Rockerkrieg - Jörg Diehl - E-Book
SONDERANGEBOT

Rockerkrieg E-Book

Jörg Diehl

3,9
10,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 10,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die Gesetzlosen – Rocker gegen den Rechtsstaat

Hells Angels, Bandidos, Outlaws oder Gremium – die Motorradclubs, die sich hinter diesen Namen verbergen, haben in den vergangenen Jahren immer wieder für Schlagzeilen gesorgt. Die Rocker morden, erpressen, dealen, gehen mit Messern und Schusswaffen aufeinander und auf die Polizei los. Diese tut sich schwer damit, die Banden in Schach zu halten, auch wenn es in den letzten Monaten zu Verhaftungen, Razzien und Vereinsverboten gekommen ist. Doch reichen diese Maßnahmen aus? Rocker sind längst nicht mehr nur die tumben Schläger, die vor Diskotheken stehen und dort den Drogenhandel kontrollieren. Sie mischen in der Lebensmittelbranche mit, machen Immobiliendeals, sie sind Gastronomen, führen Unternehmen und profitieren massiv von der Vermarktung ihres Lifestyles. Kurz: Sie sind inzwischen Teil der organisierten Kriminalität in Deutschland und liefern sich einen Krieg um Macht und Einfluss – untereinander und gegen den Staat.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 463

Bewertungen
3,9 (36 Bewertungen)
12
12
7
5
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Jörg DiehlThomas HeiseClaas Meyer-Heuer

ROCKERKRIEG

Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden

Deutsche Verlags-Anstalt

4. Auflage 2013Copyright © 2013 Deutsche Verlags-Anstalt, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH und SPIEGEL-Verlag, HamburgAlle Rechte vorbehaltenAbbildungen: SPIEGEL TV GmbH, HamburgTypografie und Satz: DVA/Brigitte MüllerGesetzt aus der JensonISBN 978-3-641-09431-7www.dva.de

Inhalt

VORWORT DIE BLUTSPUR

KAPITEL 1 »KOMM MAL HER, DU SCHWULE SAU, ICK FICK DICH!«

Rocker als Staatsfeinde, Subkultur und Promischmuck

Böse gucken früh um fünf – Rocker und der Rechtsstaat

Rein nur mit Ramme – Rockerclubs als rechtsfreier Raum

Erwarte keine Gnade – Rocker als Subkultur

Bikerphilosophie: Saufen, Fressen, Sex

Guten Tag, ich möchte Rocker werden – ein Exkurs

Vom Mopedfahrer zum Mitglied – Weiter im Exkurs

Drogen, Waffen, Frauen – Die Nachfrage regelt das Angebot

Sterben mit den Haaren im Wind – Rocker und der Tod

Rocker hinter Gittern

KAPITEL 2 SONNY BARGER IST GOTT

Die Geschichte der Hells Angels

The Wild One: Rockergangs terrorisieren eine Kleinstadt

Ein Foto schreckt Amerika auf

Hells Angels und eine knackige Blondine

»Bye-bye, ihr Wichser – wir sehen uns im Himmel«

Who the fuck is Sonny Barger? Wie alles begann

Von Vietnam nach Altamont – Hells Angels und Hippies

»Gib es zu, du Schweinehund« – Wenn Hells Angels morden

»The Wild Angels« – Die Höllenengel im Film

Hamburg, St. Pauli, Hells Angels »Germany«

»When in doubt, knock them out«

KAPITEL 3 DER TOD DES ROBERT K.

Wie der Krieg beginnt

Die Gewaltorgie in Stuhr

Mord im Münsterland

Der Prozess

Die Chance zum Verbot wird vertan

KAPITEL 4 DER KÖNIG VON HANNOVER

Wer ist Frank Hanebuth?

Das Treffen

Der Anfang

Der Boxer

Der Hells Angel

Der Aufstieg

Die Party des Paten

In der Mitte der Gesellschaft

Das Rockernest

»Ende im Gelände«

KAPITEL 5 »ICK WERD VERRÜCKT, DER BULLE HAT JESCHOSSEN!«

Angriff auf den Rechtsstaat

Die Hauptstadt-Nomaden

»Hab ich ihm die Fresse geschlagen, Alda«

Die jungen Wilden

Attacke in Brandenburg

Ein Hells Angel stirbt

»Das sind gute Jungs, die passen zu uns«

KAPITEL 6 HEUTE DEUTSCHLAND, MORGEN DIE GANZE WELT

Rocker auf Expansionskurs

Unwillkommen im Norden

Angriff auf einen Busfahrer

Aus Kameraden werden Feinde

Mit Waffen und einer Frau

Die Gewalt eskaliert

Janez MC – Aufbau Ost auf Rockerart

Die Macht des Präsidenten

KAPITEL 7 FRAUEN, DROGEN, STEROIDE

Die Geschäfte der Gangs

Was ist Organisierte Kriminalität?

Big Business

Die Bandidos GmbH

Das schwarze Schaf

Der Mann mit dem Koks ist da

Die Starkmacher

KAPITEL 8 KRONZEUGEN, VERRÄTER, KRUMME VÖGEL

Wenn Rocker reden

Unbedingt Klappe halten!

Der Kugelblitz phantasiert

Ein Rolf für alle Fälle

Die Unberechenbaren: Thomas P. und »Bad Boy Uli«

KAPITEL 9 »ESCHLIS« ENDE

Todesschüsse im Rotlicht

Das Opfer: »Eschli Elten stirbt nicht im Bett«

Ein bisschen Frieden

Die Begegnung: »Schieß doch!«

Das Nachspiel

KAPITEL 10 FREIHEIT – VON WEGEN

Der Alltag der Rocker

Spießer und Freiheit, Freiheit, Freiheit

Rocker hinter Gittern

Neid und Missgunst

Schmarotzer Jörg K. – ein Rocker trickst sich durch

Gewalt ist Respekt – die Gangs und ihr Nachwuchs

KAPITEL 11 DES ROCKERS FREUND UND HELFER

Spitzel bei der Polizei

Wenn der Oberkommissar plaudert

Hooligan, Rockerkumpel, Beamter

Korruption und Kumpanei

KAPITEL 12 DAS FATALE DREIECK

Rocker, Presse, Polizei

Rocker? Wie langweilig!

Demonstrationen der Macht

Wie die Rocker Journalisten instrumentalisieren

Die Medienstrategie der Höllenengel

Die Polizei: Alles auf Alarm

KAPITEL 13 ROCKER-GIPFEL IN HANNOVER

Der Frieden und sein schnelles Ende

Handschlag der Kuschelrocker

Der erste Verstoß

Duisburg – die umkämpfte Stadt

Straßenschlacht in Mönchengladbach

KAPITEL 14 GEWALT UND GEGENGEWALT

Der Staat greift durch

Rocker-Republik Deutschland

Vorbote der Verbote

Abgerockter Norden

Die Strategie der Polizei

»Borderland«-Syndrom

»Westend« am Ende

Kiel, Köln, Aachen

Die Rocker reagieren

KAPITEL 15 WER SCHNELLER SCHIESST, GEWINNT

Machtkampf in Berlin

Bewaffnet in der Hauptstadt

Peinliche Polizeipanne

Chronik eines Verbots

Der Verrat

Exodus der »Nomads«

»Berlin City« war einmal

Alte Sofas, ein Täschchen und ein Anschlag

»Schnauze!«

KAPITEL 16 DAS ENDE

Junge Wilde gegen alte Rocker

Das Märchen von den Schafen in Wolfspelzen

Mongolen an der Weser

Rocker ohne Kräder

»Wir schwören, Mann, wir töten sie«

Wie die Gangs überleben können

EPILOG BANDE, WECHSLE DICH!

PERSONENREGISTER

BILDTEIL

VORWORT DIE BLUTSPUR

Es ist das Aufeinandertreffen zweier Legenden, Muhammad Ali gegen Mike Tyson sozusagen, wenn auch mit nicht ganz gleichmäßig verteilten Chancen: Auf der einen Seite die GSG 9, die Elite der Elite, die Enkel der Helden von Mogadischu, das ultimative Mittel des Rechtsstaates. Und auf der anderen Seite Frank Hanebuth, mächtigster Hells Angel in Europa, Ex-Schwergewichtsboxer, 1,96 Meter groß, locker 140 Kilo schwer. »Der Lange« gilt als Pate von Hannover, sein Wort ist vielen Männern Gesetz.

Hanebuth wohnt nördlich der niedersächsischen Landeshauptstadt, in der ebenso sattgrünen wie gutbürgerlichen Gemeinde Wedemark. Seine Villa, Fachwerk mit rotem Klinker, liegt hinter einem zwei Meter hohen Zaun, der mit Stacheldraht bewehrt und mit Kameras gespickt ist. Die Nachbarn des Chefrockers sind Musiker und Chefärzte, Manager und Politiker, die sich privat in ihre schöne, heile, wohlhabende Welt zurückgezogen haben.

In dieses Idyll dröhnt am 24. Mai 2012, morgens um kurz nach 5 Uhr, ein 3200 PS starker Hubschrauber der Bundespolizei vom Typ Super Puma. An Bord des blau lackierten Monstrums hocken ein Dutzend Elitepolizisten der Spezialeinheit GSG 9, Funkname »Wotan«. Schwer bewaffnet mit Maschinenpistolen, 9-Millimeter-Waffen, Pumpguns und Blendgranaten seilen sich die maskierten Kämpfer in den schwarzen Einsatzoveralls in Hanebuths Garten ab.

Sie erschießen einen sechs Monate alten Hütehund, zwecks Eigensicherung, wie es hinterher im schönsten Polizeideutsch heißt, als ihnen der aus dem Schlaf gerissene Rockerfürst auch schon entgegenläuft. Die Hände hält er über den Kopf, sich der Staatsmacht ergebend. Denn diesen Kampf, das weiß Frank Hanebuth, kann er nicht gewinnen, und weil er ein cleverer Mann ist, will er sich auch gar nicht erst darauf einlassen.

Zeitgleich durchsuchen mehr als 1000 Beamte, darunter Hunderte Spezialeinsatzkräfte, Wohnungen, Häuser, Bordelle und Bars im Norden der Republik. Auf einer Pressekonferenz feiern die Polizeiführer Stunden später ihren Schlag gegen das Verbrechen. Die Aktion sei »historisch« gewesen, sagt ein Beamter sehr zufrieden.

Tatsächlich markiert der Einsatz der GSG 9 gegen den mächtigsten deutschen Hells Angel den vorläufigen Höhepunkt einer Entwicklung, in deren Verlauf der Druck des Rechtsstaats auf die Rockerszene stetig gewachsen ist. Immer stärker gehen die Ermittler in Bund und Ländern seit einigen Jahren gegen die sogenannten Outlaw Motorcycle Gangs (OMCG) vor. Es hagelt Verfahren, Durchsuchungen, Festnahmen, Prozesse und Vereinsverbote: Unter anderem in Neumünster, Flensburg, Frankfurt, Kiel, Köln, Aachen und Berlin werden Rockerclubs geschlossen.

Und dann geschieht im Sommer 2012 das Undenkbare. Die Hells Angels machen aus eigenem Antrieb kurz hintereinander ihre wichtigsten, größten und prestigeträchtigsten Dependancen in Deutschland dicht. In Bremen löst sich das Charter »West Side« auf, in Hannover der Club des Frank Hanebuth. Und auch die Berliner »Nomads« – im Selbstverständnis der Hells Angels eine Art Eliteverband – flüchten aus der Hauptstadt ins beschaulichere Brandenburg.

Für das Milieu der Motorradgangs ist das in etwa so, als hätten Borussia Dortmund, Bayern München und der Hamburger SV gleichzeitig ihre ersten Mannschaften vom Spielbetrieb der Fußball-Bundesliga abgemeldet – und zwar um einer drohenden Sperre durch den DFB zuvorzukommen. Es ist ein Erdbeben in der Bikerszene, Stärke 10,0 auf der Rockerskala, etwas, das es in dieser Dimension noch nie gegeben hat und das viele Jahre zuvor noch vollkommen unvorstellbar war. Die Frage muss daher lauten: Wie zur Hölle ist es dazu gekommen?

Denn eigentlich befand sich die Szene in einem beispiellosen Aufwärtstrend. Europol zufolge verdoppeln die beiden größten Clubs – Hells Angels und Bandidos – die Zahl ihrer europäischen Filialen seit 2005 nahezu. Deutschland ist im Frühling 2012 weltweit der größte Rocker-Standort nach den USA. Und während es im Herbst 1999 gerade einmal 50 Hells Angels in fünf Chartern gab, zählt das Bundeskriminalamt (BKA) im Jahr 2011 bereits 1211 Höllenengel in 57 Chartern. Dem stehen 1029 Bandidos in 73 Chaptern gegenüber – auch deren Zahl ist zuletzt explodiert: Nur ein Jahr zuvor registrierte das BKA bloß 721 Banditen in 50 Chaptern.

Begleitet wird die rasante Expansion der Gangs von einer jahrelangen Dauerfehde, in der sich vor allem Hells Angels und Bandidos auf das Brutalste bekämpfen. Die Presse erfindet dafür den Begriff »Rockerkrieg« – wie soll man es auch sonst nennen, wenn auf offener Straße Menschen getötet werden und die Anführer einer Gruppe ihren Mitgliedern befehlen, die Anhänger der anderen Gruppe anzugreifen, wann immer sie sie sehen? So ziehen die Banden durch das Land und hinterlassen eine Blutspur:

Am 23. Mai 2007 erschießen die Bandidos Heino B., 47, und Thomas K., 35, den Hells Angel Robert K., 47, in seinem Motorradladen im westfälischen Ibbenbüren.

Am 21. Juni 2009 greift ein Kommando der Bandidos im brandenburgischen Finowfurt auf offener Straße einen Konvoi der Hells Angels an: Danilo B., 27, erleidet multiple Stichverletzungen in beiden Beinen und im linken Arm, eine Fraktur der rechten Kniescheibe, eine Fraktur des linken Unterschenkels. Enrico K., 26, wird das rechte Bein fast abgetrennt, Sebastian W., 27, in Hals und Brust gestochen. Und Angels-Anführer André Sommer schleppt sich ins Krankenhaus, mit einer abgebrochenen Klinge im Rücken.

Am 26. Juni 2009 stoppen die Hells Angels Marcus S., 41, Danny A., 29, und Björn S., 27, auf der Landstraße 386 bei Stetten (Rheinland-Pfalz) den örtlichen Outlaws-Präsidenten Dirk O., 45, reißen ihn von seinem Motorrad, schlagen ihn zusammen und erstechen ihn schließlich.

Am 17. Juli 2009 findet im brandenburgischen Eberswalde ein Rocker der Chicanos einen verdächtigen Gegenstand unter seinem Auto. Die alarmierten Sprengstoffexperten der Polizei entschärfen wenig später eine russische Handgranate vom Typ RG 42.

Am 13. August 2009 tötet ein Unbekannter in Berlin-Hohenschönhausen den Hells Angel Michael B., 33, mit einem Schuss in die Brust. Ein Messerstich durchtrennt zudem seine Oberschenkelarterie.

Am 12. September 2009 rammt der damalige Anführer der Hells Angels Flensburg, Stefan R., 36, mit seinem Audi A 8 zweimal den Bandido Thomas K., 24, der mit seiner Harley auf der Autobahn unterwegs ist. Der Rocker stürzt und erleidet lebensgefährliche Verletzungen.

Am 8. Oktober 2009 erschießt im Duisburger Rotlichtviertel der Hells Angel Timur A., 31, den Bandido Rudi Heinz »Eschli« Elten, 32. Ein »Szenario wie beim Schachspiel«, sagt der Vorsitzende Richter später: »Vier Züge bis Matt.«

Am 18. Oktober 2009 feuern Unbekannte im hessischen Usingen aus einem Auto heraus auf den Hells Angel Friedrich M., 44, als der in seinen Wagen einsteigen will. Ein Projektil durchschlägt den Arm des Mannes auf Brusthöhe.

Am 28. Dezember 2009 greifen die Bandidos Rafael H. und Nico R. in Erfurt den Hells-Angels-Unterstützer René F., 38, vor einem Motorradladen an. Das Opfer erleidet lebensgefährliche Hieb- und Stichverletzungen.

Am 17. März 2010 tötet im rheinland-pfälzischen Anhausen der Hells Angel Karl-Heinz »Kalli« B., 44, den Polizisten Manuel K., 42. Der Oberkommissar gehört einem Spezialeinsatzkommando an, das sich in den frühen Morgenstunden Zutritt zum Haus des Rockers verschaffen will. Der aber feuert – anstatt zu öffnen – durch die geschlossene Tür auf die vermummten Beamten, weil er, wie er später sagt, den Angriff einer konkurrierenden Bande fürchtet.

Diesen Hells Angel spricht der Bundesgerichtshof (BGH) am Ende sogar frei: »Er erblickte von einem Treppenabsatz aus durch die Teilverglasung der Haustür eine Gestalt, konnte diese aber nicht als Polizisten erkennen«, heißt es aus Karlsruhe. »Kalli« B. habe stattdessen angenommen, schwerbewaffnete Bandidos seien gekommen, um ihn und seine Verlobte zu töten. Als auf den Warnruf »Verpisst euch!« und das Einschalten des Lichts keine Reaktion erfolgt, habe der Mann geschossen.

Eine irrtümliche Annahme einer Notwehrlage sei nach ständiger Rechtsprechung ebenso zu behandeln wie ein Fall tatsächlich gegebener Notwehr, befindet der BGH, der sich damit ziemlich gut informiert zeigt. Denn im Grunde erkennen die Richter mit ihrer Entscheidung letztinstanzlich an, dass es in Deutschland verfeindete Banden gibt, die sich um das Gewaltmonopol des Staates wenig scheren und sich stattdessen mit tödlicher Brutalität und frenetischem Hass bekriegen.

Für die Ermittlungsbehörden jedoch ist das Urteil ein Weckruf, sie müssen handeln. Ziemlich zügig verständigen sich die Innenminister auf ein entschlossenes Vorgehen.

Doch der Verfolgungsdruck auf die Rocker, den Polizei und Staatsanwaltschaften in den Folgejahren aufbauen, all die Verbote, Verfahren und Razzien, die Sonderkommissionen und Datenbanken, das alles ist nur ein Grund für die heftige Bewegung in der Szene. Der andere liegt in den Clubs selbst. Seit ihrer Expansion und dem damit einhergehenden sogenannten Rockerkrieg befinden sich die Gangs in einem radikalen Veränderungsprozess.

Hells Angels und Bandidos haben in den vergangenen Jahren Hunderte junger Männer angezogen, die mit dem Lebensgefühl der Altrocker nichts mehr verbindet. Sie hören Hip-Hop statt Rock ’n’ Roll, sie rasieren sich die Köpfe, Gesichter und Achseln, statt lange Haare im Wind wehen zu lassen, sie gehen auf die Sonnenbank und tragen Brillis im Ohr, keine Eisernen Kreuze mehr. Man könnte auch sagen, sie wollen lieber wie 50 Cent aussehen als so wie Dennis Hopper in »Easy Rider«.

Ältere Rocker bezeichnen die Neuen daher manchmal wenig charmant als »das Gesocks«. In den Clubs mischen mittlerweile ehemalige Hooligans, Neonazis und Neuköllner Kleinkriminelle mit – nicht immer als reguläre Rocker, oftmals nur in Schlägertrupps, »Supporter«, also Unterstützer, genannt. Viele dieser jungen Männer, meist mit einem Faible für Kameradschaft, Kampf- und Kraftsport, haben einen Migrationshintergrund und eine dicke Strafakte bei der Polizei. In Berlin etwa befehligt der Ex-Boxer Kadir Padir einen Trupp Hells Angels, in dem kaum einer der Männer einen Motorradführerschein besitzt, geschweige denn eine Harley-Davidson, dafür aber den Respekt der Straße. Und das scheint heute in der OMCG-Welt einzig entscheidend zu sein.

Viele Jung-Rocker sind als Jugendliche sogenannte Intensivtäter gewesen und in einem Umfeld aufgewachsen, in dem Straftaten zum Alltag gehören. Der Berliner Oberstaatsanwalt Roman Reusch schrieb bereits vor Jahren über den Nachwuchs örtlicher Clans: »Sie haben eine Selbstbedienungsmentalität entwickelt, die darauf abzielt, sich zu nehmen, was immer sie wollen und wann und sooft sie es wollen.« Damit seien die jungen Männer ein »ideales Reservoir für die Fußtruppen des Organisierten Verbrechens«.

In Bremen etwa gründet im August 2010 der Kurde Mustafa B. gemeinsam mit knapp zwei Dutzend Mitgliedern seiner Sippe einen Ableger des internationalen Motorradclubs Mongols. Es ist das erste Mal, dass in Deutschland Angehörige eines muslimischen Zuwanderer-Clans, der bereits der Schweren Kriminalität zugerechnet wird, in die Bikerszene drängen. Inzwischen gibt es die Mongols und ähnliche Gruppierungen in vielen Städten.

Auch die großen Gangs, die vor Jahren noch eine strikt nationale Personalpolitik verfolgten, haben ihr Rekrutierungsschema längst geändert. Gesucht werden nicht mehr unangepasste Asphalt-Cowboys teutonischer Provenienz, sondern schlagkräftige Typen mit krimineller Vorerfahrung. Alles andere ist dann Verhandlungssache.

So sagt der Berliner Streetworker Taner Avci, 39, im Dezember 2011 der »Zeit« über sogenannte Bildungsverlierer: »Klappt es dann nicht mit einer Ausbildung, bleibt meist nur noch der Traum vom schnellen Geld. Nicht selten suchen sich Jugendliche dann auch illegale Wege, um an Geld zu kommen. Besonders erschreckend ist in Berlin der Zulauf zu den Hells Angels und den Bandidos, zwei Banden, die es schaffen, Jugendlichen einen fragwürdigen Halt zu geben. Für jemanden, der sein Leben lang in einer Hartz-IV-Familie verbracht hat, ist es nicht leicht, aus diesem Automatismus auszusteigen.«

Dass sich immer mehr Männer, wie etwa der Duisburger Free Fighter Timur A., der als Hells Angel im Oktober 2009 den Bandido »Eschli« Elten töten wird, von ihren Straßengangs ab- und den Rockerbanden zuwenden, hat nicht nur mit deren Stärke, sondern auch etwas mit der gesteigerten Medienpräsenz dieser Clubs zu tun. Gefragt, warum seine Bande sich den örtlichen Höllenengeln als Schlägertruppe angedient habe, antwortet im Januar 2012 ein junger Deutsch-Marokkaner aus Köln: »Ey, Mann, die sind berühmt. Guck mal YouTube!«

Doch mit diesen neuen Leuten in ihren Reihen beginnen die Motorradclubs sich zu verändern. Die OMCG-Szene steht in Deutschland vor einem grundlegenden Wandel, vor dem erfahrene Kriminalisten warnen. Denn während viele Altrocker über ihre Clubs, denen sie sich verpflichtet fühlen und an denen ihnen liegt, noch einigermaßen beherrschbar sind, scheinen die jungen Wilden keinerlei Loyalität mehr zu kennen. Wenn es gerade opportun erscheint, streifen sie die eine Kutte ab und ziehen die nächste an. Zudem sind sie häufig hochaggressiv und sorgen mitunter für heftige Konflikte, in die sie immer wieder die gesamten Gangs hineinziehen.

Den Ermittlungsbehörden, aber auch den Motorradbanden, die zumindest theoretisch strengen internen Regeln folgen und drakonische Strafen kennen, erwächst daraus ein Problem: Wie wird man die Geister wieder los, die man einst zu Hilfe gerufen hat? Kann man sie überhaupt wieder loswerden? Oder ist die Zeit der Etablierten abgelaufen – nicht nur weil die ungestümen, hungrigen Jungen nach vorne drängen, sondern auch weil den Alten inzwischen die Staatsmacht auf den Füßen steht?

In den vergangenen Jahren sind zahlreiche Bücher über die Motorradgangs erschienen, die alle dieselbe Perspektive auf die Szene wählen: Es sind subjektive Berichte von Insidern, Undercover-Polizisten oder ehemaligen Gangmitgliedern. Die Autoren beschreiben, was sie (angeblich) in ihrer kleinen Rockerwelt erlebt haben, einen größeren Kontext vermögen sie nicht herzustellen.

Dieses Buch soll etwas anderes sein, etwas, das es in Deutschland noch nicht gegeben hat. Aus Tausenden Seiten exklusiv vorliegender und vertraulicher Akten, aus Dutzenden Gesprächen mit Polizisten, Milieu-Größen und Rockern entstand die erste objektive Darstellung eines Phänomens, das die Sicherheitsbehörden in den nächsten Jahren massiv beschäftigen wird.

Dieses Buch beschreibt, wie es dazu kommen konnte, dass eine abgeschriebene und totgesagte Szene einen derartigen Aufschwung erlebt. Es zeichnet nach, wie Abertausende Rocker in Deutschland inzwischen ihr Geld verdienen, in welche Geschäfte sie verwickelt sind und zu welchen Politikern, zu welchen Prominenten sie beste Beziehungen pflegen. Und es gibt einen Eindruck davon, zu welcher Bedrohung die Gangs sich auswachsen, wie mächtig sie geworden sind, wie weit ihre Kontakte reichen. Rocker sind nicht mehr nur die tumben Schläger, die vor Diskotheken stehen und dort den Drogenhandel kontrollieren. Sie mischen in der Lebensmittelbranche mit, machen Immobiliendeals, sie sind Gastronomen, führen Unternehmen und profitieren von der Vermarktung ihres Lifestyles.

Vor allem aber möchten wir mit diesem Buch dazu beitragen, dass die Öffentlichkeit versteht, was in den vergangenen Jahren in dem oft beschworenen Rockerkrieg eigentlich geschehen ist. Worum es geht und welche Konsequenzen die Taten hatten. Wer die handelnden Personen sind, welche Ziele sie verfolgen und wie Rocker, Presse, Politik und Polizei den Konflikt für ihre jeweiligen Zwecke nutzen.

Eines noch: Es gibt Millionen kreuzbrave Motorradfahrer in Deutschland, manche von ihnen nennen sich Biker. Es gibt Tausende Clubs, in denen sie sich organisiert haben – doch um all diese geht es in diesem Buch nicht. Vielmehr geht es im Folgenden um die sogenannten »One Percenter«, also um das eine Prozent der Szene, das sich selbst als gesetzlos definiert. Es geht vor allem um Hells Angels und Bandidos, am Rande auch um Outlaws und Gremium – diese Gruppierungen sind ausschließlich gemeint, wenn in diesem Buch von Rockern, Bikern, Harley-Fahrern und Motorradclubs die Rede ist.

Nur damit es keine Missverständnisse gibt.

KAPITEL 1 »KOMM MAL HER, DU SCHWULE SAU, ICK FICK DICH!«

Rocker als Staatsfeinde, Subkultur und Promischmuck

Böse gucken früh um fünf – Rocker und der Rechtsstaat

Ein Mann schreit. Der Tonfall ist bestimmend, fordernd. Da will einer Randale. Es ist kurz nach Sonnenaufgang, die Hauptstadt genießt noch den unruhigen Schlaf einer Metropole. »Komm mal her, du schwule Sau, ick fick dich!«, brüllt der Mann im Juni 2008 aus dem offenen Fenster des Vereinsheims der Hells Angels am Spandauer Damm in Berlin.

In dem Siebziger-Jahre-Bau aus Waschbeton und Stahlträgern feiern die Höllenengel eine ihrer typischen Partys. Für ihre Zwecke ist der Bau bestens geeignet, denn nur eine Treppe führt nach oben in den Clubraum. Jeder muss hier hoch – einerlei, ob Angreifer einer anderen Gang oder Vertreter der Staatsmacht.

Musik dröhnt aus Lautsprecherboxen auf die Straße. An die blau gestrichene Brüstung sind rot-weiße Fackeln gebunden. Der Mann, der so schreit, heißt Rayk Freitag. Neben ihm auf der Empore des Hauses stehen rund 20 Hells Angels. Sie lehnen an der stählernen Brüstung, muskelbepackte Kerle, die meisten tätowiert, die Lederwesten über den engen T-Shirts und wild entschlossen, ein bisschen Spaß zu haben.

Unten auf der Straße stehen Ermittler des Landeskriminalamtes, genauer: die -Rockerstreife der -Abteilung 643. Auch manche Fahnder sehen furchteinflößend aus. Zur besseren Unterscheidung tragen sie grüne Westen, auf denen steht. Die Hells Angels lachen, zeigen auf die verdutzten Beamten, die das provozierende Verhalten wiederum nur bedingt witzig finden. Verstärkung wird angefordert, das Spezialeinsatzkommando rollt an, und die Geschichte gewinnt an Fahrt.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!