegen hab ich dich das Schlagzeug aufbauen lassen.«

Ein Junge kam herein: breiter Brustkorb, sandfarbenes Haar, buschige Augenbrauen, freundliches Gesicht. Er trug Trainingsklamotten und hatte seine eigenen Trommelstöcke mitgebracht. Egg sah ihm sofort an, wie nervös er war.

»Hi«, sagte Burt. »Sagst du uns bitte, wer du bist und woher du kommst?«

»Ich bin Clipper und ich komme von hier«, antwortete Clipper, die Augen auf seine großen weißen Sportschuhe gerichtet.

Burt seufzte gedehnt und fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. »Okay. Setz dich doch bitte an die Drums, Clip, und zeig uns, was du zu bieten hast.«

Clipper hockte sich ans Schlagzeug, schloss die Augen und hob eine fleischige Riesenfaust, die so verkrampft war, dass die Knöchel weiß hervortraten. Dann fing er an, einen 3-über-4-Polyrhythmus zu spielen, während sein rechter Fuß das Pedal der Bassdrum bediente und sein linker das der Hi-Hat.

Egg drehte sich zu Burt und hob die Augenbrauen. »Gar nicht mal so schlecht.«

Burt, der seinen Mannschaftskameraden aufmerksam beobachtete, nickte zustimmend. Als er fertig war, schoss Clipper mit tiefrotem Gesicht in die Höhe und lief im Vollsprint zurück zu seinem Platz vor dem Richterpult.

»Okay, Clip«, sagte Burt. »Wir melden uns dann bei dir. Danke, dass du da warst.«

Clipper knirschte mit den Zähnen und presste die Augen zusammen. »Wollt ihr denn gar nichts dazu sagen?« Eine kurze Pause. »Nein, sagt lieber nichts. Ich weiß, es war scheiße. Ich hätte gar nicht kommen sollen.«

Egg blickte von Burt zu Clipper und meinte: »Du warst der Beste von allen.«

Clipper öffnete die Augen. Langsam krümmten sich seine Lippen zu einem strahlenden Lächeln. »Echt? Im Ernst?«

»Ja, ja, im Ernst«, sagte Burt und starrte Egg zornig an. »Und jetzt raus mit dir!«

Clipper joggte zum Tisch, um den beiden Juroren die Hände zu schütteln. »Ich bin euch so dankbar! Das ist eine große Chance für mich!« Dann machte er kehrt und rannte in einem halben Hopserlauf aus dem Musikzimmer.

»Und wer kommt jetzt?«, fragte Egg, als wäre nichts gewesen.

»Mach das nie wieder!«, zischte Burt. »Wir dürfen den Leuten keine falschen Hoffnungen machen. Das wäre unfair.«

Egg unterdrückte ein Lachen. »Ja, stimmt schon. Aber wer kommt als Nächster?«

»Tea. Er ist ein Jahr über uns, aber MrAndrews meint, er sei ein genialer Bassist. Wohnt im Asozialenviertel. Der Neffe von Frankie ›The Hat‹ Sheehan.«

»Kenne ich nicht. Ist das so ein Promi?«

Seufzend schüttelte Burt den Kopf. »Nein, das ist kein Promi. Egal. Tea hält sich ziemlich raus. Wir anderen sind ihm wohl nicht gut genug. Die Tussis finden ihn voll süß und so, aber aus dem Kerl wird keiner schlau. Ein paarmal ist er mit irgendeiner Braut im Arm bei einer von meinen Partys aufgetaucht. Ich glaube, er ist …« Doch da schlenderte Tea bereits herein. Er trug Schlabberjeans und riesige Sneaker. Ein gut aussehender, aber düsterer Typ mit olivbrauner Haut und langem, glattem, glänzendem schwarzen Haar. Das exakte Gegenteil von Clipper.

Tea stellte seinen Gitarrenkasten ab, klappte die Verschlüsse auf und zog einen uralten, aber hervorragend erhaltenen E-Bass hervor. Er stöpselte den Klinkenstecker ein, schlang sich den Gurt um den Hals und fing an zu spielen. Seine Finger preschten über die vier dicken Saiten und brachten einen vollen, wohlklingenden und fehlerfreien Sound hervor. Egg lauschte mit wachsender Begeisterung. Als Burt die Hand hob, feuerte Tea einen kurzen Blick auf die erhobene Hand ab, kehrte ihm den Rücken zu und begann die hohen Töne zu beackern. Die oberen Bünde erlaubten es ihm, eine klarere Melodie herauszuarbeiten, die er nach einer guten Minute mit einem virtuosen Triller abschloss. Er drehte sich zurück zum Richtertisch und sah Burt fest in die Augen, bis dieser schließlich die Hand sinken ließ.

»Äh … vielen Dank«, sagte Burt. »Wir melden uns bei dir.«

Tea nickte, streifte den Gurt ab und tat alles, was er zuvor gemacht hatte, nur in umgekehrter Reihenfolge.

»Ist das ein 66er Fender Blacktop?«, hauchte Egg ehrfürchtig.

Tea, der momentan auf dem Boden kauerte, blickte auf und schloss den Gitarrenkasten. Er nickte.

»Wow«, schwärmte Egg. »Ein wundervolles Instrument.«

»Ja. Das Einzige, was mir mein Wichserdaddy vererbt hat.« Teas Stimme war tief und heiser. »Und wie man das Scheißteil spielt, schätze ich.«

»Das machst du auf jeden Fall sehr gut«, sagte Egg und wurde rot.

Tea nickte, warf Burt einen hasserfüllten Blick zu und schlurfte davon.

Aufgeregt wandte Egg sich an Burt. »Das war der Beste von allen! Ich glaube, der hat gar keine Ahnung, wie gut er ist!«

Burts makelloses Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. »Ich fürchte, er passt nicht zu uns.«

»Was? Warum denn? Er ist der Einzige, der wirklich was kann. Er passt perfekt.«

Burt marschierte zur Tür. »Ich muss mal pissen.«

* * *

Egg – 19.September

Gestern war das Casting. Das Niveau war niedrig und Burt unfassbar nervtötend. Am Anfang hat er gesagt, er wird es genau wie Wilson Cloom bei Next Big Thing machen (wohl eine Fernsehsendung), aber seine Kommentare zu den Kandidaten waren dann sehr positiv, wahrscheinlich weil alle bis auf zwei in der LBC sind. Ich muss dringend herausfinden, was LBC bedeutet. Spencer, Christian und Zayn haben alle vorgespielt, und natürlich George. Alles Nichtskönner.

Deshalb war Tea eine echte Wohltat. Der war so cool. Er ist reingekommen und hat kein Wort gesagt, sondern einfach umwerfende Bassläufe gespielt. Da habe ich zum ersten Mal Hoffnung geschöpft. Mein einziger Kritikpunkt wäre, dass er etwas zu viele Noten in die einzelnen Takte presst, aber abgesehen davon spielt er wirklich sehr gut.