Rositas Haut - Esther Vilar - E-Book
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Esther Vilar

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Beschreibung

Tropisch heiße Temperaturen bringen Rosita und ihren Chef in Wallungen. Eigentlich arbeiten sie gemeinsam in einer Kühlschrankfabrik, aber heute verbringen sie einen Tag im Bett miteinander. Rosita weiß, dass sie nicht die erste Geliebte in seinen Armen ist, aber sie hofft, er könnte sich in sie verlieben. Wird er denn seine Frau und Kinder für sie verlassen? Ein dritter im Bunde erzählt ihre Geschichte: ein Moskito, der die beiden beobachtet. Doch die Rolle des Beobachters lässt er bald hinter sich.

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Seitenzahl: 164

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Esther Vilar

Rositas Haut

Roman

God is the conceptby which we measureour painJohn Lennon

Vorsichtsregeln für die Landung auf Personen

1. Nimm dir Zeit für den Anflug

Das Blut deiner Beute schmeckt vielleicht ganz anders, als du dir’s bei ihrem Anblick erträumst – im Fall einer Enttäuschung hast du dann wenigstens die Vorfreude genossen.

2. Wähle deinen Landeplatz mit Bedacht

Sicherheit geht vor Sinnlichkeit – was immer sie sagen, es gibt keinen Genuss, der es wert ist, dass man dafür mit dem Leben bezahlt.

3.Taste mit Vorsicht, steche mit Umsicht, sauge mit Rücksicht

Das Blut deiner Beute schmeckt in jeder Tiefe gleich – je weniger du in sie eindringst, desto länger lässt sie dich bleiben.

4. Flieg nicht in Ohren

Gehörgänge sind tödliche Fallen – der Schmerz deiner Beute wäre hier so höllisch, dass jeder Stich dein letzter wäre. Außerdem bist du ein Mosquito und kein Sadist.

5. Hüte dich vor Gefühlen

Je besser du die Menschen kennenlernst, desto genauer weißt du, dass es sich um niedere Wesen handelt – ein Tier, das sich in einen Menschen verliebt, begeht daher die schwerste aller moralischen Verfehlungen und kommt zur Strafe noch einmal als Mensch auf die Welt zurück.

Erster Teil

1

Telefon. Damit hat es angefangen, ja. Ich meine natürlich den interessanteren Teil. Was vorher war, ist weder besonders komisch, beängstigend oder gar erotisch gewesen. Und ohne zumindest eines dieser Elemente ist jede Geschichte langweilig. Für den, der sie sich anhören muss, meine ich. In diesem Fall für Sie.

Sie möchten mir jetzt zunächst ein paar Fragen stellen, ich weiß. Was das denn für ein Leben gewesen ist mit diesen sechs Beinen? Ob ich lieber geflogen oder gelaufen bin? Wie man das mit den Antennen empfindet? Ob ein Mosquito die menschliche Sprache versteht? Ob er sich vor dem Tod fürchtet? Doch ich schlage vor, dass wir uns das für den Schluss aufsparen. Zuerst das Spezielle, dann das Allgemeine, einverstanden?

Was trinken Sie denn da? War das ein guter Jahrgang? Kellner, noch eine Flasche vom gleichen.

Aber nein, ich habe zu danken. Wissen Sie, was jetzt das Schlimmste für mich wäre? Wenn Sie sagen würden: Tut mir leid, mein Bester, sosehr mich Ihre Geschichte interessiert, so originell ich Ihre Seelenwanderungsthese finde – morgen um sieben geht meine Maschine nach San Francisco, ich muss ins Bett.

Oder wenn Sie das Thema wechseln würden. Wenn Sie mich zum Beispiel nach meiner Meinung über den New Yorker Bürgermeister fragten. Oder ob ich glaube, dass dieses Hotel sich noch lange halten kann: eine Bar im sechzigsten Stock, aber keine zehn Gäste. Allein die Personalkosten, nicht wahr? Ich meine, wenn Ihnen das lieber ist?

Gut, gut. Aber ich warne Sie: Auch wenn es in dieser Geschichte von Zeit zu Zeit recht sinnenfreudig zugeht, ein bisschen außerhalb des Normalen liegt sie schon. Doch was ist heutzutage schon normal? Ist es vielleicht normal, dass im sechzigsten Stockwerk die Kakerlaken herumspazieren? Neben Ihrem Sessel, rechts … Nicht einmal bei uns in Südamerika käme so etwas vor. In einer Lokalität dieser Größenordnung, will ich sagen … Oder dieser Kellner mit den grün gefärbten Haaren: In jedem anderen Land wäre so einer längst hinter Anstaltsmauern, das schwöre ich Ihnen.

Oder nehmen Sie dieses Lichtermeer da draußen: Ich meine, was ist normal an einem Wolkenkratzer? An einer ganzen Stadt voll, besser gesagt. Ich kann mir nicht helfen, aber irgendwie erscheint mir meine Geschichte bei aller Ausgefallenheit weniger unglaubwürdig als diese Aussicht.

Vielen Dank, junger Mann.

Also, worauf wollen wir denn trinken?

Welchen Kellner meinen Sie, unseren? Welches Tier der gewesen ist?

Schauen Sie ihn doch an!

Ausgezeichnet. Nur fürs Geschlecht würde ich meine Hand nicht ins Feuer legen: Es könnte sich auch um eine ehemalige Katze handeln. Doch ansonsten stimmt Ihre Diagnose: Dieser Mann ist in seinem früheren Leben entweder ein Kater oder eine Katze gewesen. Glauben Sie mir, mein Freund: Es gibt keinen Menschen, in dem Sie nach diesem Abend nicht das ehemalige Tier erkennen. Sie müssen lediglich Ihre Sehgewohnheiten ändern.

Bei mir? Woran man merkt, dass ich ein Insekt gewesen bin? Nun, an meiner Schädelform zum Beispiel. An der Position meiner Augen. Oder da, schauen Sie sich meine Hände an: Mosquitofinger, habe ich recht?

Dass ich nicht lache: Natürlich waren Sie auch ein Tier – ein ziemlich ausgefallenes sogar! Nein, das verrate ich Ihnen nicht. Aber bevor Sie nachher ins Bett gehen, sollten Sie einmal einen Blick in den Spiegel werfen. Nach dieser Geschichte merken Sie es sofort.

Zum Wohl! Auf Ihr tierisches Vorleben!

Also gut, dann trinken wir eben auf die acht Millionen New Yorker, einverstanden?

Salud!

2

Das Telefon, eben. Seltsam, sage ich mir beim dritten Mal: Wochenlang ruft keiner an, und an einem beliebigen Mittag kommen gleich drei Anrufe hintereinander. Aber das hat nichts zu bedeuten. Vor allem darfst du dir nicht wünschen, dass es etwas zu bedeuten hat, dann ist es vielleicht wirklich ein Zeichen gewesen. Wünsch dir was anderes, schnell!

Ich sehe mich um. Natürlich haben die es auch gehört, die Kollegen. Elf noch, immerhin. Und alle hängen sie an der Decke. Ich hänge auch, aber etwas tiefer, an einem der hölzernen Ventilatorblätter, noch in der Katastrophe originell. Und selbstverständlich tut jeder, als wäre er allein in diesem Zimmer. Der Abstand zum nächsten wie zufällig, mal größer, mal kleiner. Wie soll man Distanz wahren zu jemandem, den man angeblich gar nicht bemerkt? Die Arroganz der Mosquitos, auch davon gäbe es ein Lied zu singen … Und drunten, auf dem Steinboden, die ausgemergelten Leiber unserer verhungerten Kumpane.

Was ist das jetzt wieder für ein Geräusch? Warte, sage ich mir. Nein. Aber so warte doch! Und ob das ein Auto ist. Und zwar kommt es näher!

Aber du darfst es dir nicht wünschen. Nur wenn du dir’s nicht wünschst, wird es eventuell halten. Denk an was anderes. Sofort an was anderes denken, ja?

Das Auto hält. Es hat gehalten. Das Rezept hat also wieder einmal funktioniert! Aber nicht zu früh freuen jetzt: Du weißt doch, was sonst passiert!

Ich schaue hinauf: Keiner von denen hat auch nur eins seiner dürren Beine bewegt. Aber ich weiß, was die jetzt denken: Und wenn das der Mann wäre? Vielleicht sogar mit der Frau? Und dann wären ja auch die Kinder dabei: Ist sie je ohne die beiden Kinder gekommen?

Kinderblut, das ist für diese Sippschaft das Höchste. Nicht genug kriegen sie davon. Je jünger, desto besser. Mein Glück, denn so habe ich die Frau oft für mich allein gehabt. Und auch wenn sie nie ohne diese langärmeligen rosa Nachthemden neben dem Mann gelegen ist (»Nur bis wir das Mosquitonetz haben«) – eine Nacht auf ihrem Doppelkinn, den fülligen Ohrläppchen … Ich mag Frauen nun einmal lieber.

Natürlich würde ich in meinem jetzigen Zustand jeden nehmen. Sogar das süßliche Blut eines Säuglings wäre mir weiß Gott willkommen!

Warum steigt keiner aus! Eines dieser Pärchen? Aber bei der Hitze, am helllichten Tag?

Ich spüre, wie auch die anderen jetzt den Atem anhalten. Denn wenn das ein Liebespaar wäre, müsste man handeln: Nochmals zum Fenster hinüberfliegen, nachsehen, ob in diesem verdammten Neubau nicht vielleicht doch irgendwo eine Ritze ist. Und falls man dank einem Wunder eine fände, müsste man mit allen Mitteln versuchen, über das Bananenfeld hinweg den kleinen Parkplatz zu erreichen.

Aber keiner rührt sich.

Nicht in diesem Zustand, sagt man sich. Nicht bei der Hitze: Das wäre dein Tod!

Aber vielleicht sollte man’s gerade deswegen riskieren, und zwar sofort? Denn wenn, dann müsste man ja unter den Ersten sein, wie damals. Das ist allerdings abends gewesen, an einem Wochenende voller leichtgekleideter Menschen: Man hatte Appetit, aber man war nicht ausgehungert. Und das ist bekanntlich das einzige Mittel, wie man etwas bekommt: Wenn man es eigentlich gar nicht bräuchte. Wenn man es sich nicht von ganzem Herzen gewünscht hat. Nicht wahr?

Doch damals ist es auch so gewesen. Ein Auto hält auf dem Parkplatz, und mehr aus Langeweile fliege ich augenblicklich hin: Zwei Leutchen im Badezeug, blutjung (aber eben nicht zu jung!), bereits selig ineinander verschlungen. Bei offenen Autofenstern, man glaubt es kaum.

Ich fliege hinein, stürze mich ohne jede Anstandsrunde auf die hellen Schulterblätter des Mädchens und erreiche augenblicklich mein Ziel.

»Ein Mosquito«, schreit sie, »die Scheiben hoch, schnell!« Aber ich bin ja schon drin!

Licht können sie nicht brauchen, dafür sind an diesem Abend zu viele Leute am Strand. Und wenn sie die Tür aufgemacht hätten, um mich hinauszujagen, wären nur noch mehr von uns gekommen.

Ich mache also weiter, jetzt ganz ohne Gier. Probiere beim einen, beim anderen, mal da, mal dort. Und natürlich ist mir auch hier das Mädchen schließlich lieber.

Als sie noch mal aufschreit, lacht der Junge sie aus: »Du musst ihn saugen lassen! Erst wenn er satt ist, haben wir unsere Ruhe.«

Was soll ich Ihnen sagen: Es ist die bis dahin herrlichste Nacht meines so bedauerlich kurzen Lebens als Stechmücke geworden. Drinnen wir drei, draußen mehr und mehr von den andern. Wie zufällig an den Scheiben hängend. Krank vor Neid.

3

Nein, das ist keine Halluzination gewesen: Das war eine Autotür.

Und dies hier sind Schritte.

Schwere Schritte. Männerschritte. Und zwar in diese Richtung.

Aber jetzt aufgepasst: Nur wenn du dir’s nicht wünschst, hast du eine Chance. Wünsch dir was anderes. Und zwar sofort!

Und wieder wirkt es.

Denn während ich an meinem Ventilatorblatt hänge und mich so ehrlich wie möglich danach sehne, in diesem Zimmer zu verhungern, während ich mir vorstelle, wie herrlich es wäre, ausgedörrt auf diesen Steinboden zu purzeln, wird tatsächlich die Haustür aufgeschlossen.

Jemand geht ins Badezimmer.

In der Küche wird der Kühlschrank geöffnet und wieder zugemacht.

Und schließlich geht die Tür auf, und er ist es: Es ist der Mann!

Nicht nur das: weder Sakko noch Krawatte. Ein Hemd, das ich noch nicht kenne, aus ganz leichtem Stoff, die Ärmel hochgerollt, die Knöpfe über der Brust geöffnet. Die Füße in Mokassins, die ebenfalls neu zu sein scheinen – und zwar ohne Strümpfe!

Gerettet.

Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie sie sich fertigmachen. Wie sie wie gelangweilt ihre Werkzeuge richten, ihre Anflugwege planen. Es muss ja aussehen, als käme man aus purem Zufall an der Beute vorbei. Ausgehungert? Doch nicht die!

Während er sich nun mit seinem Taschentuch den Schweiß abwischt, verteile ich im Geiste das Terrain: Hals, Nacken, Gesicht, Hände. Die beginnende Glatze, die in diesen langen Wochen unserer Gefangenschaft vielleicht sogar ein wenig gewachsen ist! … Die Arme dieser Person kommen wegen der starken Behaarung leider nur bedingt in Frage. Der Brustkorb, aus dem gleichen Grund, gar nicht. Und im Gesicht sind auch noch ein paar Quadratzentimeter dieses Oberlippenbartes abzuziehen. Aber auch so würde es für doppelt so viele reichen.

Geduld jetzt, lass sie ruhig erst mal landen. Man kennt die doch, an die Fußknöchel denkt keiner. Dabei sind gerade die hier empfehlenswert. Wie überhaupt die Füße: groß, wie alles an diesem Mann, dabei aber schlank, blass, dünnhäutig und so unbehaart, als ob sie zu einem anderen Menschen gehörten. Manchmal, wenn ich von der Frau nicht allzu satt gewesen bin, habe ich mit Vergnügen daran herumgemacht. Die Füße und die Gegend um die Augen, die schweren Lider, die bläulich verfärbten dreifachen Augenringe, das ist hier das Interessanteste.

Ich versuch’s mit ein paar Schritten auf dem Ventilator, merke erst jetzt, wie geschwächt ich bin. Aber ich bin ja nun in Sicherheit.

Jawohl, sage ich mir, jetzt darfst du dich freuen!

Und natürlich ist das ein Fehler.

Von oben schaue ich zu, wie sich einer nach dem anderen auf ihm niederlässt: das exakte Gegenteil dessen, was ich unter Landung verstehe. Und der Lärm, den sie dabei machen!

Er schlägt ein wenig um sich, erwischt tatsächlich einen im Flug. Nicht gerade ein Heldentod.

Aber eigentlich ist dieser Mann nicht empfindlich. Seltsam, es gibt Leute, denen machen wir einfach nichts aus. Natürlich sind es die, auf die man ohnehin nicht so scharf ist: überall das gleiche Prinzip.

Jetzt zieht er auch noch die Schuhe aus, unfassbar.

Schüttet den Sand auf die Fliesen.

Mit blanken Füßen wandert er über den Boden, öffnet das Fenster, verstellt die Lamellen der Läden so, dass es hell wird: Ja, jetzt könnte man hinaus, aber wer will das noch?

Vor dem Kleiderschrank stehen seine Füße schließlich still: zwei gedeckte Tische, nur für mich, die Blutstränge breit wie Landebahnen.

Ich hüpfe zum Rand des Ventilatorblattes, mache mich startbereit.

Und verliere vor lauter Aufregung die Besinnung.

4

Als ich zu mir komme, ist das Zimmer leer, der Mann verschwunden. Keine Panik, sage ich mir, er ist im Bad, nimmt eine Dusche, das macht er doch nach der Ankunft immer. Und die Schlafzimmertür hat er ja Gott sei Dank offengelassen.

Aber langsam jetzt, langsam. Du gehörst nicht mehr zu den Stärksten, das hast du ja wohl gemerkt.

Ich fliege eine Proberunde um den Ventilator, bin leidlich zufrieden: Wenn ich mir Zeit lasse, könnte es gehen. Und so groß ist dieses Ferienhaus ja auch wieder nicht.

Aber im Bad ist niemand, auch nicht im Kinderzimmer. In der Küche steht eine leere Bierdose auf dem Tisch, und im Wohnzimmer liegen wie immer diese fürchterlichen Schonbezüge auf den Sesseln: »Rosa ist empfindlich! Auch wenn man die Vorhänge noch so gut schließt, das Licht geht eben doch an die Farbe.« Die Frau. So redet sie. Und in der Regel seufzt sie noch ein bisschen.

Auf Konkurrenten treffe ich nirgends. Kein Wunder. Auch wenn wir uns offiziell gar nicht zur Kenntnis nehmen, wir hocken immer im gleichen Raum. Dem dunkelsten, kühlsten – das Schlafzimmer in diesem Fall, da es nur hier Fensterläden gibt. Dass es uns einmal zum Kerker werden könnte, war nicht vorauszusehen. Eines der Kinder hatte bei der Abreise im letzten Augenblick die Tür zugemacht und damit in aller Unschuld das große Sterben eingeläutet.

Mit letzter Kraft erreiche ich den Ventilator. Und diesmal bemerken sie mich tatsächlich nicht.

Pack! Schon an der Art, wie sie hängen, erkennt man den Verdauungsschläfer. Die Leiber dreimal so groß wie vorher, vom Blut des Mannes wie verdunkelt.

Und alle hängen sie an der Wand hinter dem Doppelbett. Was für ein Zufall, nicht wahr?

Bodycount. Ich zähle nach: Zwei hat es also doch noch erwischt. Ich habe sie auch bald gefunden. Vor der Schranktür liegt sein verschwitztes Hemd – am Kragen, in einer Blutlache, der zerquetschte Leichnam eines Kumpans.

Den zweiten entdecke ich am Ankleidespiegel, eine breiige Masse, aus der ein paar verschmierte Glieder ragen. Gibt es noch andere Wesen, die bei jeder Mahlzeit mit dem Leben spielen?

Aber wenigstens waren die satt, und ich verrecke hier mit leerem Magen!

Geschieht dir recht, denke ich matt: Zeit deines Lebens wolltest du was Besonderes sein, jetzt bist du’s. Die Anstrengung hat mich ausgelaugt, ich spüre, wie mich der Schlaf übermannt. Für immer, wie ich meine.

5

Und dann weckt mich zum zweiten Mal ein Auto.

Diesmal muss ich mir nicht sagen, dass ich mir nichts wünschen darf. Ich wünsche mir sowieso nichts mehr, möchte nur noch schlafen.

Erst als sie ins Zimmer kommen, wache ich wieder auf. Ich spreche in der Mehrzahl, jawohl: der Mann und die Frau. Nicht die Frau, eine andere. Eine junge. Blonde. Strahlende.

Das wird ein Traum sein, sage ich mir. Der Hunger. Du bist im Delirium.

Doch dann bleibt sie direkt unter mir stehen, reißt sich das verschwitzte gelbe Leibchen vom Körper: »Schwimmen! Ich muss ins Wasser, sofort!«

Auch die Stimme ist anders als die der anderen. Wie auf Schmetterlingsflügeln wird sie mir zum Ventilator heraufgetragen.

Der Mann, der auf dem Bettrand sitzt, schaut zu ihr hin. Hundeaugen, denke ich. Bulldoggenaugen in einem Bulldoggenschädel … Er steht auf, kommt zu ihr herüber, legt seine großen Hände auf ihre Brüste: »Später.«

Sie wehrt sich ein bisschen, lacht: »Aber ich bin doch ganz verschwitzt! Außerdem bin ich am Verdursten, Tatsache! Könnt’ ich nicht wenigstens was zu trinken …«

»Später.«

Die paar Schritte bis zum Bett wird sie getragen.

»Aber was machst du denn da?«

»Wirst du gleich sehen.«

Er streift ihr die abgetretenen Sandalen von den Füßen, öffnet den Reißverschluss ihrer Jeanshose, zieht sie ihr über endlose Beine herunter.

Ihr Höschen ist schwarz und aus Spitzen, die Haare auf ihrem Hügel so blond wie die auf ihrem Kopf.

Auch die Armbanduhr nimmt er ihr ab, die Armreifchen, die Ohrclips. An ihrem goldenen Kettchen schiebt er das kleine Kreuz zur Seite, damit sie ganz nackt ist.

6

Ich?

Nun, ich habe ihnen zugeschaut, fassungslos.

Heute weiß ich natürlich, dass es schönere Frauen gibt als die, die damals zu mir in dieses Zimmer kam. Auch eine Spur von Vulgarität ist mir im Nachhinein bewusst geworden. Ganz abgesehen von einer unübersehbaren Charakterschwäche: Von den Tricks, mit denen sie an jenem Nachmittag spielte, ging dann einer sogar auf meine Kosten.

Doch die lange Zeit der Entbehrung, die dieser Begegnung vorausgegangen war, hatte mich unfähig zu jeder kritischen Distanz gemacht. Die Bereitschaft, diesem blonden Mädchen zu verfallen, war von Anfang an da. Und sie war grenzenlos.

Aber ist es sonst so viel anders? Wer auch nur etwas Selbstironie besitzt, wird zugeben, dass man sich zu Beginn eines großen Gefühls immer in einem Zustand verminderter Widerstandskraft befindet. Die Zufälligkeit, mit der unsere oft so schicksalhaften Liebesgeschichten entstehen, hat etwas Erschreckendes, finden Sie nicht?

Die Unverbindlichkeit der Leidenschaft, auch das wäre ein Thema, jawohl. Und bei mir ist es ja das erste Mal gewesen, meine erste Liebe.

Denn auch wenn mir das noch nicht bewusst war, eine Liebe war’s sofort. Noch während ich nun von meinem Ventilatorblatt auf dieses Mädchen, diese Frau, hinunterstarre, bekommt nämlich alles einen Sinn: warum ich geboren wurde, und zwar ausgerechnet als dieses Tier in dieser spießigen Wochenendsiedlung unter Palmen. Warum ich vor ein paar Monaten unter all den scheußlichen Neubauten an dieser Küste ausgerechnet dieses Haus gewählt habe, in dieses Zimmer geflogen bin. Warum ich hier so leiden musste. Das alles ist geschehen, damit ich mir den Anblick dieses vollendeten Körpers verdiente.

Lang, glatt, weiß.

Wie von sicherer Hand mit einem einzigen schwungvollen Hieb erschaffen.

Von jemandem, an dessen Existenz man ab sofort nicht mehr zu zweifeln wagt.

Dem Mann ergeht es aber offenbar nicht viel anders. Denn während er sich nun selber auszieht – sein frisch gewechseltes Hemd ist schon wieder durchnässt –, blickt er wie geblendet auf diese schimmernde Landschaft auf seinem Wochenend-Ehebett. Und als er dann seine großen Hände über ihre weißen Täler und Hügel gleiten lässt, tut er es mit der Aufmerksamkeit eines Schülers in einer Schulstunde der Begierden.

Ihr Gesicht ist dabei dem Ventilator zugewandt: Man könnte meinen, dass ich es bin, den ihre dunklen Augen suchen.

»Wie schön du bist«, sagt der Mann.

Und ich bin’s, zu dem sie herauflächelt!

Doch schon legen sich die Pranken des anderen selbstbewusst um ihre Hüften. Sein Mund senkt sich auf ihren perfekten Hals, gleitet zu ihrer herrlichen rechten Schulter, folgt, nun immer begehrlicher, der vollendeten Linie ihres rechten Schlüsselbeins.

Als er bei ihren Brüsten ist, schließt das schöne Mädchen wie erschöpft die Augen: »Komm jetzt«, bittet ihre Schmetterlingsstimme, »komm …«

7

Und ausgerechnet in diesem Moment läutet wieder einmal das Telefon, und sie erstarrt.

»Falsche Verbindung«, sagt der Mann, die Lippen an ihrer Haut, die Stimme tonlos vor Begehren. Aber die Liebkosungen hat er eingestellt.

»Wie willst du das wissen?«

Erst jetzt bemerke ich den Leberfleck über ihrem rechten Mundwinkel. Reizend!

»Jeder fünfte Anruf in diesem Land ist eine Fehlverbindung. Ich hab’s erst heute wieder irgendwo gelesen.«

Trotzdem rühren sie sich nicht. Der Kopf des Mannes liegt auf dem Oberkörper des Mädchens, als wären es ihre Herztöne, auf die er lauscht.

»Und wenn es für dich ist?«, fragt sie. Und nach einem Zögern: »Vielleicht deine Frau?«

»Unsinn.«

»Vielleicht hat sie in der Firma angerufen?«

»Kein Mensch weiß, dass ich hier bin.« Er hebt den Kopf. »Du hast es doch keinem gesagt?«

Sie lacht: »Ich? … Ein Nachbar! Vielleicht hat er uns ins Haus gehen sehen? Vielleicht hat er sie angerufen?«