Rowan - Bewährung als Magier - Aileen O'Grian - E-Book
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Rowan - Bewährung als Magier E-Book

Aileen O'Grian

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Beschreibung

Rowan ist endlich im Sumpfland bei dem berühmten Magiermeister Zwandir, dem Freund seines Großvaters Obermagier Bunduar, angekommen, um seine Ausbildung zu vollenden. Er lernt die sumpfländischen Heilmethoden kennen und vervollständigt seine Fähigkeiten in der Gedankenübertragung und -beeinflussung. Nebenbei übt er sich in ritterlichen Kampftechniken wie dem Schwert- und Lanzenkampf sowie dem Bogenschießen. Den letzten Schliff erhält Rowan auf der heiligen Insel, auf der die Priester des Sumpflandes und des Magierreichs ausgebildet werden. Auch in dem unwegsamen Sumpfland ist Rowan vor den Feinden nicht sicher, denn selbst hier greifen die Echsenkrieger gemeinsam mit den artverwandten Nordmännern die Menschen an. Doch geschickt verteidigen sich die magisch begabten Sumpfländer auf ihre Weise. Während es den Sumpfländern gelingt, die Gefahr abzuwenden und ihre Angreifer in die Flucht zu schlagen, droht dem Magierreich, Rowans Heimat, die völlige Vernichtung.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhaltsverzeichnis

Rowan – Bewährung als Magier

Fantasyroman von Aileen O‘Grian

Aileen O‘Grian

Rowan – Bewährung als Magier

Fantasyroman von Aileen O‘Grian

Impressum

Aileen O‘Grian

c/o Papyrus Autoren-Club,

R.O.M. Logicware GmbH

Pettenkoferstr. 16-18

10247 Berlin

Copyright © 2020 Aileen O’Grian

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Birgit Maria Hoepfner

www.textewerkstatt.de

Bilder: © zef art / Shutterstock.com

Covergestaltung: TomJay - bookcover4everyone / www.tomjay.de

1.

Laute Rufe und rumpelnde Fuhrwerke auf der Straße weckten Rowan. Der salzige Meeresgeruch, der ihn in den letzten Monaten stets begleitet hatte, fehlte. Vorsichtig schlug er seine Augen auf. Obwohl die Sonne schon hoch am Himmel stand und er eigentlich immer bei Sonnenaufgang wach war, brauchte er eine Weile, um sich zu besinnen. Er war tatsächlich endlich beim Obermagier Zwandir im Sumpfland angekommen! Dort, wohin sein Großvater Bunduar, der berühmte Magiermeister des Magierreichs, ihn schon zu Beginn seiner Wanderung vor acht Jahren hingeschickt haben wollte. Doch es war anders gekommen. Der junge Rowan hatte seine Lehrzeit bei anderen Lehrherren beginnen müssen, da er seine Gefährten, den Königssohn Ottgar und Mardok, den Enkel des königlichen Waffenmeisters Peruan, auf Wunsch König Wilhars begleiten sollte. Dann hatte er jedes Mal fliehen müssen, bevor seine Lehre abgeschlossen war und seine Meister ihn weiterschickten. Besonders enttäuschend war aber, dass zwei der von seinem Großvater ausgewählten Magier nicht mehr lebten und ihre Nachfolger nicht halb so viel Wissen wie ihre Vorgänger besaßen. Allzu viel hatte er von diesen nicht lernen können. Dafür hatte er bei einigen begabten Hexen gelernt, denen er unterwegs begegnete, und sich bei Bauern, Fischern, Köhlern und Handwerkern verdingt. Wer konnte schon wissen, wozu das einst gut sein würde.

„Ausgeschlafen?“, fragte Zwandir lächelnd und blickte von seinem Arbeitstisch auf, an dem er mit seinen knotigen Fingern mühsam schrieb. Seine wachen braunen Augen schauten Rowan aus dem faltendurchfurchten Gesicht freundlich an. Schulterlange schneeweiße Haare umrahmten das bartlose Antlitz. Obwohl er klein und hager war, besaß er eine große Ausstrahlungskraft.

„Ich fühle mich zerschlagen und der Raum scheint zu schwanken“, meinte Rowan und rieb sich seinen Arm. Die kaum verheilte Wunde, die ihm ein Echsenkrieger zugefügt hatte, schmerzte noch immer.

„Das ist nicht verwunderlich, du hast anderthalb Tage geschlafen“, erklärte Zwandir.

„Was? So lange?“ Hastig sprang Rowan vom Lager hoch und strich sich seine kinnlangen dunkelblonden Haare aus dem Gesicht.

„Du brauchtest den Schlaf, die letzten Monate waren anstrengend und deine Wunden bereiten dir noch immer Schmerzen. Lass sie mich ansehen“, beruhigte Zwandir ihn und legte seine Schreibfeder zur Seite.

Rowan zog sein Untergewand aus und Zwandir begutachtete die Narben, vorsichtig fuhr er mit den Fingern darüber.

„Du hast Glück gehabt, dass dich der Fischer Bann rechtzeitig gefunden hat und wusste, wie er die Vergiftung durch die Waffen behandeln musste“, meinte er ernst.

„Ich weiß“, erwiderte Rowan. Dann grinste er und versuchte Näheres aus dem Magier herauszubekommen: „Dabei ist Bann nur ein einfacher Fischer, nicht wahr?“

Doch Zwandir ging nicht darauf ein. Er schmunzelte, sagte aber nichts. Stattdessen nahm er eine Schüssel vom Bord an der Wand, füllte Brei aus dem Kessel, der über dem Feuer hing, hinein und stellte sie auf dem Tisch. „Lass es dir schmecken.“

Rowan setzte sich auf die Bank, die an der Wand stand, und löffelte hungrig den süßen Brei.

„Lursbrei, das Getreide gedeiht im Wasser. Die Kinder lieben ihn. Ich zeige dir in den nächsten Tagen, wo es wächst. Heute stelle ich dich erst einmal König Matrin vor.“

Rowan schaute auf sein fadenscheiniges Oberkleid. So sollte er sich dem König zeigen?

„Zuerst badest du, dann behandle ich deine Wunden und schaue, ob ich passende Kleidung für dich finde“, bestimmte Zwandir. Obwohl seine Stimme leise war, klang er sehr befehlsgewohnt.

Rowan nickte zustimmend; Zwandirs Plan entsprach seinen Wünschen.

Nachdem er mit dem Essen fertig war, brachte der alte Magiermeister ihn zum Fluss. In einem Brack, einem durch Überflutung entstandenen See, badeten dicht am Ufer nackte Männer und Frauen. Rowan blieb überrascht hinter seinem Meister stehen. Er hatte noch nie erlebt, dass Menschen so unbekümmert mit ihrer Nacktheit umgegangen waren. Doch als Heiler waren ihm unbekleidete Menschen natürlich nicht fremd. Ihm fiel auf, dass die Badenden alle dunkelhaarig waren und eine olivfarbene Haut besaßen. Als Zwandir ihm Seife reichte, zog er sich aus und stieg ins Wasser. Er wunderte sich über die angenehme Wärme des Sees, da es Winter war. Aber das Wetter insgesamt war angenehm warm, da das Sumpfland erheblich südlicher lag als die Länder, in denen Rowan die letzten Jahre gelebt hatte. Auch auf Burg Wanroe, dem Königssitz des Magierreichs, war es wesentlich kälter gewesen.

Nachdem Rowan ausgiebig gebadet hatte, musste er in seine alte, verschlissene Kleidung schlüpfen.

„Jetzt besorgen wir dir erst einmal ein neues Gewand“, erklärte Zwandir und führte seinen Schützling in die Schneidergasse. Die Wege bestanden aus Holzbohlen und die Häuser standen auf Pfählen. Um die Hütte zu betreten, mussten sie zwei Stufen hochsteigen.

„In der Regenzeit wird Hilschand häufig überschwemmt“, erklärte Zwandir auf Rowans fragenden Blick.

Der Schneider trat von einem großen Tisch, der an der gegenüberliegenden Wand vor zwei Fenstern stand und mit Stoffen bedeckt war, heran.

„Meister Zwandir, seid gegrüßt! Wie kann ich Euch helfen?“, fragte er höflich.

„Mein neuer Schüler benötigt ordentliche Kleidung, habt Ihr etwas Passendes?“

Der Schneider musterte Rowan, dann nickte er. „Ihr habt Glück, der junge Schmied sollte frisch eingekleidet zu einem anderen Meister gehen. Einige Teile habe ich bereits fertiggestellt. Da er aber erst einmal ins Landesinnere gereist ist, habe ich Zeit, neue Sachen für ihn zu nähen. Und Euer Schützling hat eine ähnliche Figur.“ Er eilte durch den Raum, stellte eine Leiter an eine Luke und kletterte auf den offenen Dachboden. Nach einer Weile kam er mit zwei Unterkleidern, zwei Obergewändern, einer Hose und einem Umhang zurück.

„Hervorragend“, lobte Zwandir und Rowan probierte die Kleidung sogleich an. Obwohl er in den letzten Jahren gewachsen und etwas größer als die meisten Sumpfländer war, war sie ihm etwas zu lang, aber der Schneider versprach, sie sofort zu kürzen und mit einem Boten zu schicken.

„Er benötigt erst einmal ein Unterkleid, ein Obergewand und den Umhang, mit dem Rest kannst du dir Zeit lassen“, erklärte Zwandir.

Der Schneider versprach, das Gewünschte noch im Laufe des Tages zu schicken. Anschließend gingen Zwandir und Rowan in die Schuhmachergasse.

„Deine Stiefel sind tadellos, sie werden dir noch lange Zeit gute Dienste leisten. Aber im Sumpfland benötigst du Sandalen und kein Schuhwerk wie im Gebirge.“ Zwandir zwinkerte Rowan zu.

Rowan nickte erleichtert. Die Stiefel waren ihm längst lästig geworden, sie waren hier viel zu warm.

Auch beim Schuster hatten sie Erfolg. Er besaß ein Paar Sandalen, die jemand nicht abgeholt hatte und die er schon seit einiger Zeit verkaufen wollte. Sie waren Rowan etwas zu weit, aber der Schuhmacher kürzte sofort die Riemen. Anschließend schlüpfte Rowan hinein und band sie zu.

Daheim untersuchte der Magier Rowan. Die Wunden waren zwar verheilt, schmerzten aber noch und waren geschwollen, deshalb suchte Zwandir eine Heilsalbe heraus und verteilte sie auf den Narben. Dann kramte der Magier in einer großen Kiste herum, bis er ein altes, aber sauberes und heiles Obergewand fand. „Zieh das erst einmal an, dann zeige ich dir die Stadt.“

Schnell schlüpfte Rowan in das Kleidungsstück und schaute Zwandir erwartungsvoll an. Der lächelte. „Hilschand ist eine große Stadt, viel größer als Wanroes Unterstadt, selbst als eure Hafenstadt Sesstae.“

Rowan nickte bestätigend. Die größten Orte, die er kennengelernt hatte, waren Sesstae und Lindstae in Cajan gewesen. Im Landesinneren seiner Heimat gab es hauptsächlich kleine Dörfer, selbst wenn sie zu den Königsburgen gehörten.

Während sie durch die Gassen wanderten, erklärte Zwandir Rowan alles, was er wissen musste. „Hier ist der Brunnen, aus dem wir unser Trinkwasser holen. Das Brack taugt nur zum Baden, es ist selbst im Winter angenehm warm, das hast du ja bereits am eigenen Leib erfahren. Aber über die gesamte Stadt verteilt gibt es tiefe, mit Mauern eingefasste Brunnen, die saubereres Trinkwasser enthalten, sodass unsere Einwohner vor Krankheiten geschützt sind. Im Sumpfland darfst du niemals Wasser aus Flüssen und Seen trinken, da sie Würmer und Ungeziefer enthalten. Aber wir haben in allen größeren Orten geheime Trinkwasserstellen gebaut, damit unsere Bevölkerung gesund bleibt.“

Sie liefen weiter, vorbei an der Schmiede-, Fischer- und Händlergasse. Selbst den Königspalast sahen sie aus der Ferne. „Sobald du deine Kleidung erhalten hast, suchen wir König Matrin auf“, versprach Zwandir.

„Warum wohnt König Matrin nicht in einer Burg?“, fragte Rowan erstaunt.

„Die Stadt liegt mitten im Sumpf und ist von einem breiten Stadtgraben umgeben; dadurch ist sie vor Feinden geschützt. Eine Burgmauer hingegen ist viel zu schwer für den Sumpfboden, auf dem wir uns befinden, aber der Palast befindet sich in der ehemaligen hölzernen Burg. Du kannst den alten Burgwall noch erkennen, wenn du genau hinschaust“, erläuterte Zwandir.

Rowan nickte. „Ach, deshalb ist auch alles andere aus Holz gebaut.“ Er erinnerte sich, dass sein Großvater, Obermagier Bunduar, ihm von Städten, die auf Pfählen errichtet worden waren, erzählt hatte.

„Steine sind selten im Sumpfland. Wenn du einmal ein Steingebäude findest, wurden die Baumaterialien mit Schiffen von weither gebracht.“

Mittlerweile hatten sie den Hafen erreicht. Fischerboote und Segelschiffe aus fernen Ländern entluden ihre Waren. Auf dem Markt davor roch es nach fremden Gewürzen, Obst und Meeresfrüchten. Rowan ließ seinen Blick umherwandern und erstarrte. Direkt am Kai lag ein nordisches Schiff. Er kniff die Augen zusammen. Tatsächlich. An Bord bewegten sich bunt gekleidete Männer aus der nordischen Inselwelt. Selbst auf die Entfernung spürte er die Grausamkeit, die sie ausstrahlten. War er in Gefahr? Sein Puls raste und seine Muskeln spannten sich an. Konnte er Zwandir vertrauen? Oder war das eine Falle?

Noch bevor er sich zu Zwandir umdrehen konnte, legte der ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Sie sind keine Verbündeten. Wir hätten sie in der Flussmündung abfangen und sie an der Weiterfahrt hindern können, aber es ist von Vorteil, wenn wir sie kennenlernen. Je besser man seine Feinde kennt, desto erfolgversprechender kann man sich gegen sie wehren.“

Rowan atmete tief aus und entspannte sich. Zwandir hatte recht, auch wenn er einen Augenblick an der Loyalität der Sumpfländer gezweifelt hatte.

„Du musst lernen, deine Gefühle besser zu beherrschen“, tadelte der alte Magier ihn. Gleich darauf lächelte er und nahm seinen Worten die Schärfe.

Rowan nickte. „Leider ist meine Ausbildung nicht so verlaufen, wie mein Großvater Bunduar es sich gewünscht hatte.“

„Die Göttin weiß, warum sie unseren Weg so und nicht anders gestaltet.“

Rowan nickte. Er musste sich wirklich noch vieles aneignen und vor allem geduldiger werden.

„Als Allererstes muss ich Sumpfländisch lernen“, stelle Rowan fest, als zwei Jungen ihm etwas zuriefen und lachend an ihm vorbeiliefen. Er hatte zwar längst damit angefangen, hatte unterwegs jeden, der jemals im Sumpfland gelebt hatte, um Unterrichtsstunden gebeten und sich während seiner Genesungszeit viel mit Bann unterhalten. Der Fischer, der Rowan vor den Echsenkriegern gerettet und bei dem er eine Weile Unterschlupf gefunden hatte, war zwar kein redseliger Mensch, aber er hatte ihn vieles gelehrt, unter anderem auch die einheimische Sprache – trotzdem verstand Rowan die Kinder nicht.

„Es gibt verschiedene Dialekte. Die Sumpfländer, die an der Küste leben, sprechen eine Mischung aus Magianisch und Sumpfländisch, daher hat dir Bann die sumpfländische Hochsprache nicht beibringen können.“

Rowan verzog sein Gesicht zu einer Grimasse. „Ich habe in den letzten Jahren so viele Sprachen gelernt und jetzt dachte ich, ich könnte wenigstens schon etwas Sumpfländisch – aber das war ein Irrtum.“

Zwandir lachte und klopfte ihm auf die Schulter. „Du wirst nicht lange brauchen, bis du dich hier heimisch fühlst.“

Rowan lächelte und nickte gedankenverloren. Er ahnte, dass er mit Zwandir gut zurechtkommen würde. Schon jetzt fühlte er sich bei diesem Magiermeister wohl. Er verstand, warum sein Großvater ihn zuerst zu Zwandir schicken wollte. Dann wäre er mit seiner Magierausbildung sicher schon viel weiter. Er spürte schon lange, dass ihm nicht viel Zeit blieb, um sich zu vervollkommnen. Schließlich riss er sich zusammen und hörte mit den Grübeleien auf. Jetzt war er hier, würde alles nachholen, was er bisher verpasst hatte und eines Tages ebenfalls ein hervorragender Magiermeister werden.

Auf dem Rückweg zu Zwandirs Hütte führte er seinen Meister an allen wichtigen Orten der Stadt vorbei, an den Brunnen, an den Markplätzen, am Königspalast, denn der alte Mann wollte prüfen, ob er alles behalten hatte.

Als sie Zwandirs Hütte erreichten, hatte der Schneider die geänderten Gewänder bereits geliefert und auf den großen Tisch gelegt. Rowan zog sie sogleich an.

Zwandir nickte ihm anerkennend zu. „So kann ich dich König Matrin vorstellen.“

2.

Nach einer kleinen Erfrischung führte Zwandir Rowan zum nahen Palast. Es war ein buntes, reich verziertes Gebäude aus Holz, das auf einem kleinen Hügel stand. Am großen Tor mit geschnitzten Tierfiguren gab es keine Palastwache. Trotzdem fühlte sich Rowan beobachtet. Er ließ es auf sich beruhen, weil er nicht gleich am ersten Tag neugierig erscheinen wollte. Sicher würde er eines Tages dahinterkommen.

Sie stiegen eine breite Treppe in der Mitte der Eingangshalle hoch und liefen durch einen langen Gang. An dessen Ende befand sich eine doppelflügelige Tür, die mit bunten Ornamenten bemalt war. Hier klopfte Zwandir an, öffnete selbst und trat ein. Rowan folgte ihm. Der Magier verneigte sich tief vor einem Mann, der als Einziger auf einem gedrechselten Sessel saß, während die anderen Anwesenden vor ihm standen. Rowan folgte Zwandirs Beispiel. Empfing König Matrin seine Untergebenen immer auf dem Thron? König Wilhar in der Heimat besaß überhaupt keinen Königsstuhl. Fast jeder konnte ihn jederzeit ansprechen, während Matrin unnahbar wirkte und anscheinend Audienzen gewährte. Rowan fühlte sich beklommen bei diesem Machtschauspiel.

„Eure Majestät, ich möchte Euch meinen neuen Lehrling Rowan vorstellen“, erklärte Zwandir unterwürfig.

„Ich habe schon von seiner Ankunft erfahren“, nickte Matrin gnädig. „Ich wünsche ihm einen guten Aufenthalt bei uns.“ Dann blickte er Rowan direkt in die Augen. „Übe fleißig. Es ist eine hohe Auszeichnung, im Sumpfland zu lernen.“

Rowan verneigte sich. „Ich bin für diese Gunst sehr dankbar, Eure Majestät“, sprach er leise und schaute zu Boden. Trotzdem hatte er zwei Nordmänner in der Runde wahrgenommen. Er zwang sich, gelassen zu atmen und seinen Puls ruhig zu halten. Auch wenn der Geruch der Feinde ihm Übelkeit verursachte und ihre Anwesenheit ihn beunruhigte. Was wollten die Nordmänner im Sumpfland? War er hier wirklich sicher? Warum verhielt sich der König so kühl? Sein Großvater hatte ganz andere Dinge vom Sumpfland erzählt, von Offenheit und Herzlichkeit. Gab es erneut Spannungen zwischen den beiden Ländern? Er spürte eine beruhigende Hand auf seiner Schulter, obwohl er wusste, dass Zwandir ihn hier nicht körperlich berühren würde. Warte ab, beobachte und lerne, ermunterte ihn sein Meister durch seine Gedanken.

„König Matrin, darf denn jeder unbedeutende Untertan oder Fremde eine Unterredung mit wichtigen Gesandten unterbrechen?“, giftete der größere der beiden Fremden. Er trug einen mit vielen bunten Metallplättchen verzierter Umhang. Rowan schaute ihn unter fast geschlossenen Lidern an. Sein Gesicht besaß keine glatte Haut wie die der Sumpfländer oder der Magianer, sondern war von feinen hellen Schuppen überzogen und seine Pupillen waren senkrechte Schlitze. Der zweite Nordmann schien älter zu sein, aber einen niedrigeren Rang zu bekleiden, denn sein Gewand wies nur eiserne Verzierungen auf.

„Meine Untertanen dürfen mich am Vormittag und Nachmittag aufsuchen, das ist ein seit alters her verbürgtes Recht im Sumpfland. Aber jetzt habt Ihr Zeit, mir Euer Anliegen vorzubringen.“ König Matrin lächelte die Fremden verbindlich an.

„Wir möchten mit Euch Handelsbeziehungen aufbauen. Wir sind Fischer, außerdem besitzen wir erhebliche Erzvorkommen, mehr als wir selbst benötigen, und wünschen eine Handelsniederlassung in dieser Stadt aufzubauen.“

Rowan hatte das Gefühl, dass der Kerl vor Wichtigkeit bald platzen würde. Die Selbstsicherheit der erfolgreichen Eroberer, vermutete er.

„Was können wir Euch im Gegenzug verkaufen? Wir sind ein armes Volk und leben hauptsächlich vom Fischfang und von den Sumpfpflanzen, die in der Natur wachsen und die wir sammeln“, bedauerte Matrin, er hob dabei die Schultern mit nach oben geöffneten Händen.

„Ihr habt große Wissenschaftler, wir würden gern einige begabte junge Männer von uns an Eure Schulen schicken.“ Jetzt klang der Nordmann freundlicher, fast schmeichelnd.

König Matrin nickte. „Lernen ist immer gut. Ihr beherrscht unsere Sprache hervorragend, obwohl Ihr noch nie im Land wart.“

„Wir bemühen uns immer, die Sprache unserer Gastgeber zu lernen.“ Der Diplomat verbeugte sich geschmeidig.

„Wo habt Ihr sie gelernt? Gibt es bei Euch Schulen, in denen Fremdsprachen unterrichtet werden?“ König Matrin wandte seine ganze Aufmerksamkeit dem Gesandten zu.

„Ja, aber auch Knappen an fernen Höfen und Händler in fremden Häfen lernen sie, wenn sie Sumpfländern begegnen.“

„Euer Lerneifer ist achtenswert“, lobte König Matrin.

„Wir würden uns gern in der Stadt umschauen. Heute Morgen brachten Eure Palastwachen uns gleich zu Euch, als wir in der Stadt spazieren gingen.“ Es klang wie ein Vorwurf.

„Bei uns ist es üblich, die Gäste zuerst offiziell zu begrüßen“, erklärte Matrin freundlich. „Ich werde Euch einen Führer mitgeben, damit Ihr die Stadt kennenlernt und Euch nicht in einem Graben oder Sumpfloch in Gefahr bringt.“

„Euer Sohn wäre eine angemessene Begleitung. Wir sind schließlich Bruder und Cousin unseres Königs Wromlux.“ Sein Dünkel ließ Rowan einen Schauer über den Rücken laufen, trotzdem hatte er sich soweit in der Gewalt, dass seine Gesichtszüge unbeweglich blieben.

„König Wromlux schickt für eine erste Begegnung gleich seinen Bruder? Wir fühlen uns geehrt“, erklärte Matrin mit einem Lächeln.

„König Wromlux weiß, wie wichtig das Sumpfland ist, und ehrt Euch entsprechend. Wir wünschen, dass Ihr es ihm gleichtut.“

Erneut störte Rowan die Selbstherrlichkeit des Mannes. Er wirkte, als wäre er schon Herr des Sumpflands. Wahrscheinlich meinten diese Wesen, dass die Sumpfländer unerfahrene Hinterwäldler wären, die sie leicht überrumpeln konnten.

„Ich bedaure, meine Söhne weilen zur Ausbildung in der Ferne.“ König Matrin ließ seinen Blick über die Anwesenden gleiten, dann winkte er einen jungen Mann heran. „Roschur, mein weitgereister Neffe, wird Euch herumführen. Wenn es Euch recht ist, wird er gleichzeitig unseren neuen Freund mit der Stadt bekannt machen. Er ist nämlich erst seit kurzem bei uns und ich sehe ihn heute zum ersten Mal.“ Er nickte Rowan gnädig zu.

Rowan überlief es heiß und kalt. Mit diesen unheimlichen Fremden wollte er möglichst nichts zu tun haben. Aber der König verfolgte sicher einen klugen Plan, deshalb nickte er demütig und murmelte: „Ich wäre erfreut, wenn ich an der Stadtführung teilnehmen dürfte.“

„Nur wenn du deine Feinde gut kennst, kannst du sie besiegen“, hörte er in Gedanken Zwandir sagen. Rowan verzog keine Miene und ließ sich diese heimliche Mitteilung nicht anmerken.

Die Fremden musterten ihn herablassend. Dabei spürte er, dass sie genau wussten, wer er war. Sie wussten, dass er Bunduars Enkel und der Neffe des magianischen Königs war und dass die Drachen ihn mehrmals angegriffen hatten. Aber alle spielten ein Spiel, jeder mit einem anderen Hintergedanken. Hoffentlich war Roschur erfahren und konnte die Fremden in Schach halten. Doch dann fing er einen Blick von Zwandir auf. Der Magiermeister würde über sie wachen. Er senkte schnell seine Augenlider, um sich nicht zu verraten. Zwandir hatte recht, er musste wirklich noch viel lernen – vor allem seine Gefühle im Zaum halten.

„Wenn Ihr Euch heute noch umschauen wollt, müsst Ihr bald losgehen, sonst wird es zu dunkel. Die Dämmerung dauert bei uns nicht lange“, erklärte Matrin und entließ damit die Besucher.

Roschur ging zur Tür und hielt sie für die Gäste auf, dann folgte er ihnen. Erst als sie den Palast verließen, übernahm er die Führung und schritt voran. Am Stadtgraben hielt er kurz an. „Hilschand ist von keiner Mauer umgeben, da der Untergrund das Gewicht nicht tragen würde. Doch bisher ist es noch niemandem gelungen, den Sumpf um die Stadt zu durchdringen und sie anzugreifen.“

Rowan verschloss seine Gedanken vor den Fremden so gut er konnte. Vorhin hatte ihm Zwandir in der Nähe ihres Standorts einen Damm gezeigt, der durch den Sumpf führte. Jetzt war der Weg nicht mehr zu sehen. Roschur musste die Kunst beherrschen, die Gedanken der Gegner zu beeinflussen. Hatte Bunduar diese Fähigkeit im Sumpfland gelernt? Wieder einmal vermisste Rowan seinen Großvater schmerzlich. Wie viel hätte dieser ihm noch beibringen können, wenn Rowan in Wanroe geblieben wäre!

„Führen denn keine Wege hindurch?“, fragte der Diplomat mit den grauen Schuppen. Rowan nahm an, dass die Farbe durch das Alter entstand, ähnlich wie die ergrauten Haare bei Menschen.

Roschur schüttelte den Kopf. „Nein, wir können nur über den Fluss erreicht werden. Unseren Händlern und Bauern wäre es lieber, wenn es mehr Wege gäbe.“

Zu seinem Erstaunen nahm Rowan die Gedanken der Fremden wahr. Sie freuten sich, dass die Sumpfländer bei einem Überfall in der Falle sitzen würden, da es keinen Ausweg gab.

„Im Magierreich gibt es viele Zugänge zu den Burgen“, sagte der jüngere Nordmann zu Rowan.

„Wir haben Moore, Berge und flaches Land, keine weitreichenden Sümpfe, die undurchdringlich sind“, erwiderte Rowan höflich.

„Und wie kommt ihr durch die Moore?“, hakte der Gesandte nach.

Rowan, der sich im Stillen darüber amüsierte, dass der Nordmann ihn wie ein Kind behandelte, indem er ihn duzte, zuckte die Achseln. „Wir umgehen sie. Sie sind nicht so groß.“

„Aber euer Moorheiligtum befindet sich mitten im Moor.“ Obwohl die Bemerkung belanglos klang, bemerkte Rowan, wie der Mann ihn belauerte.

„Den Weg kennen nur die Priester“, erklärte Rowan. Es gelang ihm, überzeugend zu wirken. „Ich bin schon als Kind zur Ausbildung zu anderen Meistern gesandt worden.“

„Woher nehmt Ihr Euer Trinkwasser?“, fragte der graugesichtige Nordmann Roschur.

„Hier ist überall Wasser. Ihr solltet es aber abkochen, da es für Fremde ungesund ist“, warnte er.

Während er sprach, näherte sich eine stattliche Frau dem Stadtgraben, füllte einen Krug daraus, erhob sich, setzte das Gefäß auf den Kopf und schritt hoch aufgerichtet an ihnen vorbei und verschwand in einer engen Gasse.

An einer mit Bohlen befestigten Stelle saßen Frauen und wuschen Wäsche. Alles wirkte sehr bescheiden. Viel ärmlicher als am Vormittag.

Die Gruppe lief am Stadtgraben entlang. An einer schmalen Stelle des Grabens blieben die Gesandten stehen. Der Ältere kniff die Augen zusammen und musterte das gegenüberliegende Ufer, dann gab er seinem Begleiter einen Wink. Der trat ein paar Schritte zurück, nahm Anlauf und schnellte hoch. Er sprang erstaunlich weit. Bequem erreichte er das Ufer. Rowan staunte, zum einen darüber, wie schmal der Graben hier war, zum anderen, wie weit die Fremden springen konnten. Doch kaum hatte der Mann Boden unter den Füßen, sank er ein. Sofort ließ er sich auf allen vieren nieder, trotzdem sackte er immer weiter ein. Hektisch zog er ein Bein heraus, sank dadurch aber mit Armen und dem anderen Bein tiefer hinein.

„Bleibt ruhig, ich hole ein Seil“, rief Roschur. Er eilte zu einem Haus und ließ sich ein Tau reichen. An der langen und geraden Gasse, die am Stadtgraben mündete, erkannte Rowan die Seilergasse. Die Gesandte war schon mit den Beinen und Armen eingesunken, krampfhaft hielt er den Kopf in die Höhe.

„Werfen reicht nicht“, murmelte Roschur. Er gab Rowan ein Ende des Seils, band sich das andere um den Brustkorb, nahm Anlauf und sprang. Nicht ganz so elegant und weit wie der Nordmann, doch es reichte, um das gegenüberliegende Ufer zu erreichen. Vorsichtig robbte er sich zu dem Gesandten vor, griff in den Sumpf, suchte nach dem Oberkörper des Mannes und schob ihm das Tau um die Brust. Um den Strick zu verknoten, löste er das Ende, das ihn selbst sicherte.

Sobald der Knoten festgezogen war, griff der ältere Mann mit seiner Krallenhand nach Rowans Seilende, schob den jungen Magier zur Seite und begann zu ziehen. Durch das plötzliche Anspannen des Seils verlor Roschur das Gleichgewicht und stürzte, doch das störte den Diplomaten nicht. Er zog energisch und erreichte, dass sein Kamerad in Richtung Graben geschleift wurde.

Dadurch lag Roschur hilflos im Sumpf und sank ein. Rowan musste ihm helfen! Er überlegte nicht lange, sondern griff sofort nach dem Seil, tat so, als ob er mit anpacken wollte. Dabei stolperte er absichtlich, gerade in dem Augenblick, als der Nordmann sich von ihm abwandte. Um das Gleichgewicht wiederzuerlangen, griff er nach dem Arm des alten Mannes. Einen kurzen Moment hing das Seil durch. Lange genug, dass Roschur die Beine des Geretteten zu fassen bekam und sich an ihn hängte.

„Lasst uns gleichzeitig ziehen“, empfahl Rowan bestimmt und zählte laut: „Eins, zwei, zieh, eins, zwei, zieh.“

Der Fremde wehrte sich nicht mehr gegen seine Hilfe, wahrscheinlich, weil einige Nachbarn, unter anderem der kräftige Seiler, hinzugeeilt waren und ebenfalls im Gleichmaß zogen. Bald hatten sie die beiden ans Ufer geholt. Eine Frau brachte zwei Decken, die sie um die Schultern der Männer legte.

Roschur bedankte sich lächelnd für die Hilfe und wandte sich dann an die Fremden.

„Am besten bringe ich Euch zu Eurem Schiff zurück, damit Ihr Eure Kleidung wechseln könnt. Heute Abend findet zu Euren Ehren ein Festmahl statt. Männer von Matrins Garde holen Euch ab, damit kein Unglück passiert“, erklärte Roschur.

„Gut“, antwortete der ältere Mann und gab mit einem kurzen Kopfnicken seine Zustimmung. Beide Diplomaten verbeugten sich steif.

Während sie zum Hafen weitergingen, fragte der jüngere Fremde Rowan: „Wie wanderst du durch das Land?“, dabei schaute er ihn seltsam durchdringend an.

Rowan zuckte die Achseln und entgegnete scheinbar unbedarft: „Ich studiere hier, warum sollte ich durchs Land reisen?“ Er lauschte in sein Inneres, konnte aber die Gedanken der beiden Fremden nicht hören, sie beherrschten die Kunst des Gedankenabschirmens hervorragend. So blieb ihm nur sein Gefühl, um ihre Absichten zu erraten. Sicher wollten sie erfahren, ob und wo es gangbare Stege im Sumpfland gab.

Roschur führte seine Gäste durch ein Gassengewirr. Rowan verlor schon bald die Übersicht und war froh, dass der Sumpfländer ihn leitete. Je näher sie dem Hafen kamen, desto finsterer und bedrohlicher wirkten die Bewohner. Viele überragten die hochgewachsenen Nordmänner, die weit größer als Rowan waren, um einen Kopf. Breitschultrig versperrten sie die Wege und wichen nur zurück, wenn Roschur sie mit einer herrischen Handbewegung dazu aufforderte.

Übertrieben höflich bedankten sich die Gesandten, als sie den Anleger erreichten.

„Unsere Festlichkeiten finden stets unbewaffnet statt“, erklärte Roschur und verabschiedete sich, ohne eine Antwort abzuwarten.

Er führte Rowan durch die engen Gassen des Hafenviertels zurück. Die Wege waren viel schmaler als am Vormittag, als Zwandir Rowan hindurchgeführt hatte. Sobald sie außer Sichtweite des Schiffes waren, wurden aus den großen, stämmigen und grimmigen Bewohnern wieder freundliche Sumpfländer, die Rowan anlächelten.

„Eine lehrreiche Stadtführung“, entfuhr es Rowan.

Roschur lachte. „Ich dachte, dein Großvater hätte dir beigebracht, wie man anderen etwas nicht Vorhandenes vorgaukelt!“

Rowan schüttelte den Kopf. „Nein, wahrscheinlich war ich damals zu jung. Ich bin schon seit acht Jahren nicht mehr daheim gewesen. Ich wünschte, er hätte mich noch viel mehr gelehrt.“

„Zwandir wird sich Mühe geben, dich das Versäumte nachholen zu lassen“, tröstete Roschur.

„War der Sprung in den Sumpf nicht gefährlich?“, erkundigte sich Rowan und schaute seinen neuen Freund neugierig an.

„Ja, aber so schnell werden die Nordmänner sich jetzt nicht mehr in den Sumpf wagen. Außerdem standen die Seiler in der Nähe, um einzugreifen.“

„Ist der Graben wirklich so schmal?“ Rowan konnte sich nicht erinnern, am Vormittag eine so enge Stelle, die man hätte überspringen können, gesehen zu haben.

Roschur lachte. „Nein, aber bei den Wäscherinnen ist eine kleine sumpfige Insel. Man versinkt dort auch nicht völlig. Aber um die Fremden abzuschrecken, war es eine gute Vorstellung, findest du nicht? Die haben halt keine Ahnung von Sümpfen oder Mooren.“

3.

In den folgenden Tagen übte Rowan Sumpfländisch mit dem Nachbarjungen, der Zwandir bei der Haushaltsführung zur Hand ging. Der kleine Trian brachte Rowan Begriffe des täglichen Lebens, wie die Namen der Früchte und Backwaren, Kleidung und Haushaltsgegenstände, bei. Dazu lernte Rowan eine Reihe Schimpfwörter, da der Junge aus einer kinderreichen Hafenarbeiterfamilie stammte und sich häufig im Hafen bei den Seeleuten und Fischern herumtrieb.

Zwandir lehrte ihn die Zubereitung verschiedener Heilkräuter. Allerdings schien es dazu keine Heillieder zu geben.

„Mein Großvater hatte für jedes Leiden und für jede Medizin ein besonderes Lied“, sagte Rowan, doch Zwandir lächelte nur und schwieg.

Auch die Kunst des Gedankenlesens unterrichtete er nicht. Dabei war Rowan brennend daran interessiert, denn sein Wissen war nur bruchstückhaft. Die Sumpfländer beherrschten diese Fähigkeit erheblich besser als die Mönche im Ostreich. Doch jedes Mal, wenn er Zwandir darauf ansprach, meinte der nur: „Du bist noch nicht so weit, gedulde dich.“

Dabei hatte Rowan das Gefühl, keine Zeit mehr zu haben. Im Magierreich wurde die Lage immer bedrohlicher. Selbst so abgeschirmt, wie er momentan bei Zwandir lebte, erreichten ihn einige Meldungen. Wilhar hatte angeblich seine Königsburg Wanroe geräumt und war in den Süden ausgewichen; auch die Priester hatten das Moorheiligtum verlassen. Rowan hoffte, dass sein Großvater Bunduar und seine Mutter, die Seherin Salawin, mit Wilhar in den Süden geflüchtet waren. Doch er zweifelte daran, denn Bunduar würde das Felsenkloster und das Moorheiligtum bestimmt vor den dunklen Mächten der Nordmänner und Echsenkrieger schützen. Die Gefahr, dass ihr Einfluss größer würde, wenn sie diese heiligen Plätze eroberten und die gefangenen Geister der Unterwelt befreiten, war zu groß. Dann würde wahrscheinlich keiner mehr sie besiegen können.

Und wie sicher war das Sumpfland? Rowan hatte immer darauf vertraut, dass die Sumpfländer sich besonders gut mit den Geistern und den Elfen verstanden. Außerdem waren ihre Siedlungen im schwer durchdringbaren Sumpfgebiet geschützt. Doch nachdem er die unheimlichen Nordmänner bei König Matrin gesehen hatte, war er von der Abgeschirmtheit des Sumpflandes nicht mehr überzeugt. Immer wieder dachte Rowan über die merkwürdigen Krallenhände der Nordmänner nach. „Sind die Nordmänner auch Echsen?“, fragte er schließlich Zwandir.

Der Magiermeister nickte. „Wir waren uns lange nicht sicher, aber jetzt, wo sie hier zu Besuch sind, ist es eindeutig. Sie sind mit den südlichen Echsenwesen verwandt. Selbst ihre Sprachen ähneln sich.“

Eines Tages schickte Zwandir Rowan auf den Markt beim Hafen.

„Ein Schiff aus dem Süden ist eingetroffen. Es gibt frische Früchte und Wein. Schau dir die Waren an und entscheide, was wir heute und morgen essen.“

Rowan hob seine Augenbrauen. „Aber wenn ich die Früchte nicht kenne, wie soll ich da etwas aussuchen?“

Zwandir grinste und zwinkerte ihm zu. „Ich lasse mich überraschen.“

Rowan nahm einen großen Korb und lief zum Markt. Obwohl er seit der Stadtführung mit Roschur vor zehn Tagen sich nur im Haus oder auf dem Dach, wo sie die Heilpflanzen trockneten, aufgehalten hatte, fand er sich mühelos zurecht. Es war, wie er bei der Führung vermutet hatte: Roschur hatte die Gedanken seiner Schützlinge so beeinflusst, dass diese geglaubt hatten, ein unübersehbares Labyrinth aus schmalen, unwirtlichen Gassen zu betreten.

Er lief an den Brunnen vorbei, die ihm Zwandir gezeigt hatte. Schon bald erreichte er den Hafen. Das Schiff der Nordmänner lag nicht mehr vor Anker. Rowan grinste; deshalb durfte er also heute das Haus verlassen.

Vor dem Hafenbecken befand sich ein großer Platz, auf dem Fischer, Bauern und auch auswärtige Händler ihre Stände aufgebaut hatten. Es roch nach Meerestieren, Früchten und fremdländischen Gewürzen. Rowan schlenderte über den Markt und schaute sich alles genau an. Einige Nahrungsmittel kannte er inzwischen, da er sie in Zwandirs Küche gekostet hatte. Andere gab es auch im Magierreich, in Cajan oder Llyllia, wo er für seine Magierausbildung einige Zeit verbracht hatte.

Bei den Ständen der fremden Händler verweilte er länger. Er fragte nach einer großen roten Frucht. „Sie ist sehr gesund und nahrhaft“, pries der Höker, ein Kleinhändler, sie an.

„Ist sie wohlschmeckend?“

„Wenn man sie richtig zubereitet, dann schon.“ Der Händler erklärte lang und breit, wie er sie kochen musste und welche Gewürze er dazu benötigte.

Rowan erschien das alles sehr umständlich und fragte nach den kleineren erdigen Knollen.

„Die kann man mit der roten Frucht mischen und zusammen kochen.“

Da Rowan sich nicht entscheiden konnte, schaute er sich noch bei den anderen Marktständen um, doch zum Schluss kehrte er zu diesem Händler zurück und kaufte doch eine rote Frucht, allerdings suchte er sich die kleinste aus. Dazu ein paar der dunkeln Knollen und zwei Gewürze – die mussten reichen, entschied er. Notfalls fanden sich in Zwandirs Küche bestimmt Zutaten, mit denen er das Essen schmackhaft machen konnte.

Anschließend kaufte er zwei südländische Weine. Der Händler pries sie an und ließ ihn kosten. Rowan erschienen sie sehr süß. Bisher hatte er nur herbe Weine gekannt, aber er trank sie sowieso nur selten. Er entschied sich für den trockensten Wein, den der Händler anzubieten hatte, und einen halbtrockenen – beide waren viel süßer als jeder Wein, den er jemals getrunken hatte.

Schwer beladen machte er sich auf den Rückweg. Er konnte sich gut an dem Königspalast orientieren, der alles überragte.

Zwandir schaute kurz auf, als Rowan den Korb auspackte, sagte aber nichts. Während sich Rowan abquälte, die Frucht zu schälen und in Stücke zu schneiden, las der Magier in einem alten Buch. Ab und zu schaute er auf und schmunzelte. Obwohl Zwandir immer wegschaute, wenn Rowan zu ihm aufsah, wusste Rowan genau, dass der Meister ihn beobachtete. Und Rowan hatte das Gefühl, dass er sich über die Speisenwahl seines Schülers belustigte.

Endlich hatte Rowan alles in Zwandirs großen Kessel gegeben und das Feuer entzündet. Anschließend schälte er die dunklen Knollen und gab sie hinzu. Es folgten die Gewürze. Die Samen des einen musste er mörsern, die des anderen schälen und in kleine Stücke hacken. Während das Gericht kochte, überlegte er, wie lange Zwandir und er wohl an dem Inhalt des großen Kessels essen mussten.

„Vielleicht sollte ich ein paar Freunde einladen“, schlug Zwandir vor.

Rowan schmunzelte. „Ich habe noch nie unbekannte Esswaren ohne Hilfe zubereitet, aber die anderen Dinge, die auf dem Markt angeboten wurden, erschienen mir noch gefährlicher.“

Zwandir lachte laut. „Du hast dich nicht getraut, viel Geld auszugeben, das rechne ich dir hoch an. Aber diese rote Frucht ist eher ein Armeleuteessen.“

„Magier sind arm, wenigstens in den meisten Ländern. Im Magierreich sind sie zwar geschätzt, aber sie leben enthaltsam, weil es ihrem Selbstverständnis entspricht“, antwortete Rowan und grinste seinen Meister an.

Da Trian, der kleine Nachbarjunge, gerade die Hütte betrat, schickte Zwandir ihn fort, seine Eltern und ein paar andere Nachbarn zum Essen mitzubringen. „Wir müssen doch Rowan endlich vorstellen. Sie wissen schon so lange, dass er bei mir zu Gast ist und haben ihn noch nie zu Gesicht bekommen.“

Rowan zweifelte zwar daran, denn die Nachbarn hatten ihn bestimmt in den ersten zwei Tagen ausgiebig beobachtet, aber er sagte nichts, sondern sorgte sich eher, was sie von ihm halten sollten, wenn er ihnen so ein armseliges Mahl vorsetzte, wie Zwandir behauptete.

Er kostete das Essen, es schmeckte tatsächlich ziemlich fade. Die beiden Gewürze waren wohl zu wenig gewesen. Also suchte er in Zwandirs Vorräten und gab weitere Kräuter, die Zwandir ihm bereitwillig reichte, hinzu.

„Nach meiner Erfahrung muss man bei diesen Früchten kräftig nachhelfen“, erklärte der alte Magier und fuhr tröstend fort: „Aber das Gemüse ist tatsächlich gesund.“

„Und ich dachte, im Süden ist alles süß und schmackhaft“, klagte Rowan gespielt.

Zwandir lachte. „Nicht alles – das Essen der einfachen Leute ist wohl überall nicht besonders wohlschmeckend. Aber zum Glück gibt es genug Kräuter, um Abhilfe zu schaffen.“

Als es am Abend dämmerte, trafen die ersten Gäste ein. Sie hießen Rowan herzlich willkommen. „Wir freuen uns, dass Zwandir wieder einen begabten Schüler hat und hoffen, dass du dich bei uns wohlfühlst“, sagte Trians Vater.

Rowan freute sich über diesen freundlichen Empfang. Seine Sorge um die Zuverlässigkeit der Sumpfländer verflog. Die Nachbarn, einfache Leute, fragten ihn nach seiner Heimat und seinen Reisen aus. Sie waren wissbegierig und sogen alles auf, was er erzählte. Sie würdigten den Eintopf und da jeder zur Feier etwas zu essen mitgebracht hatte, gab es eine reichhaltige Auswahl an sumpfländischen Gerichten. Rowan musste von allem kosten. Er lobte die Speisen und erkundigte sich nach den Zutaten und der Zubereitung.

„Wenn wir noch ein paar Feiern ausrichten, kannst du Ottgar später als Koch dienen“, spottete Zwandir gutmütig.

Rowan lachte, dann zuckte er mit den Achseln. „So ein großer Unterschied ist es doch gar nicht, ob ich Heilmittel oder Speisen zubereite. Mit beiden kann ich Krankheiten bringen oder vertreiben.“

Die Umstehenden lachten. „Wie gut, dass Zwandir dir beim Kochen zugeschaut hat, sonst lägen wir morgen alle krank auf unseren Schlafplätzen“, rief Trians Vater.

Rowan grinste. „So schlecht koche ich hoffentlich nicht.“ Fröhlich feierten sie bis spät in die Nacht. Einige Nachbarn hatten ihre Musikinstrumente mitgebracht und musizierten und alle sangen gemeinsam dazu.

*

Am folgenden Tag suchte der Magier mit Rowan erneut König Matrin auf. Diesmal trafen sie ihn im Burghof an. Rowan begriff, dass der König auch ohne Palastwachen in seiner unmittelbaren Nähe gut behütet war. Die übersinnlichen Fähigkeiten seiner Freunde schützen ihn. Deshalb hatte Rowan sich beim ersten Besuch im Palast auch so beobachtet gefühlt. Zwandir verbeugte sich, aber nicht so tief wie beim ersten Mal, während Rowan schon fast den Boden mit seinem Kopf berührte.

„Rowan, du musst nicht vor Ehrfurcht versinken“, meinte Matrin und reichte Rowan die Hand. „Unser großes Hofprotokoll wird nur bei fremden Staatsgästen angewandt. Normalerweise bin ich ein Burgherr wie andere auch.“

Rowan grinste. Die Schau hatte also nur den feindlichen Nordmännern gegolten. Er fühlte sich erleichtert.

Matrin nickte Rowan freundlich zu und erklärte: „König Wilhar hat mich vor langer Zeit gebeten, dich im ritterlichen Kampf unterweisen zu lassen. Das mache ich gern. Suche uns einfach auf, wann immer Zwandir dich entbehren kann. Meine Männer wissen Bescheid und werden sich um dich kümmern.“

Rowan bedankte sich artig, bevor er sich nach Neuigkeiten aus dem Magierreich erkundigte. Schließlich gab es zwischen den Reichen verbündeter Herrscher immer Möglichkeiten, sich Nachrichten zukommen zu lassen, sei es durch Boten, sei es durch Brieftauben oder gar durch Gedankenübertragung. „Fischer Bann besaß leider keinerlei Informationen, aber ich möchte unbedingt wissen, wie es meinem Großvater, meiner Mutter, der Seherin Salawin, und König Wilhar geht.“

„Du hast bestimmt gehört, dass Wilhar seinen Hof nach Landoe verlegt hat. Wenn es noch kritischer wird, zieht er nach Sauroe. Dort ist er ziemlich sicher.“

„Aber Sauroe liegt südlich, und lieben die Echsen und Drachen nicht die Wärme?“ Rowan runzelte seine Stirn.

König Matrin nickte. „Allerdings ist die Entfernung bis dorthin sehr groß. Auf ihren Schiffen erreichten die echsenartigen Seekrieger Norden und Westen eher, bis zum Süden sind sie zum Glück noch nicht vorgedrungen. Die Burgen südlich von Wanroe sind noch alle in Wilhars Hand.“

„Und das Felsenkloster?“, erkundigte sich Rowan besorgt.

„Dieses wichtige Kloster haben sie ebenfalls nicht erobert, obwohl sich dort keine Ritter aufhalten. Die Magie der Mönche reichte bisher aus.“ Matrin lächelte leicht. „Auch deinem Großvater und deiner Mutter geht es gut. Sie halten sich häufig im Moorheiligtum auf.“

Rowan nickte erleichtert, obwohl er wusste, dass selbst das Heiligtum kein sicherer Ort mehr war. Viele der Priester lebten inzwischen auf der heiligen Insel, einer Priesterinsel im Fluss Napram. Sie befand sich schwer erreichbar im Sumpfland und wurde von König Matrin und seinen Leuten geschützt.

Rowan wäre es lieber gewesen, wenn seine Mutter ebenfalls mit den Priestern auf die heilige Insel gezogen wäre. Aber sicher wollte sie ihrem Vater bei dem Kampf gegen die dunklen Mächte beistehen. Eigentlich wäre es seine, Rowans, Aufgabe, sich an die Seite des Großvaters zu stellen und gemeinsam mit ihm gegen die Gegner zu kämpfen.

Als ob Matrin seine Gedanken gelesen hätte, meinte er: „Du wirst noch früh genug den Feinden aus dem Norden entgegentreten. Je mehr du gelernt hast, desto eher kannst du ihnen die Stirn bieten. Momentan wärst du ein zu leicht überwindbarer Gegner.“

„Wer steht hinter den Kriegern aus dem Norden? Beherrscht ihr König Wromlux die Magie so gut? Seine Krieger sind schwer bezwingbar. Sie sind stark und sehr gewalttätig, außerdem können sie sich unsichtbar machen. Nur die Elfen konnten sie damals bei Wilhars Thronjubiläum wieder sichtbar machen“, murmelte Rowan.

Seit Jahren grübelte er über den Grund der schnellen kriegerischen Erfolge der Feinde, ohne eine Antwort zu finden. Wiederholt tauchte Altus dabei vor seinem inneren Auge auf. Gemeinsam waren sie Schüler bei Meister Hildrun in Llyllia gewesen. Damals war Rowan noch ein Kind und hatte vor dem begabten Magierlehrling Angst gehabt, weil er so bedrohlich wirkte. Aber das konnte nicht sein, Rowan schüttelte den Kopf. In den wenigen Jahren konnte Altus nicht solche Macht erreicht haben und Anführer der Echsenkrieger geworden sein. Außerdem hatten die ersten Überfälle schon früher stattgefunden. Aber warum verband er Altus immer wieder mit diesen gefährlichen Feinden?

„Du hast recht. Es gibt ein paar abtrünnige Magier aus den mittleren Reichen“, erklärte Zwandir.

Mittlere Reiche wurden im Sumpfland das Magierreich, Cajan und Llyllia genannt, die schon seit Urzeiten freundschaftlich verbunden waren. Im Osten vom Magierreich lag das Ostreich, zu dem das Magierreich enge verwandtschaftliche Beziehungen besaß, und im Süden das Südreich, mit dem es keinerlei Verbindungen pflegte. Vor vielen Generationen hatte es Überfälle der riesigen Würmer, Ungeheuer aus dem Süden, gegeben. Dabei trennten ein unüberwindbares steiles Gebirge und eine Wüste die beiden Länder. Das Sumpfland hingegen pflegte Handelsbeziehungen über das Meer zum Südreich, sodass Rowan erst hier die ersten Südländer gesehen hatte.

„Könnt Ihr sie nicht gemeinsam besiegen?“ Rowan schaute Zwandir bittend an.

Zwandir schüttelte den Kopf. „Bunduar, Zonbuar, Hildrun und ich haben es schon vor langer Zeit gemeinsam versucht. Die Nordmänner, Echsenkrieger und Drachen werden von einer Gruppe starker Magier beherrscht. Wir konnten nicht einmal erkennen, wer diese Magier sind. Es hilft ihnen, dass ihr Gefolge magische Fähigkeiten hat. Sie verständigen sich über weite Entfernungen durch Gedankenübertragung. Irgendjemand, ein Magier, vielleicht König Wromlux, vielleicht ein Abtrünniger aus dem Magierreich, gibt ihnen Befehle.“

Rowan zog die Brauen zusammen, auf seiner Stirn bildeten sich Falten, während er grübelte. „Heißt das, die fremden Krieger entscheiden gar nicht selbst, sondern führen nur aus, was ihr Herrscher ihnen aufträgt?“ Für Rowan war es unvorstellbar. Natürlich gab der König Anweisungen, was seine Krieger zu tun hatten. Aber in der Schlacht folgten die Kämpfer den Befehlen ihrer Heerführer, die je nach Lage selbst Entscheidungen trafen.

„Zu dem Schluss sind wir nach unseren magischen Kämpfen gekommen. Wir konnten einzelne Krieger oder auch Kriegergruppen beeinflussen und zur Umkehr oder Aufgabe bewegen. Aber sofort kamen andere Gruppen und füllten die Lücken wieder auf. Schneller, als jeder Bote oder auch jede Brieftaube sein konnte“, erklärte Zwandir ernst.

„Hm, bei unserer Flucht aus Llyllia konnte ich den Drachen, der uns angriff, mit den alten Liedern der Drachenzähmer beruhigen, doch als ich auf dem Weg zu Euch den Sumpf durchquerte, ließen sich die Untiere nicht mehr durch Gesang beeinflussen“, sagte Rowan und strich sich seine Haare aus dem Gesicht.

„Unsere Wächter erzählten von deinem Gesang. Vermutlich hat der Drache damals daheim davon berichtet und ihre Führer haben ihnen neue Befehle erteilt und beigebracht, nicht auf diesen Gesang zu hören.“

Rowan nickte. Das erklärte die Wirkungslosigkeit der uralten Lieder.

„Es sieht so aus, als wärst du eine Bereicherung für unser Land“, stellte Matrin fest, der schweigend zugehört hatte. „Zwandir hat schon jetzt in dir einen guten Gesprächspartner, der ihm neue Anregungen gibt.“ Er lächelte Rowan an. „Ihr habt genug gegrübelt, nun solltest du deinen Körper ertüchtigen.“ Er schaute zur Tür, durch die Roschur gerade hereintrat.

Rowan erstaunte. Tauschten sich alle im Sumpfland durch Gedanken aus? Wie praktisch, das ersparte Boten und sehr viel Zeit.

„Ihr stammt auch aus einer Magierfamilie“, bemerkte er.

Der König lachte. „Meine Ururgroßmutter war eine Schwester von Wanduar, Bunduars Urgroßvater. Und ihr Mann war nicht nur Herrscher, sondern ebenfalls Magier.“

Rowan unterdrückte die Gedanken an den Krieg zwischen Magierreich und Sumpfland, lieber lenkte er sie in eine andere Richtung. Er nickte. „Euer Volk ist viel stärker magiebegabt als die Menschen im Magierreich.“

„Vor allem die Priester und viele Adlige an meinem Hof, weil wir alle von einigen wenigen Vorfahren abstammen, die allesamt Magier waren. Außerdem gehören Gedankenlesen und -beeinflussung zu unserer Ritterausbildung. Aber jetzt ist es Zeit, deinen Körper zu stählen.“ Obwohl er lächelte, sagte er es mit so viel Nachdruck, dass Rowan sich der Bedrohung durch die mächtigen Feinde erneut bewusst wurde. Der Besuch neulich war kein Höflichkeitsbesuch gewesen, sondern eine verdeckte Auskundschaftung. Die Sumpfländer waren aber so klug gewesen, die Gefahr sofort zu erkennen und mit ihren magischen Fähigkeiten den fremden Wesen falsche Informationen zu geben.

Rowan folgte Roschur in den Burghof, dort schaute er sich neugierig um. Das mit Schnitzereien und Malereien reich verzierte Hauptgebäude stand leicht erhöht und bestand aus Holz. Zur Sumpfseite hin war der Palast mit einer Palisade geschützt, zur Stadt hin war er offen. Von seinem leicht erhöhten Standort konnte Rowan noch gut den alten Ringwall der ursprünglichen Burg erkennen. Er wunderte sich, dass das Gebäude inzwischen nicht mehr nach allen Seiten abgeschirmt war.

„Ich habe doch schon erzählt, dass wir hier keine Mauern bauen können, weil der Untergrund zu weich ist. Steingebäude würden im Sumpf versinken“, erklärte Roschur, ohne dass Rowan gefragt hatte.

Rowan nickte. „Unsere Hafenstädte stehen teilweise auf Pfählen, weil die Gebäude sonst einsinken würden. Aber ist die Brandgefahr bei der engen Bebauung nicht sehr groß?“

„Ja, deshalb laufen Tag und Nacht Brandwächter durch die Gassen“, stimmte Roschur zu. „Durch unsere telepathischen Fähigkeiten spüren wir die Gefahr sofort. Bisher wurde jedes Feuer schnell entdeckt und gelöscht. Wasser haben wir hier reichlich. Zwandir hat dir sicherlich die vielen Brunnen gezeigt.“

„Ja, und ich habe über die Anzahl gestaunt.“

„Jedes Viertel hat mindestens einen eigenen Brunnen oder ein Wasserbecken, damit im Brandfall sofort Löschwasser vorhanden ist“, erläuterte der Sumpfländer und zeigte auf die Einfassung mitten im Hof. Dann drehte er sich um und wies auf die großen Bronzebecken, die vor jedem Gebäude standen und die Rowan schon aufgefallen waren.

„Warum aber ist der Palast nur auf einer Seite mit Palisaden geschützt?“, fragte Rowan.

„Wir brauchten den Platz der alten Befestigungsanlagen für die Wohnhäuser. Der Stadtgraben reicht aus, er ist undurchdringlich. Die wenigen Dämme, die durch den Sumpf zur Stadt führen, lassen sich leicht verteidigen. Im Notfall zerstören wir sie. Den Hafen sperren wir mit Baumstämmen, im Fluss selbst liegen oberhalb und unterhalb der Stadt Ketten, die den Strom für Schiffe und Boote im Notfall unpassierbar machen würden. Im allerschlimmsten Fall wenden wir die Taktik an, die auch das Magierreich momentan benutzt. Wir ziehen uns in unwegsames Gelände zurück.“ Sie hatten ihren Rundgang durch die Burg, vorbei an den Nebengebäuden, den Ställen, der Waffenkammer und dem Gesindehaus, beendet. Roschur holte aus der Rüstkammer Schwerter und Schilde heraus und reichte Rowan die Waffen. Anschließend führte er ihn in einen Innenhof, in dem eine Gruppe Ritter den Schwertkampf übte.

„Lass uns beginnen, sonst verärgern wir Matrin und Zwandir.“ Er nahm seinen Umhang ab. Rowan folgte seinem Beispiel und legte die störenden Oberkleider auf einen Holzblock, der sicher als Bank diente.

Lange hatte er kein Schwert mehr in der Hand gehalten. Er führte ein paar Schläge in der Luft aus, um die Waffe auszuprobieren. Sie war hervorragend ausbalanciert und lag gut in der Hand. Er bewegte sich vorsichtig, umkreiste sein Gegenüber. Roschur wartete ab und wehrte Rowans Scheinangriffe lässig ab. Schnell wurde Rowan klar, welch starke Kämpfer die Sumpfländer waren. Roschur ahnte jeden Angriff voraus und parierte ihn noch bevor er richtig ausgeführt war. Rowan schärfte seine Sinne. Bald spürte er Roschurs Gedanken und es gelang ihm besser, sich auf den Gegner einzustellen. Doch als Roschur mit seinen eigenen Angriffen begann, nützte es ihm nichts. Früher war Rowans Vorteil gewesen, dass er die Bewegungen seiner Gegner schon vorausahnte, doch da Roschur diese Fähigkeit im stärkeren Maß beherrschte, verschaffte es Rowan keinen Vorsprung. Und kräftemäßig war er Roschur unterlegen, obwohl er durch die viele schwere körperliche Arbeit der letzten Monate breitschultriger und stärker geworden war. Aber Roschur war noch größer und kräftiger.

„Du hast lange nicht mehr geübt“, meinte Roschur tröstend.

„Mein Großvater wollte gar nicht, dass ich als Ritter ausgebildet werde. Aber König Wilhar bestand darauf. Allerdings habe ich nie viel Zeit dafür gehabt.“ Rowan dachte daran, wie häufig er sich gewünscht hatte, mit Ottgar und Mardok auf Burg Wanroe üben zu dürfen.

„Wir werden deine Ausbildung in der Waffenkunst in der nächsten Zeit nachholen, denn wir brauchen jede Schwerthand“, versprach Roschur und schlug Rowan auf die Schulter.

„Ich dachte, Magier werden im Kriegsfall für andere Dinge benötigt“, bemerkte Rowan kopfschüttelnd.

Roschur nickte und seine Miene wurde ernst. „Stimmt, Zwandir wird seine gesamte Kraft verwenden, dem Gegner geistig zu schaden. Aber es kann sein, dass es nicht ausreicht, notfalls müssen sich alle verteidigen können. Deine vordringlichste Aufgabe wird dann sein, Zwandir mit dem Schwert zu schützen. Er ist zu alt, um sich körperlich mit seinen Gegnern zu messen.“

„Hat er eine Ritterausbildung erhalten?“, fragte Rowan neugierig. Er konnte sich den alten kleinen Mann nicht als Kämpfer vorstellen. Sein Großvater war der einzige Magier, den er kannte, der auch eine Ausbildung zum Ritter erhalten hatte. Was daran lag, dass er ein Königssohn war, und wenn sein älterer Bruder, der Thronerbe, gestorben wäre, hätte Bunduar die Nachfolge antreten müssen.

Roschur nickte. „Bei uns erhalten die meisten Adligen eine Ausbildung zum Ritter und in der Magie. Die berühmten Großmagier waren alle Kämpfer.“

Nachdem sie ihre Waffen zurückgebracht hatten, badeten sie in einem Teich, der sich innerhalb der Burg befand.

„Benötigt ihr das Wasser nicht zum Trinken und Tränken der Pferde?“, erkundigte sich Rowan.

„Nein, dafür haben wir Brunnen, die sauberes Trinkwasser aus der Tiefe befördern. Das Teichwasser hier im Becken könnte man auch trinken, aber es ist nicht so gut wie das Brunnenwasser.“

Nach dem Bad führte er Rowan zum Fluss, da der Magianer paddeln lernen sollte. Rowan hatte es zwar bei Bann schon geübt, doch meistens hatten sie Segel gesetzt, wenn sie zum Fischen gefahren waren.

Das Boot hier war anders, schmaler, dadurch kippte es leichter. Roschur erklärte, dass es hauptsächlich zur raschen Beförderung von Personen auf dem Fluss diente. „Im Kriegsfall können unsere Krieger schnell von einem Ort zum anderen gelangen. Durch den Sumpf ist es mit schwerem Gepäck zu Fuß schwierig und dauert viel zu lange. Allerdings sind die Boote nur für Binnengewässer geeignet.“

Dann reichte er Rowan Blätter einer Sumpfpestpflanze. „Nimm etwas von einem jungen Blatt, kaue es gründlich und schlucke es dann. Es schmeckt widerlich, aber es hilft, Mücken und anderes Ungeziefer abzuwehren. Reibe dich anschließend mit den restlichen Blättern ein.“

Rowan nickte und folgte seinem Beispiel. Erst als er sich gründlich eingerieben hatte, nahm er die Paddel entgegen. Sie sahen merkwürdig aus und erinnerten ihn an eine Hellebarde, da sie spitz ausliefen und eine scharfe Kante besaßen. Wie sollte man damit paddeln können?

Roschur hielt das Boot fest, damit Rowan einsteigen konnte. Rowan trat in die Bootsmitte, um es nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Schon beim Hinsetzen kippte es leicht zur Seite, obwohl Roschur es noch immer festhielt. Wie einfach war Banns Ruderboot dagegen zu benutzen gewesen!

Der junge Sumpfländer setzte sich vor ihn und gab die Geschwindigkeit vor. Er schien mit dem Boot verwachsen zu sein. Rowan versuchte, sich Roschurs Rhythmus anzupassen.

„Wir werden jeden Tag üben, damit du ein Boot im Notfall auch allein steuern kannst“, erklärte sein Mentor.

Rowan zweifelte, ob Zwandir mit diesen ausgiebigen Übungseinheiten einverstanden wäre, aber er sagte nichts. Sie paddelten flussaufwärts, sobald sie die Stadt hinter sich gelassen hatten, war ringsherum nur noch Sumpf. Die Luft war drückend und roch süßlich. Immer wieder öffneten sich weitere Wasserwege, an deren Ufern Bäume im flachen Wasser wuchsen und deren Kronen ein Blätterdach über den Wasserlauf bildeten. Ein üppiger grüner Wald bedeckte den Sumpf. Leise bewegten sie sich vorwärts und Rowan beobachtete ihm unbekannte Vögel in den Zweigen, Gazellen, die am Ufer tranken und Fische im klaren Wasser neben dem Boot. Als er hochschaute, entdeckte er eine Schlange, die auf einem Ast ruhte, und seine innere Stimme warnte ihn, dass sie giftig wäre. Einmal sah er eine riesige Wasserschlange, die im flachen Wasser unter einem Baum fast unsichtbar war. Als sich aber ein Wasserschwein näherte, das etwa groß wie ein Hausschwein war, schoss sie mit großer Geschwindigkeit heran, umwickelte ihr Opfer, bis es reglos war und sie es hinunterschlang.

Rowan jagte ein Schauer über den Rücken. Dieser Sumpf war wirklich ein mächtiger Gegner. Jeder Angreifer sah sich einer Reihe unbekannter Bedrohungen gegenüber.

Auf einmal schwankte das Boot gefährlich, sodass es umzukippen drohte. Rowan bewegte sich zu der Seite, die sich aus dem Wasser hob. Doch Roschur zwang ihn mit seinen Gedanken in die entgegensetzte Richtung. Die Wasseroberfläche kam bedenklich nahe. Auf einmal tauchte eine riesige Wasserechse empor, riss ihr Maul direkt vor Roschurs Arm auf. Auf die wortlose Anweisung des Sumpfländers stützte sich Rowan mit der flachen Seite des Paddels auf dem Wasser ab und fing den Schwung ab. Das Boot richtete sich wieder auf.

Doch dann schlingerte es gefährlich, denn Roschur stach und hieb mit dem Paddel auf das Tier ein. Geschickt suchte er die Schwachstelle hinter den Ohren und schlug auch auf die Augen. Rowan musste sein Gespür einsetzen, um das Boot im Gleichgewicht zu halten. Mal kippten sie zu der einen, mal zu der anderen Seite. Da er jetzt begriffen hatte, wie er das Boot abfangen konnte, kenterten sie nicht. Endlich tauchte das Tier schwerverletzt weg.

Rowan spürte, dass sich Roschur ärgerte. „Du hast das Tier geschickt besiegt, warum ärgerst du dich?“, fragte er.

„Die Wasserechsen sind eine willkommene Abwechslung in unserem Speiseplan“, erklärte Roschur. „Sie schmecken hervorragend. Ihr Fleisch ist zart. So eine große Echse reicht für viele Esser.“

In Rowan keimte der Verdacht auf, dass Roschur die Begegnung mit dem Tier herbeigeführt hatte, um es zu erlegen. Aber er schwieg. Allerdings war er jetzt wachsam und beobachtete die Wasserfläche aufmerksam. Doch Roschur vermied nun die Nähe zu den Echsen. Vielleicht wollte er Rowan nicht in Gefahr bringen. Anscheinend wusste er, wo die Tiere sich bevorzugt aufhielten.

„Wasserechsen töten ihre Opfer nicht mit Bissen, sondern zerren sie unter Wasser, sodass sie ertrinken. Erst dann reißen sie Fleischstücke aus dem Körper heraus“, erklärte Roschur, nachdem sie lange geschwiegen hatten.

Rowan nickte verstehend und weil er sich wunderte, fragte er: „Gibt es hier keine weiteren Siedlungen?“

„Hilschand liegt auf einer Sandinsel im Fluss, daher ist sie nur von der Flussseite einnehmbar. Rundherum ist undurchdringlicher Sumpf, da können nur wenige Menschen leben. Selbst wir Einheimischen haben Probleme, uns in diesem Labyrinth aus Kanälen zurechtzufinden.“

Rowan nickte. Langsam verstand er die Kultur dieses Volkes. Die Gedankenverbindung zu anderen Sumpfländern konnte unter diesen Umständen lebensrettend sein.

Erst als die Sonne den Zenit längst überschritten hatte, kehrten sie um. Flussabwärts kamen sie schneller voran, schon bald lag die Stadt vor ihnen. Nachdem sie das Boot ans Ufer gezogen hatten, zog Roschur die Kleidung aus und sprang in den Fluss.

„Gibt es hier keine Wasserechsen und Schlagen?“, fragte Rowan. Er zögerte, seinem Kameraden zu folgen.

„Nein, in Stadtnähe werden sie gejagt und getötet. Wir Sumpfländer lieber ihr Fleisch. Und da auch Kinder am Wasser spielen und die Frauen die Wäsche waschen, haben wir Echsenjäger am Fluss.“ Er zeigte auf zwei Männer, die auf einem kleinen Holzturm standen.

Rowan traute den Wächtern zwar nicht so ganz, wollte aber nicht als Angsthase gelten, zog sich ebenfalls aus und sprang ins Wasser. Ohne dass sie sich abgesprochen hatten, machte sie ein Wettschwimmen daraus, vorbei an der Hafeneinfahrt bis zur Stadtgrenze. Rowan war froh, wieder so gut genesen zu sein, dass er knapp vor Roschur das Ufer, an dem ihre Kleidung lag, erreichte. Er spürte, dass Roschur ernsthaft gekämpft und sich nicht aus Gastfreundschaft zurückgehalten hatte.

„Aus dir machen wir noch einen guten Ritter“, meinte Roschur, während er sich anzog, und grinste Rowan an.

„Oh, das haben mir schon einige versprochen, aber jedes Mal musste ich weiterreisen, bevor ich genug gelernt hatte.“ Wehmut schwang in seinen Worten mit. Er erinnerte sich an einige Ritter, die ihn freundschaftlich behandelt und ihn unterrichtet hatten, die inzwischen vielleicht umgekommen waren.

Roschur munterte ihn auf. „Bei uns wirst du länger bleiben.“

Rowan nickte schweigend. Er hoffte es. Bei Zwandir würde er sehr viel lernen können und auch der Unterricht in verschiedenen Kampfkünsten an Matrins Hof würde ihm guttun.

Sie liefen zurück und bevor sie sich vor Zwandirs Hütte trennten, sagte Roschur: „Ich erwarte dich morgen früh zum Bogenschießen, anschließend üben wir wieder den Schwertkampf.“

Rowan nickte, erwiderte aber: „Mit der Lanze und der Axt kann ich sehr schlecht umgehen, da brauche ich Anleitung.“

„Die heben wir für später auf, jetzt ist erst einmal Schwertkampf und Paddeln wichtiger.“

In der Hütte war es heiß, als Rowan eintrat. Zwandir stand am offenen Feuer und rührte in seinem Kessel.

„Du kommst gerade rechtzeitig. Ich bereite ein Mittel gegen Schlangenbisse zu.“

„Gegen welche Schlangen hilft es?“, fragte Rowan und trat an die Feuerstelle heran.

„Gegen alle. Es stärkt den Körper, damit er das Gift abbauen kann.“ Zwandir summte leise ein Lied. Rowan spitzte seine Ohren, trotzdem verstand er nur wenig von den Zutaten.

Doch Zwandir wiederholte es immer wieder und irgendwann summte Rowan es mit, sogar die Worte sprach er mit, obwohl er viele nicht kannte. Als Zwandir aufhörte, wurde ihm bewusst, dass er den Text gar nicht gehört hatte, sondern durch Gedankenübertragung verstanden und gelernt hatte.

„Es wird Zeit, dass du diese geistige Fähigkeit vertiefst. Dein Großvater beherrscht sie recht gut.“

„Er hat sie sehr selten angewendet“, murmelte Rowan.

„Die Magianer wären überfordert, wenn er sie anwendete. Daher behandelt er die Kranken nach euren überlieferten Heilmethoden.“ Zwandir reichte Rowan den Kochlöffel und nahm Keramikdosen von dem Bord. Er öffnete sie und ließ Rowan daran riechen. Es roch würzig, wie ein Küchenkraut.

„Selbst im Dunkeln sollte ein Magier seine Kräuter finden.“

Rowan nickte, auch sein Großvater hatte ihn immer an den Pflanzen riechen lassen.

„Ihr rechnet mit einem Überfall der Echsenkrieger?“, fragte Rowan, nachdem Zwandir seine Unterrichtsstunde beendet hatte und sie am Tisch ihren Getreidebrei löffelten.

„Ja, sie werden bald hier eintreffen. Die meisten werden in den Sümpfen umkommen, doch wir stellen uns auf einen schweren Kampf ein. Deshalb musst du durchtrainiert sein und unsere Umgebung gut kennen.“

„So hatte sich Großvater meine Ausbildung sicher nicht vorgestellt“, murmelte Rowan.

Zwandir lachte. „Die Götter haben häufig etwas anderes mit uns vor, als wir es uns wünschen.“

Rowan schüttelte den Kopf und seufzte. „Ich bin von jedem Magiermeister früher als geplant weggegangen, weil wir fliehen mussten.“

„Trotzdem hast du viel gelernt. Vielleicht etwas anderes, als Bunduar es sich ursprünglich vorgestellt hatte, aber du bist reifer und weiser geworden.“

Rowan lachte. „Ja, ich kann jetzt Sensen, Pflüge und Messer schmieden. Außerdem kann ich pflügen, Schafe hüten und scheren, Holzkohle herstellen, segeln und fischen.“

Zwandir fiel in sein Lachen ein. „Auf jeden Fall kannst du dir deinen Lebensunterhalt verdienen.“

Rowan gefiel die leichte und fröhliche Art seines Meisters. Seine vorherigen Lehrherren waren alle sehr ernst gewesen. Aber so fiel ihm das Lernen viel leichter.

Zwandirs Unterricht war gut durchdacht. Lange vor Sonnenaufgang standen sie auf und Zwandir lehrte Rowan, seine Gedanken besser zu beherrschen und sich in andere einzufühlen. Bald nach Sonnenaufgang eilte Rowan zur Burg und übte sich im Bogenschießen und im Schwertkampf. Dann folgte Schwimmen und Paddeln. Obwohl er immer kräftiger wurde und das Boot bald allein steuern konnte, war ihm unwohl dabei. Er musste nicht nur das Boot beherrschen, sondern das Ufer und den Fluss genau beobachten, um den Schlangen und Echsen weiträumig auszuweichen. Aber auch Landtiere waren eine Gefahr, wenn sie das Wasser durchschwammen und er vermeiden musste, dass sie das Boot rammten.

„Wo sind eure berühmten Pferde?“, fragte er eines Tages Roschur auf einer Bootstour.

„Die leben weiter im Landesinneren. Hier ist der Sumpf für Reiter undurchdringlich, am Oberlauf des Flusses kann man durch den Sumpf reiten, da gibt es feste Wege und keine Wasserechsen. In einigen Gebieten ist auch Landwirtschaft möglich. Da wächst Getreide, Obst und Gemüse und dort züchten wir Tiere.“

Je mehr Rowan von diesem unwirtlichen Land sah, desto unheimlicher wurde es ihm. Dabei war er in der Nähe von Mooren aufgewachsen. Doch das Magierland war überwiegend flach und besaß Felder und Weideland. Nur an den Rändern gab es bewaldete Gebirge. Im Süden befand sich eine Wüste, dort war Rowan noch nie gewesen. Cajan, Llyllia und das Ostreich, die drei Länder, in denen Rowan die letzten Jahre gelebt hatte, waren sehr gebirgig. Diese Berge waren viel höher als die im Magierreich. Im warmen Sumpfland war er zuvor nie gewesen.

Roschur zeigte ihm die verschiedenen Wasserwege. „Du musst dich nach der Sonne und der Strömung orientieren. Bäume und Inseln taugen nur bedingt als Wegmarken, da sie sich schnell verändern.“ Dann begann er ein Lied zu summen. Rowan beherrschte Sumpfländisch inzwischen so gut, dass er erkannte, dass es sich bei dem Lied um eine Art Landkarte handelte.

Er hörte gut zu und nach einer Weile sang er es mit. Auf dem Rückweg ließ Roschur ihn den Weg finden. Immer und immer wieder summte Rowan das Lied vor sich hin. Es war gar nicht so einfach, da er die Zeilen jetzt in umgekehrter Reihenfolge beachten musste. Doch er fand den Weg und sie erreichten Hilschand. Sogar nach Schlangen und Wasserechsen hatte er Ausschau gehalten und sie weit umgangen, wenn er sie entdeckte.