Sag nie, du bist zu alt - Simone Rethel - E-Book

Sag nie, du bist zu alt E-Book

Simone Rethel

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Beschreibung

Vom Glück der späten Jahre. Simone Rethel räumt mit der falschen Vorstellung auf, Alter bedeute Krankheit, Behinderung, Pflegeheim. Sie zeigt, dass es wichtig ist, Älterwerden und Alter positiv zu sehen, und es auf unsere Einstellung ankommt, was wir aus dieser Lebensphase machen. Endlich kein Anti-Aging-, sondern ein Pro-Aging-Buch. Gerade angesichts der demografischen Entwicklung, dass wir alle immer älter werden, ist es dringend angezeigt, sich aktiv auf diese Phase vorzubereiten. Immerhin haben viele von uns mit sechzig Jahren noch ein Drittel ihres Erwachsenenlebens vor sich. Wer nur die Schreckgespenster des Alters sieht, versinkt schnell in Depressionen. Wer sich dagegen Neugier auf das Leben, Interesse und Teilnahme am gesellschaftlichen Leben bewahrt, ist bestens gerüstet für ein zufriedenes und befriedigendes Altern. Simone Rethel lässt verschiedene Menschen zu Wort kommen, die beispielhaft für ein gelingendes Altern stehen, und sie plädiert besonders dafür, die gesetzlich festgelegte Grenze, Menschen mit Mitte sechzig in Rente zu schicken, aufzuheben. Jeder sollte selbst entscheiden, wie lange er arbeiten will. Darüber hinaus legt sie anschaulich dar, welche Macht gute Gedanken ausüben und dass wir mit richtiger Ernährung und ausreichender körperlicher Aktivität eine gute Voraussetzung schaffen, um lange und gesund zu leben.

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Seitenzahl: 306

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Ebook Edition

SIMONE RETHEL

Sag nie,du bist zu alt

unter Mitarbeit von Beatrix Ross

Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.westendverlag.de

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-864895-32-6

© Westend Verlag Frankfurt/Main

in der Piper Verlag GmbH, München 2010

Satz: Fotosatz Amann, Aichstetten

Druck und Bindung: Pustet, Regensburg

Printed in Germany

Inhalt

Vorwort

Sichtweisen des Alters

Warum schreibe ich dieses Buch?

1  Was zählt eigentlich?

Das Leben – ein Kreislauf?

Was passiert beim Altern?

Der Fadenwurm, die Taufliege und das Hungern

» In Zukunft werden die Menschen mindestens 1000 Jahre alt «

Warum wollen wir eigentlich länger leben?

2  Die Schreckgespenster des Alters

Das entmenschlichte Alter

Zum Überleben des einen gehört oft das Sterben des anderen

» Das Alter ist nur eine zweite Kindheit « – Alter und Altsein in der Geschichte

3  Alt werden, ja ! – Alt sein, nein danke?

Was ist Alter?

Wann bin ich alt?

Warum werden wir immer älter – warum leben manche Menschen länger?

Der Tag, als Michael Jackson starb

Von fehlenden Worten und falschen Bildern

Schönheit des Alters – Betrachtungsweisen

zukunft:pflegen !?

Es kommt nicht darauf an, wie alt man wird, sondern wie man alt wird

Wer aktiv altert, altert glücklicher

4  Wohlbefinden und Gesundheit im Alter

Eine positive Lebenseinstellung

Die Macht der guten Gedanken

Kann man positives Denken lernen?

Hungerkünstler

Wasser, Wasser, Fisch und abends nichts mehr

» Und das ist auch gut so … ! « Partnerschaft und Sexualität im Alter

5  Lassen Sie sich bewegen, sich zu bewegen

www.krafttraining-ist-gut.de– von Such- und Kraftmaschinen

Das bewegte Leben – körperliche Aktivität schützt den Geist

» Durch eure eigene Technik werdet ihr zugrunde gehen ! «

6  Neues schaffen, Neues lernen

Um zu lernen, ist es nie zu spät

Was passiert da eigentlich, wenn das Gehirn nicht mehr so funktioniert?

Potentiale im Alter – lernen im Alter

Maler – Bildhauer – Dichter – Schriftsteller – Musiker

7  Wir schicken den Ruhestand in Rente

Vom Unterschied zwischen Ruhestand und Rente

Arbeiten bis ans Lebensende? Wenn man kann !

Arbeiten bis ans Lebensende? Wenn man will !

Arbeiten bis ans Lebensende? Wenn man darf !

Darum habe ich dieses Buch geschrieben

 

Dank

Anmerkungen

Vorwort

Der überraschende Brief vom Verlag schmeichelt mir: Ob ich mir vorstellen könne, ein Buch zu schreiben, ein Buch über das Altern. Erste euphorische Reaktion: Ja, kann ich! Yes, I can !

Ein Sachbuch über das Altern. Erste Zweifel am Horizont tauchen auf. Natürlich ein Sachbuch, wohl kaum einen Roman.

Kann ich das wirklich? Ich bin doch keine Wissenschaftlerin, keine Gerontologin. Und was ist überhaupt ein Sachbuch? Wodurch zeichnet es sich aus? Wie kommt der so sympathische Verleger auf die Idee, ich könnte ein Sachbuch schreiben?

Erste Recherchen. Bücher, Internet, Zeitungen, Zeitschriften, Studien, Vorträge, Diskussionsrunden im Fernsehen. Was für ein großes Thema! Unmöglich, das zu bewältigen. Ich glaube, mein Verlag irrt sich! Aber das sage ich natürlich nicht laut.

Ich arbeite weiter! Mein Kopf füllt sich mit Gedanken und Ideen. Es wird Zeit, sie ein bisschen zu sortieren und sich darüber klarzuwerden, welche Erwartungen an ein solches Buch es überhaupt gibt. Vielleicht rechnet man damit, dass ich als Frau eines 106-Jährigen Geheimrezepte aufliste, wie möglichst viele von uns ein solches Alter erreichen können. Doch das werde ich nicht. Erstens, weil es keine Geheimrezepte gibt, und zweitens, weil es – das wird mir dann recht schnell klar – um etwas ganz anderes gehen soll: Ich will dem Alter den Schrecken nehmen !

Die Demographie prognostiziert unserer Gesellschaft einen raschen und deutlichen Anstieg der Zahl alter Menschen in den kommenden Jahrzehnten. Diese Prognosen mit grellen Farben und schrillen Tönen zu einem Horrorszenario aufzubauen, ist zu einer Art Lieblingsbeschäftigung vieler Journalisten und Politiker geworden und in deren Gefolge vieler » normaler « Menschen.

Zu diesen Schwarzmalern zähle ich mich nicht. Und ich gehe davon aus, dass – von wenigen Ausnahmen abgesehen – die Menschen das Leben lieben und sich über ein langes Leben genauso freuen wie ich. Ich meine jetzt nicht die 25-Jährigen, von denen die Gesellschaft ja sprühende Lebensfreude ohnehin geradezu erwartet. Nein, ich meine Menschen über 60, über 70, über 80 …

Mir begegnen solche lebensfrohen Frauen und Männer tagtäglich. Und einige von ihnen sollen in diesem Buch zu Wort kommen. Ich habe sie interviewt und sie ihre Geschichte erzählen lassen ; habe sie gefragt, wie sie den gesellschaftlichen Umgang mit alten Menschen sehen und wie sie ihn selbst erfahren. Und welchen Weg sie selbst eingeschlagen haben, um auch im Alter ein erfülltes Leben zu führen. Diese » Originaltöne « spiegeln nicht zuletzt auch die Vitalität der Befragten wider, ihre aktive Teilnahme am Leben.

Doch, das ist mein Thema !

Sichtweisen des Alters

Warum schreibe ich dieses Buch?

Ich möchte mit diesem Buch meiner und den nächsten Generationen vor allem die tiefsitzende Angst vor dem Alter nehmen. Alter muss nicht bedeuten: Demenz, Pflegeheim, Inkontinenz, Zucker und Einsamkeit.

Leider hören und lesen wir in den Medien meist nur von den schrecklichen Seiten des Alters. Man könnte meinen, der Begriff Alter bedeute Hässlichkeit, Behinderung und Krankheit.

Ich will mit diesem Buch auch keine Rechtfertigung liefern, warum mein Mann, Johannes Heesters, in solch hohem Alter noch arbeitet. Natürlich stoßen wir immer wieder auf enormen Widerstand – vor allem aus den Medien.

Aber ich lebe mit meinem Mann das Alter und denke, dass ich dadurch hautnah berichten kann und vielleicht auch einige Anstöße liefern kann. Dennoch wird dieses Buch beileibe kein Buch über Johannes Heesters.

In meiner Funktion als Botschafterin der »Initiative Altern in Würde« habe ich an einigen Diskussionen teilgenommen, bei denen ich immer wieder die Überlegung in den Raum geworfen habe, dass man den Verfall im Alter – körperlich wie auch geistig – verhindern beziehungsweise hinauszögern könne, wenn man im Alter aktiv bleibe. Meine Argumente trafen nicht immer auf Zustimmung. Doch nach den Diskussionen kamen nicht selten Professoren zu mir, drückten mir ihre Visitenkarte in die Hand und sagten: »Ich stimme Ihnen völlig zu. « Aber offiziell war diese Meinung wohl noch nicht zu vertreten, und selbst die Professoren wagten nicht, öffentlich dahinterzustehen.

Das Thema hat mich jedoch nicht losgelassen. Ich war damals auch in diversen, meist natürlich gut geführten Pflegeheimen. Die Bewohner wirkten zufrieden, dennoch habe ich mir immer wieder gedacht: Muss das so sein? Wird unsere Zukunft wirklich unweigerlich Pflegeheim sein? Gibt es nicht auch andere Möglichkeiten, bei denen das Leben nicht nur aus » Warten « besteht? Warten auf Essen, Warten auf Besuch, Warten auf gemeinsames fröhliches Singen, Warten auf den Tod.

Als ich 1998 mein erstes Fotobuch herausgebracht habe – Schönheit des Alters1 –, hatte ich schon versucht, nicht nur schöne Fotos eines alten Mannes zu zeigen, nein, es hatte auch die Aussage, man solle sich im Alter (damals war mein Mann 95 Jahre alt) die Neugier auf das Leben erhalten. Zitate meines Mannes aus dem Buch: »Natürlich denke ich über Krankheit und Tod nach, aber was eigentlich zählt, ist die Gegenwart.« – »Ich lebe heute. Was hinter mir liegt, ist vorbei. Ich arbeite.« – »Nachts an der Bar. Gespräche, Genuss und Glenfiddich. « – » Meine Bilanz ist auch im zehnten Jahrzehnt meines Lebens noch nicht fertig. Ich danke Gott, dass er mich bis jetzt richtig geführt hat. Ich sage: Das Leben ist schön. «

Schon damals passierte Folgendes:

Mein Mann und ich wurden zu der Talkshow von Biolek eingeladen. Ich schwärmte von den positiven Möglichkeiten im Alter, man müsse nicht im Ohrensessel sitzen, wenn man über 70, 80 oder älter ist, man könne weiterhin am Leben teilhaben. Nach meinen Ausführungen trat der Buchautor und Sozialpädagoge Claus Fussek in der Talkshow auf und, zum Thema Alter befragt, erzählte er von den grauenhaften, menschenunwürdigen Zuständen in Pflegeheimen. Von den Mängeln in der Organisation der Altenheime. Von Misshandlungen und Missständen.

All die positiven Aspekte des Alters, die ich zuvor vorgebracht hatte, waren vergessen. Ich will hier natürlich in keiner Weise die Arbeit von Herrn Fussek kritisieren: Es ist großartig, was er in Sachen Aufklärung über die Zustände in Pflegeheimen erreicht hat. Das musste und muss weiterhin in die Öffentlichkeit kommen, und wir sind alle dankbar dafür.

Dennoch hat mir diese Erfahrung gezeigt, dass auch die Redakteure der Biolek-Talkshow nicht den Mut hatten, das Thema Alter in der Öffentlichkeit positiv darzustellen und einmal so stehen zu lassen. Das schien ihnen vermutlich zu oberflächlich. Alter muss wohl in negativer Form thematisiert werden und wird deshalb in den Medien auch meist so behandelt.

Sicher werde ich mich mit meinen Thesen auf ein waghalsiges Terrain begeben, und man wird sagen: »Der Heesters, der hat ja Glück, der lebt bevorzugt. «

Gewiss hat man mit diesem Argument recht, aber mein Mann tut trotz großer Schwierigkeiten viel dafür, körperlich und geistig gesund zu bleiben und sich nicht gehenzulassen.

Wir alle werden älter werden als noch die Menschen vor 100 Jahren. Wenn wir uns unsere Alterszukunft nur als Horrorszenario ausmalen, werden wir krank, depressiv und unselbständig.

Nehmen wir einmal an, wir würden unsere Lebensspanne in vier Phasen einteilen: erstens die Jugend als Lern- und Vorbereitungszeit, zweitens die Arbeits- und Familiengründungszeit, drittens käme dann die Nachberufszeit, also die Renten- und Freizeit, und viertens die Hoch-Alter-Zeit.

Diese letzten beiden Phasen werden in unserer Gesellschaft bis heute viel zu wenig beachtet. Ja, man will sich damit nicht beschäftigen aus einer Angst heraus, dass das Alter nur Minderung, Einschränkung, Mangel bedeutet. Wir müssen umdenken, wir müssen eine neue Einstellung zum Alter entwickeln. Das Thema Alter sollte nicht mehr Widerwillen auslösen. Wir stoßen die Alten heute größtenteils aus unserer Gesellschaft aus. Wir wollen auch keine Alten in unserer Gesellschaft sehen. Wir wollen jung sein und jung aussehen.

Wenn ein Kind noch nicht laufen kann und »hinpurzelt«, finden wir das entzückend und süß. Wenn ein Alter nicht laufen kann und fällt, finden wir das erschreckend, traurig und auch abstoßend. (Natürlich ist es leider auch gefährlicher.) Am besten, man wendet den Blick ab, der Alte soll ja nicht beobachtet werden …

Aber die Tatsache, dass wir so unterschiedlich reagieren, sollte uns zum Nachdenken anregen.

Auch die dritte und die vierte Phase unseres Lebens haben Zukunft, wir müssen etwas daraus machen und an uns und unsere Kraft glauben.

1

Was zählt eigentlich?

Manche Wissenschaftler meinen, eines Tages könne ein Menschenleben unendlich lange dauern … Es wird nach dem Altersgen gesucht, an Fadenwürmern geforscht und an Taufliegen. Aber geht es wirklich nur um die Lebensdauer? Zählt allein die Zahl der Jahre? Ich meine, nein! Was wirklich zählt, ist die Qualität der Jahre.

Das Leben – ein Kreislauf?

Wie alt können wir Menschen eines Tages werden? Könnte es sogar sein, dass wir ewig leben?

In der Tierwelt gibt es so manche Gattung, die ein sehr hohes Alter erreichen kann. Denken wir beispielsweise an Papageien, die 60, 70 Jahre alt werden. Schildkröten können sogar bis zu 250, Grönlandwale 200 Jahre alt werden. Interessant ist auch, dass ein Stör ein Alter von über 150 Jahren erreichen kann. Und ein Hummer kann sich schätzungsweise 60 bis 100 Jahre seines Lebens erfreuen, falls er nicht vorher von uns verspeist wird.

Auf der Suche in allen möglichen Medien zum Thema » Alter « stoße ich auf eine hochinteressante Sendung im ZDF: abenteuer wissen2.

Darin wurde unter anderem von Forschern berichtet, die ein winzig kleines Tier entdeckt haben, welches in Sachen Alter einen absoluten Rekord erreicht. Es handelt sich um Mittelmeerquallen, Turritopsis nutricula, die anscheinend nicht sterben. Dieses Wunder wurde nur durch Zufall entdeckt.

In einem Labor in Italien war eine Schale mit Quallen in einem kalten Raum vergessen worden. Die Tiere konnten keine Nahrung zu sich nehmen und hätten eigentlich sterben müssen. Als die Forscher die vergessene Schale entdeckten, konnten sie es kaum glauben: Die Quallen waren nicht gestorben, sie hatten sich zurückgebildet zu Polypen, aus denen sie ursprünglich auch entstanden waren, einem Keimling der Qualle sozusagen.

Durch diese im Tierreich einzigartige Fähigkeit wird der biologische Tod umgangen, und Turritopsis nutricula erlangt Unsterblichkeit. Unter schwierigen, gefährlichen Lebensumständen zieht die Qualle quasi die Notbremse: Statt zu sterben, entwickelt sie sich zurück in einen embryonalen Zustand. In dem Augenblick, da sich die Lebensumstände wieder verbessern, bildet sich aus dem embryonalen Zustand wieder ein Polyp und schließlich eine Qualle heraus.

Der gleiche Prozess vollzieht sich auch, wenn die Quallen gealtert sind: Sie sterben nicht, sondern werden wieder jung, dann werden sie erneut alt und wieder jung. Auch nach erfolgter Fortpflanzung sterben Medusen, wie Quallen auch genannt werden, normalerweise ab. Nicht so Turritopsis nutricula. Sie wird wieder jung. Solch eine Fähigkeit zur dauernden Wiederholung des Lebenszyklus, zur beständigen Wiedergeburt, stellt im wahrsten Sinne des Wortes einen »Kreislauf des Lebens« dar und ist bis dato noch niemals beobachtet worden.

Was passiert beim Altern?

In der Fernsehsendung Odysso3 des Südwestrundfunks wurde in einem Bericht von Jan Kerkhoff sehr plastisch und einleuchtend erklärt, was in unseren kleinsten Körpereinheiten, unseren Zellen, abläuft. Im Folgenden will ich diesen Prozess, der auch dem Altern zugrunde liegt, möglichst verständlich beschreiben.

Wir altern also im Grunde, weil unsere Zellen Energie erzeugen. Dabei entsteht gleichzeitig auch aggressiver Abfall, der die Zellen in zerstörerischer Weise angreift.

»Das Molekül, die DNS, zersetzt sich erst mal von selber«, sagt Professor Thomas Carell von der Fakultät für Chemie und Pharmazie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. » So wie wenn man Plastik der Sonne aussetzt. Das sieht nach zwei bis drei Jahren auch nicht mehr hübsch aus. Es vergilbt genau wie Papier. Und das Gleiche passiert natürlich mit der DNS. Sie vergilbt und zersetzt sich mit der Zeit. «

Bedeutet das folglich, dass wir eigentlich abrupt altern müssten? Theoretisch ja, praktisch tun wir das bekanntlich nicht. Dass es manchmal sogar mehr als 100 Jahre dauert, liegt an den Reparaturenzymen. Sie reparieren ständig die Zellen und bessern defekte oder fehlende Stellen des Erbgutes wieder aus. Diese Enzyme sitzen an der DNS. Sie beheben Schäden an allen zehn Billiarden Zellen unseres Erbgutes. Ihnen haben wir es zu verdanken, dass wir nicht innerhalb kürzester Zeit, nämlich gleich nach unserer Geburt schon sterben.

Der Fadenwurm, die Taufliege und das Hungern

Seit Urzeiten beschäftigen sich die Menschen mit Unsterblichkeit und dem Wunsch nach ewiger Jugend.

Wir können in den Medien immer wieder Schlagzeilen lesen wie:

Altersgen gefunden (1996)

Altersgen entdeckt: werden wir alle 450? (1998)

Ein Wurm zeigt, wie man älter werden kann (2004)

Methusalem-Gen bei Würmern entdeckt (2007)

Super-alt heißt nicht super-pflegebedürftig (2008)

Wege in die Ewigkeit, eine Spurensuche – 100 Jahre,

na und? (2008)

Den Sensenmann überlisten (2009)

Alter(n) was ist das? Genetischer Jungbrunnen – das

Geheimnis der Hochbetagten (2009)

Thema: Steigende Lebenserwartung. Lauter Jopis (2009)

Anfang Februar 2009 wurde von Kieler Wissenschaftlern bestätigt, was eigentlich schon einige Zeit vorher entdeckt worden war, nämlich dass es ein sogenanntes Langlebigkeitsgen gibt.

Dieses Gen wurde bei Untersuchungen an Fadenwürmern, die den schönen Namen Caenorhabditis elegans (kurz C. elegans) tragen, entdeckt. C. elegans ist circa einen Millimeter groß, lebt im Humus, und sein Leben ist relativ kurz, von der Eizelle bis zum erwachsenen Wurm dauert es nur 52 Stunden. Schon in den 60er Jahren führte der Entwicklungsbiologe Sydney Brenner den Fadenwurm C. elegans als Beobachtungsobjekt für die Zellbiologie in die Wissenschaft ein. Brenner erhielt im Jahr 2002 den Nobelpreis für Medizin und Physiologie.

2007 konnten wir bereits die Meldung lesen, US-amerikanischen Forschern sei nun ein Durchbruch gelungen: Bei Versuchen mit Fadenwürmern sei ein Gen entdeckt worden, das die entscheidende Rolle bei der Verlängerung des Lebens spiele.

Schon in den 80er Jahren züchtete der US-amerikanische Forscher Michael Rose genetisch veränderte Taufliegen, die doppelt so lange lebten wie ihre Artgenossen. Er behauptete, dass es biologisch möglich sei, den Alterungsprozess unendlich zu verlängern.

Und der Forscher Roy Lee Walford hatte sich in den 90er Jahren mit drei Männern und vier Frauen für 731 Tage in ein künstliches Ökosystem – »Biosphäre II« – einsperren lassen, um – drastisch ausgedrückt – zu hungern. Das Experiment sollte zeigen, dass die Einschränkung der Nahrungsaufnahme zu einer Lebensverlängerung führt. Auf Walford und seinen extravaganten Selbstversuch komme ich später im Buch noch zu sprechen (siehe Seite 123 ff).

Bei Forschungen mit dem Fadenwurm C. elegans wurde im Salk-Institute in San Diego, Kalifornien, das Gen PHA-4 entdeckt, das eine, wenn nicht die entscheidende Rolle für die Lebensdauer spielt.

Der Biologe Hugo Aguilaniu erklärt dazu: »Es gibt zwei Hauptwege, um das Leben zu verlängern. «

Aktiviert man erstens das Gen PHA-4 in besonderer Weise, steigt die Lebenserwartung des Fadenwurms um 20 bis 30 Prozent. Zweitens stellte man bei einem weiteren Experiment fest, dass die Fadenwürmer am längsten lebten, die in Verbindung mit einer » Fastenkur « ein aktiviertes PHA-4-Gen besaßen. Außerdem konnte beobachtet werden, dass diese hungernden Tiere dynamischer waren.

» Wenn Sie einem Tier nur noch 70 Prozent seines normalen Futters geben «, sagt Aguilaniu, » lebt es 20 bis 30 Prozent länger.« Auf den Menschen übertragen, würde das eine Lebensverlängerung von 15 bis 20 Jahre bedeuten.

Wissenschaftler weisen darauf hin, dass es zwischen dem PHA-4-Gen des Fadenwurms und der Gruppe der sogenannten FOX-Gene bei Säugetieren gewisse Ähnlichkeiten gebe.

Dr. Ralf Baumeister, Professor für Bioinformatik und Molekulargenetik von der Universität Freiburg sagt: »Jede der 959 Körperzellen des Fadenwurms ist nach Lage und Herkunft bekannt«4, noch bedeutsamer für die Forschung aber sei, dass 60 bis 80 Prozent der Gene des Fadenwurms C. elegans mit den Genen der Menschen übereinstimmen und zwei Drittel der Gene von C. elegans auch im menschlichen Erbgut vorkommen würden. Oft hätten sie sogar die gleichen Aufgaben wie beim Menschen.

»Wenn wir das Wechselspiel der Zellen untereinander begreifen und untersuchen wollen, wie sich Veränderungen in Genen ausprägen, sind wir mit unseren Forschungen beim Fadenwurm wesentlich schneller am Ziel als beim Menschen «, erklärt Ralf Baumeister. Seine Forschergruppe an der Universität Freiburg nutzt die Experimente am Fadenwurm, um Krankheiten wie Morbus Parkinson oder Alzheimer zu erforschen. Mit Erfolg, wie er sagt: » Als wir das intakte menschliche Gen beim Wurm eingesetzt haben, funktionierte das Gedächtnis von C. elegans wieder normal. «

Der Genetiker stellt aber klar, dass sein Forschungsziel darin bestehe, die Lebensqualität im Alter zu verbessern. Es gehe ihm nicht darum, das Leben des Menschen zu verlängern.

Jungbrunnen im Fadenwurm

Professor Stefan Schreiber, Leiter des Instituts für Klinische Molekularbiologie an der Universität Kiel, berichtet nun von einer speziellen Variante des Gens FOXO 3A, welches in der Lage sein soll, die Lebenserwartung des Menschen positiv zu beeinflussen.

In einem Fernsehinterview mit Sandra Maischberger erklärte Professor Schreiber: »Wir alle besitzen das Langlebigkeitsgen. Es gibt aber bestimmte Bausteine dieses Gens, die bei dem einen Menschen besser funktionieren als bei dem anderen. «5

Dann erläuterte er den komplexen Prozess, der in unseren Zellen abläuft. Ich versuche, das einmal halbwegs allgemeinverständlich wiederzugeben, was mir hoffentlich schon aus dem Grund, dass ich keine Wissenschaftlerin bin, gelingen wird.

Das Gen FOXO 3A hat auch die Aufgabe, vor Oxidation zu schützen. Was ist Oxidation? Oxidation ist ein chemischer Vorgang, eine Vereinigung von Sauerstoffund anderen Elementen, eine Art Zersetzungsprozess. Oxidation entsteht beispielsweise, wenn Feuer brennt.

Man muss sich das so vorstellen, dass wir in jeder unserer Zellen ein Kleinstkraftwerk haben, in dem durch Oxidationsprozesse Energie erzeugt wird, in dem quasi » Feuer « brennt, und dadurch sind auch die Eiweiße und unter anderem die DNS der Zelle gefährdet. Es kann zu Schädigungen beispielsweise von Zellkernen und Zellmembranen führen. Das Gen FOXO 3A stellt ein Eiweiß her, das vor solchen Schäden einen Schutz erzeugen kann.

Der Schutz vor Oxidation durch solche Gene wie FOXO 3A spielt eine ganz wichtige Rolle, wenn es um die Verlängerung des Lebens geht. Allerdings besitzt nicht jeder Mensch diese bestimmte Variante des Gens. Aber wenn man diese Variante in sich trägt, funktioniert das Gen besser. Dann wird man mit einer höheren Wahrscheinlichkeit 100 Jahre alt.

Im weiteren Verlauf des Interviews berichtete Professor Schreiber von einer demographischen Studie in Rostock, die gezeigt hat, »dass die Lebenserwartung jenseits der 88- bis 90-Jährigen wieder steigt. Unsere Forschungen bei 100-Jährigen haben ergeben, sie leben nicht nur sehr lange, sie sind gesund gealtert, sie sind fit, sie haben sehr viel von ihrem Leben, und sie sind körperlich gut beisammen. Diese Menschen haben offensichtlich eine Biologie, die sich vom Rest der Menschen unterscheidet. «

Es könnte auch sein, dass »Alter nur entsteht durch das Fehlen von Krankheitsgenen«, doch für den Kieler Forscher ist das Gen FOXO 3A der Beweis: »Es gibt richtig schützende Mechanismen, die dafür sorgen, dass Zellen einfach stabiler altern und damit der ganze Organismus länger funktioniert. Lange wurde diskutiert, ob es überhaupt so etwas wie ›Altersgene‹ gibt. Dieses Gen ist der Beweis dafür, dass es tatsächlich Altersgene gibt. «

Die Projektleiterin des Kieler Teams, Almut Nebel, sagte:

»FOXO 3A entscheidet wohl nur über extreme Langlebigkeit von 100 Jahren und mehr.« Im übrigen werde das Erbgut oft überschätzt. Gene würden nur zu 30 Prozent Einfluss auf das Alter haben, auf die Lebensführung käme es an.

» In Zukunft werden die Menschen mindestens 1000 Jahre alt «

Warum werden wir Menschen heute immer älter?

Wir leben länger, weil wir länger gesund bleiben. Die Kindersterblichkeit und die Gefahr, an Infektionen zu sterben, sind erheblich zurückgegangen. Die Menschen achten mehr auf ihre Ernährung, auf Hygiene und ihre Gesundheit. Sport spielt natürlich auch eine wichtige Rolle.

Ob aber die provokanten Prophezeiungen des Wissenschaftlers Aubrey de Grey eintreten werden, ist zu bezweifeln. Der 1963 in London geborene Bio-Gerontologe kann sich vorstellen, dass die Menschen eines Tages 1000 Jahre alt werden.6

De Greys Auftreten ist charismatisch. Seine Markenzeichen sind eine bunte Mütze, die ihm seine Frau gestrickt hat, ein schlampiger Strickpulli, ein rotbrauner Zopf und ein roter Bart, der bis zur Brust hinabreicht. Die biologischen Grundlagen hat er in Gesprächen mit seiner 19 Jahre älteren Frau, einer Genetikprofessorin, gelernt.

Seine Thesen sind aufsehenerregend, fast könnte man sagen exzentrisch wie der Wissenschaftler selbst, und sie werden in aller Welt diskutiert. Unter Fachleuten sind sie natürlich umstritten, doch ignorieren will und kann man sie trotz alledem nicht. Eine ganze Reihe von Gerontologen hat Respekt vor ihm, und einige führende Wissenschaftler bestärken ihn sogar in seiner Arbeit. Stammzellenforscher, Altersforscher und weitere mit dem Thema befasste Wissenschaftler, sie alle kommen zu seinen Konferenzen nach Cambridge. An der renommierten Universität von Cambridge arbeitete er lange als Computerexperte am genetischen Institut. Dort begann auch sein Interesse an dem Thema Altersforschung. Seine technische Ausbildung verleiht dem brillanten Redner die entsprechende Kompetenz, und es fällt ihm leicht, seine Zuhörer zu fesseln.

Die Erneuerung des Körpers vergleicht de Grey mit der Wartung eines Autos: »Wer künftig immer topfit sein will, der schickt seinen Körper jedes Jahr in eine Werkstatt, Maschinen wie Autos oder Flugzeuge werden auch funktionstüchtig gehalten. Das ist genau das Gleiche mit unserem menschlichen Körper. Ablagerungen in den Blutgefäßen müssen entfernt werden – wie bei einem Ölwechsel. «

Auch zwischen alten Menschen und alten Häusern sieht er Parallelen. Wenn alte Häuser immer wieder teilsaniert werden, können sie gut mehrere 100 Jahre alt werden. Würde man diese Maßnahme auch bei Menschen anwenden, könnten auch sie mehrere 100 Jahre alt werden. De Greys Lösungsweg sieht folgendermaßen aus: Was für ein Haus Mörtel, Ziegel und Balken sind, sind für den Körper die Zellen. In den Zellen mutiert die DNS, so dass immer mehr Abfallprodukte des Stoffwechsels anfallen. Diese können – bis jetzt nur in der Theorie – aber wieder entfernt werden.

De Grey ist überzeugt, dass der medizinische Fortschritt dies eines Tages möglich machen wird: » Wenn wir Technologien erfinden, die diese Schäden reparieren, dann gibt es keine Grenzen mehr dafür, wie alt wir werden können. Es ist wie bei einem Auto: Wir können den Rost entfernen und das Auto am Laufen halten, so lange wie wir wollen. Wir haben jetzt schon 100-jährige Autos, die für etwa 15 Jahre konzipiert wurden. «

Seine Lösungsvorschläge klingen simpel. Wenn ich ihm zuhöre, läuft es mir kalt den Rücken hinunter: Menschen reparieren – wie Maschinen. Sein Sieben-Punkte-Plan soll so etwas sein wie ein »Königsweg zum nicht enden wollenden Leben «. Hier ein Auszug daraus: 7

  beispielsweise gegen den fortschreitenden Abbau der Zellen (Herzprobleme, Muskelschwund) – Stammzelltherapie, Spritzen von Wachstumsfaktoren zur Zellteilung zu geben

  gegen die Vermehrung unerwünschter Zellen (Gelenkprobleme, bei Diabetes oder Fettansammlung) – Spritzen zu geben, die die unerwünschten Zellen zum Selbstmord anregen

  bei Veränderungen des Erbguts (also beispielsweise Krebs) – körpereigene Stammzellen alle zehn Jahre zu ersetzen, Enzym zur Krebsentstehung auszuschalten

  bei Ablagerungen außerhalb der Zellen (bei Alzheimer, Ansammlungen von »Plaques«) – wiederum Impfungen durchzuführen, die das Immunsystem zur Plaquebeseitigung anregen.

Ohne diese Debatte hier führen zu wollen, möchte ich anmerken, dass die Stammzellforschung hierzulande auch noch eine ethische Dimension hat.

De Grey sagt: »Die Menschen sterben durch das Alter, ich will diese Leben retten. Wenn meine Arbeit das Alter auch nur ein Jahr zurückdrängen kann, habe ich 30 oder 35 Millionen Leben gerettet – das ist eine atemberaubende Zahl, und das motiviert mich. «8Die große Vision des Wissenschaftlers ist eine Welt, in der es den natürlichen Tod nicht mehr gibt. Aber woran würden die Menschen dann sterben? Mord, Selbstmord, Massenhinrichtungen?

Wenn ich versuche, mir eine solche Welt vorzustellen, offenbart sich für mich ein Horrorszenario. Nicht eines, in dem sich mehrere 100 Jahre alte Personen massenhaft nur noch mit Gehhilfen, Rollstühlen oder Phantasiegefährten, die man aus Science-Fiction-Filmen kennt, fortbewegen können. Das wäre gar nicht nötig, denn die wandelnden Ersatzteillager, die früher einmal Menschen genannt wurden, hätten keine Beschwerden. Sie gehen ja regelmäßig zur Inspektion, zum TÜV, werden generalüberholt …

Nein, was ich sehe, sind Verteilungskämpfe, Wasserknappheit, Hungersnöte, eine vollkommen ausgeweidete Natur, Massenunterkünfte, Kriege, Hass und soziale Katastrophen. Kurz: eine Überbevölkerung auf unserem Planeten, die überhaupt nicht mehr darstellbar ist – mit allen furchtbaren Folgen.

Doch de Grey sagt, das Problem der drohenden Überbevölkerung würde gelöst, wenn es akut werde. Denn jedes Problem könne gelöst werden, wenn es erst einmal erkannt sei.

Was will er mit den Menschen machen? Sie auf den Mond schießen?

Warum wollen wir eigentlich länger leben?

Ganz einerlei, ob wir unser langes Leben in Zukunft dem Fadenwurm verdanken oder der Taufliege, dem Besuch in einer »biologischen Reparaturwerkstatt« oder unserer Lebensweise, die zentrale Frage bleibt doch bislang unbeantwortet: Warum wollen wir länger leben? Was ist unsere Triebkraft?

»Geld – Macht – Sex«, sagt ein Freund lachend. Mich erinnert das an den Titel einer Fernsehserie »Geld – Macht – Liebe «.

»Mein Weltbild ist es nicht«, fährt der gebildete Freund fort, » aber es ist eine ganz banale Wahrheit: Geld, Macht und Sex sind die drei großen Triebkräfte der Menschheit. « Wobei die Triebkraft Sex nach einer gewissen Zeit an Bedeutung verliere.

Aber Macht und Geld – die » Herrschaft des Geldes «.

» Lies mal bei Rousseau nach «, lautet der freundschaftliche Rat, und das tue ich: Als es noch kein Geld gab, produzierten die Menschen so viel, wie benötigt wurde. Es wurde getauscht und jeder brachte das in die Gemeinschaft ein, was er gut konnte.

Unser Freund erklärt mir das so: »Als alle Menschen zusammengelebt haben und es noch kein Geld gab, hat der eine gebacken, der andere hat geschneidert, der dritte hat die Kuh gemolken, da gab es das Tauschgeschäft, da musste man handeln, ich gebe dir jetzt ein bisschen Getreide, dafür gibst du mir mehr Milch. Deswegen hat man nah miteinander gelebt. «

Es gab eine Gemeinschaft, eine »gesamte Menschheit«. Doch das Geld brachte Ungleichheit und Ungerechtigkeit in die Gemeinschaft. Das Tauschgeschäft wurde abgelöst von der Herrschaft des Geldes. Die Interaktionen der Menschen wurden getrennt.

Geld dissoziiert – Geld trennt, löst auf, entfremdet.

Nicht nur im übertragenen Sinn, sondern ganz praktisch.

Wer Geld hat, kann alles haben. Möbel, Haus, Urlaub, Kleider, Erfolg, Schönheit. Arbeiten, um Geld zu haben, um alles haben zu können.

Was für eine Triebkraft !

Das Leben – ein Lustgewinn. Lust ! Gewinn !

Der Lustgewinn ist die Triebkraft, warum man länger leben will.

Nun – …

Unsere Philosophie ist das nicht.

Mein Mann sagt: » Das Leben ist schön. «

Warum ist es schön? Weil er schöne Rollen spielen kann, weil er singen kann, weil er noch lernen kann, weil er die Wärme der Sonne empfindet, weil ich da bin, weil wir zusammen leben, weil wir etwas zusammen unternehmen können und weil er großartige Musik hört. Das ist sein Lustgewinn.

Was ist mein Lustgewinn?

Für meinen Mann da sein zu können, mit ihm zu leben, schöpferisch zu sein, zu malen, zu basteln, auch Neues zu lernen – aber sicher auch: einen Fotoapparat kaufen zu können, eine Bohrmaschine, einen PC, vielleicht auch ein neues Auto.

Trotzdem glaube ich nicht, dass Geld meine Triebkraft ist, leben zu wollen, vor allem » länger « leben zu wollen.

Geld, Macht, Liebe – Geld macht Liebe – Macht Geld Liebe?

Können das Glück und die Triebkraft des Lebens, der Sinn des Lebens tatsächlich nur im Besitz des Geldes liegen? Ist das nicht geradezu menschenunwürdig? Geld – Geld – Geld ! Was für eine schreckliche, kranke Gesellschaft das wäre.

Sprachhistorisch lässt sich das Wort Geld auf das althochdeutsche Gelt zurückführen. Wir streben danach, als jemand zu » gelten «, Macht zu haben. Geld ermöglicht Luxus und Ansehen: Geld ist ein Machtmittel.

Aber eben nicht nur. Geld sorgt auch dafür, dass wir überleben können. Man kann auch Gutes tun mit seinem Geld, indem man etwa kulturelle und soziale Projekte unterstützt und Menschen hilft.

Damit wäre ich wieder bei den höheren Werten des Lebens: Nächstenliebe, Mitgefühl und Liebe.

Denn das ist für mich der Sinn des Lebens: Liebe.

Liebe geben zu können und das möglichst lange.

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Die Schreckgespenster des Alters

Woher kommen die angst- und schreckenerregenden Vorstellungen über das Altern eigentlich? Was können wir aus der Geschichte über das Alter und den Umgang mit den Alten lernen?

Das entmenschlichte Alter

»Dass ein Mensch während der letzten 15 oder 20 Jahre seines Lebens nur noch Ausschuss ist, offenbart das Scheitern unserer Zivilisation. Dieser Sachverhalt würde uns die Kehle zusammenschnüren, wenn wir die Alten als Menschen, die ein Leben als Mensch hinter sich haben, ansähen, und nicht als wandernde Leichname«, schreibt Simone de Beauvoir in ihrem Buch Das Alter9.

Und sie fährt fort: »Jene, die unser verstümmeltes System anprangern, müssten diesen Skandal aufdecken. Nur wenn man seine Anstrengungen auf das Schicksal der am meisten Benachteiligten konzentriert, vermag man eine Gesellschaft zu erschüttern.« Simone de Beauvoir sieht klar voraus, dass die Forderung, Menschen müssten auch im Alter Menschen bleiben, eine radikale gesellschaftliche Umwälzung bedeuten würde. Alles müsse von Anfang an neu geregelt werden, denn das System sei Schuld an diesem »entmenschlichten Alter«. Und sie kommt zu dem Schuss: »Deshalb wird dieses Problem so beflissentlich mit Schweigen übergangen; deshalb ist es nötig, dieses Schweigen zu brechen: Ich bitte meine Leser, mir dabei zu helfen. «

Zum Überleben des einen gehört oft das Sterben des anderen

Als Simone de Beauvoirs Buch Das Alter 1970 in Frankreich erschien, schrieb das Nachrichtenmagazin L’Express: »Ein einzigartiges Dokument. Die Fähigkeit der Autorin zum Staunen ist mit einer immensen Detailkenntnis verbunden. Ein schockierendes Werk, das sich mit nichts vergleichen lässt. «

In meinem Bücherschrank steht es schon lange, gelesen habe ich es natürlich auch und nehme es immer wieder mal zur Hand. Und jedes Mal bin ich beeindruckt von de Beauvoirs umfassendem Wissen, von ihrer Kompromisslosigkeit, ihrer Leidenschaft.

Für mich ist ihr Buch ein Grundlagenwerk zu dem Thema, das nun auch mein Thema ist: Alter. Mit einer wahren Fülle an Beispielen führt Simone de Beauvoir ihre Leser zurück zu den Wurzeln der Menschheit, ins Tierreich, zu den Naturvölkern und durch alle Epochen der Geschichte bis in ihre Gegenwart, die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts. Dabei entlarvt sie den einen oder anderen Mythos, mit dem sich unsere Gesellschaft so bequem eingerichtet hat, als das, was er ist – ein Mythos. Ein paar Beispiele habe ich ausgewählt, die zum Teil erschreckend sind in ihrer Grausamkeit. Andere wieder ernüchtern uns, wenn wir Parallelen zur Gegenwart entdecken.

Betrachten wir zunächst, wie es sich in der Tierwelt verhält.

Bei den höher entwickelten Tierarten haben die alten Tiere größere Bedeutung, weil sie ihre Erfahrung an die Jüngeren weitergeben können. Sobald sie aber krank und schwach sind, werden sie aus der Gemeinschaft ausgeschlossen, siechen einsam dahin oder werden von Raubtieren aufgefressen.

Nur der Stärkere überlebt – » survival of the fittest «. Charles Darwin behauptete in seiner Evolutionslehre, dass nur die Fittesten überleben. Das sei der Grund für den ewigen Kampf ums Dasein.

Bei den Menschenaffen, den Tieren, die uns genetisch am nächsten sind, nimmt das männliche Tier die Rolle des Patriarchen ein und herrscht über Weib und Kinder. Wenn die jungen Affen stärker und erwachsener werden, beginnen sie, die Alten anzugreifen. Im Kampf mit den jungen kräftigen Konkurrenten ziehen die Alten irgendwann den Kürzeren, da sie ihre wichtigste Waffe, die Zähne, verloren haben. Meist werden die Alten getötet oder fliehen verletzt. Ihre Zukunft ist der Tod. Sie haben keine Kraft mehr, sich in der Wildnis zu verteidigen. Die jungen Sieger übernehmen nun die Herrschaft über die Gruppe.

Vergleichbares findet man bei manchen Naturvölkern. Man ließ die Alten sterben oder tötete sie, wenn sie nicht mehr arbeiten konnten. Sie waren nur nutzlose Esser und fielen zur Last.

Beim Stamm der Fang im Norden des Gabun in Zentralafrika setzte man die Witwen aus und ließ sie im Urwald hilflos zurück. Die Gebrechlichen und Altersschwachen wurden verachtet.

Bei den Korjaken im äußersten Osten Russlands wollten die Alten nicht weiterleben, denn die Wanderungen durch Sibirien während der harten Winter kosteten sie ihre letzten Kräfte. Man brachte die Alten und auch die unheilbar Kranken um. Die Tötung wurde als gemeinschaftliche Zeremonie abgehalten und gefeiert.

Südafrikanische Buschmenschen brachten ihre Alten zu Hütten abseits ihrer Dörfer, um sie dann mit wenig Wasser und Essen ihrem Schicksal zu überlassen.

Die Alten bei den arktischen Inuit (so nennen sich die Eskimos selbst) wurden in den Schnee gelegt oder in ein Iglu gesperrt, um dort zu sterben. Inuit nahmen sich häufig auch das Leben, wenn sie das Gefühl hatten, der Gemeinschaft zur Last zu fallen.

Auch bei anderen Naturvölkern wurden alte Menschen oft nur so lange von der Gruppe anerkannt, wie sie körperlich und geistig intakt waren. Sobald aber ihre Kräfte nachließen, sie nicht mehr von Nutzen waren, wurden sie in abgelegene Hütten gebracht, wo sie schließlich meist von Raubtieren verschlungen wurden.

Die Wissenschaftler auf dem Gebiet der Völkerkunde, die Ethnologen, sprechen immer wieder davon, dass es üblich gewesen sei, in dieser Art mit den Alten umzugehen. Das heißt, die Tier und Pflanzenwelt kümmert sich nur um die Aufzucht der Jungen und die Erhaltung der Jugend – die Fürsorge und Pflege des Alters sind hingegen nicht vorgesehen.

Andererseits wurden die Alten auch geachtet und verehrt, zum Teil gar vergöttert. Es ist eine Mischung aus Abscheu und zugleich Faszination vor dem alten Menschen, die sich durch alle Gesellschaften zieht. Der weise Alte flößt Respekt ein, auch weil er dem Tod nahe ist. Er ist Bindeglied zwischen Leben und Ableben. Dadurch berührt er Urängste des Menschen.

In vielen Gemeinschaften, ob in der Antike oder bei sogenannten Naturvölkern oder auch in entwickelten bäuerlichen Gesellschaften, wurde das Oberhaupt verehrt wie eine Gottheit. Nach dem Tod des Oberhaupts, so die Vorstellung, wechselt diese Gottheit in den Körper seines Nachfolgers, des nächsten Oberhaupts. Die Gottheit kann aber die Gemeinschaft nicht beschützen, wenn sie durch Alter, Krankheit oder Impotenz geschwächt wird. Deshalb musste das Oberhaupt bei noch voller Kraft und Gesundheit getötet werden, bevor der fortschreitende Alterungsprozess eingesetzt hatte. So hinterließ das Oberhaupt seinem Nachfolger seine starke Seele.

Von den alten Griechen erfahren wir nur durch mythische Erzählungen über ihre Einstellung zu den Alten. Der Dichter Homer, er lebte vermutlich gegen Ende des achten Jahrhunderts vor Christus, verbindet das Alter mit Weisheit. In einem seiner Hauptwerke, der Ilias, stellt er dem Oberbefehlshaber Agamemnon den alten, erfahrenen und weisen Ratgeber Nestor zur Seite. Der 80-Jährige schöpft aus der Weisheit seines Alters und gilt als »Wissensspeicher«. Niemand macht ihm seinen Platz in der Gemeinschaft streitig. Seine Gelassenheit macht ihn stark auch ohne Kriegsrüstung. Homer bezeichnet ihn als göttlich.

Ganz anders klingt das bei einem anderen griechischen Dichter, der etwa 600 vor Christus lebte: Mimnermos. Seine wichtigsten Gedichte waren eine Reihe Klagelieder über den Gegensatz von liebesfroher Jugend und leidvollem Alter. In einem heißt es: »Die Frucht der Jugend verfault nur allzu bald; sie dauert kaum so lang wie die Helligkeit des Tages. Und sobald dieser Punkt erreicht ist, wird das Leben schlimmer als der Tod. «

Mimnermos wünschte sich nicht, alt zu werden.