Rudolf Steiner und die heutige Welt - Walter Abendroth - E-Book

Rudolf Steiner und die heutige Welt E-Book

Walter Abendroth

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Beschreibung

Sehr zu Recht lautet der Untertitel »Ein Beitrag zur Diskussion um die menschliche Zukunft«. Damit wird signalisiert, wie aktuell die Denkansätze und prinzipiellen Ansichten der Steinerschen Anthroposophie heute wieder geworden sind. Der Reiz dieses Bandes besteht darin, daß man wichtige Passagen aus dem Werk Rudolf Steiners auf diese Aktualität hin überprüfen kann. Probleme, die sich durch die gegenwärtige Situation jedem von uns stellen, werden skizziert und mit Aussagen Steiners verglichen. Es geht dabei um die Frage nach den Autoritäten, also den Leitbildern, nach der Sinnlosigkeit der Zufallswelt und nach der Sozialidee, der die Pädagogik heute verpflichtet sein sollte. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Walter Abendroth

Rudolf Steiner und die heutige Welt

Ein Beitrag zur Diskussion um die menschliche Zukunft

FISCHER E-Books

Inhalt

Perspektiven der Anthroposophie [...]Dieses Buch möge in [...]»Und überall, was ist [...]Schichtwechsel der AutoritätenFakten, Diagnosen und PrognosenDie Sinnlosigkeit der ZufallsweltErneuerung des MenschenbildesWas ermöglicht einen Wandel der Wirklichkeit?Nur andere Menschen können andere Verhältnisse schaffenRudolf Steiner: Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkt der GeisteswissenschaftPädagogik und SozialideeGeist, Recht und WirtschaftRudolf Steiner: Was not tutVertiefte VorstellungenRudolf Steiner: Geisteswissenschaft und soziale FrageNotwendige Übel?Rudolf Steiner: Marxismus und DreigliederungRudolf Steiner: Internationale Lebensnotwendigkeiten und soziale DreigliederungNochmals ErziehungsfrageRudolf Steiner: Freie Schule und DreigliederungDie alten und die neuen HindernisseKrise der Lügen und IllusionenAnthroposophische LebenshilfenZusammenfassender Rück- und AusblickNachwortHinweisePersonenregister

Perspektiven der Anthroposophie

 

Herausgegeben von Johannes M. Mayer und Wolfgang Niehaus

Dieses Buch möge in der Weise gelesen werden, daß die Lektüre des Haupttextes laufend durch die Kenntnisnahme von den im Anhang »Nachweise, Hinweise und Abschweifungen« gegebenen Mitteilungen ergänzt wird. Daß der sensible Leser zwischen der Haltung und dem Stil des Autors einerseits, der Originaltexte Rudolf Steiners andererseits eine gewisse Divergenz verspüren wird, möge weder als Zufälligkeit noch als Mangel der Komposition gesehen werden. Vielmehr handelt es sich um einen ebenso unvermeidbaren wie bewußt gewollten Kontrast, in welchem sich die aggressive Absicht des Autors wie die meditative Erkenntnisart und auch in der Auseinandersetzung bedachtsame Darstellungsweise Steiners spiegeln. Zugleich drückt sich darin der volle Gegensatz dessen, was heute »ist«, und was heute »not täte«, aus. Endlich kann man die Gegensätzlichkeit, stilistisch genommen auch musikalisch verstehen: als Satzfolge unterschiedlichen Tempos und Ausdrucksgehalts.

W.A.

»Und überall, was ist es, und was soll es? – Gott hat sich nach den bekannten imaginierten sechs Schöpfungstagen keineswegs zur Ruhe begeben, vielmehr ist er noch fortwährend wirksam wie am ersten. Diese plumpe Welt aus einfachen Elementen zusammenzusetzen und sie jahraus, jahrein in den Strahlen der Sonne rollen zu lassen, hätte ihm sicher wenig Spaß gemacht, wenn er nicht den Plan gehabt hätte, sich auf dieser materiellen Unterlage eine Pflanzschule für eine Welt von Geistern zu gründen. So ist er nun fortwährend in höheren Naturen wirksam, um die geringeren heranzuziehen.«

Goethe zu Eckermann (11. März 1832)

Schichtwechsel der Autoritäten

Der Verfasser dieser kritischen Zeit- und Zukunftsbetrachtung hat das vorstehende Goethe-Zitat schon einmal einem Buche als Motto mitgegeben. Damals wurde es gewählt, um dem Führungsanspruch einer zur Staatsmacht aufgestiegenen politischen Gruppe, die sich anmaßte, als rassische Elite aufzutreten, die wertsetzende, vorbildgebende Bedeutung der geistig und sittlich qualifizierten schöpferischen Persönlichkeiten entgegenzustellen. Heute wird es wiederum herangezogen, weil seine Aussage nicht weniger als in jenen Tagen zur Besinnung auffordert gegenüber den vorherrschenden Tendenzen der Gegenwart.

Die Frage, welche das Goethe-Wort anrührt, ist nämlich aktuell geblieben und hat, trotz aller Verschiebung ihrer Voraussetzungen, aller Veränderung der äußeren Verhältnisse, an Gewicht und Dringlichkeit nur noch zugenommen. Auch die Reichweite ihrer Aktualität ist um vieles größer geworden. Die Frage geht jetzt nicht mehr ein oder das andere Volk an, sondern die ganze Menschheit. Denn in aller Welt hat sich inzwischen ein neuer, ausschließliche Geltung heischender Führungsanspruch durchgesetzt: der Führungsanspruch des Fortschrittsgedankens, unter dem jedoch einzig das Bestreben verstanden wird, den Lebenstatsachen und Daseinsproblemen mit stetig gesteigerten, ständig verbesserten Mitteln der Wissenschaft, der Technik und der Organisation von außen beizukommen. Und es liegt im Wesen dieser drei: der in wachsendem Maße zweckgebundenen Wissenschaft, der ohnehin dem Zweckdenken entsprungenen, ihm immer verpflichtet bleibenden Technik und der zweckmäßig ordnenden Organisation, daß in ihren Bereichen nur die rein materiellen Interessen Platz haben und ihre Begriffswelt immer mehr nur das Kollektive umfaßt, immer weniger das Individuelle einbezieht. Daher sie alle drei auch zunehmend weder im Menschlichen noch im Sachlichen Rangunterschiede anerkennen, mit alleiniger Ausnahme des ein für alle Male feststehenden Vorrangs der Nützlichkeit, der Rentabilität, des Profits, des Erfolgsstrebens. Eine tiefergreifende Interpretation des Fortschrittsbegriffes wird kaum noch irgendwo angetroffen, und der Gedanke einer geistigen und sittlichen Höherentwicklung des Menschengeschlechts, wie ihn seine edelsten Exemplare einmal hegten, ist unserer Zeit so fern gerückt, daß jüngere Generationen wohl gerade noch von ihm sagen hören als von einer verjährten Träumerei unaufgeklärter Köpfe, sogenannter »Idealisten«, mit denen, wie gemeint und gelehrt wird, die Welt, aufs Ganze gesehen, mehr schlechte als erfreuliche Erfahrungen gemacht habe. Demgemäß genießt denn auch der sichtbarste Vertreter entwickelter Individualität und »höherer Natur«, das Genie (in welchem Friedrich Hebbel das »Bewußtsein der Welt« verkörpert sah), genießen »große Menschen« (nach desselben Dichters Definition die »Inhaltsverzeichnisse der Menschheit«) keineswegs mehr besonderes Ansehen, geschweige denn Vertrauen. Es wird ihnen, wie in einer Art kindischen Trotzes, schon nicht mehr nur die frühere Verehrung vorenthalten, sondern, je länger, desto radikaler, jeglicher Respekt verweigert. Die bloße Existenz des Außerordentlichen überhaupt in Menschengestalt verursacht unseren Zeitgenossen schon Unbehagen; seine Überlegenheit, sein Anders- und Mehrsein, wo es fühlbar wird, erweckt Widerwillen, ja Haß, und ruft Abwehrinstinkte hervor. Dies nicht allein aus beleidigtem Selbstgefühl der »Geringeren« oder aus uneingestandenem Minderwertigkeitsbewußtsein. Vielmehr wirkt stärker als diese Motive die einfache Bequemlichkeit. Das ungewünschte Vorbild ist den Leuten lästig. Wo alles so schön fortschreitet, der allgemeine Fortschritt in seinem Schlepptau jeden mitzieht zum immer »höheren Lebensstandard«, will man in seinem Behagen an einem derartig angenehmen Laufe der Welt nicht gestört sein durch den Anblick irgendwelcher Einzelgänger, denen diese ganze Herrlichkeit wenig zu bedeuten scheint, die gar ein Haar in der schmackhaften Speise finden und einem womöglich einreden möchten, es gebe andere, wichtigere Anliegen, es stehe Ernsteres auf dem Spiel.

Immer einmütiger wird der Widerstand der »modernen Menschen« gegen solche Störenfriede; und die gewohnheitsmäßige Proklamation der Gleichheit meint immer unmißverständlicher: Einebnung der natürlichen Rangunterschiede nicht mittels Heraufbildung der unteren, sondern mittels Absetzung der höheren Ränge. Und so fehlt nicht viel, daß man, den Goethe-Ausspruch umkehrend, behaupten darf, in unseren Tagen sei der Zeitgeist fortwährend in den geringeren Naturen wirksam, um – koste es, was es wolle – die höheren herabzuziehen. Von den Piedestalen der Autorität jedenfalls, auf welche vielleicht übertriebene Ehrfurcht sie einmal erhoben hatte, sind die »führenden Geister« heruntergestiegen.

Allein: nirgends, wo Plätze geräumt werden, bleiben sie leer. Den entthronten echten Autoritäten sind die falschen, aber um so despotischeren auf dem Fuße gefolgt. Sie beherrschen bereits unsere Gegenwart, und ihnen – da sie keinerlei Rangabzeichen zeigen, überhaupt gern anonym bleiben und so tun, als verwürfen sie jeglichen Autoritätsglauben – wird gern gefolgt, wird willig gehorcht.

Muß es sein, daß ihnen die Zukunft gehört?

Fakten, Diagnosen und Prognosen

Der Fortschrittsgedanke ist die Spitze der Autoritätenpyramide, welche unser Zeitalter überragt und beherrscht. Von dieser Spitze aus senkt sich die stetig verbreiterte Stufenfolge abwärts über Wissenschaft, Technik, Organisation bis auf das Fundament, das aus den mehr oder minder unlösbar zusammengemauerten Machtblöcken Politik und Wirtschaft besteht. Den Grund und Boden, auf dem das gesamte Gebäude ruht, bildet die weite Fläche des »praktischen Lebens«, wie es sich darstellt in dem verwirrend widerspruchsvollen Wirklichkeitsbilde der »modernen Zivilisation«. Ob die Menschheit als ganze noch Herr dieser von ihr geschaffenen Wirklichkeit ist oder bereits ihr wehrloser Knecht, ob sie nicht jedenfalls auf dem Wege in eine totale Versklavung unter dem Joch der Zivilisationsmächte ist – das muß heute gefragt, muß untersucht und geklärt werden. Fortschritt: ja – aber wohin? Die von der Gegenwart aus errechenbare Zukunft wird von den einen – den meisten, deren Verstand nur die äußere Sprache der Tatsachen, aber nicht ihren tieferen Sinn erfaßt – optimistisch gesehen; von den andern, deren Denken den Dingen bis in ihre letzten Folgerungen nachzugehen gewohnt ist, pessimistisch. Aber wenn somit auch die Schwarzseher durchaus in der Minderzahl sind: daß es Staaten gibt, in deren Bereich Pessimismus als Todsünde gilt (wie in den diktatorisch regierten) oder als schlechtes Benehmen (wie in den demokratisch gelenkten), hier wie dort also als ausdrücklich unerwünscht, während Optimismus zur förmlichen Bürgerpflicht erhoben ist – das spricht nicht für besondere Überzeugungskraft der positiven Aspekte. Offenbar bedarf es doch einiger künstlicher Nachhilfe, damit der Menschen Glaube, sie seien auf einem guten und richtigen Wege, nicht doch einmal in Anfechtung falle und wankend werde. Von allen Zweifeln frei ist er ohnehin nicht, da zu viele Begleiterscheinungen des immer rasenderen Fortschritts selbst den unbefangensten Gemütern, und gerade ihnen, Furcht einjagen und den Triumphgefühlen darüber, wie herrlich weit wir es doch gebracht haben, ein sich ständig mehrendes Quantum dumpfer Beängstigung beimischen. Doch davon abgesehen – hat der dingliche Fortschritt den Menschen denn einen entsprechenden Zuwachs an dauerhaften Lebenswerten gebracht, hat er sie glücklicher, zufriedener gemacht? Niemand wird in der Lage sein, darauf mit einem ehrlichen »Ja« zu antworten. Nicht allein, daß die konsequent materialistische Weltansicht, aus welcher Wissenschaft, Technik und Organisation ihre stärksten Fortschrittsimpulse schöpfen, im Verein mit Vermassung und Entpersönlichung den Einzelmenschen mehr und mehr entgeistigen, entseelen, aushöhlen: ein beträchtlicher Teil der sozialen Fortschritte, auf die wir uns soviel zugute halten, konnte nur durch Aufstachelung der Unzufriedenheit, Schürung von Neid- und Haßinstinkten errungen werden; und wie das moderne politische Leben überhaupt seine Energien weitgehend aus der organisierten Wachhaltung und Aktivierung solcher oder ähnlicher Regungen zieht (gewisser, weniger aus wahren sittlichen Antrieben als aus wechselseitiger Vergeltungsfurcht, aus Zweckmäßigkeitserwägungen also geborener entgegengesetzten Tendenzen unerachtet), so ist das moderne Wirtschaftsleben, zumal das permanente Wachstum der modernen Industrie, auf ständige Anreizung der allgemeinen Begehrlichkeit gegründet, die ja auch eine Spielart – und nicht die schmerzloseste – der Unzufriedenheit ist. Es kommt hinzu, daß von der Wissenschaft aus das freilich ihr gemäße Prinzip der »Wertfreiheit«, das Prinzip des Betrachtens, Feststellens und Folgerns unter striktem Ausschluß jeglicher Gefühlsregung, jeglichen Wertens und Unterscheidens nach Maßstäben der Sensibilität, der Moralität oder der Verantwortlichkeit – das Prinzip mithin der bedingungslosen Objektivität sich längst auch auf die Reaktionsweise der Allgemeinheit gegenüber den Umwelteindrücken übertragen hat; wodurch sowohl alles Erleben schlechthin wie insbesondere das menschliche Verhältnis zu eben jener Um- und Mitwelt um vieles kühler, gleichgültiger, liebloser, oberflächlicher und – ärmer geworden ist. Indessen auch im Handgreiflichst-Praktischen der heutigen Daseinsform wirkt sich der Fortschritt nicht eben eindeutig beglückend aus: die unausgesetzte Steigerung der Schnelligkeit in der Überwindung des Raumes und dadurch dessen beständige Schrumpfung brachte den Menschen weder einen Gewinn an »Zeit« noch freiere Beweglichkeit im Raum. Der Mensch ist heute »zeitloser« denn je, und der Erdenraum wurde nur immer enger, nicht offener. Wird vollends nach der Möglichkeit des »Glücks« gefragt, das die Fortschrittsapostel aller Gebiete für die menschliche Zukunft versprechen, so dürfte in diesen Zusammenhängen kaum eine andere Auskunft so viel Wahrscheinlichkeit für sich haben wie die des Dichters Tennessee Williams: »Bald wird es gleichgültig sein, ob man glücklich oder unglücklich ist, weil man für keines von beiden mehr Zeit haben wird.« Woran, wohlgemerkt, aller Voraussicht nach auch das Zeitalter der totalen Automation nichts ändern wird.

Eine Prognose wie diese sagt eigentlich schon genug. Es gibt jedoch schlimmere, gewichtigere und genauere.

Seit geraumer Zeit mehren, seit kurzem häufen sich die Stimmen kritischer Beobachter, die, indem sie lediglich die heute als fortschrittlich geltenden Lebensprinzipien, Gesinnungen, Bestrebungen und Verhaltensweisen zu Ende denken, für die Zukunft der Menschheit die düstersten Voraussagen machen. Sie errechnen mit unwiderlegbarer Logik aus der Bewegungsrichtung moderner Zivilisationstendenzen und -praktiken das damit angesteuerte Ziel und beschreiben dieses als einen Zustand, der das Menschenwesen, infolge beispielloser Vergewaltigung und Verfälschung seiner gesamten Natur, als vollständiges Gegenteil von allem zeigt, was einmal unter dem Begriff der Gottesebenbildlichkeit verstanden sein wollte. Die Prognostiker decken rücksichtslos die grausamen Realitäten auf, die hinter den fortschrittstrunkenen Schlagworten »Industriegesellschaft«, »Konsumgesellschaft«, »Leistungsgesellschaft« usw. lauern. An ihrer Betrachtungsweise ist besonders bemerkenswert, daß sie die, den vermeintlichen Realisten heute noch so bedeutsam erscheinende, Spaltung der Welt in »diktatorische« und »demokratische« Staatssysteme nebst den ihnen zugrunde liegenden politischen Hypothesen als etwas für die Lebenstatsachen der Zukunft kaum noch Entscheidendes annehmen. Sie sehen den Untergang der Menschheit keineswegs mehr an die Voraussetzung der physischen Vernichtung – etwa mittels der Wasserstoffbombe – oder der gewalttätigen Unterdrückung – mittels brutaler Gesetze – gebunden. Sie sehen nicht mehr auf der einen Seite Schreckensherrschaften die Menschen daniederhalten, auf der andern angebliche Freiheitsordnungen sie herrlichen Zeiten entgegenführen. Sie sehen diese Polarität allmählich, vielleicht auch ziemlich schnell, sich aufheben in der Begegnung beider Systeme auf dem Boden der ihnen gemeinsamen – nur heute noch unterschiedlich organisierten (oder auch kostümierten und phraseologisch redigierten) Massenmanipulation. Der Treffpunkt und die künftige gemeinsame Existenzsphäre wird eben jene unheilige Dreieinigkeit der »Industrie-, Konsum- und Leistungsgesellschaft« sein.

Den pessimistischen Prognostikern, deren Berechnungen jetzt unterbreitet werden sollen, ist solcher diagnostische Leichtsinn – oder solcher Dilettantismus – wahrlich nicht nachzusagen. Ihre Zukunftsvisionen wirken vielmehr derart schonungs- und hoffnungslos, daß es nötig sein wird, sie gegen den Vorwurf hypochondrischer Schwarzmalerei durch den Nachweis der heute sichtbaren Symptome, aus denen sie gefolgert werden können – oder müssen –, abzuschirmen. Dabei wird sich zeigen, wie eindeutig schon in heutigen Tatsachen angelegt, wenn nicht bereits eingewöhnter gegenwärtiger Sachverhalt ist, was in jenen Unheilsverkündungen so erschreckend vor das Bewußtsein unvorbereiteter Leser tritt.

Die Reihe der Urteiler, welche dem heraufkommenden Zeitalter der totalen Entmündigung des Menschen klarere Umrisse zu geben versuchen, eröffnet der alte Jacob Burckhardt; ebenfalls ein großer Warner vor dem Irrlicht des gedankenlosen Fortschrittsoptimismus. Was er als dicht bevorstehend gesehen und geschildert hat, ist für uns Heutige inzwischen Erfahrung geworden: der Zusammenprall des »entsetzlichen Kapitalismus von oben und des begehrlichen Treibens von unten«, die »militärisch umgestaltete Staats- und Verwaltungsmaschine« und der »Militärstaat als Großfabrikant« mitsamt seinen disziplinarischen Begleiterscheinungen. Hier ist für uns von besonderem Interesse, daß Burckhardt das Stadium der bloßen maßlosen Gewalttätigkeit als vorübergehend betrachtet, bis zum Entstehen einer »wirklichen Gewalt«, die sich vollends über alle Rücksichten hinwegsetzen werde. Die Unterscheidung zwischen Gewalttätigkeit und wirklicher Gewalt ist von Bedeutung im Hinblick auf die jüngeren Voraussagen des Paradoxons einer ungewaltsamen Vergewaltigung, die das Merkmal der künftigen Massenmanipulierung sein wird. Darüber weiß neuerdings Aldous Huxley Genaueres auszusagen. Er prophezeit eine »künftige Diktatur«, die »ein gut Teil weniger brutal als die von Orwell so brillant porträtierte« sein werde. Da Verhaltensforschung erbracht hat, »daß Bestrafung unerwünschten Verhaltens auf die Dauer ein weniger wirksames Beherrschungsmittel ist, als Belohnung (und durch sie Verstärkung) erwünschten Verhaltens, und daß ein Terrorregime im großen und ganzen weniger gut funktioniert als ein Regime gewaltlosen Manipulierens der Umwelt und der Gedanken und Gefühle individueller Männer, Frauen und Kinder«, werden Furcht, Strafe, Gewaltanwendung, also auch KZ und ähnliches ausfallen, weil nämlich alle glauben werden, freiwillig zu handeln, indem sie ihrer Manipuliertheit gemäß denken, reden und tun. Die Methoden der Manipulation werden eingehend beschrieben: Organisation, Propaganda, Gehirnwäsche, Chemische Überredung, Unterbewußte Überredung, Hypnopädie (Suggestion im Schlafzustand) usw. Und das Ziel?: Menschen nach dem Ebenbild von Termiten zu schaffen. Der Eventualfall des Fürnötighaltens nicht so ganz schmerzloser Hilfsmittel bleibt dabei allerdings nicht völlig ausgeschlossen: »Da die Beherrscher der übervölkerten und überorganisierten Welt von morgen noch nicht imstande sein werden, Embryos genetische Gleichförmigkeit aufzuzwingen, werden sie versuchen, den Erwachsenen und deren Kindern soziale und kulturelle Gleichförmigkeit aufzuzwingen. Um diese zu erzielen, werden sie (wenn nicht daran gehindert) Gebrauch von allen ihnen zur Verfügung stehenden gehirnmanipulierenden Verfahren machen und nicht zögern, diese Methoden nichtrationaler Überredung durch wirtschaftlichen Zwang und Drohungen mit körperlicher Gewalttätigkeit zu verstärken.«

In dieser Prognose sind eine ganze Reihe von Möglichkeiten erwähnt, deren Aktualität keineswegs erst von morgen ist. Zunächst wäre zu klären: Wer sind die »Beherrscher«, die »Manipulierer«, die Subjekte der Vergewaltigung? Es sind die entsprechend weiterentwickelten Nachfahren der faktisch schon heute weltbeherrschenden Minderheit, in deren Händen dann buchstäblich alle Macht nebst deren Ausübungsmitteln vereinigt sein werden; zur Überlebensgröße ausgewachsene Manager, gottähnliche Omnipotenzen, in Einem Herren der Politik wie der Wirtschaft und vor allem der Wissenschaft mit ihren sämtlichen Ergebnissen und Erzeugnissen; Giganten der Planung und der Züchtung. Die Macht »des Menschen« über die Naturkräfte – Krone und Gloriole dessen, was eben unsere Zeitgenossen, von Stolz förmlich geschwollen, den unaufhaltsamen Fortschritt nennen – diese Macht wird im Besitz einer verhältnismäßig kleinen Anzahl von Menschen sein, die, wie ein anderer Denker, der englische Philosoph Clive Staples Lewis sehr überzeugend dargetan hat, es den anderen Menschen erlauben oder auch nicht erlauben können, davon Nutzen zu haben. Nach Lewis’ Zukunftssicht wird selbst innerhalb eines einmal Wirklichkeit gewordenen Weltstaates die Macht prinzipiell von Minoritäten über Majoritäten ausgeübt werden (konkret von der Regierung über »das Volk«), und das wird im dann erreichten Entwicklungsstadium der Dinge bedeuten, daß faktisch die früheren Generationen im voraus die späteren übermächtigen. Die Eroberung der Natur durch den Menschen schließt ja die Eroberung des Menschen in sich ein; das wird realiter heißen: die Herrschaft von einigen Hunderten von Menschen über »Billionen und Billionen«. Die Macht des Menschen, mittels Eugenik, vorgeburtlicher Planung, Erziehung und Propaganda auf der Basis konsequent praktizierter Psychologie unbegrenzte Macht über sich selbst auszuüben, die Macht des Menschen, mit sich selbst anzustellen, aus sich selbst zu machen, was ihm beliebt, wird sich in Wirklichkeit darstellen als die Macht einiger Menschen, aus allen anderen das zu machen, was ihnen für ihre Zwecke erwünscht ist.

Woraus aber läßt sich denn schließen, daß die Objekte dieser Vergewaltigung sich tatsächlich so widerstandslos werden manipulieren lassen? Um das kurz vorwegzunehmen: Gerade der fest eingewurzelte Fortschrittsglaube wird die Menschenmassen gefügig machen; und er tut es schon heute in erstaunlichem Maße. Dieser Glaube treibt ja den »modernen Menschen«, die Eroberung der Natur durch »ihn selbst« begeistert, ohne die geringsten Vorbehalte, zu bejahen und somit eifrigst mit an den Ketten zu schmieden, die ihn einmal binden werden. Und schon heute merkt er nicht mehr, daß seine Einbildung, darin aus vollem freien Willen zu denken, zu fühlen und zu handeln, bereits suggeriert, manipuliert, gemanagt ist. Wie ihm ja durchaus nicht bewußt ist, wieweit er schon entpersönlicht, wieweit er schon gleichgeschaltet, eingeebnet, vermaßt ist.

Den Vorgang der Vermassung erläutert wieder Wilhelm Röpke sinnfällig genug, indem er ihn mit der »Auflösung aller echten Gesellschaft« gleichsetzt und schreibt: »Die sich daraus ergebende einfache Aggregation der nunmehr auf sich selbst gestellten Individuen ist das, was wir Vermassung nennen. Es ist die Einebnung der Gesellschaftspyramide, ihre Atomisierung und die damit einhergehende Verklumpung der Individuen. Die aus der Gemeinschaft herausgesprengten Individuen sehen sich einer chaotischen Beziehungslosigkeit ausgesetzt und werden zu umherirrenden Nomaden, die nicht mehr recht wissen, wo sie hingehören und welches ihr Platz in der Gesellschaft ist, mehr und mehr losgelöst von den Banden der Familie, des Berufs, der Nachbarschaft, der Natur und Gemeinschaft.« Im Rahmen dieser Erklärung wird verständlich, daß – wiederum nach Röpke – »die Verachtung des von ihm so genannten ›Spießbürgers‹« ein »besonders verräterisches Kennzeichen des Massenmenschen« ist, der »in seiner Lösung von Tradition, Kontinuität, Verwurzelung, in seinem Antikonservatismus« »von herdenhafter Konformität« erscheint. In diesem Sinne decouvriert sich auch der sogenannte »Intellektuelle« (nicht zu verwechseln mit dem Schopenhauerschen »Selbstdenker«, der geistgeprägten, geistbewußten Persönlichkeit) als konformer Massenmensch, im Besitz einer »bloßen Gescheitheit«, »die den Kontakt mit der Wirklichkeit verloren hat, die nicht abzuwägen und nicht das Ganze zu umfassen weiß, die daher des bon sens ermangelt und nur eine andere Form der Beschränktheit ist«. Es hat freilich Publizisten gegeben, die es besonders gescheit fanden, die »Masse« – Phänomen und Begriff – als Hirngespinst strafwürdiger »Kulturpessimisten« zu denunzieren. Spätestens seit Le Bon erübrigt sich jede Auseinandersetzung mit einer so plumpen Anschauungsweise, nach welcher »Masse« nichts als die Summe vieler Einzelmenschen sei; während beispielsweise schon die Wirkung aller politischen Brandreden beweist, wieviel anders der Einzelne als Bestandteil der Masse denn eben als Einzelmensch reagiert. In der Masse – die überhaupt kein bloß quantitatives Phänomen, sondern eine Sache des Gruppen-, Herden- und Hordentriebes, eine Gegenbewegung gegen den Individualismus, und deren Wesen es darum ist, »konform«, »genormt«, »gleichgestimmt« (nämlich gleichgeschaltet) zu sein – hat die eigenständige, freie geistige Persönlichkeit (schlichter ausgedrückt: der unabhängige Kopf) immer weniger Boden zum Existieren, immer weniger Luft zum Atmen. Mit der Persönlichkeit aber erstickt allmählich das in ihr verkörperte schöpferische, sittliche und verantwortungsfähige Menschliche überhaupt.

Auf den Endeffekt gesehen, ist es gleichgültig, mit welchen Methoden die Meinungsgleichschaltung der Masse durchgeführt wird. Das Tatsachenbild der Gegenwart zeigt unabweisbar: Genau wie in den diktatorisch regierten Staaten Millionen die ihnen von der politischen Propaganda vorgeschwatzten Meinungsklischees – einschließlich des dazugehörigen klischierten Vokabulars – nachplappern und sich einbilden, sie sprächen eigene Gedanken aus, genau so plappern in den demokratisch regierten Ländern Millionen die ihnen von der politischen »Information« und von der Industriereklame vorgeschwatzten Meinungen, Urteile und Redensarten nach und bilden sich ein, sie sprächen ihre eigenen Erfahrungen und unbeeinflußten Entscheidungen aus. Schon heute ist also, bei Licht besehen, die geistige Unmündigkeit hier wie dort annähernd die gleiche. Daher würde auch eine Demokratisierung der totalen Regime den Menschen keine wahre geistige Freiheit bringen, und auch die mögliche Annäherung beider Systeme auf dem Boden der Industrie-, Konsum- und Leistungsgesellschaft wird es nicht tun.

Diese Annäherung, für welche wir schon so viele Hinweise geben konnten und noch weitere geben werden, deutet sich übrigens heute bereits auch in einem gewissen realpolitischen Faktum an: im kommunistischen Lager geht, einstweilen noch mit Mißtrauen betrachtet, aber gestützt auf konkrete Entwicklungstatsachen das Gespenst der Konvergenztheorie um; einer Theorie, die das Marxsche Gesellschaftskonzept für überholt erklärt, da die technische Entwicklung auf eine strukturelle Angleichung von Kapitalismus und Sozialismus ziele. Als Symptom ist das schon mehr als bloße Theorie; vielmehr der Beginn eines Prozesses, welcher wohl zunächst einmal niedergeschlagen, aber zweifellos nicht für immer unterbunden werden kann. Indessen haben wir hier noch gründlicher, als bisher geschehen, auf die weltweite, keine Systemgrenzen kennende moderne Massenmanipulation einzugehen, weil ihr das allergrößte Gewicht für die Glaubwürdigkeit der zitierten Zukunftsprognosen zukommt. Da hinsichtlich der Diktaturen niemand die teils gewaltsame, teils psychologische und psychotechnische Menschengleichmacherei bezweifelt oder bestreitet, auch zahlreiche dokumentarisch belegte Beschreibungen der dabei angewandten Methoden von der körperlichen Folter bis zur »Gehirnwäsche« bekannt geworden sind, so mag die allen massenbeherrschenden Machtsystemen – insbesondere den großen Industriestaaten als den unwiderstehlichsten Machtballungen schlechthin – gemeinsame Entmündigung des Menschen und Schablonisierung des Geistes jetzt am Beispiel der USA, die doch den Freiheitsbegriff für sich förmlich beschlagnahmt haben, illustriert werden.

Von einem New Yorker Public-Relations-Mann wird das gelassen ausgesprochene Wort berichtet: »Die Meinung der Welt wird von neun, höchstens zehn Männern gemacht. Wer dagegen auftritt und gefährlich zu werden droht, fällt nach kurzer Zeit!« Ob der Kernspruch authentisch ist oder nicht: Leichter würde seine Wahrheit zu beweisen sein, als Widerspruch dagegen zu begründen. Wer irgend jemals in die inneren Zellen der »Informationszentren« eingedrungen ist und die Funktionsweise ihrer Organe kennengelernt hat, weiß das; und wenn er redlich ist, wird er nicht versuchen, jenen Zyniker der bloßen Großsprecherei zu zeihen. Dies ist mithin der Stand der Dinge schon in unseren Tagen! Ein Wunder, wenn es anders wäre. Denn aus den Mitteln, durch welche das geschilderte Resultat erreicht wurde und immer wieder, immer vollkommener erreicht wird, machen die Manipulierer ja nicht einmal ein Geheimnis. Die Manipulierten selbst wissen – ohne darin etwas Bedenkliches zu finden – von den Künsten der psychologischen und psychotechnischen Massenbeeinflussung auf den Wegen der Publizistik, insonderheit der Reklame. Mit ihrer raffinierten, wissenschaftlich durchdachten, total durchorganisierten Suggestionstechnik ist diese moderne amerikanische »Werbung« ein nahezu unfehlbar wirkendes Instrument der Einschläferung des persönlichen Denkens, des Abschaltens der individuellen Urteilskraft und der Gewöhnung an die Aneignung vorgekauter, eingetrichterter Vorstellungen, Wertungen, Behauptungen. Hinsichtlich solcher systematischen Entmündigung ist völlig belanglos, daß es sich – wenigstens bis zu einem gewissen Grade – »nur« um die »Meinung« über Industrieprodukte handelt. Auf den Anlaß der geistigen Freiheitsberaubung kommt es durchaus nicht an, sondern allein auf den Vorgang selbst: die gezielte Ausübung eines weder zeitlich noch räumlich mehr begrenzten psychischen Zwanges zwecks Gefügigmachung der Massen und Hinlenkung ihrer Gedanken, Interessen, Wünsche und Begierden auf bestimmte Objekte. Mit dieser Hinlenkung ist zugleich eine gewissenlos mit in Kauf gegebene Verdummung der Opfer verbunden. Denn, um einander in der Wirksamkeit ihrer Anpreisungen zu überbieten, kleiden die Manipulanten ihre Werbungen in so kindische, so bodenlos alberne, hochtrabende, grotesk pathetische Sprüche, Deklamationen und Schaustellungen, daß darüber zum Einfaltspinsel werden muß, wer es ohne Protest hinnimmt und sich daran gewöhnt. Will aber jemand dafür garantieren, daß nicht auch in den Freiheitsparadiesen der demokratischen Welt gelegentlich die politische »Information« ebenso »gezielt« und zielsicher verabreicht wird wie die Industriereklame? Daß nicht auch sie gegebenenfalls auf Suggestion, Imprägnation, Manipulation hinausläuft? Der auch abseits seiner fachterminologischen Bedeutung gebrauchte Begriff »Informationsimpuls« ist immerhin verdächtig: Er verrät die hinter der »Wahrnehmung des Informationsbedürfnisses« stehende Absichtlichkeit, die Zielstrebigkeit, die Zweckbestimmtheit des Informationsinhalts. Daß so gut wie alle Information über Kulturelles heute kulturpolitisch ausgerichtet und somit tendenziös gefärbt, meinunglenkend präpariert und frisiert ist – in Europa vielleicht noch konsequenter als in Amerika –, steht einwandfrei fest.

Es bedarf keiner ausschweifenden Phantasie, um sich auszumalen, in welche Breiten- und Tiefendimensionen diese Massenmanipulation noch hineinwachsen wird, wenn eines Tages zu den bisher entwickelten Beeinflussungsmethoden noch diejenigen ganz unverhohlen treten werden, die vorerst noch nur theoretisch in Betracht gezogen, experimentell abgetastet, probeweise eingesetzt, man weiß nicht, wieweit schon insgeheim hier oder da doch tatsächlich mehr oder minder vorsichtig praktiziert werden. Was diesbezüglich heute bereits teilweise erschreckliche Gegenwartswirklichkeit, teilweise alarmierende Nächsterwartung ist, entdeckt den schaudernden Lesern ein Buch von Theo Löbsack unter dem Titel: »Die manipulierte Seele. Von der Gehirnwäsche zum gesteuerten Gefühl.« Um ganz zu ermessen, ein wie großes Interesse in der Managerwelt schon jetzt daran besteht, die in jenem Buche dargelegten psychologischen und psychotechnischen Vergewaltigungsmittel mehr und mehr anzuwenden, muß man zur Kenntnis nehmen, daß den »Werbefachleuten« die Beeinflußbarkeit der potentiellen Konsumentenschaft immer noch nicht ausreichend erscheint; daß sie bereits mit der Erkundung des »am besten auf Werbung ansprechenden Bevölkerungsmodells« (!) beschäftigt sind und auf die Internationalisierung funktionell perfektionierter Werbekampagnen mit zunehmender Ausdehnungstendenz auch in Richtung sozialistischen Oststaaten sinnen. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme, irgendwelche Hemmungen könnten die hier zur Erörterung stehende Menschenart davon abhalten, das ihren – gleichviel (das kann nicht oft genug wiederholt werden) ob wirtschaftlichen oder politischen – Zwecken gefügige »Bevölkerungsmodell«, wenn es einmal erkundet, bearbeitet und bewährt, aber auch dann noch nicht restlos »ansprechend« befunden wird, unter Ausnutzung aller verfügbaren wissenschaftlichen Manipulationsmethoden schließlich einfach herzustellen. Wieweit Gesetze dem entgegenstehen, ist keine Grundsatz-, sondern eine Terminfrage, die von der wandelbaren Divergenz oder Kongruenz der politischen und wirtschaftlichen Interessensphären abhängt. Von den vielerlei Möglichkeiten, die »Seele zu manipulieren«, sei es durch psychologische Tricks oder durch direkte chemische Eingriffe in die Ordnung der Körperorgane (auf dem Umwege über konservierte Lebens- oder über Genußmittel ein leichtes!) hat Löbsack erschöpfende Beschreibungen gegeben. Es ist daraus ersichtlich, daß diese Möglichkeiten heute schon kaum noch übertrieben gesehen werden können, besonders seitdem die planmäßige Anreizung, Lenkung und Spezialisierung jeweils gewollter Wünsche, Leidenschaften, Begierden, Triebe, Handlungen usw. noch gesteigert und auf Dauer eingestellt werden kann durch elektrische Gehirnbehandlung, welche nach Wahl bestimmte Denk-, Gefühl- und Funktionszentren gänzlich auszuschalten oder auch sie zu einseitiger und übermäßiger Aktivität zu veranlassen vermag. Die »wertfreie« Wissenschaft hat es fürwahr dahin gebracht, den Menschen in die tiefste Erniedrigung stürzen, das Leben in seiner Tiefe verwüsten und die Welt in eine Hölle verwandeln zu können – und mit dieser Möglichkeit bereits in gefährlicher Weise zu spielen. Und das geschieht keineswegs nur bei den bösen Volksunterdrückern des Ostens, sondern ebenso und noch mehr bei den westlichen Menschlichkeitsaposteln, in deren Staatsverfassungen die »Ehrfurcht vor dem Leben« und die »Unverletzlichkeit der Person« an erster Stelle steht. Man muß sich eben, je länger, desto bestimmter, abgewöhnen, von der Gegensätzlichkeit der Phraseologien, mit welchen die »totalitären« (kommunistischen oder faschistischen) Regime dort, die »demokratischen« hier ihre Machtausübungsweise legitimieren wollen – man muß sich abgewöhnen, von der Gegensätzlichkeit also der beiderseitigen Sozialtheorien und Staatslehren eine ein für alle Male ebenso gegensätzliche Art des Sich-Verhaltens gegenüber der menschlichen Individualität und dem »Leben« überhaupt zu erwarten. Die »Freiheit« zu meinen geben sie alle vor. Wie sie es jedoch in der Tat mit der Respektierung derselben halten, das zeigt unmißverständlich die Praxis der systematischen Umerziehung, welcher heutzutage jede im »heißen« oder im »kalten« Kriege obsiegende Macht die besiegte zu unterwerfen pflegt, sich anmaßend, ganze Völkermassen zwangsweise nach dem eigenen Bilde zu formen. Die eklatantesten bisherigen Fälle solcher, expressis verbis auf Veränderung ganzer »Volkscharaktere« berechneten Umerziehung, fußten auf den Methoden einer in den USA aus der Verschmelzung verschiedener anthropologischer, psychoanalytischer und psychohygienischer »Erkenntnisse« entwickelten politischen Heilslehre; eines politisierten »Neufreudianismus«, auf Grund dessen die umzuerziehenden Massen geradezu als überdimensionale Patienten behandelt wurden. Der Schriftsteller Caspar Schrenck-Notzing, der als erster über das Was und Wie dieser Völkermanipulierung einen detaillierten Dokumentarbericht vorlegte, schließt seine Schrift mit den lapidaren Sätzen: »Noch läßt sich die Natur des Menschen nicht zu beliebiger Verwendung umbauen; dazu wären unsere sentimentalen Liberalen auch nervlich gar nicht in der Lage. Und doch wird … als großes Problem zurückbleiben, daß es nunmehr nicht ausgeschlossen ist, die Menschen mittels sozialpsychologischer Techniken zu beliebigen Zwecken, auf ihnen undurchsichtige Weise und zu ihnen unbekannten Zielen hin zu steuern. Das Wissen um diese Möglichkeit wird auf dem Teil der Menschheit, der sich mit den intellektuellen Planern nicht identifiziert, wie ein Alptraum lasten.«

Nun, was alle diese Möglichkeiten etwa im einen oder andern Punkte nicht zuverlässig oder noch nicht umfassend genug erscheinen lassen möchte, werden die (ebenfalls schon mehrfach berührten) Bemühungen der garantiert »wertfrei« forschenden »Eugeniker« und »Genetiker« ohne Zweifel ergänzen. Ihnen geht es ja um nichts Geringeres als um die Realisierung einer zweckmäßigen Menschenzüchtung im großen und auf weite Voraussicht. Die damit befaßten Wissenschaftler sind keine Phantasten, keine spekulierenden Ideologen; es sind denkbar nüchterne, so vorurteils- wie wohl auch vorbehaltlose Gelehrte der Nobelpreisträgergarnitur. Man wird sie ernst zu nehmen haben. Und der Ernst, der hier angebracht scheint, ist nun wirklich ein äußerster und letzter … Diese Züchtungsplaner gehen von der Überlegung aus, daß der Mensch für gewisse Aufgaben, welche ihm künftig zufallen werden (z.B. Weltraumflug), schlecht organisiert sei. Um diese teils rein körperlichen, teils auch nervlichen und psychischen »Mängel« zu korrigieren, werde es nötig sein, entweder das Erbgut zu verändern oder die Beschaffenheit der Embryonen mittels Drogen zu beeinflussen. Die eugenischen und genetischen Züchtungsmethoden, an deren Vervollkommnung eifrigst und erfolgssicher gearbeitet wird, sollen einen biologisch neu organisierten Menschen herstellen, wie die Bewältigung und Gestaltung der technischen Welt ihn erfordern. Maßstab für die Geartetheit dieses »neuen Menschen« ist die ihm zugedachte funktionelle Rolle im Rahmen des »Bewältigungs«- und »Gestaltungs«-Programms. Mithin werden keinesfalls einfach alle menschlichen Lebewesen im gedachten Sinne »veredelt«, bzw. auf eine allgemein angestrebte Höchstform präpariert; vielmehr wird die Planung wahrscheinlich ein Stufensystem höher und niedriger organisierter Menschentypen opportun erscheinen lassen und es also dem jeweiligen Planungsteam anheimgestellt bleiben (auf diesem Faktor willkürlicher Exekutive liegt der Akzent der Sache!), die Züchtungsergebnisse von Fall zu Fall zu spezialisieren, zu fixieren und zu limitieren. Die Wissenschaft – gleichviel, welche Vorstellungen sie mit den Folgen ihrer »wertfreien« Anstrengungen um die hingegen sehr wohl Wertunterschiede voraussetzende, sogar sie vorplanende und künstlich produzierende Züchtung der Zukunftsmenschen verbindet – arbeitet somit an der völligen, restlosen und endgültigen Unfreiheit des menschlichen Individuums, an seiner nun wirklich totalen Manipulierung, und geht zugleich auf die Herstellung einer neuen Art von Rangordnung aus; aber nicht einer individuellen, sondern einer spezialistisch-kollektiven, kastenmäßigen, um nicht zu sagen insektenhaften; einer weder nach geistigen noch gar moralischen Gesichtspunkten, sondern allein nach Erwägungen der Praktikabilität regulierten; einer organisierten Rangordnung der gewollten Brauchbarkeit. (Ein drastisch-ironischer Beweis für die Doppelzüngigkeit unserer Zivilisationsmanipulanten ist die Tatsache, daß es in einigen nordamerikanischen Staaten und in der Schweiz schon eine eugenische Gesetzgebung gibt, die – vorerst jedenfalls – natürlich nur den rein medizinischen Aspekt der Anwendung eugenischer und genetischer Korrektionsmethoden für den Kampf um die Volksgesundheit gegen minderwertige und gefährliche Erbanlagen zum Gegenstand hat; während jedoch in Deutschland die Pflege dieser Wissenschaftszweige nur schüchtern betrieben werden kann, da sie durch Hitlers entsprechende Tendenzen als »Menschenunwürdigkeit«, als Unterwerfung des Menschen unter Prinzipien der »Viehzucht« diffamiert sind. Man macht dabei glauben, die Hitlersche Rassenzucht sei das einzig Verabscheuungswürdige an der Sache; doch gilt hier wiederum, daß kein vorgegebener Zweck, er sei so »einleuchtend« wie er wolle, das verbrecherische Mittel: die Erniedrigung des entgeistigten und entseelten Menschen zum willenlosen, willkürlich nach beschlossenen Mustern fabrikmäßig angefertigten Planungsojekt zu entschuldigen vermag.