Ruf der Dunkelheit - Christine Feehan - E-Book

Ruf der Dunkelheit E-Book

Christine Feehan

0,0
11,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Evangeline Tregre wünscht sich nichts mehr, als ihr altes Leben und ihre Familie hinter sich zu lassen. Als sie sich einen großen Traum erfüllt und in San Antonio ihre eigene Bäckerei eröffnet, scheint ein Neustart für die schöne Evangeline endlich möglich. Dass sie das magische Blut der Leopardenmenschen in sich trägt, versucht sie soweit es geht zu verdrängen. Und zunächst gelingt das auch ganz gut – bis zu dem Tag, an dem Alonzo Massi ihre Bäckerei betritt. Alonzo ist sinnlich, selbstbewusst und geheimnisvoll – und ebenfalls ein Leopardenmensch. Vom ersten Augenblick an ist Evangeline klar, dass sie Alonzos erotischer Ausstrahlung nichts entgegenzusetzen hat, und so lässt sie sich auf eine leidenschaftliche Affäre mit ihm ein. Auch wenn sie genau weiß, dass Alonzo gefährlich für sie ist ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 588

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



DAS BUCH

Evangeline Tregre wünscht sich nichts mehr, als ihr altes Leben und ihre Familie hinter sich zu lassen. Als sie sich einen großen Traum erfüllt und in San Antonio ihre eigene Bäckerei eröffnet, scheint ein Neustart für die schöne Evangeline endlich möglich. Dass sie das magische Blut der Leopardenmenschen in sich trägt, versucht sie soweit es geht zu verdrängen. Und zunächst gelingt das auch ganz gut – bis zu dem Tag, an dem Alonzo Massi ihre Bäckerei betritt. Alonzo ist sinnlich, selbstbewusst und geheimnisvoll – und ebenfalls ein Leopardenmensch. Vom ersten Augenblick an ist Evangeline klar, dass sie Alonzos erotischer Ausstrahlung nichts entgegenzusetzen hat, und so lässt sie sich auf eine leidenschaftliche Affäre mit ihm ein. Auch wenn sie genau weiß, dass Alonzo gefährlich für sie ist …

DIE LEOPARDENMENSCHEN-SAGA

Erster Band: Wilde Magie

Zweiter Band: Magisches Feuer

Dritter Band: Wildes Begehren

Vierter Band: Feuer der Wildnis

Fünfter Band: Dunkle Liebe

Sechster Band: Geliebte Jägerin

Siebter Band: Entfesselte Göttin

Achter Band: Ruf der Dunkelheit

DIE AUTORIN

Christine Feehan wurde in Kalifornien geboren, wo sie heute noch mit ihrem Mann und ihren elf Kindern lebt. Sie begann bereits als Kind zu schreiben und hat seit 1999 mehr als siebzig Romane veröffentlicht, die in den USA mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet wurden und regelmäßig auf den Bestsellerlisten stehen. Auch in Deutschland ist sie unter anderem mit ihrer Schattengänger-Serie, der Leopardenmenschen-Saga und der Shadows-Serie äußerst erfolgreich.

Mehr über Autorin und Werk erfahren Sie auf:

www.christinefeehan.com

Christine Feehan

Ruf der Dunkelheit

ROMAN

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ruth Sander

Titel der amerikanischen Originalausgabe

LEOPARD’s FURY

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Deutsche Erstausgabe 06/2020

Redaktion: Sabine Kranzow

Copyright © 2016 by Christine Feehan

Copyright © 2020 der deutschsprachigen Ausgabe und

der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,

unter Verwendung von Shutterstock/George Rudy

Herstellung: Helga Schörnig

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-26073-6V001

www.heyne.de

Für meine wunderschöne, tapfere Enkelin Shylah.

Du stellst dich jeder Situation mit Mut und Grazie, und ich bin sehr, sehr stolz auf Dich!

Dieses Buch ist für Dich.

1

Verdammt noch mal, Evangeline, du musst wieder nach Hause kommen.«

Evangeline Tregre schüttelte den Kopf und schaute sich langsam in ihrem kleinen Café um. Es florierte nicht gerade, aber es hielt sich nach wie vor über Wasser und wurde jeden Tag beliebter. Die Wände hatte sie eigenhändig gestrichen, in einem hellen Blau. Jeder Schrank, jede Vitrine, jedes noch so winzige Detail, vom Schriftzug bis hin zum Bodenbelag, war von ihr ausgewählt worden. Sie hatte die staubigen, heruntergekommenen Räumlichkeiten selbst renoviert und mit Tischen und Stühlen einladend und gemütlich eingerichtet. Sie liebte den Duft, der sie dort empfing. Jeden Morgen, wenn sie aufstand, um zu backen, freute sie sich auf den Tag. Ihr Leben »zu Hause« hatte sie gehasst.

»Dies ist mein Zuhause, Robert. Hier gefällt es mir, und ich werde nicht mehr weggehen. Der Ort, von dem du sprichst, war das nie so sehr für mich wie das hier«, erwiderte sie ruhig und leise, denn sie war daran gewöhnt, keine Aufmerksamkeit zu erregen. Sie stritt sich nicht gern und mochte keine lautstarken Auseinandersetzungen. Und noch weniger mochte sie es, dass Robert Lanoux in ihren Laden kam, den sie sich mit so viel Mühe aufgebaut hatte, und darauf bestand, dass sie zurückkehrte. »Ich dachte eigentlich, du wärst nach Borneo gefahren, in den Regenwald.«

Sie wusste alles über Robert, obwohl sie ihm bis zu diesem Augenblick noch nie begegnet war. Er war davongejagt worden, hatte eine kurze Haftstrafe verbüßt und war einer längeren Verurteilung nur entgangen, weil er als Kronzeuge gegen seine Freunde ausgesagt hatte. Die allesamt Mörder waren. Er hatte dabei zugesehen, wie sie alte Menschen in ihren Häusern zusammengeschlagen und ausgeraubt hatten oder Stripperinnen Gewalt antaten. Er hatte zahllose Verbrechen gegen sein Rudel begangen, und ein Blick auf ihn sagte ihr, dass er an niemandem außer sich selbst interessiert war. Und Frauen verachtete.

»Die können mich mal«, fauchte Robert. »Ich lasse mich nicht von einem dahergelaufenen Außenseiter herumkommandieren, der glaubt, er könnte mich von zu Hause wegschicken. Ich sollte doch nur nach Borneo gehen, um mir eine Frau zu suchen. Da kann ich auch dich nehmen. Es macht mir nichts aus, dass du dich nicht verwandeln kannst.«

Dabei drehte sich ihr förmlich der Magen um. Evangeline atmete tief durch. Sie hatte seine Welt hinter sich gelassen und würde es nicht zulassen, dass ein jähzorniger bösartiger Leopardenmensch, der ganz sicher keine Skrupel hatte, eine Frau zu verprügeln, sich in ihr Leben einmischte.

»Die Antwort ist Nein. Ich werde niemals zurückkehren.«

»Du bist uns etwas schuldig.« Robert packte sie am Arm und riss sie an sich.

Ein Angstschauer rieselte über ihren Rücken. Sie trat einen Schritt zurück, doch er hielt sie mit eisernem Griff fest. »Lass mich los, Robert. Sofort«, zischte sie, damit er merkte, dass sie sich nicht von ihm drangsalieren lassen würde. Genauso wenig wie von jemand anderem. Nie wieder. »Ich will, dass du gehst. Das hier ist mein Laden, und ich bitte dich höflich, ihn jetzt zu verlassen.«

Die Glocke über der Tür bimmelte fröhlich, was nicht zu der Spannung im Café passte. Als sie und Robert sich umschauten, stockte Evangeline der Atem. Sie war mit gefährlichen Männern groß geworden. Verbrechern. Furchtbar heimtückischen, schrecklich grausamen Kriminellen. Sie kannte sich mit solchen Kerlen aus. Diesbezüglich hatte sie so etwas wie einen Radar. Aber den brauchte man gar nicht, um zu erkennen, dass der Mann, der gerade durch die Tür ihres Cafés kam, sehr gefährlich war. Brandgefährlich.

Er schaute sich in ihrem wunderschönen kleinen Laden um und sah jedes Detail, ließ sich aber nicht anmerken, was er davon hielt. Nichts an ihm regte sich. Weder in seinem Gesicht noch in den flachen, kalten, toten Augen. Die trotzdem wunderschön waren. Absolut faszinierend. Und unglaublich blau. Wie Gletschereis. Lange, nachtschwarze Wimpern bildeten den Rahmen für diese eisblauen Augen, doch leider zeigte sich in ihnen nicht das geringste Gefühl, nicht einmal, als ihr Blick auf Roberts Hand an ihrem Arm fiel. Absolut keins. Der Mann war lebendig. Und atmete. Möglicherweise ein Killer. Aber wenn er tötete, dann völlig emotionslos. Er hatte sie beide streiten hören. Die Art, wie er Roberts Finger ansah, mit denen er sie festhielt, verriet es ihr.

Er war sehr groß und muskelbepackt und wirkte absolut unbesiegbar. Evangeline war an Männer mit Muskeln gewöhnt, aber dieser hier war ein geübter Kämpfer. Das sah man schon daran, wie er sich bewegte – so kontrolliert und beherrscht, so geschmeidig und locker, als glitte er eher dahin, als zu gehen. Zudem machte er dabei nicht das leiseste Geräusch, seine sündhaft teuren italienischen Lederschuhe schienen den Boden gar nicht zu berühren.

Sein Anzug sah aus, als hätte er genauso viel gekostet wie die Renovierungsarbeiten am Café und als wäre er ihm auf den Leib geschneidert worden – was vermutlich sogar stimmte. Sein eisiger Blick blieb auf Roberts Fingern liegen, die sich in ihren Oberarm bohrten. Sie hatte beinah vergessen, dass Robert sie so fest umklammert hielt, doch nun wurde ihr plötzlich kalt vor Angst.

Robert schien es genauso zu gehen. Obwohl er ein Leopardenmensch war. Ein Gestaltwandler. Sie hatte gehört, er sei sehr reizbar und stark wie ein Ochse. Und habe wie die meisten Gestaltwandler nur selten vor etwas Angst. Wenn jemand ihn bedrohte, konnte sein Leopard den Gegner blitzschnell in Stücke reißen. Trotzdem ließ Robert sie endlich los und trat verstohlen einen Schritt zurück, sodass sie zwischen ihm und dem Neuankömmling stand.

»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Evangeline. Ihre Stimme klang anders als sonst, selbst in ihren eigenen Ohren. Ihr weicher, verlockender Cajun-Akzent war viel ausgeprägter, obwohl sie es gar nicht darauf angelegt hatte. Oder etwa doch? Jede einzelne Faser in ihrem Körper reagierte auf diesen Mann, deshalb schlug ihre Herkunft aus dem Bayou so stark durch wie noch nie. Es klang wie eine Einladung, die Nacht damit zu verbringen, unter dem Sternenhimmel über einen ruhigen Fluss zu gleiten.

Sie war nicht der Typ Frau, der mit Männern flirtete, geschweige denn sie mit so einer Stimme ansprach. Sie wusste es eigentlich besser. Sie erkannte Gefahr, wenn sie ihr gegenüberstand, und dennoch – in dem Moment, in dem dieser Fremde ihr Café betreten hatte, schien sie zum Leben erwacht zu sein. Ihr Körper hatte geschlafen, doch jetzt war er hellwach und höchst interessiert an diesem Mann aus Eis. Sie hatte ihm bereits einen Spitznamen gegeben und betrachtete ihn als ihren Eismann, auch wenn das nur ein Traum war.

Sein Blick richtete sich auf sie. Ohne einen einzigen Lidschlag schaute er sie mit seinen gletscherblauen Augen an. »Kaffee. Schwarz. Und ein Stück von Ihrem Zimtkuchen.«

Seine Stimme war tief und sonor. Aber so kalt wie seine Augen. Wie Sibirien – im tiefsten Winter. Gleichzeitig aber auch so sinnlich, dass ihr unwillkürlich ein leichter Schauer über den Rücken lief. Dann wurde ihr heiß, und tief in ihr rührte sich etwas Animalisches, Wildes, und sie verspürte den unerwarteten Drang, mit diesem inneren Feuer den Versuch zu unternehmen, das Eis dieses Mannes zu schmelzen.

Er sprach mit einem starken italienischen Akzent. Aus irgendeinem Grund überraschte sie das. Sie hatte ihn nicht für einen Italiener gehalten. Eher für einen Russen. Vielleicht weil seine Kälte sie an Sibirien erinnerte. Sie konnte das nicht aus dem Kopf bekommen. Für sie würde er immer ihr russischer Eismann sein.

Evangeline nickte und wandte sich ab, um seiner männlichen Anziehungskraft zu entgehen. Er war definitiv außerhalb ihrer Liga. Ihrer Welt. Ihres Universums. Das war kein Mann, den eine vernünftige Frau in ihrem Leben haben wollte. Mit bebenden Händen goss sie ihm Kaffee ein – ihre besondere naturreine Mischung, von der alle Kunden schwärmten. Die Zimtkuchenstücke waren großzügig bemessen, und sie richtete eins auf einem der rechteckigen Teller an, die ihr schickes goldenes Firmenlogo trugen. Das E für Evangeline war in der Mitte.

Wortlos, nur mit einem Nicken, nahm der Mann seine Bestellung entgegen. In seinen eisblauen Augen war kein Licht, kein Leben, kein Gefühl. Einfach nichts. Ganz offensichtlich fühlte er sich von ihr nicht so magisch angezogen wie sie sich von ihm. Lässig wandte er sich um, ging quer durch den Raum und drehte einen Stuhl so herum, dass er mit dem Rücken zur Wand sitzen und die gläserne Eingangstür im Auge behalten konnte. Dann zog er einen Tisch vor sich, stellte das Tablett mit dem Kaffee und dem Teller darauf ab und ging zu dem kleinen Stand, wo es die Servietten und das Besteck gab.

Evangeline atmete tief durch. Sie durfte ihn nicht so anstarren und wollte es auch gar nicht. Robert trat wieder so nah an sie heran, dass sie seinen Atem an ihrem Ohr spürte – ein Übergriff, der sie ärgerte. Der Eismann hatte ihr Interesse so gefesselt, dass sie Roberts Anwesenheit fast vergessen hatte.

»Wir sind noch nicht fertig, meine Liebe. Ich nehme dich mit zurück«, raunte er.

»Ich habe dich gebeten zu gehen«, entgegnete sie genauso leise. »Und komm bitte nicht wieder.«

Robert fauchte und bekam Katzenaugen, weil ihr Widerstand ihn reizte. Doch Evangeline blieb standhaft, obwohl ihr Herz plötzlich heftig klopfte. Sie wollte keine Angst vor ihm haben, aber das war unmöglich, wenn er so dicht neben ihr stand und sie so drohend ansah. Er wollte sie einschüchtern. Sie kannte ihn kaum, sie wusste nur, was ihre Freundin, Saria Boudreaux – inzwischen Donovon –, ihr von ihm erzählt hatte, und nichts davon war gut. Saria kannte jeden im Bayou. Robert Lanoux stammte aus einer der sieben Gestaltwandler-Familien, die Tausende Morgen Land im Sumpf gepachtet hatten.

Robert trat noch näher heran, sodass er wie ein Turm vor ihr aufragte. Dann bohrte er seine Finger wieder in ihren Arm, diesmal so hart, dass blaue Flecken zurückbleiben würden. Plötzlich gab es ein leises Geräusch, und als sie sich beide umwandten, sahen sie, dass der Eismann ein kleines Stück entfernt stand und mit seiner großen Hand, die in einem sehr teuren Lederhandschuh steckte, seine Serviette in den Mülleimer schob. Dabei schaute er Robert an, und seine Augen wirkten kälter denn je. Nur dass unter all dem blauen Eis eine Flamme zu glühen schien.

Wieder stockte Evangeline der Atem, und in ihr wurde es ganz still. Auch dieser Mann war ein Leopardenmensch. Einer, der zum Tier werden konnte. Auch wenn das fast unmöglich zu sein schien in San Antonio, weit weg von dem Ort, an dem sie aufgewachsen war. Gestaltwandler waren sehr selten und sie in einer Stadt zu entdecken … höchst unwahrscheinlich, aber diese Augen verrieten ihn. Sie waren zu exotisch. Zu erschreckend. Und starr auf Robert fixiert.

»Lass. Sie. Los.« Jedes Wort klang sanft und leise. Doch die Stimme klirrte vor Kälte. Der Eismann hatte seine ganze Aufmerksamkeit auf den Mann gerichtet, der ihr gerade wehtat.

Robert konnte diesen unheilverkündenden Blick nicht missverstehen und begriff, was ihm drohte. Leise fluchend ließ er sie los, stürmte aus dem Café und schlug die Tür hinter sich zu. Daraufhin drehte der Eismann sich um und ging zu seinem Tisch zurück.

»Vielen Dank«, sagte Evangeline matt. Sie hatte alles hinter sich gelassen und wollte nie wieder zurück. Es war ihr egal, dass dieser Mann offenbar ein Killer war. Noch dazu ein sehr viel gefährlicherer als Robert. Hauptsache, Robert war wie ein Hase vor ihm weggelaufen, obwohl sein Leopard sicher ganz wild auf einen Kampf gewesen war. Der Mann hatte sich eingemischt, obwohl er es nicht hätte tun müssen, und sie war ihm dankbar dafür. Das sollte er wissen.

Der Eismann blickte sich um und musterte sie über die breiten Schultern hinweg. Seine gletscherblauen Augen betrachteten sie von Kopf bis Fuß, dann nickte er leicht und drehte sich wieder weg.

Langsam atmete Evangeline aus und wandte sich der Aufgabe zu, das Gebäck in der Vitrine zu ordnen. Sie stand jeden Tag um drei Uhr morgens auf und buk die Kuchen und Plätzchen für den Tag, damit sie frisch waren. Sie konnte es sich nicht leisten, jemanden anzustellen, also machte sie alles allein. Backen, Kaffee kochen, abwaschen, putzen, alles, und das erfüllte sie mit Stolz. Sie kam über die Runden und schaffte es, jeden Monat ihre Rechnungen zu bezahlen, das hieß, dass sie sich ihre Unabhängigkeit bewahren konnte. Sie war fest entschlossen, es allein zu schaffen.

Wieder warf sie dem Eismann einen schnellen Blick zu. Er schien kein Interesse an ihr zu haben. Nicht das geringste. Obwohl sie angeblich gut aussah. Seit sie nach San Antonio gekommen war, hatten viele Männer heftig mit ihr geflirtet. Sie hatte keine Ahnung, was sie mit all dieser Aufmerksamkeit anfangen sollte, und sie wollte sie auch nicht, aber sie hatte einsehen müssen, dass das, was Saria ihr immer wieder über ihr Aussehen gesagt hatte, vielleicht tatsächlich stimmte.

Sie war nicht ganz eins sechzig groß, also hatte sie nicht diese langen Beine, die Männer so anziehen, dafür aber üppige Kurven und eine schmale Taille, die das betonte. Ihr Haar war lang und sehr dunkel und ihre Augen grün wie Smaragde, eine ungewöhnliche Farbe, umrahmt von langen, dichten schwarzen Wimpern. Außerdem hatte sie eine wunderschöne Haut, einen sinnlichen Mund und eine kleine, gerade Nase. Alles in allem war sie also nicht schlecht anzuschauen. Aber er schaute sie nicht an.

Zum Glück begannen die Kunden einzutrudeln, sodass sie sich nicht komplett lächerlich machen konnte. Als der Mann schließlich aufstand und ging, wusste sie, dass er nicht zurückblicken würde.

In der folgenden Woche kam ihr Eismann noch dreimal. Jedes Mal probierte er etwas anderes, das er auswählte, indem er stumm mit dem Finger oder dem Kinn darauf deutete. Ihr fiel auf, dass er gern Gebäck mit Zimt nahm und Äpfel mochte. Er trank seinen Kaffee stets schwarz, und alle drei Male gab er ihr zu verstehen, dass er seine Tasse nachgefüllt haben wollte. Jedes Mal, wenn er kam, verrückte er einen Tisch, damit er mit dem Rücken zur Wand sitzen konnte. Nach dem dritten Mal stellte sie seinen Tisch selber um und ließ ihn für ihn so stehen. Er bedankte sich nicht dafür, und irgendwie war sie froh darüber. Sie brauchte zwar ihre Kunden, wollte aber besser keine engere Beziehung zu ihm haben.

Sie hatte geglaubt, mit der Zeit würde er ihr weniger unheimlich und einschüchternd erscheinen, aber sie hatte sich getäuscht. Die gefährliche Aura um ihn herum flößte ihr immer mehr Angst ein. Sie sah ihn nie lachen oder lächeln. Er beachtete sie kaum, dennoch registrierte er alles, jede Bewegung, drinnen und draußen. Sie war sicher, dass er bis an die Zähne bewaffnet war, und manchmal hatte sie Sorge, dass die wenigen Polizisten, die im Laden vorbeikamen, ihm begegnen könnten und es eine Schießerei oder etwas ähnlich Schreckliches geben würde.

Zwei Monate gingen vorüber, und er kam dreimal die Woche, manchmal viermal, doch abgesehen von seiner Bestellung sagte er kein Wort. Evangeline ertappte sich dabei, dass sie auf ihn wartete. Ihn sogar anlächelte, wenn er hereinkam. Er lächelte nie zurück, doch er blieb immer länger. Inzwischen mindestens eine halbe Stunde länger als beim ersten Mal.

Im dritten Monat kamen noch mehr Männer in italienischen Anzügen. Niemals gleichzeitig mit ihrem Eismann, aber sie wusste, dass er sie zu ihr geschickt hatte. Danach schien das Geschäft besser zu laufen, als ob Kundschaft im Laden noch mehr Kundschaft anzöge. Deshalb musste sie härter arbeiten und mehr Kuchen backen, aber es machte ihr nichts aus; endlich hatte sie es geschafft.

Robert hatte sie beinah vergessen. Doch als sie an einem Donnerstagmorgen, einem Tag, an dem ihr Eismann selten kam, das Café aufschloss, wartete Robert bereits draußen auf sie. Also hatte er offenbar den Laden beobachtet, um ihre Gewohnheiten herauszufinden. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, als er eintrat und das Schild an der Tür lässig von Geöffnet auf Geschlossen drehte.

Hastig griff sie nach ihrem Handy. Doch er machte einen Satz wie ein Raubtier, riss es ihr aus der Hand und schleuderte es ein Stück weit entfernt auf den Boden, sodass es in seine Einzelteile zerbrach. Evangeline holte tief Luft und kam hinter der Theke hervor, denn sie wollte nicht, dass noch mehr zu Bruch ging.

»Du Miststück«, blaffte Robert. »So leicht lasse ich dich nicht davonkommen.«

»Wovon redest du? Ich versuche doch gar nicht wegzukommen.«

»Du hast Saria erzählt, dass ich nicht im Regenwald war. Du konntest einfach dein Maul nicht halten.«

Evangeline runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Ich habe seit Monaten nicht mit Saria geredet. Ich hatte zu viel zu tun.« Aber sie hätte sie anrufen sollen. Sicher machte ihre Freundin sich Sorgen um sie.

Robert kam quer durch den Raum auf sie zu, und sie wusste sich nicht zu helfen. Obwohl sie beschlossen hatte, nicht nachzugeben, wich sie vor ihm zurück, bis sie fast an die Tür stieß.

»Du elende Lügnerin. Du hast versucht, mich in Schwierigkeiten zu bringen. Ich wollte schon fast ein Auge zudrücken. Das Letzte, was ich will, ist eine Frau, die sich nicht verwandeln kann, aber jetzt wirst du dafür bezahlen, dass du mir Drake und die anderen auf den Hals hetzen wolltest. Also läuft es jetzt so. Bislang habe ich in einem Zimmer in der Stadt gewohnt, aber jetzt ziehe ich bei dir ein. Gib mir die Schlüssel zu deinem Haus. Und außerdem brauche ich Geld. Ich weiß, dass du welches hast, also her damit.«

»Wenn du glaubst, dass ich dich bei mir einziehen lasse, musst du verrückt sein. Alles Geld, das ich habe, habe ich selber verdient, und ich brauche es, um meine Rechnungen zu zahlen.«

Da schlug er sie mit dem Handrücken ins Gesicht. So hart, dass ihre Wange sich anfühlte, als wäre sie geplatzt. Mit Tränen in den Augen fand Evangeline sich auf dem Boden wieder. Robert war stark, unglaublich stark, und sein Leopard wollte hervorkommen. Sie sah es an seinem Blick, den grüngelben Augen, die sie drohend anstarrten.

Doch der Angriff hatte tief in ihr ein reizbares, verborgenes Wesen geweckt, das vor Wut tobte, ja raste. Die Härchen an Evangelines Armen und Beinen stellten sich auf, als ein starkes Jucken das kurz bevorstehende Erscheinen ihrer anderen Hälfte ankündigte.

Nein, Bebe, sagte Evangeline scharf. Er darf nichts von dir wissen. Lieber würde sie sich schlagen lassen, als ihre beste Freundin einem so widerlichen Artgenossen zu zeigen.

Wieder kam Robert im Schleichgang der Leoparden drohend auf sie zu. Als Evangeline versuchte aufzustehen, schlug er sie noch einmal, auf die gleiche Seite. Der Schmerz war so stark, dass ihr speiübel wurde.

Wie aus weiter Ferne hörte sie die Türglocke, und dann sah sie, die Tränen aus den Augen blinzelnd, wie Robert sich krümmte und jämmerlich grunzte. Ihr Eismann stand über ihm und drosch mit seiner großen, behandschuhten Faust gnadenlos auf ihn ein. Sie hörte, wie Roberts Rippen brachen. Dann brachte ein kurzer Kinnhaken ihn zum Taumeln, und er ging in die Knie. Sofort packte der Eismann ihn um die Taille und schleifte ihn nach draußen.

Evangeline versuchte, sich an der Wand hochzuziehen, sah dabei aber die ganze Zeit aus dem Fenster. Vor ihrem Café parkte eine schwarze Limousine mit getönten Scheiben. Ein Mann im Anzug hielt eine Tür auf, während der Eismann Robert in den Wagen stieß und dann ebenfalls einstieg. Es dauerte höchstens dreißig Sekunden, bis er wieder herauskam, als wäre nichts geschehen.

Durch die offene Wagentür erhaschte sie einen Blick auf Robert, der zusammengesackt auf der Rückbank saß, den Kopf in einem seltsamen Winkel verdreht. Schaudernd sah sie zu, wie ihr Eismann kurz mit dem Fahrer sprach, ehe er die Tür zuschlug. Er wartete, bis der Wagen abfuhr, sprach danach kurz etwas in sein Handy und kam ins Café zurück.

Sein Gesichtsausdruck hatte sich nicht verändert. Nicht ein einziges Mal. Weder als er Robert zusammengeschlagen hatte, noch als er aus dem Wagen gestiegen war. Sie war fast sicher, dass Robert tot war. Ihr Eismann hatte sich nicht die Mühe gemacht, seinen Leoparden zu rufen, damit er mit Roberts kämpfte. Sie wusste, dass das ein Zeichen von Respekt gewesen wäre, also hatte der Eismann offenbar keinen vor Robert.

»Alles in Ordnung?« Er beugte sich zu ihr herab.

So nahe roch er genauso gut, wie er aussah. Etwas Ungezähmtes lag in seinem Duft, wie ein kühler Wald, schneebedeckt im Winter. Seine Augen waren noch schöner, als sie am Anfang gedacht hatte. So kalt, dass sie ihr einen Schauer über den Rücken jagten. Und so blau, dass sie das Gefühl hatte, darin ertrinken zu können.

»Evangeline.« Sie wollte, dass er ihren Namen kannte. »Ich heiße Evangeline.«

»Ich weiß.« Sanft berührte er ihre Wange. Er trug Handschuhe, deshalb hatten sie keinen Hautkontakt, aber ihr wurde trotzdem heiß.

Woher kannte er ihren Namen? Er tauchte doch im Café nirgendwo auf. Nur das große E in ihrem Logo war ein Hinweis darauf. Sie hatte es in Schönschrift geschrieben, und der Buchstabe war sehr elegant geworden, so wie ihr Café sein sollte. Small Sweet Shoppe. Aus irgendeinem Grund hatte ihr dieser Name sehr gefallen, und das galt immer noch.

»Jetzt müssten Sie mir Ihren Namen sagen.«

Er legte einen Arm um ihre Taille und zog sie auf die Füße, ließ sie aber nicht los, damit sie nicht wieder hinfiel. Jenes wilde Wesen in ihr bäumte sich auf. Es reckte sich und drängte so heftig hervor, dass ihre Haut spannte und sich zu eng anfühlte, dann zog es sich langsam wieder zurück.

Wag es bloß nicht, mahnte Evangeline.

Doch sie hatte den Eindruck, dass ihre Leopardin sich über die Drohung amüsierte, ehe sie sie wieder allein ließ.

»Sie wollen doch sicher nicht, dass ich Sie weiter meinen Eismann nenne. Denn das tu ich insgeheim. Ein Name wäre besser, meinen Sie nicht?«

Ihre Wange pochte, brannte wie Feuer und schwoll offenbar an. So wie ihr Auge. Großartig. Sie würde den ganzen Tag die Fragen der Kunden beantworten müssen. Falls welche kamen. Da fiel ihr wieder ein, dass auf dem Schild an der Tür Geschlossen stand.

Die gletscherblauen Augen wanderten über ihr Gesicht, doch der Mann verzog keine Miene. So viel dazu, ihn mit ihrem Sinn für Humor und ihrem so hübsch geschwollenen Gesicht zu beeindrucken. Sie musste schrecklich aussehen. Das hatte man davon, wenn man sich etwas auf seine Haut einbildete.

»Alonzo.«

Ein Wort. Sein Name. Sie jubelte innerlich, obgleich ihr klar war, dass er nicht die Wahrheit sagte. Er hieß nicht Alonzo. Das war eine Lüge. Aber sie ließ ihn damit durchkommen, weil er sie gerade gerettet hatte.

»Lebt er noch?«, fragte sie, obwohl sie es besser wusste. So sicher, wie sie wusste, dass Alonzo nicht der wahre Name ihres Eismannes war.

»Ist das wichtig?« Er führte sie um die Theke mit ihren wunderschönen Auslagen herum zum Hinterzimmer.

War es das? Dem Gesetz nach war es falsch, jemanden zu töten. Doch die Gestaltwandler hatten ihre eigenen Gesetze. Wenn einer von ihnen die anderen aus dem Rudel in Gefahr brachte, wurde er mit dem Tod bestraft. Doch dieses Leben hatte sie hinter sich gelassen.

Als sie zu Alonzo aufschaute, entdeckte sie, dass er mit der Intensität eines Leoparden auf sie herabsah, ohne dass seine Miene sich verändert hatte. Er war kalt wie Eis.

»Hat er dir etwas bedeutet?«

Hastig schüttelte Evangeline den Kopf und bereute es augenblicklich. Ehe sie es verhindern konnte, entschlüpfte ihr ein leiser Schmerzenslaut. Sofort hob Alonzo sie hoch, als wäre er verstimmt über ihr langsames Vorankommen. In seinen Armen, eng an seine Brust gepresst, verfolgte sie das Spiel seiner kräftigen Muskeln, während er sie vorsichtig auf Händen trug. Sie spürte nicht die geringste Erschütterung, so geschmeidig war sein Gang und so fest der Griff, der sie beinahe zerdrückte.

In der Küche setzte er sie auf einen Stuhl und ging zum Kühlschrank. Sie wünschte, sie hätte etwas Hübsches angezogen, auch wenn sie nicht viele hübsche Sachen hatte. Sie hatte ihr Geld für die Anzahlung auf ein kleines Haus ausgegeben und den Rest für das Café benutzt. Jeder Cent, den sie besaß, steckte in ihrem Laden, also konnte sie sich keine schicken Klamotten kaufen. Weil sie nie mit jemandem ausging, hatte sie auch keine gebraucht – bis jetzt.

Alonzo drückte ihr einen Beutel Eis in die Hand. »Halt dir das an die Wange und antworte mir. Das erwarte ich, wenn ich eine Frage stelle.«

»Gilt das auch andersherum?«

Als Evangelines Augen seinen begegneten, erschauerte sie wieder. Der Gletscher war soeben noch kälter geworden, falls das überhaupt möglich war. »Ich habe den Mann kaum gekannt. Bei uns zu Hause hatte er einen schlechten Ruf. Ich bin ihm nie zuvor begegnet, bis er hier zur Tür reinkam. Er wollte Geld.«

»Und dich. Er wollte dich.«

Das glaubte Evangeline nicht, aber sie wollte sich nicht mit Alonzo streiten.

»Macht es dir etwas aus, dass er tot ist?«

Evangeline holte tief Luft. Eigentlich mochte sie nicht antworten, weil es kein gutes Licht auf sie werfen würde, aber Robert hätte es nicht bei einer Tracht Prügel belassen. Sie wusste, was man ihm nachsagte.

Sie hob das Kinn, schaute Alonzo direkt in die Augen und schüttelte den Kopf. »Nur, wenn das bedeutet, dass du Schwierigkeiten bekommst, weil du mich gerettet hast.«

»Er wird dich nicht mehr belästigen.« Alonzo hielt den Blickkontakt und achtete sehr genau darauf, wie sie reagierte.

Sie war vor allem erleichtert. Und schämte sich deswegen. Alonzos eisiger Blick brannte auf ihren Wangen, doch es fühlte sich gut an. »Vielen Dank. Sieht so aus, als schuldete ich dir etwas. Ich schätze, ich werde dir für den Rest deines Lebens den Zimtkuchen umsonst geben müssen.«

Alonzo sagte nichts dazu. Er lächelte nicht einmal. Evangeline seufzte und schaute in ihren Schoß. Sie sollte sich nicht nach seiner Aufmerksamkeit sehnen. Wahrscheinlich hatte er gerade einen Mann umgebracht. Sie war sich nicht ganz sicher, aber wenn es so war, hatte er es wie nebenbei und leidenschaftslos getan. Es wäre verrückt, sich von ihm angezogen zu fühlen, und dennoch … sie war es. Wobei angezogen sogar noch eine harmlose Umschreibung dafür war, was in ihr vorging, wenn sie in seine Nähe kam.

»Warum bist du hier? Donnerstags kommst du nie, deswegen hat er mir ja heute aufgelauert.«

»Sein Pech. Ich wollte ein paar Dutzend Zimt-Apfel-Plätzchen für meinen Boss kaufen und bin extra früh gekommen, weil du dann noch genug davon dahast.«

Evangeline wollte den Eisbeutel wegnehmen, doch er drückte ihre Hand wieder herunter und ließ seine große Hand auf ihrer liegen. Wie immer trug er butterweiche Handschuhe, unter denen sich mehrere Ringe abzeichneten. Große, dicke, rechteckige Ringe. Das war ihr jedes Mal aufgefallen, wenn er seinen Kaffeebecher entgegengenommen hatte. Diese Ringe machten sie genauso neugierig wie die Tattoos, die sich aus dem makellosen Anzug heraus zu seinem Nacken hochschlängelten. Aus irgendeinem Grund machten ihn diese Tattoos noch interessanter für sie. Inzwischen war sie schon zweimal aus einem Traum erwacht, in dem sie ihm diesen Anzug ausgezogen hatte, um all die schönen Dinge zu sehen, die sich darunter verbargen.

Sie spürte, wie sie rot wurde, konnte es aber nicht verhindern. »Ich muss den Laden aufmachen.«

»Du musst diesen Eisbeutel mindestens eine Viertelstunde lang aufdrücken. Dann kannst du öffnen. Deine Kunden können warten.«

Sogar seine Stimme wirkte auf sie. Sie brachte all ihre Nervenenden zum Prickeln, als gäbe es eine elektrische Spannung zwischen ihnen. Wie von ihm hervorgelockt, kam ihre Leopardin wieder hervor. Allerdings sehr langsam, so als hätte sie keine rechte Lust. Dann tauchte sie ebenso schnell wie vorher wieder ab und hinterließ einen beunruhigenden Juckreiz, der sich besonders zwischen Evangelines Beinen bemerkbar machte und sehr weit reichte. Sie würde dieses Vieh umbringen.

Hör auf, du kleines Luder. Du willst doch wohl nicht, dass er sich für uns interessiert.

Wieder hatte Evangeline den Eindruck, als amüsierte sich Bebe, ehe sie sich ganz niederlegte.

Evangeline war in eine Gestaltwandler-Familie hineingeboren worden. Ihre Brüder hatten Leoparden in sich, genau wie ihr Vater und ihr Onkel. Also war damit zu rechnen, dass es bei ihr genauso sein könnte. Saria hatte ihr erzählt, wie es sich anfühlte, wenn das Tier in einem hervorkommen wollte. Evangeline war klar, dass sie eine Leopardin in sich hatte. Sie hatte es immer gewusst. Bebe gehörte einfach zu ihr. Trotzdem hatte sie ihren Freunden und ihrer Familie nichts von ihrer anderen Hälfte erzählt. Sonst würden sie darauf bestehen, dass sie zum Rudel zurückkehrte, und das würde sie niemals tun.

»Evangeline?«

Alonzo sprach ihren Namen mit diesem Akzent aus, der ihr jedes Mal durch und durch ging. Ihr wurde ganz heiß, doch Bebe hielt still und blieb versteckt. Erleichtert stieß Evangeline den Atem aus und schaute zu Alonzo auf.

»Hat er dich noch woanders erwischt?«

Sie schüttelte den Kopf und wünschte wieder, sie hätte ihn nicht so schnell bewegt. Ihre Wange pochte, und ihr Auge tat weh. O nein. Es schwoll ebenfalls an. Na klar – wenn ihr Eismann kam, sah sie natürlich schrecklich aus.

Alonzo schaute auf seine Uhr, nahm ihr den Eisbeutel ab, warf ihn ins Spülbecken, legte einen Finger unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht an. »Das wird blaue Flecken geben, die du nicht verdecken kannst, also denk dir für deine Kunden eine Geschichte aus. Mir ist aufgefallen, dass viele Männer darunter sind. Die glauben dir alles, was du erzählst.«

Erstaunt sah Evangeline ihn an. Seine Stimme war ausdruckslos, Blick und Miene eisig. Unnahbar. Uninteressiert. Leblos. Dennoch kam es ihr so vor, als wäre er ein klein wenig gereizt, so als ob der Gedanke an all diese Männer ihm nicht sonderlich gefiele.

Langsam ließ er seinen intensiven Blick an ihr heruntergleiten. Dann richtete er ihn wieder auf ihr Gesicht, nickte und wandte sich ab. Ihr Instinkt sagte ihr, dass das alles war, was sie von ihm bekommen würde. Er kaufte ihr drei Dutzend Zimt-Apfel-Plätzchen ab und blieb nicht, um Kaffee zu trinken. Ein anderer Wagen, ebenfalls eine schwarze Limousine, nur diesmal mit einer roten Zierleiste, wartete an der Ecke auf ihn.

Danach kam er wie immer, montags, mittwochs und freitags, setzte sich mit dem Rücken zur Wand auf seinen Stuhl, trank seinen Kaffee und aß sein Gebäck. Inzwischen strahlte sie ihn an und begrüßte ihn mit Namen, während er nur knapp nickte und Evangeline sagte. Sie freute sich auf sein Kommen und hatte versucht, ihm seinen Zimt-Apfel-Kuchen umsonst zu geben, aber er schaute sie immer nur stumm an und schob das Geld über die Theke. Wenigstens sagte er ihren Namen. Das war ein Fortschritt, auch wenn er sechs Monate dafür gebraucht hatte.

Mehrere männliche Gäste bemerkten ihn, machten aber einen Bogen um ihn. Wenn Alonzo nicht da war, beugten sie sich über die Theke und warnten sie vor ihm. Dann zuckte sie die Schultern und sagte, er sei ein guter Kunde und bereite nie Probleme.

Eines Tages, als der Eismann wieder einmal am Tisch saß und seinen Kaffee trank, blickte er plötzlich auf und schaute aufmerksam auf den Bürgersteig vor dem Café. Sie folgte seinem Blick und erstarrte unwillkürlich. Das könnte allerdings Probleme geben. Hastig griff Evangeline in ihre Kasse, zog den Umschlag hervor, den sie dort hineingestopft hatte, und eilte zur Tür. Doch Alonzo war schneller. Er schlang einen Arm um ihre Taille, schob sie sanft, aber entschlossen hinter sich und machte zwei Männern die Tür auf, verstellte ihnen aber den Weg und hinderte sie daran einzutreten.

»Alonzo.« Einer der Männer lächelte ihn zögernd an. »Wir sind geschäftlich hier.«

Alonzo schüttelte den Kopf. Mit klopfendem Herzen klammerte Evangeline sich hinten an sein Jackett. Wenn sie diese Männer nicht bezahlte, so wie alle auf der Straße es taten, würde sie ohne ihren Laden dastehen. Diese Kerle waren während der Renovierung aufgetaucht und hatten ihr erklärt, dass sie nie mehr als nötig von ihr nehmen würden, damit ihr Laden sicher war. Sie hatte gewusst, dass das bedeutete, dass sie zahlen musste, sonst wurde ihr Geschäft abgebrannt, oder es passierte etwas ähnlich Schreckliches. Sie hatte mit anderen Ladenbesitzern gesprochen und erfahren, dass sie alle Schutzgeld bezahlten, also hatte sie die benötigte Summe bei den monatlichen Kosten einkalkuliert.

»Die sind bewaffnet«, flüsterte sie an Alonzos Rücken. »Ich habe ihr Geld schon bereit.«

»Das wird dem Boss nicht gefallen«, sagte der andere Mann, trat aber einen Schritt zurück.

»Das lasst ruhig meine Sorge sein. Ich passe auf diesen Laden auf. Wenn euer Boss ein Problem damit hat, soll er sich an mich wenden.«

Evangeline vermutete, dass sie an die Mafia zahlte. Hatte Alonzo etwas damit zu tun? Die Männer, die bei ihr abkassierten, kannten seinen Namen und hatten offenbar Angst vor ihm. Trotzdem wollte sie nicht, dass er Ärger mit einem Mafiaboss bekam.

»Ich habe das Geld«, setzte sie erneut an und versuchte, den Umschlag um Alonzo herum an die zwei Männer weiterzureichen.

Beide fielen fast hintenüber und stolperten rückwärts, während ihr Eismann sie erstaunlich sanft am Arm packte und ihre Hand an seinen Oberschenkel drückte. Doch dabei sah er nicht sie an, sondern fixierte weiterhin die zwei Männer, die sich nun hastig umdrehten und schnell abhauten.

»Wenn ich nicht bezahle, ruinieren sie mein Geschäft«, sagte Evangeline und wollte sich an Alonzo vorbeidrängen.

»Nein.« Er zog sie zurück zur Theke. »In den sechs Monaten, die ich hierherkomme, hat sich die Zahl deiner männlichen Kunden vervierfacht, und sie baggern dich ständig an. Aber du gehst nie mit einem von ihnen aus. Warum nicht?«

Das war die letzte Frage, mit der sie gerechnet hatte. Evangeline hielt den Umschlag mit dem Geld immer noch in der Hand, die er an seinen steinharten Oberschenkel presste. »Warum fragst du mich das?«

»Weil eine Frau wie du nicht allein sein sollte.«

»Eine Frau wie ich?«, wiederholte sie, während sie überlegte, was er mit dieser Frage und dieser irritierenden und zugleich alarmierenden Aussage bezweckte. Wusste er etwa, dass sie eine Leopardin in sich hatte? Was meinte er mit diesem »wie du« denn?

Vorsichtig versuchte sie, ihm ihre Hand zu entziehen. Sie konnte sie nicht an seinem warmen, kräftigen Schenkel liegen lassen, ohne körperlich zu reagieren. Ihr war schon so heiß, dass sie das Gefühl hatte, träge Lava ströme durch ihre Adern.

Doch Alonzo ließ sie nicht los. Äußerlich schien er ihren verstohlenen Befreiungsversuch nicht einmal zu bemerken, aber sie wusste es besser. Er registrierte alles. Er sah sie mit einem so eiskalten Blick an, dass sie befürchtete zu erfrieren. Nichts deutete jemals auf das heißblütige Raubtier hin, das in ihm steckte. Wäre die gefährliche Aura nicht gewesen, die ihn umgab wie eine zweite Haut, hätte sie fast vergessen können, dass er ein Gestaltwandler war.

»Ja, Evangeline, eine Frau wie du. Du bist die schönste Frau, die ich je gesehen habe. Das hier ist kein schlechter Stadtteil, aber zu nah an schlechten dran. Und du kommst um drei Uhr morgens hierher und arbeitest allein, bis du wieder zumachst. Du brauchst einen Mann.«

Doch ganz offensichtlich wollte er nicht dieser Mann sein. Immerhin hatte er behauptet, sie sei die schönste Frau, die er je gesehen habe. Das war doch was. Natürlich hatte er es mit dieser kalten, ausdruckslosen Stimme gesagt, doch zumindest hatte er es gedacht. Und wieder hatte sie trotz der Ausdruckslosigkeit seiner Stimme das Gefühl, dass er etwas gereizt war, als würde es ihn fürchterlich nerven, dass sie Single war.

Kämpferisch hob sie das Kinn. »Manche Frauen leben lieber allein.«

Stumm musterte Alonzo sie. Dann schüttelte er langsam den Kopf. »Manche sollten aber nicht allein leben.« Er ließ ihre Hand los. »Diese Kerle kommen nicht wieder. Sonst knöpfe ich sie mir vor, das wissen sie.«

Evangeline wagte es, ihn am Arm festzuhalten, als er sich abwandte. »Alonzo, es macht mir nichts aus, das Geld zu bezahlen. Ich möchte nicht, dass du Ärger bekommst. Diese Typen haben sich so angehört, als würde sich jemand über dein Eingreifen ganz schön aufregen. Ich würde lieber das Geld bezahlen als dich in Schwierigkeiten bringen.«

Alonzo blieb stehen und schaute auf ihre Hand hinunter. Ihre Finger reichten nicht einmal halb um seinen Unterarm herum und konnten ihn nicht aufhalten, trotzdem hielt er inne.

»Mach dir keine Sorgen um mich, Evangeline«, sagte er und sah sie dabei an. »Ich glaube, als du gesagt hast, wenn es ein Problem gäbe, würdest du es selber lösen, hast du gemeint, dass du das Geld bezahlen würdest, aber das lasse ich nicht zu.«

Äußerst behutsam nahm er ihre Hand von seinem Arm und ging zur Tür. »Wie auch immer, du hast keine Wahl.« Er ging wie sonst auch – ohne zurückzuschauen.

In den nächsten zwei Wochen wartete Evangeline auf ihn. Der Umschlag mit dem Geld lag bereit für ihn oder für die beiden Männer, die jede Woche vorbeikamen. Doch niemand tauchte auf, und das machte ihr Sorgen. War ihm etwas zugestoßen, weil er sie verteidigt hatte? Sie konnte keinen Kontakt mit ihm aufnehmen. Sie hatte keine Ahnung, wie er mit Nachnamen hieß oder wo er arbeitete.

Auch die anderen Kunden, die in den Anzügen, die sicher von Alonzo geschickt worden waren, kamen plötzlich nicht mehr. In den Nachrichten hatte sie gehört, dass Antonio Arnotto, ein bekannter Winzer, ermordet worden war. Es ging das Gerücht, dass er in Wahrheit ein Verbrecherboss gewesen sei und sein Revier nun sehr leicht von anderen Clans übernommen werden könnte. Die Spekulationen über einen Verteilungskrieg im Milieu begannen mit verschiedenen Gesichtern, die auf dem Fernsehschirm auftauchten. Evangeline sah genau hin, aber keins davon war Alonzos.

Eine weitere Woche ging vorüber, und er kam immer noch nicht. Inzwischen war sie ziemlich sicher, dass er nie wiederkommen würde, deshalb dachte sie über jede Kleinigkeit nach, die sie getan oder gesagt hatte. Sie hatte ihn berührt. Wider besseres Wissen. Und er war ein Einzelgänger. Ein Eisblock. Ohne Leben. Ohne Gefühl – sie hatte eine Grenze überschritten.

Sie konnte nicht mehr richtig schlafen, denn dann träumte sie, dass er erschossen worden war. Verprügelt und danach erstochen. Lebendig in Zement begraben. Am Ende hatte sie Angst, die Augen zuzumachen. Das Geschäft lief prächtig, aber ohne ihn war es irgendwie nicht mehr dasselbe. Zu Hause und bei der Arbeit ließ sie ständig die Nachrichten laufen. In der fünften Woche sah sie endlich ein Bild von ihm im Fernsehen. Er stand neben einem anderen bekannten Verbrecherboss, Elijah Lospostos, und dessen Frau Siena. Siena war die Enkelin von Antonio Arnotto. Alonzo Massi hatte für ihren Großvater gearbeitet, und nun arbeitete er für sie. Der Nachrichtensprecher mutmaßte, ob Alonzo Massi derjenige war, der zum neuen Don aufsteigen und das Arnotto-Gebiet übernehmen könnte.

Wenigstens wusste sie jetzt, dass er noch lebte. Aber auch, dass er nicht wiederkommen würde. Denn Siena Arnotto Lospostos war wunderschön. Mit so einer Frau konnte sie nicht konkurrieren, auch wenn ihr Eismann sie als die schönste Frau der Welt bezeichnet hatte. Siena war zwar verheiratet, aber wie sollte Alonzo sie im Vergleich mit dieser Frau schön finden? Ob er Sienas Leibwächter war? Er arbeitete für sie. Was sollte das heißen? Wahrscheinlich, dass er nicht wiederkäme. Ja, so musste es sein.

2

Keine gute Idee, Fjodor. Das ist wie Selbstmord.«

Fjodor Amurow blieb so abrupt auf dem Bürgersteig vor dem Café stehen, dass sein langer Mantel sich um seine Beine wickelte. Wütend starrte er seinen Bruder an und schüttelte den Kopf. »Benutz niemals diesen Namen. Ich bin Italiener. Von Geburt an. Und ich heiße Alonzo Massi. Vergiss das nicht, Timur. Es war dumm von dir, deinen Namen zu behalten.« Er schaute den Mann auf seiner anderen Seite an. »Ihr hättet es beide besser wissen müssen.«

»Ich habe keine Lust mehr, mich zu verstecken, Alonzo«, erwiderte Timur betont angewidert. »Aber um mich geht es ja nicht. Wir geben uns viel Mühe mit deiner Route und nehmen nie zweimal denselben Weg. Wir müssen ständig die Fahrzeuge wechseln und gut auf dich aufpassen, und trotzdem willst du immer wieder hierhin. Die anderen Leibwächter haben erzählt, dass du früher dauernd in diesem Café warst. Langsam fange ich an zu glauben, dass deine plötzliche Vorliebe für Süßes nichts mit dem Kuchen in der Theke zu tun hat, sondern eher etwas mit der Frau dahinter.«

Alonzo lächelte nicht. Das tat er so gut wie nie. Rastlos streifte sein prüfender Blick die Straßen und Bürgersteige, aber vor allem interessierte er sich für die Fenster des Small Sweet Shoppe. Sie war da. Bei der Arbeit, wie immer. Sie war wunderschön. Einfach atemberaubend. Doch er sollte nicht hier sein. Er war der Letzte, der dieses Café aufsuchen sollte, um diese Frau zu bewundern, aber er konnte nicht anders. Timur hatte recht. Sie war seine Achillesferse.

Seufzend drückte er die Tür auf, weil er sich nicht davon abhalten konnte. Er war in allen Bereichen seines Lebens sehr diszipliniert, er musste es sein, trotzdem war er acht Monate lang mindestens dreimal die Woche in dieses Café gegangen. Doch auch das zeigte seine Disziplin. Denn am liebsten wäre er jeden verdammten Tag dort hingegangen. Er war über einen Monat weggeblieben, beinahe zwei. Und seit er sie das letzte Mal gesehen hatte, hatte er die Wochen, Tage, Stunden und Minuten gezählt.

»Keine gute Idee, Boss«, wiederholte Timur todernst und drängte sich an Alonzo vorbei, um sich, seinen Bruder mit dem Körper abschirmend, in dem kleinen Café umzuschauen und schließlich finster die Frau hinter der Theke zu mustern – die seinem Bruder noch den Tod bringen würde, wenn dieser Wahnsinn nicht aufhörte.

Fasziniert blieb Alonzo im Türrahmen stehen und genoss den Anblick. Diesen kurzen Moment, bevor sie aufschaute. Unwillkürlich hielt er den Atem an. Ein Teil von ihm wünschte sich fast, dass sie einen Freund hätte. Dass sie nicht aufschauen und ihn mit diesem unschuldigen, scheuen Lächeln begrüßen würde, das ihm verriet, dass sie Interesse an einem Monster wie ihm hatte. Andererseits würde es ihn tief erschüttern, wenn sie ihn nicht gleich so anlächelte. Er hatte sie so verdammt lange nicht mehr gesehen, dass er es kaum noch erwarten konnte. Und sollte sie jemals einen anderen so anlächeln, würde er einen Mord begehen, selbst wenn er kein Raubtier in sich hätte.

Sie hieß Evangeline Bouvier. Sie war klein und kurvig und hatte wundervolle, verlockende Brüste. Dazu dichtes, dunkles seidiges Haar, das ihr über den Rücken fiel und fast bis zur Taille reichte. Meist trug sie es zu einem dicken, komplizierten Zopf verflochten, der in ihm immer das Verlangen weckte, daran herunterzustreichen und seine Hand auf ihrem hübschen Po liegen zu lassen. Denn den hatte sie. Er verbrachte überhaupt viel zu viel Zeit damit, über diesen Po und all ihre anderen Vorzüge nachzudenken.

Evangeline blickte auf, und sofort war es da. Dieses Lächeln, das sie nur ihm schenkte. In den letzten Monaten hatte er unzählige Männer hereinkommen sehen. Alle hatte sie angelächelt, aber nicht so. Dieses Lächeln war für ihn reserviert, und es zeigte ihm, dass sie nach wie vor keinen Freund hatte. Niemand hatte versucht, sie ihm wegzunehmen.

Sie hatte einen verführerischen Mund – von dem er häufig geträumt hatte. Und jedes Mal war er mit seinem Glied in der Hand aufgewacht, weil er das Gefühl gehabt hatte, sie würde ihm einen blasen. Er wollte, dass sie mit diesen unglaublich grünen, warmen Augen zu ihm aufschaute, wenn sie es tat. Das war sein schönster Traum. Aber wenn sie von seiner dreckigen Fantasie wüsste, würde sie ihn wegschicken und hinter ihm zuschließen. Tja, und wenn irgendein anderer Mann das Gleiche dächte, und er wüsste es, würde dieser Kerl keine Stunde mehr leben.

»Hallo, Alonzo, du warst ja schon lange nicht mehr da.«

Selbst ihre leise Stimme faszinierte ihn. Diese Frau war so verdammt sexy und süß, dass er sie am liebsten angeknabbert hätte. Alonzo trat an die Theke. Timur ging zur Toilettentür, riss sie auf, schaute sich um und postierte sich dann an den Vorderfenstern, wo er die Straße im Blick behalten konnte. Alonzo hätte ihn am liebsten umgelegt. Es gefiel ihm nicht, dass Timur sich so offensichtlich wie ein Leibwächter aufführte, obwohl er genau das war.

Mit Gorja war es noch schlimmer. Sein Vetter war bei den Damen sehr beliebt, denn er war hübsch und charmant und hatte diesen schlanken, drahtigen Körperbau, der Frauen zu gefallen schien. Alonzo dagegen war kräftig und muskulös und hatte immer ein stoppliges Kinn, egal, wie oft er sich rasierte. Außerdem war er so groß, dass er Evangeline weit überragte und ihr vermutlich Angst einjagte. Und falls nicht, würden die Narben, die er im Gesicht, am Hals und am Körper hatte, sicher dafür sorgen. Er war verschlossen und wusste nicht, wie man sich nett unterhielt. Jeder hätte ihn als groben Typen bezeichnet, und im Vergleich mit seinem Vetter würde er immer den Kürzeren ziehen.

Evangeline schaute von ihm zu Gorja. Dann lächelte sie seinen Vetter an. Alonzo versteifte sich und ballte die Finger in den dünnen Lederhandschuhen. Er war ein guter Boxer und hatte bisher noch keinen Kampf verloren. Gorja sollte das verdammt noch mal nicht vergessen. Und hoffentlich dachte sein Vetter daran, was die Tattoos bedeuteten, die seinen Körper bedeckten.

Dann wurde Alonzo klar, dass Evangeline Gorja nur ein geschäftsmäßiges Lächeln zugeworfen hatte. Ein höfliches, freundliches, aber nicht persönlich gemeintes. Das echte blieb ihm vorbehalten. Sofort entspannte sich sein verknoteter Magen ein wenig.

»Guten Morgen. Kann ich etwas für Sie tun?«, fragte Evangeline Gorja.

Ihre Stimme war wie ein Streicheln. Aber Männer wie er taten sich nicht mit einer Frau zusammen. Niemals. Es war viel zu gefährlich. Er lebte nicht in Evangelines Welt, sondern im Untergrund, wo es finster und hässlich war, und alle, die dort lebten, waren ebenfalls finster und hässlich. Die Geschäfte, die diese Leute betrieben, kannte er in- und auswendig, das Schmuggeln von Waffen und Drogen, die Zuhälterei, das Glücksspiel, die Geldwäscherei, die Liste war endlos. Das war ihm alles vertraut, denn er war in diese hässliche Welt hineingeboren worden – auf der anderen Seite der Erde, in Russland –, aber sie war überall. Er hatte sie nie verlassen. War nie aus ihr herausgekommen. Auch nicht, als er in die Staaten geflüchtet war.

Gorja zwinkerte Evangeline zu. »Wenn ich gewusst hätte, dass die Frauen in dieser Stadt so schön sind, wäre ich früher gekommen.«

»Gorja.« Das war eine Warnung, die nicht misszuverstehen war. Alonzo passte es nicht, dass sein Vetter mit seiner Angebeteten flirtete. Auch wenn er kein Anrecht auf sie hatte. Jedenfalls noch nicht. Doch wahrscheinlicher war, dass er es nie haben würde, denn abgesehen davon, dass er nach Antonios Ermordung das Arnotto-Revier übernommen hatte, war der Leopard, der in ihm steckte, unglaublich schwer zu bändigen.

Es war ein Amur-Leopard, ein gnadenloser Killer. Listig, blitzschnell und stets kampfbereit. Ein gereiztes Tier, das unentwegt mit Zähnen und Klauen darum kämpfte, freigelassen zu werden, und die ganze Welt hasste. Sogar die Frauen, mit denen Alonzo schlief, waren in Gefahr. Er durfte sie zwar bespringen, musste danach aber verdammt schnell verschwinden, weil das Tier in ihm so unberechenbar war, dass er nicht wusste, ob er es schaffte, es zu zügeln. Er kannte keine gemütlichen Dates oder romantische Abende. So etwas blieb ihm versagt. Der einzige Ort, an dem das Raubtier Ruhe gab und ihm eine Pause gönnte, war hier, in diesem Café. Selbst nachts, wenn er schlief, wollte es oft auf die Jagd und weckte ihn. Er hatte die Fenster mit Metallstangen verriegeln und die Türen mit Stahl verstärken müssen, damit die Katze im Haus blieb. Wie konnte man eine Frau bitten, so ein Leben zu teilen?

Evangeline war ein Schatz, den man nie wieder hergab. Er wollte sie in seinem Bett haben. Er wollte mit ihr einschlafen und mit ihr aufwachen. Und diese verfluchten romantischen Abende mit ihr erleben. Doch er merkte erst, wie finster er Gorja anstarrte, als sein Vetter nervös von der Theke zurücktrat.

»Ich hätte gern eine Tasse Kaffee und ein Stück von diesem berühmten Zimtkuchen, von dem Alonzo die ganze Zeit erzählt«, sagte sein Vetter im Weggehen und richtete den Blick auf Timur, der aber keine Hilfe war, weil er immer noch aus dem Fenster sah und mit irgendjemandem telefonierte.

Zufrieden schaute Alonzo ruhig zu, wie Evangeline Kaffee und Kuchen für Gorja anrichtete. Es hatte ihm schon immer gefallen, ihr bei der Arbeit zuzuschauen. Sie war so geschickt und anmutig. Er hatte unzählige Stunden damit zugebracht, sie zu beobachten, und sich einfach daran erfreut, wie verführerisch ihre Brüste wippten und wie sexy der Schwung ihrer Hüften war. Er kannte ihren Körper so gut, dass er ihn mit verbundenen Augen wiedererkennen würde, dabei hatte er sie noch kein einziges Mal berührt.

Plötzlich schaute sie ihn an und errötete. Das war noch etwas, was er an ihr mochte. Andere Männer interessierten sie nicht. Sie hatte nur Augen für ihn. Aber er sollte etwas dagegen unternehmen, denn das war gefährlich. Wenn sie sich mit ihm zusammentat, würde sie nie bekommen, was sie verdient hatte. Zum Beispiel Nachbarn, die rüberkamen, um sich etwas Zucker zu leihen, oder sich über den Zaun hinweg mit ihr unterhielten. Sie würde in ihrem Café niemals allein sein dürfen. Falls sie es dann überhaupt behalten konnte, verdammt, er wusste, wie viel es ihr bedeutete. Er sah ihr in die Augen, obwohl er es nicht tun sollte. Er sollte wegschauen und ihr klarmachen, dass zwischen ihnen nichts laufen würde. Er war der letzte Mann auf der Welt, mit dem sie zusammen sein sollte, aber es war völlig egal, wie oft und wie dringlich er sich ermahnte, er kehrte immer wieder zu ihr zurück.

»Ich habe dich vermisst, Alonzo«, flüsterte sie ihm zu.

Er wusste, dass Timur und Gorja es trotzdem gehört hatten. Schließlich waren sie Gestaltwandler, auch wenn er sie im Moment dafür hasste, weil diese Worte nur für ihn bestimmt waren. Etwas Intimes. Nur zwischen ihnen beiden. Der Leopard tief in ihm knurrte ebenfalls erbost, was Alonzo verriet, dass es dem Biest auch nicht gefiel, wenn andere Männer Evangeline zu nah kamen.

Sie hätte das zu jedem Kunden sagen können, der nach längerer Zeit wieder bei ihr auftauchte, doch er war nicht irgendein Kunde, das wussten sie beide. Obwohl er sich alle Mühe gab, es nicht zuzulassen, reagierte er körperlich auf sie. Und was noch schlimmer war, sie erreichte ihn auch auf einer tieferen Ebene. Er hatte alles verloren. Seine Familie. Sein Zuhause. Seinen Selbstrespekt. Alles, was wichtig war. Und mit alldem hatte er sich in eine unmögliche Lage gebracht, sodass er nun nicht nur für die Polizei, sondern auch für die Verbrecherwelt zu einer Zielscheibe geworden war.

Er sollte das lassen. Er sollte es lassen und sie nicht in Gefahr bringen. Sie war unschuldig. Süß. Und wunderschön. Er stöhnte fast vor Verlangen nach ihr, aber irgendjemand musste sie beschützen. Sie würde die Schwachstelle sein, die seine Feinde ausnutzen konnten. Und er war kein sanfter Mann. Er war schon als Killer auf die Welt gekommen. Schlimmer, er hatte zudem einen Leoparden in sich …

»Solltest du aber nicht«, sagte er eiskalt und abweisend. Er war nicht stark genug, um sich von ihr fernzuhalten, aber er konnte dafür sorgen, dass sie nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte.

Evangeline zuckte nicht mit der Wimper. Sie nickte nur und schaute ihm weiter in die Augen. »Ich weiß.«

Sie wusste Bescheid. Er sah es an ihrem Blick. Sie wusste, was er war. Und das machte alles noch schwieriger. Zu Hause war er ein gnadenloser Vollstrecker gewesen. Als er ihr zum ersten Mal begegnet war, war er nur ein Leibwächter gewesen, ein Soldat, weiter nichts. Doch nun war er der Boss. Das Ziel. Der Mann, der schlimme Entscheidungen treffen musste.

»Und trotzdem hast du mich vermisst?«

»Ja. Möchtest du Kaffee? Und Zimtkuchen?«

Er sollte ihr den Rücken zukehren und gleich wieder gehen, aber so stark war er nicht. Auch wenn er es fast geschafft hätte. Immerhin drehte er sich um, schaute zur Tür und wünschte sich, er wäre ein besserer Mensch. Doch da sprang sein Leopard wütend auf und spannte kampfbereit die Muskeln. Erst als er sich langsam wieder Evangeline zuwandte, beruhigte das Raubtier sich wieder, streckte sich träge und schnurrte fast.

»Kaffee und ein Stück Zimtkuchen.«

Alonzo hatte gemerkt, dass sein Leopard sich entspannte, wenn er in das Café ging, aber ihm war nicht bewusst gewesen, dass das Tier von Evangeline genauso begeistert war wie er. Es war im Café immer friedlich gewesen, doch das lag offenbar nicht nur an der Örtlichkeit, dem köstlichen Duft und der lockeren Atmosphäre – sondern an dieser Frau. Er beobachtete sie sorgfältig dabei, wie sie ihm seinen Kaffee einschenkte und das Kuchenstück auf einem Teller anrichtete.

Was wusste er eigentlich über sie? Er hatte absichtlich keine Informationen über sie einholen lassen, denn er wollte nicht mehr von ihr wissen, als er ohnehin schon wusste. Sie arbeitete hart, und sie liebte ihre Arbeit, das merkte man. Ihr Café war tadellos und das Gebäck umwerfend. Und sie war viel schöner, als er es sich je hätte ausmalen können. Er mochte ihre Art, wie sie mit schwierigen Kunden umging, Er hatte gesehen, wie sie ihr Lächeln bewahrt hatte, als einer sich über eine Kleinigkeit beschwerte. Mit ihrer sanften, freundlichen Stimme nahm sie jedem sich anbahnenden Streit die Spitze. Er liebte ihre Stimme. Sie sprach immer sehr leise, sodass es ihm so vorkam, als wären sie sehr vertraut, was aber gar nicht stimmte.

Trotzdem konnte er nicht leugnen, dass es eine Verbindung zwischen ihnen gab. Er nahm ihr den Kaffee so ab wie immer, indem er mit einem behandschuhten Finger über ihren Handrücken strich. Er wagte es nicht, sich das Vergnügen zu gönnen, sie Haut an Haut zu berühren. Dann nahm er auch seinen Teller und ging zu seinem Tisch, um nachzudenken.

Er hatte nie eine Frau an seiner Seite haben können, weil er sie sonst in höchste Gefahr gebracht hätte. Sein Leopard war inzwischen so aggressiv und menschenfeindlich geworden, dass er sich schon sehr lange nicht mehr die Mühe gemacht hatte, eine Frau anzusprechen. Das Raubtier zu beherrschen war schon unter normalen Umständen schwierig, ohne dass es gereizt wurde. Er hatte gesehen, was so ein Tier anrichten konnte, wenn es in Rage geriet, und wollte das nicht noch einmal erleben. Deshalb zügelte er sich. Und forderte das Schicksal nicht heraus.

Nachdenklich musterte er Evangeline. Sie schaute nicht zu ihm herüber, aber er hatte den Schmerz in ihren Augen bemerkt. Sie hatte versucht, ihn zu verbergen, doch er hatte ihn gesehen. Er hatte sie gekränkt. Weil er so getan hatte, als wäre sie ihm nicht wichtig, obwohl das gar nicht stimmte. Er war nur so abweisend, weil das der einzige Weg war, sie beide zu schützen. Insgeheim hatte er sich sehr gefreut, dass sie seinen Tisch an seinem Platz stehen gelassen hatte, als wartete er auf ihn. Sie hatte ja sogar zugegeben, dass sie ihn vermisst hatte.

Aber … Er riskierte noch einen Blick in ihre Richtung. Da sein Leopard sich in ihrer Gegenwart beruhigte und da der widerliche Kerl, der sie vor ein paar Monaten belästigt hatte, ein Leopardenmensch gewesen war, stellte sich die Frage, ob sie eine Artgenossin sein könnte. Das musste er herausfinden.

Gorja setzte sich auf die andere Seite des Raums, von wo aus er seine beiden Begleiter, falls es Ärger geben sollte, leicht beschützen konnte, Timur dagegen setzte sich so neben Alonzo, dass er Evangeline finster anstarren konnte. »Sie ist hinreißend. Warum zum Teufel hat sie keinen Freund?«

Alonzos Magen verkrampfte sich, und sein Leopard sprang so schnell wütend auf, dass er ihn kaum bändigen konnte. Seine Fingerknöchel schmerzten, sein Schädel fühlte sich zu eng an, und unter seinem schicken Anzug brach schon Fell hervor. »Vaffanculo«, fluchte er, sich in letzter Sekunde daran erinnernd, italienisch zu reden, nicht russisch.

Zufrieden lehnte Timur sich zurück. »Ah, getroffen. Sieht so aus, als kämst du nicht von ihr los. Du hängst fest an der Angel, das solltest du dir langsam mal eingestehen, ehe noch etwas Schlimmes passiert.« Er stelle das spöttische Lächeln ab und beugte sich über den Tisch. »Sie ist wunderschön, Alonzo.« Er hasste es einfach, seinen Bruder bei diesem Namen zu nennen. »Irgendwann wirft vielleicht ein anderer Mann ein Auge auf sie, folgt ihr nach Hause und nimmt sie dir weg …«

»Lass mich in Ruhe, verdammt, sonst passiert jetzt sofort etwas Schlimmes«, blaffte Alonzo, und er meinte es ernst. »Du weißt doch, was ich Tag und Nacht aushalten muss. Warum zum Teufel machst du es mir noch schwerer? Ich kann ihn kaum bändigen, und je mehr du ihn reizt, desto schwieriger wird es.«

Timur schien ernsthaft erschrocken zu sein. »Dein Leopard reagiert auf das, was ich sage? Über …« Er drehte den Kopf und musterte Evangeline, die zwei Kundinnen bediente, die gerade hereingekommen waren. »Diese Frau?«

Alonzo nickte. »Das hier ist der einzige Ort, an dem er ruhig bleibt. In letzter Zeit ist er wie verrückt. Ich lasse ihn jede Nacht laufen, bis wir beide erschöpft sind, aber es scheint nicht zu helfen. Ich habe schon gedacht, früher oder später werde ich doch noch …« Er unterbrach sich und schüttelte den Kopf. Lieber wollte er tot sein, als so zu werden wie sein Vater.

»Bist du sicher, dass es an ihr liegt? Dass sie deinen Leoparden beruhigt?«

»Ja, ganz sicher. Und auf mich hat sie auch einen guten Einfluss. Sie ist so sanft und freundlich. Sieh doch, wie sie zu den Leuten ist, das ist nicht aufgesetzt, sie ist mit sich im Reinen. Sie weiß, wer sie ist und was sie will. Sie lässt sich nicht provozieren. Ich habe gesehen, wie sie mit schwierigen Kunden umgeht. Am Ende bringt sie sie zum Lächeln, und sie gehen zufrieden weg. Sie sorgt instinktiv für eine entspannte Atmosphäre, und für jemanden wie mich, der in der Hölle lebt, ist das ein Geschenk.«

Ohne ein weiteres Wort stand Timur auf, schob seinen Stuhl zurück und marschierte zur Theke. Ganz auf die Frau dahinter konzentriert, stellte er sich an. Das gefiel Alonzo nicht, aber Timur war nicht nur sein Bruder, sondern auch sein Leibwächter. Und wenn in seiner Welt irgendetwas Ungewöhnliches passierte, musste Timur das genauer untersuchen. Alonzo verstand das, auch wenn es ihm nicht gefiel.

Evangeline schaute auf, sah den Ausdruck auf Timurs Gesicht und blickte zu Alonzo hinüber. Als ihre Augen sich trafen, versuchte er, sich nichts anmerken zu lassen. Er wusste, dass sie glaubte, er sei ein gefühlloser Klotz, und das war er auch gewesen – bis er vor ein paar Monaten in dieses Café gekommen war und sie gesehen hatte. Wieder sah er in ihren Augen Schmerz aufflackern, dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit Timur zu.