Room for Love 2. Three with a Key - Laura Labas - E-Book

Room for Love 2. Three with a Key E-Book

Laura Labas

0,0
9,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Bronwyn und Nick, die sich von Kindheit an kennen, ziehen gemeinsam mit ihrer Freundin Claire aus den beengten Verhältnissen in Louisiana nach New York. Schon lange schlägt Bronwyns Herz für den attraktiven Stuntman Nick, doch ein vor Jahren geleisteter Pakt macht ihre Liebe unmöglich. Mit vierzehn Jahren schwören sich Bronwyn, Nick und Claire, für immer Freunde zu bleiben, ohne dass ihnen andere Gefühle dazwischenfunken. Claire ist inzwischen wieder nach Louisiana zurückgekehrt. Als sie unerwartet Bronwyn und Nick zu ihrer Hochzeit einlädt, müssen sich die beiden ihren Gefühlen stellen – in der Kleinstadt, in der alles begann. Wagen sie den gefährlichen Sprung von der Freundschaft in die Liebe?  

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Sammlungen



Über dieses Buch

GEFÄHRLICHER ALS JEDER STUNT.

KANN AUS FREUNDSCHAFT LIEBE WERDEN?

 

Bronwyn und Nick, die sich von Kindheit an kennen, ziehen gemeinsam mit ihrer Freundin Claire aus den beengten Verhältnissen in Louisiana nach New York. Schon lange schlägt Bronwyns Herz für den attraktiven Stuntman Nick, doch ein vor Jahren geleisteter Pakt macht ihre Liebe unmöglich. Mit vierzehn Jahren haben sich Bronwyn, Nick und Claire geschworen, für immer Freunde zu bleiben, ohne dass ihnen andere Gefühle dazwischenfunken.

Claire ist inzwischen wieder nach Louisiana zurückgekehrt. Als sie unerwartet Bronwyn und Nick zu ihrer Hochzeit einlädt, müssen sich die beiden ihren Gefühlen stellen – in der Kleinstadt, in der alles begann. Wagen sie den gefährlichen Sprung von der Freundschaft in die Liebe?

 

NACH »TWO IN A ROOM« BAND 2 DER »ROOM FOR LOVE«-REIHE

 

 

 

 

 

 

Für Elena ♥

• KAPITEL 1 •

we were apart

Das türkisfarbene Salzwasser glitzerte magisch um mich herum. Ich fühlte mich schwerelos, als ich durch das kalte Becken schwamm. Die zitronengelben Quallen glitten an mir vorbei. Ihre geleeartigen Körper waren zum Greifen nah, doch ich achtete darauf, sie nicht zu berühren. Drehte mich auf den Rücken und sah ihnen schwermütig hinterher.

Ein Schwarm Pollacks mit schimmerndem Schuppenkleid stob weiter vorn auseinander und fing die vor Bewunderung großen Augen der Besucherinnen und Besucher des New York Aquariums förmlich ein. Ein Blick durch die Panzerglasscheibe verriet, dass es wieder ein geschäftiger Mittwoch war. Viele Schulklassen, die einen Ausflug hierher unternahmen und vielleicht zum ersten Mal Meerestiere aus nächster Nähe betrachten konnten. Die offen stehenden Münder waren ein eindeutiger Beweis für die Faszination, die in den Kindern aufgekommen war. Ihre Reaktion ließ ein Gefühl der tiefen Befriedigung in mir aufwallen.

Ein ärgerliches, rotes Blinken an meiner Armbanduhr erinnerte mich daran, den Tauchgang zu beenden. Mein Sauerstoff im Tank neigte sich dem Ende zu.

Luftblasen stiegen vor meinem Gesicht auf, als ich am Mundstück des Atemreglers vorbeiseufzte und diesen dadurch lockerte. Eilig setzte ich das Mundstück wieder gerade, ehe ich meine Flossen an den Füßen stärker bewegte und mich an die Oberfläche des Beckens begab. Einen kurzen Blick erhaschte ich noch auf den sonst so scheuen Roten Drachenkopf. Er schwamm auf dem Grund an der Menschenmenge vorbei und versteckte sich dann wieder in einem Korallennest.

Eigentlich hatte ich ihn mir heute näher ansehen wollen, um seinen Gesundheitsstatus zu überprüfen, doch das musste bis morgen warten.

Nachdem ich das Becken verlassen und meine Tauchausrüstung gegen Straßenkleidung ausgetauscht hatte, sammelte ich im Pausenraum meine Sachen ein. In Gedanken war ich immer noch bei den ineinanderfließenden Farben des Aquariums. Dem Frieden, den ich, umhüllt von dieser Ruhe, empfand. Früher hätte ich versucht, Gefühl und Bild zu malen. Heute gab ich mich damit zufrieden, es lediglich in meinen Erinnerungen festzuhalten. Wie ein Polaroidfoto, das ich meiner Sammlung hinzufügte.

Während ich mich im Spiegel auf der Türinnenseite meines Spinds betrachtete, kämmte ich mein verknotetes, honigblondes Haar aus. Seit Jahren schon kämpfte sich ein rötlicher Schimmer hindurch. Mom hatte diese Tatsache damals zur Verzweiflung getrieben, weil sie Rot nicht mochte.

Damals. Als wäre das so lange her. Gleichzeitig fühlten sich die zwei Jahre seit meiner Flucht aus St. Mercy, Louisiana, wie eine Ewigkeit an. Vielleicht war damals doch ein passender Ausdruck dafür. Seitdem hatte ich meine Eltern schließlich nicht mehr wiedergesehen.

Als ich mit meinen blonden Haaren zufrieden war, sie fielen nun offen und leicht gewellt auf meine Schultern, trug ich etwas Wimperntusche auf. Den Look ergänzte ich mit rosafarbenem Rouge, das am besten zu meiner leicht gebräunten Haut passte. Generell hatte ich eher einen blassen Teint, doch diesen Sommer war ich öfter draußen im Schatten unterwegs gewesen. Obwohl Shiloh viel mit ihrem Freund Miles unternommen hatte, hatte ich sie gelegentlich in den Park begleitet.

Wenn Nick an einem seiner Filmsets als Stuntman arbeitete, fühlte ich mich in unserer WG ziemlich allein. In den letzten Wochen hatte dieses Gefühl abgenommen, weil mich Shiloh endlich eingelassen hatte. Ich war so glücklich darüber, sie als Freundin gewonnen zu haben, dass sogar die Einsamkeit in den Hintergrund gerückt war.

Nicht dass Shiloh ein Ersatz für Claire gewesen wäre. Shiloh war ein eigenständiger Mensch in meinem Universum, der mir Kraft und Freude schenkte.

»Bis morgen!«, rief ich meinen Kolleginnen über die Schulter hinweg zu. Es kam eine gemurmelte Antwort aus dem Pausenraum, dann fiel die Tür hinter mir zu.

Ein weiteres Seufzen.

Aus irgendeinem Grund war ich mit den anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht warm geworden. Ich sah mich selbst nicht als schwierige Person, aber wer tat das schon? Wahrscheinlich hatten sie etwas in mir entdeckt, von dem sie abgestoßen waren. Und ich war blind dem gegenüber. Weilte weiterhin in meiner Welt aus Einhörnern und Rittern in goldener Rüstung und fühlte mich ganz normal.

Da ich kein Auto hatte, fuhr ich mit Bus und Metro nach Hause. Das Apartment, das ich mir mit Nick und Shiloh teilte, befand sich mitten in Brooklyn. Es war ein richtiger Glücksgriff gewesen.

Als Nick, Claire und ich damals New York erreicht hatten, waren wir gelinde gesagt erst mal überfordert gewesen.

In St. Mercy war alles … langsamer abgelaufen. In New York geschah so viel, noch bevor ich den nächsten Atemzug tat. Und immer war es laut. Es gab nie eine ruhige Minute.

Außer im Becken des New York Aquariums. Das war mein Zufluchtsort, wann immer mir alles zu viel wurde.

Das und unser Apartment.

Wir hatten unser Glück kaum fassen können, als unser Makler uns dieses Schmuckstück gezeigt hatte. Frisch auf dem Markt. Wir hatten es auf der Stelle genommen. Auch nachdem Claire vor einem Jahr nach St. Mercy zurückgekehrt war, hatten Nick und ich an der Wohnung festgehalten.

Zugegeben, der Hausflur sah dürftig aus und hatte nicht gerade einen guten ersten Eindruck gemacht. Der Putz war an einigen Stellen heruntergekommen, die kirschrote Farbe so großzügig aufgetragen, dass es Dutzende von Farbnasen gab, und die Holzstufen knarzten eigentlich bei jedem Schritt. Doch wenn man es erst mal in unser Apartment geschafft hatte, bekam man sofort cozy Vibes.

Retrofliesen mit roten und blauen Rauten, weiße, hohe Wände und antike Möbel, die ich hier und dort aufgestöbert hatte. Dunkles Holz, das ich in meiner Freizeit blank poliert hatte und auf dem nun alte Keramikvasen ihren Platz fanden. Zwei neu gepolsterte Stühle, in die man sich sinken lassen konnte, um seine Schuhe anzuziehen. Im Anschluss an den Eingangsbereich öffnete sich der erste große Raum. Das Herzstück des Apartments. Unser Wohnzimmer, in dem sich nun auch Shiloh des Öfteren aufhielt. Als sie Nick und mir noch aus dem Weg gegangen war, hatte sie diesen Raum wie die Pest gemieden. Mittlerweile ließ sie hier auch mal ihre Kleidung und andere Habseligkeiten liegen. Nicht mehr darauf bedacht, so wenig wie möglich von sich preiszugeben.

Es gefiel mir. Ich mochte das Gefühl von Leben in der WG.

Meine Füße sanken in den cremefarbenen Teppich ein, als ich mich zum großen, sturmblauen Ecksofa begab, um mir den Poststapel anzusehen. Wie jedes Mal hatte ich aus der Routine heraus den Briefkasten unten geleert, ohne mir sofort anzusehen, welche Werbung mich jetzt schon wieder zu einem Kauf überreden würde. Ich war dahingehend ein leichtes Opfer.

Stöhnend ließ ich mich in das weiche Polster fallen und legte die Beine hoch.

Ich schaltete den Fernseher ein und stellte den Ton auf eine angenehme Lautstärke. Einfach damit ich mich nicht allein fühlte. Shiloh war höchstwahrscheinlich bei Miles, und Nick … Wenn er nicht in seinem Zimmer war, traf er sich vielleicht mit seinen Freunden. Immerhin war er momentan nicht an einem weit entfernten Drehort.

Nachdem ich mit meiner Liegeposition zufrieden war, griff ich mir den Stapel Briefe und ging ihn durch. Werbung für Küchenutensilien. Werbung für einen neuen Internetanschluss. Einladung zum Nachbarschaftsbrunch im Café Style. Und ein cremefarbener Umschlag, der an Nick und mich adressiert war.

Ich bemerkte den Poststempel und setzte mich abrupt auf. Die Reklame fiel von meinem Schoß, aber ich ließ sie unbeachtet. Mein Herz klopfte bis zum Hals.

Louisiana. Der Brief kam direkt aus meiner Heimat. Wer würde mir schreiben? Meine Eltern und meine Schwester kommunizierten ausschließlich per Smartphone mit mir. Niemand würde mir einen Brief schreiben. Niemand außer …

Mit fahrigen Bewegungen riss ich den dicken Umschlag auf. Eine golden umrandete, aufklappbare Karte kam hervor. Teures Papier. Geschwungene Schrift. Eine …

»… Hochzeitseinladung«, flüsterte ich. Vorn prangten die Namen des Paares in schwarzen Lettern, und mein Herz galoppierte davon. Mir wurde schwindelig. Ich bekam keine Luft. »Claire und George. Claire Jefferson und George Rosewood.«

Obwohl ich ihre Namen laut aussprach, konnte ich den Umstand, dass die beiden heiraten würden, nicht begreifen. Eilig klappte ich die Karte auf und überflog den Inhalt. Die Feierlichkeiten würden schon in vier Wochen stattfinden. Das Paar würde sich sehr über unser Erscheinen freuen.

Wieder und wieder sah ich mir Umschlag und Karte an. Wort für Wort brannte sich in meinen Verstand.

Als irgendwann die Eingangstür ins Schloss fiel, blickte ich auf. Mit Schrecken erkannte ich, dass ich mich eine Stunde lang nicht vom Fleck bewegt hatte. Ich musste schrecklich dringend aufs Klo, und mein Magen grummelte vor Hunger. Und dann, nach einem weiteren Moment, begriff ich, dass mir das Schlimmste noch bevorstand.

Nick.

Da ich den Brief geöffnet hatte, musste ich ihm mitteilen, was darin geschrieben stand. Was Claire von uns verlangte.

Flashbacks von meiner letzten Begegnung mit ihr schossen wie Blitze vor mein Auge.

Du hast Gefühle für ihn, obwohl wir uns geschworen haben, einander niemals romantisch zu lieben. Das ist alles deine Schuld, Bronwyn.

Danach war sie gegangen.

Mir wurde übel. Ich fragte mich gerade, ob ich es bis ins Badezimmer schaffen würde, ehe ich mich übergab, als Nick ins Wohnzimmer trat. In meiner Panik hatte ich sofort wieder verdrängt, dass ja irgendjemand die Tür benutzt haben musste. Und dieser jemand war ausgerechnet Nick Badgley. Mein Mitbewohner. Mein bester Freund. Meine erste große Liebe und die Person, mit der ich niemals zusammen sein durfte. Konnte. Würde.

Wie jedes Mal, wenn ich ihn erblickte, wurde mir schummrig. Er war viel größer als ich. Größer auch als Miles, wie mir zwischendurch aufgefallen war. An der Highschool war er Footballspieler gewesen, da hatte ihm seine Größe natürlich geholfen. Genauso wie sein breites Kreuz, das er durch regelmäßiges Trainieren aufgebaut hatte. Als Stuntman musste er sich fit halten. Ich wusste, wie stahlhart sein Bauch war. Auch wenn ich kaum jemals seinen freien Oberkörper mit dem großen Greifen-Tattoo an der linken Seite sah, dem Fabelwesen mit dem Kopf eines Greifvogels und dem Körper eines Löwen, aus dem große Flügel sprossen. Die Muskeln an seinen Armen konnte ich hingegen öfter bewundern, wenn auch nicht jetzt.

Er trug eine helle Cargohose, einen weinroten Hoodie und eine senfgelbe Jacke. Die Beanie zog er sich gerade vom Kopf, sodass sein zimtbraunes Haar zu allen Seiten abstand. Mit einer Hand klopfte er es glatt, während er mich stirnrunzelnd ansah. Auf seiner unteren Gesichtshälfte war ein leichter Bartschatten zu sehen, und seine dunklen Brauen zogen sich über meergrünen Augen zusammen. Die einst gerade Nase hatte er sich vor einem Jahr bei einem Stunt gebrochen, und sie war nicht mehr so perfekt wie zuvor. Bevor ich mit meinem Blick zu seinen vollen Lippen gleiten konnte, riss ich mich zusammen und sah wieder auf die Einladung in meinen Händen.

Sweet Baby Jesus. Ganz egal wohin ich sah, es war alles schlimm. Meine Gefühle – ein einziges Chaos, dem ich nicht entkommen konnte.

»Was ist los?«, wollte er wissen.

Ah. Wie konnte ich bloß jedes Mal vergessen, wie sehr ich seine Stimme liebe? Sein Südstaatenakzent war nicht mehr so ausgeprägt wie früher. Genauso wie ich hatte er versucht, sich anzupassen. Den New Yorker Style zu adaptieren. Obwohl ich ganz froh war, nicht mehr ständig in den alten Slang zu verfallen, vermisste ich diesen bei ihm. Die Art, wie er die letzten zwei Jahrzehnte die Vokale lang gezogen hatte und so lässig gesprochen hatte, als hätte er alle Zeit der Welt.

»Bronwyn?« Meinen Namen aus seinem Mund zu hören, war der Todesstoß, der mir jedes Mal vor Augen führte, dass ich ohne ihn nicht leben konnte.

Ich ballte eine Hand zur Faust, sammelte meinen Mut und erhob mich. Es war müßig, das Unvermeidliche hinauszuzögern. Als uns noch zwei Schritte voneinander trennten, streckte ich ihm die Hand mit Claires Einladung hin. Er nahm sie nicht sofort an und richtete seine Augen weiterhin auf mich, als würde er mich beschwören, doch noch zu sprechen.

Aber wie sollte ich Worte formen, wenn meine Kehle wie zugeschnürt war? Jeez, ich fürchtete mich so sehr vor dem, was diese Einladung auslösen würde. Bereits ausgelöst hatte.

Dann endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit des Stillstands, nahm er die Einladung in seine schwieligen Hände und las sie durch. Einmal. Zweimal. Die Stirn immer noch in Falten gelegt.

Sein Blick schoss von mir zur Einladung und wieder zu mir, ehe er ihn zum Fenster hinausgleiten ließ. Er sah durch und durch unglücklich aus. Das Schlimme war, ich hatte genau diese Art von Reaktion erwartet.

»Willst du hin?« Dieses Mal klang seine Stimme kratzig und belegt. War er so emotional? Machte es ihn so fertig, dass Claire einen anderen heiratete? Liebte er sie immer noch?

Klar, er hatte ihr nie gestanden, was er fühlte, und sie waren nie zusammen gewesen, aber für mich war es ein offenes Geheimnis gewesen.

Es war mir letztes Jahr klar geworden, dass sie einander liebten und nur meinetwegen nicht zusammen waren. Vielleicht auch wegen des Schwurs, den wir vor sieben Jahren geleistet hatten.

Wir hatten uns eines Tages getroffen, und jeder schrieb ein Geheimnis auf ein Stück Papier. Die drei Zettel vergruben wir in einer Zeitkapsel unter der großen Eiche in St. Mercy und schworen uns, für immer miteinander befreundet zu sein. Unsere Freundschaft niemals durch romantische Gefühle zu gefährden, was für mich am allerschlimmsten gewesen war, denn ich hatte Nick schon damals geliebt.

Den Schlüssel für die Zeitkapsel reichten wir seitdem von Jahr zu Jahr an den nächsten weiter. Eigentlich so lange, bis wir dazu bereit wären, einander unsere Geheimnisse zu verraten. So lautete jedenfalls damals unsere Vereinbarung.

Doch vor einem Jahr war alles den Bach runtergegangen. Es waren doch Gefühle gewesen, die alles zerstört hatten, und jetzt saßen Nick und ich hier in den Scherben, die Claire zurückgelassen hatte.

»Will ich? Wohl kaum«, murmelte ich und blickte auf meine Hände.

»Was ist das für eine Antwort?«

Überrascht von seinem harschen Ton, sah ich auf, was ein großer Fehler war. Sofort verlor ich mich in dem Sturm seiner Augen. Er fühlte so viel, aber nur selten ließ er mich ein.

»Natürlich werde ich hingehen. Es ist Claire«, gab ich zurück. Da ich diesem Blick nicht länger standhalten konnte, drängte ich mich an ihm vorbei. Die Übelkeit von vorhin hatte sich gelegt, aber der Drang, zur Toilette zu gehen, blieb bestehen. Ich hoffte, mich nach einem kurzen Moment sammeln zu können.

»Bronwyn.« Ein einzelnes Wort, das mich aus seinem Mund immer zurückhalten würde. Ich drehte mich nicht zu ihm um. »Hältst du das für eine gute Idee?«

»Du musst mich nicht begleiten, Nick«, sagte ich betont locker. »Du bist ohnehin kaum hier.«

»Was hat das jetzt damit zu tun?«

»Alles.« Da es frustrierend war, mit den Bodenfliesen zu reden, drehte ich mich doch zu ihm um. »Warum interessiert es dich, was ich tun werde? Du machst ohnehin immer dein eigenes Ding.«

»Das ist nicht wahr.«

»Wenn du nicht arbeitest, bist du ständig unterwegs. Gehst auf deine Dates und triffst deine Freunde. Eigentlich habe ich gedacht, wir sind auch befreundet.«

Ich hatte ihn unvorbereitet getroffen. Das war deutlich zu erkennen. Er öffnete den Mund. Schloss ihn wieder. Die Einladung in seiner Hand war für den Moment vergessen.

»Du weißt, dass du meine beste Freundin bist und dass sich das nie ändern wird«, sagte er schließlich.

Ich glaubte ihm, und das war das Problem. Nur seine beste Freundin.

»Okay«, antwortete ich leise. »Lass uns nicht streiten. Ich werde zusagen und direkt morgen früh meinen Urlaub auf der Arbeit einreichen.«

Er überflog ein weiteres Mal die Daten. »Wie lange willst du dortbleiben?«

»Eine oder zwei Wochen. Dann verbringe ich auch gleich Zeit mit meinen Eltern und Lemon.«

Sein darauffolgendes Lachen war trocken. »Wir wollten ja eigentlich erst nach drei Jahren zurückkehren, weißt du noch?«

»Claire hat wie immer andere Pläne für uns«, nuschelte ich. »Wir können nicht davonlaufen, Nick.«

»Es hat Spaß gemacht, es zu versuchen«, entgegnete er selbstironisch. »Aber ich bin natürlich dabei. Zwei Wochen, und dann streichen wir St. Mercy für die nächsten Jahre aus unserem Vokabular. Alles für Claire.«

Was es ihn wohl kostete, sich Claire glücklich ohne ihn vorzustellen?

»Perfekt. Und jetzt muss ich dringend für kleine Prinzessinnen.«

Seine Mundwinkel zuckten. »Tu dir keinen Zwang an.«

Die Spannungen zwischen uns waren nicht verschwunden, sondern zur Seite gekehrt. Wir beschlossen, sie zugunsten unserer Freundschaft zu ignorieren. Unsere verzwickten Gefühle zu übergehen in diesem Dreiergespann, in dem ein Loch klaffte, seit die dritte Person verschwunden war.

Im schlauchförmigen Badezimmer angekommen, stützte ich mich auf dem Waschbecken ab und konzentrierte mich auf meine Atmung. Ich wusste nicht, wie lange ich die Schwere in meiner Brust noch ignorieren könnte. Irgendwann würde Nick mit einem Date nach Hause kommen, mit dem es ihm ernst war. Einer Person, mit der er sich eine langfristige Beziehung vorstellen könnte. Und was wäre dann mit mir? Meine Träume von ihm und mir zusammen würden mich nicht länger glücklich machen können, weil sie jedweder Realität entbehrten.

Damals in der Highschool hatte ich es nur geschafft, seine Liebesbeziehung zu ertragen, weil wir einen Plan hatten. Er war mit der Schönheitskönigin Tatjana zusammen gewesen, doch insgeheim wussten wir alle drei, dass wir St. Mercy gemeinsam verlassen würden. Ohne Tatjana.

Dieses Versprechen auf eine gemeinsame Zukunft gab es nicht mehr. Wir waren erwachsen. Nick würde mich bald schon genauso verlassen, wie es Claire getan hatte.

Tränen rannen meine Wangen hinab.

»Gosh, Claire, wieso hast du uns bloß zurückgelassen?«

• KAPITEL 2 •

home run

Zwei Wochen später hatte sich Nick einen schwarzen Jeep von seiner Filmagentur ausgeliehen. Er würde während unseres Aufenthalts in unserer Heimatstadt zu einem kurzen Dreh aufbrechen müssen. Deshalb war ihm der Luxus eines eigenen Autos bewilligt worden. Ich war ziemlich glücklich darüber, nicht mit dem Zug oder schlimmer noch einem Fernreisebus fahren zu müssen. Schließlich besaß der Jeep den größtmöglichen Komfort samt Neuwagengeruch. Schwarze Ledersitze, leise Klimaanlage und ein ansprechendes Interieur. Ich hatte auf dem Beifahrersitz sogar genug Platz, um meine Beine zum Schneidersitz zu falten.

Wir befanden uns schon inmitten des zweitägigen Roadtrips von New York nach St. Mercy in Louisiana. Unsere Heimatstadt, der wir damals zu dritt den Rücken gekehrt hatten und der wir nun zu zweit wieder entgegentraten.

Claire war uns einen Schritt voraus.

Obwohl Nick und ich während der Vorbereitung für den Trip normal miteinander kommuniziert hatten, fühlte sich die Stimmung zwischen uns gedrückt an. Ich konnte nicht ganz bestimmen, woran es lag, aber die Leichtigkeit, die ich normalerweise vorspielte, wollte sich nicht einstellen. Immerhin waren Shiloh und Miles in den letzten Tagen öfter in der WG gewesen, um mehr Zeit mit uns zu verbringen. Oder mit mir.

Ich vermutete, dass Shiloh ziemlich genau wusste, was in meinem Herzen vorging. Auch wenn sie es bislang nicht angesprochen hatte.

Ich war ihr dankbar, dass sie es für sich behielt und mich nicht dazu drängte, darüber zu reden. Das würde ohnehin nichts an der Realität ändern. Nick würde meine Gefühle nie erwidern, und ich durfte dieses Fass niemals aufmachen. Immerhin hatte ich es geschworen.

Was Claire betraf … Ich hatte in den letzten zwei Wochen Zeit gehabt, um über ihre plötzliche Heirat nachzudenken. Dabei hatte sich fast mein Gehirn verknotet, weil ich jede Erinnerung an damals nach ihrem Verlobten George Rosewood durchforstet hatte.

Ich wusste, dass er der Sohn des Bürgermeisters von St. Mercy war und ein paar Jahre älter war als wir. Ein Bild hatte ich erst vor Augen, als ich ihn mitten in der Nacht gegoogelt hatte. Er war durchaus attraktiv. Starke Kinnpartie und breite Schultern. Ein Lächeln, das zwei Reihen perfekter Zähne in einem goldschimmernden Gesicht offenbarte.

»Weißt du, wie sich George und Claire kennengelernt haben?«, fragte ich über Carrie Underwoods Stimme hinweg, die aus den Neuwagenlautsprechern drang. Leider gehörte sie zusammen mit Taylor Swift zu Nicks absoluten Lieblingskünstlerinnen. Ich war eher der K-Pop-Typ, aber damit wollte Nick absolut nichts zu tun haben.

Spielverderber. Schließlich sah ich mir auch seine Horrorfilme an, obwohl ich viel lieber romantische Weihnachtskomödien auf Netflix suchtete.

»Ich nehme an, irgendwo und irgendwann in St. Mercy.« Er zuckte mit den Schultern.

Ich hatte die Frage aus einem Impuls heraus gestellt. Eigentlich wollte ich es strengstens vermeiden, mit ihm über Claire zu sprechen. Doch jetzt, da ein Aufeinandertreffen unmittelbar bevorstand, konnte ich mich nicht länger zurückhalten.

Nicks nüchterne Antwort überraschte mich nicht. Eigentlich war er ein humorvoller Typ, mit dem ich über alles und jeden reden konnte. Wenn es aber um Claire ging, verlor er diese Eigenschaft im Handumdrehen.

Frustrierend.

»Es kommt für mich bloß etwas überraschend«, murmelte ich und lehnte mich zurück. Die Sonne ging allmählich unter. Nick setzte seine schwarze Sonnenbrille auf, um den Verkehr weiterhin im Blick zu behalten.

Bless my soul, warum musste er dabei aussehen wie ein heißes Supermodel, das drauf und dran war, für Gucci einen Werbespot zu drehen?

Das Leben war so unfair. Ich verschränkte – wütend auf mich selbst und das Leben – die Arme.

Wenn das Navi richtiglag, würden wir in einer halben Stunde unsere Unterkunft für die Nacht erreichen. Wir hätten zwar auch weiterfahren können, aber da ich keinen Führerschein besaß, hätte Nick ohnehin früher oder später eine Pause einlegen müssen. Also hatten wir ein Zimmer in einem soliden Motel gebucht und dadurch weniger Stress.

»Du machst dir zu viele Gedanken.« Er warf mir einen kurzen Seitenblick zu und lächelte sanft.

Mein Herz machte bei dieser Art von Lächeln, gleichzeitig unschuldig und verheißungsvoll, stets einen Satz.

»Wie könnte ich nicht? Vor einem Jahr hat sie nicht ein einziges Mal von ihm gesprochen, und jetzt will sie ihn heiraten?«

»Sie ist alt genug.« Trotz seiner neutralen Worte bemerkte ich, wie die Haut um seine Handknöchel weiß wurde. Er hielt das Lenkrad fest umklammert. »Du kennst sie. Wenn sie nicht sicher wäre, würde sie ihn nicht heiraten.«

Ich nahm ihm seine Gleichgültigkeit nicht ab. Ihn störte diese überstürzte Hochzeit auch. Aber im Gegensatz zu mir ging es bei ihm um eine vertane Chance. Um den Schwur. Um die Liebe zwischen ihm und Claire, die es bloß meinetwegen nicht vor den Altar geschafft hatte.

Oder?

Manchmal meldete sich doch ein zweifelndes Stimmchen in mir, dem ich zwar nicht glaubte, das sich aber auch nicht vertreiben ließ.

Was, wenn ich mir eine Realität eingeredet hatte, die es gar nicht gab? Wenn Nick und Claire sich doch nicht liebten?

Gosh. Ich war manchmal mit meinen eigenen Gedanken überfordert.

»Sie hat nie davon gesprochen, so früh heiraten zu wollen.«

»Menschen ändern sich.«

»Aber so sehr?«

»Bronwyn …« Er warf mir einen weiteren Seitenblick zu. »Willst du mir sagen, was zwischen euch vorgefallen ist? Bevor wir uns in die Höhle des Löwen begeben?«

Ich erstarrte. Es ergab Sinn, dass er nachfragte, weil wir kurz davor waren, auf unsere ehemals beste Freundin zu treffen. Trotzdem traf es mich unvorbereitet.

»Ich will nicht darüber reden.«

»Okay.«

Die Stimmung fühlte sich daraufhin gedrückt an und erschwerte mir das Atmen. Umso glücklicher war ich, als wir endlich das Motel erreichten.

Unsere Unterbringung lag direkt an der Interstate fünfundachtzig kurz vor Atlanta. Etwas mehr als die Hälfte unserer Strecke war geschafft. Morgen würden wir bei guter Verkehrslage noch sechs oder sieben Stunden unterwegs sein.

Die blaue Neonleuchtschrift bezeichnete das Motel mit dem Namen Bluebird. Online hatte gestanden, dass es lediglich sechs Zimmer anbot, diese aber in einem hervorragenden Zustand wären. Nick hatte sofort für uns gebucht, obwohl ich lediglich mit den Schultern gezuckt hatte. Prinzipiell war es mir einerlei, wo wir übernachteten. Als er jedoch mit Stolz verkündet hatte, dass er noch ein Zimmer hatte ergattern können, war mir die Tragweite meines Desinteresses bewusst geworden.

Er und ich in einem Zimmer.

Holy shit.

Seine Augen hatten regelrecht geleuchtet, als er von dem preisgekrönten Frühstück geschwärmt hatte, und ich hatte ihm die Freude daran nicht verderben wollen. Das war das erste Mal seit der Hochzeitseinladung gewesen, dass sich seine Stimmung aufgehellt hatte. Wer war ich, ihm die Laune zu vermiesen, nur weil ich fürchtete, neben ihm im Bett kein Auge zumachen zu können?

»Sieht genauso aus wie auf den Bildern«, kommentierte Nick zufrieden und lenkte den Jeep mit knirschenden Reifen auf einen der sieben Parkplätze, auf dem er stehen blieb. Bis auf zwei waren nun alle besetzt. Er duckte sich, um durch die Frontscheibe nach oben zu schauen.

Das Gebäude war rechteckig und besaß ein flaches Dach. Es gab zwei Etagen mit jeweils drei Zimmertüren. Die Rezeption befand sich links und damit der Interstate zugewandt, deren Verkehr man von hier jedoch wegen der hohen Lärmschutzwand nicht mehr hören konnte. Auch ich besah die unscheinbare, weiße Fassade und setzte mich schließlich in Bewegung.

»Kümmerst du dich um den Check-in? Dann schau ich mal nach, was die Automaten so an Snacks zu bieten haben«, schlug ich nach dem Aussteigen vor.

Nick reichte mir meinen braunen Lederrucksack mit den goldenen Schnallen aus dem Kofferraum. Den großen Koffer, den ich für die Reise gepackt hatte, würde ich für eine Nacht nicht brauchen. Resigniert sah ich von Fenster zu Fenster. Wie viel schlimmer konnte es schon sein als die Ankunft in unseren Elternhäusern morgen?

»Abgemacht.« Grinsend nahm er die Sonnenbrille ab und steckte sie in seine Jackentasche. In New York war es kühl geworden. Der Herbst hatte bereits einen Großteil der Blätter golden gefärbt, weshalb wir beide Pullis, lange Jeans und Jacken trugen. Je weiter wir uns in Richtung Süden bewegten, desto weniger würden wir diese herbstliche Kleidung noch benötigen.

Ich hatte vorhin das Wetter in St. Mercy gecheckt, und tagsüber waren es immer noch siebenundzwanzig Grad.

Auch hier in Atlanta fühlte sich der Wind angenehm warm an.

Ich blickte Nick für einen Moment hinterher. Sein Lächeln fehlte mir jetzt schon, und ich öffnete bereits den Mund, um seinen Namen zu rufen. Damit er sich zu mir umdrehte. Damit er für eine Sekunde nur an mich dachte.

Erbärmlich.

Es dauerte knapp zehn Minuten, ehe Nick mit einem Schlüssel zurückkam. Ich hatte drei der sechs Automaten geplündert. In Zimmer drei fanden wir, wenig überraschend, ein Queensize-Bett vor sowie eine Kommode mit Fernseher obendrauf. Der Boden war mit grauem Teppich ausgelegt, die Wände in geblümte Tapete gekleidet. Das Badezimmer war klein und sauber. Ich entdeckte nicht mal auf den beiden Nachtschränkchen Staub und musste Nick zugestehen, eine gute Wahl getroffen zu haben.

»Der Typ am Empfang hat gesagt, wir können uns hier Pizza bestellen. Sie liefern ziemlich schnell.« Nick reichte mir einen bunten Flyer, den er vermutlich eben erhalten hatte. Ich setzte mich aufs Bett und ließ den Rucksack auf den Boden gleiten, bevor ich das Menü annahm. »Suchst du was aus?«

»Habe ich jetzt umsonst zehn Dollar ausgegeben?«, fragte ich schelmisch und zeigte ihm meine Ausbeute, die ich in die Seitentaschen des Rucksacks gestopft hatte.

»Jesus, Darlin’, du bist unverbesserlich.« Lachend fläzte er sich auf die andere Seite des Bettes und stopfte sich in Rekordzeit einen Schokoriegel in den Mund. Seine Lieblingsspeise.

»Gegen Pizza habe ich trotzdem nichts einzuwenden. Bestell du.« Ich warf ihm den Flyer aufs Gesicht, worüber er sich mit einem lauten Hey beschwerte, und schlurfte ins Badezimmer. Meine Arme und den Rücken dehnte ich dabei ausgiebig. Lange Autofahrten war ich nicht mehr gewohnt, seit ich in die Weltmetropole gezogen war.

»Peperonipizza?«, rief er mir fragend hinterher.

»Was ist das für eine Frage?«

»Vielleicht willst du ja mal was Neues ausprobieren«, sagte er mehr zu sich selbst. Als ich über meine Schulter blickte, sah ich, dass er bereits eine Telefonnummer wählte.

Schweigend schloss ich die Tür hinter mir, um mich frisch zu machen. Was Neues. Als hätte ich das nicht versucht.

In St. Mercy hatte es neben Nick einen anderen gegeben, für den ich zumindest für ein paar Wochen geschwärmt hatte. Aber erst in New York hatte ich den Mut gefunden, aus meinem selbst gezogenen Kreis auszubrechen. Ich wusste, dass ich nicht auf Nick warten durfte. Vor allem, weil es nicht mal den Hauch einer Chance gab, dass wir jemals zusammenkämen. Trotzdem war es mir schwergefallen, auf Dates zu gehen und andere Männer anziehend zu finden.

Ich hatte mich auf zwei Beziehungen eingelassen und beide recht schnell beendet. Ich hatte von Drinks über Gutenachtküsse und gemeinsam verbrachte Nächte alle Punkte des Datens abgehakt und dann am Ende erkannt, dass es mich nicht glücklich machte. Sie waren tolle Typen, die mich respektierten. Doch sie waren nicht Nick. Mein Herz blieb ihnen verschlossen.

Deshalb hatte ich das Daten für den Moment an den Nagel gehängt. Aus dem Moment war ein Monat und dann ein Jahr geworden.

Die Ironie war, dass mich das Nicht-Daten genauso wenig glücklich machte wie das Daten, und deshalb befand ich mich in einem konstanten Struggle. Das einzig Gute war, dass ich immer noch Nick bei mir hatte.

* * *

Wir verbrachten den Abend nebeneinander auf dem Bett, den Pizzakarton zwischen uns. Auf dem Bildschirm flackerte Sleepy Hollow. Ein Re-Run, weil bald Halloween war. Der Film war sowohl gruselig als auch skurril und spannend. Eine Mischung, die uns beiden gefiel. Obwohl ich Horrorfilme nicht gern anschaute. Ein Umstand, von dem Nick nicht mal etwas wusste. Ich hatte mich nie getraut, es ihm zu sagen, weil ich nicht wollte, dass er unsere ohnehin schon knapp bemessene Zeit mit einer anderen, horrorbegeisterten Person verbrachte.

Wow. Mir wurde immer wieder klar, wie erbärmlich mein Verhalten in Wirklichkeit war.

Obwohl der Film meine Aufmerksamkeit auf sich zog, war ich mir Nicks Nähe durchgehend bewusst. Ich bildete mir sogar ein, seine Wärme zu spüren. Dafür war der Abstand zwischen uns jedoch eigentlich zu groß. Er hatte sich ein Kissen zwischen Hinterkopf und Wand geklemmt. Nachdem er das letzte Stück Pizza vertilgt hatte, hatte er seine flache Hand auf den Bauch gelegt und sich seitdem nicht mehr bewegt. Hin und wieder lachte er auf.

Hin und wieder sah ich auf den Bildschirm.

Die Nacht würde katastrophal werden. Der Abspann lief, und Nick und ich machten uns Konkurrenz beim Gähnen.

»Wir sollten schlafen gehen.« Ich hätte mir auf die Zunge beißen sollen. Warum zögerte ich den Moment nicht weiter hinaus?

»Ich weiß. Hast du den Wecker gestellt?« Er streckte sich ausgiebig.

Ich schüttelte den Kopf. »Nope, aber kann ich machen.«

»Okay. Danke.« Er verschwand im Bad und kehrte zehn Minuten später frisch geduscht zurück. Seine Füße waren nackt, und über die muskulösen Arme spannte sich das alte, schwarze T-Shirt, das er sich zum Schlafen angezogen hatte. Immerhin hatte er sich dazu entschlossen, mich nicht mit dem Anblick seines gestählten Oberkörpers zu quälen. Auch trug er eine lange, ebenfalls schwarze Jogginghose, wofür ich ihm sehr dankbar war.

Selbst wenn sich unsere Beine versehentlich berührten, würden wir keinen Hautkontakt haben.

Ich hatte mich für ein ähnliches Outfit entschieden: einen weißen, langen Pyjama mit rosafarbenen Nähten. Ein Geschenk meiner Mom zu letztem Weihnachten, über das ich mich tatsächlich gefreut hatte. Ob sie endlich eingesehen hat, dass ich meinen eigenen Weg ging?

Ich interpretierte zu viel in ein Geschenk hinein, das sie ausnahmsweise nicht in einem Kleiderladen für Southern Belles gekauft hatte. Kleidung, die sonst meist von ziemlich offensichtlichen Hinweisen darauf begleitet wurde, dass ich doch nur schön zu sein hatte und mir so einen reichen Mann suchen sollte.

»Bronwyn?«

Blinzelnd sah ich zu Nick. Er stand neben dem Bett. Die Pizzaschachtel verfrachtete er auf den Teppich, da es keine andere freie Fläche gab.

»Hm? Was?«

»Dein Handy. Es klingelt.«

Ich war so in Gedanken versunken gewesen, dass ich es nicht bemerkt hatte. Dabei lag es direkt neben mir. Eilig nahm ich Shilohs Videoanruf an und winkte lächelnd in die Kamera.

»Bin ich froh, dich zu sehen«, sagte ich. Immerhin rettete sie mich für den Moment vor der Nacht mit meinem besten Freund.

»Hältst du es jetzt schon nicht mehr mit Nick aus?« Ihr Lachen heiterte mich auf. Lange Zeit hatte ich nicht mal gewusst, dass Shiloh lachen konnte.

»Das ist es nicht …«, murmelte ich, während Nick zeitgleich grummelte: »Das nehme ich persönlich.«

Er warf sich aufs Bett und winkte Shiloh zu, als ich das Handy in seine Richtung drehte. Wieder lächelte er, und wieder setzte mein Herz aus.

Seine Schulter streifte meine Hüfte, als er sich auf den Rücken rollte. Ich sprang förmlich auf und steuerte die Tür an, um ungestört mit Shiloh reden zu können. Eilig schlüpfte ich in meine Sneaker.

»Mach schnell, ich bin müde«, sagte Nick lachend.

Konnte man einen Menschen jeden Tag mehr lieben?

»Sehe ich das richtig? Ein Bett? Für euch zwei?«, fragte Shiloh, nachdem ich die Tür hinter mir zugezogen hatte.

Da ich nicht sicher war, ob mich Nick nicht trotzdem hören konnte, ging ich ein paar Schritte auf den beleuchteten Parkplatz hinaus. Außerhalb des Scheins der Straßenlaterne war es bereits stockduster, und keine Menschenseele befand sich in Sichtweite.

»Das war nicht meine Idee«, sagte ich. Ich setzte mich auf eine halbhohe Mauer, obwohl es nur im Pyjama ziemlich frisch war.

»Wie geht es dir? Wie war die Fahrt?« Shiloh saß bei Miles auf der hellen Couch. Er hatte uns ein paarmal zu sich eingeladen, weshalb ich seine Wohnung wiedererkannte. Shiloh hatte ihr karamellfarbenes Haar unter einem Handtuch versteckt. Ihre Augen leuchteten und ließen ihr herzförmiges Gesicht erstrahlen. Sie war eine der schönsten Personen, die ich kannte. Im Licht der Stehlampe hinter ihr waren ihre Wangen leicht gerötet, als hätte sie zu heiß geduscht.

Oder eine andere heiße Aktivität hinter sich. Immerhin eine von uns, die Spaß hatte.

Nachdem ich ihr von der wenig spannenden Fahrt berichtet hatte, kamen wir darauf zu sprechen, dass ich morgen an den Ort zurückkehrte, dem ich vor zwei Jahren entflohen war.

»Du hast mir nie erzählt, was Claire gesagt hat, als sie gegangen ist«, sagte Shiloh vorsichtig. Es war das erste Mal, dass sie diesen Vorstoß wagte. Normalerweise akzeptierte sie, dass Nick und ich nicht über Claire sprachen. Niemals.

Ich blickte über die Autodächer zum Apartment Nummer drei, in dem nach wie vor Licht brannte.

»Sie hat gar nichts gesagt«, log ich, weil ich mich schämte. »Sie ist einfach gegangen.«

Shiloh schien nicht überzeugt, ließ das Thema jedoch auf sich beruhen.

Du hast Gefühle für ihn, obwohl wir uns geschworen haben, einander niemals romantisch zu lieben. Das ist alles deine Schuld, Bronwyn, echote es wieder in mir.

»Schlaf gut, Bronwyn. Lass den Kopf nicht hängen, und wenn du was brauchst, kannst du dich immer bei mir melden«, sagte Shiloh nach einem Moment. Sie blickte an der Kamera vorbei. »Miles ist da. Willst du ihm Hallo sagen?«

»Schon okay.« Ich zwang mich zu einem Lächeln, obwohl mir nach Weinen zumute war. »Danke, und euch auch eine gute Nacht!«

Nachdem wir aufgelegt hatten, sammelte ich mich noch ein paar Minuten. Oder hoffte ich bloß, dass Nick das Licht ausgeschaltet hatte und nicht mehr auf mich wartete?

Tatsächlich hatte ich Glück. Als ich mich endlich dazu überwunden hatte, ins Motelzimmer zurückzukehren, war Nick auf der rechten Seite des Bettes eingeschlafen. Er lag auf dem Bauch, mit einem Arm seitlich am Körper, die Hand des anderen unter sein Kinn geklemmt.

Leise drückte ich die Tür ins Schloss, ehe ich das Deckenlicht löschte. Ich zog die Sneaker von den Füßen und trat an Nicks Seite. Seine Atmung ging tief und gleichmäßig. Er musste wie immer recht schnell eingeschlafen sein.

Vorsichtig zog ich die schwere Decke bis zu seinen Schultern, und nachdem ich mein Handy aufs Nachtschränkchen gelegt hatte, schlüpfte ich auf der anderen Seite ebenfalls ins Bett. Genauestens darauf bedacht, Nick nirgendwo zu berühren. Ich drehte mich von ihm weg auf die Seite und kniff die Augen zusammen. Vielleicht, ganz vielleicht würde mir ja doch etwas Schlaf vergönnt sein.

* * *

Ich wachte auf, mit dem Gefühl, zu ersticken.

Als ich bemerkte, dass Nicks ausgestreckter Arm auf meiner Kehle lag, war ich bereits hellwach.

»Pass doch auf!«, grummelte ich und schob seinen schweren Arm von mir.

»Was?«, murmelte er verschlafen.

»Vergiss es.« Es hatte zwar nicht ganz so geklappt mit der No-Contact-Rule, aber mit seinem Attentat konnte ich besser leben, als wenn ich mich im Schlaf versehentlich auf ihn gerollt hätte. Wie peinlich das gewesen wäre, wollte ich mir nicht mal ausmalen.

Ich hatte das Gefühl, dass unsere Freundschaft dieser Tage wegen meines emotionalen Chaos und der bevorstehenden Konfrontation mit Claire ohnehin nur noch am seidenen Faden hing. Das hätte das Fass sicherlich zum Überlaufen gebracht.

Jäh hatte ich ein Bild vor Augen: Er und ich am Ufer eines windstillen Sees, der die Farben des Sonnenaufgangs widerspiegelte. Ein Motiv, das mich früher dazu gebracht hätte, stundenlang vor meiner Leinwand zu sitzen, um die perfekten Farben zu mischen.

Das Licht hinter den durchlässigen Gardinen ließ erahnen, dass es bereits morgens war, und so stellte ich mich in die Dusche, um richtig wach zu werden. Wir waren bloß eine halbe Stunde vor dem Wecker aufgewacht, und ich wollte keine Zeit verschwenden. Es war besser, die Sache schnellstmöglich hinter mich zu bringen.

Eine Sache, die mich sämtliche Überwindung kostete: Die Rückkehr in die Stadt, in der dreihundertfünfundsechzig Tage im Jahr jede Bewohnerin und jeder Bewohner gute Laune hatten. Zumindest nach außen hin.

Erfrischt von der Dusche, wurde mir plötzlich bewusst, dass ich meine Kleidung im Schlafraum gelassen hatte. Entweder ich war feige und zog mir den Schlafanzug wieder an, oder ich riskierte es, von Nick gesehen zu werden.

Es war ja nicht so, als hätte er mich noch nie im Bikini gesehen. Und jetzt hatte ich immerhin ein weiches, fluffiges Handtuch um den Körper geschlungen.

Erneut machte ich mir zu viele Gedanken über etwas, das er nicht mal ansatzweise auf dem Schirm hatte.

Als ich die Tür öffnete, saß er mit einem Bein angewinkelt auf dem Bett und swipte durch sein Smartphone. Er sah kurz auf und fing meinen Blick ein, bevor ich mich abwenden konnte. Ich konnte nicht sagen, wieso, doch die Luft fühlte sich plötzlich schwer und stickig an.

»Hab meine Sachen vergessen«, nuschelte ich, während ich spürte, wie ich rot anlief.

Ich bildete es mir nicht ein. Sein Blick löste sich von meinen Augen und wanderte an mir herunter. Die Lippen presste er dabei zusammen.

Da es mir die Sprache verschlagen hatte, schnappte ich mir eilig meine Klamotten, die ich auf dem Rucksack abgelegt hatte, und verschwand wieder im Bad. Was zur Hölle war das gewesen? Dieser Moment … Hatte er mich abgecheckt?

Nun, und wenn schon, er war auch nur ein Mann. Bloß weil er mich attraktiv fand, bedeutete das nicht, dass er mit mir zusammen sein wollte.

Wenig später holten wir uns das versprochene Frühstück ab, woraufhin ich mich für den Rest der Fahrt mit einem schmollenden Nick rumschlagen musste.

»Das nennen sie Gourmetfrühstück? Nichts daran ist für Gourmets, und nichts daran ist Frühstück«, beschwerte er sich nicht zum ersten Mal.

»Du musst es ja nicht essen«, entgegnete ich. Auch nicht zum ersten Mal.

»Wir haben schließlich dafür bezahlt, also werde ich das auch essen.« Bei diesen Worten streckte er seine Hand in die weiße Papiertüte und fischte einen Hamburger hervor. »Hamburger. Zum Frühstück. Am liebsten würde ich umdrehen und …«

»Wie wäre es stattdessen mit einer Bewertung?«, schlug ich vor, wobei ich mein Grinsen hinter meiner Hand verbarg.

Ich würde es nicht zugeben, aber es beruhigte mich, dass er sich über etwas so Lapidares aufregen konnte. Das bedeutete, dass Nick sich über unsere Rückkehr nicht allzu sehr sorgte und es in St. Mercy schon nicht so schlimm werden würde. Kein Grund zur Furcht. Ich würde meiner Familie Hallo sagen, meine Pflichten als gute Tochter wahrnehmen, Claires Hochzeit über mich ergehen lassen, ohne ein Drama zu veranstalten, und das wars. Zwei Wochen wären mir nichts, dir nichts vorbei.

Meine und Nicks positive Laune schlug jedoch um, als die ersten Schilder Baton Rouge ankündigten. Die nächstgelegene größere Stadt bei St. Mercy. Von dort waren es nur noch zwanzig Meilen. Zehn. Fünf. Und schließlich begrüßte uns das frisch geputzte Ortsschild auf der Hauptstraße nach St. Mercy.

Mir drehte sich der Magen um. Da es früher Nachmittag war, hatten die meisten bereits ihre Arbeit beendet, um die warmen Sonnenstrahlen in der Innenstadt zu genießen. Es war Freitag, und das Städtchen bereitete sich auf das kommende Wochenende vor. Was auch immer geplant war. Ich hatte den Überblick über all die Festivitäten und Community-Events verloren. Aber ich wusste, dass Claire ein paar Tage vor Halloween heiratete.

Ich krallte mich in den Ledersitz. Gleichzeitig wollte ich mich in Luft auflösen. Mein Gesicht verstecken, ehe mich jemand entdeckte.

St. Mercy war eine Stadt, die zwanzigtausend Seelen beherbergte, und es fühlte sich an, als hätte es jede einzelne davon auf mich abgesehen. Dabei kannten mich die meisten nicht mal. Ich war nie beliebt gewesen. Hatte nie etwas geleistet. In der Highschool war ich übersehen worden, und im Leben meiner Eltern hatte ich kaum Platz gehabt. Es gab keinen rationalen Grund für meine Verfolgungsangst. Ihre Klauen schlugen sich dennoch in meinen Körper.

Nick bog in die Straße ein, die mir vertrauter war als unser Apartment in New York. Das weiße Haus mit der weiten, grünen Rasenfläche. Die eleganten Säulen vor der Eingangstür und der zierliche, schwarze Eisenzaun auf der linken Seite der Veranda. Die zwei Spitzdächer auf den Zimmern des ersten Stocks. Selbst die braune Tür hätte ich im Schlaf malen können. Mein Elternhaus.

»Fahr weiter«, krächzte ich. Meine Kehle fühlte sich wie zugeschnürt an. »Ich bin noch nicht bereit.«

Nick stellte keine Fragen und versuchte auch nicht, mich umzustimmen.

Während ich aus dem Seitenfenster hinausblickte, lenkte er den Wagen um die nächste Ecke.

Ich entspannte mich erst, als wir erneut die Hauptstraße erreicht hatten. Mit geschlossenen Augen lehnte ich mich zurück.

»Ich weiß, was du denkst«, sagte ich leise. Taylor Swift durchbrach das darauffolgende Schweigen. Ich musste mich gegen sie durchsetzen. »Sie wollen mir nichts Böses. Das ist mir klar, aber …«

»Es ist okay. Du kannst heute bestimmt bei uns unterkommen«, unterbrach er mich. Wie selbstverständlich legte er eine Hand auf mein Knie und warf mir ein beruhigendes Lächeln zu. In meinem Kopf schrillten Alarmglocken.

Er berührte mich. Freiwillig. Am Knie. Jedwede Sorgen waren wie weggeblasen, doch viel zu früh zog er die Hand wieder zurück.

Eine Berührung, die ich bis in meine Zehenspitzen gespürt und die er wahrscheinlich schon wieder vergessen hatte.

Diese Diskrepanz zwischen unseren Realitäten machte mich fertig.

Schließlich erreichten wir Nicks altes Zuhause am Rand von St. Mercy. Das Haus seiner Mom, Daisy, die neben ihrer Ersatzmutter, Ms Atwood, wohnte.

Im Gegensatz zum Haus meiner Eltern waren diese beiden Gebäude fast mickrig. Sie grenzten an die, für die Südstaaten typische, wilde Natur und den Sumpf an und waren von der Straße einzig durch einen Schotterweg erreichbar. Auf Stelzen gebaut und mit hellem Holz verkleidet. Nicks Haus hatte immer eine Gemütlichkeit ausgestrahlt, die ich nirgendwo anders gefunden hatte.

Kiara, die Labradorhündin, die Daisy vor sechs Jahren aus dem Tierheim geholt hatte, stürmte schwanzwedelnd die breite Treppe herunter.

»Bilde ich mir das ein, oder hat sie zugenommen?«, überlegte ich laut, nachdem es mir gelungen war, die Autotür zu öffnen, ohne sie gegen Kiara zu stoßen.

»Sie ist ausgebüxt und hat sich schwängern lassen«, erklärte Daisy, die aus dem Haus getreten war. Lächelnd sah sie uns an. »Willkommen zurück, ihr zwei.«

Zum ersten Mal, seit ich die Hochzeitseinladung erhalten hatte, fühlte ich meine Angst schrumpfen.

• KAPITEL 3 •

don’t wanna cry

Daisy hatte kurzes, braunes Haar und wache, grüne Augen. Sie war einen Kopf größer als ich, schlank und sportlich. Von morgens bis abends sprühte sie vor Energie. Kaum jemals hatte ich sie still gesehen und noch seltener schlafend.

Sie stand Nicks Energielevel und Ehrgeiz in nichts nach. Ob sie schon immer so gewesen oder mit dem Alter so geworden war, nachdem sie ganz allein für Nick sorgen musste, hatte ich nie gefragt. Einen Unterschied machte es auch nicht. Sie war, wie sie war, und hatte sich in den vergangenen zwei Jahren anscheinend nicht verändert.

Ich ließ Kiara meine Handfläche abschlecken, während Nick seine Mom begrüßte. Er umarmte sie fest und küsste ihre Wange.

Der Moment wirkte so intim auf mich, dass ich den Blick senkte. Ich sollte mich weiterhin auf Tiere konzentrieren. Mit ihnen kam ich gut zurecht. Sie brachen mir nicht das Herz und lösten keine Sehnsucht in mir aus, die sie nicht stillen konnten.

»Du kleine, hübsche Maus«, murmelte ich in Kiaras Ohr. Sie belohnte mich mit einem weiteren, von Herzen kommenden Schlecken, sodass ich mich auf den Boden kniete und sie ebenso herzlich von Kopf bis Fuß abrubbelte. Sie war so weich und roch nach Wald und Erde.

»Hast du sie mehr vermisst als mich?«, erkundigte sich Daisy.

Ich hatte nicht bemerkt, dass sie von der Veranda getreten war. Sie trug eine Jeanslatzhose, knallpinke Gummistiefel und ein Tuch auf ihrem Kopf, das ihr Haar wohl vor Schmutz schützen sollte.

»Natürlich nicht«, beeilte ich mich, zu sagen, auch wenn Daisy keine Person war, die so was ernst meinte.

Wir umarmten uns, und ich nahm ihren altbekannten Geruch nach Zitrone in mich auf. Nach all den Jahren hatte sie nicht das Shampoo gewechselt.

»Gehst du direkt zu deinen Eltern?«, fragte sie, als wir uns voneinander lösten.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Nick den Kofferraum öffnete. Kiara scharwenzelte so lange mit ihrem dicken Bauch um seine Beine herum, bis sie ihn endlich überzeugt hatte, sie zu streicheln.

»Ähm, eigentlich wollte ich erst morgen gehen«, antwortete ich. Ein verlegenes Lächeln konnte ich mir nicht verkneifen.

»Hmpf.« Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Heute lasse ich das mal wegen der langen Fahrt so durchgehen, aber morgen gibt es keine Ausreden mehr. Versprochen?«

»Versprochen.«

Es war nicht so, als würde sie mich nicht bei sich aufnehmen wollen. Dafür kannte ich sie gut genug. Es ging ihr darum, dass ich meine Eltern respektieren sollte.

»Sie haben dich vermisst«, fügte sie hinzu und bestätigte damit meine Annahme.

»Lass sie in Ruhe, Mom. Sie weiß schon, was sie tut.«

»Du kleiner …«

»Was ist da draußen los?« Die achtzigjährige Ms Atwood trat aus Daisys Haus. Ihre faltigen Hände steckte sie in die Vordertasche ihrer rosafarbenen Schürze mit Rüschen am Saum. Ein paar Flecken vom Kochen und Backen waren darauf zu sehen, doch ihr marineblaues Kleid mit dem weißen Seemannskragen, das sie darunter trug, war makellos. Sie hatte ihr dichtes, weißes Haar zu einem Zopf geflochten, sodass ihre scharfen Wangenknochen unter der ebenholzfarbenen Haut betont wurden. Unzählige kleine Falten hatten sich in ihre Mundwinkel und um ihre Augen gegraben, taten ihrer Schönheit jedoch keinen Abbruch. Sie ging leicht gebückt. Ich wusste von Nick, dass es ihr zunehmend schwerer fiel, für lange Zeit zu stehen.

»Ach, nein. Wen haben wir denn da? Bless my heart.« Sie legte eine ihrer Hände aufs Herz. »Zwei meiner drei Lieblingskinder.«

»Wir sind keine Kinder mehr, Nana«, sagte Nick lächelnd. »Komm, setz dich hin.«

Er führte sie zum Schaukelstuhl auf der Veranda und wartete geduldig, bis sie sich hingesetzt hatte. Obwohl sie nicht miteinander verwandt waren, war sie für ihn die einzige Großmutter, die er hatte.

»Bronwyn, komm her. Lass dich ansehen.« Sie scheuchte Nick davon, der sich grinsend zurück zum Kofferraum begab, um unser Gepäck reinzubringen. Daisy half ihm dabei, und Kiara bellte, weil sie nicht beachtet wurde.

Ich liebte diesen Chaoshaufen. Warum konnte ich nicht Teil von ihm sein? Warum musste ich in mein steriles Elternhaus zurückkehren und vorgeben, mit meiner Entscheidung, von hier zu fliehen, glücklich zu sein?

Ms Atwood vertrieb die Gedanken daran, als sie mich in die Wange zwickte und am Bauch zwackte, wie sie es immer schon getan hatte.

»Gut siehst du aus, Sugarplum«, sagte sie schließlich in ihrem zähen Südstaatenakzent. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie sehr ich ihn vermisst hatte. »Hast seinem Flehen endlich nachgegeben, wie ich sehe.«

Stirnrunzelnd sah ich von ihr zu Nick. »Was meinst du?«

»Ihr seid doch zusammen hier.« Ich nickte. Immer noch unsicher, worauf sie hinauswollte. »Ihr liebt euch.«

Beinahe hätte ich mich an meiner eigenen Spucke verschluckt. »Ms Atwood! Das ist nicht …«

»Wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst mich Nana nennen.«

»Nana«, sagte ich betont langsam, »Nick und ich wohnen bloß zusammen. Nichts weiter.«

Sie schnalzte mit der Zunge. »Jetzt hilf mir auf, ja? Ich muss was aus dem Ofen holen.«

Das Innere von Daisys Haus war an Gemütlichkeit schwer zu übertreffen. Das war immer noch so. Im Flur zog ich meine Schuhe aus und stellte sie auf das dafür vorgesehene Regal. Daisy hielt immer Hausschuhe für ihre Gäste bereit, obwohl einem auf den Echtholzdielen und den unzähligen Teppichen auch barfuß nie kalt wurde. Trotzdem schlüpfte ich in die schwarzen Latschen und ging an der toffeefarbenen Wand vorbei, von der mir Dutzende Nicks entgegenlächelten. Er als Sechsjähriger auf dem knallroten Fahrrad. Mit nassen Haaren und in Badehose am Lake Maurepas, mit Claire und mir albern lächelnd im Hintergrund. Nick auf seiner ersten, schwarzen Rennmaschine. Und er zusammen mit Daisy und Ms Atwood bei unserer Abschlussfeier. Ein blaues Auge zierte sein Gesicht, das ich ihm am Abend zuvor versehentlich mit meinem Ellbogen verpasst hatte.

Eilig betrat ich die Wohnküche, aus der ein Duft wehte, der mir das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ.

»Beignets!«, rief ich aus. Beignets gehörten zu meiner absoluten Lieblingsspeise. Nicht mal Nick konnte sie nachbacken, obwohl er sich in der Küche weitaus geschickter anstellte als ich.

Beignets waren meistens rechteckig und quollen beim Frittieren auf. Mit Puderzucker bestreut, daneben ein Milchkaffee, und das Paradies war nicht weit davon entfernt.

Neben Beignets hatte Ms Atwood auch eine Pflaumentarte gebacken, die Daisy gerade eilig aus dem Ofen holte. New York bot allerlei Mahlzeiten, und mit Fett wurde nicht gespart. Doch ich hatte dort noch nie etwas gegessen, was auch nur im Entferntesten an Daisys oder Ms Atwoods Back- und Kochkünste heranreichte.

Wir wuselten allesamt eine Weile durcheinander, deckten den Tisch, verstauten die Koffer und Taschen, bereiteten Kaffee zu und wackelten mit den Hüften zu Dolly Parton, die singend von ihrem Arbeitstag berichtete. Selbst ich konnte mich des alten Country-Klassikers nicht erwehren, denn nun ja, es war Dolly Parton.

Als sie von Blake Shelton abgelöst wurde, ließ meine Begeisterung nach, und ich setzte mich auf einen der Mahagoni-Stühle in der Wohnküche. Das Kinn stützte ich mit meiner Hand und betrachtete die drei Generationen vor mir. Ms Atwood, die ihre schmerzenden Gelenke für ein paar wertvolle Minuten vergessen konnte, als Nick sie um den nächsten Tanz bat. Nick, der die unsichtbaren Lasten an der Türschwelle abgelegt hatte, und Daisy, die den Kochlöffel als Mikro benutzte. Ihre helle, klare Stimme würde ihr einen Platz in den Top Ten jeder Castingshow sichern. Das Leben in St. Mercy hatte sie jedoch fest im Griff, und so verdiente sie ihr täglich Brot mit dem Schneiden und Frisieren anderer Leute Haare. Mittlerweile besaß sie sogar ihren eigenen Salon, und ihre Kundschaft liebte sie. Trotz der Vorurteile, die sie in den ersten Jahren nach Nicks Geburt bekämpfen musste. Eine alleinstehende Neunzehnjährige, die sich ihren sittsamen Eltern widersetzt und ihren Sohn behalten hatte.

Ich bewunderte sie für die Stärke, die sie damals bewiesen hatte. Sie war eine der großartigsten Frauen, die ich kannte. Dicht gefolgt von Ms Atwood, die sie uneigennützig aufgenommen und unterstützt hatte.

Irgendwann ging auch ihnen die Luft aus, und sie setzten sich zu mir. Ich schaufelte mir ein Beignet nach dem anderen in den Mund. Die Mahnungen meiner Mutter ignorierend. Meine Zeiten als laienhafte Ballerina waren längst vorbei und würden glücklicherweise nie wiederkehren, deshalb brauchte ich mir keine Sorgen um meine Hüfte zu machen. Da ich ziemlich klein war, setzte sich Fett dort zuerst bei mir an. Doch das Leben war zu kurz, um sich die kleinen Köstlichkeiten nehmen zu lassen.

Tim McGraw klimperte im Hintergrund auf seiner Gitarre, und für eine Weile kehrte angenehmes Schweigen ein.

Mein Blick wanderte durch eines der beiden Wohnzimmerfenster nach draußen. Von hier aus konnte man einzig Bäume und Büsche sehen. Die Straße dahinter, die direkt ins Herz von St. Mercy führte, war von den Sträuchern so verdeckt, als würde sie nicht existieren.

»Die Hochzeit, hm«, sagte Daisy und leckte sich den Pflaumensaft von den Fingerspitzen.

Nick, der mir rechts gegenübersaß, versteifte sich augenblicklich. Wieder war seine Reaktion wie ein Schlag ins Gesicht für mich. Zum einen, weil mir jedes Mal aufs Neue bewusst wurde, dass er nichts für mich empfand, zum anderen, weil er darunter litt, nicht mit Claire zusammen sein zu können. Wäre ich weniger egoistisch gewesen, hätte ich ihm und Claire vor langer Zeit meinen Segen gegeben.

Oder, weniger dramatisch, zumindest das Gespräch mit Nick gesucht.

»Was ist mit der Hochzeit?«, fragte er möglichst neutral, aber ich kannte ihn zu gut. Vernahm das leichte Zittern am Ende des Satzes.

»Wie geht es euch damit? Ihr habt Claire seit ihrer Rückkehr nicht mehr besucht, oder?«

»Ich habe mit ihr gesprochen«, antwortete Nick plötzlich.

»Was?« Meine Gabel fiel klirrend auf den Teller. Ms Atwood schnalzte mit der Zunge. »Wann?«

»Keine große Sache«, wich er aus. Er sah mich nicht mal an.

Mein Herz drohte, meinen Brustkorb zum Bersten zu bringen.

»Für mich ist das eine große Sache«, widersprach ich.

Nicks Blick blieb auf seinem Beignet haften. Meine Hände krallten sich in den Saum meines Sweatshirts.

Was hatte er mir noch verschwiegen? Hatte sie auch ihm damals ihre Vermutung, dass ich ihn liebte, mitgeteilt? Eine Vermutung, die keine war, dennoch … Wann hatte dieses Gespräch stattgefunden? Erst vor Kurzem oder irgendwann in den letzten Monaten? Wie konnte er eine derart große Sache vor mir verbergen?

Dann wiederum verbarg er auch seine wahren Gefühle für Claire vor mir …