Unser Glück kann jetzt beginnen - Nina Nicolai - E-Book

Unser Glück kann jetzt beginnen E-Book

Nina Nicolai

5,0

Beschreibung

Große Schriftstellerinnen wie Patricia Vandenberg, Gisela Reutling, Isabell Rohde, Susanne Svanberg und viele mehr erzählen in ergreifenden Romanen von rührenden Kinderschicksalen, von Mutterliebe und der Sehnsucht nach unbeschwertem Kinderglück, von sinnvollen Werten, die das Verhältnis zwischen den Generationen, den Charakter der Familie prägen und gefühlvoll gestalten. Mami ist als Familienroman-Reihe erfolgreich wie keine andere! Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt! Gegen Frauen hatte er nichts, überhaupt nichts. Frauen vermochten Langeweile zu vermindern, Freuden zu verdoppeln und Ausgaben zu verdreifachen. Eine ganze Menge also. Und er kam blendend mit ihnen aus. Vorausgesetzt allerdings, sie waren jung, hübsch und amüsant. Aber Frauen, die ihn warten ließen, in diesem unerfreulichen Fall zweifellos absichtlich, sozusagen als pädagogische Maßnahme, also solche lebensgefährlichen Frauen fielen bei ihm gnadenlos durchs Raster. Für immer und ewig. Weil es eine Frechheit war, ihn seiner kostbaren Zeit zu berauben. Was bildete sich diese selbstherrliche Person eigentlich ein!? Dr. Paul Tarnow hielt sich für einen ausgezeichneten Menschenkenner mit einer minimalen Fehlerquote. Weshalb er sich Davids dauernervende Klassenlehrerin hässlich vorstellte, reizlos und von der Art, um die Männer, insbesondere welterfahrene Männer wie er, instinktiv einen großen Bogen zu machen pflegten. Ein weiterer ungehaltener Blick auf das Zifferblatt seiner noblen Armbanduhr steigerte – so dies überhaupt möglich war – seinen Zorn auf Frau Mahler. Die sich unfairerweise auf seinen armen Neffen fokussierte, um an ihm ihre Launen auszulassen. Okay, ihm war bewusst, dass er nicht als personifizierte Langmut bezeichnet werden konnte. Im Magazin einer bekannten Tageszeitung hatte er die Frage nach seinem größten Fehler denn auch schwungvoll mit Ausrufezeichen beantwortet: »Zu wenig Geduld!« In seinen Kreisen galt männliche Ungeduld als lässlich. Andererseits hatte sich sein Internist kürzlich beim jährlichen Durchchecken alles andere als beiläufig erkundigt, ob er demnächst einen Urlaub plane. »Urlaub? Ich weiß nicht mal mehr, wie man das schreibt, Tom.«

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Mami Bestseller – 11–

Unser Glück kann jetzt beginnen

Du musst nur noch Ja sagen

Nina Nicolai

Gegen Frauen hatte er nichts, überhaupt nichts. Frauen vermochten Langeweile zu vermindern, Freuden zu verdoppeln und Ausgaben zu verdreifachen. Eine ganze Menge also.

Und er kam blendend mit ihnen aus. Vorausgesetzt allerdings, sie waren jung, hübsch und amüsant.

Aber Frauen, die ihn warten ließen, in diesem unerfreulichen Fall zweifellos absichtlich, sozusagen als pädagogische Maßnahme, also solche lebensgefährlichen Frauen fielen bei ihm gnadenlos durchs Raster. Für immer und ewig. Weil es eine Frechheit war, ihn seiner kostbaren Zeit zu berauben.

Was bildete sich diese selbstherrliche Person eigentlich ein!?

Dr. Paul Tarnow hielt sich für einen ausgezeichneten Menschenkenner mit einer minimalen Fehlerquote. Weshalb er sich Davids dauernervende Klassenlehrerin hässlich vorstellte, reizlos und von der Art, um die Männer, insbesondere welterfahrene Männer wie er, instinktiv einen großen Bogen zu machen pflegten.

Ein weiterer ungehaltener Blick auf das Zifferblatt seiner noblen Armbanduhr steigerte – so dies überhaupt möglich war – seinen Zorn auf Frau Mahler. Die sich unfairerweise auf seinen armen Neffen fokussierte, um an ihm ihre Launen auszulassen.

Okay, ihm war bewusst, dass er nicht als personifizierte Langmut bezeichnet werden konnte. Im Magazin einer bekannten Tageszeitung hatte er die Frage nach seinem größten Fehler denn auch schwungvoll mit Ausrufezeichen beantwortet: »Zu wenig Geduld!«

In seinen Kreisen galt männliche Ungeduld als lässlich.

Andererseits hatte sich sein Internist kürzlich beim jährlichen Durchchecken alles andere als beiläufig erkundigt, ob er demnächst einen Urlaub plane.

»Urlaub? Ich weiß nicht mal mehr, wie man das schreibt, Tom.«

Sein alter Schulfreund hatte weiterhin besorgt auf den Ausdruck des EKGs geschaut. »Du hältst dich für unverzichtbar?«

Ich bin unverzichtbar, hatte Paul gedacht. Nicht etwa humorvoll. »Bin ich ein Kandidat für den gefürchteten Burn Out? Dann verschreib mir etwas. Ich muss unbedingt fit bleiben.«

»Ich denk nicht daran, deine kriminell ungesunde Lebensweise auch noch zu unterstützen!« Tom hatte ihm einen warnenden Blick über die Brille zugeworfen. »Das verbietet mir mein Eid.«

»Und ich habe dich damals abschreiben lassen!«

»Paul, du bist am Limit. In jeder Beziehung, fürchte ich. Komm wieder runter und denk über eine vernünftige Ernährung nach. Und du musst wesentlich ruhiger werden. Mehr Bewegung, mein Freund.«

»Ohne mich hättest du das Abi nie geschafft. Und jetzt traust du dich, mir alberne Vorschriften zu machen? Ist das dein Dank?«

Tom lachte trocken und ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

»Sag mal, Paul, joggst du? Regelmäßig?«

»Sport und Turnen füllen Gräber und Urnen.«

»Okay. Anne und du, seid ihr inzwischen verheiratet?«

Paul hatte sich das weiße Hemd zugeknöpft. Seine Finger waren indes so fahrig, dass er lange dazu brauchte. »Wir sind nicht mehr zusammen. Sie lebt wieder bei ihrer Schwester in Cannes.«

»Schade. Sie war so charmant. Und sie hat dir gutgetan.«

Anne St. Simon hatte sich in ihrem Abschiedsbrief bitter darüber beklagt, von ihm nicht mehr wahrgenommen zu werden. »Du bist mit deiner Arbeit verheiratet, Paul, mich brauchst du nicht. Pass gut auf dich auf, damit du nicht eines Tages bereuen musst, auf die Liebe verzichtet zu haben …«

Dr. Paul Tarnow hasste es, fremdbestimmt zu werden. Prompt überrollte ihn eine neue gigantische Welle, ein wahrer Kaventsmann dumpfen Grolls und schnürte ihm die Luft ab. »Verdammt!«, fluchte er und rannte zum nächsten Fenster, um es aufzureißen.

Der Fensterflügel klemmte. Auch das nächste Fenster ließ sich nicht öffnen. Der attraktive Mittdreißiger sah sich grimmig im Klassenzimmer um. Wieso musste Schule immer so beklemmend ungelüftet riechen? Achteten die Lehrer nicht auf frische Luft?

Er schnaubte so abschätzig, dass man wahrzunehmen meinte, wie ihm eine Stichflamme aus den Nasenlöchern schoss.

Seine Schwester hatte durchaus nicht mit Respekt von der Klassenlehrerin ihres Sohns gesprochen, eher mit ungeschminkter Verachtung. Im gestrigen Gespräch war ausschließlich von einer Hexe namens Mahler die Rede gewesen. »Hexe Mahler will David fertigmachen, Paul«, hatte Sophie behauptet. »Und sie wird ihr Ziel erreichen, wenn sie nicht endlich gestoppt wird. Sieh dir den armen Jungen an, mein Lieber, er ist schon total eingeschüchtert.«

David und eingeschüchtert? War das nicht ein Widerspruch in sich? Paul fuhr sich nervös durchs volle dunkle Haar, während er sich an das Gespräch mit seiner Schwester erinnerte.

Sophie führte sich immer so intensiv auf – oder anstrengend? –, dass er sich spontan verpflichtet fühlte, ihr beizustehen.

»So ein Gespräch kostet Zeit, Sophie. Und Zeit …«

»Paul, diese Frau ist manisch. Und sie hat’s auf David abgesehen, weil wir alles verkörpern, was sie nie erreichen wird. Weil sie’s nicht kann«, hatte Sophie erklärt, erregt vor ihm hin und her rennend. Ihre atemberaubenden High Heels hatten auf dem Steinboden ein fürchterliches Geräusch verursacht, das sich ihm irgendwie in die innersten Gehirnwindungen schraubte.

»Was kann sie nicht?« Hinter seiner Stirn hatte es wüst gepocht. Als würde ein Schmied auf seinen Amboss einschlagen.

»Hexe Mahler ist grün vor Neid aufs Establishment, Paul.«

Wann machte der Schmied Feierabend? »Aufs Establishment?«

»Sie weiß, wo wir wohnen. Und wie wir wohnen. Unser Ambiente. Erinnerst du dich an diese Homestory?« Sophie hatte den Namen einer exklusiven Hochglanzzeitschrift erwähnt, und zwar eindeutig genüsslich. »Ich habe da nur Richard zuliebe mitgemacht.«

»Du glaubst, Davids Lehrerin interessieren Homestorys?«

»Hexe Mahler leidet an galoppierender Selbstüberschätzung. Sie bildet sich ein, meinen Sohn beurteilen zu können!«

»Nun, sie ist seine Klassenlehrerin, sie …« Er hatte sich gefragt, was wohl passieren würde, wenn er sie bitten würde, sich hinzusetzen. Damit das Geräusch ihrer Absätze endlich verstummte.

Der Schmied hatte sich Verstärkung geholt. Jetzt hämmerten zwei Wahnsinnige mit unvorstellbarer Wucht gegen seine innere Schädeldecke. Bis die barst, war’s nur eine Frage der Zeit.

»Natürlich stört es sie, dass sie nur eine unbedeutende Lehrerin ist und immer bleiben wird, während ich mir so ziemlich alle Wünsche erfüllen kann. Mir steht die Welt offen, sie muss kleine Rotznasen putzen.« Sophie hatte ihren Siegelring mit dem mütterlichen Familienwappen, den sie am kleinen Finger der linken Hand trug, unentwegt gedreht. Wie immer, wenn sie nervös war.

Schaute man hin, riskierte man, seekrank zu werden.

»Du bist Davids Patenonkel, Paul, du musst ihm helfen!«

Paul hatte seine Schläfen massiert. »Wird seine Lehrerin nicht darauf bestehen, mit Davids Vater zu reden?«

»Richard ist in New York, wie du genau weißt.«

»Wollte er nicht am letzten Wochenende heimkommen?«

»Paul, wir können ihm nicht zumuten, wegen einer durchgeknallten Lehrerin wichtige Termine zu vernachlässigen.« Sophie war weiß vor Zorn gewesen. »Sie ist eine Hexe, und zwar eine von der besonders fiesen Sorte. David kann einem leidtun …«

Schluss! Paul warf einen allerletzten, wutschnaubenden Blick auf die bunten Kinderzeichnungen ringsum an den Wänden, dann verließ er kurzentschlossen das Klassenzimmer. Die Tür fiel hinter ihm krachend ins Schloss, selbstverständlich nicht zufällig.

Das Echo des gewaltigen Lärms empfand er als balsamisch.

Die Wartezeit im leeren Klassenzimmer hatte ihn ausgelaugt, jetzt durchmaß er den glänzend gebohnerten Schulflur mit langen gereizten Schritten und dem vertrauten Bedürfnis, jeden anzufahren, der das Pech hatte, ihm über den Weg zu laufen.

Sein Herz pochte unheilvoll beschleunigt. Toms Warnungen hinsichtlich eines Herzkaspers bedrängten ihn machtvoll.

Eine Frechheit, ihn, den viel beschäftigten Businessmann, den erfolgreichen Unternehmer, warten zu lassen. Eine halbe Stunde!

Ein durchdringendes Klingelgeräusch gellte durchs Schulgebäude. Im nächsten Augenblick flogen Türen auf. Krachend. Kinder quollen aus den Klassen und wälzten sich in Richtung Treppenhaus, trampelten wie in Panik flüchtende Büffelherden in Richtung Pausenhof. Es wurde laut, richtig laut, ohrenbetäubend laut.

Der schlanke hochgewachsene Mittdreißiger schaffte es, sich mit einem kühnen Spurt durch die weit geöffnete Eingangstür in Sicherheit zu bringen. Nichts wie weg von diesem verfluchten Ort.

Vor der Eingangstür prallte er unverhofft gegen etwas Weiches, das zum Glück nicht nachgab, sondern standhielt. Und ihn vor einer weiteren Demütigung bewahrte: Nämlich lang hinzuschlagen.

Wunderbar aufrecht blieb sie stehen, die schmale junge Frau mit den leuchtenden, ungewöhnlich großen braunen Augen und der klugen Stirn. Das Sonnenlicht verwandelte ihre schulterlangen rotblonden Haare in eine schimmernde Aureole.

Fasziniert starrte Paul Tarnow sie an, als wäre sie eine Erscheinung aus einer anderen, besseren Welt. Irritiert überlegte er, was eine Frau wie sie, mit einem beneidenswert zarten, durchscheinenden Teint und einer unwiderstehlichen, sogar erotischen Ausstrahlung, wie man sie eher nicht in einer Schule vermutete, wohl bewogen haben mochte, dieses Gebäude aufzusuchen.

Ihn durchströmte das Bedürfnis, sie zu warnen, zu beschützen. Denn er vermutete in ihr eine junge Mutter, die auch von Hexe Mahler zur Hinrichtung, äh, in die Schule bestellt worden war.

»Dr. Paul Tarnow?« Sie richtete die Frage mit weicher, melodischer Stimme an ihn, die spontan für sie einnahm.

Verwundert nickte er zustimmend. Wieso kannte sie ihn?

Auf den ersten Blick hatte er begriffen, einer Schönheit begegnet zu sein, die echte Anmut und heitere Gelassenheit in sich vereinte. War sie wirklich ein irdisches Wesen?

»Ich bin Flora Mahler«, stellte sie sich mit einem Lächeln vor, das den Südpol zum Schmerzen gebracht hätte, und streckte ihm unbefangen ihre rechte Hand entgegen. »Guten Tag.«

Wie bitte? Paul hatte die unverhoffte Begegnung nicht nur die Sprache verschlagen, er war überdies außerstande, ihre Hand zu ergreifen. Sein Herz führte sich völlig idiotisch auf.

»Ich bin Davids Klassenlehrerin«, setzte sie hinzu.

*

Er glaubte es nicht: Diese megasüße, feingliedrige Frau im schlicht geschnittenen, durchgeknöpften Kleid aus leichtem lichtblauem Stoff, mit dem der warme Wind spielte, diese entzückende Frau, die eben noch dafür sorgte, dass sich seine Fantasie übermütig und leider nicht durchweg jugendfrei überschlug, sie war die von seiner Schwester angekündigte abscheuliche Hexe Mahler, der ultimative Schrecken der Schule?

Sie zog ihre Hand zurück. An der Art, wie sich ihre liebenswürdige Miene verschloss, war zu erkennen, dass sie sich von seiner Weigerung, ihre Hand zu ergreifen, brüskiert fühlte.

Über das Display ihrer hohen klaren Stirn lief in Neonschrift die niederschmetternde Botschaft, dass sie ihn mitsamt seinen Statussymbolen, vom maßgeschneiderten, selbstverständlich perfekt sitzenden hechtgrauen Anzug bis hinunter zu den handgenähten Budapester Schuhen für einen arroganten Schnösel hielt.

Normalerweise wäre die Beziehung an dieser Stelle frostklar beendet worden, und zwar von ihm.

Aber er, der sich bislang für einen souveränen Zeitgenossen hielt, insbesondere Frauen gegenüber, war skandalöserweise noch immer nicht in der Lage, auch nur ein Wort hervorzubringen – geschweige denn etwas Geistreiches.

»Wir waren verabredet«, stellte sie fest, deutlich distanzierter. Irgendwie meinte man, den Knall hören zu können, den die herunterfallende Zugbrücke auslöste.

»Jawohl, waren wir. Im Klassenraum!«, hörte er sich zu seinem Entsetzen so grimmig bestätigen, wie er sich vornahm. »Ich war dort. Eine halbe Stunde lang. Dreißig Minuten. Eigentlich sollte ich Ihnen die nutzlos vergeudete Zeit in Rechnung stellen.«

Seltsamerweise empfand er nicht die erhoffte Genugtuung. Stattdessen ärgerte er sich über seine fehlende Elastizität. Herrgott, ihr gegenüber, die eine unbegreifliche Anziehungskraft auf ihn ausübte, müsste er doch einen ganz anderen Ton anschlagen!

»Wir waren im Konferenzraum verabredet«, korrigierte sie, inzwischen mächtig unterkühlt. »Und zwar vor einer Stunde. Sie, Herr Dr. Tarnow, haben mich warten lassen, fürchte ich.«

Sie wagte es, ihm zu widersprechen? Das hatte er lange nicht mehr erlebt. Verblüfft starrte er sie an.

Sollte er sie fragen, ob ihr klar war, wen sie vor sich hatte?

Flora Mahler strahlte Intelligenz und körperliche Fitness aus, eine Kombination, die seinem alten Schulfreund, dem Internisten Tom, mit Sicherheit sehr gefallen hätte. Sie trank bestimmt keinen Tropfen Alkohol, rauchte nicht und liebte kernige Radtouren.

Alles in allem war sie sein exaktes Gegenteil. Paul beschloss, sie nicht mehr reizend zu finden. Er konzentrierte sich auf seine Mission, nämlich Sophies Aufforderung, Hexe Mahler den Marsch zu blasen, und zwar gehörig. So wie sie es verdiente.

»Was nun David betrifft, Frau Mahler …«

»Kann es sein, dass Davids Mutter Sie geschickt hat? Sozusagen als Verstärkung? Wieso meint sie, das nötig zu haben?«

Paul meinte, ein spöttisches Funkeln in der Tiefe ihrer braunen Augen wahrzunehmen. Atemlos fragte er sich, ob es ihr zuzutrauen war, dass sie sich über ihn lustig machte.

Und wieso verspürte er mehr Verunsicherung als Empörung?

Zum Zwecke der Rückgewinnung verlorenen Terrains schlug er vor, die Unterhaltung an einem ruhigeren Ort fortzusetzen.

Die Abfuhr kam postwendend. »Ich habe die Pausenaufsicht«, teilte sie ihm mit und wirkte dabei besonders unzugänglich.

Ihre Distanziertheit ärgerte ihn. Sie schien weder seinen akademischen Titel noch sein gutes Aussehen zur Kenntnis zu nehmen.

Das war ihm lange nicht passiert. Also wenn sie eine normale junge Frau gewesen wäre, hätte sie sich längst in ihn verknallt.

Bei Flora Mahler ließ sich nicht das geringste Interesse an ihm erahnen. War sie immun gegen seinen Charme? Wie irritierend.

»Frau Mahler«, sagte er gallig, »meine Schwester ist alles andere als glücklich mit Ihrer Beurteilung, David betreffend.«

Irgendwo hatte er mal gelesen, dass Hexen sich grundsätzlich nicht verlieben konnten. Daran ließen sie sich sogar erkennen.

»Ich habe mehrmals, aber tragischerweise immer vergebens, versucht, Frau Taylor darüber aufzuklären, was meiner Meinung nach die Ursache von Davids Verhaltensstörungen sein könnte.«

Er scannte die auf dem weiten Pausenhof herumtobenden Kinder, um unter ihnen seinen Neffen David zu entdecken. Dass es ihm nicht gelang, trug eindeutig nicht zur Aufhellung seiner Stimmung bei. »Mein Neffe ist ein völlig normaler Junge, von Verhaltensstörungen kann überhaupt keine Rede sein!«

»David ist ein reich talentiertes Kind und für einen knapp Achtjährigen bemerkenswert aufgeweckt.« Sie strich sich das Haar zurück, das der warme Frühlingswind übermütig nach vorn blies.

Wieder fiel ihm ihre Aura des Besonderen auf.

In ihm regte sich eine gewisse Neugier: Wie würde sie wohl reagieren, wenn er sie anflirtete? Seine Spezialität.

Eine Lehrerin war schließlich auch eine Frau. Irgendwie.

Allerdings schien weder der hinlänglich bekannte Name Tarnow sie zu beeindrucken noch die Tatsache, dass er bei seinem beruflichen Engagement die Zeit fand, sich für seinen Neffen einzusetzen. Und von äußerst attraktiven, erfolgreichen Männer ließ sie sich offenbar prinzipiell nicht aus der Ruhe bringen. Schwärmte sie womöglich für blasse, bebrillte Krötenretter?

Sein Interesse schrumpfte. »Ich warte auf das Aber.«

»David ist von allen einsamen Kindern, die ich kenne, das einsamste«, fuhr sie fort, jetzt mit ernster Miene, die sich indes flüchtig aufhellte, als ein kleines Mädchen mit wehenden dunklen Locken vorbeiflitzte und ihr unbefangen zuwinkte. »Hallo, Stella, wie schön, dass es dir wieder besser geht.«

Sie fügte für Paul eine Erklärung hinzu: »Stella hatte Masern, es hatte sie leider ziemlich heftig erwischt.«

Wie, Masern?! Paul fiel dazu überhaupt nichts ein.

Die junge Frau wirkte besorgt. »Wissen Sie zufällig, ob David gegen Masern geimpft ist? Erkundigen Sie sich doch bitte bei seiner Mutter … Vielleicht sollte ich einen Info-Abend veranstalten, denn diese Kinderkrankheit ist alles andere als harmlos.«

Seine Schwester Sophie hätte ihr jetzt bestimmt unterstellt, dass ihr soziales Engagement einzig der Imagepflege diente. Paul hörte sie im Geiste ätzen: Wäre Hexe Mahler wirklich interessiert am Wohl ihrer Schüler, würde sie David anders behandeln.

»David ist im Grunde ein lieber Kerl.« Frau Mahler seufzte. »Doch er kommt selten dazu, sich von seiner liebenswerten Seite zu zeigen. Er gibt uns leider keine Chance, ihn zu mögen, wenn er im Unterricht stört und seine Mitschüler ablenkt und ärgert.«

Er schloss sich der Meinung seiner Schwester an: Frau Mahler übertrieb maßlos. »Ist es nicht normal, wenn Kinder gelegentlich über die Stränge schlagen?«

»Sie sind Davids Onkel und Patenonkel, ist das richtig?«

Während er zustimmend nickte, wappnete er sich innerlich. Frau Mahler hatte so eine insistierende Art, die ihn zunehmend irritierte. Frauen wie sie kannte er nicht. Und er fragte sich, ob es auch außerhalb des Schulbetriebs Frauen dieses Typs gab.

Ihre nächste Frage kam prompt. »Wie oft sehen Sie ihn?«

Und wie lange war es her, dass er sich eingehend mit David befasste hatte? Irgendwie fehlte es ja immer dramatisch an Zeit.

Er fragte gereizt: »Ist Ihnen wirklich noch nie der Gedanke gekommen, Sie könnten sich irren und ihn falsch beurteilen?«

»David führt sich wie ein Rowdy auf, weil er sich nach Aufmerksamkeit sehnt. Das klingt paradox, nicht wahr? Aber so ist es bedauerlicherweise. Finden Sie sein Verhalten nicht beunruhigend? Und er könnte seine Energie so viel vorteilhafter einsetzen!«

»David benimmt sich nicht anders als andere Kinder«, widersprach er ihr nachdrücklich. Oder trotzig? Um ihrer Frage zuvorzukommen, wie viele Kinder er eigentlich kannte, setzte er hastig hinzu: »Und meine Schwester ist eine selten liebevolle Mutter, die alles für ihr Kind tut.«