Rowan - Flucht ins Sumpfland - Aileen O'Grian - E-Book

Rowan - Flucht ins Sumpfland E-Book

Aileen O'Grian

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Beschreibung

Das Magierreich wird von einer unheimlichen Macht bedroht, Echsenkrieger und Drachen besetzen das Land. Deshalb soll der junge Magier Rowan seine Freunde Ottgar, Thronfolger des Magierreichs, und Mardok, Enkel des königlichen Waffenmeisters, in Sicherheit bringen, damit die zukünftigen Führer des Landes die Invasion überleben. Er selbst soll, gemäß den Wünschen seines Großvaters Obermagier Bunduar, seine Magierausbildung im Sumpfland fortsetzen. Die Aufgabe erweist sich als schwieriger als gedacht, da die Feinde überall lauern und Ottgar mit seinem ungestümen Wesen lieber an der Seite seines Vaters kämpfen will, statt zu fliehen. Auch Rowan sorgt sich um seine Freunde im Ostreich, wo sich der Aufstand gegen König Kustin ausbreitet. Vor allem liegt Rowan die junge Heilerin Haiwa am Herzen, die ihm viel bedeutet und deren Leben in Gefahr ist.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhaltsverzeichnis

Rowan – Flucht ins Sumpfland

Fantasyroman von Aileen O‘Grian

Aileen O‘Grian

Rowan – Flucht ins Sumpfland

Fantasyroman von Aileen O‘Grian

Impressum

Aileen O‘Grian

c/o Papyrus Autoren-Club,

R.O.M. Logicware GmbH

Pettenkoferstr. 16-18

10247 Berlin

Copyright © 2019 Aileen O’Grian

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Birgit Maria Hoepfner

www.textewerkstatt.de

Bilder: © Mitch Boeck / Shutterstock.com

© Valentyna Chukhlyebova / Shutterstock.com

Covergestaltung: TomJay - bookcover4everyone / www.tomjay.de

1.

„Guten Morgen, Schlafmütze“, begrüßte Rowan seinen Freund, den Thronfolger Ottgar, der aus dem aus zwei regenfesten Umhängen notdürftig errichteten Zelt hervorschaute. Über Nacht war es abgekühlt und es nieselte leicht. Fröstelnd legte Rowan ein paar Äste auf das Feuer, strich sich seine nassen Haare aus dem Gesicht und röstete einige Zandrofrüchte in der qualmenden Glut. Die Früchte, die erst spät im Jahr reiften, waren so hart, dass sie roh nicht essbar waren.

„Wo sind die denn her?“, fragte Ottgar überrascht.

„Oh, ich war schon fleißig und habe sie gesammelt, nachdem die Vögel mich geweckt hatten.“ Rowan grinste seinen Kameraden an.

„Dass denen bei dem Wetter nicht die Lust auf das Singen vergeht“, murrte Ottgar. Er nahm seinen Umhang vom Ast, schüttelte ihn aus und schlüpfte hinein. Dann reichte er Rowan den anderen Überwurf. Doch der legte ihn achtlos zur Seite, da er sowieso schon nass war.

„Früher warst du nicht so zimperlich. Du bist am Hofe von Prinz Hrodwal ganz schön verzärtelt worden“, stichelte Rowan.

Ottgar nickte. „Dabei habe ich fleißig kämpfen gelernt. Aber die Prinzen und Fürsten hielten sich bei schlechtem Wetter lieber im Rittersaal als im Freien auf.“ Er schüttelte sich. „Ich hätte nie gedacht, dass Hrodwal einen Aufstand plant und seinen Bruder Kustin ermorden will.“ Er schwieg eine Weile bedrückt. „Dabei ist Hrodwal meiner Meinung nach noch immer der fähigere Herrscher.“

Rowan zuckte die Schultern. „Es ist nicht unsere Aufgabe, uns in die Regierungskrisen des Ostlands einzumischen.“

„Aber sie sind unsere Verbündete, da kann es uns nicht gleichgültig sein, wer regiert. Außerdem ist er mein Onkel.“

„Beide sind deine Onkel“, gab Rowan zu bedenken, dann fuhr er fort: „Darum soll sich lieber dein Vater kümmern. Wir können die Folgen doch gar nicht überblicken. Und Kustin ist immerhin der rechtmäßige König.“ Rowan legte weitere Zweige auf das Feuer.

Rauch stieg auf. Ottgar hustete, mit einer Hand wedelte er den Qualm fort.

„Aber er hat keine Visionen, er lässt das Land wirtschaftlich verkommen.“

„Wirklich? Das Ostland leidet immer noch unter den grausamen Regierungen seines Vaters und Bruders. Magier und Hexen wurden umgebracht, selbst die Priester wurden verfolgt. Den Kaufleuten ging es auch nicht gut. Sie standen schnell unter Verdacht, mit ausländischen Regierungen zu paktieren, wenn sie Verbindungen zum Ausland hatten. Wer sollte unter diesen Bedingungen Neuerungen anregen und durchführen?“

„Nicht in jedem Land sind die Priester und Magier so gebildet und stark wie im Magierreich“, warf Ottgar ein.

Rowan nickte. „Und es hat unserem Land noch nie geschadet, dass die Könige sich von ihren Magiern beraten lassen und die Priester um Beistand bitten.“

„Aber Prinz Hrodwal hat gute Berater, die schlagen ihm neue Handelsbeziehungen vor und fördern den Bergbau.“

„Klar, dafür verbündet er sich mit den Zwergen und Trollen und lässt die Ritter abschlachten.“

„Nein!“

„Doch, der Angriff auf Herzog Vlotan war von ihm geplant worden und uns will er noch immer töten.“ Rowan holte die warmen Zandrofrüchte aus dem Feuer, reichte Ottgar einige und schälte seine Früchte geschickt, um sie anschließend voller Genuss zu verzehren. „Dass sein Volk stirbt, weil es keine Heiler mehr gibt, ist ihm egal“, setzte er das Gespräch fort.

„Aber wenn die Heiler ihm nach dem Leben trachten …“

Rowan sah Ottgar nur mitleidig an. Wie verblendet war sein Freund! Es hatte keinen Sinn, ihn überzeugen zu wollen. Schließlich hatten Hrodwal und sein Neffe, der Königssohn Ranin, Ottgar gefangen genommen. Wer weiß, ob er noch leben würde, wenn Rowan ihn nicht aus dem Kerker befreit und ihrer beider Flucht ermöglicht hätte. Vorsichtshalber mussten sie so schnell es ging aus dem Grenzland zwischen Ostland und dem Magierreich flüchten, denn Rowan traute Prinz Hrodwal und seinen Getreuen zu, die Grenzen des Nachbarlands zu verletzen, um unliebsame Zeugen loszuwerden.

Seine wichtigste Aufgabe war, sich um Prinz Ottgar zu kümmern und ihn in Sicherheit zu bringen. Das hatten sein Großvater, der Großmagier Bunduar, und seine Mutter, die Seherin Salawin, ihm immer wieder eingeprägt. Der Fortbestand des Magierreichs hing davon ab, dass der Thronfolger geschützt wurde und genug lernte, um später ein weitsichtiger Herrscher zu werden. Ottgars Schutz war umso wichtiger, da er das einzige Kind König Wilhars war.

Dass sie nun ausgerechnet bei ihren Verwandten im Ostland miterleben mussten, wie man Aufstände anzettelte, war sicher nicht vorgesehen gewesen. Rowan hatte gehofft, im Ostland ihre alte Kinderfreundschaft wieder aufleben zu lassen, denn Ottgar und er hatten sich einige Jahre, bedingt durch ihre unterschiedlichen Ausbildungen, aus den Augen verloren. Doch Ottgar hatte als Knappe am Hofe von König Kustin gelebt, wohingegen Rowan bei Magier Wudon die Heilkunst lernte. Während die Ritter des Ostlands sehr gute Lanzen- und Axtkämpfer waren, hatte das Wissen der Magier durch die jahrzehntelangen Verfolgungen gelitten und manches Mal hatte Rowan den Eindruck gehabt, dass Magier Wudon mehr von ihm lernte als umgekehrt. Erst in den Wochen vor ihrer Flucht, die er verletzt bei der Hexe Sidawa verbrachte, hatte er wirklich etwas Neues gelernt.

Rowan wollte nichts riskieren, deshalb verwischten sie ihre Spuren, so gut es ging. Er löschte das Feuer und streute Erde darüber, während Ottgar Laub und Moos, mit dem sie ihre Schlafstatt gepolstert hatten, in den kleinen Bach warf.

Dann schlichen sie weiter durch die Wälder des Grenzlands. Im dichten Unterholz führten sie ihre Pferde, wurde der Wald lichter, saßen sie auf und ritten. Sie vermieden Siedlungen und ernährten sich von Früchten, die sie sammelten, und Tieren, die sie jagten.

„Seit wann isst du Fleisch?“, fragte Ottgar überrascht, als Rowan sich etwas von dem Hasen nahm, den Ottgar erlegt hatte.

„Mir bleibt nichts anderes übrig, wenn ich nicht verhungern will. Es gibt momentan zu wenig Früchte. Außerdem würde das Sammeln zu viel Zeit kosten und uns zu lange aufhalten.“

Rowan fühlte seit einer Weile eine Bedrohung, doch die Ursache war ihm nicht klar, so sehr er auch in sich ging. Bedrückte ihn die Gefahr für seine Familie und Freunde im Magierreich? Oder ging es vielleicht um diejenigen, die er schutzlos im Ostland hatte zurücklassen müssen? Konnte er ihnen irgendwie helfen? Deshalb musste er unbedingt die Naturgeister befragen, doch dafür brauchte er einen Augenblick der Ruhe, um sich zu zentrieren. Wie er wusste, war das Magierreich in größter Gefahr und seine Aufgabe, den Thronfolger in Sicherheit zu bringen, war wichtiger als je zuvor. Was gar nicht so einfach war. Denn im Ostreich war während ihres Aufenthaltes ein Bürgerkrieg ausgebrochen. Prinz Hrodwal kämpfte gegen seinen Bruder, König Kustin. Die Magier und Hexen, die unter Kustin in Frieden lebten, waren nun auch wieder in Gefahr. Rowan sorgte sich um seinen Meister Wudon, die hilfsbereite Hexe Sidawa und ihre Schülerin Haiwa. Am liebsten hätte er sie ebenfalls gerettet, doch erst einmal musste er Ottgar irgendwo verstecken. Dabei sollten sie jedoch ihre Heimat, das Magierreich, meiden. Im Süden besaßen sie keinerlei Verbündete, denn Wüste und Gebirge machten die Grenze dorthin unüberwindlich.

Die alte Hexe Sidawa kannte die Gefahr. Sie war eine hervorragende Hellseherin. Rowan hoffte, dass sie sich und ihre Schülerin rechtzeitig in Sicherheit brachte. Dennoch sorgte er sich um sie.

Rowan versuchte, ihr in Gedanken eine Botschaft zu senden. Doch seine Fähigkeiten reichten dazu anscheinend nicht aus. Oder wollte Sidawa ihn nicht wissen lassen, wie es ihnen ging? Dann war die Gefahr sicher größer, als Rowan bisher vermutet hatte.

Als Ottgar in der Nacht schlief, schlich Rowan zu einem alten Baumriesen, entzündete ein Elfenfeuer, um seinen Freund, den Elf Sirii, zu rufen. Es war sein vorletztes. Leider wusste er nicht, wie er zu neuem Elfenfeuer kommen konnte, denn Bunduar hatte ihm nicht verraten, wie er es herstellte. Er atmete tief ein und aus und versenkte sich schließlich in seine innere Mitte. Der Rauch des Kegels stieg hoch. Erst als das Harz längst verglüht war, erschien sein Elfenfreund.

„Sirii, danke, dass du kommst. Kannst du bitte Sidawa und Haiwa retten? Sie sind in großer Gefahr, aber ich muss mich zuerst um Ottgar kümmern.”

Sirii schüttelte bekümmert den Kopf. „Nein, ich muss bei dir bleiben. Mit euch beiden Unvorsichtigen habe ich genug zu tun.“

Rowan grinste. „Ich kann schon auf uns aufpassen.“

„So, so, und wer hat unbedacht Feuer gemacht?“

„Es war nur ein kleines Feuer zwischen hohen Bäumen, der Rauch war nicht zu sehen und im Wald auch nicht weit zu riechen. Ich hatte einen größeren Umkreis abgeschritten, war sogar auf einen Baum geklettert. In unserer Nähe befanden sich keine Menschen.“

„Aber ein paar Stunden später kamen die Landsknechte von Prinz Hrodwal und haben euer verlassenes Lager gefunden. Ich habe sie von eurer Spur abgelenkt. Jetzt reiten sie westlich ins Felsental.“

„Oh, danke. Ich dachte, wir hätten alle Überreste beseitigt. Ob sie wohl rechtzeitig umkehren?“ Das Felsental war berüchtigt. Es endete in einem Schotterfeld, das Menschen nicht ohne Weiteres überwinden konnten. Sie lösten mit ihren Schritten eine Mure aus, in der sie Gefahr liefen umzukommen.

„Wie steht es um Bunduar und König Wilhar? Ich spüre große Gefahr und würde viel lieber zu ihnen reiten, um sie zu unterstützen. Ottgar würde sicher auch gern seinem Vater helfen.“

„Die Elfenkönigin hat mir befohlen, euch mit aller Macht vom Magierreich fernzuhalten. Ihr müsst auf jeden Fall in Sicherheit gebracht werden, egal was aus eurer Familie wird.“

Rowan schluckte, nur mit Mühe beherrschte er sich. „Als Bunduar mich in Llyllia verließ, klang es nach einem endgültigen Abschied. Ich habe gespürt, dass ich ihn nie wiedersehen werde.“

„Es wird einige Abschiede geben“, murmelte Sirii undeutlich.

„Ich habe nur noch ein Elfenfeuer. Weißt du, wie ich sie herstellen kann?“, fragte Rowan gedankenverloren.

Sirii lachte. „Gehe in dich, du weißt die Formel, du musst nur ganz bewusst danach suchen, dann wirst du sie auch in dir finden.“

Mit diesen wahrsagerischen Worten verschwand er.

In den nächsten Tagen ernährten sie sich von Beeren und Früchten, sammelten Pilze und Nüsse. Rowan erlaubte Ottgar nicht mehr, Feuer zu entzünden. Er spürte deutlich eine fremde, bedrohliche Macht, egal, wohin sie kamen. Er bot sein ganzes Können auf, um seine und Ottgars Anwesenheit zu verbergen.

2.

Schon bald schienen die Wege unheilvoll. Egal, welche Richtung Rowan einschlug, überall spürte er diese gefährliche Gegenwart fremder Mächte. Auch Scharus, sein alter treuer Wallach, der übernatürliche Fähigkeiten hatte, weigerte sich immer wieder, weiterzulaufen.

„Wie lange willst du noch im Kreis reiten?“, murrte Ottgar schließlich verärgert.

„Ich weiß es nicht. Ich finde keinen sicheren Weg hinaus. Überall droht Gefahr.“

„Dann sei doch nicht so ängstlich, das Leben ist immer gefährlich. Vor allem, wenn man Ritter ist und erst recht als angehender König.“ Verächtlich fügte er hinzu: „Magier denken natürlich zuerst an die Sicherheit. Die kämpfen auch nicht in vorderster Reihe.“

Rowan schluckte, holte mehrmals tief Luft, um eine scharfe Erwiderung zurückzuhalten. „Könige sollten auch nicht an vorderster Front kämpfen“, sagte er nach einer Weile leise. „Sie sollten das ganze Schlachtfeld überblicken und kluge Anweisungen geben. Kopfloses Heldentum hat noch niemanden geholfen.“

Anschließend ritten sie schweigend weiter, bis sie in der Dunkelheit einen Felsüberhang fanden, unter dem sie geschützt übernachten konnten.

Am nächsten Morgen machte sich Rowan auf, um Nahrung für sie zu suchen. Es wuchsen viele Brombeeren und Nüsse hier und er sammelte eine ganze Weile, um auch für die nächsten Tage Vorräte zu haben. Er ärgerte sich, dass Ottgar ihm dabei nicht half. Noch größer war sein Entsetzen und Ärger, als er zum Lager zurückkehrte und Ottgar nicht mehr vorfand. Sein Pferd und seine Decke waren weg. Er hatte Rowan einfach im Stich gelassen.

Rowan fluchte laut. Warum hatte Bunduar ihm bloß mit dieser undankbaren Aufgabe betraut, Kindermädchen für den Thronfolger zu spielen? Was war aus ihrer engen, vertrauensvollen Kinderfreundschaft geworden?

Niedergeschlagen sattelte Rowan sein Pferd und suchte nach Spuren, um Ottgar zu folgen.

Er hatte Glück. Ohne um Hilfe gebeten zu haben, tauchte eine kleine Blumenfee auf einer Lichtung vor ihm auf.

„Du suchst diesen leichtsinnigen Jungen? Er ist nach Norden geritten.“ Sie zeigte mit der Hand zwischen hohen Laubbäumen hindurch. „Beeile dich, ihn einzuholen. Die Echsenkrieger lagern vor dem Moor.“

„Sind wir im Moor vor ihnen sicher?“, fragte Rowan.

„Ich befürchte nicht. Rettet euch in den Schnee. Kälte können sie nicht ab.“

Rowan sah sie irritiert an. So hoch waren die Berge im Magierreich nicht, als dass sie schneebedeckt waren. Trotzdem behielt er ihren Rat im Hinterkopf, als er sein Pferd antrieb, um Ottgar einzuholen.

Leider hatte Ottgar sein gesamtes Wissen, Spuren zu verwischen, eingesetzt, um Rowan die Verfolgung zu erschweren. Rowan fluchte leise, dafür langanhaltend. Warum hatte er Ottgar so viel beigebracht? Natürlich hätte er als Ritter und Jäger einiges über Spurenlesen und wie man sich heimlich bewegte auch von anderen Lehrern gelernt. Doch Rowan verstand erheblich mehr von der Natur, von den Geistern und Tieren und hatte Ottgar manches Geheimnis verraten. So musste Rowan immer wieder kostbare Zeit verschwenden, um die Spur seines Kameraden zu finden. An einem Bach kurz vor dem Moor verlor er sie. Sicher war Ottgar längs des Baches weitergeritten. Doch in welche Richtung ? aufwärts oder abwärts? Bergab ging es Richtung Wanroe, wo König Wilhar residierte, also folgte Rowan dem Bachlauf. Doch als er nach einem halben Tag Ottgars Spur noch immer nicht gefunden hatte, wendete er und ritt bachaufwärts, Richtung Ostland. Das bereitete ihm Bauchschmerzen. Jetzt musste er nicht nur mit den Echsen rechnen, sondern auch noch mit Prinz Hrodwals Kriegern.

Am liebsten hätte er Sirii um Hilfe gerufen, doch das letzte Elfenfeuer musste er für einen wirklichen Notfall aufheben.

Endlich erkannte er die Stelle, an der Ottgar den steinigen Bachlauf verlassen hatte. Geschickt hatte er ein Felsplateau benutzt. Doch am Ende der Felsen hatte sein Pferd ein paar Zweige abgerissen. Jetzt konnte Rowan ihm schneller folgen. Obwohl es inzwischen dämmerte, ritt er weiter, da die Spur geradeaus wieder Richtung Wanroe wies. Mit dem Umweg hatte er also Rowan nur abschütteln wollen.

Kannte Ottgar sich hier nicht aus? Er würde bald auf das große Ostmoor stoßen.

Leider konnte Rowan die Nacht nicht durchreiten. Scharus war völlig erschöpft. Er rastete im Unterholz, band seinen Kameraden an Büschen fest und legte sich hin. Er würde eine leicht lesbare Spur hinterlassen, aber das spielte jetzt keine Rolle mehr. Ottgar einzuholen, war viel wichtiger.

Sobald es am Morgen dämmerte, sattelte er und nahm die Verfolgung wieder auf. Nach mehreren Stunden hielt er an einem Bach inne, aß die Brombeeren und ein paar Nüsse, ließ das Pferd weiden und saß erst wieder auf, nachdem sie sich erholt hatten.

Gegen Abend wurde der Untergrund weicher, er näherte sich dem Moor. Bald wuchsen Moorpflanzen und Ottgars Spur wurde immer deutlicher.

Scharus‘ Ohren bewegten sich unruhig. Rowan stockte, als er plötzlich Kampfgeräusche hörte.

Doch statt sein Pferd anzutreiben, lauschte er erst einmal. Er konnte mehrere Reittiere stampfen hören. Vorsichtig näherte er sich dem Kampfplatz.

Er sah Ottgar, der sich zu Fuß verzweifelt gegen vier Echsenwesen wehrte. Sie waren bestimmt einen Kopf größer und viel kräftiger als stattliche Ritter, liefen aufrecht und waren am ganzen Körper von ihren Schuppen geschützt.

Rowan überlegte kurz. Selbst wenn er sich einmischte, würden sie die Echsen nicht überwältigen können. Schade, dass ihre Elfenhaarmäntel in Wanroe geblieben waren. Jetzt könnten sie sie gebrauchen, um sich unsichtbar zu machen.

Er benötigte unbedingt Hilfe, daher saß er ab, setzte sich auf den Boden und versenkte sich in sein Inneres. Er brauchte länger, als ihm lieb war, um zur Ruhe zu kommen.

„Ehrwürdiger Moorgeist, hilf deinen Freunden“, rief er endlich, als er so weit war.

Tatsächlich erschien ein grauhaariges Männergesicht zwischen den Binsen. „Warum soll ich dir helfen, du Jungspund?“

„Weil du meinem Großvater, dem Obermagier Bunduar, Treue geschworen hast“, flüsterte er eindringlich.

Der Moorgeist verschwand, ohne zu antworten.

Rowan wurde schwer ums Herz. Nicht einmal die Naturgeister hielten zu ihm. Wie sollte er da Ottgar retten?

Er nahm seinen Bogen und legte einen Pfeil ein, dann näherte er sich den Kämpfern, spannte den Bogen und zielte auf den vom Ottgar entferntesten Feind. Er nahm sich Zeit, genau auf eine Spalte im Panzer zu zielen, bevor er losließ. Mit einem Aufschrei sackte der Mann zusammen, griff noch nach seinen Hals, dann blieb er regungslos liegen.

Rowan legte den zweiten Pfeil ein. Einer der Männer hatte sich von Ottgar abgewandt, als er seinen Kameraden schreien hörte, und Rowan entdeckt. Jetzt eilte er auf den jungen Magier zu. Bevor Rowan eine verwundbare Stelle mit dem Pfeil fixieren konnte, versank der Gegner im Moor.

„Danke, Moorgeist!“, murmelte Rowan und legte auf den dritten Mann an. Auch ihn traf er. Doch nicht so gut, dass er zusammenbrach. Der Kämpfer zog den Pfeil heraus, warf ihn weg und drang weiter auf Ottgar ein. Eilig lief Rowan durch das Moor zu seinem Freund. Er achtete sorgsam auf den Untergrund und betrat nur Stellen, die er als tragfähig erkannte. Während er sprang, zog er sein Messer aus der Scheide. Entsetzt bemerkte er, dass zwei weitere Echsenkrieger aus dem Wald kamen und ihren Kameraden zu Hilfe eilten.

Er duckte sich unter einem Schwertschlag, erreichte endlich Ottgar und sie stellten sich Rücken an Rücken auf, um sich gegenseitig zu decken. Mit einem kräftigen Hieb in eine seitliche Panzerfuge erschlug Ottgar einen Gegner, einem anderen konnte Rowan das Messer in den Brustpanzer rammen. Doch ihm gelang es nicht, es wieder herauszuziehen.

Und die beiden hinzueilenden Echsen hatten sie fast erreicht.

„Ins Moor“, rief Rowan und sprang auf den nächsten Binsenbüschel zu. Und dann weiter. Ottgar folgte ihm blind vertrauend. Als sie sich mitten im Moor befanden, stellten sie fest, dass die beiden Echsen ihnen nicht mehr folgten.

„Und jetzt?“, fragte Ottgar.

„Keine Ahnung, aber wir leben noch.“

So zuversichtlich, wie Rowan sich gab, war er nicht. Er spürte, wie der Moorboden unter ihm nachgab. Lange würden sie sich hier nicht aufhalten können. Und wie sollten sie zu ihren Pferden kommen, wenn die beiden Echsen vor dem Moor Wache hielten, vielleicht sogar Verstärkung bekamen?

Erst einmal dankte er dem Moorgeist und zog aus seinem Beutel ein paar Heilkräuter, die er ihm opferte, indem er sie über das Moor streute. Anschließend bat er um Unterstützung. „Trage uns über dein Reich und rette uns“, bat er laut, bevor er ein altes Dankeslied an hilfreiche Naturgeister anstimmte. Die ersten drei Strophen kannte Ottgar und fiel mit ein, die weiteren sang Rowan mit seiner schönen Stimme allein. Er sang laut, über das flache Moor wurden die Worte weit getragen. Während er das Lied vortrug, beobachtete er die Echsen. Anscheinend störte sie der Gesang, denn sie liefen unruhig hin und her, hielten sich die Ohren zu und zogen sich sogar etwas zurück.

Angefeuert von seinem Erfolg, stimmte Rowan gleich danach ein weiteres Lied an. Diesmal ein Bittgesang an alle Wassergeister, zu denen im Entferntesten auch der Moorgeist gehörte.

„Gleich werden wir nass“, murrte Ottgar leise und wies auf die dunklen Wolken, die langsam von Westen heraufzogen.

Rowan nickte und sang weiter. Er wiederholte das Lied sogar mit sämtlichen Strophen.

„Mein Umhang befindet sich bei meinem Pferd“, schimpfte Ottgar. „Hör endlich auf. Ich will hier nicht ersaufen.“

Rowan schüttelte den Kopf und fuhr unbeirrt fort. Die Echsen bewegten sich immer weniger. Schließlich sammelten sie sehr schwerfällig Holz und entzündeten ein Feuer.

„Die wärmen sich am Feuer, haben als Schutz ein dichtes Laubdach über sich, während wir hier frieren und bald auch noch durchnässt sind.“

Rowan lachte. „Merkst du nicht, wie groß die Probleme dieser Wesen sind? Sie vertragen keine Kälte und sie mögen keine Musik.“

Er stimmte ein weiteres Lied an. Diesmal ein Winterlied, bei dem um Schnee gebeten wurde. Das Lied wurde selten gesungen, aber einige Teile des Magierreichs waren im Winter schwer zugänglich. Erst wenn es schneite, wurden die durchweichten Pfade wieder gangbar und Schlitten konnten Waren befördern.

Inzwischen grollte der Himmel. Wind kam auf, wirbelte Blätter bis zu ihnen ins Moor. Dann prasselte Regen herab. Blitze zuckten von Wolke zu Wolke. Ottgar zog sich sein Oberkleid über den Kopf, während Rowan die Kapuze seines Gewands überzog.

Sie fröstelten. Rowan rieb sich die Arme, um sich zu wärmen. Ottgar stampfte von einem Bein aufs andere und schlug die Arme um seinen Leib. Dabei sank er immer stärker in den schwankenden Boden ein.

Rowan sang weiter, Schnee- und Eislieder, die er vor Jahren von einer Wetterhexe gelernt hatte.

Es wurde noch kälter und begann zu hageln. Der Wind wurde stärker. Große Hagelkörner peitschten schmerzhaft auf sie herab.

„Ich bleibe nicht hier und lass mich vom Hagel erschlagen“, schrie Ottgar gegen den Wind an.

Rowan nickte. „Sei vorsichtig“, brüllte er und suchte eine trittfeste Stelle. Der Moorgeist war mit ihm und so erkannte er schnell einen sicheren Weg, der ihn zurück zum Kampfplatz führte.

Wie Rowan gehofft hatte, hockten die beiden Echsen erstarrt unter dem Baum. Rowan bückte sich zu dem toten Gegner, den er erstochen hatte, zog sein Messer aus dem Körper heraus und reinigte es mit ein paar Blättern. Dann eilte er zu Scharus, zog sich seinen Umhang über und saß auf. Doch Ottgar war ihm nicht gefolgt, deshalb ritt Rowan zu ihm. Er bekam Magenschmerzen, als er entdeckte, dass Ottgar die wehrlosen Gegner mit dem Schwert enthauptet hatte. Aber er sagte nichts, weil ihm klar war, dass die beiden ihnen weiterhin nach dem Leben getrachtet hätten. Außerdem hätten sie sicher bald ihre Gefährten auf die Spur von Rowan und Ottgar gehetzt.

Rowan schaute sich nach Ottgars Pferd um, konnte es aber nicht entdecken.

„Wo ist dein Pferd?“, fragte er Ottgar.

„Weg. Es stand vorhin hier.“ Ottgar wies auf die Stelle, wo er gegen die Echsenwesen gekämpft hatte.

„Da war es aber schon nicht mehr, als ich dich fand.“ Rowan pfiff auf seinen Fingern. Doch das Pferd kam nicht.

Daher nahm er einen Fuß aus dem Steigbügel und reichte Ottgar die Hand, damit er hinter ihm aufsitzen konnte.

„Wir müssen schnell von hier fort.“ Vorsichtig bewegten sie sich durch das moorige Gelände. Erst als sie festen Boden im Wald erreichten, trieb Rowan Scharus an und sie trabten unter den Bäumen her.

---ENDE DER LESEPROBE---