Rot wie die Liebe - Nina Nicolai - E-Book

Rot wie die Liebe E-Book

Nina Nicolai

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Beschreibung

Der Sophienlust Bestseller darf als ein Höhepunkt dieser Erfolgsserie angesehen werden. Denise von Schoenecker ist eine Heldinnenfigur, die in diesen schönen Romanen so richtig zum Leben erwacht. Das Kinderheim Sophienlust erfreut sich einer großen Beliebtheit und weist in den verschiedenen Ausgaben der Serie auf einen langen Erfolgsweg zurück. Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, mit Erreichen seiner Volljährigkeit, das Kinderheim Sophienlust gehören wird. Hast du mir noch ein paar Chips übrig gelassen? Och nö, Selma, du bist ja gefräßiger als die kleine Raupe Nimmersatt.« »Superlecker haben sie geschmeckt.« Die Zwölfjährige lachte ihr unwiderstehliches, weil sommersprossig-schmissiges Lächeln, das garantiert völlig frei von Gewissensbissen war. »Du hast die Riesentüte fast ganz allein gefuttert«, stellte die zwölfjährige Kat vorwurfsvoll fest, als sie in die leere Tüte blickte. »Kein Krümelchen hast du mir übrig gelassen.« Selma Krogmanns kastanienbraune Augen funkelten. Wie eigentlich immer, was daran lag, dass sie eine extrem Ausgeschlafene war. Das verriet schon der wache Blick, dieses offene Gesicht, und der Spaß am Reden und Denken. »Es war nur eine kleine Tüte.« »Chips sind unheimlich kalorienhaltig.« »Dann«, versetzte Selma, nur zwei Monate jünger als ihre allerbeste Freundin seit der gemeinsamen, von Anfang an solidarischen Zeit in der Kita, »solltest du sowieso auf sie verzichten. Weil sich kein Model peinliche Speckröllchen erlauben kann.« Die spindeldürre Kat betastete sich erschrocken. »Findest du, dass ich fetter geworden bin?« »Nö.« Selma beneidete ihre Freundin nicht um deren Komplexe. »Grad jetzt, wo's spannend wird, hab ich nix zum Knabbern.«

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Sophienlust Bestseller – 67 –

Rot wie die Liebe

Selma hatte alles so schön eingefädelt

Nina Nicolai

Hast du mir noch ein paar Chips übrig gelassen? Och nö, Selma, du bist ja gefräßiger als die kleine Raupe Nimmersatt.«

»Superlecker haben sie geschmeckt.« Die Zwölfjährige lachte ihr unwiderstehliches, weil sommersprossig-schmissiges Lächeln, das garantiert völlig frei von Gewissensbissen war.

»Du hast die Riesentüte fast ganz allein gefuttert«, stellte die zwölfjährige Kat vorwurfsvoll fest, als sie in die leere Tüte blickte. »Kein Krümelchen hast du mir übrig gelassen.«

Selma Krogmanns kastanienbraune Augen funkelten. Wie eigentlich immer, was daran lag, dass sie eine extrem Ausgeschlafene war. Das verriet schon der wache Blick, dieses offene Gesicht, und der Spaß am Reden und Denken.

»Es war nur eine kleine Tüte.«

»Chips sind unheimlich kalorienhaltig.«

»Dann«, versetzte Selma, nur zwei Monate jünger als ihre allerbeste Freundin seit der gemeinsamen, von Anfang an solidarischen Zeit in der Kita, »solltest du sowieso auf sie verzichten. Weil sich kein Model peinliche Speckröllchen erlauben kann.«

Die spindeldürre Kat betastete sich erschrocken. »Findest du, dass ich fetter geworden bin?«

»Nö.« Selma beneidete ihre Freundin nicht um deren Komplexe.

»Grad jetzt, wo’s spannend wird, hab ich nix zum Knabbern.«

»Soll ich dir ein Stück Gurke aus der Küche holen? Oder ne Banane? Hat Mami immer reichlich vorrätig.« Selma wich geschickt dem Geschoss aus, einem von Kat nach ihr geschleuderten Kissen.

Anschließend machten es sich die beiden Freundinnen wieder vor dem Fernseher gemütlich, den sie mit vereinten Kräften direkt vor die Kissenlandschaft auf dem Fußboden gewuchtet hatten.

»Das Finale finde ich immer oberspannend«, murmelte Kat. »Meine Favoritin ist Holly. Die finde ich am süßesten von allen. Doof ist nur, dass sie sich nicht so gut kontrollieren kann. Man muss nämlich bei Zickenalarm ein Pokerface hinkriegen.«

»Ich begreif einfach nicht, wie man heiß darauf sein kann, in so ner Show aufzutreten. Ist doch grausam, sich vorführen zu lassen. Die armen Mädchen tun mir voll leid.« Selma Krogmann langte in die Schale mit den Erdnüssen und klaubte eine Handvoll heraus.

»Salz ist ungesund«, kommentierte Kat Homburg spitz.

Selma lachte achselzuckend. »Nüsse machen schlau.«

Kat setzte die Wasserflasche an und trank ausgiebig. »Wenn ich deine Mutter wäre, würde ich das Zeug hier nicht rumstehen lassen. Ehrlich, Selma. Das macht doch nur fett.«

»Ich war heute im Supermarkt«, grinste Selma.

»Kontrolliert deine Mutter nicht die Quittungen?«, erkundigte sich Kat, während sie das Lakritzkonfektangebot inspizierte.

»Sie vertraut mir total. Und ich ihr auch. Bist du an der Erdbeerschoko interessiert? Dann will ich sie mal testen.«

»Wenn du in diesem Stil weitermampfst, kannst du dir die Bewerbung beim Sender sparen. Ein Wunder, dass du noch nicht aus deinen T-Shirts platzt.«

»Ich finde mich normal. Das da vorn ist doch keine Reality.«

Kat betrachtete seufzend ihre Oberarme. »Die schwabbeln schon. Dabei habe ich gestern nur Joghurt gegessen. Und ein Croissant.«

»Auf das du dir ne fette Schicht Nussnougatcreme geschmiert hast. Willst du allen Ernstes zum Fernsehen, um dich von dieser Gruseltante zwiebeln zu lassen? Wenn deine Mutter von dir verlangen würde, dass du bei so einer hohlen Veranstaltung mitmachst und dabei auch noch strahlst, als würdest du dich wie Bolle amüsieren, sag mal, würdest du ihr nicht was husten?«

»Meine Mutter ist ein Fan von dieser Sendung. Schon ewig.«

»Echt?« Selma fuhr sich mit beiden Händen durchs eichhörnchenbraune Lockenhaar, das sich beharrlich allen Glättungsversuchen widersetzte. »Wusste ich gar nicht. Sie unterstützt dich?«

»Mamas Traum ist, dass ich mal über den Catwalk laufe.«

Selmas Mund blieb vor Staunen offen.

Allerdings nicht lange, denn ihr war ein großes Mitteilungsbedürfnis eigen. »Willst du ihr zuliebe Topmodel werden? Weil sie’s nicht hingekriegt hat?«

Sie hatte noch nie erlebt, dass Kats Mutter nicht auf Diät gewesen wäre. Bei Homburgs aß man nicht, was schmeckte, sondern nur Kalorienarmes. Mehrmals täglich stellte man sich auf die Waage, und Hysterie brach schon nach wenigen Gramm Gewichtszunahme aus.

»Noch vier Minuten«, kündigte Kat an. »Dann geht’s weiter. Und wir werden wissen, wer die Gewinnerin dieser Staffel ist.«

»Irre interessant«, kommentierte Selma trocken, mampfend.

»Weshalb kuckst du dir alle Folgen an, wenn du nicht dafür bist?«, wollte Kat mit befremdeter Miene wissen.

Selma und sie kannten sich wirklich schon lange, und zwar in- und auswendig, doch manchmal wurde sie nicht klug aus ihrer autonomen Freundin.

Dass die Spekulationen ihrer Mutter, Selma betreffend, gelegentlich durch die Decke gingen, behielt Kat für sich.

»Kein Ahnung. Weil es Spaß macht. Oder vielleicht, weil wir zusammen sind und über alles quatschen. Ist doch gemütlich.«

»Du hättest es viel leichter als ich, on top zu kommen.«

Selma brach sich noch ein Stück Schokolade ab.

Kat fuhr fort: »Weil deine Mutter an der Quelle sitzt, vielmehr arbeitet. Ein Wort von ihr, und du machst Karriere.«

»Als was?«

»Manno, als Model natürlich.«

»Mami ist Tom Triloffs Assistentin. Mit den Models hat sie null zu tun. Eigentlich ist sie so gut wie nie im Atelier.«

»Sondern?«

»Im Büro natürlich. Ein ganz normaler Job, sagt Mami.«

»Ich stelle es mir wahnsinnig vor, für einen berühmten Modeschöpfer zu arbeiten. Hat sie schon viele Stars getroffen?«

Selma lachte los. »Die kommen ganz bestimmt nicht ins Sekretariat. Du hast da total falsche Vorstellungen, Kat.«

»Vielleicht kann sie ja trotzdem mal was für mich tun.« Genau das hoffte Kats Mutter, weshalb sie die Freundschaft ihrer Tochter mit einem Mädchen, das in keine Schablone passte, erduldete.

»Macht sie doch schon. Sie hat dir erlaubt, hier zu schlafen.«

Kat verdrehte die grünen, mit glitzerndem Lidschatten betonten Augen. »Später, meine ich. Nach der Schule.«

»An Tom Triloff kommt man ganz schlecht ran, sagt Mami.«

»Obwohl er ihr Chef ist?«, fragte Kat ungläubig. »Hey, der Werbebreak dauert heute aber lange.«

»Weil die Sendung eine megaklasse Quote hat.«

»Wieso trägt deine Mutter eigentlich keine Modellkleider?«

»Weißt du, wie teuer die Dinger sind? Können wir uns nicht leisten. Und sie ist auch nicht so der Typ, sagt Mami.«

»Ich finde sie hübsch. Und wenn sie sich schminken und eine andere Frisur zulegen würde, könnte sie perfekt aussehen.«

»Mami findet Make-up nicht so umwerfend.«

»Und ihr Freund?«

Als Selma flüchtig an ihren einstigen Kinderarzt dachte, den wohl sympathischen, doch ihrer Meinung nach enorm langweiligen – der Vergleich mit dem vollsmarten, unerhört coolen Tom Triloff verbot sich von selbst –, musste sie unwillkürlich schmunzeln.

»Bernhard ist nett.« Mehr gab’s zu ihm nicht zu sagen.

Kat ließ nicht locker: »Er liebt sie, deine Mom, oder?«

»Heiß und innig«, bestätigte Selma, kräftig nickend. »Schon immer. Und vermutlich bis in alle Ewigkeit.«

»Wieso heiraten sie dann nicht?«

Selma fragte überrascht: »Warum sollten sie?«

»Dann hättest du einen richtigen Vater.« Das war ein Punkt, mit dem sich Kats Mutter gern ausführlich auseinandersetze.

»Wie oft hast du Stress mit deinem Vater? Ey, Kat.«

»Und deine Mutter könnte aufhören zu arbeiten.«

»Ich denke, deine Mutter leidet darunter, ihren Beruf aufgegeben zu haben«, erinnerte Selma gelassen.

»Ist doch bestimmt irre anstrengend, für Tom Triloff tätig zu sein. Immer diese Events mit Presse und Celebritys.«

»Sie findet alles gut, so, wie es ist. Okay?«

»Liebt sie Herrn Dr. von Hayek?«

»Bernhard, meinst du? Weiß nicht. Sie geht, glaub ich, gern mit ihm aus. Er ist ein prima Kumpel, sagt Mami.«

»Und wenn sie sich gerade in diesem Moment verloben? Mit Ring und roten Rosen und so?«

»Sie sind in ein Musical gegangen. Dafür schwärmt er.«

»In der Pause könnte er ihr einen Heiratsantrag machen.«

Selma machte ein skeptisches Gesicht.

»Wenn er es nicht tut, traut er sich vielleicht nicht«, spekulierte Kat eifrig. »Dann müsste man ihm auf die Sprünge helfen.«

»Auf welche Sprünge?«

»Er müsste eifersüchtig werden.«

»Worauf? Auf mich etwa? Vergiss es, wir kommen prima zurecht.«

»Gibt es keine anderen Verehrer?«

»Kat, du siehst zu viele Telenovelas.«

»Ich mag deine Mom. Wir sollten ihr helfen.«

»Gleich geht’s weiter. Hörst du die Musik?«

»Ich weiß, wie man im Internet datet. Hat mir meine Cousine neulich erklärt. Das funktioniert absolutely easy.«

Selma knuffte die Kissen zurecht und schnappte sich die knisternde Zellophantüte mit den Salzstangen. »Lass man, Kat, für so was interessiert sich Mami null. So, und nun muss ich gucken!«

*

Wann war ihm erstmals aufgefallen, welche seltsame Mutation ihn erfasste, wenn er die Villa betrat? Vielleicht schon in jenen Jahren, die Poeten fälschlicherweise als selige Kindheit bezeichnen. Jedenfalls konnte sich Bernhard von Hayek nicht daran erinnern, wann er je unbeschwert durch die Haustür gegangen wäre.

Stets war da dieser Druck, nicht zu genügen und trotz aller Anstrengungen eben leider nicht sein Bestes gegeben zu haben.

»Bernhard, bist du’s?«, fragte inquisitorisch eine hohe Frauenstimme, die es locker schaffte, sämtliche Räume der Villa zu durchdringen. Obwohl seine Mutter ständig zu behaupten pflegte, immer mit vorwurfsvollem Unterton, an Herzschwäche zu leiden.

»Ja, Mama, ich bin’s.« Wer sollte sonst um diese Zeit das Haus betreten? Wer außer ihm besaß noch einen eigenen Hausschlüssel?

Vor allem der langjährigen und seiner Meinung nach bewährten, staunenswert nervenstarken Reinigungskraft vertraute seine Mutter nicht, weshalb Frau Schöller allmorgendlich klingeln musste.

»Hast du mir meine Tropfen mitgebracht, Bernhard?«

»Selbstverständlich, Mama.« Er war müde. Hinter ihm lag ein langer und anstrengender Tag in der kinderärztlichen Praxis.

Schwierige Fälle hatte es gottlob nicht gegeben, doch eine junge Mutter hatte die Nerven verloren, als ihr vierjähriger Sohn die Fensterbank im Wartezimmer erklommen hatte und energisch gegen die Scheiben hämmerte. Und eine kleine Patientin hatte plötzlich Zeter und Mordio geschrien, als sie sein Stethoskop sah.

»Du kommst spät!« Frau Marianne von Hayek bemerkte es und stach die Sticknadel mit einer Heftigkeit durch den Stoff, dass es nur so krachte. Woran dachte sie dabei?

Und wieso, frage er sich erschöpft, klang alles, was seine Mutter äußerte, immer missbilligend? War sie schon immer unzufrieden gewesen? Als Kind hatte er sich gelegentlich gefürchtet vor ihrer verschlossenen Miene und ihren verbalen Seitenhieben.

Andererseits war seine Sehnsucht nach einem guten Wort von ihr, einem winzigen Lob, einfach nicht auszurotten. Und schien mit den Jahren eher anzuschwellen als abzunehmen. Der Kinderarzt überlegte, ob in seinem Fall nicht eine Therapie angesagt wäre.

Was er jedem geraten hätte, der ihn einer ähnlich verkanteten Beziehung feststeckte.

Bernhard von Hayek ließ sich in seinen Sessel gegenüber dem Kamin fallen. Die Zeit der lustig flackernden Feuer auf dem Rost war längst vergangen. Jetzt wirkte die finstre Öffnung wie das mordlustig aufgesperrte Maul eines steinernen Ungeheuers.

»Und warum ist es heute wieder spät geworden?«, wollte seine Mutter von ihm wissen, während sie ­weiterstickte, als ginge es um ihr Leben. »Erzähl mir nicht, dass viel los war.«

Ach, Mama. »Das Wartezimmer war bis zum Abend proppenvoll.«

Sie blickte flüchtig auf und warf ihm einen Blick zu, der einem Staatsanwalt zur Ehre gereicht hätte. »Ich habe um sechs Uhr angerufen. Niemand hat sich gemeldet.«

»Frau Neumaier hatte wohl alle Hände voll zu tun.«

»Ich habe es lange klingeln lassen.«

Natürlich glaubte sie ihm nicht. Er seufzte auf. »Mama, ich habe sogar auf meine Mittagspause verzichtet, weil wir es sonst nicht geschafft hätten.« Seine fürsorgliche Sprechstundenhilfe hatte ihm eine Pizza bestellt und ihm ihre Joghurt überlassen.

»Dann ist es doppelt bedauerlich, dass du nicht rechtzeitig nach Haus gekommen bist. Denn das schöne Käseschinkensouffle dürfte inzwischen ungenießbar sein.«

Obwohl er keinen Appetit hatte, machte er seiner Mutter zuliebe Anstalten, sich zu erheben. »Ich sehe mal nach.«

Sie presste die Lippen aufeinander, bis man nur noch einen schmalen roten Strich sah. Dann klappte ihr Mund unverhofft auf, und eine Salve übellauniger Worte wurde herausgeschleudert.

»Du scheinst dein Elternhaus für ein Hotel zu halten, Bernhard, in dem du nach Belieben aufkreuzen und wieder verschwinden kannst. Was glaubst du denn, für wen ich das Essen zubereite? Den ganzen Tag bin ich allein und hoffe auf den Abend. Jeder Mensch, mein lieber Junge, braucht Ansprache.«

»Ich weiß, Mama. Und es tut mir leid, dass du so viel allein sein musst. War Frau Schöller nicht heute hier?«

»Frau Schöller!« Sie spuckte die beiden Silben förmlich aus. »Du denkst allen Ernstes, ich würde mich mit meiner Zugehfrau austauschen?« Ihr Kopf ruckte, wie immer, wenn sie zornig war. »Im Übrigen ist sie zur Zeit erkältet und kann kaum sprechen.«

»Ich wollte damit nicht andeuten, dass du …«

Sie warf den Stickrahmen neben sich. »Warum sagst du mir nicht die Wahrheit? Seit wann hast du Geheimnisse vor mir?« Sie reckte das energische Kinn. »Ich kenne die Wahrheit, spar dir deine faulen Ausreden.« Ein schärferes Glitzern kam in ihre Augen. »Du warst mit ihr zusammen. Deshalb musste ich hier warten. Bis der junge Herr geruhte, sich seiner alten Mutter zu erinnern.«

Sein Herz verkrampfte sich. »Mama, du bist nicht alt.«

»Wie geht es Frau Krogmann?«, fragte sie betont liebenswürdig. »Hat es sich gelohnt für dich, mich im Stich zu lassen?«

»Mama, ich bitte dich, ich habe Julia heute nicht gesehen.«

»Erzähl mir nichts.« Sie war entschlossen, alles übelzunehmen.

Als Kind hatte er sich in dem riesigen, wegen der verhängten Fenster eigentlich immer dämmrigen Wohnzimmer regelmäßig zu Tode geängstigt. Weil seine Fantasie die schauerlichsten Bilder in die Schatten der mächtigen Möbel zauberte, alles Erbstücke, die vermutlich längst Wurzeln getrieben hatten und nicht mehr zu verrücken waren. Horrorwesen lauerten hinter den Wandteppichen mit den Jagdszenen. Und alle, alle hatten es auf ihn abgesehen.

Seit er denken konnte, war er das einzige Kind im Haus gewesen. Nie hatte er Freunde einladen, die Geburtstagsfeiern seiner Klassenkameraden hatte er nicht besuchen dürfen. Immer hatte seine Mutter behauptet, auf seine schwache Gesundheit Rücksicht nehmen zu müssen. Vor allem Aufregung vertrüge er nicht, er habe leider einen nervösen Magen und ein empfindliches Drüsensystem.

Die Hausapotheke glich dem Versandlager eines Pharmakonzerns.

Marianne von Hayek, Tochter eines Heilpraktikers und einer Fußpflegerin, hatte für ihren Einzigen eine brillante Karriere als Chirurg vorgesehen. Auch mit einem international bekannten Juristen wäre sie einverstanden gewesen, hätte sich unter Umständen sogar zufrieden gegeben mit einem Universitätsprofessor.

Als Bernhard nach dem Abitur den Wunsch äußerte, zaghaft, klar, Kinderarzt werden zu wollen, hatte sie ihre Enttäuschung nicht verhehlen können. Ausgerechnet Kinderarzt. Welch ein Affront für sie, die doch große Erwartungen in ihn gesetzt hatte.