Romantic Thriller Spezialband 3040 - 3 Romane - Jonas Herlin - E-Book

Romantic Thriller Spezialband 3040 - 3 Romane E-Book

Jonas Herlin

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Romane: (399XE) Saphire des Grauens (Ann Murdoch) Unheimlicher Nordsturm (Jonas Herlin) Das Erbe der Geister (Carol East) Der Klingelton schnitt in ihr Bewußtsein wie mit einer Feuerlanze. Schlagartig erwachte Anke und richtete sich in ihrem Bett auf. Das Klingeln wurde von einer blinkenden Warnlampe begleitet. Sie wußte: Wenn beides ansprach, dann war es besonders dringend, denn dann ließ ihr Vater nicht mehr den Daumen vom Rufknopf. Sie brauchte nicht auf die Uhr zu schauen, um zu wissen, dass es mitten in der Nacht war. Eilig schlüpfte sie unter der warmen Decke hervor. Nun war auch der letzte Rest ihres süßen Traumes verflogen, und die grausame Wirklichkeit hatte sie wieder. Es fröstelte sie leicht. Noch im Hinauslaufen streifte sie den Morgenmantel über, der sie wenigstens ein wenig wärmte. Diese dicken Mauern von Blackwood-Castle, das ihr Vater nach dem Vorbild eines englischen Schlosses hatte erbauen lassen, schienen immer nur kalt sein zu können, egal, wieviel man sie auch aufzuheizen versuchte. Im Hochsommer war das natürlich angenehm, aber zwischen den Jahreszeiten... Doch Anke wusste auch, dass es genauso war, wie ihr Vater es liebte, trotz seiner tödlichen Schwäche, die ihn nun schon seit drei Wochen an das Bett fesselte. Nur widerwillig war sie hergekommen, nicht aus Liebe zu ihrem Vater, sondern aus bloßem Respekt gegenüber seiner dominanten Persönlichkeit. Er, der vor Jahrzehnten aus Deutschland in die USA eingewandert war, lange vor ihrer Geburt, hatte kaum Anlass dazu gegeben, ihn zu lieben. Auch seiner eigenen Frau und Mutter von Anke nicht. Anke war überzeugt davon, dass ihre Mutter Kummer und Gram viel zu früh ins Grab gebracht hatte.

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Romantic Thriller Spezialband 3040 - 3 Romane

Romantic Thriller Spezialband 3040 - 3 Romane

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Inhaltsverzeichnis

Romantic Thriller Spezialband 3040 - 3 Romane

Copyright

Saphire des Grauens

Unheimlicher Nordsturm

Das Erbe der Geister

Romantic Thriller Spezialband 3040 - 3 Romane

Carol East, Ann Murdoch, Jonas Herlin

Dieser Band enthält folgende Romane:

Saphire des Grauens (Ann Murdoch)

Unheimlicher Nordsturm (Jonas Herlin)

Das Erbe der Geister (Carol East)

Der Klingelton schnitt in ihr Bewußtsein wie mit einer Feuerlanze. Schlagartig erwachte Anke und richtete sich in ihrem Bett auf.

Das Klingeln wurde von einer blinkenden Warnlampe begleitet. Sie wußte: Wenn beides ansprach, dann war es besonders dringend, denn dann ließ ihr Vater nicht mehr den Daumen vom Rufknopf.

Sie brauchte nicht auf die Uhr zu schauen, um zu wissen, dass es mitten in der Nacht war. Eilig schlüpfte sie unter der warmen Decke hervor. Nun war auch der letzte Rest ihres süßen Traumes verflogen, und die grausame Wirklichkeit hatte sie wieder.

Es fröstelte sie leicht. Noch im Hinauslaufen streifte sie den Morgenmantel über, der sie wenigstens ein wenig wärmte. Diese dicken Mauern von Blackwood-Castle, das ihr Vater nach dem Vorbild eines englischen Schlosses hatte erbauen lassen, schienen immer nur kalt sein zu können, egal, wieviel man sie auch aufzuheizen versuchte. Im Hochsommer war das natürlich angenehm, aber zwischen den Jahreszeiten... Doch Anke wusste auch, dass es genauso war, wie ihr Vater es liebte, trotz seiner tödlichen Schwäche, die ihn nun schon seit drei Wochen an das Bett fesselte. Nur widerwillig war sie hergekommen, nicht aus Liebe zu ihrem Vater, sondern aus bloßem Respekt gegenüber seiner dominanten Persönlichkeit. Er, der vor Jahrzehnten aus Deutschland in die USA eingewandert war, lange vor ihrer Geburt, hatte kaum Anlass dazu gegeben, ihn zu lieben. Auch seiner eigenen Frau und Mutter von Anke nicht. Anke war überzeugt davon, dass ihre Mutter Kummer und Gram viel zu früh ins Grab gebracht hatte.

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Alfred Bekker

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Alles rund um Belletristik!

Saphire des Grauens

von Ann Murdoch

Der Umfang dieses Buchs entspricht 104 Taschenbuchseiten.

Bei einem Besuch in Venedig findet sich Clarice Ambrid zwischen zwei Verehrern wieder, Lord Culter und einem geheimnisvollen Magier. Schon bald darauf führt sie das Vermächtnis ihres Vaters auf gefahrvolle Wege. Enthüllungen bahnen sich an, und die junge Frau muss Entscheidungen treffen, die ihr sehr schwer fallen. Zudem zieht sie ein rätselhaftes Artefakt unentrinnbar in einen düsteren Abgrund hinein …

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Ein CassiopeiaPress Buch

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© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

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1

Ein Luftzug ließ die Kerzen flackern, kalter Wind wehte über die Menschen hinweg, nackte Schultern erzitterten, vereinzelte Haarsträhnen bewegten sich, Gänsehaut fuhr Clarice Ambrid den Rücken hoch.

Welcher Trottel hatte hier die Türen und Fenster aufgerissen?

Der Durchzug ließ die Temperatur im altehrwürdigen Palazzo Cortese noch etwas tiefer sinken. Wie hat man diese alten Prachtbauten jemals heizen können, fragte sich die junge Frau, lachte dann aber über ihre eigene Frage. Meist war es in Venedig warm genug, zu heizen war nur selten notwendig. Früher standen auch in jedem Raum die sogenannten Kohlepfannen, die zumindest in unmittelbarer Nähe Wärme verbreiteten.

Heute gab es hier eigentlich genug Menschen rundum, im Nebenraum spielte eine Kapelle im Rokoko-Kostüm, viele Paare drehten sich auf der Tanzfläche, und durch die Bewegung fror man auch nicht mehr.

Karneval in Venedig.

Clarice Ambrid, die vierundzwanzigjährige Maskendesignerin aus Edinburgh, hatte immer schon mal davon geträumt, an diesem Ereignis teilzunehmen. Nie wäre es ihr jedoch in den Sinn gekommen, dass dieser Traum so bald Wirklichkeit werden könnte. Doch seit sie Lymond Culter kannte, hatte sich ihr Leben grundlegend geändert.

Der junge Lord hatte Clarice vor einigen Wochen fast mit dem Auto überfahren, zum Glück war ihr nichts passiert. Aus dem angebotenen Kaffee zur Entschuldigung war rasch eine tiefe Beziehung geworden, auch wenn sie manchmal dachte, dass irgendetwas zwischen ihnen nicht so war, wie es sein sollte. Aber Lymond hatte weitläufige Verwandte hier in Venedig, und so war es gekommen, dass Clarice eine Einladung in den Palazzo Cortese erhalten hatte.

Kostüme waren vorgeschrieben, vorzugsweise aus dem Rokoko. Die Damen trugen verschwenderische Kleider mit weit ausladenden Krinolinen, auf den nackten Schultern schimmerte häufig glitzernder Puder, um den Hals lagen mehr oder weniger kostbare Colliers, und Hände mit langen Handschuhen fächelten sich übertrieben vornehm Luft zu. Die Herren trugen über hautengen Hosen verzierte Jacken und üppige Rüschenhemden. Perücken in Weiß oder in zarten Pastelltönen schimmerten im Licht der Kerzen, und die ganze Szenerie wirkte wie aus einem Traum entsprungen.

Clarice fühlte sich in eine andere, falsche Zeit versetzt, doch dieser kleine Zwischenfall mit dem kalten Luftzug hatte die junge Frau aus den Gedanken gerissen. Sie war vertieft gewesen in die Überlegung, ob die Menschen der damaligen Zeit sich ebenso benommen hatten.

Lymond kam lächelnd auf sie zu, in den Händen trug er Gläser mit Champagner, eines davon reichte er ihr.

„Gefällt es dir?“, formten seine Lippen über das Gemurmel der Leute und die Musik hinweg. Sie nickte.

Contessa Cortese stand nicht weit entfernt. Die ältere Dame hatte ihren „lieben Neffen aus Schottland“ herzlich begrüßt, ohne ihn jemals zuvor gesehen zu haben. Clarice war mit einem huldvollen Blick zur Kenntnis genommen worden, dennoch hatte sich das Oberhaupt der Familie Cortese nicht mehr um sie gekümmert.

„Ich finde es ungewöhnlich, interessant – aber so ganz anders, als ich gedacht habe“, gab sie zurück.

„Oh, du hast sicher immer den Karneval in den Straßen und Kanälen im Hinterkopf. Dort findest du natürlich auch die Masken, die hier im Haus verpönt sind. Möchtest du dir das denn unbedingt ansehen?“

„Gerne, ja“, stimmte sie zu, und Lymond verzog das Gesicht. „Es gefällt mir nicht besonders. Lass mich noch darüber nachdenken. Jetzt komm, drüben im Salon gibt es eine besondere Vorführung. Tante Alessandra hat einen Magier engagiert, er soll verblüffend gut sein.“

Das klang interessant, auch deswegen, weil Clarice in ihrem Beruf beim Film arbeitete, wo die Masken und Tricks manchmal auch an Zauberei grenzten. Sie selbst baute Masken und Figuren aus Gummi und einer Vielzahl anderer Materialien, von denen einige so echt wirkten, dass sie später im Film ein eigenes Leben entwickelten. Das hatte allerdings nichts mit dem zu tun, was ein guter Zauberer zu zeigen im Stande war.

Clarice folgte Lymond in den Salon, wo Stühle mit weichen Polstern und zierlichen Füßen bereit standen. Eine Bühne war etwas erhöht aufgebaut worden, sie lag noch im Dunkeln, ein Tisch war zu erkennen, und eine Art Röhre, die Clarice an eine Telefonzelle erinnerte.

Der Saal wurde nicht voll. Entweder waren die Leute vom Tanz nicht wegzulocken, oder es wussten zu wenige, dass sich hier eine Attraktion anbahnte.

„Francis Thysander, Magier“ hatte auf einem Schild gestanden, das auf diese Weise dezent den Magier ankündigte.

Lymond bestand darauf, dass sie beide gleich in der ersten Reihe einen Platz einnahmen. Nur rund zwei Dutzend Menschen interessierten sich für diese Darbietung, und zum ersten Mal an diesem Abend fühlte sich Clarice wohl. Sie mochte es nicht besonders, sich zwischen vielen Menschen aufzuhalten, und dieses bunte, laute Treiben im Palazzo Cortese hatte die Ausmaße eines Menschenauflaufs angenommen. Die Ruhe hier war direkt wohltuend. Lymond griff nach ihrer Hand, führte sie an seine Lippen und musterte ihre schlanke und doch sportliche Gestalt mit bewundernden Blicken.

„Du siehst einfach zauberhaft aus“, murmelte er. „In der alten Zeit hättest du selbst dem Dogen von Venedig den Kopf verdreht. Wie schade, dass du morgen schon wieder in die ganz normale Kleidung schlüpfen wirst. Ich wünschte, diese kleine Zeitreise würde länger dauern.“

Clarice lachte auf. „Ich bin ganz froh darüber, morgen wieder eine Hose und einen Pulli anziehen zu können. Diese Kleider sind doch sehr unpraktisch, und diese Perücke ist eine Katastrophe. Ich schätze, die Kammerzofen haben damals Unmengen an Zeit darauf verwendet die künstlichen oder auch echten Haare in kunstvolle Frisuren zu legen. Das alles dann nur, damit die vornehmen Damen bei jedem Schritt darauf achten mussten, sich nicht schnell oder unbedacht zu bewegen. Nein, danke, solche Zeitreise möchte ich nicht auf Dauer unternehmen.“

„Und doch siehst du phantastisch und fremdartig aus, so dass ich mich auf der Stelle in dich verlieben würde, wenn ich das nicht schon längst getan hätte.“

„Du bist ein Schmeichler, das muss wohl am Kerzenlicht liegen“, erwiderte sie, genoss aber dennoch die Komplimente und Aufmerksamkeit des Mannes.

Das Licht im Salon erlosch, hier hatte man auf die Beleuchtung durch Kerzen verzichtet, da auch für die Vorführung elektrischer Strom gebraucht wurde. Das leise Stimmengewirr erstarb, aller Aufmerksamkeit richtete sich auf die Bühne, wo ein einzelner Lichtpunkt scheinbar planlos durch den Raum tanzte. Es dauerte einen Augenblick, bis Clarice bei genauer Beobachtung darauf kam, dass der tanzende Lichtpunkt die Konturen eines Menschen zeichnete.

Praktisch übergangslos wurde aus diesen Konturen ein Mann. Beeindruckend und neu, denn obwohl nicht nur Clarice auf genau diese Stelle geschaut hatte, war es keinem anderen gelungen, festzustellen, wie der Mann aufgetaucht war.

Er schaute gezielt in die Augen der jungen Frau, sein Blick bohrte sich förmlich in den ihren, sie konnte gar nicht mehr wegschauen. Als er jetzt sprach, klang seine Stimme wie flüssiges Silber. Clarice schnappte nach Luft. So etwas hatte sie noch nie erlebt.

„Guten Abend, geliebte Frau“, sagte Francis Thysander, und sie war völlig verzaubert.

2

„Das geht ein bisschen zu weit“, knurrte Lymond. Als Clarice nicht gleich antwortete, stupste er sie an, langsam erwachte sie wie aus einem Traum. „Du meine Güte, sag bloß, du findest diesen Kerl gut? Er hat gerade mal einen Trick vorgeführt wie ein schlechter Taschenspieler, und du himmelst ihn an. Das ist mir zu dumm. Komm, wir gehen.“

„Nein, ich möchte sehen, was er zu bieten hat“, widersprach die Frau. Lymond, der schon aufgestanden war, ließ sich wieder auf seinen Stuhl sinken.

„Was ist denn schon Besonderes an ihm dran?“, machte er noch einen Versuch Clarice umzustimmen. Hinter ihnen wurde gezischt, der Mann war zu laut geworden.

Francis auf der Bühne hatte mit einem amüsierten Funkeln in den Augen die kleine Auseinandersetzung registriert, die junge Frau aber weiter nicht beachtet. Vielleicht war es auch nur sein üblicher Trick, eine wildfremde Frau im Publikum auf diese Weise zu begrüßten. Er wandte sich um zu den dunklen Kulissen, machte eine Handbewegung, und eine Gestalt trat hervor, ganz in Schwarz gekleidet, bis auf eine rote Maske vor den Augen. Es handelte sich nicht um eine Frau, wie sie Zauberer mit öffentlichen Auftritten meist bevorzugten. Ein schlanker Mann war es, der sich jetzt auf die Röhre zu bewegte.

„Der uralte Verschwinde-Trick“, raunte Lymond.

„Nun schweig, warst du es nicht, der mich erst hierher gebracht hat? Dann möchte ich jetzt auch gern weiter zusehen“, gab Clarice auf die gleiche Weise zurück.

Der Mann in der Röhre rüttelte nun an den Stäben, stampfte einmal mit dem Fuß auf und setzte sich auf den Boden. Clarice erwartete, dass ein Tuch über diesen Käfig fallen würde, so wie sie es schon öfter gesehen hatte. Aber Francis Thysander überraschte sein Publikum wiederum.

Seine Bewegungen waren sparsam und kontrolliert, als er den rechten Arm hob und mit den Fingern einige Zeichen in die Luft malte.

Der Mann im Käfig stöhnte einmal auf, erhob sich dann wieder, und während er aufstand, wurde aus ihm eine bildhübsche Frau. Langes goldblondes Haar fiel weit in den Rücken, aus dem schwarzen Anzug wurde ein mitternachtsblaues Kleid mit einem tiefen Ausschnitt, und das Lächeln der Frau verzauberte die anwesenden Männer. Beifall brandete auf, der so rasch nicht enden wollte.

Francis verbeugte sich, aber es wirkte nicht, als wollte er sich für den Applaus bedanken, sondern als machte er sich über all die Leute hier lustig.

Die nächsten Kunststücke waren das, was die meisten Menschen schon mehr oder weniger oft gesehen hatten, wenn auch wohl kaum in dieser Perfektion. Die Frau war längst wieder verschwunden, der Magier brachte seine Aufführung ganz allein dar.

„Nun brauche ich jemanden aus dem Publikum“, erklärte er. „Am besten gleich zwei Leute, ein Paar. Hier vorne haben wir die ideale Besetzung. Ich darf Sie beide bitten, zu mir zu kommen – Applaus bitte.“

Wieder klatschten die Leute, während Lymond sich noch sträubte. Clarice grinste ihn an. „Willst du hier einen Skandal auslösen? Ich glaube nicht, dass deine Tante besonders glücklich darüber wäre.“

Er verzog das Gesicht, nahm dann aber ihre Hand und stieg die Bühne hinauf. Als Clarice die beiden Männer sah, fiel ihr ins Auge, wie gegensätzlich sie schon auf den ersten Blick waren.

Hier Lymond, braunes Haar, braune Augen, schlank, insgesamt aber etwas bieder und langweilig wirkend. Demgegenüber Francis Thysander, blond, gut einen halben Kopf noch größer, aufregende, unglaublich blaue Augen, eine Stimme, mit der man die Welt aus den Angeln heben konnte. Und eine Ausstrahlung, die in Unruhe versetzte.

Clarice rief sich selbst energisch zur Ordnung. Was dachte sie denn da gerade? So ein Unsinn. Sie sah diesen Mann zum ersten und vermutlich auch zum letzten Mal. Sie sollte besser keine Parallelen ziehen. Trotzdem lief es ihr kalt über den Rücken, als sie in seinen Blick eintauchte. Eine Gefahr ging von diesem Mann aus, gleichzeitig eine seltsame Faszination, der sie sich nicht entziehen konnte.

Lymond betrachtete den anderen Mann, als habe er tatsächlich einen Rivalen vor sich. So eine Einbildung.

„Wie schön, dass Sie beide sich freiwillig zur Verfügung stellen. Dort drüben ist ein Podest, hier ein anderes. Nehmen Sie bitte darauf Aufstellung.“

Widerwillig ging Lymond zu seiner Seite, Clarice wurde auf den anderen Platz geleitet. Francis lächelte sie an.

„Sie sind wunderschön“, stellte er fest. „Aber in zwei Minuten werden Sie atemberaubend sein.“ Nach diesen rätselhaften Worten ging er in die Mitte der Bühne.

Übergangslos wurde es dunkel um Clarice, das leise Raunen der Menschen verschwand, absolute Stelle herrschte um sie herum. Ihr wurde schwindelig, dann ein seltsamer Schmerz im ganzen Körper – und sie fand sich auf der anderen Seite der Bühne wieder. Aus dem Publikum kamen erstaunte Rufe, sie blickte an sich herab und konnte nicht glauben, was sie sah. Aus ihrem Kleid, das sie in einem Kostümverleih gefunden hatte, war eine flammende feuerrote Robe geworden, kostbare Seide fiel in üppigen Falten herab, am Saum durchbrochen von goldener Atlasseide und Brokat, besetzt mit Perlen.

Lymond starrte sie an wie eine Erscheinung, und ringsum wollte der Beifall gar kein Ende mehr nehmen.

Wütend wandte sich der junge Lord an den Magier. Mit einem strahlenden Lächeln half der allerdings erst einmal Clarice vom Podest.

„Ich bitte Sie, dieses Kleid zu behalten, die andere Garderobe liegt am Ausgang für Sie bereit. Allerdings ist es kein Vergleich, sobald Sie die Möglichkeit haben, sich im Spiegel zu betrachten, werden Sie mir zustimmen. Lord Culter, ich danke Ihnen für Ihre Hilfe“, sagte er dann und nahm dem anderen Mann quasi den Wind aus den Segeln.

Die Vorstellung war nun beendet, Francis zog sich rasch zurück, so rasch, dass Clarice nicht einmal eine Frage stellen konnte.

„Scharlatan“, knurrte Lymond, schaute Clarice prüfend an und bequemte sich dann doch zu einem Lächeln. „Aber eines muss man ihm lassen. Geschmack hat er. Du siehst einfach umwerfend aus.“

„Das ist alles ganz schön verrückt“, stellte sie fest und erholte sich langsam von ihrer Überraschung.

„Ich glaube, wir haben gerade alles nur geträumt – so wie für mich dies alles nur ein Traum ist“, erklärte die junge Frau lachend. „Komm lass uns träumend tanzen.“

Stunden später machten sie sich auf den Weg ins Hotel. Lymond mochte zwar verwandtschaftliche Beziehungen zum Palazzo Cortese haben, die reichten denn aber nicht aus, um ihm und seiner Begleiterin auch Wohnrecht als Gäste zu gewähren. Auf den Straßen, selbst auf den Kanälen herrschte weiterhin buntes Treiben, aber die beiden jungen Leute waren zu müde, um in dieser Nacht noch daran teilzunehmen.

3

Ein Traum in einem Traum?

Clarice erwachte und brauchte einige Augenblicke, bis sie wieder wusste, wo sie sich befand. Ihre Träume waren wirr und beängstigend gewesen. Oder nein, nicht nur beängstigend, auch aufregend. Sie war durch ein düsteres Labyrinth gelaufen, eine sanfte betörende Stimme hatte sie geleitet oder vielleicht auch verfolgt. Blaue Augen versuchten sie zu bezwingen, Augen, aus denen ihr plötzlich Feuer entgegenschlug. Sie war auf der Suche gewesen – auf der Suche nach zwei Augen, die ... Ach, Unsinn, dieser Karneval in Venedig brachte sie wirklich völlig durcheinander. Ihr Blick fiel auf das rote Kleid, welches sie am Abend nur ausgezogen und achtlos über einem Stuhl liegen gelassen hatte. Das war mit Sicherheit kein Traum.

Francis, der Magier. Ein ungewöhnlicher Mensch. Sie hatte sich gestern noch zusammen mit Lymond den Kopf zerbrochen, wie ihre Verwandlung vor sich gegangen war, aber sie wusste beim besten Willen nichts dazu zu sagen.

„Dieser Kerl hat dich hypnotisiert“, behauptete der Mann.

„Dann muss er das mit dir auch gemacht haben, und mit dem ganzen übrigen Publikum. Aber vielleicht will ich es auch gar wissen. Überleg nur mal, wie lange es dauert, diese Roben richtig anzuziehen. Er müsste auch die Zeit angehalten haben.“

„Er hat dich sehr beeindruckt, nicht wahr?“

Clarice spürte den lauernden eifersüchtigen Unterton in seinen Worten. Sie lachte auf und legte ihm beruhigend eine Hand auf den Arm.

„Natürlich hat er mich beeindruckt, ebenso wie dich, gib es ruhig zu. Aber jetzt sollten wir das Thema wechseln, es führt zu nichts. Soll er sein Geheimnis behalten, es bleibt ein bisschen Zauber zurück.“

So ganz war Lymond nicht einverstanden gewesen, hatte sich dann aber ihrem Wunsch gefügt. Und heute nun wollten sie sich unter den Karneval auf den Straßen, Plätzen und Kanälen mischen.

Auf dem Markusplatz herrschte ein unglaubliches Treiben, in den Kanälen, in den Gondeln, wimmelte es von Menschen, und an jeder Ecke gab es neue Maskeraden zu bestaunen. Die traditionellen venezianischen Masken hatten Clarice seit jeher fasziniert. Ein völlig fremdes, neutrales Gesicht ohne Emotionen unter einem Umhang mit einer Kapuze gewährte absolute Anonymität, obwohl heutzutage oftmals nur die Hälfte des Gesichts bedeckt war. Auch hier herrschte die Garderobe vergangenen Zeiten vor, aufwendige Kleider für die Damen, streng geschnittene Anzüge und Hemden für die Herren, ein Zwei- oder Dreispitz und ein Umhang. Der Phantasie waren selbstverständlich keine Grenzen gesetzt.

Clarice hatte sich bereits in ihr Kostüm gekleidet. Da sie nicht so gern mit dem hinderlichen Kleinkram durch die Straßen laufen oder mit der Gondel fahren wollte, hatte sie sich schon im Vorfeld entschieden, als Mann aufzutreten. So trug auch sie heute eng anliegende Hosen, ein Rüschenhemd mit Spitzen an den Manschetten, einen schwarzen Gehrock und darüber einen Umhang, der außen schwarz schimmerte, innen jedoch mit violetter Seide gefüttert war.

So saß sie schon am Frühstückstisch, den Umhang auf einen Stuhl gelegt, als auch Lymond endlich erschien. Er wirkte müde und übernächtigt, doch seine Miene hellte sich auf, als er Clarice erblickte. Anerkennend musterte er ihren Aufzug, dann lachte er leise.

„Du wirst deine wundervollen roten Haare unter der Kapuze verstecken müssen. Sonst glaubt niemand, dass du ein Mann bist.“

„Oh, wir haben Karneval – Narrenfreiheit“, gab sie zurück. „Geht es dir nicht gut?“

„Ich habe rasende Kopfschmerzen“, gestand er. „Aber nach einem Kaffee und zwei Aspirin wird es sicher besser werden. Schließlich haben wir heute noch etwas vor.“

Lymond war ähnlich gekleidet wie Clarice, allerdings hatte er farbenfrohe Kleidung gewählt, sein Gehrock leuchtete wie ein Regenbogen, und der Umhang war mit seltsamen Zeichen bedeckt.

In diesen Tagen schlief Venedig nicht, überall herrschte rund um die Uhr der Mummenschanz. Es war nicht schwer, für die beiden, sich unter das fröhliche Volk zu mischen. Auf dem Markusplatz spielte unter den Kolonnaden eine Kapelle Musik, wie sie vielleicht auch schon Leonardo oder Michelangelo gehört haben mochten.

Clarice und Lymond stiegen aus der Gondel, die sie hier bis zur Anlegestelle gebracht hatte. Gleich waren sie umringt von einer ganzen Gruppe Menschen, ähnlich gekleidet wie sie selbst, die in raschem Italienisch auf sie einsprachen. Lymond beherrschte die Sprache nicht gerade fließend, und Clarice noch viel weniger. Aber der Sinn der Worte war eindeutig, man lud sie ein. Nun, warum eigentlich nicht, sie waren hier, um sich zu amüsieren. Alle fassten sich bei den Händen und tanzten über den Markusplatz.

Lymond und Clarice befanden sich in der Mitte der langen Reihe, hatten keine Ahnung, wohin der Weg führte. Erst als sie ein gutes Stück weit in einen Palazzo hineingezogen wurden, versuchten sie auszubrechen. Doch lachend wurden sie weiter gedrängt. Ein riesiger Saal, festlich geschmückt, ähnlich wie im Palazzo Cortese, nahm die fröhliche Gruppe auf. Eine Kapelle saß auf einem Podest und spielte, Paare drehten sich zur Musik, und der Klang war fast unwiderstehlich. Lymond nickte verlegen.

„Ich will nicht hoffen, dass der Hausherr uns gleich wieder hinauswirft, wenn er feststellt, dass wir nicht eingeladen sind. Tanzt du mit mir?“

Clarice war wie verzaubert, sie nickte stumm und streckte die Arme aus. In diesem Moment wurde der Mann von einer anderen Frau zur Seite gezogen. „Schöner Fremder, jetzt gehörst du mir“, sagte sie. Es verwunderte ihn nicht, dass sie Englisch sprach.

Clarice lächelte, dann eben nicht. Sie schaute sich um. Dort drüben, an der langen Wand, war ein langes Büfett aufgebaut, auch eine Bar mit Getränken war vorhanden. Eine gute Idee, die junge Frau hatte Durst. Mit einem Glas Wasser stand sie da und beobachtete die Menschen. All diese Masken und Verkleidungen – nun, vielleicht konnte sie ja das eine oder andere später in ihre Arbeit einfließen lassen.

„Gefällt Ihnen mein Fest?“

Clarice fiel fast das Glas aus der Hand, als sie die Stimme erkannte. Francis Thysander? Sein Fest? Sie drehte sich zur Seite.

Ja, da stand er und strahlte sie an. Clarice machte eine umfassende Handbewegung.

„Gehört das Ihnen? Haben Sie das geplant?“

Er nickte, nahm sie beim Arm und führte sie ein wenig zur Seite, wo der Klang der Musik und der Lärm der Menschen nur noch gedämpft zu hören waren.

„Ich musste Sie unbedingt wiedersehen, und wo wäre die Gelegenheit besser als beim Karneval?“

„Sie sind ein außergewöhnlicher Mensch. Doch ich glaube nicht, dass das eine gute Idee war.“ Sie runzelte die Stirn. „Diese Gruppe von Leuten hat uns am Markusplatz regelrecht erwartet. Haben Sie uns etwa beobachten lassen?“

„Nicht Sie beide“, schränkte der Mann ein. „Ich gebe zu, ich hatte gehofft, Sie wären allein unterwegs. So muss ich Ihren Begleiter als notwendiges Übel hinnehmen. Doch für ihn wird gesorgt, sehen Sie?“ Er deutete in eine Richtung, mitten im Gewimmel der ausgelassen feiernden Menschen tanzte Lymond selbstvergessen mit einer Frau. Die schien eine gewisse Ähnlichkeit mit ihr selbst zu haben, und Francis nickte, als habe er ihre Gedanken erraten.

„Lord Culter wird sich später nicht daran erinnern, von Ihrer Seite gewichen zu sein. Aber nun wollen wir doch nicht länger über unwichtige Nebensächlichkeiten reden. Ich habe Sie hierher ...“

„Nein“, stieß Clarice hervor und wich zurück. Angst und Abneigung malten sich in ihrem Gesicht. „Wer sind Sie? Was sind Sie? Woher haben Sie die Macht Menschen nach Lust und Laune zu manipulieren? So geht es nicht, Mr. Thysander. Menschen sind keine Marionetten, die Sie nach Belieben hin und her schieben können. Ein solches Benehmen verabscheue ich zutiefst. Feiern Sie weiter, Sir, aber ohne mich und meinen Begleiter.“

Sie wandte sich ab und wollte davonlaufen, ihre Füße schienen jedoch wie am Boden fest gewachsen. Francis gab sich völlig unbeeindruckt von ihrem Ausbruch. Er hatte aufmerksam zugehört, doch ihre Worte schienen ihn nicht zu treffen.

„Sie sind viel zu erregt, Clarice Ambrid. Da trifft man rasch eine Entscheidung, die man später bereut. Das sollten Sie nun wirklich nicht tun. Kommen Sie, tanzen Sie mit mir, und Sie werden sehen, dass ich ausgesprochen charmant und nett sein kann. Alles andere spielt im Augenblick keine Rolle. Bitte, Clarice, schenken Sie mir einen Tanz. Kommen Sie.“ Seine Stimme war zu einem betörenden Murmeln herabgesunken, senkte sich tief in sie hinein, und die junge Frau konnte sich dem beschwörenden Klang nicht entziehen. Wie in Trance reichte sie ihm die Hand, obwohl in ihr jede Faser danach schrie, aus der verwirrenden Nähe dieses Mannes zu verschwinden. Aber sie konnte nicht fliehen, sie war bezwungen von der Ausstrahlung des Mannes mit den unglaublich blauen Augen, in denen sie glatt ertrinken konnte. Ihre Füße bewegten sich ohne ihr Zutun.

Francis lächelte, und die Welt ringsum versank.

Die Kapelle spielte einen Walzer, und Clarice drehte sich am Arm des Mannes wie in einem Traum. Die Umgebung ringsum wurde zu einem wirren Kaleidoskop aus Gesichtern und Farben, bis außer den blauen Augen und der betörenden Stimme von Francis nichts mehr existierte.

„Verstehen Sie jetzt, Clarice? Es kann gar nicht anders sein. Wir sind füreinander bestimmt. Wehren Sie sich nicht länger, bleiben Sie bei mir.“ Er zog sie noch enger an sich, seine Lippen berührten ihr duftiges Haar, das längst von der Kapuze befreit war. „Geliebte, du gehörst zu mir“, murmelte er, und Clarice begehrte nicht auf.

Sicher, traumhaft sicher, führte Francis sie über die Tanzfläche, und für einen verwegenen Augenblick wünschte sie, es möge immer so sein.

Dann drang von irgendwoher der Ton einer schlagenden Uhr an ihr Gehör, zehn, elf, zwölf Schläge – war es Mittag oder Mitternacht?

Clarice wusste es nicht, doch sie kam schlagartig wieder zur Besinnung. Entsetzt starrte sie in das Gesicht des Mannes, auf dem sich jetzt ein trauriges Lächeln zeigte. Die Musik brach mitten im Takt mit einem misstönenden Akkord ab, und die Frau bemerkte, dass sie allein mit Francis im Raum stand. Wohin waren all die Leute verschwunden?

Nur wenige Schritte entfernt stand Lymond und blickte sich verwirrt um. Clarice löste sich ganz von dem faszinierenden und beängstigenden Mann.

„Tun Sie das nie wieder, bleiben Sie fern von mir. Ich will Sie nie wiedersehen“, rief sie laut. „Komm, Lymond, nichts wie weg von hier.“

Er war verwirrt, ließ sich aber mühelos von ihr mitziehen. Im letzten Moment, bevor Clarice durch die Tür nach draußen ging, drehte sie sich noch einmal um. Francis stand ganz allein mitten im Raum, und seine Augen bohrten sich intensiv in die ihren. Gefühle wirbelten in der Frau wild durcheinander, dann schüttelte sie den Kopf und lief endgültig davon. Nur fort von hier!

Auf der Straße draußen atmeten sie tief auf. Jetzt hatte sie endgültig genug vom Karneval in Venedig. Wie hatte sie nur wünschen können daran teilzunehmen? Seltsame Vorkommnisse gab es hier, und nichts davon hatte ihre Erwartungen erfüllt. Oder doch? Wer oder was war Francis Thysander? Was bezweckte er mit dieser Scharade?

Clarice wollte es gar nicht wissen. Sie wollte zurück nach Edinburgh, heim in ihre Wohnung, täglich wieder zur Arbeit gehen und alles hier am besten vergessen.

Vergessen? O nein, diese Augen und diese Stimme würde sie niemals vergessen. Im Laufe der Zeit würde es ihr aber hoffentlich nur noch wie ein Traum vorkommen.

Lymond kam erst jetzt langsam wieder voll und ganz zu sich. „Was ist eigentlich passiert?“, wollte er verwirrt wissen.

Die Frau zwang sich zu einem Lächeln. „Ich glaube, wir haben zuviel Venedig im Blut. Was hältst du davon, wenn wir heute noch zurückfliegen?“

„Eine ganze Menge“, stimmte er erleichtert zu. Offenbar hatte auch Lymond genug vom Karneval in jeder Form.

4

Gut zehn Tage später kam Clarice diese Reise nach Italien wirklich nur noch wie ein Traum vor. Allerdings ertappte sie sich manchmal dabei, dass sie in ihren Entwürfen auf dem Papier immer wieder phantastische Masken zeichnete, die irgendwo aus dem Unterbewusstsein auftauchten. Und manchmal schrak sie aus einem Traum auf, in dem blaue Augen und eine betörende Stimme ihr ganzes Denken und Fühlen ausfüllten. Sie verdrängte diese Erinnerungen fast gewaltsam und konzentrierte sich auf ihre Arbeit, die sie sehr liebte. Mit Lymond traf sie sich beinahe täglich, er nahm sich oft die Zeit, sie im Studio abzuholen, war aufmerksam und liebevoll – und doch irgendwie verändert. Manchmal betrachtete er Clarice lauernd, so als erwarte er von ihr eine Antwort auf eine nie gestellte Frage. Davon abgesehen war das Verhältnis zwischen ihnen innig, sie lernten sich immer besser kennen, und irgendwie dachten mittlerweile beide an eine dauerhafte Verbindung.

Der Vater von Lymond hatte mittlerweile vorgeschlagen, die junge Frau endlich offiziell kennenzulernen, und in gewisser Weise fieberte sie diesem Tag entgegen. Es schien ihm keine Sorgen zu machen, dass sie nicht von Adel war und somit kaum den Anforderungen entsprach, die andere Eltern oft stellten. Er schien zufrieden mit der Wahl seines Sohnes.

Mit Befriedigung nahm Clarice an diesem Tag eine Gummimaske aus dem Inkubator, fuhr von hinten mit den Fingern die Konturen nach und nickte lächelnd. Diese Maske sah abscheulich genug aus, um in dem anstehenden Gruselfilm jedem Zuschauer einen Schauder über den Rücken laufen zu lassen.

Schluss für heute, befand sie mit einem Blick auf die Uhr. Morgen konnte sie das fürchterliche Gesicht dekorieren, wie das Bemalen und Schminken im Fachjargon hieß. Außerdem musste noch eine schreckliche Wunde arrangiert werden. Ein Blick aus dem Fenster zeigte Clarice, dass der Wagen von Lymond schon draußen auf dem Parkplatz stand, sie würde also keinen Bus nach Hause nehmen müssen.

Der junge Mann sprang aus dem Auto, als er die schlanke Gestalt auf sich zukommen sah. Mit einem Kuss begrüßte er Clarice und fuhr sie nach Hause. Selbst wenn sie etwas vorhatten, war es wie ein Ritual – Clarice bestand darauf, sich erst einmal umzuziehen. Sie hatte immer das Gefühl, die Gerüche aus der Werkstatt setzten sich in ihrer Kleidung fest, und die wollte sie loswerden.

Ein großer Umschlag steckte in ihrem Briefkasten.

„Bestimmt Werbung“, seufzte sie, schaute dann aber verwirrt auf den Absender. Ein Rechtsanwalt in London?

„Eine etwas seltsame Art, Klienten zu suchen“, spottete die junge Frau und riss den Umschlag auf. Ihre Augen weiteten sich, während sie las, und Lymond beobachtete sie erstaunt. Schließlich sank sie in einem Sessel zusammen, Tränen liefen ihr hemmungslos die Wangen herunter, und sie ließ das Blatt in den Schoß sinken. Der junge Lord griff danach, las ebenfalls und wurde blass.

„Aber das kann doch gar nicht sein, das ist doch völlig unmöglich. Wie kann ...?“ Er starrte noch einmal auf den Absender des Briefes auf dem Umschlag, dann auf das Blatt, das er noch immer in den Händen hielt.

„Meine liebe Clarice. Wenn du diese Zeilen liest, wird es notwendig sein, dir Informationen zukommen zu lassen, die bisher für dich nicht nötig, oder sogar gefährlich waren. In meinem langen Leben als Archäologe und Historiker war es irgendwann einmal notwendig, dass ich mich einer Vereinigung anschloss, deren Ziele nicht immer durchsichtig und auch nicht legal waren. Das hielt ich jedoch für vernachlässigbar, bis zu jenem Zeitpunkt, da ich ein unglaubliches Artefakt in die Hände bekam, mit dem diese Vereinigung, nenn’ sie ruhig eine Loge, die ganze Weltordnung hätte umwerfen keinen. Das konnte ich allerdings nicht zulassen, weil ich stets der Meinung war und bin, dass jedermann sich an bestehende Gesetze zu halten hat. Darüber will ich an dieser Stelle aber keine Diskussion aufwerfen, mein Kind. Es muss dich schon hart ankommen, diesen Brief in den Händen zu halten. Es wäre mir lieber, wenn es sich hätte vermeiden lassen. Zurück zu meiner Geschichte. Bei einer Ausgrabung fand ich ein seltsames Pergament, mit dem geheimen Wissen über eine Maske, gearbeitet aus einem Kristall. An anderer Stelle lagen die dazu gehörenden Augen, Saphire. Sollten sie jemals zusammengesetzt werden und zu einer einzelnen Person gehören, ist diese Person in der Lage, unermessliche Macht an sich zu reißen. Das klingt unglaublich, und du wirst vielleicht an meinen Worten zweifeln. Aber selbst dann musst du in jedem Fall verhindern, dass Maske und Augen zusammengeführt werden. Ich weiß, dass diese Maske bereits von einem Mitglied der Loge versteckt wurde, jemand hatte sie bereits in Besitz, aber es war ihm nicht möglich, alle Teile zu vereinigen. In der Anlage wirst du einen Plan finden, der dir verrät, wo ich die Augen verborgen habe. Die Maske selbst ist im Besitz der Loge und sollte besser niemals aus ihrem Versteck geholt werden. Da du diesen Brief in den Händen hältst, hat aber jemand das Undenkbare getan und die Maske an sich genommen. Er wird versuchen, die Augen ebenfalls in seinen Besitz zu bringen. Das musst du auf jeden Fall und mit allen Mitteln verhindern. Mir ist klar, welche Verantwortung ich dir auferlege. Doch ich kann niemandem vertrauen, und das solltest du besser auch nicht tun. Wenn du es für richtig hältst, versteckte die Augen an einem anderen Ort, aber lass nicht zu, dass jemand, egal wer, in ihren Besitz kommen kann. Dir, meine liebe Clarice, will ich noch sagen, dass ich dich mehr liebe als alles auf der Welt, auch wenn ich nicht immer in der Lage war, dir das so zu zeigen, wie es angemessen wäre. Um den dauerhaften Schutz der Augen durch dich zu gewährleisten, steht dir ein relativ großer Geldbetrag zur Verfügung, er wird in dem Augenblick freigegeben, da du dich bei dem Anwalt meldest, der mein Vermächtnis bewahrt. Gerne hätte ich dir gleich bei meinem Tod dieses Erbe hinterlassen, doch ich ahnte, es würde eines Tages notwendig werden, dir alle Möglichkeiten zur Unabhängigkeit zu schaffen. Glaube mir bitte, dass ich dir dies alles gern erspart hätte. Es war nicht meine Schuld, dass ich überhaupt in den Besitz der Augen kam. Ich flehe dich an, mein Vermächtnis zu erfüllen. Falls du es nicht tun willst, oder aus bestimmten Gründen nicht tun kannst, wird die Welt im Chaos untergehen, und du wirst mittendrin stecken. Bitte hasse mich nicht dafür, dass ich dir das antun muss. Ich liebe dich, meine Clarice, und ich wünschte, ich wäre bei dir, um dich zu beschützen. Aber vielleicht ist es mir ja möglich, von dort, wo ich jetzt bin, über dich zu wachen. Melde dich bitte schnellstens bei Aldous Carpenter, dem Anwalt, er wird dir alle Fragen in einem persönlichen Gespräch beantworten. Ich habe Vertrauen in ihn, soweit es mir in dieser Lage möglich ist. Aber auch er wird nicht mehr als gute Ratschläge geben können. Handle wohlüberlegt, vertraue niemandem, den du nicht schon seit Jahren kennt – und selbst dann sei vorsichtig. Noch einmal, meine Liebe wird immer bei dir sein, und ich hoffe, dass du dieses unvorhergesehene Abenteuer heil überstehen wirst. Behalte mich in guter Erinnerung, eines Tages sehen wir uns gewiss wieder. Dein Vater Horatio Ambrid.“

Lymond schaute auf Clarice, die sich nur langsam wieder fasste. Er beugte sich nieder und zog sie sanft und tröstend an sich.

„Sei mir nicht böse, Liebes, aber ich glaube, als dein Vater dies hier geschrieben hat, war er nicht mehr bei sich. Du wirst dieses wirre Geschreibsel doch hoffentlich nicht ernst nehmen? Wo ist überhaupt dieser sogenannte Plan, da wird sich dann spätestens herausstellen, dass dies hier ein Ausbund an Einbildung ist. Bitte, nun beruhigte dich doch erst einmal ...“ Er griff nach dem Umschlag, um nachzusehen, ob sich dort noch etwas darin befand, aber Clarice hatte mit einem blitzschnellen Griff das Papier an sich gebracht.

Misstrauisch blickte sie auf Lymond, der resigniert mit den Schultern zuckte.

„Du traust mir also nicht, allein aufgrund dieses verrückten Briefes? Noch einmal, ich bitte dich, denk’ nach. Du willst das alles doch nicht ernst nehmen? Augen aus Saphiren, eine Maske aus Kristall, unermessliche Macht? Das klingt mehr als unglaubwürdig – das ist total verrückt. Komm zu dir, Clarice. Vielleicht solltest du erst mal klären, ob sich da nicht irgendwo jemand einen schlechten Scherz erlaubt hat.“

„Ich glaube, Lymond, du redest hier über etwas, wovon du keine Ahnung hast. Kein anderer hätte diesen Brief schreiben können als mein Vater. Ich glaube, dass er etwas in dieser Art erlebt hat, auch wenn mir noch nicht ganz klar ist, was ich davon halten soll. Aber ich werde schon herauskriegen, was dahintersteckt. Dazu brauche ich dich und deine Kommentare allerdings nicht. Geh jetzt bitte, lass mich allein, ich muss über vieles nachdenken.“

Er starrte sie weiter an, machte keine Anstalten ihrer Aufforderung zu folgen, ganz im Gegenteil, er wollte sie enger an sich ziehen, doch sie stieß ihn zurück.

„Nun geh doch endlich. Lass mich allein. Ich – ich melde mich bei dir. Versteh’ bitte, dies hier ist – ich meine ...“

Lymond wirkte gekränkt. „Ich hätte nicht gedacht, dass ein paar Worte in einem Brief, den weiß Gott wer geschrieben haben könnte, dich so verändern. Ich werde gehen, Clarice, aber das wird das letzte Mal sein ...“

„Halt, warte, sprich nicht weiter“, bat sie nun reumütig. „So habe ich es doch gar nicht gemeint. Das alles hier stürzt so plötzlich auf mich ein, ich muss darüber nachdenken, und ich will auch mit diesem Anwalt reden. Vielleicht stellt sich dann heraus, dass es sich um einen Irrtum, oder was auch immer, handelt. Ich wollte dich nicht verletzen, Lymond.“

Er war rasch besänftigt, und sie ließ es nun doch zu, dass er sie liebevoll in die Arme nahm.

„Tu nichts Unüberlegtes“, bat er. „Auch wenn du im Augenblick nicht weißt, wem du noch trauen sollst, ich bin immer für dich da. Sprich mit mir, bevor du etwas unternimmst, dessen Folgen du womöglich nicht absehen kannst. Versprich es mir.“

Sie nickte zögernd, war sich im Augenblick über gar nichts im Klaren. „Ich werde morgen mit dem Clipper nach London fliegen, danach weiß ich vermutlich schon mehr. Du musst dir also nicht die Mühe machen, mich im Studio abzuholen. Ich rufe dich an, sobald ich mehr Informationen habe.“

Noch immer war Lymond nicht ganz mit dieser Regelung einverstanden, doch er wusste, dass Clarice nicht von ihrer Meinung abgehen würde. Sie konnte mitunter ausgesprochen stur sein. Mit einem letzten Blick verließ er sie und fragte sich, ob es richtig war, was er tat.

5

Schon das Äußere war dazu angetan, jedem potentiellen Mandanten klarzumachen, dass in dieser Kanzlei keine armen Kunden angenommen wurden. Ein wenig mulmig fühlte Clarice sich schon. Bisher hatte sie in ihrem Leben nur einmal während der Testamentseröffnung etwas mit einem Anwalt zu tun gehabt, und die Begegnung war kurz und unspektakulär verlaufen. Dieser Besuch hier schien doch etwas anderes zu sein, und das Herz klopfte ihr bis zum Halse.

Dabei hatte die Stimme von Sir Aldous Carpenter ruhig und freundlich geklungen, er hatte sich auch sofort bereit erklärt, einen anderen Termin abzusagen, um mit ihr zusammen zu treffen.

Die Kanzlei sah aus, als wollte sie Werbung für teure gediegene Einrichtung machen. Edle Hölzer an den Wänden und auf dem Boden, die Büromöbel zweckmäßig und doch elegant, die Empfangsdame mittleren Alters und sehr gepflegt, ein Computer, der fast gar nicht zu sehen war – eine Kanzlei wie aus einem Film. Auch eine Möglichkeit, um Fortschritt mit dem Konventionellen zu verbinden.

Ein professionelles Lächeln erschien auf dem Gesicht der Frau hinter einem fast leeren Schreibtisch. „Kann ich Ihnen behilflich sein?“, erkundigte sie sich höflich.

„Ich will zu Mr. Carpenter, wir haben einen Termin.“

Sofort wechselte das Verhalten der Frau. „Dann sind Sie Clarice Ambrid? Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Ihren Herrn Vater habe ich sehr bewundert. Kommen Sie, ich bringe Sie sofort zu Sir Aldous, er erwartet Sie bereits.“

Erschreckt warf Clarice einen Blick zur Uhr, die Empfangsdame lächelte und schüttelte den Kopf.

„Nicht doch, Sie sind nicht zu spät, falls Sie das denken. Sir Aldous ist nur begierig auf Sie.“ Gleich darauf öffnete sie eine große Tür aus Mahagoni, steckte ihren Kopf hindurch und verkündete fröhlich: „Ihr Besuch ist da. – Gehen Sie ruhig hinein, Miss Ambrid. Und keine Angst, er beißt nicht“, lächelte sie Clarice an.

Die ging nun doch etwas verwirrt hinein. Was sollte das denn?

Das Büro schien aus dem letzten Jahrhundert übrig geblieben zu sein. Schwere alte Möbel im Feudalstil flößten Respekt ein, auf dem Boden lag ein echter indischer Ghom, und außer dem elektrischen Licht schien es keine technischen Einrichtungen zu geben. Hinter einem großen wuchtigen Schreibtisch stand ein älterer Mann auf. Er wirkte distinguiert und unnahbar, doch ein Lächeln auf seinen Lippen verwischte diesen Eindruck gleich wieder. Während er Clarice ausgiebig musterte, schimmerte das Abbild eines jungen, draufgängerischen Mannes durch, der jederzeit für einen Scherz oder Streich zu haben war. Gleich darauf kam aber wieder die seriöse Maske zum Vorschein, auch wenn der neugierige Blick noch blieb.

„Es ist mir eine Ehre, die Tochter meines alten Freundes Horatio kennenzulernen“, sagte Carpenter mit sanfter sonorer Stimme.

„Ich – ich verstehe nicht ganz, Sir – alter Freund? Mein Vater hat nie über Sie gesprochen, soweit ich mich erinnern kann. Ich meine ...“

„Das sollte er auch nicht“, erwiderte Sir Aldous ernst. „Ihr Vater und ich waren einmal – ach, was rede ich denn hier zwischen Tür und Angel? Ich habe Ihnen nicht einmal etwas angeboten. So, nun kommen Sie doch endlich herein.“

Er verschloss sorgfältig die Tür und drehte dann den Schlüssel herum. Clarice wurde zu einer bequemen Sitzecke geführt, dann setzte der Anwalt einen kleinen Kasten im Gang, der zunächst ein kreischendes Geräusch von sich gab, schließlich aber verstummte. Carpenter öffnete hinter einer Reihe von Büchern ein Regal, ein Fach mit Getränken kam zum Vorschein, eine beeindruckende Vielfalt, die keine Wünsche offen ließ. Sogar eine Kaffeemaschine und ein Teekocher waren vorhanden.

„In diesem Raum finden äußerst vertrauliche Gespräche statt, dazu benötigen wir manchmal einen Störsender, der verhindert, dass eventuell durch Abhörgeräte ein Wort nach draußen gelangt. Was kann ich Ihnen anbieten, Clarice? Ich schätze, meine Erzählung wird etwas länger dauern, wir sollten es uns so gemütlich machen wie möglich.“

Die Verwunderung in Clarice wuchs weiter, doch sie stellte keine Fragen. Dieser Mann war offenbar bereit, über alles zu reden, was sie wissen wollte. Da war es klüger abzuwarten, bis Carpenter in der richtigen Reihenfolge erzählte. Sie bat um einen Kaffee, und gleich darauf verbreitete sich der aromatische Duft frisch aufgebrühter Bohnen. Sir Aldous bediente sie, dann setzte er sich ihr gegenüber und suchte nach Worten.

„Ihr Vater und ich lernten uns schon während des Studiums kennen. Horatio war von der Archäologie begeistert und witterte in jedem Stein eine antike Sensation. Ich hingegen versuchte ihn zu bremsen, wenn die Begeisterung mit ihm durchging. Unseren Abschluss schafften wir beide mit Auszeichnung, für einige Zeit verloren wir uns aus den Augen, als mein Freund ins Ausland ging, um an verschiedenen Grabungen teilzunehmen. Er schickte mir jedoch Karten aus aller Herren Länder; Ägypten, Irak, Iran, Algerien, Tunesien, später sogar Mongolei, China, Kambodscha. Er machte sich rasch einen guten Namen, und schon nach wenigen Jahren leitete er selbst die Expeditionen. Von Hause aus war Horatio bereits wohlhabend, durch die Verkäufe seiner Funde und zahlreiche Veröffentlichungen kam weiteres Geld dazu. Er hätte sich eigentlich sogar zur Ruhe setzen können und nur noch nach eigenem Ermessen forschen – oder was auch immer. Schließlich heiratete er, seine Frau hatte nur wenig Verständnis für seine Arbeit, besaß aber beste Kontakte in der Gesellschaft und machte Horatio mit den verschiedensten Leuten bekannt. Zu der Zeit trafen wir uns wieder öfter, doch die Vertrautheit der früheren Zeiten wollte nicht so recht zurückkommen. Das änderte sich erst, als er auf eine letzte große Expedition ging, mitten in Schwarzafrika. Seine Frau protestierte energisch, doch er ließ sich von seiner Idee nicht abbringen. Bevor er fuhr, suchte er mich auf und zog mich ins Vertrauen.

Horatio war einer Loge beigetreten, so wie es früher zum Beispiel die Freimaurer gewesen waren. Dort hatte es seit langem eine Legende gegeben, die sich bald als wahr herausstellte. In einer geheimen Kammer existierte eine Maske aus Kristall, die demjenigen unumschränkte Macht versprach, der es schaffte, ihr die fehlenden Augen einzusetzen. Natürlich hielt Horatio davon zunächst nichts. Aber als akribischer Wissenschaftler forschte er in der Geschichte und fand die Hintergründe – außerdem gab es Beweise. Wer auch immer sich in Besitz der Maske befindet, verfügt über ungewöhnliche Kräfte, die weit über das Natürliche hinausgehen. Es fehlten tatsächlich nur die blauen Augen, um eine Katastrophe heraufzubeschwören – in den falschen Händen. Horatio fand Hinweise darauf, wo sich die Augen befanden, er wollte um jeden Preis verhindern, dass jemand diese Maske vollständig zusammensetzte. Er selbst hatte keine Ambitionen, diese Macht an sich zu reißen. Er bat mich um Hilfe. Zum einen sollte ich die Person im Auge behalten, die sich augenblicklich im Besitz der Maske befand, zum anderen sollte ich mehrere absolut sichere Verstecke ausfindig machen, in denen man die Augen für alle Zeiten verbergen konnte. Dazu gehörte es natürlich auch, dass ich dieser Loge beitreten musste. Dennoch war auf diese Weise sichergestellt, dass außer mir niemand Bescheid wusste. Offiziell galt diese Expedition der Suche nach Ophir, dem verschwundenen Goldland, an das bis heute niemand so recht glaubt. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, doch ich bekam von ihm die verschlüsselte Nachricht. Horatio hatte die Augen gefunden. Er steckte sie einfach in die Hosentasche, eine sehr unauffällige Art, diese Gegenstände außer Landes zu bringen.