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Was brauchen wir, wenn wir nicht mehr gebraucht werden?
Wie absurd: Jahrelang tun wir alles dafür, dass unsere Kinder irgendwann allein klarkommen. Doch wenn es so weit ist, wird uns bang ums Herz. Während wir alle ersten Male ausgiebig feiern, erwischen uns die letzten Male oft kalt. Kindergeburtstag, gemeinsame Spiele, das große Kuscheln – was lange so wichtig war, wird jetzt lässig abgewunken. Schon mit 9 Jahren geht es los – von nun an lösen sich unsere Kinder Schritt für Schritt von uns, bis wir mit Beginn der Pubertät vor der verschlossenen Zimmertür stehen und froh sind, unsere Teenies wenigstens beim Abendessen zu sehen. Was fangen wir jetzt mit uns an? Get your own life, ruft uns Journalistin und Dreifachmutter Nathalie Klüver aufmunternd zu. Mut statt Wehmut, Chance statt Krise! Mit ihrem amüsanten, warmherzigen und mit klugen Ideen und Fakten gespickten Ratgeber zieht sie uns weg vom Kinderzimmer und zeigt uns die Räume, die von nun an wieder uns gehören. Wir werden immer noch gebraucht, nur anders. Das Großwerden unserer Kinder genießen und loslassen üben – mit diesem Buch gelingt das richtig gut!
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Seitenzahl: 184
Veröffentlichungsjahr: 2025
Jahrelang tun wir alles dafür, dass unsere Kinder irgendwann allein klarkommen. Doch was, wenn es tatsächlich so weit ist?
Während wir alle ersten Male ausgiebig feiern, erwischen uns die letzten Male oft kalt. Kindergeburtstag, gemeinsame Spiele, das große Kuscheln – was lange wichtig war, wird irgendwann nur noch lässig abgewunken. Spätestens mit Beginn der Pubertät stehen wir vor der verschlossenen Zimmertür und sind froh, unsere Kinder wenigstens beim Abendessen zu sehen.
Was brauchen wir, wenn wir nicht mehr gebraucht werden? Get your own life, ruft dieser Ratgeber uns aufmunternd zu. Warmherzig und voller Leichtigkeit sowie kluger Inspiration zieht er uns weg vom Kinderzimmer und zeigt uns all die Räume, die von nun an wieder uns gehören!
NATHALIEKLÜVER kennt die Veränderungen, die das Großwerden mit sich bringt, von ihren eigenen drei Kindern. Als freiberufliche Journalistin schreibt sie u. a. für Spiegel, Brigitte und die Süddeutsche Zeitung über Vereinbarkeit und Familie. Klüver ist Autorin erfolgreicher Bücher zu Familienthemen.
NATHALIE KLÜVER
Sag zum Abschied leise …
YiPPiE!
Was wir feiern können, wenn unsere Kinder langsam groß werden
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Copyright © 2025 Kösel-Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
(Vorstehende Angaben sind zugleich
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Umschlaggestaltung: zero-media.net, München
Umschlagmotiv: © FinePic®, München
Innenteilabbildung: © Elizaveta / stock.adobe.com
Redaktion: Dr. Katharina Theml, Büro Z, Wiesbaden
Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
ISBN978-3-641-32472-8V002
www.koesel.de
Für meine drei Kinder. Ihr seid die Coolsten!
Inhalt
1 Plötzlich sind sie groß
Wenn sich eine Tür schließt …
Schritt für Schritt in die Selbstständigkeit
Sie werden so schnell groß!
Das erste Loslassen geschieht schleichend
Perspektivenwechsel: Pubertät ist nichts Schlimmes
Worum es in diesem Buch geht
Der Trauer einen Platz geben
Neue Möglichkeiten entdecken
2 Erste Schritte vs. letzte Schritte
Woran wir merken, dass sich etwas verändert
Die Kunst, Abschiede auszuhalten
Checkliste: Daran merkst du, dass es losgeht
3 Die emotionale Achterbahnfahrt des Loslassens
Begleiten, nicht behüten
Mit den eigenen Sorgen umgehen lernen
An der Trauer wachsen
Verständnis schafft Nähe
Freunde werden wichtiger als Eltern
Das Elternhaus als Basislager
Das passiert im Teenagergehirn
4 Wenn mein Kind groß wird, werde ich alt
Wie peinlich sind coole Eltern?
Einmal noch dieses Gefühl haben: Die Zukunft liegt vor mir
Beginn der Wechseljahre und Pubertät der Kinder: Nur ein blöder Zufall?
Interview mit Psychologin Bettina Fromm: So fällst du nicht ins Empty Nest
5 Ich bin ja nicht nur »die Mama von«: Die eigenen Bedürfnisse wiederentdecken
Auf der Suche nach Anerkennung: Aufgehen in der Mutterrolle
Die eigenen Bedürfnisse wiederfinden
So entdecke ich meine eigenen Bedürfnisse
Je früher wir anfangen, uns um uns selbst zu kümmern, desto besser
Mütter mit eigenem Leben helfen Kindern beim Abnabeln
Die Pubertät unserer Kinder zwingt uns zur Auseinandersetzung mit uns selbst
6 Eine neue Art der Beziehung zu den Kindern aufbauen
In der Vorpubertät werden die Weichen gestellt
Gegenseitiger Respekt statt Machtgefälle
Sich an die eigene Jugend erinnern stimmt milde
Mit dem Rückzug der Kinder klarkommen
Fakten in Kürze: Die Vorpubertät
7 Und meine Kinder brauchen mich doch – nur anders
Es ist nur eine Phase – die letzte Phase der Kindheit
Bedingungslose Liebe heißt nicht, keine Grenzen zu setzen
Die Elternrolle bei Liebeskummer
Alarmzeichen, bei denen Eltern genau hinsehen sollten
8 Kommunikation auf Augenhöhe
Zeit, die Bevormundung abzuschaffen
Über schwierige Dinge reden
Vertrauen ist der Schlüssel
Kritik mit der Sandwichmethode verpacken
Aufräumen, für die Schule lernen und Co. – wie bringe ich mein Kind dazu?
Mit dem Kind ins Gespräch kommen
Interview mit Pädagogin Inke Hummel: Was mache ich, wenn mein Kind sich zurückzieht?
9 Neue Aufgaben und Chancen für mich
Sich selbst nicht aus den Augen verlieren
Netzwerken: So kommt man voran
Mit anderen ins Gespräch kommen
Zählt man mit über 40 zum alten Eisen auf dem Arbeitsmarkt?
Interview mit Businesscoach Antje Gardyan: So starten Frauen noch mal beruflich durch
10 Aus einem Paar werden Eltern, aus Eltern wird ein Paar
Kinder sind Risiko und Kitt für die Partnerschaft
Vorbeugen ist besser als heilen: auch in der Partnerschaft
Wertschätzender Umgang ist der Schlüssel
Interview mit Familienpsychologin Nina Grimm: So bleibt eure Partnerschaft intakt
11 Get your own life!
Unsere Kinder sind uns nicht zu Dank verpflichtet
Den Begriff Pubertät neu bewerten
Den Fokus auf die neuen Freiheiten setzen
Wir verlieren unsere Kinder nicht, wir gewinnen etwas Neues hinzu
Anhang
Literatur
Zeitschriften und Webseiten
Anmerkungen
1
Plötzlich sind sie groß
Der Moment, in dem du feststellst, dass dein Kind größer ist als du, ist merkwürdig. Da steht das Kind vor dir, das Kind, das eben gerade doch noch auf deiner Brust eingeschlafen ist, zusammengerollt mit diesen süßen Babyfüßchen. Und dieses Kind ist nicht nur plötzlich genauso groß wie du, sondern es überragt dich sogar. Ganz leicht musst du nun den Kopf in den Nacken legen, um ihm in die Augen zu gucken.
Okay, ich wusste, dass dieser Moment kommen würde. Bei meinen 1,59 Metern war das eher früher als später. Trotzdem ist das etwas, worauf man nicht vorbereitet ist. Dass das eigene Kind vor dir steht, dir die Hände auf die Schultern legt und mit einer gewissen Portion Spott in der Stimme sagt: »Oh Mann, Mama.« Das fällt eindeutig in die Kategorie: Das sagt einem vorher auch keiner!
Natürlich wachsen Kinder nicht über Nacht, auch wenn es einem immer so vorkommt, wenn plötzlich morgens die gerade erst vor einer Woche gekauften Turnschuhe nicht mehr passen. Ich hätte es doch kommen sehen können, es war doch klar, dass er über kurz oder lang größer als 1,60 Meter werden wird. Überhaupt, seine Turnschuhe, das waren die Vorboten. Schon mit zehn hatte er meine Schuhgröße überholt (ich habe Größe 36, auch hier kann ich nicht mit Größenrekorden aufwarten). Ehe ich mich versah, standen wir im Schuhladen auf einmal vor dem Erwachsenenregal, und er probierte Sneaker in Größe 42 an. Wie er damit so zwischen den Regalen umherstapfte und sich im Spiegel anschaute, erinnerte er mich an einen tapsigen Welpen, einen kleinen süßen Hund mit riesigen Pfoten. Natürlich wusste mein Verstand, dass Welpen groß werden und dann nicht mehr niedlich sind und dass so was immer schneller geht, als einem lieb ist. Aber dass es dann doch so plötzlich geschehen würde, dass er mir auf den Kopf spucken kann, das habe ich erfolgreich verdrängt. Noch nicht lange her, da hat er seinen Kopf an meine Brust gelegt, wenn ich ihn umarmt habe. Noch nicht lange, das sind mittlerweile fast drei Jahre, fällt mir ein. Mir fällt auf, dass sein Gesicht kantiger geworden ist. Das Kinn markanter, die Augenbrauen kräftiger, das Weiche, Kindliche ist verschwunden. Vor mir steht kein Kind mehr, es ist ein Jugendlicher. Mit seinen 14 Jahren offiziell ein Teenager.
Dieser Teenager hat nun offensichtlich die Nase voll von meinem Gestarre. Bevor ich seufzend »du warst doch gestern noch mein Baby« sagen kann (er kennt das schon und hat verständlicherweise keinen Bock darauf, sich zum tausendsten Mal mein Geseufze anzuhören), dreht er sich um, geht in sein Zimmer und schmeißt die Tür hinter sich zu. Ich stehe noch eine Weile still im Flur und starre diese Tür an.
Wenn sich eine Tür schließt …
Die sich schließende Tür ist das Symbol für die Pubertät schlechthin. Oder ist sie eher ein Symptom? Die Kinderzimmertür wurde schon lange vorher geschlossen, bevor mein Sohn Schuhgröße 42 hatte. Sollten früher alle Türen immer aufbleiben, damit Mama nicht außer Ruf- und Sichtweite war, mussten diese Türen von einem Tag auf den anderen geschlossen werden. Nicht einfach geschlossen, sondern zugeworfen, sodass sie möglichst laut ins Schloss knallten. Eine Tür, bei der man nicht hört, wie sie geschlossen wird, ist nicht wirklich zu, so die goldene Teenie-Regel.
Als bei uns zum Ende der Grundschulzeit das erste Mal eine Tür zugeknallt wurde, traf es mich völlig unvorbereitet. So was machen doch Teenies, irgendwann mit 14 oder so, aber so einen niedlichen kleinen Drittklässler, der beim Gang durch die Stadt gerne noch nach meiner Hand griff, den konnte ich nicht mit knallenden Türen, »doofe Mama« und »Nie darf ich was«-Rufen in Einklang bringen. Du verbietest etwas Simples wie »noch eine Tüte Gummibärchen öffnen«, bist mal konsequent – doch statt wie gewohnt ein bisschen zu schmollen und dann wieder zur Tagesordnung überzugehen, explodiert das Kind vor dir plötzlich, wirft dir Sachen an den Kopf, als hättest du ihm gerade ein Jahr Fernsehverbot verkündet, und stapft meckernd wie Rumpelstilzchen in sein Zimmer. Trotzphase reloaded, aber mit mehr Wucht und vor allem unvorhersehbarer. Außerdem, und das ist der blödeste Unterschied zur Trotzphase: Die Türen-Knallphase hält deutlich länger an. Und: Ein Zehnjähriger, Elfjähriger, Zwölfjähriger hat deutlich mehr Nachdruck als ein wütender Dreijähriger.
Wie oft stand ich in den letzten Wochen vor dieser verschlossenen Tür und legte die Hand auf die Klinke. Ließ sie wieder sinken und klopfte an. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich es gehasst habe, wenn meine Eltern ohne anzuklopfen in mein Zimmer stürmten, um mich nach so unwichtigen Dingen wie Hausaufgaben zu fragen oder mich aufzufordern, endlich beim Tischdecken zu helfen.
Da hat man jahrelang alles für sie gemacht, also fast alles. Rotz und Erbrochenes weggewischt. Windeln gewechselt, egal was es am Abend vorher zu essen gab. Sie stundenlang umhergetragen, weil sie anders nicht zu beruhigen waren. Wutanfälle vor der Supermarktkasse ertragen (oder auch nicht) und dann doch den Lolli gekauft. Wie viele Nächte ich mir um die Ohren geschlagen habe, um ein Kind mit Halsweh in den Schlaf zu wiegen, daran kann ich mich schon gar nicht mehr erinnern. Wie oft habe ich Aufträge sausen lassen, weil die Kita wegen Personalmangels früher schließen musste. Statt mir in Pressekonferenzen Notizen zu machen, saß ich im Morgenkreis der musikalischen Früherziehung und sang »Große Uhren machen Ding-Dong« samt Choreografie. Wie oft habe ich meinen Laptop zugeklappt und bin in den Kindergarten geeilt, weil eins der Kinder Nasenbluten, Läuse oder Ohrenschmerzen hatte.
Und dann schließen sie eines Nachmittags die Tür vor deiner Nase und schauen gar nicht mehr auf, wenn du ins Zimmer platzt, um sie zu fragen, ob nicht doch irgendetwas ist. »Was soll schon sein, Mama«, sagt mein Sohn dann üblicherweise und tippt weiter auf seinem Handy herum. »Alles okay bei dir?«, ich bleibe im Türrahmen stehen. »Hä? Ja klar, wieso?« Er schaut mich irritiert an. »Ach, nur so, weil du so mit der Tür geknallt hast.« Er zuckt mit den Schultern, normal halt, was soll schon sein, scheint er damit sagen zu wollen.
Sie haben ja recht! Was soll denn auch sein? Sie sitzen halt im Zimmer rum, chatten mit ihren Freunden, zocken, lesen oder machen manchmal auch die Hausaufgaben. Was man halt so macht als junger Mensch. Sie machen es allein. Ohne mich. Und ihnen geht es prächtig dabei. Eigentlich doch super. Was soll also diese Wehmut?
Schritt für Schritt in die Selbstständigkeit
Wann hat das eigentlich angefangen? Im Grunde genommen besteht die gesamte Kindheit nur aus Loslassen. Das Auf-die-Welt-Kommen beginnt mit einem Abnabeln im wörtlichen Sinne. Dann sind sie klein und süß und manchmal nervig und anstrengend. Sie machen die ersten tapsigen Schritte, dann wollen sie nicht mehr gestillt werden, dann nicht mehr im Buggy sitzen, und dann flitzen sie auf dem Fahrrad vor einem davon. Ehe man bis drei zählt, kommt die Grundschulphase, in der sie einige Zeit überraschend unkompliziert sind, vieles schon selbstständig können, aber einen auch noch brauchen, zum Kuscheln kommen, sich ins Bett bringen lassen, beim Spazierengehen noch gern an unserer Hand bleiben. Verweile doch, möchte man diesen Momenten zurufen, und dann sind sie auch schon wieder vorbei.
Plötzlich kommt der Tag, an dem sie sich zwar zur Party bringen lassen – aber nur, weil zu der Uhrzeit kein Bus mehr fährt. Du sollst vor dem Haus kurz anhalten, sie rauslassen und dann unter allen Umständen schnell weiterfahren. Sie melden sich, wenn sie abgeholt werden wollen, sie kommen dann runter. »Wehe, du klingelst nachher, Mama, schreib ’ne Nachricht, wenn du unten stehst!« Dabei hätte ich doch zu gerne an der Tür geklingelt, um zu sehen, wer mir da eigentlich aufmacht.
Bei so einer Party ist es dann auch passiert. Die erste Übernachtungsparty. Irgendwann zwischen diesen Nachrichten, die um Mitternacht, zwei, fünf und sieben Uhr bei mir eintrafen, wurde mein Sohn endgültig groß.
»Mama, ich glaube, du musst mich abholen.«
»Ich kann nicht schlafen.«
»Hab schon drei Flaschen Cola getrunken.«
»Einfach mal eine Nacht durchmachen.«
Ich widerstand dem mütterlichen Drang, mich mitten in der Nacht aufs Rad zu schwingen und mein Kind vom Zelten abzuholen, schickte aufmunternde GIFs, die ich ziemlich lustig fand – und er ziemlich peinlich, wie ich Tage später erfuhr. Da sagte er auch, dass die Nachrichten natürlich nur als Scherz gemeint waren. Nun ja. Ich hielt tapfer durch, schaffte es überraschend gut zu schlafen, und als ich ihn am Folgetag abholte, platzte ich vor Stolz und Neugier. Doch statt mir zu erzählen, wie es war (Wie viele Mädchen waren da?! Was habt ihr gemacht? Was habt ihr gegessen? Habt ihr die drei Flaschen Cola zusammen geleert oder jeder eine?!), rollte er sich nach dem Abholen in seinem Bett zusammen und schlief. Den ganzen Tag.
Jedes Mal, wenn ich in sein Zimmer schaute, hob er müde den Kopf und brummte etwas, das sich meist nach »will noch schlafen« oder »lass mich« anhörte. Nein, er wollte keinen Kuchen, nein, auch keinen Kakao, und nein, er hatte auch keine Probleme, und nein, er war ganz bestimmt nicht traurig, und nein, er hatte mir nichts zu erzählen, und ja, ja, ja, er wisse, dass er mir alles erzählen könnte, und ach, Mama, ich bin einfach nur müde, lass mich jetzt schlafen, ey, ich habe literally die ganze Nacht nicht geschlafen, Alter, ey.
Als er sich halb schlafwandelnd an den Abendbrottisch gesellte, immer noch wortkarg, in seinem Essen herumstocherte und ich immer noch nicht wusste, was sie genau auf dieser Party gemacht hatten, fragte ich mich, in akuter Erinnerung an die Katertage meiner Jugend, ob die Flaschen tatsächlich nur Cola enthalten hatten. War wohl wirklich nur Cola, wie ich später erfuhr.
Der erste Cola-Rausch also. Überhaupt, der erste Geburtstag, der sich wirklich als Party bezeichnen ließ und nicht als Ausflug in den Trampolinpark oder Schnitzeljagd durch den Wald. Die Einladung kam per WhatsApp – direkt an meinen Sohn. Die Zeit der selbst gebastelten Einladungskarten war damit wohl auch vorbei. Und irgendwann kommt dann der Tag, an dem sie einen gar nicht mehr brauchen, am liebsten gar nicht sehen wollen bei ihrer Party, wie das dann heißt. Wer will mit zwölf schon von einem Kindergeburtstag sprechen?! Beim zwölften Geburtstag meines Sohnes räumten die Jungs artig ihr Geschirr in den Geschirrspüler und verschwanden ins Kinderzimmer, der entspannteste Kindergeburtstag, den ich je erlebt hatte, the times, they are a-changin’, schneller als mir lieb war. Nicht mal mehr aufräumen musste ich, planen schon mal gar nicht. Wenn man mir das vor einigen Jahren gesagt hätte, ich hätte es nicht geglaubt!
Als ich meinen Sohn am Montag nach dem Cola-Rausch zur Schule schickte und ihm hinterhersah, mit seinem Rucksack, den schlaksigen Beinen in der weiten Jeans, war es, als ob er an diesem Wochenende nicht nur zwei Tage älter geworden wäre, sondern gleich ein ganzes Jahr.
Sie werden so schnell groß!
»Sie werden so schnell groß!«: Ich weiß nicht, wie oft ich diesen Spruch gehört habe, seit ich Kinder habe. Er kam stets daher mit dieser gewissen Wehmut in der Stimme, aus der die geballte Sehnsucht nach Babyspeck, Haarflaum, kleinen, tapsigen Schritten in dicken Windelpopo-Strumpfhosen sprach. Jaja, redet mal, habe ich so oft gedacht. Müde gelächelt, wenn ich mal wieder kaum Schlaf abbekommen hatte und mir eigentlich nur wünschte, dass die Kinder schnell groß werden, dass diese durchwachten Nächte, diese Wutanfälle am Tag, diese ewig langen Nachmittage mit Baby und Kleinkind, die sich kaugummigleich zogen, weniger wurden. Die haben gut reden, dachte ich mir, wenn ich einen ganzen Tag lang zwischen »Mama« hier und »Mama« da nicht dazukam, meinen Kaffee zumindest in einem lauwarmen Zustand zu trinken. »Genießen Sie es, diese Zeit kommt nie wieder«, dieser Ratschlag kam mir oft vor wie der blanke Hohn. Es genießen, nachts im Zweistundentakt geweckt zu werden? Schönen Dank auch, toller Tipp.
Silke Plagge, Autorin und Mutter zweier Kinder (16 und 18):
Ich vermisse schon manchmal das Kuscheln, Spieleabende, gemeinsame Aktivitäten. Es gibt sie noch, aber eben anders. Nicht mehr in den Alltag und auch in Entscheidungen einbezogen zu werden, ist ein nicht einfacher Lernprozess.
Doch dann sitzt du da und stellst fest: Sie werden wirklich so schnell groß. Eigentlich noch viel schneller, als all die Sprüche suggeriert haben. Auf einmal will das Kind am Wochenende lieber mit seinen Freunden in den Freizeitpark als mit dir. Da sitzt du da und denkst daran, wie schön es doch war, das letzte Mal in der Achterbahn, wo sich dein Kind so vertrauensvoll an deinen Arm geschmiegt hat. Wird das überhaupt noch einmal wieder passieren, so ein gemeinsamer Freizeitpark-Besuch? Welcher Teenie möchte das schon, mit seiner kreischenden Mutter durch einen Looping düsen?
Den ganzen Nervkram mit den vollen Windeln vergisst man ja schnell, das hat die Natur gnädigerweise so eingerichtet. Die Erinnerung an ein schlafendes Baby an der Brust, an all die Oxytocinschübe, die so wohlig den Körper durchfluten – die ist da, die kommt unweigerlich, wenn ich an die Babyzeit zurückdenke. Wie oft ich es verflucht hatte, dass meine Kinder als Baby am liebsten auf mir drauf schliefen und sofort aufwachten, wenn ich sie ablegen wollte, daran muss ich mich sehr bewusst erinnern, diese Erinnerungen habe ich erfolgreich verdrängt.
Nun sitze ich am Küchentisch, trinke meinen zu heißen Kaffee und vermisse mein Kind. Mein Kind, das ein Stockwerk über mir in seinem Zimmer sitzt, was auch immer es da macht. Ich rühre im Milchschaum und starre aus dem Fenster. Die Schule war wie immer, konnte ich seinem Brummen beim Mittagessen entnehmen, Hausaufgaben gab es keine, jedenfalls keine, von denen er wusste, und ihm ging es auch gut, wieso denn auch nicht, ganz normaler Tag halt, Mama, was gibt es denn da schon zu erzählen. Ich atme tief durch. Ich weiß ja, dass er mir schon was erzählt, wenn es etwas zu erzählen gibt. Meistens ist das abends, wenn er eigentlich schlafen soll und ich mich an sein Bett setze, um ihm eine gute Nacht zu wünschen. Wenn er dann da liegt, die Klamotten vom Tag quer auf dem Boden verstreut, dann sieht er wieder so klein aus.
Aber das Wissen, dass er schon zu mir kommt, wenn es etwas zu erzählen gibt, ändert nichts daran, dass ich ihn vermisse, genau jetzt, wo ich eigentlich genau das mache, wovon ich in so vielen dieser Mama-Stressmomente geträumt habe: Ich trinke einen Kaffee, ganz in Ruhe, noch warm, ohne Geschrei um mich herum, ohne Forderungen an mich, und ein freier Nachmittag liegt vor mir. Ich könnte jetzt in Ruhe arbeiten, den Geschirrspüler ausräumen, joggen gehen, lesen oder mit der Freundin von nebenan auf der Gartenbank sitzen. Könnte ich. Stattdessen klopfe ich erneut an die Tür meines Teenagers und frage, ob er mit mir Schach spielen möchte. »Mama, gerade nicht«, sagt er sehr höflich, aber bestimmt.
Ist das nicht völlig paradox: Da wartet man jahrelang auf diesen Moment, an dem all die Freiheiten wieder da sind, und wenn diese Freiheiten dann vor einem liegen, fragt man seinen Sohn, ob er nicht eine Runde Schach spielen möchte?
Das erste Loslassen geschieht schleichend
Ich mache mir noch einen Kaffee, und während er durchläuft, überlege ich, wann das mit dem Abnabeln eigentlich angefangen hat. Es sind nicht nur die knallenden Türen, die sich schon vor den Teeniejahren ins Familienleben einschleichen. Das Ablösen setzt früher ein. Wenn sie nicht mehr einfach anziehen, was du ihnen kaufst, und schon gar nicht die abgelegten Klamotten vom großen Bruder. Wenn sie dir die neuen Funktionen auf dem Handy erklären, und das in einer Geschwindigkeit, in der du dir das alles gar nicht merken kannst. Wenn sie die Bücher, die du ihnen aus der Bücherei mitbringst, mit spitzen Fingern in die Ecke legen. Wenn sie dir vor anderen keinen Kuss mehr zur Begrüßung geben und du auf gar keinen Fall, auf gar keinen Fall, hörst du, Mama, zärtlich ihre Haare verwuscheln darfst. Zum einen, um die Frisur nicht zu zerstrubbeln, aber vor allem, weil das peinlich ist. Von der Schule abholen geht gar nicht, und wehe, du wagst es, dichter als einen Meter neben ihnen zu stehen!
Vielleicht war auch der Tag, als meine Jungs das Klo hinter sich abschlossen, der Tag, an dem das Ablösen begann. Seitdem wird nicht nur der Schlüssel umgedreht, sie kommen auch erst nach Stunden wieder raus. Ein Rätsel, was sie dort eigentlich treiben. Überhaupt, diese Klosessions. Ich kann euch sagen: Spätestens nach dem zehnten Geburtstag sollte man ein zweites Klo in die Wohnung einbauen. Oder, wenn man mehr als ein Kind hat, gleich noch ein drittes Örtchen. Mag teuer sein und aufwendig, und Platz ist auch nicht vorhanden, aber glaubt mir, es lohnt sich, der dadurch verhinderte Streit ist jeden Euro wert.
Eines Tages, da schmeißen sie dich aus dem Bad raus, wenn sie duschen wollen. Und verlassen fluchtartig das Bad, wenn du Anstalten machst, dich fürs Duschen auszuziehen. Am Strand winden sie sich akrobatisch unterm umgebundenen Handtuch, um die Badehose zu wechseln. Die Zeit, in der ich den Körper meiner Kinder kannte, ist vorüber. Zumindest bei den beiden Großen, aber wer weiß, wann meine Tochter im Schwimmbad nicht mehr mit mir in eine Umkleidekabine kommt? Bei Mädchen soll das ja bekanntlich alles noch früher losgehen.
All diese Dinge fangen plötzlich an, aber es sind alles Anzeichen dafür: Die Pubertät geht los.