Rückkehr in die Menschlichkeit - Hans-Joachim Klein - E-Book

Rückkehr in die Menschlichkeit E-Book

Hans-Joachim Klein

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Beschreibung

Hans-Joachim Klein ruft seine ehemaligen Gefährten mit diesem Appell 1979 zum Ausstieg, zur Umkehr aufruft. Zugleich fordert er die Amnestie für alle Verurteilten und im Untergrund Lebenden. Eindringlich schildert Klein sein nie romantisches Leben im Untergrund. Erbärmlichkeit, Ziellosigkeit wird deutlich. Eine Söldnertruppe, im Ausland ausgebildet und gestützt, im Kontakt mit dem internationalen Terrorismus und ohne jeden Bezug zum eigenen Land, zur eigenen Bevölkerung.

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Hans-Joachim Klein

Rückkehr in die Menschlichkeit

Appell eines ausgestiegenen Terroristen

Ihr Verlagsname

Mit einem Nachwort von Daniel Cohn-Bendit

Über dieses Buch

Hans-Joachim Klein hat ein Buch geschrieben, mit dem er seine ehemaligen Gefährten 1979 zum Ausstieg, zur Umkehr aufruft. Zugleich fordert er die Amnestie für alle Verurteilten und im Untergrund Lebenden. Eindringlich schildert Klein sein nie romantisches Leben im Untergrund. Erbärmlichkeit, Ziellosigkeit wird deutlich. Eine Söldnertruppe, im Ausland ausgebildet und gestützt, im Kontakt mit dem internationalen Terrorismus und ohne jeden Bezug zum eigenen Land, zur eigenen Bevölkerung.

Über Hans-Joachim Klein

Hans-Joachim Klein, geboren 1947 in Frankfurt am Main, war Mitglied der Revolutionären Zellen (RZ).

Inhaltsübersicht

Redaktionelle VorbemerkungFür AbspeckchenVom Aussteigen - Zur EinleitungTeil 1 Man wird nicht als Revolutionär geborenTeil 2 Der Coup von WienTeil 3 Entweder du bist ein Fighter oder ein SchweinTeil 4 Zu einem politischen BewußtseinTeil 5 Westend-ZeitenTeil 6 Gewalt ist TrumpfTeil 7 Mein Leben nach WienDer werfe den ersten Stein – Nachwort der JEMANDEDokumentationBomben, Mythen, ZuckerrübenNur Tote schweigenBrief von JemandBrief an JochenPeinlich, peinlichBewaffnete Linke – Zur Diskussion ein paar BeiträgeWiderstand unterm PflasterstrandWie ich unter die Guerilla fiel – ein Bericht, aus dem vollen Leben geschöpftHausbesetzer, Leibwächter, GeiselnehmerDie Szene hat keinen NotausgangDie Heimkehr des Genossen Lokalmatador oder Wir haben genug angestelltGenossinnen und Genossen!Der Pflasterstrand-Staats-schutz«Den Papst einen Monat lang ausspioniert»H.J. Klein – InterviewEin Brief aus ResignationOffener Brief, aber kein neuer!

Vorbemerkung der Redaktion

Das vorliegende Buch hat ein zentrales Motiv: Helft, daß nicht immer wieder junge Menschen – oft ohne es genau zu merken – in die Isolation der zur Gewalt bereiten Gruppen geraten. Und helft, daß all jene, die jetzt irgendwo aussteigen wollen, auch die Chance zum Aussteigen erhalten. Dieses Motiv des Autors ist der Grund für die Veröffentlichung dieses Bandes.

Eine intensive Diskussion mit dem Autor war nicht möglich. Skepsis gegenüber einzelnen Passagen mußte zurückstehen hinter diesem Ziel: den Terrorismus der achtziger Jahre verhindern, bevor er entsteht.

Freimut Duve, 16. November 1979

Für Abspeckchen

 

Es war zum Glück unmöglich,

hart zu werden,

ohne dabei nicht seine Zärtlichkeit zu verlieren!

Doch manchmal

kann man den Geruch einer Suppe noch erkennen,

obwohl man die Nase drinstecken hat.

Entschuldigung

für die Zeit der «Zärtlichkeiten» –

die so zerstörend war.

Jochen

Vom Aussteigen

Zur Einleitung

«Gehe Deinen Weg behutsam,

aber zähle nicht die Schritte,

denn die Furcht tötet sie.»

Elmer Diktonius

Im Juni 1979 stellte der «Club of Rome» seinen neuesten, 176 Seiten umfassenden Report vor. Mit seinem Fazit, «eine intellektuelle Revolution» einzuleiten, kann ich zwar herzlich wenig anfangen, aber um so mehr mit den Fakten, von denen die Autoren ausgehen.

So zum Beispiel, daß für die Ausrüstung eines (!) Soldaten 60 (sechzig) mal mehr ausgegeben wird als für die Ausbildung eines Kindes! Oder daß jeder dritte Mensch auf dieser Welt in Armut lebt, aber Tag für Tag eine Milliarde Dollar für die Rüstung ausgegeben wird.

Also, ich war mal ein Terrorist!

Juni 1979: Der Wiener Kongreß tanzt; vorausgesetzt, dem Russischen Bären streikt nicht die Herzschrittmacher-Batterie.

Salt II soll abgehakt werden – zum Wohle der Rüstungsbetriebe; hüben wie drüben. Denn von wirklicher Abrüstung kann in den Redoutensälen der Wiener Hofburg überhaupt nicht die Rede sein. Waren es nach Berechnungen des Internationalen Friedensforschungsinstituts SIPRI in Stockholm 1976 noch 15 (fünfzehn!) Tonnen TNT, die pro Erdbewohner bereitgehalten wurden und werden, um ihm den Garaus zu machen, werden es nach Salt II nun wohl 20 Tonnen TNT sein.

Der Wiener Kongreß tanzt. Und in Washington kalkuliert man «vorsichtig», wie man lesen kann, mit weiteren 50 (fünfzig) Milliarden Dollar für die vertraglich abgesicherte Aufrüstung, die der Salt II-Abrüstungsvertrag absegnet.

Was Mütterchen Rußland ausgeben wird, weiß man nicht, weil dort ja selbst der Schnupfen eines ZK-Mitglieds zur geheimen Staatssache erklärt wird. Weniger jedenfalls wird’s auch nicht sein.

Also, ich war mal ein Terrorist!

Na und, wäre man angesichts dieses vorprogrammierten totalen Allvölkermordes fast versucht zu sagen.

Was ist der Kieselstein des individuellen Terrorismus im Flußbett gegen die Gebirge der zynischen und neurotischen Machthaber in Ost und West, deren Wahn von der Überlegenheit in sich schon mörderisch ist.

Doch auch der Kieselstein ändert den Lauf der Flüsse!

Zehn Jahre nach Entstehen von «RAF», «2. Juni» und «Revolutionäre Zelle», deren Gewalt sich inzwischen von der der staatlichen nur noch dadurch unterscheidet, daß sie das Machtmonopol nicht besitzen (die Frage, was wäre, hätten sie es, will ich erst gar nicht in meine Überlegungen einbeziehen; angesichts meiner Erfahrungen wäre der Ajatollah Komeini wohl ein Chorknabe dagegen), ist die Bundesrepublik Deutschland ein beredtes Beispiel dafür, wie auch Kieselsteine politische Landschaften verändern. Ob Gebirge oder Kieselsteine, die Macht wird überall blind, unkontrolliert und zum verhängnisvollen Maßstab für die Beherrschung jeder Situation. Will heißen, der Rausch der Macht, der Mächtigen, bekommt ’ne leicht zu verkaufende Scheinlegitimität!

Also, ich war mal ein Terrorist – ohne, na und! Denn ich war einer dieser Kieselsteine, die die Mühlen der Macht zwar nicht blockiert haben, sie dafür aber um so grobschrotiger mahlen ließen.

Ich war am 21. Dezember 1975 als Mitglied «eines Arms der arabischen Revolution» (der sich dann auch noch selbst amputierte) dabei, als in Wien die OPEC-Minister als Geiseln genommen wurden. Drei Menschen wurden dabei ermordet. Daß zwei davon Sicherheitsbeamte waren, nimmt dem nichts an Gewicht. Nichts!

Jeder hat ein Recht auf Leben, natürlich auch ein Bulle! Man kann nicht einzelne Berufsgruppen herausselektieren und zu «lebensunwertem» Leben abstempeln. Da wären wir, meine hochverehrten Theoretiker vom Freundeskreis des bewaffneten Kampfes, nämlich wieder beim Faschismus.

Welch neue Töne von mir?

Ihr werdet noch ganz andere hören; spart also eure Kräfte!

Ich bin dann bis zum Frühjahr 1977 mit den verschiedensten Terroristengruppen, bis hin zur staatlich anerkannten Truppe von Waddi Haddat, zusammengewesen, habe dadurch viele Länder kennengelernt und teilweise deren höchste Repräsentanten, bei denen mir außer zum Kotzen nicht viel Gutes in Erinnerung geblieben ist, und habe natürlich diese Gemeinschaften von innen erlebt, in denen ja «die Aktionen von Liebe und Solidarität geprägt» sein sollen.

Ich habe die Verlogenheit zu spüren bekommen und somit meine eigene Verranntheit und Verblendung. Mir sind die Augen ziemlich schnell aufgegangen, ich bin zur Vernunft gekommen – etwas zu spät, ich weiß.

Vernunft heißt nun nicht Konformität – ganz gleich mit welcher politischen Richtung –, sondern Vernunft heißt hier für mich, ’ne Menge Lernprozesse gemacht zu haben. Und zwar zum größten Teil verdammt einsam, isoliert und, was nicht ganz unwichtig ist, meine Gegner haben sich seither vermehrt: Zu der bis dato einen Jagdgesellschaft – die Bullen aller Couleur – gesellten sich nun noch verschiedene andere. Und die letzteren, die wollen keinen Mehrwert von mir wie die Bullen, bei denen habe ich keinen Marktwert mehr.

Was hilft’s mir da, daß mich verschiedene rechte wie linke (!) Zeitungen wohlwollend unter die Obhut der Mossad in die Negev-Wüste verfrachtet haben.

Der Weg der Vernunft, die menschliche Konsequenz des Aussteigens: Ein Fest fürs Leben; aber nicht so, wie das 1950 Hemingway gemeint hatte.

Auf meinen Schultern, die ja nun so breit auch wieder nicht sind!

Erich Fried, der in London wohnende Schriftsteller, schrieb im Frühjahr 1979 in der Frankfurter Spontizeitung Der Pflasterstrand (Nr. 49, 10. bis 23. 3. 79):

«Ich halte es für schäbig, wenn zwar das Abrutschen in den Terrorismus als eine Art linkes Kavalierdelikt verstanden wird, aber jeder Fehler auf dem schweren Weg aus dem Terrorismus heraus Grundlage eines Verdammungsurteils sein soll.»

Fried trifft den Nagel damit auf den Kopf.

Nach dieser Orgie der Menschenfreundlichkeit in Wien wurde, was meine Person betrifft, nicht ein Promille der Energie aufgewendet, die ich dann zu spüren bekam, als ich mich am 26.4.1977 erdreistete, meinen Revolver nebst Erklärung und der Warnung vor zwei Mordanschlägen an den Spiegel zu schicken.

Es durfte offenbar nicht sein, was eben doch möglich ist: Daß man trotz dieser Last von Wien, trotz jener drei Toten, trotz staatlichen Strafanspruchs und der Rachedrohungen von ehemaligen «Kollegen» ohne Deals mit irgend jemanden endlich mal sehend, hörend wird. Daß man sein Tun reflektiert, Lernprozesse macht und – aussteigt!

Die Worte eines Mitglieds von diesem «Arm der arabischen Revolution» in Wien: «Ich habe zwei umgelegt» fand bei der Linken keine zumindest öffentliche Würdigung. Dafür schiß man mir um so mehr vor den Koffer, als ich wagte, eine spätere Kommentierung dieser drei Morde als das zu bezeichnen, was sie waren: zynisch, gefühllos, eben schlicht menschenverachtend. Die Aktion in Wien und deren anschließende «Aufarbeitung» in einem arabischen Trainingscamp und diese «von Liebe und Solidarität» geprägte – zum Glück aber verhinderte – Aktion in Nairobi brachten mich zu dem Entschluß auszusteigen, sobald sich ’ne Chance bietet.

Theoretisch war ich im Februar 1976 aus der internationalen Terrorszene draußen; aber ich durfte das natürlich nicht zu erkennen geben, solange ich keine Unterstützung fand. Praktisch wurde mir dieses gefährliche Vakuum durch meine schwere Schußverletzung – die ich eifrig «pflegte» – sehr erleichtert: Ich war zwar präsent, stand aber nicht für neue Taten zur Verfügung.

Ohne diese Schußverletzung wäre ich in der Tat niemals so gut über die Runden gekommen und mein Absprung bei der ersten neuen Aktion, zu der man mich hätte haben wollen, hätte sich sonst sehr überstürzt vollziehen müssen. Vor allem wäre es dann ein Sprung ins Nichts gewesen.

Denn aus dem Geflecht des internationalen Terrorismus auszusteigen, ist für jeden, der erst mal drinnen ist – auch wenn er noch keine Aktion wie Wien hinter sich hat –, verdammt schwer. Auch wenn die Damen und Herren von «RAF», «2. Juni» und «RZ» in ihren Kommuniqués da was anderes erzählen. Allein der Entschluß, bei der erstbesten Hilfestellung – denn ohne die geht’s nicht – in einen zweiten «Untergrund» abzuhauen, bereitete mir einige Sorgen. Oder, sag ich’s doch frei raus: Angst.

Die Tatsache, daß ich dann von mehreren Stellen mit verschiedenen Ansprüchen gejagt werde, stimmte mich keineswegs fröhlicher.

Aber die andere Tatsache, daß ich mich nicht ewig auf meine Schußverletzung berufen kann und somit über kurz oder lang wieder für neue Aktionen verplant werden würde, auch nicht.

Aber ich konnte nicht zu ’nem Kurier vom «2. Juni» oder der «RZ» sagen, mach mal ’nen Kontakt für mich zu diesem oder jenem! Das wäre meiner Gesundheit in … nicht gut bekommen; man kennt schließlich die legale Linke. Ich mußte also alleine versuchen, irgendwie ’nen sicheren Kontakt zu jemandem zu bekommen, den ich kenne und von dem/der ich sicher sein konnte, daß diese Person ihre mir von früher her bekannte politische Einstellung zum Guerilla-Problem nicht geändert haben würde.

Und wenn diese Personen beispielsweise in Wohngemeinschaften leben oder aktive Linke sind, so ist das bei den Tierversuchen des damaligen Wanzenzüchters Maihofer & Company auf postalischem Weg – und das war der einzige, der mir «ungehindert» offenstand – einfach unmöglich.

Nach knapp ’nem Jahr hatte ich’s trotzdem geschafft; wie, werde ich logischerweise nicht verraten.

Ich habe schon nach diesen ersten Kontakten unaufgefordert angefangen, dieses Buch zu schreiben. Als die JEMANDE einen sicheren Unterschlupf für mich aufgetrieben hatten, habe ich mich endgültig und nun auch mit meinem Körper diesem Wahnsinn, der mit linker Politik nichts zu tun hat, entzogen.

Für die drei Toten von Wien war es zu spät. Aber es ist vielleicht noch nicht zu spät, mit den Aufzeichnungen des von mir erlebten, andere vor dem Absprung in die Guerilla abzuhalten – Genossen/innen, die da noch Illusionen haben. Ich habe da keine mehr.

Aber, Herr Innenminister, Herr Herold & Company, und ich habe mit den zwei Interviews, die ich 1978 gegeben habe, vielleicht doch schon mehr erreicht als ihr mit euren bzw. unseren Millionen von Mark: Eine Person, die schon auf dem Sprungbrett des Terrorismus stand, ist wieder runtergeklettert!

Das hat mich ungeheuer gefreut, als man mir das erzählte; nicht wegen der fehlinvestierten Millionen, sondern für diese Person.

Vielleicht sind’s ja noch mehr; ich weiß nur von dieser einen Person.

Es wird höchste Zeit, sich mit der Guerilla auseinanderzusetzen, auch der falschen Mythenbildung in der linken Szene entgegenzuwirken. Die Linke in der BRD, sonst neunmalklug, aber immer schön bedeckt, hat es bis heute nicht geleistet. Aus Furcht, sich selber aufzulösen, an Glaubwürdigkeit zu verlieren (als gäb’s da jetzt noch viel zu verlieren), scheut sie sich, öffentlich Irrwege Irrwege und Verbrechen Verbrechen zu nennen, die unterm linken Banner begangen werden.

Damit erreicht sie genau das, was sie verhindern will: Sie bringt sich auch noch um den Rest an Glaubwürdigkeit.

Die bewaffnete Politik ist gescheitert. Die Baader-Befreiung 1970 war schon die falsche Weichenstellung. Der «bewaffnete Kampf» als politisches Konzept verkümmerte zum Terror, ist zum blutigen Handwerk entgleist.

Die vielgepriesene Autonomie ist schon lange an der Pforte zur Kriegskasse und Logistikkammer von Waddi Haddat abgelegt worden.

Doch das Aussteigen aus diesem verfremdeten Elend kann nicht Verrat sein, darf nicht bedeuten, sich die eigenen Fehler mittels Deals stornieren zu lassen.

Ich kenne diesen Mechanismus nur zu genau und will nicht der Guerilla den Nachschub dadurch verschaffen. Wenn man mittels Deals – des Strafrabatts wegen – gemeinsame Sache mit den Bullen macht, der Fahndung auf die Beine hilft, verhilft man dem Staat zu ’nem äußeren Erfolg; mehr ist es nicht. Aber man verliert die Glaubwürdigkeit bei denen, die latent bereit sind, ins Guerilla-Lager überzuwechseln. Verrat produziert Haß, «legitimiert», augenscheinlich, neue Unterstützung für die Geiseln.

Verräter oder Kronzeugen, die staatlichen Appelle: Das eine schafft neues Potential, das andere versandet.

Die Guerilla kann nur von innen her zerbrechen, sie müssen ihr Scheitern aus sich heraus begreifen und dürfen nicht aus äußeren Ereignissen – dazu gehört allerdings auch das Nichtverhalten der legalen Linken zu ihnen – weiter ihre Scheinlegitimation ableiten.

Dieses Buch wird hoffentlich Bewegung auslösen; auf der ganzen Bandbreite politischen Bewußtseins oder was immer man darunter versteht. Die Reaktionen werden von totaler Ablehnung bis zur Zustimmung reichen. Jeder wird sich herauspicken, was ihm beliebt; ich kann das nicht verhindern.

Aber an jene Zeitgeister, die nun schon seit zweieinhalb Jahren von Verrat schreien, ohne auch je nur eine Zeile dieses Manuskripts vorher zu Gesicht bekommen zu haben und jetzt vor lauter Verratgeschrei kaum zum Lesen kommen: Ich bin kein Verräter, eher schon ein Verratener. Als ob ich nicht wüßte, auf welcher Seite ich stehen müßte, um «besser» im Geschäft zu sein. Dafür hätte ich kein Buch schreiben müssen.

Offene Briefe schreiben, Interviews geben, dieses Buch schreiben und vorlegen, all das macht die äußeren Bedingungen meines Lebens durchaus nicht leichter. Im Gegenteil, es legt Spuren, Fäden, die auch der Herr Herold gern aufrollen würde; der ist nämlich genauso blind wie ihr.

Und es macht mich verwundbar, innerlich wie äußerlich; ein Mensch bin ich ja schließlich trotz allem.

Zum Strafanspruch des Staates: Meine tausend Jahre Knast habe ich schon lange hinter mir. Ich zahle jeden Tag mit tausend Enttäuschungen, mit dem Verzicht auf so viele Möglichkeiten des Menschlichen. Und ich mache das nun «erst» seit dreieinhalb Jahren.

Nein, abzutauchen braucht wegen dieses Buches keiner! Ich wünsche mir da andere Reaktionen: ehrlichere, radikalere. Vor allem von der legalen Linken! Denn es sind nicht «die Kinder Hitlers», die heute bomben, morden und massakrieren, sondern ehemalige Genossen/innen aus unserer Bewegung. Ich habe im Dezember 1978 geschrieben, ich begrabe mich, von mir kommt nix mehr, das Buch wandert auf den Müllhaufen meiner (unserer?) Geschichte.

Warum jetzt doch die Veröffentlichung?

Woher dieser Meinungsumschwung?

Es gab unter meinen Freunden, unter den Genossen/innen, keinen einzigen, der meine Entscheidung, das Buch nicht zu veröffentlichen, akzeptierte oder sie gar gutheißen mochte.

Eigentlich konnte ich mich auch selber mit dem eigenen Entschluß nicht zufriedengeben. Schließlich hatte ich das Buch ja nicht für mich geschrieben. Aber ich war damals ausgepumpt, resignierte, fühlte keine Luft mehr für das Kommende, das eh schon so breiten Raum in meinem bißchen Leben einnimmt. Meine Freunde sagten mir eindringlich: «Du kannst dir jetzt auch nicht noch selber einen Maulkorb umhängen, die Jochensche Variante des § 88a hier einführen. Du mußt dich in die Diskussion einschalten, in die innere Auseinandersetzung mit dem Terrorismusproblem. Am eigenen Beispiel deutlich machen, welche Gewalt diese Gruppen nicht nur nach außen, sondern auch nach innen auf die Mitglieder ausüben.»

Sie haben recht!

Und gerade denen, die darauf hoffen, daß ich nach dem Aussteigen wenigstens das Maul halte, will ich diesen Bärendienst nicht erweisen.

Ich will in diesem Buch nichts beschönigen! Auch und gerade nicht die eigene Rolle. Dieses Buch ist kein Winseln um Gnade, kein Buhlen um Mitleid oder gar schlaue Berechnung besserer Chancen, falls die Bullen mich irgendwann mal haben sollten! Was ich dann tue, weiß ich. Der Kronzeugen-Tango jedenfalls liegt mir nicht im Blut.

Das Buch ist kein Krimi oder Schauerroman. Was daran «spannend» und grausam ist, habe ich nicht erfunden. Leider! Zum Teil bin ich selber der Gegenstand dieser Traurigkeiten.

Ich hatte in keiner Sekunde des Schreibens einen Ghostwriter. Das dürfte einem beim Lesen auch unschwer auffallen.

Ich habe nämlich nicht am Seminar für Politik studiert, sondern beim Walter Erb im Musikantenweg in Frankfurt Autoschlosser.

Was ich hier in diesem Buch so an Theorien aufstelle, das werden die Berufstheoretiker, die Kritiker und Literaten vielleicht locker zwischen Mohnbrötchen und Morgenzeitung zerreißen, zu dürftig finden, nicht genug begründet, kurzschlüssig.

Wo bleiben die Analysen, Jochen?

Ja, wo bleiben die eigentlich? Bisher im Kaffeesatz der Geschichte.

Ja, das Buch wird Ärger geben. Es wird mir auch Hohn, Spott und Mißverständnisse einbringen; vor allem von den Berufsmißverstehern der Freunde des bewaffneten Kampfes. Ich nehme das in Kauf.

Ich denke so wie ich schreibe, und mich in diesem Buch für irgendwelche Schöngeister in literarische Höhen zu schrauben, kann ich erstens gar nicht, und zweitens wäre schon der Versuch, dies zu tun, zum Scheitern verurteilt. Ich müßte mich bis zur Unkenntlichkeit verstellen – das Buch wäre nicht mehr von mir.

Ich schreibe von meinen Erfahrungen, die ICH gemacht habe und nicht irgend jemand. Ich bin weiß Gott nicht stolz auf diese Erfahrungen, ich wünsche sie keinem, denn meine damalige Blindheit hat mir nun den Rest des Lebens weitgehend versaut.

Es gibt in diesem Buch auch Überschneidungen, manches greift ineinander. Vielleicht entdeckt man da und dort auch Widersprüche. Na und?

Wer sich als Mensch ohne Widersprüche darstellt, belügt sich selbst! Und ich habe mich lange genug belogen.

Vielleicht ist auch manches unausgegoren, nicht gut und geschliffen genug ausgedrückt.

Ich hatte nie im Traum daran gedacht, daß ich mal ein Buch schreiben würde, schreiben müßte. Sonst hätte ich in der Schule besser aufgepaßt.

Ich habe acht Jahre eine Volksschule besucht, mit mäßigen bis saumiserablen Zeugnissen. Ich habe das Schreiben nicht gelernt. Das erste Buch, das man als literarisch wertvoll bezeichnen kann, hatte ich mit 22 Jahren in den Fingern, und das Lesen fiel mir verdammt schwer. Ich muß meine Vergangenheitsbewältigung, aber auch all meine Schritte zur Erweiterung meines Bewußtseins und der Bildung weitgehend alleine betreiben.

Natürlich unterlaufen mir dabei auch Fehler.

Jetzt, im Sommer 1979, beim Schreiben dieser Einleitung, überleg ich mir: Würde ich dieses Buch heute anders schreiben?

Ja.

Nicht vom Inhalt her, der kann gar nicht anders sein. In der Form, im Ablauf würde ich heute manches anders schreiben. Aber das würde ich, lese ich das Buch zehn Jahre später, genauso sagen. Man kann so jedes Buch totschreiben, es würde nie fertig werden.

Ich tue es nicht. Es soll alles so ausgedrückt bleiben, wie ich es damals in den verschiedenen Situationen erlebt und empfunden habe.

Erlebnisse und Eindrücke, Gedanken und Gefühle – beim ersten Teil des Schreibens auch die Angst, von der das Schreiben beherrscht war – so und nicht anders. Es soll nicht schön sein und es soll nicht glatt klingen. Es soll wahr sein, nicht mehr und nicht weniger.

Ich habe dieses Buch auch weniger für Schöngeister geschrieben, die eh nie in das Dilemma kommen werden, eine Waffe als Argument benutzen zu müssen. Geschrieben habe ich es vor allem für jene, die es kaum erwarten können, via Terror die Knäste oder die Leichenschaukeller zu füllen.

Das Buch ist stellenweise holprig und grob; ich weiß. Doch wer in dieser grobschlächtigen und holprigen Welt auch mal ab und zu aus seinem Fenster der Geborgenheit und Selbstzufriedenheit schaut, der wird es lesen können.

Ich will nichts glätten. Denn da, wo ich mal dabei war, ist nichts glatt. Schon gar nicht das Töten.

Glätten hieße verfälschen.

Ja, und wenn ich in der Auseinandersetzung zu den Sippenhaft- und Kontaktschuldfällen Inge Hornischer und Klaus Traube nicht die «nötige» Distanz gewahrt habe, sehe man mir es nach.

Ich habe da auch wirklich keine Distanz, ich will sie auch nicht haben. Es war meine Haut, die da mit verwendet wurde, um andere zu zerstören (nur weil die mich mal kannten), und die ist nach alldem nicht mehr so dick.

Das Buch hat drei Teile. Sie sind zu verschiedenen Zeiten entstanden und auch unter unterschiedlichen Umständen.

Den ersten Teil, im Manuskript Seite 1 bis 71 (im Buch S. 11–83), habe ich in der Zeit von Anfang Februar bis Ende April 1977 an zwei verschiedenen Orten, unter starkem physischen – nicht nur psychischem – Druck geschrieben.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich zum einen meinen lang ersehnten Kontakt zu Personen, die mir helfen wollten, um mich vor den Bullen wie vor der Guerilla etc. pp. zu schützen, und zum andern war ich – da die JEMANDE das ja nicht so aus dem Ärmel schütteln konnten – noch bei der «RZ» und «2. Juni» unterm Dach.

Diesen ersten Teil schrieb ich zum größten Teil per Hand in der Hütte der «RZ», die auch dem «2. Juni» zur Verfügung stand. Und wenn welche von denen vorbeikamen, was des öfteren der Fall war, so schliefen sie – freilich ohne es auch nur zu ahnen – auf den fertiggestellten Seiten dieses Buches. Damals saß mir allerdings der Schalk nicht so in den Augen wie jetzt in diesem Augenblick. Ich schrieb grundsätzlich, wenn ich allein war, mit geladenem Revolver neben mir. Ab und zu auch oben in der Dorfkneipe; aber da unbewaffnet.

Es war eine ungeheuer angespannte Situation, in der ich da schrieb. Immer mit einem Ohr an der Tür, immer wieder von mir absolvierte Probealarme, damit das Papier auch im Falle eines Falles schnell genug verschwand.

Einmal verschwanden fast dreißig fertige Seiten im Ofen, weil ich glaubte, es wäre einer gekommen und ich hätte ihn überhört. Dem war aber nicht so. Also mußte ich von vorn anfangen.

Natürlich kann man sich fragen, warum ich das nicht alles an einem sicheren Ort geschrieben habe.

Den hatte ich damals einfach nicht, und ich war nach meinen ersten Kontakten mit den JEMANDEN wie besessen, meine Erfahrungen zu Papier zu bringen. Vor allem, nachdem nun der Absprung endlich in greifbare (vor allem sichere) Nähe gerückt war, stieg in mir die Angst hoch, daß im letzten Moment ’ne Kugel dazwischenkommt. An Warnungen, und zwar an eindeutigen, hatte es während der letzten drei Wochen damals nicht gefehlt.

Außerdem war die Hütte die einzige Bleibe, die in Italien in dieser Zeit zur Verfügung stand. Monatelanger Hotelaufenthalt ist selbst für Terroristen ein zu teurer Spaß und darüber hinaus sehr riskant.

Trotzdem zog ich mich nach einem heiklen Vorfall bei der Hütte, wo man mich offensichtlich massiver angehen wollte, in mein Hotel zurück, in dem ich noch Teile meiner Sachen hatte.

In diesem Hotel, von dem die Guerilla wußte, schrieb ich die letzten vier Wochen alles mit ’ner Schreibmaschine ab (über die Schwierigkeiten, des Nachts fast 200 Blatt Handgeschriebenes im Badezimmer zu verbrennen, will ich erst gar nicht anfangen zu berichten; es war fast gefährlicher als das Schreiben), traf meine JEMANDE, denen ich das zu lesen mitgab, und die gaben mir u.a. ’ne Adresse – sagen wir in China – bei netten Leuten, die mir helfen wollten und dies auch über Gebühr taten. Da ich zwischen mir und den Bullen doch eine große Distanz halten will, machte ich via Spiegel die beiden damals geplanten Morde an Galinsky und Lipinsky – beide jüdische Gemeindevorsteher in W-Berlin und Frankfurt – bekannt und packte meinen Revolver gleich obendrauf.

Das Ding brauchte ich ja nun wirklich nicht mehr, und bevor ich das mal richtig bereuen kann – wenn die Guerilla mich ausfindig machen sollte –, habe ich dann eh keine Zeit mehr dazu. Zum Bereuen.

Den zweiten Teil, die Seiten 72 bis 100, (im Buch S. 83–104) habe ich dann in «China» zwar in relativ sicherer Umgebung schreiben können (in der Zeit von Juni bis September 77), aber inzwischen las ich dann, was man von meinem Aussteigen so hält. Und es waren beileibe nicht nur die «Freunde des bewaffneten Kampfes», die mir da gewaltig ans Bein pinkelten. Ich fühlte mich vor den Kopf geschlagen und vergaß darüber fast, daß ich nicht alle gegen mich hatte.

Meine etwas naive Euphorie, daß ich – durch die Schilderungen des von mir Erlebten – den Wahnsinn «linken» Terrors mit einem Schlag beenden oder doch wenigstens seine Grundbasis – die offene oder heimliche Unterstützung durch Teile der legalen Linken – dadurch zerstören kann, war mit einemmal dahin. Meine Naivität auf diesem Gebiet allerdings inzwischen auch.

Heute weiß ich, daß man das allein nicht schaffen kann; aber einen Beitrag könnte dieses Buch bei einigem WOLLEN durchaus leisten.

Ich hatte nichts verraten, nur was Schreckliches verhindert – Mordanschläge, bei denen das Deutschsein wieder traumatisch in Erinnerung gerufen worden wäre.

Und darauf diese Reaktionen bis hin zum «MOB»-Pamphlet, dessen Stil sich selbst ein Pornoblatt verböte. (Siehe Dokumentation, S. 231ff.)

Ich kapselte mich ab, soweit das nur ging, und schob Sicherheitsprobleme oder Sprachschwierigkeiten dafür vor. Am liebsten, so sagte (und sage) ich, sei ich allein, was im Prinzip natürlich ’ne riesengroße Lüge war (und ist). Dazu kamen dann auch noch ’ne Menge anderer Faktoren, auf die ich seit November 1975 teilweise oder auch ganz verzichten muß, sie aber tagtäglich vorgeführt bekam.

Eines davon ist die Beziehung zu einer Frau, und damit meine ich ganz gewiß nicht nur das Bumsen. Dieser Verzicht machte und macht … ach, ich weiß nicht, wie ich das hier zu Papier kriegen soll. Auf jeden Fall, in dem Moment, wo du das Haus verläßt und siehst die Frauen auf der Straße, im Park mit ihren Freunden, im Schwimmbad, in ’ner Kneipe – es macht deinen Kopf nicht besser. Und wenn du dann nach «Hause» zurückgehst und im Nebenzimmer bumsen gerade deine Gastgeber, so kannste denen das ja schlecht verbieten.

Also, irgendwann hatte ich auch Teil 2 fertig, und dann kam wieder mal ein «Stellungswechsel».

Den dritten Teil, die Seiten 101 bis 204 a (im Buch S. 105–223), schrieb ich dann – sagen wir mal in Tibet – von Februar bis Juni 1978.

Geschrieben habe ich das, weil mir nach Gesprächen mit meinen Freunden klarwurde, daß die ersten beiden Teile nicht genügen werden. Teil 3 behandelt vor allem meine Frankfurter Zeit in der linken Bewegung, und die ist eine nicht unwichtige Entwicklung hin zu Wien.

So, in das Buch hätte ich natürlich noch viel reinpacken können, was ich so erlebt habe – von traurigen bis heiteren Geschichten. Dem Spiegel könnte ich ’ne neue Rubrik in seiner Hausmitteilung à propos Leserverhalten verschaffen: meine Spiegel-sammlung schicke ich bei ’nem «Stellungswechsel» immer mit der Post voraus, die Geschichte mit dem Hauptkommissar und seinem Lakaien, mit denen ich einen Monat lang zweimal wöchentlich Skat kloppte, oder die Geschichte, als ich in ’ne Demo reingeriet, in der zwei Bullen mutterseelenallein einen verprügelten und mich’s mächtig juckte, dem Genossen zu helfen.

Ja, es gäbe noch ’ne Menge zu schreiben. Aber es ist nicht wichtig, nicht so wichtig; vielleicht mach ich das mal später.

Das fertige Manuskript liegt nun seit gut ’nem Jahr in meinem Koffer, und ein jeder, der es las – oder nicht las –, hatte Änderungswünsche. Ich habe dem nun nicht mehr nachgegeben. Und auch der Lektor dieses Verlages wird sich darauf beschränken müssen, meine Rechtschreibung und Grammatik in Ordnung zu bringen; da hat der oder die Arme weiß Gott genug zu tun.

Das Buch ist, wie gesagt, nicht rund, nicht fließend und nicht schön. Es ist mein Buch, und es sind meine Erfahrungen, und die sind eben halt anders.

Auf Solidarität – nicht auf Mitleid – hoffe ich trotzdem. Aber auf Solidarität um jeden Preis pfeife ich. Die Solidarität irgendwelcher Demagogen kann mir gestohlen bleiben, mit denen bin ich fertig.

Die blutigen Erfahrungen mit der und in der Guerilla haben mich doch noch wach werden, mich einen Weg, eine Entwicklung durchmachen lassen, die beileibe noch nicht abgeschlossen ist.

Ich will meine Erfahrungen nicht vermarkten – so was macht man anders, das weiß sogar ich wie –, sondern will helfen, daß man die politische Auseinandersetzung – zumindest innerhalb der Linken – wieder mit Federhalter und Mikrofon führt. Ich will aufzeigen, wohin die Dynamik einer Waffe auch in linken – individuellen – Händen führen kann: Zu Terror und Privatkrieg.

Am deutschen Herbst, bitteschön, waren nicht nur die Staatsorgane beteiligt. Den Erlös dieses Buches werde ich wohl nicht in die Hände bekommen. Es gibt außer Computer ja auch so allerlei Paragraphen in der BRD.

Aber wenn ich hören sollte, daß einer aus dem Wahnsinn und Gruppenterror der Guerilla aussteigen will (weiß man ja nicht, wer hätte das denn von mir angenommen) und Geld fürs doppelte Überleben braucht, dem will ich gern Hilfe zukommen lassen, soweit sich das auf legale Weise machen läßt.

Besser könnte das Honorar für dieses Buch gar nicht verwendet werden.

So, zum Abschluß ist es mir ein dringendes und herzliches Bedürfnis, all denen zu danken, die mir bisher geholfen haben und somit ein nicht geringes Risiko auf sich nahmen, von den Einschränkungen in ihrem Lebensbereich, die meine Anwesenheit so mit sich brachten, ganz zu schweigen. Mein ganz spezieller herzlicher Dank gilt «Maestro» und seiner Frau, ohne die ich wohl nicht mehr existieren würde.

Nirgendwo, Sommer 1979

Hans Joachim Klein

Teil 1 Man wird nicht als Revolutionär geboren

Warum dieses Buch – Jugend in Frankfurt/Main – Zorn und Prügel – Autoschlosserlehre – Erfahrungen mit Studenten und sonstigen Linken – Rote Hilfe Ffm – Die Hinrichtung Ulrich Schmückers.

Angefangen irgendwo im Februar 1977

Vorweg einiges:

Warum die folgenden Seiten, warum zu diesem Zeitpunkt, warum nicht früher oder besser: warum überhaupt?

Ich will vorab aus Tausenden von Gründen hier einige in den Vordergrund stellen:

1. Mein – zum Glück – noch immer vorhandenes politisches Selbstverständnis und meine – natürlich auch politische – Sensibilität.

2. Entwicklungen, die sich auf Grund meiner alleinigen politischen Entscheidung – aus der Sparte der Stadt-, Land-, See-, Berg-, Luft- oder Wüstenguerilla auszuscheiden – angebahnt haben und die weiter eskalieren werden, wenn dies hier erst mal veröffentlicht ist. Das macht mich zwar alles nicht sonderlich bange – was da auf mich zukommen wird, war mir im voraus klar –, aber es stimmt mich trotzdem traurig, weil ja selbst das was mit revolutionärem Kampf zu tun haben soll. (Der Guerilla-Kampf geht weiter; nur revolutionär ist der schon lange nicht mehr.)

3. Katharina Blum weiblich I.H.

4. Katharina Blum männlich K.T.

5. Ein schlicht fragender Satz im Pflasterstrand Nr. 6 vom 16. bis 9. 3. 77 «Warum Jochen (Klein-Klein) an der OPEC-Geschichte in Wien beteiligt war, wissen wir nicht …» dem ich noch einige Antworten schuldig bin.

 

«Schweigen ist die größte Pflicht eines Revolutionärs»; wenn man ihn hat. Reden, zur rechten Zeit aber auch!!!

 

Ich werde versuchen, dies auf den folgenden Seiten näher zu erklären und halte es überdies für angebracht, einiges zu meiner Person und meiner politischen Entwicklung zu sagen.

Noch eine Bemerkung im voraus: Denkt beim Lesen immer daran, daß ich kein Schriftsteller war und bin und auch keiner sein will.

Das eine oder andere werde ich nur sehr verkürzt darstellen können, vieles werde ich überhaupt nicht schreiben können, wie zum Beispiel Gerichtsverwertbares. Nicht wegen meiner Person, sondern vor allem einiger Regierungen wegen, die eine nicht unerhebliche Rolle im internationalen Terrorismus spielen. Es wäre zwar ungeheuer wichtig, auch in diesem Zusammenhang etwas zu sagen, denn diese Regierungen sind inzwischen so etwas wie der Sauerstoff der westdeutschen Guerilla, ohne den sie gar nicht mehr existieren könnten. Aber ich habe mich – auch in Übereinstimmung mit meinen legalen Kontakten – dazu entschlossen, darüber weder zu schreiben noch öffentlich darüber zu sprechen. Außerdem langt es mir auch vollauf, die Guerilla und die Bullen am Hals zu haben. Fünf oder sechs verschiedene Geheimdienste dazu ginge über das Maß des mir Erträglichen hinaus.

Zum Schreiben überhaupt noch was: Das ist in der momentanen Situation ungeheuer anstrengend und aufreibend für mich. Auf der einen Seite das inzwischen nicht mehr zu bremsende Bedürfnis und die auch politische Notwendigkeit der legalen linken Szene und vor allem den mir bekannten Genossen und Genossinnen einmal mitzuteilen, wie Guerilla-«Politik» hinter den Kulissen betrieben wird. (In meinem Kopf geht es zeitweise zu wie in einem Bienenkorb; da will alles auf einmal raus.) Und auf der anderen Seite a) die Bullen, die mich logischerweise noch immer gern einfangen möchten, und b) dann die Damen und Herren der nationalen wie internationalen Guerilla. Die wollen mich natürlich nicht verhaften und in ein Volksgefängnis stecken: Die wollen mich nur ein bißchen umbringen. Erst vor kurzem versuchten sie, mich mit einem ebenso dummen wie dreckigen Trick nach … zu lotsen, von wo aus ich wohl nicht mehr weggekommen wäre, und als ich dies durchschaute, sie mir unmißverständlich klarmachten, wo’s nun langgeht mit mir.

Also, um mit dem alten Konrad A. zu sprechen: Die Lage ist sehr ernst, aber nicht hoffnungslos.

Es entbehrt schon nicht einer gewissen Tragik, daß ich mich heute mehr vor den Leuten der Guerilla in acht nehmen muß als vor den Bullen.

Ich werde also höllisch auf mich aufpassen müssen, und obwohl ich keine Knarre mit mir rumschleppe (das kann ich ruhig schreiben, denn das wissen die), werde ich meine Haut so teuer wie nur möglich verkaufen, sollten sie an die drangehen.

Es versteht sich von selbst, daß ich in dieser widrigen Situation nicht so forsch in die Tastatur hacke, wie ich das etwa in meiner Wohnung in Ffm. zu tun pflegte.

Noch was:

Ich habe jetzt – es sei gelobt, getrommelt und gepfiffen – endlich wieder Kontakte zu der legalen linken Szene in Westdeutschland, aber mich hat keiner dazu animiert oder angestiftet, etwas über meine beschissenen letzten fünfzehn Monate zu schreiben. Die Genossen und Genossinnen wissen noch nicht einmal, daß ich das gerade tue; die kommen erst in fünf Wochen wieder bei mir vorbei, und ich hoffe, bis dahin habe ich einiges zu Papier gebracht, das ich ihnen dann mitgeben werde. Vor allem hoffe ich, daß mich die Guerilla-Leute nicht beim Schreiben erwischen; ich schreibe nämlich in ihrer Hütte.

Das erste Treffen: Es war herrlich. Ich kann euch gar nicht beschreiben, wie gut das war. Nach 15 Monaten das erste Mal wieder eine normale und vernünftige politische Unterhaltung geführt zu haben, über meine Probleme zu reden, und man hörte wieder zu. Man hörte auch zu, wenn ich zu irgendwelchen Ereignissen meine Betroffenheit äußerte und blockte nicht ab und sagte: bist du nicht ganz klar im Kopf?

Ich kam mir vor wie ein Verhungerter, der 15 Monate nichts zu fressen bekam und erst jetzt so langsam wieder lernt zu essen, und ich konnte gar nicht genug bekommen, d.h. die Genossen(innen) kamen kaum zu Wort. Das fanden diese auch nicht weiter so schlimm, denn was ich ihnen alles so erzählte, verschlug ihnen eh erst mal die Sprache.

Bevor ich vorausgreife, fange ich mal an:

Wie ich meinen Brief, oder wie immer man das bezeichnen mag, verstehen wissen will, ganz kurz; es wird sich später, so glaube ich, von ganz allein herauskristallisieren:

Ich will auf Grund meiner Erfahrungen im nationalen und internationalen Guerilla-Theater die GENOSSEN erstmals oder nochmals zum Nachdenken bringen, die da auch mitmischen wollen.

Die ich kenne, die ich gut kenne, weniger gut kenne oder die ich überhaupt nicht kenne. Die aber immer noch oder auch erst jetzt «drauf» sind, zur bewaffneten Guerilla überzuwechseln. Die dabei aber sicherlich ganz andere Vorstellungen davon haben – und natürlich von denen was ganz anderes erzählt bekommen –, als es hinter den Kulissen des Guerilla-Theaters aussieht und vor allem, wie es da zugeht.

Den Sinn oder Unsinn von westdeutscher Guerilla-Politik lasse ich erst mal beiseite.

Es gibt in W-Deutschland einen sehr guten und alten Freund von mir (der, wenn er das alles gelesen hat, wohl die Welt nicht mehr versteht), der da immer glaubt, nur bei der Guerilla werde er seine politische Identität und anderes wiederfinden.

Lies denn den ganzen Rotz bitteschön mal zu Ende, und wenn du das dann immer noch glaubst und derselben Ansicht bist, okay, dann geh. Und sage, der Jochen ist ein Verräter geworden.

Nur eins von mir mit auf deinen Weg: die eigene politische Identität nämlich oder gar Verständnis für deine mannigfaltigen Probleme wirst du dort noch weniger finden als in der Stadt, in der du momentan lebst und in deren politischen Zusammenhängen du arbeitest.

Dort, in der Guerilla, mußt du es «bringen», oder du «bringst» es nicht. Erst die «Sache» und dann, wenn überhaupt, das Individuum; diese Reihenfolge hat dir eigentlich noch nie geschmeckt, und ich hoffe, dem ist auch heute noch so.

Jetzt gibt es bestimmt nicht wenige Genossen, die sich sagen: was soll denn das, 1. da jemanden persönlich anlabern und 2. auch noch so moralisch.

Gut, erstens habe ich mit diesem Genossen (der, den ich meine, wird bestimmt wissen, wen ich anspreche, wenn er’s gelesen hat) eine lange gemeinsame politische Geschichte, und deshalb liegt mir ungeheuer viel daran, daß der nicht den gleichen bzw. ähnlichen Weg gehen muß wie ich, bei dem er dann zum selben Ergebnis käme; so gut kenne ich ihn nämlich (und ich habe mir sagen lassen, daß die Guerilla aller Couleur z.Z. rekrutiert wie der Teufel), und zweitens ist Moral, so glaube ich doch, ein Teil unserer, der legalen linken Politik. (Warum schämen sich eigentlich immer so viele bei diesem Wort; schon zu meiner legalen Zeit in Ffm. war das so. Versucht es mal rauszubekommen.) Ich bin auch und gerade über das moralische Gewissen ein Linker geworden, und große Teile der Linken ja wohl auch. Ich darf da mal leise an die Ostermarsch-Bewegung erinnern. Okay?

Ich höre sie, die Stimmen, bis hierher (obwohl’s weit weg ist), vor allem die aus Frankfurt/Main – oder täusche ich mich da –, die da sagen: Jochen, gerade wir haben seit Jahren versucht klarzumachen, was das ist, die Politik der Guerilla; unter anderen auch dir.

Das ist natürlich richtig. Aber erstens habe ich das damals so nicht gesehen und wahrscheinlich so auch nicht hinnehmen und verstehen wollen.

Zweitens bin ich zu der Überzeugung gelangt, daß eine ganze Menge falschgelaufen sein muß in den Argumentationen zu diesem Problem.

Wie sonst ist es zu erklären, daß trotz aller Anstrengungen eine große Anzahl von Genossen aus der linken Szene bei den verschiedenen Guerilla-Truppen gelandet ist?

Sich hinzustellen und zu sagen: das wollte der/die ja schon immer, ich glaube, da macht man es sich in der Auseinandersetzung mit der Guerilla-Problematik ein bißchen zu einfach. Es ist ja noch kein Mensch als Revolutionär auf die Welt gekommen und als Guerilla mit der MP in der Hand schon mal gar nicht.

Ich bin sicher, daß es immer noch Genossen gibt (und was ich so höre, sind es bei dem momentanen Frust nicht gerade wenige), die eines Tages in einer der drei in der BRD existierenden Guerilla-Truppen wieder «auftauchen». Und das dann damit abtun wollen, daß man dies ja schon immer gewußt hätte – wie etwa in meinem Fall einige Stimmen –, nein, nein, nein, so stimmt das einfach nicht, und vor allem wird man so das Problem niemals lösen. Dann bleibt euch halt nur die ungeheure Wut im Bauch; wenn man es eines Tages liest, sieht oder hört, und dann der einzige Kommentar, der noch möglich ist: Scheiße, der oder die auch!

Ich habe mir mal meine Gedanken dazu gemacht, wie der Werdegang eines Genossen aus der legalen linken Szene hin zur Guerilla aussehen könnte und will mal versuchen, dies zu Papier zu bringen. Ist nicht meiner, der hat zwar stellenweise Ähnlichkeiten, aber auch nur stellenweise.

(Mal was nebenbei: Wenn ich Genossen schreibe, meine ich selbstverständlich auch die Genossinnen damit. Ich werde nämlich ab jetzt das innen weglassen. Ich schreibe noch immer im Einfingersuchsystem wie früher, und wenn ich mir Anschläge ersparen kann – da sind es jedesmal sieben –, so tue ich dies.

 

Da ist ein Genosse nun schon seit einer Unmenge von Jahren in der linken Szene verwurzelt. Er ist ein Bestandteil von ihr und arbeitet vielleicht mit im Häuserkampf, in der Betriebsarbeit, bei der Emigranten-Bewegung, macht Stadtteilarbeit oder ist in der Roten Hilfe. Kurzum, alles was es in der linken Szene so gibt, käme da in Betracht.

Der Genosse arbeitet also in einer dieser Gruppen voll mit, und es macht ihm auch noch Spaß (muß ja auch sein, der Spaß; man ist schließlich nicht in dem Verein von Horchaufdenmann/Sammeldich). Man legt sich in der Gruppe krumm und schief und rackert sich leidlich ab, um was zu erreichen.

Und irgendwann bröselt der Laden so langsam, aber sicher auseinander. (Haltet bloß die Fresse, bei euch bröselt was ganz anderes; permanent.) Der Genosse versucht verzweifelt, auch mit anderen Genossen, das zu verhindern und den Laden wieder zusammenzubringen. Klappt aber nicht. Soweit, so gut und so schlecht.

Der eine Genosse geht nach kurzer Überlegung in die nächste politische Gruppe, mit der er kann (jetzt komm mir bloß keiner und sage, der wäre halt der stabilere), und der andere Genosse (nämlich meiner), der geht erst mal nirgendswo mehr hin außer vielleicht in seine Stammkneipe. Beide haben auf jeden Fall eines gemeinsam; sie sind traurig und frustriert; auch der «stabilere».

Bei dem in der Stammkneipe (kann auch zu Hause sitzen, wenn ihr wollt) kommt noch hinzu, daß er auch noch (zumindestens erst mal) resigniert.

Man darf ja auch nicht vergessen – leider vergißt man das ganz gerne oder schenkt dem nicht genügend Beachtung –, daß in der Gruppe, die da jetzt zerstört am Boden der Geschichte liegt, auch ein gewaltiges Stück von einem selbst dringesteckt hat.

Der Genosse hat für sein Engagement bei der Demo eins auf die Fresse bekommen oder sich ’ne Anzeige eingehandelt, hat sich beim Flugblattverteilen von so manchem Arsch anwichsen lassen müssen oder hat sich des öfteren mit den eigenen Genossen fürchterlich in der Wolle gehabt, weil die Meinungen zu dieser oder jener Frage wieder mal völlig gegensätzlich waren etc.

Nun, eines Tages mit oder ohne Hilfe von anderen Genossen rafft sich meiner wieder auf und kommt aus seiner Wohnung oder der Kneipe wieder heraus und tritt in einen neuen politischen Zusammenhang. Wahnsinnige Euphorie – logisch, man ist schließlich nicht nur mit dem Kopf dabei –, und er legt sich wieder krumm und quer und vergißt darüber hinaus auch nicht, daß es auch andere politische Strömungen innerhalb der linken Szene gibt. Als politisch denkender und handelnder Mensch hat er sich mit diesen auch auseinanderzusetzen. Kommt er auch gar nicht drumherum.

Und da stößt er dann auch unweigerlich auf die Politik der Guerilla-Bewegungen; die gibt es ja schließlich inzwischen auch. Und dann kommen irgendwann Situationen, in denen der Genosse gewisse Sympathien zu diesen nicht verleugnen kann und will. Sei es, weil die Bullen wieder mal einen abgeknallt haben oder wieder mal einen im Knast verrecken lassen. Oder einfach die «Sonderbehandlung» der politischen Gefangenen im Knast.

Und dann – ich will das alles mal ein bißchen verkürzen; ich hoffe, es kommt einigermaßen klar raus, was ich sagen will – dann kommt schon der nächste Schritt. Der Genosse bezieht Position für die Guerilla. Als nächstes wäre dann an der Reihe, daß er die ersten persönlichen Kontakte mit diesen hat und die ersten Gefälligkeiten erweist, wie z.B. Briefe transportieren, Paß abgeben oder auch schon mal eine Wohnung für die Guerilla besorgen.

Der Hintergrund: Man hat die dritte oder vierte legale Gruppe mittlerweile hinter sich gelassen. Und jedesmal der gleiche Katzenjammer danach. Teils sind die Gruppen von selbst auseinandergefallen, teils ist der Genosse von selbst rausgegangen, weil er seine politischen Vorstellungen dort nicht verwirklichen konnte. In der Wohngemeinschaft (wie oft hat er sie schon gewechselt) klappt es auch nicht so, wie man sich das vorgestellt hat; es läuft mit einem Wort ’ne Menge schief.

Er bekommt so ein ganz anderes Verhältnis zu seiner politischen Sensibilität. Er schaut sich um in der linken Polit-Landschaft und sieht, auch hier und da will es nicht mehr so recht vorangehen. (Daß es teilweise nur momentan so ist, will er oder kann er nicht mehr sehen.)

Dann kommt – und ich glaube, das ist der ausschlaggebende Moment – zur Frustration und Resignation die ungeheure Angst der Perspektivlosigkeit hinzu. Also, ich kann das nicht anders begreifen und verstehen – diese Angst, wieder in den alten bürgerlichen Sumpf zurückzufallen oder gar keine politische Meinung mehr zu haben oder auch haben zu wollen. Die Angst, in all dies zurückzukehren, aus dem man verdammt mühevoll in ’ner Masse von Jahren hervorgekommen ist.

Das letzte mag ungeheuer überspitzt klingen, aber ich glaube, der Genosse sieht es inzwischen nicht mehr anders. Daß alles sehr, sehr langsam vorangeht, die Ergebnisse in der Relation zu den Anstrengungen gleich Null sind, registriert der Genosse wohl als den totalen politischen Stillstand. Daß politische Gruppen eingehen, Genossen wieder an die Uni zurückkehren oder der linken Szene schlechthin den Rücken zudrehen, verallgemeinert er. Der «Vater Staat» tut das Seinige dazu, indem er beim leisesten Furz, den die legale Linke läßt, wie ein Irrer aufrüstet, kriminalisiert und (versucht) entpolitisiert etc. und somit der legalen Linken natürlich verdammt wenig legalen Spielraum läßt. Der Genosse will natürlich weiterhin politisch wirken, er will nicht aufgeben. Er will weiterkämpfen, aber wo?

Und eines Tages sagt sich der Genosse dann: Die Diskussionen bringen nichts mehr, Demos, Flugblätter oder einige Mollos zur rechten Zeit bringen es auch nicht mehr. Die Sponti-Linke ist für ihn gelaufen, K-Gruppen – nein danke schön, SPD, Jusos oder das SB auch danke schön.

Die sanfte Gewalt, die der Genosse ab und zu allein oder in der Masse angewandt hatte, haben auch keinerlei Wirkung gezeigt, bis auf die, daß der Staat den Etat für Inneres in astronomische Höhen geschraubt hatte.

Kommt für den Genossen also nur noch Brachialgewalt in Frage. Und da haben wir ihn dann bei einer der drei W-Deutschen Guerilla-Gruppen wiederentdeckt (leider meistens erst dann, wenn er im Knast sitzt oder erschossen worden ist).

 

Ich glaube, so könnte der Werdegang eines Genossen zur Guerilla aussehen, von dem man dann anschließend sagt: «Scheiße, der auch. Was haben wir nur falsch gemacht? Haben wir uns vielleicht zu wenig um ihn gekümmert.» (Zitat von einem legalen Genossen aus der linken Szene.)

Mir ist klar, daß meine Überlegungen zu diesem Thema in der linken Szene geteilte Meinungen und Ansichten hervorrufen werden. (Auch klar, was die Guerilla dazu sagen wird. Zu euch gleich ein paar warme Worte.)

Aber erstens bekomme ich das leider nicht so gut zu Papier, wie ich es im Kopf habe, und zweitens will ich meinen Beitrag zu dieser Problematik auch mehr als eventuelle Diskussionsgrundlage verstanden wissen.

Ich werde mit den Genossen(innen), mit denen ich momentan Kontakt habe, das alles noch mal eingehend diskutieren und dann versuchen, es noch klarer zu Papier zu bringen.

Aber eins ist auf jeden Fall schon mal klar: Das Rekrutierungsfeld der Guerilla für neue Mitglieder ist und bleibt die legale linke Szene. Und es ist schlimm, daß momentan gerade die ganz jungen Genossen von denen «angemacht» werden, wie mir die Genossen erzählen. Daran wird man wahrscheinlich so schnell nichts ändern können. Was ihr aber neben eurer alltäglichen politischen Praxis auf jeden Fall versuchen solltet, ist, daß die Guerilla dort nicht mehr so leicht zum Zug kommt wie bisher.

Das ist natürlich leichter gesagt als getan.

Aber vielleicht sind die letzten zwei Seiten von mir eine klitzekleine Hilfe und Unterstützung dazu. Und wahrscheinlich hilft es auch etwas mehr, wenn da sich einer hinstellt und Front gegen die Guerilla macht, der a) früher ein großer Fan von dieser war und b) anschließend mittendrin war und hinter den Kulissen auch einiges mitbekommen hat, als wenn dies legale Genossen machen. Ich weiß ja aus eigener Erfahrung, wie man da reagiert, wenn sich einer aus der legalen Szene hinstellt und gegen die Guerilla wettert und zu irgendwelchen Aktionen von denen Stellung nimmt. Der Genosse, der mit der Guerilla liebäugelt, meint dann höchstens: Laß den oder die mal labern, wer kennt die Guerilla denn besser: die oder ich? Wer hat denn die persönlichen Kontakte mit denen: er oder ich?

 

Ich will jetzt mal anfangen, meinen Weg von Frankfurt/Main zur OPEC-Zentrale in Wien, meine Erfahrungen dazu und danach zu Papier zu bringen. Erst mal so, als käme ich von einer langen Reise (Horror-Trip wäre besser) zurück und hätte völlig wertfrei darüber zu berichten. Ich weiß zwar schon jetzt, daß das mit wertfrei bestimmt nichts wird, aber ich versuche es mal.

Eine Bestandsaufnahme habe ich schon lange gemacht – die erste im Februar 1976. Sie zu äußern, überlasse ich erst mal euch Genossen.

Bei mir steckt da noch zuviel Wut, Enttäuschung und auch Traurigkeit mit drin, so daß ich sicherlich auch Beifall von der falschen Seite bekommen könnte. Den will ich nicht, und den brauch ich auch nicht. Ein Frankfurter Solschenizyn der Guerilla-Bewegung möchte ich weiß Gott nicht werden. Bevor ich anfange, noch die erwähnten warmen Worte an meine ehemaligen «Kollegen»: Wir brauchen gar nicht drüber zu reden oder zu streiten. Ich gebe hiermit alles zu: Meine Schreibmaschine steht im Zimmer des Bundeskriminalamtes bei Herold. War schon immer ein BKA-Bulle gewesen, ein Spitzel und Schwein etc. pp. Mir ist klar, daß euch dieser Brief absolut nicht schmeckt und noch weniger in den Kram paßt – den ersten von mir im Februar 1976 konnte die RZ noch klammheimlich verbrennen. Mir ist auch sonnenklar, daß ihr und andere alles dransetzen werdet, um mich zu kriegen, um mir dann ein für allemal das Maul zu stopfen. (Der 2. Juni hat mir das ja vor einiger Zeit schon sehr eindrucksvoll klargemacht. «Du weißt zuviel, vor allem im internationalen Rahmen» etc.)

Okay, wenn ihr es schaffen solltet, mich zur Strecke zu bringen, so hoffe ich nur, daß dieser Brief vorher fertig geworden ist und in sichere Genossenhände gelangte.

Mein Tod wäre aber keine militärische Niederlage für euch – doch nicht bei der Logistik –, aber ich bin sicher, es wird euer politischer Untergang in West-Berlin/West-Deutschland. Und dann verlaßt euch drauf, dann ruhe ich wirklich sanft! Und noch dies: Sollte irgendein Genosse oder ’ne Genossin in der linken Szene oder sonst jemand, der mir hilft, wegen der Veröffentlichung dieses Buches zu Schaden durch euch kommen – physisch wie psychisch –, dann seid hiermit gewiß, dann nehme ich meine Knarre nochmals in die Hand und knöpfe mir einen nach dem andern von euch vor. Im Gegensatz zu den Bullen weiß ich, wo ich euch finden kann. Zu viele haben für meine Reise ins Land des Abenteuertums bitter bezahlen müssen, und was wichtig dabei ist: Sie hatten nichts, aber auch gar nichts damit zu tun. Mein Faß ist voll, da paßt kein Tropfen Blut mehr rein.

Schickt eure «Erklärungen der/des» zu meinem «Dreck» und daß die linke Szene so was auch noch unterstützt. (Mein Gott, gibt es bei den Linken inzwischen viele BKA-Bullen.) Das traurige bei euren Erklärungen ist nur, daß ich sie als Anhang zu diesem Buch im voraus veröffentlichen könnte!

Und an die Politiker und ihre Handlanger: Für euch besteht keinerlei Grund, daß ihr euch mit dem von mir Geschriebenem die Hände reibt und versucht, damit euer schmutzig Süppchen zu kochen. Erstens tragt ihr mit dazu bei, daß Guerilla überhaupt entstehen konnte in der BRD, und zweitens – damit sich da keiner falschen Hoffnungen hingibt –, wenn man mich schnappen sollte, frei nach Horst Mahler: «Kompliment, meine Herren» – aber kein Kronzeuge. Zu keinem Preis!

Das Schreiben schlaucht doch mehr, als ich gedacht habe. Wenn ich hier so an der Maschine sitze, ist das Problem der Belastung ja nicht nur das der äußeren Einflüsse, wie etwa ’ne Verhaftung oder Schlimmeres. Du schreibst dir auch ’ne Menge Wut in den Bauch – als ob ich da inzwischen nicht genug drin hätte –, sondern jede Zeile schlägt dir auch in die Fresse und sagt dir, was für ein blinder Idiot du warst.

Nee, nee, hat nichts mit Selbstmitleid zu tun, wirklich nicht. Da ist eine Lampe angegangen, und zwar hat die nicht gedämpftes Licht, sondern gleißendes, und das tut halt verdammt weh.

Zu meiner Geschichte einiges (vielleicht auch mehr): Am 21.12.1947 geboren, meine Mutter – Jüdin, saß im KZ Ravensbrück – verstarb kurz darauf. Mein Alter – damals Bulle – steckte mich in ein Kinderheim, von dem ich mit drei oder vier Jahren zu sogenannten Pflegeeltern gegeben wurde. Das war ’ne ca. 40 Jahre alte alleinstehende unverheiratete Frau mit ihren alten Eltern. Dort ging es – was meine «Erziehung» betraf – im großen und ganzen recht manierlich zu. Es gab da auch schon mal eine aufs Ohr, wenn man nicht spurte, aber es blieb dann auch bei dem einenmal. War da in einem katholischen Kindergarten, der mir ganz und gar nicht gefiel. Es gab da zwei Erlebnisse, von denen ich zumindestens bei einem über ’ne Masse von Jahren ’nen fürchterlichen Knacks weghatte, nämlich so ’ne Angst, alleine zu sein – zeitweise sogar nur alleine in einem Raum –, so daß ich dann das Bett vollpißte und schwitzte. Während wir draußen im Hof spielten, holte ’ne Nonne ein Huhn aus dem Verschlag und köpfte das Vieh mit ’nem Beil, hielt es dabei nicht richtig fest, und das Vieh flatterte dann ohne Kopf durch die Gegend. Ich bekam ’nen fürchterlichen Schock und bin kreischend die paar Häuser weiter nach Hause gerannt. Das andere Mal mußte ich dringend scheißen. Die Nonnen ließen mich aber nicht – war, glaube ich, Gottesdienst –, na, da schiß ich halt in die Hose. Zur Strafe wurde ich dafür in den Holzverschlag gesperrt, und dort lag ’ne Axt. Die nahm ich und versuchte ’nen Ausbruch. Klappte zwar nicht, aber als die Nonne aufschloß, um mir wahrscheinlich Nächstenliebe einzuprügeln, entwich ich ihr. Na, auf jeden Fall war meine Kindergartenzeit damit beendet, entweder haben die mich rausgeschmissen oder meine Pflegemutter hat mich da rausgeholt. Ich wurde dann mit fünf eingeschult. Alles, was da so um mich rum war während der Prozedur interessierte mich absolut nicht, denn ich hatte eine wunderschöne Zuckertüte!

Schule fand ich sowieso überhaupt nicht gut. Dafür die Nachmittage, wenn ich als Mitglied einer Kinderbande den Germaniplatz und Umgebung unsicher machte. Daß ich dabei immer die Rolle des Prügelknaben vom Dienst spielte, war das Sekundäre. Egal, was da passierte: ob wir jetzt beim Schrottklauen erwischt wurden, ob der geplante «Angriff» auf das verfeindete Hauptquartier vorher schon verpfiffen wurde, ich bekam die Prügel für jeden Mißerfolg. Ich war halt der schwächste, aber prima fand ich es bei allem trotzdem. Außerdem war ich Spezialist im Pfandflaschen klauen, das machte wieder einiges wett. Einer stand vorn am Wasserhäuschen (Trinkhalle) und kaufte für 10 Pfennig gemischte Knollen (Bonbon), und ich holte derweil hinten leere Flaschen, um sie vorn gegen Geld wieder einzutauschen. Das wurde dann ehrlich geteilt, wobei der Häuptling den Löwenanteil erhielt. Muß man aber dazu sagen, wenn die Runde Brause geschluckt wurde, zahlte der ohne Diskussionen. (Ich schweife bestimmt oft ab in Kind- und Jugendzeiterlebnisse, die wahrscheinlich gar nicht interessieren. Laßt mich mal oder lest drüber weg.) In der Schule ging es so lala. Zwischendurch bin ich mal in ein Kindererholungsheim zur Kur verschickt worden.

Dann wurde ich das erste Mal mit Tod konfrontiert. Oma starb, kam vom Klo und sagte: «Mer geht’s ja gar net gut» und war weg. Habe erst gar nicht kapiert, was da vor sich ging, und als ich da langsam durchblickte, na, war ’ne beschissene Zeit gewesen. Opa registrierte den Tod seiner Frau gar nicht mehr richtig. Der war schon vorher «fertig». Im Ersten Weltkrieg ’nen Arm fürs «Vaterland» gelassen – der Dank hat ihn nie ereilt –, «lebte» er von der Unterstützung und vor allem erst mal von der Pflege seiner Tochter, die ihre liebe Mühe mit dem alten Knaben hatte. Obwohl auch noch schwer gehbehindert, zog der jeden Abend in seine Stammkneipe am Prüfling und kam, oder wurde gebracht, sturzbesoffen zurück.

Ich hatte ein ganz verrücktes Verhältnis zu ihm, auf der einen Seite mochte ich ihn ganz gerne und auf der anderen Seite fand ich ihn unheimlich und fürchtete mich vor ihm. Das mag daran gelegen haben, daß er, wenn er zu Hause war, sich in seiner Bude einschloß und einen fürchterlichen Spektakel veranstaltete oder seine Prothese abschnallte und mir mit dem Armstumpf drohte.

Und dann fing der wohl beschissenste Teil meiner Kindheit an. Eines Tages kam mein Erzeuger – da war ich 9 oder 10 Jahre alt –, erzählte mir, daß ich ’ne neue Mutter bekäme und ’nen Bruder oder ’ne Schwester (das wäre noch nicht ganz klar) und daß er mich heimholen wolle. Fand ich erst mal ganz in Ordnung so. Der Abschied von meiner Pflegemutter; ich weiß es beim besten Willen nicht mehr. Sie war bestimmt ungeheuer traurig, denn sie mochte mich sehr, obwohl ich ihr das Leben bestimmt nicht einfacher gemacht habe in diesen sieben/acht Jahren. Ich habe sie sehr viel später oft besucht.

Neues Zuhause, neue Methoden. Umschulung auf die Brentano-Schule, wobei der Anmarschweg derselbe war.

Die erste Zeit ging es ganz manierlich zu. Das änderte sich aber schlagartig, als mein Bruder auf die Welt kam. Das war 3–4 Monate später. Es setzte Prügel noch und nöcher: sei’s, weil ich wieder mal ins Bett gepißt hatte, das sie immer als «zu faul, aufs Klo zu gehen» bezeichneten; sei’s, weil ich mit dreckigen (!) Händen vom Spielen zurückkam, was zur Folge hatte, daß ich versuchte, sie heimlich in der Kloschüssel – das Klo war außerhalb der Wohnung – zu säubern; oder sei’s, weil ich zu spät nach Hause kam; da kam dann noch dazu, daß ich nichts mehr zu fressen bekam, selbst wenn es sich um nur fünf Minuten handelte. Und die Prügel: erst mit den Händen oder der Faust. Dann erkannte man, daß dies wohl nicht das richtige sei und griff zu allem, was in Reichweite lag. Beliebt waren vor allen Dingen Elektrokabel – extra auf ’ne gute Länge getrimmt –, ein Nudelholz und Kochlöffel. Bei letzteren gab’s noch mal Nachschlag, wenn sie zerbrachen, und das war sehr oft. Einmal brach ich im Winter im Ostpark ins Eis ein, und irgend jemand holte mich da unter Lebensgefahr heraus und brachte mich nach Hause. Anstatt nun froh zu sein, daß ich noch am Leben war, wurde ich dafür fürchterlich durchgeprügelt. Stubenarrest war auch ein sehr beliebtes Mittel oder 1000 mal denselben Satz aufschreiben.

Ich war in der Zeit ungeheuer isoliert und hatte einen einzigen Freund, bei dem ich auch oft zu Hause war. Das war ’ne jüdische Familie, die sich auch um mich kümmerte. Die wohnten gleich nebenan auf gleicher Höhe und konnten in mein Zimmer reinschauen und kriegten so ’ne Menge mit. Die kannten meinen Alten auch von früher.

Ich hatte wieder mal Stubenarrest, und mit in mein Zimmer eingeschlossen war «Bubi»; der Wellensittich vom Alten. Dem habe ich das Fenster aufgemacht und freigelassen. Nicht um dem Alten eins auszuwischen – mir war ja klar, was dann mit mir passieren würde –, sondern weil ich ja am eigenen Leib spürte, wie beschissen das Eingesperrtsein war. Als der Alte später reinkam und fragte, wo sein Bubi wäre, erklärte ich ihm das auch so.

Die Prügel, die ich anschließend bezog – mit Kabel, Fäusten, Tritten etc. –, waren so schlimm, daß ich in die Hose schiß, die Alte sogar dazwischen gehen wollte und ich anschließend abhaute.

Ich kann mich daran erinnern, als wäre es gestern gewesen. Ich war mir keiner Schuld bewußt, sonst hätte ich doch das Scheißvieh nicht freigelassen, und ich hatte im Moment der Prügelorgie wirkliche Todesängste; ich habe echt geglaubt, der bringt mich jetzt um.

Ich hatte die Schnauze jedenfalls voll und haute ab. Nicht weit, eine Tür weiter zu meinem Freund. Erzählte ihm und der Familie, was los war und zeigte ihnen meinen Körper. Konnte dann die Nacht bei denen pennen und sollte morgen dann zum Jugendamt gehen und denen das erzählen und zeigen. (Ich muß dazu sagen, daß die aus weiß der Teufel was für Gründen eine ungeheure Angst vor meinem Alten hatten und sich da nie offen einmischen wollten.)

Ich also zum Jugendamt – meine erste offene Rebellion, hatte mächtig Schiß – und erzählte der Frau, daß ich nicht mehr nach Hause wolle und zeigte ihr meinen zugerichteten Körper. Kommentar: man läßt ja auch keine «Bubis» fliegen. Ich wurde wieder nach Hause gebracht, meine Alten waren kurze Zeit friedlich, bis alles wieder beim alten war. Aus der Schule entlassen mit mäßigem Abgangszeugnis, sollte ich Kfz-Schlosser werden. Wurde ich also auch.