Spuk Thriller Doppelband 2014 - Jonas Herlin - E-Book

Spuk Thriller Doppelband 2014 E-Book

Jonas Herlin

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Romane: Eine Gräfin im Norden (Jonas Herlin) Schwarzer Engel (Ann Murdoch) "Ach, du lieber Himmel, Großvater, Lass mich das doch machen. Du sollst doch nicht auf die Leiter steigen", schalt Sabrina liebevoll. Sie nahm Alistair Ferguson die Bücher aus der Hand, die dieser in das oberste Regal der kleinen, aber gut etablierten Buchhandlung in Soho zurücklegen wollte. Er führte dieses Geschäft schon seit mehr als vierzig Jahren und hatte es immer wieder verstanden, einen festen Kundenstamm aufzubauen und auch zu halten. Außerdem galt er als Experte für alte Schriften und wurde immer wieder für Expertisen herangezogen, wenn es um Versteigerungen ging. Als Kryptologe besaß er den denkbar besten Ruf. Selbst die Polizei hatte schon auf sein Wissen zurückgegriffen, wodurch unter anderem ein groß angelegter Betrug aufgeklärt werden konnte.

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Ann Murdoch, Jonas Herlin

Spuk Thriller Doppelband 2014

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Inhaltsverzeichnis

Spuk Thriller Doppelband 2014

Copyright

Eine Gräfin im Norden

Schwarzer Engel: Romantic Thriller Mitternachtsedition

Spuk Thriller Doppelband 2014

Jonas Herlin, Ann Murdoch

Dieser Band enthält folgende Romane:

Eine Gräfin im Norden (Jonas Herlin)

Schwarzer Engel (Ann Murdoch)

„Ach, du lieber Himmel, Großvater, Lass mich das doch machen. Du sollst doch nicht auf die Leiter steigen“, schalt Sabrina liebevoll. Sie nahm Alistair Ferguson die Bücher aus der Hand, die dieser in das oberste Regal der kleinen, aber gut etablierten Buchhandlung in Soho zurücklegen wollte. Er führte dieses Geschäft schon seit mehr als vierzig Jahren und hatte es immer wieder verstanden, einen festen Kundenstamm aufzubauen und auch zu halten. Außerdem galt er als Experte für alte Schriften und wurde immer wieder für Expertisen herangezogen, wenn es um Versteigerungen ging. Als Kryptologe besaß er den denkbar besten Ruf. Selbst die Polizei hatte schon auf sein Wissen zurückgegriffen, wodurch unter anderem ein groß angelegter Betrug aufgeklärt werden konnte.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Alles rund um Belletristik!

Eine Gräfin im Norden

Jonas Herlin

Eine Gräfin im Norden: Unheimlicher Thriller
von Jonas Herlin
Gibt es eine Liebe über den Tod hinaus? Die Hamburger Reporter Sandra Düpree und Tom Broland bekommen es mit einem seltsamen Fall zu tun und werden durch unbegreifliche Kräfte in eine andere Welt versetzt, weit vor der aktuellen Zeit. Hier treffen die beiden auf die Gräfin Maria, die nichts anderes will, als ihre unerfüllte Liebe auf ewig an sich zu binden.
Copyright
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author
Jonas Herlin ist ein Pseudonym von Alfred Bekker.
© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alles rund um Belletristik!
1
Tom Broland nahm seinen Platz in der Hamburger Oper ein, als er angesprochen wurde.
“Dass Sie hier sind, Herr Broland!”
“Guten Tag, Herr Quandt”, sagte Tom Broland.
“Ich wusste gar nicht, dass Sie sich für Opern interessieren!”
“Das tue ich auch eigentlich gar nicht.”
“Und dann sind Sie trotzdem hier?”
“Beruflich.”
“Sie sind doch jetzt bei den HAMBURG EXPRESS NACHRICHTEN.”
“Das stimmt”, bestätigte Tom Broland.
“Das ist doch mehr ein… Boulevard-Blatt. Ich wusste gar nicht, dass man sich da für eine Opernuraufführung interessiert.”
“Wenn sie in Hamburg stattfindet schon,. Wir sind ja schließlich auch eine Lokalzeitung.”
“Und dann schicken die jemanden, der sich gar nicht dafür interessiert?”
“Ich bin gewissermaßen vertretungsweise hier. Der, der das eigentlich machen sollte, ist krank geworden. Da bin ich eingesprungen.”
“Eigentlich schade, dass Sie unsere Zeitungsgruppe verlassen haben, Herr Broland.”
“Ich fühle mich wohl hier in Hamburg.”
“Und man könnte Sie nicht überreden, wieder zurückzukehren?”
Tom Broland lächelte zurückhaltend. Dann schüttelte er den Kopf.
“Nein, ich glaube nicht”, sagte er.
“Wir könnten über das Gehalt reden.”
“Es liegt nicht am Gehalt.”
“Haben Sie… hier jemanden kennengelernt? Private Wurzeln geschlagen? Das ist natürlich indiskret, sowas zu fragen. Entschuldigen Sie. Es interessierte mich eben.”
“Sagen wir so: Ich bin gerade dabei, Wurzeln zu schlagen.”
“Ich verstehe.”
“Und wie ich schon sagte: Ich möchte vorerst in Hamburg bleiben.”
“Sollten Sie es sich mal anders überlegen, dann wissen Sie ja, dass Sie bei mirb immer ein offenes Ohr finden.”
“Natürlich, Herr Quandt.”
Die Instrumente wurden gestimmt.
“Gleich wird man uns in eine andere Welt versetzen, Herr Broland. Das hoffe ich zumindest. Hängt natürlich davon ab, ob die Inszenierung etwas taugt.”
“Sicher.”
Die Overtüre begann.
Und dann hob sich der Vorhang.
Eine andere Welt…
Nein, dachte Tom Broland.
Nicht wirklich!
*
Grau und moosbewachsen erhoben sich die düsteren Mauern des verwinkelten Schlosses. Die Türme ragten spitz in den Nachthimmel und hoben sich gegen den Vollmond ab, dessen fahles Licht dem Schloss die Aura unvorstellbaren Alters zu verleihen schien. Schwarze Wolken zogen wie drohende Ungeheuer von Osten heran. Graue Nebel krochen wie gestaltlose böse Geister über den Boden und umlagerten die grauen Mauern wie Spinnweben.
Das Licht des Mondes spiegelte sich in dem dunklen, modrigen Teich, der sich vor dem Schloss befand. Eine junge Frau stand dicht an der kniehohen Ummauerung, die den Teich begrenzte, und blickte auf die spiegelglatte Wasseroberfläche. Ihr eigenes, totenbleiches Gesicht blickte ihr entgegen. Ihre Augen vermittelten den Eindruck tiefer Melancholie. Das blonde Haar fiel ihr auf die schmalen Schultern, die von dem fließenden Stoff ihres dunkelroten Kleides bedeckt waren. Sie atmete tief durch. Ihr Blick bekam dabei etwas Schmerzvoll-Sehnsüchtiges.
„Tom“, flüsterte sie. „Geliebter.“ Sie schluckte und eine Träne rann ihr über das fast weiße Gesicht. Und in Gedanken fügte sie hinzu: Wo mag deine Seele jetzt sein?
Nichts geht verloren, auch durch den Tod nicht. Davon bin ich überzeugt … Aber wir wurden durch ein grausames Schicksal getrennt! Getrennt durch die Abgründe von Raum und Zeit … Die junge Frau ballte die Fäuste. Sie schloss die Augen, während ihre Tränen die Wangen hinunterliefen.
Erinnerungen stiegen in ihr auf.
Das Gesicht eines Mannes erschien vor ihrem inneren Auge. Dunkles Haar umrahmte seine sympathischen Züge. Der Blick seiner grüngrauen Augen ging ihr durch und durch.
„Ich liebe dich, Tom“, flüsterte sie. Sie glaubte beinahe körperlich zu spüren, wie seine Hände die ihren berührten. Ein wohliger, warmer Schauer überlief ihren Rücken. Eine Empfindung, die so völlig im Gegensatz zur düsteren, kalten Umgebung stand.
Ich rufe dich!, ging es ihr durch den Kopf. Wo immer du auch sein magst, ich rufe dich … deine Seele!
Einen Augenblick lang stand sie mit geschlossenen Augen da. Und im Geist hörte sie Tom ihren Namen flüstern.
„Maria.“
Es klang wie Musik in ihren Ohren. Sein dunkles Timbre verzauberte sie.
Für einen Moment verlor sie sich in diesen Empfindungen, verlor sich in dem Gefühl der tiefen Liebe, die sie empfand. Bis langsam aber sicher wieder die düstere Erkenntnis in ihr aufstieg, dass das alles nichts weiter als eine Illusion war. Eine Vorspiegelung ihres Geistes. Sie war allein, so schrecklich allein …
Oh, Tom …
Einsamkeit.
Ein schreckliches Gefühl, das sie in einer großen dunklen Woge zu überschwemmen und mit sich zu reißen drohte. Sie fröstelte.
Auf der bleichen, zarten Haut ihrer Unterarme fror sie jetzt.
Sie öffnete die Augen, blickte ihr eigenes Spiegelbild in dem düsteren, modrigen Teich an und sah dann zu den uralten Mauern des Schlosses hinüber.
Burg Lürsen, der uralte Stammsitz ihrer Familie, die einst als sächsische Grafen mit Wilhelm von Augustusburg an die Küste gekommen waren.
Ein verfluchtes Gemäuer, dachte sie. Ein verfluchter Ort! Mehr und mehr zog sich nun die dunkle Wolkendecke über den Himmel. Der Mond verschwand jetzt phasenweise dahinter. Ein kühler Wind kam auf und strich eisig über das Land. Die glatte Wasseroberfläche auf dem Teich kräuselte sich leicht, und das Spiegelbild wurde zerstört.
Modergeruch trug der Wind an ihre Nase.
Der Geruch des Alters und des Verfalls.
Des Todes!, dachte sie schaudernd.
Und das Grauen legte sich wie eine eiserne Hand um ihr Herz. Eine Hand, die unerbittlich und fest zudrückte. Das Atmen fiel ihr schwer.
Irgendwo in der Ferne leuchtete etwas grell in den dunklen Wolkengebirgen auf.
Ein Blitz.
Es schien, als ob sich nun ein Gewitter ankündigte. Das dumpfe Grollen des Donners bestätigte diese Vermutung. Und während sie die ersten Regentropfen auf der totenbleichen Haut spürte, sah sie andere Bilder vor ihrem inneren Auge. Es waren ebenfalls Erinnerungen.
Keine Szenen des Glücks und der Liebe.
Nein, Augenblicke des blanken Schreckens!
Eine dunkle Kapuze hatte man ihr über den Kopf gezogen. Hände hatten sie wie in einem Schraubstock gepackt. Sie war gefesselt.
Sie glaubte, noch einmal zu spüren, wie der Henker ihr den groben Strick um den Hals legte, hörte die Worte des Priesters, die ihre verdammte Seele ins Jenseits begleiten sollten und das schreckliche, harte Geräusch, als der Galgen betätigt wurde.
Wie eine Puppe hing sie im Wind, schwang hin und her …
„Nein!“, schrie Maria in die Nacht hinein. Sie fuhr sich mit den Händen über das blasse Gesicht, so als hätte sie sich davon überzeugen müssen, dass sie noch existierte. Sie raufte sich das schulterlange, blonde Haar, während ihre Augen weit aufgerissen waren. Eine Mischung aus Wahnsinn und Schrecken leuchtete aus ihnen.
„Nein!“, schrie sie und versuchte verzweifelt , die grausamen Bilder aus ihrer Erinnerung abzuschütteln. Sie schluckte, berührte tastend ihren Hals.
Mein Gott!
Sie glaubte, den Abdruck des groben Hanfseils auf ihrer Haut zu spüren.
Der Puls schlug ihr bis zum Hals.
Sie fühlte, dass sie am Abgrund stand. An einem Abgrund des Wahns, der wie ein großer finsterer Schlund vor ihr gähnte. Der Regen wurde stärker.
Dicke Tropfen benetzten ihre weiße Haut und die Haare. Sie umrundete den Teich, raffte ihr langes Kleid zusammen und lief auf die grauen Mauern von Burg Lürsen zu. Aber sie lief nicht auf das eindrucksvolle Portal des Schlosses zu, sondern hielt mitten in ihrem Weg an, und wandte sich dann nach links.
Sie zitterte.
Etwas bewegte sich dort, zwischen den Büschen. Etwas Dunkles, das nur als bloßer Schemen zu sehen war. Sie hörte Schritte. Vielleicht ein Tier …
„Gräfin Maria!“, rief dann eine heisere Stimme durch die Nacht. Sie kam vom Portal her.
Ein grauhaariger Butler stieg die steinernen Stufen hinab, auf denen sich das Moos bereits heimisch zu fühlen begann. Der Butler trug einen Schirm in der Linken.
„Gräfin Maria, kommen Sie! Sie werden sich den Tod holen!“
Inzwischen prasselte der Regen nur so herab.
Aber Maria schien das nicht zu kümmern.
Wie entrückt stand sie da, fast wie zur Salzsäule erstarrt.
Und ihre bleichen Lippen murmelten immer wieder einen Namen.
„Tom!“
2
Ich erwachte schweißnass mitten in der Nacht. Wirre Träume hatten mich in meinen Kissen hin und her wälzen lassen. Ich hatte einfach keine Ruhe gefunden, so sehr ich es auch versucht hatte.
Und als ich dann schließlich doch eingeschlafen war, hatten sich vor meinem inneren Auge Szenen entfaltet, die mir den kalten Angstschweiß auf die Stirn trieben. Bilder von unglaublicher Intensität, die mir mindestens so real erschienen wie der Mond, der wie ein großes Oval am Himmel stand. Von meinem Bett aus konnte ich ihn durch das Fenster scheinen sehen.
Er wirkte wie das große, kalte Auge eines Riesen, der mich aus großer Ferne musterte.
Der Puls schlug mir bis zum Hals.
Das Nachthemd klebte an meinen Schultern. Schwer atmend schlug ich die Bettdecke zur Seite. Langsam begriff ich, dass das, was ich gesehen hatte, nichts weiter als ein Traum gewesen war.
Ich trat zum Fenster, öffnete es und einen Augenblick später wehte der kühle Hauch der Nacht von draußen herein. Das brachte mich wieder etwas zur Besinnung.
Ein Gesicht erschien vor meinem inneren Auge. Jenes Gesicht, das ich in meinem Traum immer wieder vor mir gesehen hatte.
Ich konnte nicht genau sagen, was mich an diesem Gesicht so sehr geängstigt hatte. Dieses Gefühl namenloser Furcht war einfach da. Und war mit diesem Gesicht verbunden. Es handelte sich um das totenbleiche Antlitz einer Frau. Ihre Züge waren feingeschnitten und wirkten wie aus Elfenbein modelliert. Eine hübsche Frau, ohne Zweifel. Aber so …
… tot!
Mich schauderte bei dem Gedanken an sie.
Wie eine kalte, glitschige Hand kroch dieses Gefühl meinen Rücken empor. Gänsehaut überzog meine Unterarme. Hast du dieses Gesicht schon einmal gesehen?, ging es mir durch den Kopf. Ich zermarterte mir förmlich das Hirn über diese Frage. Nein, dachte ich. Aber ich war mir nicht hundertprozentig sicher.
Dieses blasse Gesicht war die einzige Erinnerung, die mir aus meinem Albtraum geblieben war. Alles andere war nicht mehr als ein Konglomerat aus düsteren Farben, leckenden Schatten, Mondlicht und einem finsteren Gemäuer. Ein Detail war da allerdings noch …
Der Strick!
Wie eine Galgenschlinge hatte er um ihren Hals gelegen. Warum hat dich dieser Traum so aufgewühlt?, fragte ich mich. Ich sah keinen wirklichen Grund dafür. Und doch schlug mein Herz wie wild. Selbst jetzt, da der kühle Hauch dieser winddurchtosten Nacht eigentlich alle Traumgespenster hätte verscheuchen müssen.
Ich brauchte nur die Augen zu schließen.
Dann stand es wieder vor mir, dieses bleiche Gesicht einer elfenbeinhäutigen Frau, die mir wie ein Bote des Todes erschien.
Schon im ersten Moment, nachdem ich erwacht war, hatte ich gewusst, dass es sich um einen jener Träume handelte, die meine leichte übersinnliche Gabe mir sandte. Eine Gabe, mit deren Hilfe ich schlaglichtartig in Träumen, Tagträumen und Ahnungen die Abgründe von Raum und Zeit überwinden konnte. Diese Frau wird in deinem Schicksal irgendwann in nächster Zeit eine Rolle zu spielen beginnen!, wurde es mir klar. Und ich wagte kaum daran zu denken, welche Bedeutung vielleicht hinter den Bildern verborgen lag, die mir im Traum vorgegaukelt worden waren.
3
Später setzte ich mich in einen der klobigen Sessel in meinem Schlafzimmer und schlief ein. Wie ein Stein. Es war der Schlaf der Erschöpfung. Am Morgen erwachte ich trotzdem früh. Eine innere Unruhe hatte mich geweckt. An weitere Träume konnte ich mich nicht erinnern.
Nur an diesen einen …
Ich zog mich an und fühlte mich seltsam benommen. Das Gesicht dieser Frau ging mir nicht aus dem Sinn. Aber sobald ich in der Redaktion der HAMBURG EXPRESS NACHRICHTEN angekommen war, würden mich die Hektik und der Stress, die mein Job als Reporterin bei diesem großen Hamburger Boulevardblatt mitbrachte, schon zur genüge ablenken.
Ich ging die Treppe hinunter ins Erdgeschoss von Tante Elisabeths Villa, in der ich die obere Etage bewohnte. Tante Elisabeth hieß eigentlich Elisabeth Düpree und war meine Großtante. Nachdem ich schon früh meine Eltern verlor, zog sie mich wie eine eigene Tochter auf.
Seit dem Tod meiner Eltern wohnte ich hier, in dieser verwinkelten und etwas unheimlich wirkenden viktorianischen Villa, deren größter Teil von Tante Elisabeths berühmtem Okkultismus-Archiv eingenommen wurde.
Tante Elisabeth war bereits auf den Beinen.
Sie brauchte nicht viel Schlaf, und es kam durchaus vor, dass sie ganze Nächte in der Bibliothek verbrachte und in alten, okkulten Schriften forschte.
Ich traf sie in der Küche, wo sie den Tee auf ihre unverwechselbare Weise zubereitete. Das war ein Ritual, an dem nicht das Geringste geändert werden durfte.
„Hallo, Sandra“, begrüßte sie mich lächelnd. Dann zog sie die Augenbrauen empor. „Du siehst nicht gerade besonders frisch aus.“
„So fühle ich mich auch nicht.“
„Schlecht geschlafen?“
Ich nickte.
„Kann man wohl sagen.“
Ich nahm die volle Teekanne und ging damit zum Tisch, den Tante Elisabeth bereits für das Frühstück gedeckt hatte. Wir setzten uns, und sie sandte mir einen sehr ernsten Blick zu.
„Ein Traum?“, fragte sie.
„Ja“, nickte ich.
Mehr brauchte ich nicht zu sagen. Tante Elisabeth wusste nur zu gut über meine Gabe Bescheid. Sie war es gewesen, die mich einst als erste darauf aufmerksam gemacht hatte.
„Willst du mir erzählen, was du gesehen hast, Sandra?“
„Das Gesicht einer Frau.“
„Kennst du sie?“
„Ich glaube nicht. Aber hundertprozentig sicher bin ich mir auch nicht. Die Frau war sehr bleich. Wie eine Tote beinahe. Sie hatte blondes Haar und eine Henkerschlinge um den Hals.“
„Gibt es sonst noch irgendwelche Einzelheiten, an die du dich erinnerst?“
„Nein.“ Ich zuckte die Achseln. „Aber ich werde dieses Gesicht einfach nicht mehr los … Es scheint mich zu verfolgen. Ich brauche nur die Augen zu schließen und sehe es wieder vor mir. Es wirkt so real.“
„Was empfindest du dabei?“, fragte Tante Elisabeth, während sie den Tee einschüttete.
„Bedrohung“, sagte ich spontan. „Und dann dieser Strick um ihren Hals.“ Ich musste unwillkürlich schlucken. „Was auch immer er bedeuten mag, es kann kaum etwas Gutes sein. Weder, wenn man ihn symbolisch versteht, noch wenn diese Szene tatsächlich eintreten sollte.“
„Du musst wachsam sein und alles um dich herum aufmerksam beobachten“, riet mir Tante Elisabeth. Sie nahm dabei meine Hand. „Dieser Traum hat zweifellos eine Bedeutung, aber im Moment ist es nicht mehr als ein Schlaglicht … Es fehlt der Zusammenhang.“
„Ja.“ Ein Gefühl der Kälte erfasste mein Inneres. Unbehagen hatte sich in mir ausgebreitet. Etwas wird geschehen, dachte ich. Schon sehr bald!
Es hatte keinen Sinn, solch düstere Ahnungen einfach verscheuchen zu wollen oder sie zu ignorieren. Das hatte ich früher versucht, als ich meine Gabe noch nicht als Teil meiner selbst akzeptiert hatte. Ich musste mich dem stellen, was auf mich zukam. Es gab keine andere Möglichkeit.
4
In der Redaktion der HAMBURG EXPRESS NACHRICHTEN herrschte die übliche Hektik. Ich traf mit leichter Verspätung ein, wofür mein kirschroter Oldtimer-Mercedes verantwortlich war. Er hatte sich gehörig Zeit gelassen, bis endlich der Motor angesprungen war.
Ich hoffte nicht, dass das gute Stück – ein Geschenk von Tante Elisabeth – jetzt langsam seine Mucken bekam. Ich betrat mit schnellem Schritt das Großraumbüro unserer Redaktion, das beinahe eine ganze Etage im Verlagsgebäude einnahm. Ziemlich direkt hielt ich auf meinen Schreibtisch zu, hängte die Handtasche über den Sessel des Drehstuhls und schaltete das Computerterminal ein. Dann atmete ich tief durch, nahm mir eine Tasse des dünnen Redaktionskaffees und wartete, bis das Logo unserer EDV auf dem Computerschirm erschien.
Unser Chefredakteur Michael T. Schwanemeier hatte als einziger ein Extra-Büro. Ich sah aus den Augenwinkeln heraus, wie sich dort gerade die Tür öffnete. Aber nicht unser allgewaltiger Chef trat mit den gewohnt hochgekrempelten Hemdsärmeln heraus, sondern mein Kollege Jim Rönckendorff.
Jim war wie ich 26 Jahre alt und galt als der Starfotograf der HAMBURG EXPRESS NACHRICHTEN. Sein blondes Haar war wie gewöhnlich ungebändigt und stand wirr herum, nachdem er sich mit der Hand hindurchgefahren war. Sein Jackett war knitterig, das Revers von den Riemen der Kamerataschen völlig ruiniert. Und seine Jeans wirkte wie ein Museumsstück für Woodstock-Veteranen.
Jims Kopf war hochrot.
Eigentlich war er ein stets gutgelaunter und zu witzigen Bemerkungen aufgelegter Mann. Aber in diesem Moment stand ihm der Ärger ins Gesicht geschrieben.
„Glauben Sie vielleicht, die NACHRICHTEN ist das einzige Blatt, das Bilder druckt?“, rief er empört in das Büro hinein, so dass man es bis zu meinem Schreibtisch hören konnte. Der Geräuschpegel im Großraumbüro legte sich etwas. Das Stimmengewirr wurde leiser.
Schwanemeiers Erwiderung war nicht zu verstehen.
Jim machte eine wegwerfende Handbewegung.
Und dann ging er davon.
Direkt auf meinem Schreibtisch zu.
Die Tür zu Schwanemeiers Büro wurde von innen ziemlich unsanft geschlossen.
Als Jim mich sah, stoppte er mitten in der Bewegung. Dann zwang er sich zu einem Lächeln.
„Hallo, Sandra!“
„Was ist denn los, Jim?“
Jim verdrehte die Augen. „Du kennst Schwanemeier doch.“
„Sicher.“
„Er regt sich auf, nur weil er die Bilder ein bisschen später auf dem Tisch liegen hatte. Mein Gott, was gut werden will, muss manchmal auch die nötige Zeit dazu haben! Aber für Schwanemeier zählt die Minute. Als ob es um den Untergang der HAMBURG EXPRESS NACHRICHTEN oder gar des Abendlandes ginge!“ Er atmete tief durch. Dann ging er an die Kaffeemaschine.
„Vielleicht genehmige ich mir auch mal einen Becher von dem Gebräu!“
„Aufgeregt hast du dich ja auch genug!“
„Na ja.“
„Wenn du mich fragst, brauchst du eher einen Beruhigungstee. Earl Grey, lang durchgezogen.“
Jim schüttelte den Kopf. „Darauf werde ich nie umsteigen“, meinte er. „Ist mir zu spießig. Außerdem …“
Ich sah ihn an.
„Was?“
„Man muss zu oft auf die Toilette. Und du weißt ja, als Pressefotograph hat man ja sowieso schon häufig genug das Pech, dass die wirklich wichtigen Dinge immer dann passieren, wenn man den Finger nicht am Auslöser hat.“ Wir lachten beide.
Jim schien bei allem Ärger über Michael T. Schwanemeier seinen Humor wiedergefunden zu haben.
Dann deutete er in Richtung von Schwanemeiers Bürotür.
„Trotzdem“, meinte er. „Ich frage mich, ob ich mir so etwas bieten lassen muss!“
„Du kennst Schwanemeier doch. Er wird sich beruhigen – und du dich auch!“
„Vermutlich hast du recht, Sandra! Bist du eigentlich so vernünftig auf die Welt gekommen oder hat sich das erst später entwickelt?“
„Na, hör mal!“
Er grinste.
„War ja nur ‘ne Frage“, lachte er dann. Er sah auf die Uhr. „Ich muss jetzt los. Eine Standpauke von Schwanemeier reicht mir am Tag!“
Er wollte gehen, aber ich hielt ihn noch einen Moment zurück.
„Jim.“
„Ja?“
„Hast du Tom heute morgen schon gesehen?“
„Ja. Aber du bist heute ein bisschen spät dran. Er ist schon unterwegs.“
„Schade.“
Jim grinste breit. „Na, ich denke, ihr seht euch doch oft genug. Außerhalb der Bürozeiten in der Redaktion wohlgemerkt!“
Ich lächelte milde und hob die Augenbrauen.
„Hast du noch nichts davon gehört, dass wir neuerdings sechsundzwanzig Stunden täglich in der Redaktion anwesend sein müssen? Da wird die Zeit schon mal ziemlich knapp, um sich anschließend noch zu treffen!“
Jim zwinkerte mir zu. Das war ein Spaß nach seinem Geschmack.
„Fragt sich, ob das eine neue Sparmaßnahme des Verlages ist oder Herr Schwanemeier sich nachts allein in diesem großen Haus fürchtet.“
Wir bemühten uns beide, so dezent zu lachen, dass man es nicht bis in Herr Schwanemeiers Büro hören konnte. Die Milchglasscheibe in der Bürotür war nämlich nicht gerade das, was man heutzutage unter einer guten Schallisolierung verstand.
5
Ich verbrachte die nächsten anderthalb Stunden damit, Routinearbeiten zu erledigen. Unter anderem bearbeitete ich verschiedene Pressemeldungen so, dass daraus Artikel für unsere Zeitung wurden, gestaltete Überschriften und Unterzeilen zu den Bildern.
Ich war dermaßen konzentriert, dass ich für eine Weile alles andere vergaß.
Selbst das leichenblasse Gesicht der jungen Frau, der man einen Strick um den Hals gelegt hatte.
Meine Finger glitten über die Computertastatur, und ich schrak zusammen, als plötzlich der Griff zweier Hände meine Schultern erfasste.
„Hallo, Sandra“, begrüßte mich eine Stimme mit unverwechselbarem, dunklen Timbre. Eine Stimme, deren Klang mir durch und durch ging und mir einen wohligen Schauder über den Rücken trieb.
Ich drehte mich herum.
„Tom“, flüsterte ich und sah in ein paar grüngrauer Augen. Tom Broland – ehemals Korrespondent für eine große Nachrichtenagentur – war seit einiger Zeit genau wie ich als Reporter für die HAMBURG EXPRESS NACHRICHTEN tätig, und inzwischen hatte ich mich unsterblich in diesen gutaussehenden, dunkelhaarigen Mann verliebt.
Unsere Lippen trafen sich zu einem kurzen Kuss.
„Ich hoffe, du hast mich auch richtig vermisst“, raunte er mir zu.
„Du hast ja keine Ahnung, wie sehr“, erwiderte ich und strich ihm leicht über das Kinn. „Bist du wenigstens einer interessanten Story auf der Spur?“
Tom machte eine wegwerfende Geste.
„Ich war im Justizzentrum. Wegen einer Gerichtsreportage. Leider ist man über die Personalien des Angeklagten nicht hinweggekommen. Die Verhandlung ist vertagt worden, und ich frage mich jetzt, wie ich aus der ganzen Sache noch einen Artikel mache.“
Ich erhob mich aus meinem Drehstuhl. Tom fasste mich am Oberarm und half mir auf. Unsere Blicke verschmolzen miteinander. Ich wünschte mir in diesem Moment, allein mit ihm zu sein. Nur wir beide, seine Arme um meine Schultern, unsere Körper so nah, dass jeder den Herzschlag des anderen spüren konnte …
Aber wir befanden uns leider an einer der unromantischsten Örtlichkeiten in ganz Hamburg: dem Redaktionsbüro der HAMBURG EXPRESS NACHRICHTEN.
Tom strich mir eine Strähne aus dem Gesicht, die sich aus meiner Frisur herausgestohlen hatte.
„Leider werde ich den Rest des Tages wohl mehr oder weniger in den Katakomben verbringen müssen.“ Mit den Katakomben meinte er das Archiv unseres Verlages, das sich im Keller befand.
„Was ist mit heute Abend?“
Er lächelte.
„Das geht in Ordnung.“
„Ich freue mich drauf!“
„Ich mich auch.“
„Um acht Uhr hole ich dich zu Hause ab, okay?“
„Ja.“
„Gehen wir nach dem Kino noch essen?“
„Aber zur Abwechslung mal nicht italienisch.“ Tom lachte. Er hatte eine Vorliebe für italienisches Essen, die ich normalerweise auch durchaus teilte. Und so waren wir vorwiegend in eines der zahlreichen italienischen Restaurants gegangen, die es in Hamburg gab. „Okay“, sagte er sanft.
„Weißt du, ich kann einfach für eine Weile keine Pasta mehr sehen“, erwiderte ich. „Genug ist einfach genug!“
„Bis nachher!“
Er küsste mich zärtlich auf die Wange. Und dann sah ich ihm nach, wie er sich in Richtung der Tür bewegte, um auf den Flur und dann in den Aufzug zu gelangen. Ich hatte Schmetterlinge im Bauch und fragte mich, ob dieses intensive Gefühl wohl irgendwann nachlassen oder sich ewig erhalten würde. Ein toller Mann, dachte ich. Und sein Herz gehörte mir. Ich würde es so schnell nicht loslassen.
6
Es war ein gewöhnlicher Tag in der Redaktion, an dem nichts Besonderes mehr geschah.
Oder vielleicht doch.
Ich bekam nämlich ein dickes Lob von Michael T. Schwanemeier, der sich eine Reportage von mir vorgenommen und eigenhändig redigiert hatte. Und mit Lob ist Schwanemeier nicht sehr verschwenderisch. Vielleicht wollte er mich aber auch darüber hinwegtrösten, dass er meine Reportage auf die Hälfte zusammengestrichen hatte, weil plötzlich ein wichtiger Anzeigenkunde mit einem Großauftrag gekommen war. Es hatte leicht zu nieseln begonnen, als ich am frühen Abend das Verlagsgebäude verließ.
Einen Schirm hatte ich nicht dabei, denn der Tag hatte sonnig und warm begonnen. So blieb mir nichts anderes übrig, als den Parkplatz so schnell wie möglich zu überqueren. Ich atmete tief durch, hielt meine Handtasche fest und spurtete los. Dabei versuchte ich, darauf zu achten, nicht gerade in eine Pfütze zu treten. Aber es war schon zu spät. Ich fühlte, wie das Wasser in meinen linken Turnschuh eindrang. Zu Hause würde ich mich ohnehin für den Abend umziehen. Das war mein einziger Trost in dieser Sekunde. Den kirschroten Mercedes 190 hatte ich am äußersten Rand des Parkplatzes abgestellt. Da ich am Morgen ja etwas zu spät dran gewesen war, hatte es einfach keine andere Möglichkeit mehr gegeben. Und dabei hatte ich noch froh sein können, überhaupt eine Parkmöglichkeit zu finden.
Ich spurtete die lange Reihe von Pkws entlang und hielt dann kurz inne.
Der Regen wurde stärker. Das Haar klebte mir bereits am Kopf. Graue Wolken hatten den Himmel wie ein schmutziges Tuch überzogen. Es war verhältnismäßig dunkel geworden. So dunkel, dass die Helligkeitsmelder der Straßenbeleuchtung reagierten. Die Laternen leuchteten auf.
In einer Entfernung von gut fünfzig Metern sah ich eine Gestalt.
Eine Frau.
Irgend etwas war an ihr, das meinen Blick unwillkürlich fesselte.
Und gleichzeitig spürte ich jenes charakteristische Unbehagen, das stets mit meinen Ahnungen einherging. Ich lief nicht weiter, stand nur da und riss die Augen auf. Eine junge Frau mit blondem, fast schulterlangem Haar und einem Gesicht, das hübsch und feingeschnitten war. Aber bleich. So blass wie das Antlitz einer Toten. Wie aus Elfenbein modelliert wirkte dieses Gesicht. Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag vor den Kopf, dass ich niemand anderen vor mir hatte als jene Frau, die ich Traum gesehen hatte.
Ihr Kleid war fast knöchellang. Es war dunkelrot und reich verziert. Es entsprach nicht dem, was derzeit modern war. Ich glaubte zu erkennen, dass es aus schwerem Samt oder einem ähnlichen Stoff gefertigt war. Ein Winterkleid, das überhaupt nicht in die Jahreszeit passte.
Aber das schien die bleiche Frau nicht zu kümmern. Obwohl es seit Einsetzen des Regens etwas abgekühlt hatte, war es noch immer sommerlich warm. Viel zu warm für so ein Kleid.
Die bleiche Frau schien das ebenso wenig zur Kenntnis zu nehmen wie den Regen, der auf sie niederprasselte und immer stärker wurde.
„He, Sie!“, rief ich.
Sie schien mich nicht zu hören.
Ich kniff die Augen etwas zusammen.
Seltsam, dachte ich. Der Regen schien sie nicht zu berühren. Die Haare hätten ihr genau wie mir längst tropfnass am Kopf kleben müssen. Aber das war nicht der Fall. Ich fühlte, wie mir der Puls bis zum Hals schlug. Ich winkte ihr zu.
Sie wandte den Kopf in meine Richtung. Ihr Blick schien traurig, fast schmerzvoll zu sein.
Ein kalter Schauder ging mir über den Rücken. Eine Aura des Todes schien sie zu umgeben. Ich lief los. Direkt in ihre Richtung. Ich musste einfach wissen, wer sie war und was sie hier, vor dem Gebäude der HAMBURG EXPRESS NACHRICHTEN wollte. Es muss eine Bedeutung haben, dass sie hier ist, durchfuhr es mich. Ich spürte es. Ganz deutlich. Vor meinem inneren Auge war dann wieder jene Traumsequenz präsent, in der ich sie mit dem Strick um den Hals gesehen hatte.
Dem Strick des Henkers!
Ich lief immer schneller, weil ich das Gefühl hatte, dass sie mir ansonsten entwischte. Wie ein Schatten, ein Geist, ein flüchtiges Gas, das sich mit Händen nicht greifen lässt.
Ich rutschte aus, taumelte kurz, konnte mich aber auf den Beinen halten. Eine Moment lang hatte ich zu Boden geblickt und die bleiche Frau aus den Augen verloren.
Jetzt sah ich auf, ließ den Blick schweifen und … Wo ist sie?, ging es mir durch den Kopf.
Panik stieg in mir auf.
Ich glaubte, mein Herz schlagen hören zu können. Hektisch ließ ich den Blick umherschweifen, während im Hintergrund die Geräusche des Hamburger Straßenverkehrs zu hören waren.
Sie ist weg!
Ich wollte es nicht wahrhaben, lief mit schnellen Schritten zu jener Stelle, an der ich sie gerade noch gesehen hatte. Aber von der bleichen Frau war nirgends etwas zu sehen. Keine Spur.
Vielleicht hast du nur geglaubt, sie zu sehen, ging es mir durch den Kopf. Eine Halluzination, mehr nicht. Ich mochte nicht so recht daran glauben. Durch meine übersinnliche Gabe hatte ich zwar hin und wieder Visionen, aber im Allgemeinen wusste ich sehr genau zwischen Vision und der Realität des Hier und Jetzt zu unterscheiden. Ganz auszuschließen war diese Möglichkeit natürlich nicht. Und dann war da noch ein anderer, schrecklicher Gedanke, der langsam aber sicher an die Oberfläche meines Bewusstseins stieg, obwohl ich ihn weiß Gott lieber unter der Oberfläche gehalten hätte.
Was, wenn du die Kontrolle verlierst, Sandra?
Das Grauen erfasste mich und legte sich wie eine eisige Hand um mein Herz. Das Gefühl von Enge und tödlicher Bedrohung machte sich in mir breit. Ein Gefühl, als ob ich dem Ersticken nahe war. Ich atmete tief durch.
Du wärst nicht die erste, die über eine außersinnliche Begabung verfügt und daran zerbricht, rief ich mir ins Gedächtnis.
In Tante Elisabeths Archiv fanden sich Dutzende von Pressemeldungen und Berichte über derartige Fälle. Menschen, die über besondere, parapsychische Begabungen verfügt hatten, dann in die Fänge von Geheimdiensten oder okkulten Zirkeln geraten waren und schließlich mehr oder minder wahnsinnig geworden waren.
Es war ein schmaler Grad, auf dem ich wandelte. Nicht erst seit heute.
Aber zuvor war es mir meistens nicht so bewusst gewesen. Ich blickte in den grauen Regen.
Meine Kleider klebten mir am Leib, und ich musste niesen. Es hat keinen Sinn!, durchzuckte es mich. Ich gab mir einen Ruck, drehte mich herum und ging in Richtung meines 190er Mercedes.
Und doch …
Wer war sie?
Diese Frage blieb.
Und während ich Schritt für Schritt vorwärts ging, hatte ich das Gefühl, als würde ich im selben Moment beobachtet … Ich glaubte, den Blick eines totenblassen Gesichts auf meinem Rücken spüren zu können. Ich drehte mich herum, aber da war niemand zu sehen.
Ein Unbehagen blieb!
Ein unangenehmes Kribbeln in der Magengegend. Und die Ahnung, dass ich die bleiche Gräfin nicht zum letzten Mal gesehen hatte.
7
Als ich zu Hause eintraf, stand ein Wagen in der Einfahrt von Tante Elisabeths Villa. Es war der Lieferwagen eines Schreinermeisters, und ich fragte mich, wofür Tante Elisabeth ihn wohl bestellt haben mochte. Das Parkett in der Bibliothek sah nicht mehr besonders gut aus, aber wenn es ausgewechselt werden sollte, bedeutete das unter anderem auch, dass sämtliche Bücher in der Zwischenzeit anderswo gelagert werden mussten. Und das konnte ich mir nun beim besten Willen nicht vorstellen.
Erstens befanden sich in Tante Elisabeths Sammlung okkulter Literatur so seltene und kostbare Lederfolianten, dass ich mir kaum denken konnte, dass Tante Elisabeth sie etwa im Keller zwischenlagern würde. Zumal sie einen Großteil dieser Bücher selbst liebevoll restauriert hatte! Und zweitens füllte Tante Elisabeths Sammlung so gut wie die ganze Villa aus und selbst im Keller wäre kaum noch genügend Platz gewesen.
Meine okkultfreie Zone!, ging es mir dann siedend heiß durch den Kopf.
Vielleicht hatte Tante Elisabeth daran gedacht, die Stapel von staubigen Büchern in der Zwischenzeit in meinen Räumen zu lagern!
Ich dachte mit Schrecken daran.
Der Staub würde mich vermutlich unablässig niesen lassen. Ich ging zur Haustür, trat ein und ging den Flur entlang. Aus der halboffenen Tür zur Bibliothek hörte ich die Stimmen von Tante Elisabeth und einem Mann.