Träumen im Paradiesgarten - Nina Nicolai - E-Book

Träumen im Paradiesgarten E-Book

Nina Nicolai

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Beschreibung

Nun gibt es eine exklusive Sonderausgabe – Fürstenkrone Classic In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkrone" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Romane aus dem Hochadel, die die Herzen der Leserinnen höherschlagen lassen. Wer möchte nicht wissen, welche geheimen Wünsche die Adelswelt bewegen? Die Leserschaft ist fasziniert und genießt "diese" Wirklichkeit. Natalie schmunzelte. Was ihre Freundin Marion sich vornahm, das setzte sie auch durch, da mochte kommen, was wollte. Sie war eine bezaubernde Braut, die zierliche Marion, die in einer Wolke schneeweißen Tülls über die Galerie zu schweben schien, leichtfüßig, liebreizend lächelnd und so rührend jung. Alle waren von Marion begeistert, lobten ihre bescheidene Art und ihre Frische. Insbesondere ihre Schwiegermama Hertha, eine ansonsten sehr kritische Dame, war ganz bezaubert gewesen von Marions schüchternem Lächeln und hatte sie mit offenen Armen in der Familie willkommen geheißen. »Wie ein Engel schaut sie aus«, seufzte eine ältere Dame neben Natalie und tupfte sich gerührt ein Tränchen aus dem Augenwinkel. Natalie hätte fast laut losgelacht. Ihre beste Freundin Marion schaute zwar aus wie ein Engel, doch in Wirklichkeit war sie eine knallharte berechnende kleine Person, die genau wusste, was sie wollte. Diese Hochzeit war von ihr genauestens geplant worden, sogar der Schnitt ihres Brautkleides hatte bereits festgestanden, als der Bräutigam noch gar nichts von seinem Glück ahnte. Glück? O doch, dachte Natalie, denn obwohl ewig abwägend, kalkulierend und bis ins Mark durchtrieben, ist Marion doch ein liebenswertes Wesen, treu wie Gold und von unerschütterlicher Courage. Sie wird ihn glücklich machen, ihren frisch gebackenen Ehemann, der noch immer glaubt, er habe sie überreden müssen, ihn zu heiraten. Von wegen! Kinder, ihr werdet's nicht glauben, aber ich habe ihn gefunden! So war Marion vor einem guten halben Jahr in die Wohnung gekommen, die sie sich mit ihren Freundinnen Natalie und Isabel teilte. Alle drei waren sie Freundinnen seit dem ersten Semester auf der Universität, verstanden sich trotz der verschiedenen Temperamente großartig und wurden von ihren Kommilitonen das »Goldene Kleeblatt« genannt. Kleeblatt war klar, weil sie so treu zusammenhielten, die drei Freundinnen. Das Adjektiv Golden verdankten sie Isabel, vielmehr deren väterlichen Finanzen.

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Fürstenkrone Classic – 74 –

Träumen im Paradiesgarten

Wartet der Märchenprinz auf Natalie?

Nina Nicolai

Lehrerinnen gibt’s wie Sand am Meer, Natalie, gib dich bloß keinen Illusionen hin, uns will niemand, hatte Marion vor einem knappen Vierteljahr zu ihr gesagt und augenzwinkernd hinzugefügt: Sei vernünftig und mach’s wie ich, such dir einen passablen Bräutigam und heirate, mein Schatz, dann bist du aus dem Schneider …

Natalie schmunzelte. Was ihre Freundin Marion sich vornahm, das setzte sie auch durch, da mochte kommen, was wollte.

Sie war eine bezaubernde Braut, die zierliche Marion, die in einer Wolke schneeweißen Tülls über die Galerie zu schweben schien, leichtfüßig, liebreizend lächelnd und so rührend jung.

Alle waren von Marion begeistert, lobten ihre bescheidene Art und ihre Frische. Insbesondere ihre Schwiegermama Hertha, eine ansonsten sehr kritische Dame, war ganz bezaubert gewesen von Marions schüchternem Lächeln und hatte sie mit offenen Armen in der Familie willkommen geheißen.

»Wie ein Engel schaut sie aus«, seufzte eine ältere Dame neben Natalie und tupfte sich gerührt ein Tränchen aus dem Augenwinkel.

Natalie hätte fast laut losgelacht. Ihre beste Freundin Marion schaute zwar aus wie ein Engel, doch in Wirklichkeit war sie eine knallharte berechnende kleine Person, die genau wusste, was sie wollte. Diese Hochzeit war von ihr genauestens geplant worden, sogar der Schnitt ihres Brautkleides hatte bereits festgestanden, als der Bräutigam noch gar nichts von seinem Glück ahnte.

Glück? O doch, dachte Natalie, denn obwohl ewig abwägend, kalkulierend und bis ins Mark durchtrieben, ist Marion doch ein liebenswertes Wesen, treu wie Gold und von unerschütterlicher Courage.

Sie wird ihn glücklich machen, ihren frisch gebackenen Ehemann, der noch immer glaubt, er habe sie überreden müssen, ihn zu heiraten. Von wegen!

Kinder, ihr werdet’s nicht glauben, aber ich habe ihn gefunden! So war Marion vor einem guten halben Jahr in die Wohnung gekommen, die sie sich mit ihren Freundinnen Natalie und Isabel teilte. Alle drei waren sie Freundinnen seit dem ersten Semester auf der Universität, verstanden sich trotz der verschiedenen Temperamente großartig und wurden von ihren Kommilitonen das »Goldene Kleeblatt« genannt.

Kleeblatt war klar, weil sie so treu zusammenhielten, die drei Freundinnen. Das Adjektiv Golden verdankten sie Isabel, vielmehr deren väterlichen Finanzen. Isabels Papa machte in Stahl, das sicherte ihr einen üppigen monatlichen Scheck und erstickte nachhaltig jedweden Anflug von Ehrgeiz. Wer einmal so viel Geld erben würde wie Isabel, der strengte sich nicht an.

Trotzdem hatte sie ihr Staatsexamen zusammen mit den Freundinnen gemacht. Und zwar gar nicht mal so übel. Was die bildschöne, aber leider unglaublich träge Isabel ihren Wohnungsgenossinnen verdankte. Natalie und Marion hatten die Freundin praktisch durchs Staatsexamen gezogen. Trotz düsterer Prognosen der Professoren hatte Isabel ihren Magister gemacht – und es selbst kaum glauben können. Eine mitreißende Feier war gefolgt.

Die drei Freundinnen waren selig gewesen, rein aus dem Häuschen vor Freude.

Die Ernüchterung war auf dem Fuße gefolgt. Nach den Tagen der Freude waren die Wochen der Sorgen gekommen. Vergeblich hatten sich die drei Freundinnen bemüht, in den Schuldienst übernommen zu werden. Es war hoffnungslos bei der derzeitigen Lehrerschwemme.

Marion hatte als Erste das Handtuch geworfen. Statt Lehrerin wollte sie jetzt Ehefrau werden. Und Mutter natürlich.

»Aufgepasst!«, rief die Braut und beugte sich übermütig lachend über das aufwändig geschnitzte Geländer der Galerie, die um das gesamte obere Stockwerk lief. »Wer ist die nächste Braut?«

Sie schwenkte ihren Brautstrauß über der Menge der Hochzeitsgäste hin und her, machte es ordentlich spannend. Ihr Ehemann stand neben ihr und betrachtete seine lebhafte junge Frau mit Wohlgefallen. Kein Zweifel, er beglückwünschte sich insgeheim zu seiner Wahl, seine stolze Miene verriet es …

Isabel stand direkt neben Natalie.

Ihre schwarzen Augen glänzten spöttisch. »Sie zieht mal wieder eine richtige Show ab«, murmelte sie mit sachtem Kopfschütteln. »Und alle sind sie begeistert von ihr, schau dir nur mal die Gesichter an! Wie macht Marion das nur – sie schaut aus wie ein Teenager und ist doch gerissen wie ein Fuchs.«

»Sie ist einfach unglaublich«, sagte Natalie bewundernd. »Sie hat sich immerhin die beste Partie weit und breit geangelt.«

»Marion und ihr Goldfisch«, flüsterte Isabel und lachte.

Die bezaubernde Braut in ihrem selbst entworfenen Brautkleid aus zwanzig Metern Seidensatin und zweihundert Metern Tüll holte aus, fixierte ihre beiden Freundinnen – und schleuderte den Brautstrauß in hohem Bogen und bemerkenswert sportlich über die Menge der festlich gekleideten Hochzeitsgäste.

Viele Hände reckten sich vergeblich nach dem duftenden, apart zusammengestellten Wurfgeschoss. Man sah nicht wenige enttäuschte Mädchengesichter, hörte manch bedauernden Seufzer.

Der Brautstrauß flog zielsicher in Natalies Richtung.

»Achtung!«, zischte Isabel und stieß ihr den kräftigen Ellenbogen, der in veilchenfarbener Seide steckte, in die Seite. »Los, fang, Natalie, es bedeutet Unglück, wenn das Ding zu Boden fällt.«

Natalie streckte automatisch die Hände aus – und fing den Brautstrauß geschickt auf, schaute ihn verdutzt an.

»Bravo!«, jubilierte die bezaubernde Braut und klatschte in die weiß behandschuhten Hände. »Du bist die nächste Braut, Natalie!«

Natalie lächelte und kam sich ziemlich albern vor. Die nächste Braut sollte sie sein? Und wo, bitte schön, war der Bräutigam?

*

»Sie wird uns fehlen«, murmelte Isabel am folgenden Morgen, als sie mit Natalie frühstückte. »Irgendwie komme ich mir ohne Marion so verlassen vor, geht’s dir nicht auch so?«

Natalie nickte und wischte sich mit der Rechten eine Strähne ihres festen kastanienbraunen Haares aus dem Gesicht. Vergeblich, es fiel sofort wieder zurück, dieses widerspenstige Haar, das sich um keinen Preis der Welt adrett frisieren ließ.

Da hatte sich die Natur einen Scherz erlaubt, denn Natalie Golling war ansonsten eine bemerkenswert freundliche junge Dame, die ungern aneckte oder aufmuckte. Und die Neigung zur Rebellion war bei ihr wenig ausgeprägt. Sie liebte die Harmonie, diese sanftmütige Natalie Golling, sie war nachgiebig und geduldig und konnte wundervoll mit Kindern umgehen.

Deshalb war sie auch Lehrerin geworden. Weil sie am liebsten mit Kindern arbeitete und sich nichts Schöneres vorstellen konnte, als kleinen Menschen etwas beizubringen, sie dahingehend zu fördern, dass dermaleinst lebenstüchtige zufriedene Erwachsene aus ihnen wurden.

Den Kindern galt ihre Liebe und Fürsorge, nur leider fand sie keine entsprechende Position, die ihr gestattete, ihre vorzügliche Begabung unter Beweis zu stellen.

Alle möglichen Jobs wurden ihr angeboten, Natalie hätte sofort als Sekretärin oder Sachbearbeiterin anfangen können, auch die sicherlich interessante Tätigkeit einer Immobilienmaklerin war ihr kürzlich angeboten worden, doch die junge Dame mit den feinen Gesichtszügen und den gescheiten, in die Tiefe schauenden grau-blauen Augen hatte immer abgelehnt, höflich, aber bestimmt.

Natalie, deren starke Persönlichkeit sich erst auf den dritten Blick offenbarte, dachte nicht daran, sich von ihrem geraden Weg abbringen zu lassen. Sie wollte Lehrerin sein, sonst nichts.

Isabels Zukunft war mehr als gesichert, deshalb bemühte sie sich auch nicht um eine Anstellung. Sie würde in den nächsten Tagen heimfahren und sich in der väterlichen Villa von den Strapazen ihres Studiums ausführlich ausruhen. Es würde sich eine Weltreise anschließen, die Isabel von ihrem erfolgreichen Papa zum Staatsexamen geschenkt bekommen hatte.

Während Natalie zur Wohnungstür lief, blätterte Isabel mit gelangweilter Miene in der Morgenzeitung. Wirklich interessant fand sie nur den Gesellschaftsteil mit seinen ausführlichen Berichten von Amouretten und Techtelmechteln der High Society.

Natalie kehrte mit einem Packen Briefe und einer enttäuschten Miene zurück. »Alles nur Absagen«, murmelte sie bedrückt.

Rasch schlug Isabel die Zeitung zusammen. Sie wusste, wie sehr Natalie diese Klatsch & Tratsch-Artikelchen verabscheute. Isabel seufzte dezent. Einerseits bewunderte sie die Freundin ja, weil stets so ernsthaft und diszipliniert, so unglaublich unbeirrbar. Andererseits war Natalie so fürchterlich anstrengend, fügte ihrem ohnehin schon zentnerschweren schlechten Gewissen täglich ein Pfündchen hinzu, weil sie ständig von so schrecklichen Dingen wie Lebensaufgaben, Pflichten und Selbstlosigkeit sprach.

»Nimm’s doch nicht so schwer, Natalie«, versuchte Isabel die Freundin zu trösten, die mit kummervoller Miene am Fenster stand und in den sonnenüberglänzten Park mit seinem frischen Frühlingsgrün sah, ihn vielmehr übersah. Natalies Blick ging nämlich ins Leere, schaute in weite unerreichbare Fernen.

Ungewohnt weich und träumerisch war ihre Miene jetzt.

»Sag mal, woran denkst du gerade?«, fragte Isabel spontan. »Du schaust nämlich aus, als wälztest du sehr liebliche Gedanken.«

Natalie wandte sich um, dann lächelte sie ihre Freundin einen Moment lang verständnislos an, dann lächelte sie ihr feines ernstes Lächeln.

»An was ich gedacht habe? Du wirst lachen, Isabel, ich habe an ein bestimmtes Ereignis in meiner Kindheit gedacht. Immer wenn ich diese bunten Frühlingsblumen sehe, kommt die Erinnerung zurück.«

»Es scheint sich um eine angenehme Erinnerung zu handeln.«

»Ja und nein«, erwiderte Natalie zögernd mit einem Hauch von Wehmut in der Stimme. »Seltsam, dass mir diese Geschichte ausgerechnet heute wieder einfiel. Jahrelang habe ich nicht daran gedacht … Vielleicht hängt es auch mit der Hochzeit zusammen. Hochzeiten stimmen einen immer so … gefühlvoll, nicht wahr?«

»Wem sagst du das?«, antwortete Isabel. »Als Marion die Kirche betrat, am Arm ihres Vaters und in ihrem tollen Brautkleid, schossen mir die Tränen in die Augen. Ich war heilfroh, dass ich die wasserfeste Wimperntusche genommen hatte.« Ihr Blick fiel zufällig auf die zusammengefaltete Zeitung. »Momentchen mal …«

»Warum, Isabel?«

»Weil ich da etwas sehr Interessantes entdeckt habe. Eine ungewöhnliche Anzeige, wie maßgeschneidert für eine gewisse junge Dame, die dringend einen Job sucht … Hier sucht eine Dame eine verantwortungsbewusste junge Pädagogin, die ein zwölfjähriges Mädchen, das aufgrund schwerer Krankheit ein halbes Jahr Schule versäumte, während der Sommermonate pädagogisch betreuen soll. Na, wäre das nicht etwas für dich, Natalie?«

Sie reichte der überraschten Freundin die Zeitung.

»Klingt verlockend, sehr vielversprechend«, murmelte Natalie und überflog mit wachsendem Interesse den Text der Anzeige. »Genau das, was ich brauche. Du, Isabel, wenn ich den Job tatsächlich bekommen sollte, bleibt mir eine Menge Sorgen erspart. Ich muss mir keine neue Wohnung suchen und kann in aller Ruhe während der Sommermonate nach einem Anschlussjob Ausschau halten.«

Isabel lachte zufrieden. Na bitte, Natalie hatte angebissen, wie man an ihren glänzenden Augen sehen konnte.

Die wehmütige Stimmung war wie fortgeblasen.

»Du, ich glaube, ich setze mich gleich hin und bewerbe mich«, murmelte Natalie und wischte sich wieder ihr widerspenstiges Haar aus dem Gesicht. »Was meinst du denn, Isabel?«

»Tja, an deiner Stelle würde ich nicht lange zögern, Natalie. Diese Frau von Scharnhoff offeriert ein märchenhaftes Gehalt.«

»Tut sie das? Ach, das ist mir noch gar nicht aufgefallen«, bemerkte Natalie achselzuckend. »Aber das Gehalt, wie märchenhaft auch immer, interessiert mich eigentlich erst in zweiter Linie.«

»Typisch du, Natalie«, lachte Isabel. »Nimm dir mal ein Beispiel an unserer Freundin Marion. Die hat sich, weil sie wirtschaftlicher als du dachte, in ein wunderschönes weiches Nest gesetzt. Marion braucht sich bestimmt keine Sorgen mehr um ihre Zukunft zu machen.«

»Ich bin nicht Marion, Isabel«, entgegnete Natalie wieder, diesmal vielleicht eine Spur schärfer als zu Beginn des Gesprächs. »Mich interessiert vorrangig das Schicksal dieses bedauernswerten kleinen Mädchens, das offenbar monatelang krank war. Das ist ja schon für Erwachsene eine Zumutung, für Kinder muss es die absolute Katastrophe sein.«

»Wie alt ist dein Schützling, steht das in der Anzeige?«

»Zwölf Jahre alt … Ich war dreizehn, als ich meinen Vater verlor, und werde nie vergessen, was ich damals fühlte. Man ist in diesem Alter sehr empfindlich. In meinem Fall kam erschwerend hinzu, dass sich zuvor dieses Drama ereignete …«

Isabel starrte die Freundin eindringlich an. Da war er wieder, dieser bekümmerte, fast verzweifelte Ausdruck in Natalies Augen, der immer dort auftauchte, erwähnte sie ihre Kinderjahre.

»Welches Drama?«, fragte Isabel, absichtlich leise, um endlich einmal zu erfahren, was Natalie eigentlich bedrückte.

Natalie erwachte jäh aus ihrer nachdenklichen Haltung. Sie richtete sich auf, straffte sich und lächelte Isabel zu. Mit dem üblichen freundlichen, aber verschlossenen Gesicht.

»Ach, nichts«, meinte sie ausweichend. »Man sollte nicht zu viel an Vergangenes denken. Was vorbei ist, ist vorbei und vergessen, nicht wahr?« Sie erhob sich und stellte das Frühstücksgeschirr zusammen. »Schau mich nicht so bang an, Isabel, es ist alles in feinster Ordnung. Ich habe wegen dieser Anzeige sogar ein ganz tolles Gefühl, so als hätte ich das Große Los gezogen.«

»Na bitte«, meinte Isabel aufseufzend, »dann bleibt mir ja nichts anderes übrig, als dir beide Daumen zu drücken.« Sie zwinkerte der Freundin anzüglich zu. »Vielleicht bezieht sich dein tolles Gefühl ja auf etwas ganz anderes, mein Schatz.«

»So?«

»Hm. Vielleicht begegnet dir ja in der neuen Umgebung so ganz en passant der Mann deines Lebens. Du darfst nicht vergessen, dass du gestern Marions Brautstrauß aufgefangen hast, Natalie.«

Da lachte Natalie schallend und rief: »Du bist unmöglich, Isabel! Trotzdem kann ich dir nicht böse sein, denn du hast ja diese interessante Anzeige entdeckt.«

»Genau. Du verdankst mir also dein Glück. Ich denke, ich überlege jetzt schon mal, welches Kleid ich zu deiner Hochzeit anziehen könnte. Denn bei Mädchen wie dir, die behaupten, noch lange nicht heiraten zu wollen, geht’s dann immer holterdiepolter!«

*

»Die Krankheit unserer kleinen Miriam hat uns alle sehr verändert«, erzählte Frau Beate von Scharnhoff mit so leiser Stimme, dass Natalie mächtig aufpassen musste, um alles zu verstehen.

Sie saßen im Erker des großen Salons und tranken Kaffee. Den achteckigen Tisch aus hellem Obstbaumholz bedeckte eine zierlich bestickte Hohlsaumdecke. Den Kaffee trank man aus altem Meißner Porzellan, das Gebäck in der silbernen Schale war hausgebacken und schmeckte vorzüglich.

Beate von Scharnhoff, die Mutter der zwölfjährigen Miriam, war eine zierliche, schmächtige, kaum mittelgroße Frau, deren feine Gesichtszüge deutlich verrieten, was sie in den vergangenen Monaten durchmachte.

Es musste bisweilen an die Grenze des Erträglichen gegangen sein, denn noch jetzt, wenn sie über Miriams schwere Erkrankung sprach, zitterten ihr die Hände, und die Stimme versagte häufig.

»Mein Mann und ich, Fräulein Golling«, wandte sich Beate von Scharnhoff wieder an Natalie, »haben viel durchgemacht, vor allem Verzweiflung und Angst. Manchmal hatten wir das Gefühl, den Schmerz nicht mehr ertragen zu können. Wir haben miteinander geweint und uns fassungslos gefragt, warum gerade uns das passieren musste.«

Miriam von Scharnhoff war vor zwei Jahren an Leukämie erkrankt. Leukämie war, wie Beate von Scharnhoff der erschütterten Natalie erklärte, bei Kindern eine an sich seltene Erkrankung.

»Ich will gleich zu Ihrer Beruhigung vorausschicken, Fräulein Golling, dass Leukämie weder ansteckend noch erblich ist, wie etwa die Masern oder eine ähnliche Infektionskrankheit. Die Ärzte diskutieren derzeit die Möglichkeit der Auslösung durch Viren, doch noch ist nichts bewiesen oder widerlegt. Fest steht einzig, dass die Eltern in keiner Weise für diese Krankheit verantwortlich zu machen sind.«

Natalie nickte mit mitfühlender Miene und wünschte sich, sie könnte dieser verhärmten Frau etwas Tröstliches sagen. Doch sie war so betroffen, dass sie kein Wort hervorbrachte.

Sie starrte Beate von Scharnhoff, die das schwarze glatte Haar in der Mitte gescheitelt und im Nacken zu einem schweren Knoten geschlungen trug, fassungslos an.

»Im Kindesalter ist diese furchtbare Krankheit heutzutage allerdings heilbar. Diese erfreuliche Tatsache hat meinem Mann und mir die nötige Kraft zum Hoffen gegeben. Trotz mancher Rückschläge und Enttäuschungen wussten wir immer, dass unsere arme kleine Miri eine gute Chance hat, die Erkrankung zu überleben.«

»Sofern sie richtig behandelt wird, nicht wahr?«