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Beschreibung

Götter, gute und böse Geister und fürchterliche Fabelwesen treiben ihr Unwesen in diesen japanischen Sagen. Sie erzählen von der Entstehung der Welt, vom Unbegreiflichen in Natur und Alltag, vor allem von der Geschichte und der Tradition Japans. Hier jagt Ookuninuschi seine achtzig Brüder in die Unterwelt, der Nachkomme der Sonnengöttin wird zum ersten Kaiser Japans, und Konfuzius bannt den bösen Brückengeist in einer steinernen Säule; blutige Schlachten werden geschlagen, religiöse Riten vollführt, und das Harakiri tapferer Helden ist fast selbstverständlich. Durch diese ursprünglichen Volkserzählungen erfährt der Leser viel aus dem alten Japan und bekommt einen Eindruck von der tiefen Religiosität im Buddhismus und Schintoismus, wie von dem ausgeprägten Geschichtsbewußtsein der Japaner. Auch der mühselige Alltag wird geschildert, an dem jedoch mit größter Selbstverständlichkeit die zahllosen Geister und Götter helfend oder störend teilnehmen. Diese Sagen sind so phantastisch wie unterhaltsam, und sie werden für den europäischen Leser zum farbenprächtigen Spiegel einer fremdartigen, faszinierenden Kultur. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Seitenzahl: 233

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Sagen aus Japan

Herausgegeben von Berndt Schulz

FISCHER Digital

Inhalt

VorwortGespenstersagenDie Füchse im MoorDie VampirkatzeDer TanukiDie Rache des AffenDie SchlangeDer bekehrte GeizhalsDer SchiffsgeistDer Oni und die FlüchtlingeDie ErlengespensterEin Mann kommt aus der FelswandAufs Haar genauAntschin und KiohimeGerechter SchwertschlagIns Meer mit dem WechselbalgDas Gespenst von SakuraMagische PuppenEine Feuerprobe wird angeordnetYasumasaEin Pferd unter MattenDie gespenstische FüchsinVon der Warze und den gespenstischen KoboldenGöttersagenIsanagi und IsanamiUkemotschiAmaterasu und SosanooSosanoo und InadaOokuninuschiNach der großen BeratungBruderzwistGlückselige InselnTanabata und InkaiDer ErdbebenfischDie sieben GlücksgötterHerbst und FrühlingEine Insel wird lebendigGeschichtliche SagenWie Japan von Chinesen besiedelt wurdeDie Tonfiguren auf den GrabhügelnDie Aufzeichnung der alten Geschichte JapansDie Belagerung von OgakiJimmu Tenno, erster Kaiser JapansLegendenJikakuDie Bannung des BrückengeistesDas EinhornDie riesigen TempelwächterDie geköpften Bildsäulen BuddhasDomeiAugen oder SpiegelHeldensagenYamatodakeKoremotschiDas UntierRaiko und WatanabeYoschinagaLokalsagenDer WunderkesselDer Fujiyama und der Biwa-SeeDas Mädchen von UnnaiDas Federkleid von MiwoDie Gespenster von Umu auf der Insel SadoLuwenDenksteine pflichtgetreuer SöhneWorterklärungenAuswahlbibliographie

Vorwort

Anfang des 5. Jahrhunderts übernahm Japan das chinesische Alphabet, das – vor allem für die unterprivilegierten Schichten – so schwer zu erlernen ist, daß die Chinesen bis in die Zeit der kommunistischen Umstrukturierung ein Volk mit äußerst starkem Analphabetismus geblieben sind.

Daß unter solchen Bedingungen die mündliche Überlieferung besonders wichtig ist, leuchtet ein. So auch in Japan, wo erst durch Einführung des allgemeinen Schulbesuchs in der Zeit der »Aufgeklärten Regierung« (Meji-Zeit 1868–1912) der Analphabetismus erfolgreich bekämpft werden konnte. Die Verbindung: Analphabetismus – mündliche Überlieferung – Reichtum an Volksliteratur scheint nahezuliegen, wenn auch keineswegs im Sinne einer kausalen Zwangsläufigkeit oder Ausschließlichkeit. Es bleibt aber festzuhalten, daß Ende der Zwanziger Jahre in Japan die Tradition des Märchenerzählens so stark zurückging, daß man damals von »der letzten Möglichkeit« sprach, originale Erzählungen sammeln zu können.

Heute sind die 115 Millionen Japaner so schrift- und literaturbegeistert wie kaum eine Kulturnation der Welt. Während jedoch z.B. jährlich mehr als hundert deutsche Bücher ins Japanische übertragen werden, sind japanische Autoren (wie beispielsweise Ryunosuke Akutagawa, Yukio Mishima oder Kenzaburo Oe), und damit im starkem Maß die japanische Lebenswirklichkeit jenseits von Produktionsziffern und Marktprodukten bei uns weitgehend unbekannt. Bestenfalls aus Filmen großer japanischer Filmschaffender wie Akiro Kurosawa (»Rashomon«, »Das Schloß im Spinnwebwald«), Kenijo Mizoguchi (»Sansho Dayu«), Kaneto Shindo (»Onibaba«), Kon Ichikawa (»Nobi«) oder Nagisa Oshima (»Im Reich der Sinne«) beziehen wir segmentierte Einblicke in das Denken und Verhalten dieses Volkes und seiner Mythen.

Diesen Mangel will die vorliegende Ausgabe ein wenig abbauen, denn da die Alltagswirklichkeit Japans heute noch vom Traditionsbewußtsein bestimmt ist, gewinnt gerade eine Sammlung von Volkserzählungen, die so sehr durchdrungen sind von Geschichte, Mythologie, Phantasie, Alltag und Arbeit, ihre Berechtigung.

Das älteste Geschichtswerk Japans, das Konjiki (auch: Kondschiki, Kojiki), erster schriftlich fixierter Göttermythos, im Jahre 712 von dem berühmten kataribe (Volkserzähler) Hieda no Are abgeschlossen, bildete im Land der aufgehenden Sonne den Anfang des Sammelns von Stoffen nationaler Literatur. In der Sage »Die Aufzeichnung der alten Geschichte Japans« ist die Entstehungsgeschichte dieses Werkes beschrieben, dessen Erzählungen heute noch im japanischen Volk lebendig sind (»Isanagi und Isanami«, »Amaterasu und Sosanoo«, usw.).

In die Zeit zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert (Tokugawa-Zeit, 1603–1868) fällt, ähnlich wie in Deutschland, die Blütezeit der japanischen Volkserzählung. Billige Volksbücher, reichhaltig illustriert, boten Kindern und Erwachsenen den Lesestoff, der ihrer lebendigen Alltagsphantasie am ehesten Nahrung und Wiedererkennungsmaterial lieferte. Eine bedeutende Sammlung dieser Art stellt das Enseki-zasski (1811) von Kyokutei Bakin dar, das in Japan als eine Fundgrube für Volkskundler und Leseratten gilt. Zwei weitere Namen sollen hier genannt sein, die mit der Erforschung von Volksliteratur aufs Engste verknüpft sind: Yanagita Kunio, gewissermaßen der Begründer der japanischen Volkskunde, und Seki Keigo; beide haben umfangreiche Sammlungen veröffentlicht.

Unbekümmerter als etwa in Deutschland benutzt man in Japan einen einzigen zentralen Begriff, nämlich: »Erzählungen aus alter Zeit«, mukashibanashi, für alle Formen, die die Volkserzählung bietet. Die fachspezifisch sicher gerechtfertigte Unterscheidung der einzelnen Gattungen wird als zweitrangig angesehen; im Vordergrund des Interesses steht die Originalität der Erzählungen, ihre Gemeinsamkeiten werden betont.

Eine aus bestimmten Grundmustern abgeleitete Typologie kann dennoch eigentümliche Unterschiede der hier vorliegenden Erzähltexte festhalten:

In den Göttersagen zeigt sich eine Welt, die vor unserer Zeit war.

Erzählanfänge wie: »Damals …, im Urbeginn der Zeit, die im Grunde noch nicht Zeit genannt werden kann …« (»Isanagi und Isanami«), sind dafür typisch. Man kann sie als Entstehungs- oder Erklärungssagen bezeichnen, sie versuchen die Entstehungsvoraussetzungen des gegenwärtigen Daseins zu erklären. Sie gehen unmerklich über in die Heldensagen, auch wenn diese eher von Gestalten bevölkert werden, die einer realen Geschichtsepoche entstammen. Beide stellen sie die Taten einzelner, großer Individuen heraus.

An diese Muster schließt sich ein drittes an, dessen Absicht es ist, historisch exakt zu fixierende Tatbestände zu schildern oder den Ursprung bestimmter sozio-kultureller Eigenarten zu erhellen – die Geschichtlichen Sagen. Sie stehen – gemeinsam mit den Erklärungssagen von Besonderheiten bestimmter Regionen, örtlich einmaliger Vorgänge: den Lokalsagen – nicht so sehr Glaubensdingen nahe, sondern dem Wissensbereich, das heißt sie teilen Wissenswertes mit, schildern wirkliches Geschehen.

Was die Sagen mit geschichtlichem Charakter angeht, so ändert es an dem Gesagten nichts, daß einige ihrer Helden (Jimmu Tenno, Yamatodake, Ojin, Hatschiman) eher göttliche Naturkräfte besitzen als reale historische Gestalten sind. Jimmu trägt den Donnergott in sich, Yamatodake die Sonne, usw. Man kann die Sagen also nicht wie seriöse Geschichtschroniken lesen. Wenn nach mythischer Überlieferung die Gründung Japans auf den 11. Februar 660 v. Chr. fällt (»Jimmu Tenno, erster Kaiser Japans«), so kann man doch von einer japanischen Nation erst mit der Vereinigung der Teilstaaten zum Staate Yamato, um 400 n. Chr., sprechen (Yamato: heute eine der fünf Provinzen des Kinai). Dennoch: ein historischer Kern steckt in jeder Geschichtssage, sei sie noch so sehr aus epischem Eifer umstrukturiert oder aus moralischen Gesichtspunkten – der Gute wird belohnt, der Böse gerichtet – verschönt. Und in den Sagen späterer Jahrhunderte (»Die Belagerung von Ogaki«) tritt der sagenhaft-epische Charakter in der Tat ganz hinter die rein chronistische Absicht zurück. In der Schlußformulierung wird das auch Bestandteil der Erzählhaltung selbst.

Zu den schon genannten Lokalsagen fügen sich in wesentlichen Grundzügen die Gespenstersagen, die das Auftreten jenseitiger, nicht-natürlicher Figuren und Dinge schildern. Anlaß ihres Erscheinens ist meist ein frevelhaft übermütiges Verhalten von Menschen gegenüber der bekannten Zwischenwelt (»Die Füchse im Moor«), gegenüber der Natur und ihren Kreaturen (»Die Rache des Affen«), gegenüber religiösen Bereichen (»Der bekehrte Geizhals«) oder gegebenen Versprechen (»Antschin und Kiohime«).

Ein weiteres Grundmuster der Volksdichtung bilden Erzählungen, die entweder heilige Personen auf ihrem irdischen Lebensweg darstellen (»Die Bannung des Brückengeistes«) oder Offenbarungen des Göttlichen in mirakelhafter Weise schildern (»Das Einhorn«, »Domei«). Koordinaten der Handlung sind festumrissene religiöse Anschauungen, sie verbinden sich in einer Art Kultgeschehen zur Legende.

Die in dieser Sammlung aufgenommenen Legenden sind sämtlich buddhistischen Ursprungs. Der Buddhismus, heute zusammen mit dem Schintoismus verbreitetste Religion in diesem Land, kam im 6. Jahrhundert über Korea nach Japan. Nach seiner Einführung erst – und im Gegensatz zu ihm – bildete sich der Begriff des Schintô für die ursprünglich namenlose autochthone Religion Japans, deren Hauptbestandteile Naturkult, magische Praktiken und Ahnenkult sind. Hauptgötter des Schintô sind Isanami und Isanagi als Schöpfer des japanischen Inselreiches und Amaterasu, die Himmelsherrscherin. Die ersten sieben Göttersagen dieses Bandes geben die Anschauung des Schintoismus wieder, wie sie im Konjiki, der schintoistischen Kodifizierung heiliger Texte, geschildert sind.

Fremdeinflüssen ist Japan immer stark ausgesetzt gewesen. Aus Korea kamen in der Zeit, als Japan noch den Namen Yamato trug, über Idzumo und Kiuschiu viele Erzählstoffe ins Inselreich. Die Lokalsage von »Luwen« ist chinesischer Import, ebenso ein Teil der Mythen von den »sieben Glücksgöttern«. Diese fremden Stoffe sind jedoch sämtlich durch allmähliche Umformung zu vollwertigen Erzählstücken japanischer Prägung geworden.

Der Leser wird bemerken, daß Dialoge zurückhaltend eingesetzt werden. Das dramatische Moment ergibt sich meist – vor allem in den Götter-, Helden- und Geschichtssagen – aus dem Erzählen von der Ungeheuerlichkeit des Zusammenpralls von Mensch und Dämon, Vernunft und Naturgewalt, Übernatürlichem und Alltagsverstand. Die Vorliebe für den Gegensatz, ein weiteres Merkmal, stellt mit nüchterner Raffinesse dem Reichen den Armen gegenüber, dem Herrscher den Unterdrückten, dem Glücklichen den Unglücklichen, dem Menschen in seiner einfachen Schönheit das Ungeheuer in spektakulärer Häßlichkeit.

Die Helden sind entweder selbst göttlicher Herkunft (Göttersagen), oder sie erreichen göttliches Niveau durch ihre Taten (Heldensagen). Der Mithilfe tatkräftiger Götter bedürfen dagegen alle Irdischen, die ein ungewöhnliches Vorhaben zu Ende führen wollen. Dabei greifen ihnen die guten oder bösen Mächte unter die Arme; anschließend fallen sie auf die Stufe gewöhnlicher Sterblicher zurück. Bei der Mehrheit der Gespenster- und Lokalsagen ist das nachzulesen.

Individuell charakterisiert sind oftmals das alte Ehepaar (manchmal differenziert in den guten, gemütvollen Alten und die zänkische Alte), das schöne unverheiratete Mädchen, der besitzgierige Nachbar, der tyrannische Fürst, der pflichttreue Soldat, das blutgierige Gespenst.

Die hier veröffentlichten Texte stammen aus der Sammlung von David Brauns, dem bedeutenden Japanologen, Arzt und Volkskundler des 19. Jahrhunderts.

Die Bearbeitung und Übersetzung von Brauns leistet eine objektive Wiedergabe im Sinne der Brüder Grimm, also ohne Zusätze und Interpolationen, sie liefert die bestmögliche Lesart der an Varianten reichen japanischen Volksliteratur. Seine volkskundliche Akribie vermeidet die Gefahr einer Fälschung des ursprünglichen Charakters der Volkserzählung, die natürlich durch Übersetzung in fremde Sprachen ohnehin schon sehr naheliegend ist.

Die Grundverschiedenheit der japanischen Sprache – heute in ihrer Schriftform eine Mischschrift aus chinesischen Wortzeichen und japanischen Schriftzeichen, die aus der chinesischen Schrift entwickelt wurden – von der deutschen Sprache, in der gewisse grammatikalische Besonderheiten und die Wortmalerei der japanischen Sprache nicht wiederzugeben sind, verhindert nicht, daß sich die vorliegende Übersetzung dem Gang der japanischen Erzählungen verbindlich anschließt. Die Texte sind für diese Ausgabe deshalb auch nur dort zurückhaltend bearbeitet worden, wo das für die bessere Lesbarkeit erforderlich schien.

Die japanischen Fachausdrücke sind meist schon im Text umschrieben oder eingedeutscht worden, für die wenigen Fälle, wo das nicht zweckhaft war, finden sich am Schluß des Bandes Worterklärungen.

 

Winter 1978/79

Berndt Schulz

Die Füchse im Moor

Einmal saß eine übermütige Gesellschaft junger Leute zusammen, die sich Spukgeschichten erzählte. Es wurde viel gegessen und gezecht, und die Stimmung wuchs. Schließlich kam die Rede auf die gespenstischen Füchse, die unglaubliche Dinge vollführen, die Sinne der Menschen vollkommen gefangen halten und oft die ärgsten Streiche, ja grausame Quälereien verüben.

Hin und her wurde über die Füchse palavert, die gewöhnlich von strahlend weißer Farbe sind, bis der junge Tokutaro das Wort ergriff. Er wollte von solchen Dingen nichts hören und behauptete, sich nicht zu fürchten.

»Ich biete mich an«, rief er prahlend, »durch das Moor zu gehen, wo die Füchse besonders zahlreich hausen, und mir wird kein Haar gekrümmt werden, da bin ich sicher!«

»Sei kein Narr«, entgegnete ihm ein anderer, »wenn du das tust, und noch dazu um Mitternacht, wirst du das Abenteuer nicht unbeschadet überstehen. Die Füchse würden es nicht dabei bewenden lassen, dir nur die Haare zu krümmen.«

Jetzt war der ungläubige Tokutaro erst recht angestachelt. Er widersprach heftig, die Runde erhitzte sich weiter beim Reden, und zuletzt wurde eine Wette abgeschlossen, deren Betrag Tokutaro zu zahlen hatte, wenn die Füchse ihm einen Streich spielten; kam er dagegen unangefochten zurück, wollten die anderen ein respektables Faß Wein stiften. Der Wein sollte aber in jedem Fall getrunken werden.

Mitternacht kam, und Tokutaro machte sich auf den Weg. Wohlgemut schritt er auf das Moor zu, das mit Sumpfeibengestrüpp bewachsen war und durch dessen Zweige der Wind strich und unheimliche Geräusche hören ließ. Doch Tokutaro behielt kaltes Blut; er redete sich ein, Mitternacht sei eine Zeit ebensogut wie der helle Tag, und ging ruhig weiter. Es dauerte freilich nicht lange, und er sah einen weißen Fuchs nicht weit vor sich in das Dickicht schlüpfen. Gleich darauf trat aus diesem Dickicht ein hübsches Mädchen auf ihn zu.

Da mußte der junge Mann lachen.

Ich kenne eure Schliche, dachte er, so leicht lasse ich mich nicht anführen.

Das junge Mädchen kam ihm bekannt vor, sie trat nahe an ihn heran und bat um seine Begleitung. Da das Haus ihrer Eltern nicht weit entfernt war, hatte Tokutaro nichts dagegen. Er ging neben dem Mädchen her und sprach mit ihr dies und jenes, war aber dabei fest überzeugt, seine Bekannte sei nur ein Trugbild, und in Wahrheit verstecke sich ein verzauberter Fuchs in ihrer Erscheinung. Als sie die Wohnung der Eltern des Mädchens erreicht hatten, trat Tokutaro mit ein, begrüßte die Eltern, und sie dankten ihm für den freundlichen Schutz ihrer Tochter. Doch kaum hatte sich das Mädchen für einen Augenblick abgewendet, da winkte Tokutaro den Eltern verschwiegen zu. Er zog sie schnell in ein anderes Zimmer und verkündete ihnen dort hastig, daß dieses Mädchen gar nicht ihre Tochter sei, sondern ein verzauberter Fuchs, den er in dem unheimlichen Moor angetroffen habe.

Die Eltern hörten mit großer Verwunderung zu, doch als er ihnen die Sache – so glaubwürdig er konnte und mit allen Einzelheiten – schilderte, da waren sie endlich nach und nach überzeugt von der Richtigkeit der Erzählung. Was hatten sie nicht schon erzählen hören, welche Streiche die gespenstischen Füchse den Menschen gespielt hatten, mit denen sie um Mitternacht zusammengetroffen waren! Ihre Tochter, die zu Freunden gegangen war, hatte ohnedies erst am folgenden Tag zurückkehren wollen – es war wohl in der Tat nicht möglich, daß sie selbst es war, obwohl die Gestalt und das Verhalten des Spukbildes täuschend echt waren. Sie erlaubten also Tokutaro, den verzauberten Fuchs aus seiner angenommenen Gestalt herauszutreiben.

Sogleich ging der tatkräftig ans Werk. »Ich will’s dem Spuk schon zeigen«, rief er und begann, dem Mädchen, das sich gerade ins Bett zum Schlafen legen wollte, arg zuzusetzen. Mit glühenden Kohlen verbrannte er ihr die Haut, schlug sie, bis ihre Haut aufsprang – doch der Fuchs zeigte sich nicht. Da würgte Tokutaro das Mädchen und fluchte dabei fürchterlich. Das arme Geschöpf wehrte sich nur schwach, es stöhnte und ächzte, atmete immer keuchender, und nach einem letzten Flehen um Gnade sank sie zusammen und starb.

Nun sah die Sache freilich ziemlich übel für Tokutaro aus, denn die Leiche des Mädchens war der schlagende Beweis, daß es sich wirklich um die Tochter des Hauses handelte. Ein Fuchs wäre sicher längst davongelaufen, und man hätte von dem Mädchen nichts mehr gesehen; kam aber der Fuchs ums Leben, so war der Zauber gebrochen, und an die Stelle des Spukbildes wäre sein toter Körper getreten.

Als die Eltern den schrecklichen Tod ihrer einzigen Tochter begriffen, fingen sie an zu jammern und beschimpften Tokutaro. »Nun mußt du auch sterben«, schrien sie, »denn du allein bist schuld an ihrem frühen Tod.«

Die unglücklichen Eltern überfielen Tokutaro, banden ihm Hände und Füße und wollten ihm gerade den Garaus machen, als plötzlich heftig an die Fensterläden des Hauses geklopft wurde. Erstaunt gingen die guten Leute nach draußen und führten einen alten Bettler herein, der um Einlaß gebeten hatte. Der Alte sah die unglückliche Lage des bedauernswerten Tokutaro und erkundigte sich nach der Ursache. Von Anfang bis Ende erzählten die Eltern von der tragischen Begebenheit. Tokutaro hörte gesenkten Hauptes zu, ohne ein Wort hineinzureden, denn er war über den Ausgang der Sache noch ganz starr vor Schreck. Als die Eltern geendet hatten, bat der Alte um Tokutaros Leben. »Was nützt euch sein Tod?« sagte er, »was hilft euch das Bewußtsein, die Tochter gerächt zu haben? Ich will euch einen anderen Vorschlag machen, wie ihr diesen übermütigen jungen Mann strafen könnt, der allerdings sehr unklug, aber doch in guter Absicht gehandelt hat. Macht ihn zum Priester, dann hat er Zeit und Gelegenheit, seine Tat zu bereuen.«

Nach kurzer Bedenkzeit gingen die Leute auf den Vorschlag ein, und damit sie gleich sahen, wie ernst es dem alten Bettler war, rief dieser einen in der Nähe befindlichen Mann herbei, der Tokutaros Kopf kahlscheren mußte. Dieser Mann schien ein Begleiter des Bettlers zu sein, und er machte seine Sache sehr gut. Zuerst fiel der schöne Zopf von Tokutaros Scheitel, dann der übrige Haarwuchs an den Seiten und rückwärts, und schließlich wurde der kahle Schädel auch noch spiegelglatt rasiert, so daß Tokutaro aussah, als wäre er schon seit langer Zeit Priester gewesen. Während der Prozedur murmelten der Bettler und sein Begleiter in eintöniger Weise unverständliche Sätze vor sich hin, bis das Schermesser den letzten Schnitt getan hatte.

Da verschwand aber plötzlich alles ringsumher; das Haus, die Eltern, der Bettler und sein Begleiter – alle waren fort, und Tokutaro sah sich mitten im unheimlichen Moor und hörte das gellende Gebell der Füchse, das wie Gelächter durch die Einöde widerhallte.

Hastig blickte er sich nach allen Seiten um, seufzte nach einer Weile tief auf und war schon froh, mit dem bloßen Schrecken diesem Spuk entronnen zu sein. Dann strich er mit der Hand über seinen Kopf und fühlte schaudernd statt seines schönen Haares die kalte, glatte Haut seines geschorenen Schädels. Beschämt, ängstlich und verlegen kam er in diesem Zustand bei seinen Freunden an, die ihn johlend empfingen und verspotteten, so gut sie konnten.

Die Vampirkatze

Der Fürst von Hizen hatte eine Frau mit Namen Otoyo, die so anmutig und schön war, daß er sie mehr als alles in der Welt liebte. Eines Tages saß Otoyo allein in ihrem Zimmer und stickte. Eine große Katze, die schon seit einiger Zeit im Schloß umherstrich, saß neben ihr.

Als Otoyo einmal von ihrer Arbeit aufsah und zu der Katze hinüberblickte, sahen deren Augen so böse aus, daß Otoyo unwillkürlich aufschrie. Kaum war der Schrei über ihre Lippen gekommen, da sprang das Ungetüm heran, biß der schönen Otoyo eine tiefe Wunde in den Hals und sog ihr anschließend das Blut aus. Damit aber nicht zufrieden, nahm die abscheuliche Katze die Gestalt der toten Otoyo an und beerdigte die Leiche in aller Heimlichkeit im Garten dicht neben dem Zimmer. Alles das ging so rasch vor sich, daß niemand eine Ahnung davon bekam.

Alle Welt hielt nun die gespenstische Katze für die bezaubernde Otoyo, selbst der Fürst merkte keinen Unterschied und hielt nach wie vor seine geliebte Frau in allen Ehren. Mehr denn je hielt er sich in ihrer Nähe auf; die Katze aber, sobald sie in der Nacht mit dem Mann allein war, betäubte seine Sinne, biß auch ihm eine Wunde in den Hals und trank sein Blut.

Der Fürst starb jedoch nicht daran. Allerdings wurde er immer schwächer und konnte sich kaum noch auf den Füßen halten. Niemand aus seiner Umgebung, auch seine Ärzte nicht, die in Scharen herbeieilten, konnte sich die rätselhafte Krankheit erklären, und so kam man schließlich zu der Überzeugung, sie müsse eine unheimliche Ursache haben. Um dies zu ergründen, wurden hundert tapfere Krieger bestimmt, die an dem Lager des todkranken Fürsten Wache halten sollten.

Wie befohlen, nahmen die schwerbewaffneten Männer ihren Posten ein, bemerkten jedoch nichts Verdächtiges. Das konnten sie auch nicht, denn die Katze war schlauer als sie. Allabendlich um zehn Uhr betäubte sie die Krieger, so fielen sie in einen tiefen Schlaf, aus dem sie erst am Morgen erwachten. Unterdessen trank die Vampirkatze jede Nacht das Blut des Fürsten. Der Fürst konnte nicht gesund werden, und alle Getreuen waren untröstlich über seine Krankheit.

Besonders einem armen Samurai[1], der nichts sehnlicher wünschte, als an seines Fürsten Lager Wachdienst halten zu können, ging die Krankheit sehr nahe. Aber als armer Fußsoldat konnte dieser Ito-Soda daran gar nicht denken. Schließlich bat er aber so lange darum, daß ihm die hohe Ehre doch noch zuteil wurde und er sich unter die Zahl der Wachhabenden einreihen konnte.

Als er eines Nachts merkte, wie alle Krieger um ihn herum in Schlaf versanken und er selbst nicht minder von einer tiefen Müdigkeit heimgesucht wurde, da setzte er alles daran, diesem unerklärlichen Drang nicht nachzugeben. Tief stieß er sich das Messer ins Bein, damit der Schmerz ihn wach halte, und als der Schlaf ihn trotzdem zu übermannen drohte, drehte der Tapfere das Messer in der Wunde um. Auf diese Weise konnte er nicht einschlafen, der furchtbare Schmerz hielt ihn munter, und als die vermeintliche Otoyo kam und ihn wach fand, da lobte sie ihn in schlauer Absicht und zog sich rasch wieder in ihre Räume zurück.

Ito-Soda beschlich trotz ihrer freundlichen Worte ein Verdacht. Jeden Abend hielt er sich durch seine qualvolle Marter wach; Otoyo blieb fort, und der Fürst erholte sich. Doch eines Abends, als Ito-Soda abermals tapfer gegen den Schlaf kämpfte, die Katze aber wohl glaubte, er könne die Qual unmöglich länger ertragen und läge wie seine Gefährten im tiefen Schlaf, sah er, wie sie vorsichtig durch eine Tür trat und nach dem Fürstenlager hinüberschielte. In Ito-Soda schwand jeder Zweifel daran, daß nur sie an der Krankheit schuldig sein konnte. Entschlossen sprang er auf, doch ehe er sie erreichte, flüchtete sie in ihr Zimmer. Ito-Soda folgte ihr, und es entspann sich zwischen ihnen ein verzweifelter Kampf. Mehrmals packte der Soldat sie mit der Hand, doch immer wieder konnte sie sich losreißen. Da endlich, als sie sah, daß er nicht nachließ und letzten Endes der Stärkere sein würde, nahm sie unvermittelt ihre Katzengestalt wieder an, sprang mit Riesensätzen ins Freie und entkam ihrem Verfolger.

Seit dieser Nacht besserte sich der Zustand des Fürsten von Hizen unaufhaltsam. Bald konnte er schon wieder auf die Jagd gehen. Auf einem dieser Ausritte erlegte er in einem abgelegenen Wald eine große Katze, und als Ito-Soda fest versicherte, dies sei die Vampirkatze, die er in jener Nacht aus dem Schloß vertrieben habe, war jeder zuversichtlich, das Ungetüm nie wieder sehen zu müssen.

Der mutige Ido-Soda wurde reich belohnt. Bis auf den heutigen Tag wird seine Treue gepriesen.

Der Tanuki[2]

Der Fürst von Tosa hatte einen Sohn, der schon in früher Jugend einen sehr scharfen Verstand zeigte und alle Welt in Erstaunen setzte. Eine seiner Lieblingsbeschäftigungen war das Fischen, und sehr oft machte er, von nur wenigen Getreuen begleitet, weite Ausflüge, um sich diesem Vergnügen hinzugeben.

Einstmals war er mit nur einem Freund aufgebrochen und zu einem benachbarten großen Fluß gelangt. Das Wetter war sehr schlecht, unerwartet kamen dunkle Wolken auf, der Wind begann zu heulen, und der Prinz und sein Begleiter mußten ihre Angelgeräte und die spärliche Beute zusammenpacken und sich schleunigst auf den Heimweg machen. Der Regen überfiel sie aber mit solcher Heftigkeit, daß er die Pfade völlig durchweichte. Mühsam, bis auf die Haut durchnäßt, konnten die beiden den Weg einhalten. Auf halbem Weg nach Hause kamen sie an eine alte Brücke, und hier sahen sie, mitten im strömenden Regen, ein bildhübsches Mädchen stehen, dessen Alter sie auf etwa sechzehn Jahre schätzten. Als sie näher kamen, wehklagte das Mädchen: »Ich bin unterwegs nach Hause, aber ich habe mich verirrt und kann nicht mehr laufen. Bitte laßt mich nicht in der Einöde verkommen, sondern nehmt mich mit.«

Der Begleiter des Prinzen war über die Maßen erstaunt, als dieser nicht mit seiner gewohnten zuvorkommenden Freundlichkeit antwortete, sondern das Mädchen stumm ins Auge faßte. Ihm selbst flößte das hilflose Mädchen nicht nur Mitleid, sondern auch heftige Zuneigung ein, und so drang er in den Freund, das schöne Wesen doch auf jeden Fall mitzunehmen. Als der Prinz seine Worte hörte, trat tiefe Besorgnis in seine Miene. Er sah den Freund ernst an, trat dann noch näher an die Unbekannte heran, dann zog er unvermittelt das Schwert aus der Scheide – und von einem wuchtigen Hieb getroffen, sank das Mädchen tot zu Boden.

Entsetzt schrie der Begleiter des Prinzen auf; er überhäufte ihn mit den heftigsten Vorwürfen: »Für solch eine Tat wirst du zur Verantwortung gezogen werden!«

»Das wird sich finden«, entgegnete der Prinz ruhig, »jetzt folge mir und trag unsere Geräte heim.«

Grollend fügte sich sein Begleiter, und kaum waren sie im Palast angelangt, eilte er sofort zum Fürsten und erhob Klage wegen des brutalen Mordes an dem unschuldigen Mädchen. Der Fürst war äußerst erstaunt und zugleich betrübt und ließ sofort seinen Sohn herbeiholen. Mit mühsam gefaßten Worten teilte er ihm das soeben Gehörte mit und befahl ihm, sofort darauf zu antworten.

Der Prinz sprach mit derselben Ruhe, die ihn seit dem Vorfall nicht verlassen hatte: »Vater, glaubt nicht, daß ich aus Mordlust oder Übermut gehandelt habe; ich hatte gewichtige Gründe und kann mich durchaus rechtfertigen. Das Mädchen, das wir trafen, war kein wirklicher Mensch, sondern eine Spukgestalt, und sie wird sich ganz sicher entlarven, wenn an dem Ort, wo ich sie tötete, nachgeforscht wird. Vermutlich rührt der Zauberspuk, dem wir begegnet sind, von den Tanuki her, die dort hausen. Einer wird durch den Fischgeruch angelockt worden sein, den unsere Beute verströmte. Als ich sah, wie die angebliche junge Frau meinen Gefährten schon angelockt und umgarnt hatte, und fürchten mußte, daß er vollends den Verstand verlor, da zögerte ich nicht und rettete ihn durch die Vernichtung des unheimlichen Wesens.«

Augenblicklich begab sich daraufhin der Begleiter des Prinzen mit zwei Kriegern zurück auf den Weg zu der Brücke, wo die Begegnung stattgefunden hatte. Dort angekommen, sahen sie tatsächlich an der Stelle, wo der Prinz das Mädchen niedergestreckt hatte, die Leiche eines großen Tanuki, der durch einen Schwerthieb so verunstaltet war wie das Mädchen. Da war kein Zweifel mehr, und der Prinz wurde von allen gelobt und beglückwünscht.

Sein Vater fragte ihn aber noch: »Wie hast du wissen können, daß das Mädchen Zauberei ist?«

»Argwohn war von Anfang an in mir«, erwiderte der Sohn, »viel zu weit war die Stelle von jeder menschlichen Wohnung entfernt, als daß man der Erzählung einer angeblich Verirrten hätte Glauben schenken können.«

»Deshalb hast du wohl sehr scharf aufgepaßt, mein Sohn«, fragte stolz der Fürst. »Ja. Und als ich näher herantrat, bemerkte ich sogleich, daß die Kleider des Mädchens trocken waren. Bei einem anderen als einem Spukwesen wäre dies unmöglich gewesen, denn das abscheuliche Regenwetter durchnäßte alles bis auf die letzten Fäden. So erkannte ich die gespenstische Natur des Mädchens ganz klar.«

Nach dieser Erklärung zollte der Vater dem Scharfsinn seines Sprößlings nicht geringeres Lob als seiner Entschlossenheit. Fortan hielt er ihn für würdig genug, an den wichtigsten Beratungen des Landes teilzunehmen.

Die Rache des Affen

Ein vornehmer Mann namens Kuschige lebte abwechselnd in der Stadt und auf seinem Landgut bei Oohara. Auf einer Jagdpartie tötete er einmal einen Affen. Wenig später zog er in die Stadt. Kaum war er dort angelangt, als er heftig erkrankte, und obwohl sein Arzt die dringendste Gefahr beseitigen konnte, blieb der Patient doch fortwährend leidend. Der Arzt bemühte sich vergebens, ein Mittel ausfindig zu machen, das ihm die Gesundheit wiederbringen konnte, und sagte ihm endlich: »Sie sollten sich eine Natter fangen lassen, die nach einer besonderen Weise zubereitet wird. Nach deren Genuß wird man sehen, woran Sie eigentlich leiden, und dann ist Heilung nicht mehr fern.«

Während der Kranke noch darauf sann, wie er wohl in den Besitz der Natter gelangen könnte, ließ sich der Dorfvorsteher von Oohara bei ihm melden und überreichte ihm eine Natter mit den Worten, er habe gehört, daß diese Schlange als Speise vom Arzt angeregt worden sei. Sehr erfreut dankte Herr Kuschige für die Aufmerksamkeit des Dorfvorstehers, ließ die Natter genau nach der Vorschrift des Arztes zubereiten und verspeiste sie.

Wie erstaunt war der Arzt, als sich die Krankheit danach noch verschlimmerte. »Etwas Übernatürliches muß im Spiel sein, hochverehrter Herr Kuschige, ich werde mich darum kümmern.«