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Beschreibung

Von Göttern, Dämonen und Menschen ist hier die Rede, vom Krieg und vom Alltag und von der List und vom Fluch. Sagen der Dschagga vom Fuße des Kilimandscharo stehen im Mittelpunkt des Bandes. Sagen der Ewe, der Haussa, der Bantus, Laos u. a. bilden die Ergänzung, den Querschnitt durch die afrikanische Sagenliteratur. Sitten, Riten und Gebräuche aus Jahrhunderte alten Traditionen, die sich zum Teil noch bis heute erhalten haben, Totemismus und religiöse Wertvorstellungen, aber auch der Alltag in Stammesfehden und Familienleben, das Verhältnis zur Natur und die Jagd, aber auch das erste Eindringen der Weißen werden in diesen ursprünglichen Volkserzählungen lebendig. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Seitenzahl: 199

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Sagen aus Afrika

Herausgegeben von Berndt Schulz

FISCHER Digital

Mit Illustrationen

Inhalt

Gott gab uns die [...]VorwortSagen verschiedener VölkerWie der Tod in die Welt kam (Zulusage)Die verlassenen Kinder Gottes (Merinasage)Die Braut des Häuptlings (Kaffernsage)Der Wind (Khoisansage)Der Häuptling der Tiere (Kaffernsage)Tiere und Menschen (Suahelisage)Drei Worte (Suahelisage)Warum es gut ist, daß die Menschen sterben (Luosage)Die Sage vom Chamäleon (Haussasage)Warum der Mensch stirbt (Akansage)Die Ziege, der Löwe und die Schlange (Bantusage)Warum der Hase flieht (Haussasage)Warum der Feldhase keinen Schwanz hat (Namasage)Kimyera (Wanyorosage)Der Gesang des Kindes (Naosage)Der Häuptling und der Vogel (Naosage)Der Löwe und die Schildkröte (Naosage)Die Klugheit des Hasen (Naosage)Warum Löwe und Leopard vor der Hyäne fliehen (Naosage)Hase und Affe (Wolossensage)Vom Vogel, der Milch gab (Kaffernsage)Masewe (Naosage)Der Greif (Naosage)Der Krug und das Wasser (Haussasage)Tausendfüßler und Elefant (Haussasage)Der Ursprung des Todes (Kioquesage)Sagen der DschaggaSange und sein KindIch war ein Mensch wie duDie HeilschneckeDas Lied der KuhKiljangusaiDer erleichterte LeopardDer BrautschakalMenschenlist siegt über Elefant und RabenDer ElefantDer Gierige straft sich selbstDas Schiff der WatsombaDer wandelnde DornbuschTenuDer Trank aus dem KnieDer Retter KuhkalbDer weibliche RimuDie Frau des RimuDer klingende Stein in der NangaschluchtDie BananenstaudeDer WahrträumerDie Pforten der UnterweltDas Geschenk der GeisterDer GeisterreigenDer FluchEiner löst sich vom SterbefluchDer Kampf mit dem TeichWandernde GeisterDie Hilfreiche und die HilfarmeDer Fluch der SchwesterDas KeuchhustengespenstDer Baum der FinsternisDie Leute an der AbendseiteWie die Berge entstandenDer schartige MawentsiKibo, hilf mir!Die lange NachtDer Mawentsi donnertDie armen WandoroboDas HäuptlingsopferDie Leute aus dem HimmelMrule, der FremdeDer GlockenboteDer durchtrennte RegenbogenWie die Menschen das Feuer fandenDas AmazonenheerDer große und der kleine KihuoWie der Kürbis, so die KalebasseBehalte die Rinder, gib mir AckererdeMakiloDrei Häuptlinge und ihr dreifaches EndeDer VereinigerEmpfangt des Häuptlings GefäßeEin SippenschicksalSagen der EweWie der Waran seinen Namen erhieltGott und die SpinneEin reicher Mann und 400 FrauenKofi, der BöseLeopard und SperlingHund, Ziege, Leopard und FuchsAuge, Ohr, Mund, Hand und Fuß

Gott gab uns die kleinen Augen, damit wir weit sehen können. Wenn der Augenstern so groß wäre wie der Boden eines Fasses und auch das Weiße als Rand rundherum, so könnte ein Mann, der in Kamerun steht, bis nach Deutschland sehen. Er sähe das Haus des Kaisers und alles, was darin ist. Er sähe auch alle anderen Länder und alles, was darin ist.

Vorwort

Die Phantasie und die Mythen eines Landes sind Früchte der jeweiligen geschichtlichen Entwicklung. Wie wird die Natur angeschaut, und wie ist die Sicht der sozialen Formen des Zusammenlebens? Davon sprechen letzten Endes alle literarischen Zeugnisse. Und wenn wir die Frühgeschichte eines Volkes verstehen wollen, sind wir da auf die mündlichen Berichte angewiesen, wo die überlieferten schriftlichen Zeugnisse sich im Dunkel der Vergangenheit verlieren. Geschichte verschwimmt im Gesagten: und wo dies Form bekommt, bildet sich die Sage, sie gibt von Mund zu Mund davon Kunde, was einst geschah. Sagen sind nur dort möglich, wo noch keine literarische Produktion im engeren Sinn eingetreten ist; sie erheben Anspruch, alles mitzuteilen, was Menschen unmittelbar wissen wollen.

Wie ist es um die erzählende Volksliteratur bestellt, wenn ihr Boden, die Naturbeherrschung, sich weiterentwickelt hat? Sind die Göttervögel noch möglich im Zeitalter der Düsen-Jets? Wo bleibt der afrikanische Werwolf nach der Erfahrung menschenfressender Kolonialkriege? Werden die Dschagga den Kibo noch für den Sitz der Götter halten, wenn sie dem europäischen Bergsteiger das Gepäck hinaufgeschleppt haben?

Das Verhältnis zur Natur und damit zur Mythologie hat sich auch im afrikanischen Erdteil gewandelt. Gesellschaftliche Entwicklungen, die die alten mythologischen Beziehungen zur Natur verändern, bringen eine andere Form, andere Qualitäten historischer Erinnerung hervor.

Warum aber haben wir an den Sagenstoffen noch heute das Lesevergnügen, das sie vor dem Vergessenwerden bewahrt?

Es genügt eben nicht nur, zu verstehen, daß die gesellschaftliche Entwicklung ganz bestimmte Formen der musischen Überlieferung hervorbringt. In der Volksliteratur erkennen wir auch eine Heimat wieder, die wir unwiderruflich verlassen haben. Wir? Damit ist die menschliche Gattung überhaupt gemeint, die die Kinderschuhe ihrer Frühphasen hinter sich gelassen hat. Der Reiz der Sage liegt für den gebildeten Leser einer höheren Kulturstufe in ihrem Wiedererkennungswert; die Kindheit des Menschen ist in ihrer unschuldigen Naivität, in ihrer Aufbruchstimmung zu besichtigen.

In vielen Sagen afrikanischer Stämme kehrt die Vorstellung wieder, es gäbe eine geheimnisvolle Beziehung zu nichtmenschlichen, tierischen Wesen; wir bezeichnen dies mit dem Begriff Totemismus. Bei den Hererovölkern herrscht die Meinung, Menschen und Rinder seien gemeinsamer Abstammung. Das Rind ist ein heiliges Tier und wird hoch verehrt. Bei anderen Völkern, wie den Masai (auch: Massai), gilt die Hyäne als heilig. Die Verstorbenen werden in den Busch geworfen und von den Hyänen gefressen; so werden diese Tiere quasi zu ›Mausoleen‹ der Ahnen. Auch bei den ostafrikanischen Dschagga-Stämmen ist dieser Brauch noch in Erinnerung. Die Sage »Drei Häuptlinge und ihr dreifaches Ende« gibt eine Ahnung davon.

Sagen der Dschagga nehmen in meiner Auswahl einen breiten Raum ein. Dieses heute etwa 350000 Menschen zählende Volk besitzt eine traditionell hoch entwickelte Kultur. Die Dschagga siedeln am Kilimandscharo in Tansania, dem höchsten afrikanischen Gebirge, dessen westlicher Gipfel, der Kibo, 6000 Meter aufragt. Viele Sagen beziehen sich auf diesen Göttersitz, den geheimnisvollen Gipfel im Eis, und seine Nachbarn Mawentsi (5350 Meter) und – weiter westlich – den Meruberg (4567 Meter), mit der Stadt Aruscha zu seinen Füßen. Moschi, die Landschaft vieler Dschagga-Sagen, ist heute wichtige Bahnstation und größte Stadt der Kilimandscharo-Provinz.

Am 20. Dezember 1890 erhielt die Deutsche Regierung Hoheitsrechte über die Länder Tanganjika, Sansibar und Ruanda-Urundi und damit über die Dschagga-Bevölkerung. 1919 wurden die Hoheitsrechte an Großbritannien abgegeben. Die hohe Kulturstufe der Dschagga, die sich in 400 Jahren nationaler Geschichte aus Resten verschiedener Völker zusammengesetzt haben, ist nur zu geringen Teilen rückführbar auf diese Erfahrung kolonialer Auseinandersetzung. Für die Strukturen und Formen sprachlicher Überlieferung bedeutet diese Zeit eher einen unseligen Verfall.

Zum einen haben sich christliche Missionare in jahrzehntelanger und gewiß verdienter Sammlerarbeit der Stoffe bemächtigt. Der in vielen älteren Dschagga-Übersetzungen vorhandene Tonfall lutherischer Bibelsprache, als Vortäuschung eines den mitteleuropäischen Kulturvölkern angeglichenen Sprachvermögens, will die »barbarischen« Elemente den Normen eines legitimierten Literaturgeschmacks anpassen. Zum anderen haben weltliche Sammler im Dienst der Kolonialämter im gleichen Geist gearbeitet.

Es gibt also eine Form des Raubes nationaler Kulturwerte, die viel schleichender ist, als der offizielle Abtransport von Skulpturen und Kultgegenständen. Ich habe mich bemüht, eine akzeptable Mitte zu finden, zwischen den eigentümlichen Ausdrucksformen der schwarzen Völker und einer modernen Leseleichtigkeit.

Neben den eher äußerlichen Zeugnissen deutscher oder europäischer Einflußnahme, wie in der vorangestellten Bantu-Sage »Die Augen« oder der Dschagga-Sage »Wie der Kürbis, so die Kalebasse«, liegt eine Angleichung bis in thematische Strukturen vor.

Das führt bis zu der Behauptung, die Mitte des vorigen Jahrhunderts kursierte, man habe bei den Masai in Ostafrika Sagen gefunden, die mit dem biblischen Schöpfungsbericht bis in Einzelheiten übereinstimmten. Andere Sammler wollen bei den Suaheli-Völkern eine fast textgetreue Siegfried-Sage entdeckt haben. In der vorliegenden Sammlung kann sich der Leser davon überzeugen, wie z.B. der deutsche Reineke Fuchs in den Gestalten des Kaninchens oder der Schildkröte auftritt. An unseren Wettlauf von Hase und Igel erinnert »Der Löwe und die Schildkröte«, eine Sage des Naovolkes im Süden Tansanias.

Inwieweit sich solche Ähnlichkeiten tatsächlich aus zufälliger Übereinstimmung der Kulturen ergeben, soll hier nicht erörtert werden, zumal ja die weltweite Verwandtschaft der Volksliteraturen ein dem Liebhaber von Sagen und Märchen bekanntes Phänomen ist. Ein Beispiel für Ähnlichkeiten, auf der Basis unvergleichbarer Eigenarten, sind die Dschagga-Sagen mit dem »Rimu« oder »Irimu«, der unserem Werwolf entspricht. »Rimu« ist die alte Bezeichnung für Leopard und meint einen Menschen, der sich nachts in einen Leoparden verwandelt und mit Vorliebe Menschen frißt. Wahrscheinlich sind diese Sagen Erinnerungen an Sippen, die den Leoparden als Totem besaßen und ihre Vereinigung mit ihm durch Menschenopfer feierten. Diese Sagen mit einem vergleichbaren Motiv (Werwolf) präsentieren sich dennoch in so unverwechselbarer Eigenart erzählerischer und struktureller Elemente, daß Ähnlichkeiten anderer Stoffe wohl eher Einflüsse kulturimperialistischer Art waren.

Der zweite größere Block Sagen in diesem Band stammt von den Ewe-Stämmen in Togo, dem »Schutzgebiet« des Deutschen Reiches zwischen 1884–1919. Die Ewe, größter der 30 Stämme Togos, bilden heute 21 Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes; sie sind auch im Südosten Ghanas und im Süden Dahomeys ansässig. In diesen Ländern ist das Ewe gleichzeitig Verkehrs- und Schriftsprache.

Tiersagen erfreuen sich bei den Ewe großer Beliebtheit. Die Spinne nimmt dabei eine wichtige Rolle ein, weil sie Klugheit mit erfinderischer List verbindet und ohne Skrupel die geeignetsten Mittel einsetzt. Selbst Gott sucht ihre Freundschaft (»Gott und die Spinne«).

Der Hund zeigt sich knechtisch unterwürfig gegenüber dem Mächtigen und herrisch dem Schwächeren gegenüber. Der Hase nimmt immer seinen eigenen Vorteil wahr und verteidigt ihn klug. Der Fuchs ist listig und verschlagen. Die Hyäne vertritt den Typus der Brutalität, und der Leopard verkörpert die Gewalt des Mächtigen, ist jedoch bezeichnenderweise nicht sehr intelligent.

Die Sagen gerade der Ewe leben eigentlich erst vom Vortrag; man muß sich die lebhafte Redeweise mündlicher Erzählung mit ihren Ausschmückungen und den musikalischen Tonfall der Ewe-Sprache vorstellen, um den Reiz dieser Sagen ganz zu genießen.

Die Erzähler beginnen mit der Aufforderung: »Hört die Sage!« Worauf die anwesenden Zuhörer antworten: »Sie soll kommen.« Ist die Erzählung beendet, fügt der Erzähler oft hinzu: »Bevor ich zu euch kam, betrog mich ein altes Weib, so betrog ich euch auch.« Auf diese verschmitzte Floskel antworten die Zuhörer: »Ja, dein Mund ist im Erzählen sehr geschickt.« Der Erzähler erwidert: »Eure Ohren im Zuhören ebenfalls.« Manchmal endet der Erzähler auch: »Die Leute haben es mir so berichtet, und auch ich wollte euch damit unterhalten.« Darauf die Zuhörer: »Du warst wirklich im Innern der Sage.« Erzähler: »So ist es.«

Schließlich noch einige Hinweise zu den übrigen Einzelsagen. Im Gegensatz zu einem weitverbreiteten Mißverständnis sind weder die Suaheli noch die Bantu eigentliche Volksstämme, sondern Sprachfamilien. Beide Sprachen sind über den ganzen Kontinent verbreitet, Suaheli (auch: Kisuaheli) z.B. an der Ostküste als Amtssprache. Suaheli wird heute von ca. 30 Millionen Afrikanern gesprochen, Bantu von ca. 90 Millionen südlich der Sahara. Die Dschagga sind ebenso ein Bantu sprechender Stamm wie zahlreiche andere südafrikanischen Völker wie die Kaffern, Herero, Zulu, Xhosa usw.

Die Hausa (auch: Haussa) sind sowohl ein in Niger und Nigeria ansässiger Stamm, als auch eine an der Westküste verbreitete Sprache.

Die Khoisan-Sage »Der Wind« wird von Buschmännern in Südwestafrika erzählt, die noch auf dem Stand der Wildbeuterkultur leben. Die Merina-Sage stammt aus Madagaskar, die Luo-Sage aus Kenia, ebenso die Wanyoro-Sage. Die Akan-Sage kommt von der Goldküste, die Nama-Sage aus der Namaqua-Provinz im Westen Südafrikas, die Nao-Sagen aus Tansania und Mozambique.

Das in der Nao-Sage »Die Klugheit des Hasen« auftretende Ichneumon ist eine afrikanische Schleichkatzenart, die bei anderen Völkern als Erdmännchen bekannt und z.B. in Indien unter dem Namen Mungo als Schlangentöter sehr geschätzt wird. Im alten Ägypten wurde das Ichneumon als heiliges Tier verehrt.

Insgesamt erhebt meine Auswahl keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie soll auch kein objektiver Querschnitt sein, durch welche kulturhistorische Auswahlprozedur auch immer[1]. Was sie anstrebt, ist allein das Vergnügen, das der Leser bei der Lektüre dieser Sagen empfinden möge.

Berndt Schulz

Wie der Tod in die Welt kam

Die Erde, der Mond, die Sterne und die Sonne sind immer gewesen; aber der Tod war nicht immer in der Welt.

Vor langen, langen Jahren kamen zu den Menschen zwei Boten, die ihnen der große Geist[2] geschickt hatte, dem Himmel und Erde gehören.

Es waren das Chamäleon und der Salamander.

Der große Geist hatte zu dem Chamäleon gesagt: »Gehe hin und sage den Bewohnern der Erde, sie sollen glücklich sein und ewig leben.«

Dem Salamander aber hatte er befohlen: »Eile zu den Menschen und sage ihnen, daß sie sterben müssen.«

Da machten sich diese Boten des Glücks und des Unglücks auf den Weg, um dem Befehl des großen Geistes zu gehorchen.

Ohne nach rechts oder links zu blicken, eilte der Salamander dahin, und als er zu den Menschen kam, sagte er: »Warum seid ihr so sorglos? Wißt ihr nicht, daß ihr sterben müßt?«

Da erschraken die Menschen sehr; denn nun lernten sie die Sorge und den Tod kennen.

Das Chamäleon aber war von seinem Weg abgekommen, hatte hier eine Fliege und dort ein Insekt gefangen, und als es sich seines Auftrages erinnerte, war es spät geworden. Als es zu den Hütten der Menschen kam, fand es dort schon den Salamander vor und mit ihm die Sorge und den Tod.

Die verlorenen Kinder Gottes

Der Erschaffer der Welt, der Geist, von dem alles Leben ausgeht, hatte zwei Söhne. Diese stiegen auf die Erde nieder und nahmen zwei Pflegerinnen mit sich. Diese beiden Frauen hießen Rakoriaho und Ravao. Die Söhne Gottes aber waren eines Tages verschwunden, und Rakoriaho und Ravao gingen aus, um sie zu suchen; aber auch diese beiden kamen nicht wieder. Da machten sich alle Wesen und Dinge auf der Erde auf die Wanderschaft, um die Verlorenen wiederzufinden. Die Steine, die Bäume, die Menschen, das Wasser – alles, was lebte und nicht lebte, suchte. Aber es half nichts; die Vermißten kamen nicht zurück. Endlich fragten die Menschen bei Gott an, ob er nicht sagen könne, wo man zu suchen habe.

Als Gott die Bitte der Menschen hörte, sprach er: »Jeder Mensch, jeder Stein, jedes Tier, jeder Baum und das Wasser sollen aufhören zu suchen und bleiben, wo sie gerade sind.«

Es waren aber manche Steine auf ihrer Wanderung tief in das Erdinnere eingedrungen. Als nun das Wort Gottes, nicht weiter zu suchen, sie erreichte, blieben sie an Ort und Stelle liegen und liegen noch dort. Auch Tiere befanden sich tief in der Erde und mußten von nun an dort wohnen bleiben, so der Maulwurf, die Schlange und alles Gewürm.

Auch die Bäume hatten sich teilweise in dem Erdboden verborgen; deshalb sind bis auf den heutigen Tag ihre Wurzeln darin versteckt. Andere, die bereits tiefer gewandert waren, blieben dort liegen. Man findet sie an manchen Stellen tief unter der Erdoberfläche. Die Menschen waren suchend weit über die Erde gezogen und hatten sich nach allen Richtungen hin zerstreut. Daher kommt es, daß es überall, in allen Ländern Menschen gibt.

Das Wasser wurde angeklagt, daß es schuld daran sei, daß die Söhne Gottes und ihre Wärterinnen verloren waren. Deshalb sprach Gott zu dem Wasser: »Weder bei Tag noch bei Nacht sollst du Ruhe finden, bis Rakoriaho und Ravao gefunden sind.«

Seitdem rauschen die Wasser unaufhörlich auf und nieder, ohne jemals zur Ruhe kommen zu können, und immer noch suchen sie nach den Kindern Gottes und ihren Wärterinnen.

Die Braut des Häuptlings

Ein Mann hatte zwei Töchter, die alt genug waren, um sich zu verheiraten. Eines Tages ging der Mann in ein anderes Dorf, in dem ein mächtiger Häuptling lebte.

Als er dort bei seinen Freunden war, fragten sie ihn nach Neuigkeiten von seinem Kraal. Doch er wußte ihnen nichts zu erzählen, sondern wollte von ihnen wissen, was es in ihrem Stamme Neues gäbe.

Da erzählte man ihm, daß der Häuptling eine Frau suche.

Der Mann ging heim und sprach zu seinen Töchtern: »Welche von euch möchte einen Häuptling heiraten?«

Die Älteste antwortete: »Ich, mein Vater.«

Der Mann sprach: »Ich komme aus einem Dorf, in dem der Häuptling ein Weib sucht; du, meine Tochter, sollst zu ihm gehen.«

Dann rief er eine Anzahl von Leuten, die mit seiner Tochter ziehen sollten; sie aber sagte: »Ich will allein gehen.«

Da sprach ihr Vater: »Wie kannst du, meine Tochter, solch unverständige Worte sagen? Ist es denn nicht unsere Sitte, daß ein Mädchen, wenn es zum Manne kommt, von Freunden dorthin begleitet wird? Sei nicht töricht, mein Kind!«

Das Mädchen aber sprach: »Ich will allein gehen.« Da ließ ihr Vater sie gewähren.

Auf dem Weg zum Kraal des Häuptlings traf sie eine Maus. Die sprach: »Soll ich dir den Weg weisen?«

Das Mädchen entgegnete: »Geh mir aus den Augen.«

Da sagte die Maus: »Wenn du so unfreundlich bist, wirst du deine Wünsche nicht erfüllt sehen.«

Am Abend hörte sie das Sausen eines mächtigen Windes. Dies zeigte ihr die Heimkehr des Häuptlings an. Er war aber eine große Schlange mit fünf Köpfen und blitzenden Augen.[3] Das Mädchen erschrak sehr, als sie ihn sah. Die Schlange ringelte sich vor die Tür der Hütte und befahl dem Mädchen, Essen zu bringen. Der Name des Häuptlings war Makanda Mahlanu (Fünfköpfiger).

Als das Mädchen die Speise brachte, die es bereitet hatte, wurde Makanda Mahlanu sehr böse und sprach: »Du sollst nicht mein Weib sein!« Dann schlug er sie mit dem Schwanz, und sie starb.

Später sagte die Schwester des getöteten Mädchens zu ihrem Vater: »Ich will auch das Weib eines Häuptlings werden.«

Der Vater entgegnete: »Es ist billig, meine Tochter, daß du das wünschst.«

Er berief seine Freunde, und sie alle begleiteten das Mädchen, das Mpunzanyana hieß, auf dem Weg zu Makanda Mahlanu.

Auf dem Wege trafen sie eine Maus. Die sprach: »Soll ich euch den Weg weisen?«

Mpunzanyana erwiderte: »Bitte, tue es.«

Und die Maus tat es. Der Weg führte durch ein Tal. Dort sah Mpunzanyana ein altes Weib bei einem Baume stehen, das sprach: »Du wirst zu einem Pfad kommen, der sich in zwei Wege teilt. Wähle den kleineren; denn der größere würde dir kein Glück bringen.«

Das Mädchen dankte und schritt weiter.

Da kam ein Kaninchen des Weges gelaufen. Das sprach: »Ihr seid dem Dorf des Häuptlings nahe.«

Dann wandte es sich zu Mpunzanyana: »Du wirst ein Mädchen sehen, das schöpft Wasser aus dem Fluß. Sprich freundlich mit ihr. Man wird dir Kafferkorn und Mais zum Mahlen geben; mache deine Arbeit gut. Wenn dein Gatte zu dir kommt, fürchte dich nicht.«

»Danke dir, Kaninchen«, sagte Mpunzanyana, »ich werde deinem Rat folgen.«

Am Fluß traf sie des Häuptlings Schwester; die fragte: »Wohin wanderst du?«

»Ich bin am Ziel meiner Reise.«

»Warum kommst du hierher?« fragte das Mädchen weiter.

»Ich komme mit meinem Hochzeitsgeleite.«

Da sagte die Schwester des Häuptlings: »Das ist recht. Aber wirst du dich nicht erschrecken, wenn du deinen Gatten siehst?«

»O nein!« sagte Mpunzanyana fröhlich.

Da wies das Mädchen ihr die Hütte, in der sie wohnen sollte.

Man gab Speise und Trank an die Begleiter.

Die Mutter des Häuptlings trat zu Mpunzanyana und sagte: »Bereite ein Mahl für deinen Gatten. Er wird bald hier sein.«

Sie tat, wie ihr geheißen war. Am Abend erhob sich ein starker Wind, der die Hütte erzittern machte, so daß einige Pfähle, die sie stützten, niederfielen. Aber Mpunzanyana fürchtete sich nicht. Da kam Makanda Mahlanu herein und forderte Speise. Mpunzanyana nahm das Brot, das sie gebacken hatte, und gab es ihm. Er aß, und da es ihm mundete, sprach er: »Du sollst mein Weib sein.«

Dann gab er ihr schönen Perlenschmuck, und sie freute sich darüber.

Später glitt Makanda Mahlanu aus der Schlangenhaut heraus und war ein großer, stattlicher Mann. Mpunzanyana blieb von seinen Frauen diejenige, die er stets am meisten liebte.

Der Wind

In früheren Zeiten war der Wind ein Mensch, und er ging umher und schoß die Tiere des Feldes. Da wurde er plötzlich in einen Vogel verwandelt. Als er nun nicht mehr auf Jagd gehen konnte, breitete er seine Flügel aus und flog in die Berge und verbarg sich in einer Kluft.

Diese Kluft wurde seine Heimat. Nur wenn er die Kraft seiner Schwingen üben will, dann verläßt er die Berge und fliegt weit über die Erde; aber die Menschen sehen nicht, daß er ein Vogel ist.

Wenn er fliegt, dann läßt er seine Blicke weithin schweifen und sucht sich Nahrung. Sobald er seinen Hunger gestillt hat, kehrt er zurück in seine Kluft, und dort schläft er, bis er gestärkt wieder erwacht und von neuem seinen Flug über die Erde beginnt.

Der Häuptling der Tiere

Eine Frau ging einst von ihrem Hause und ihren Kindern fort, um Holz zu sammeln. Sie beauftragte den Hasen, in ihrer Abwesenheit nach dem Rechten zu sehen, und er versprach, es zu tun. Kaum war die Frau fort, als wilde Tiere zu ihrer Wohnung schlichen und den Hasen nach den Namen der Kinder fragten, die er bewachen sollte.

Der Hase gab erschrocken Bescheid und bat unter Tränen, daß die Tiere fortgehen sollten, ohne ihm oder den Kindern ein Leid zu tun. Da gingen sie denn auch fort. Aber nach wenigen Minuten kehrte zu des Hasen nicht geringem Schrecken das größte und fürchterlichste der Tiere zurück, nannte sich einen Häuptling und fraß die Kinder alle auf, weil es fürchtete, man würde seine Würde nicht anerkennen, wenn er dem Flehen eines Hasen Gehör schenkte.

Als die Frau nach Hause kam und der Hase ihr erzählte, was vorgefallen war, wurde sie erst sehr traurig, dann aber über alle Maßen zornig. Sie nahm zwei Eisenstücke, wetzte sie, bis sie ganz scharf und spitz wurden und ging in den Wald, um Holz zu schneiden und ein großes Feuer zu machen; das sollte die Tiere des Waldes vertilgen.

Aber dabei überfiel sie der Häuptling der Tiere. Er fraß sie. Da sie nun im Inneren des Ungeheuers war, fand sie dort alle ihre Kinder unversehrt vor. Sie waren sehr hungrig und baten ihre Mutter, ihnen etwas zu essen zu geben. Die Frau nahm die spitzen Eisenstücke und schnitt von den Eingeweiden des Tieres, in dem sie mit ihren Kindern steckte, Stücke ab. Dann rieb sie Holz gegeneinander; denn auch dies hatte das Ungeheuer mit verschluckt. Es gab Funken, und schließlich entstand ein großes Feuer, auf dem sie das Fleisch röstete.

Der Häuptling der Tiere aber bekam große Schmerzen, brüllte laut und warf sich im Sand hin und her. Er befragte alle Tiere, was er zur Linderung seiner Pein tun könne, aber keins konnte ihm einen guten Rat geben. Schließlich starb er unter großen Qualen. Die Mutter aber mit ihren Kindern arbeitete im Innern des toten Körpers immer weiter, bis sie ein großes Loch geschnitten hatten, aus dem sie alle nacheinander hinaus kamen. Es waren in dem Leib des Ungeheuers auch andere Tiere gewesen, die verschluckt worden waren. Sie alle wurden befreit.

Ein Ochse kam heraus und rief: »Muh, muh! Wer hat mir geholfen?«

Dann ein Hund, der bellte: »Wau, wau! Wer hat mich errettet?«

Zuletzt ein Affe: »Hi, hi«, lachte er. »Wer half mir?«

Da kamen Menschen und Vieh überein, daß die Frau, die sie so wunderbar gerettet hatte, ihr Häuptling sein sollte.

Tiere und Menschen

Ein Mann fing für sich und die Seinen die Tiere des Waldes und Feldes in Fallen, damit sie Fleisch zu essen hatten. Er war sehr geschickt im Erfinden neuer Fallen, deshalb konnte er täglich Fleisch essen. Denn sobald er eine Falle gestellt hatte, fing sich ein Tier darin.

Eines Tages, als er wieder hinging, um zu sehen, was sich in seiner Falle gefangen hatte, fand er einen Affen darin. Er wollte ihn töten; aber der Affe sprach: »Schone mich, du Kind des Menschen; laß mir das Leben. Rette du mich vor dem Regen, so kann ich dich vielleicht vor der Sonne erretten.«