Sagen aus Skandinavien -  - E-Book

Sagen aus Skandinavien E-Book

0,0
3,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Aus der Fülle des skandinavischen Sagenschatzes faßt dieser Band Sagen aus Schweden, Dänemark und Norwegen zusammen, die so unterschiedlich wie spannend, so reich an Motiven und erzählerischen Einfällen wie lehrreich sind. Bekannte Beispiele wie die frivol-amüsante Sage »Per Gynt« stehen neben unbekannten; historische Heldensagen aus Dänemark neben märchenhaft-phantastischen Troll-Erzählungen aus Norwegen oder schwedischen Orts- und Ursprungssagen mit gespensterhaftem Zuschnitt. Der Leser wird versetzt ins alte Dänenreich des Prinzen »Amleth«, dessen Schicksal die Hamlet-Tragödie inspirierte, er erlebt den Aufmarsch der Unterirdischen aus den Bergen und erfährt, warum der schwedische Bauer seine Waffen verlor. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 241

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Sagen aus Skandinavien

Herausgegeben von Berndt Schulz

FISCHER Digital

Inhalt

Meinen Freunden HEIDRUN, GISELA [...]VorwortSchwedenDas Land der JugendDer Halbtroll oder die drei SchwerterSchütze StenFrau UlftandDie wunderbare Laufbahn des KnabenDas TrollhornDie HausgeisterDer WehrwolfGrenzverrückerDie weiße SchlangeDie Wenden in KungälvDer schwedische Bauer verliert seine WaffenDänemarkHadingFrothoRorikAmlethSnio, zur Zeit der LangobardenRegnerNorwegenDie Trolle im HedalwaldDer Teufel und der VogtWettessen mit dem TrollPer GyntSelbst getanJohannes BlessomDie Trollhexen auf dem KirchturmDer SturmTrollhochzeitUtröstDie Trollin im WaldDie Kraft des SchmiedsNachwortTrolle in skandinavischen SagenBibliographieQuellennachweis

Meinen Freunden HEIDRUN, GISELA und FRITZ in Marielyst

Vorwort

Den sagenhaften Fabulaten der Volksdichtung wohnt der Anspruch inne, Wahrheit der Welterfahrung auszudrücken. Im Gegensatz zum erzählerisch reicheren, aber in der Aussage fiktiven Märchen, gehen Sagen seltener phantastische Umwege. In der einfachsten Form, dem Memorat, wird das individuelle, selbst erlebte Geschehen in schmuckloser, gewissermaßen atemloser Sprache erzählt. Dieser Sagenart gilt eher wissenschaftliches Interesse; ihre typischen Merkmale wie Jargon und struktureller Erzählverfall schmälern das Lesevergnügen, deshalb wurden sie in diese Sammlung nicht aufgenommen.

Auf dem Memorat bauen jene Sagen auf, die im vorliegenden Band den Hauptteil bilden: ausgeschmückte Stoffe, bei denen der Wahrheitsanspruch mit der Erzählfreude konkurriert, vom eigentlichen Märchen nur durch die episodisch eingeschränkte Form unterschieden. Im deutschen Sprachraum bekannte Sagen, wie »Per Gynt« aus Norwegen, deren Motive Henrik Ibsen 1867 für sein Schauspiel verwendete, oder »Der Halbtroll oder die drei Schwerter« aus Schweden, gesättigt von Märchenmotiven, die auch im deutschen Märchenschatz auftauchen, stehen neben unbekannteren: »Die wunderbare Laufbahn des Knaben« aus Schweden, »Die Trolle im Hedalwald« aus Norwegen …

Diese märchenhaften Sagen sind mehr oder minder lokalisierbar. Mit der norwegischen Sage »Utröst« wird eine Insel bei den Lofoten bezeichnet, »die man erreicht, wenn man sie erreichen will«. Das schwedische »Land der Jugend« ist demgegenüber noch undeutlicher, angesiedelt im Irgendwo. Genauere ortsbezogene und zeitliche Angaben finden sich bei den historisierenden Sagen, so in: »Der schwedische Bauer verliert seine Waffen«, wo politische Stellung und lokaler Einfluß des schwedischen Odalbauers im 12. Jahrhundert geschildert wird, oder in: »Die Wenden in Kungälv«, wo Episoden ebenfalls aus dem 12. Jahrhundert zur Darstellung kommen, eben jener Zeit, in der die Wenden nach verlorenen Schlachten an der schwedischen Westküste ihren Einfluß auf Dänemark und Schweden einbüßten.

Die Gespenstersage ist ebenfalls mit Beispielen aus Schweden und Norwegen vertreten. Hier handelt es sich meist um Orts- und Erklärungssagen, deren nüchterner Erzählton aus dem einfacheren Fabulat herrührt. In der vorliegenden Sammlung ist dieser Typ mit seinen phantasiereichen Varianten vertreten, die der Lesefreude förderlich sind. Diese Sagen sind belehrend (»Die weiße Schlange« und »Grenzverrücker«), zielen auf die Pointe (»Selbst getan« und »Die Trollhexen auf dem Kirchturm«) oder wollen nichts weiter als eine gruselige Stimmung verbreiten (»Johannes Blessom«).

Die schwedischen und norwegischen Sagenbeispiele sind in der Mitte des 19. Jahrhunderts gesammelt und veröffentlicht worden. Mit Ausnahme des Teils der neu übertragenen norwegischen Sagen, fanden die deutschen Übersetzungen jener Zeit, in vorsichtiger Bearbeitung, die einem heutigen Sprachgefühl entgegenkommt, Verwendung. Anders verhält es sich bei den Heldensagen aus Dänemark. Diese sind – mit nur unbedeutenden sprachlichen Korrekturen – so wiedergegeben, wie sie der Philologe Paul Herrmann 1901/02 in seiner Übertragung der 16 Bücher zur dänischen Geschichte des Saxo Grammaticus aus dem Lateinischen geliefert hat. In dieser Übertragung des Gesta Danorum hat Herrmann versucht »all die eigentümlichen Züge von Saxos ›Latinitas‹ zur Wirkung kommen zu lassen, ohne die deutsche Sprache zu vergewaltigen«.

Die dänische Heldensage dieser Ausgabe ist Ereignissage aus einer Zeit, als Sage und Geschichtsschreibung noch eine Einheit bildeten, die Phantasie mit der historischen Wahrheit noch nicht verfeindet schien. Meist stilisieren bestimmte Klischees der Volksphantasie die Herrscher – in diesem Fall die der dänischen Frühgeschichte – zu überhöhten Helden mit schematischen Zügen. Aber gerade da, wo die Biographie naiv und phantastisch verändert wird, bietet der volkskundliche Gehalt, die »spezifische Eigenart des volkstümlichen Geschichtsbildes« (Lutz Röhrich), aufschlußreiches Material für die Anschauungen und Gefühle der Menschen. Ein interessantes Beispiel dafür bildet die Heldensage von Amleth, einem dänischen Prinzen um 1100. Sein Lebensschicksal inspirierte William Shakespeare zu seiner Hamlet-Tragödie.

Den Anspruch, den umfangreichen skandinavischen Sagenschatz in seiner typischen und schillernden Gestalt auch nur annähernd belegen zu können, stellt die vorliegende Sammlung nicht. Immerhin versuchte der Herausgeber auf die unterschiedlichen Erscheinungsformen der Sage und ihre vielfältigen Erzählmöglichkeiten einzugehen. Letztlich sollte ein Einblick gegeben werden, der eventuell zur weiteren Beschäftigung mit der reizvollen skandinavischen Volksdichtung anregt.

Berndt Schulz

 

 

 

Schweden

Das Land der Jugend

Einst herrschte ein König über ein mächtiges Reich. Er war tapfer im Streit, klug im Rat, und alle seine Unternehmungen nahmen einen guten Ausgang. Als aber Jahre verstrichen waren, wurde der König alt und grau, so daß er wohl merkte, daß er nicht mehr lange leben werde. Da wurde er traurig, denn er hatte das Leben sehr gern, und er befragte alle weisen Männer in seinem Land, ob es nicht irgendein Mittel gäbe, dem Tod zu entkommen. Die weisen Männer schüttelten ihre Köpfe, und obwohl sie sich noch lange berieten, konnte keiner die Frage zur Zufriedenheit beantworten.

Eines Tages kam eine alte Wahrsagerin an den Hof, die weit über das Wasser, und die Länder gereist und wegen ihrer Weisheit und Klugheit berühmt war. Der König fragte die Alte, ob sie nichts Neues wüßte. Da antwortete sie:

»Es ist mir gesagt worden, daß du dich sehr fürchtest zu sterben, da du nun sehr alt geworden bist. Darum bin ich zu dir gekommen, um dich zu lehren, wie du Jugend und Gesundheit wiedergewinnen kannst.«

Diese Worte gefielen dem König sehr und er fragte, wie das geschehen könne. Die Wahrsagerin erwiderte:

»Weit, weit, viele tausend Meilen von hier liegt ein Land, das Land der Jugend genannt. In diesem Land findet man eine Art Zauberwasser, und wächst eine Sorte kostbarer Äpfel. Wer von dem Wasser trinkt, und von den Äpfeln ißt, der wird von neuem jung, als wäre er nie alt gewesen. Nicht viele gibt es, die davon kosten, denn der Weg ist weit, und voller Gefahren.«

Als der alte König dies hörte, war er sehr froh, und er belohnte die Wahrsagerin reichlich für ihren guten Rat. Damit schieden sie voneinander.

Nun überlegte der König, wie er das wunderbare Wasser und die köstlichen Äpfel erhalten könne. Endlich beschloß er, einen von seinen Söhnen zu schicken, um sie zu holen. Dazu ließ er den ältesten Sohn reichlich mit Geld und mit allem Notwendigen versehen und schickte ihn auf den Weg. Nachdem der Sohn weit gereist war, kam er zu einer Stadt, die ihm sehr gefiel. Da vergaß er bald sein Unternehmen, lebte in Lust und Üppigkeit, und dachte nicht weiter an sein Versprechen, nach dem Land zu reisen, wo das Lebenswasser für seinen Vater floß.

Es verstrich so einige Zeit, und der König sehnte sich sehr nach der Rückkehr seines Sohnes, man hörte aber nichts von ihm. Da ließ der Greis seinen anderen Sohn mit Habe und Geld versehen, und schickte auch ihn, das gepriesene Land der Jugend aufzusuchen. Nachdem der Jüngling aber einen weiten Weg gereist war, kam er in einer Stadt an. Dort traf er seinen Bruder. Nun ging es ihm, wie es dem Älteren gegangen war. Er vergaß sofort sein Unternehmen, ergab sich dem Wein und den Frauen, und dachte nicht weiter an sein Versprechen, die Jugendäpfel und das Lebenswasser für seinen Vater zu besorgen.

Als wieder eine geraume Zeit verstrich und keiner von den Söhnen zurückkam, war der alte König von Kummer und Alter schon sehr gebrechlich. Da ging der jüngste Sohn zu seinem Vater, und bat, daß er fortziehen und das gepriesene Land der Jugend aufsuchen dürfe. Da nun der König nur mehr den einzigen Sohn übrig hatte, wollte er ungern in das Begehren des Jünglings einwilligen, und er bat ihn, daheim zu bleiben. Der Sohn blieb aber fest bei seiner Meinung, und so behielt er zuletzt Recht. Der König ließ nun seinen jüngsten Sohn mit Gut und Geld ausrüsten, und der Jüngling begab sich auf den Weg. Der Greis aber saß einsam und verlassen in seinem Land und erwartete mit Unruhe, ob einer von seinen Söhnen tatsächlich wieder heimkommen werde.

Der Jüngste reiste nun weit, und er kam zuletzt zu einer großen Stadt, wo er seine älteren Brüder traf. Da baten ihn die Brüder, bei ihnen zu bleiben, und um den alten Mann daheim sich nicht weiter zu kümmern. Der jüngste Sohn wollte jedoch sein Wort nicht brechen, sondern schlug ihr Begehren ab. Er nahm Abschied von seinen Brüdern, und zog weit umher, durch viele und große Länder. Wem er auch begegnete, den fragte er um den Weg zum Jugendland, es fand sich aber niemand, der davon zu erzählen, oder nur irgend einen Bescheid zu geben wußte.

Eines Tages kam der Jüngling in einen sehr großen Wald. Als er umhersah, um eine Herberge zu finden, erblickte er ein Licht, das in weiter Entfernung durch die Bäume flimmerte. Der Prinz ging hin, und kam zu einer kleinen Hütte, wo ein sehr altes Weib wohnte. Er fragte, ob er übernachten könne, und das Weib willigte in sein Begehren ein. Als sie nun miteinander sprachen, fragte das alte Weib nach seiner Abkunft, und nach seinem Vorhaben. Der Prinz antwortete, daß er ein Königssohn sei, der fortgezogen, daß Jugendland zu suchen, und fragte zugleich, ob ihm die Frau nicht irgendeine Auskunft geben könne. Da sagte sie:

»Ich habe dreihundert Winter gelebt, und keiner hat mir von dem Land erzählt, das du nennst. Ich herrsche aber über die Tiere auf der Erde. Vielleicht ist einer unter meinen Untertanen, der den Weg dahin findet. Morgen früh will ich sie darum fragen.«

Der Königssohn dankte sehr für diesen guten Willen und verweilte dort über Nacht.

Als der Tag graute und die Sonne aufging, trat das Weib hinaus und blies in ihre Pfeife. Da entstand ein starkes Getöse im Wald, und es kamen alle vierfüßigen Tiere gelaufen, von nah und fern. Als die Tiere versammelt waren und ihrer Königin gehuldigt hatten, fragte die alte Frau, ob eines unter ihnen wäre, das den Weg zum Jugendland wüßte. Die Tiere hielten eine längere Beratung, es fand sich aber keines, das die Frage zu beantworten wußte. Da wendete sich die Frau zu dem Jüngling und sagte:

»Ich kann dir nun nicht weiter helfen. Ich habe aber eine Schwester, die herrscht über die Vögel in der Luft. Grüße sie von mir, vielleicht weiß sie irgendeine Hilfe.«

Die Frau befahl nun dem Wolf, den Jüngling zu ihrer Schwester zu führen, und damit endete ihr Gespräch. Der Jüngling setzte sich auf den Rücken des Wolfes, und dieser trug ihn über Wälder und Flächen, über Berge und Täler, auf so manchem öden Weg.

Spät am Abend, als die Sonne in den Wald gegangen war, sahen sie ein Licht, das durch die Bäume flimmerte. Da sagte der Wolf:

»Nun sind wir am Ziel, denn hier wohnt die Schwester meiner Herrscherin.«

Er kehrte wieder heim; der Jüngling aber ging hinein und fand eine sehr alte Frau, die in einer Erdhütte wohnte. Während sie zusammen sprachen, fragte die Alte nach seiner Abkunft und nach seinem Vorhaben. Der Königssohn antwortete, daß er ein Prinz sei, der fortzog, um das Land der Jugend zu suchen, und grüßte sie von ihrer Schwester, die über die Tiere der Erde herrschte. Da sagte die alte Frau:

»Ich habe sechshundert Winter gelebt und noch hat mir niemand von dem Land erzählt, das du nennst. Ich herrsche aber über alle Vögel in der Luft, vielleicht ist einer unter ihnen, der den Weg dorthin findet. Morgen früh will ich sie darum fragen.«

Der Jüngling dankte, wie es sich gehörte, für den guten Willen der Frau, und so blieb er dort über Nacht. Als nun der Tag anbrach, ging das Weib hinaus und blies in ihre Pfeife. Da entstand ein starkes Sausen und Donnern in der Luft, und es kamen alle Vögel des Himmels geflogen, sowohl große als auch kleine, aus der Nähe und aus der Ferne. Als sie versammelt waren und ihrer Herrscherin gehuldigt hatten, fragte die Alte, ob es einen unter ihnen gäbe, der den Weg zum Land der Jugend wüßte. Die Vögel hielten nun hierüber eine lange Beratung; der Schluß aber war, daß keiner die Frage der Königin zu beantworten wußte.

Da wendete sich die Alte zum Sohn, und sagte:

»Ich kann dir nicht weiter helfen. Ich habe aber eine Schwester, die herrscht über die Fische im Meer. Reise hin und grüße sie von mir. Weiß sie keinen Rat, so gibt es niemand, der einen wüßte.«

Die Frau befahl dem Adler, den Jüngling zu ihrer Schwester zu tragen, und damit schieden sie voneinander. Der Jüngling bestieg den Adlerrücken, und so wurde er, wie von einem Sturmwind übers Meer und über fruchtbare Länder getragen.

Spät am Abend sahen sie ein Licht, das durch die Bäume zitterte. Da sagte der Adler:

»Jetzt sind wir am Ziel, denn hier wohnt die Schwester meiner Herrscherin.«

Er nahm Abschied von dem Jüngling und flog wieder zu seiner Gebieterin zurück. Der Suchende trat in die Stube und fragte, ob sie ihn beherbergen könne. Gerne willigte die Bewohnerin der Hütte ein. Während sie zusammen sprachen, fragte die Alte nach seiner Abkunft und nach seinem Unternehmen. Er antwortete, daß er einer sei, der fortgezogen war, das Land der Jugend zu suchen. Gleichzeitig grüßte er sie von ihrer Schwester, die über die Vögel in der Luft herrschte. Da nahm sie das Wort:

»Ich habe jetzt neunhundert Winter gelebt, und noch nie hat mir jemand von dem Land erzählt, das du nennst. Ich herrsche aber über die Fische im Meer; vielleicht ist einer unter ihnen, der den Weg dahin findet. Frühmorgens will ich danach sehen.«

Zeitig am Morgen, ehe es heller Tag wurde, ging das Weib hinaus und blies in ihre Pfeife. Da entstand ein starkes Geräusch und Brausen im Meer, und das Wasser schäumte von den unzähligen Fischen, von großen und kleinen, die von nah und fern kamen. Als alle zusammen gekommen waren und ihrer Königin gehuldigt hatten, sprach das alte Weib:

»Ich habe euch deshalb gerufen, weil ich zu wissen wünsche, ob irgendeiner den Weg zu einem Land kennt, das Jugendland heißt.«

Die Fische berieten sich lange, das Ende davon war, daß keiner auf die Frage eine Antwort wußte. Da wurde die Frau zornig und sagte: »Ihr seid doch alle versammelt? Ich kann den alten Walfisch nicht sehen, der sonst doch nicht der Geringste unter euch ist?«

In diesem Augenblick vernahm man ein starkes Brausen aus dem Meer, und der alte Walfisch kam schnell herangeschwommen. Die Alte fragte, warum er nicht mit den anderen gekommen sei; der Walfisch entschuldigte sich, daß er einen so weiten Weg gereist sei.

»Wo bist du gewesen?« fragte die Alte.

»Ich«, antwortete der Fisch, »ich bin manche tausend Meilen gereist, ich komme gerade von einem schönen Land, das das Land der Jugend heißt.«

Als die Frau das vernahm, war sie sehr zufrieden und sagte:

»Dies mag deine Strafe für deine Unpünktlichkeit sein, daß du noch einmal zum Land der Jugend reist und diesen Jüngling mit dir auf die Reise nimmst.«

Darauf nahm sie von dem Königssohn Abschied, wünschte ihm Glück auf den Weg, und so schieden sie voneinander. Der Jüngling setzte sich auf den Rücken des Walfisches und wurde nun wie ein Pfeil weithin über das Wasser getragen. Sie reisten den ganzen Tag hindurch und kamen spät abends zu dem gepriesenen Jugendland. Da sagte der Walfisch:

»Ich will dir nun einen guten Rat geben, den du genau befolgen sollst. Nur so kann dein Unternehmen glücken. In dem verzauberten Schloß fällt alles um die Mitternachtsstunde in tiefen Schlaf. Geh’ dann in das Schloß hinauf, nimm einen Apfel und eine Flasche Wasser, zögere aber nicht, sondern eile gleich zurück. Wenn du über die Mitternachtsstunde dort bleibst, gilt es unser beider Leben.«

Als der Jüngling dies hörte, dankte er dem Walfisch für seinen guten Rat und versprach, in allem zu handeln, wie der Fisch gesagt hatte.

Um Mitternacht ging er zu dem verzauberten Schloß hinauf und fand alles, wie der kluge Walfisch erzählt hatte. An der Pforte waren wilde Tiere, Bären, Wölfe und Drachen, alle lagen sie in einer tiefen Betäubung und es schien, als hätte das Schloß dasselbe Geschick. Der Prinz wanderte durch viele große Zimmer, das eine prächtiger als das andere, und er konnte sich nicht genug über den Reichtum wundern. Zuletzt kam er in einen großen Saal, der schön mit Decken von Gold und Silber ausgeschmückt war. Mitten in dem großen Saal wuchs ein Baum mit den allerkostbarsten Äpfeln, und neben dem Baum war zugleich die Quelle, deren Wasser wie klares Gold schimmerte und einen wunderbaren Klang gab, wenn es über die Steine floß. Da begriff der Königssohn, daß er endlich das gefunden hatte, wonach er so lange gesucht hatte. Er sprang daher hin, pflückte seinen Ranzen mit den schönen Äpfeln voll, und füllte seine Flasche mit dem Lebenswasser aus der kostbaren Quelle.

Der Jüngling sollte nun zurückkehren, er konnte aber nicht sein Begehren zähmen, noch eine kleine Weile sich in dem verzauberten Schloß umzusehen. Er setzte daher seine Wanderung von Zimmer zu Zimmer, von Saal zu Saal fort, und es schien ihm, daß das eine jedesmal das andere übertreffe. Endlich kam er in ein Zimmer, das vor allen anderen reich mit Gold, Silber und Edelsteinen geschmückt war. Mitten in dem prächtigen Zimmer stand ein Bett mit blauseidenen Polstern, und auf dem Bett schlummerte eine Frau, so schön, daß ihr keine in der Welt glich. Da wurde dem Eindringenden das Herz in der Brust bewegt, er vergaß die Warnung des klugen Walfisches und schlief bald darauf an der Brust der Schönen ein.

Nachdem er wieder erwacht war und seinen Rückzug antreten sollte, schien es ihm, daß er es der jungen Frau wohl wissen lassen müsse, wer es war, der ihre Gunst genossen hatte. Zu diesem Ende schrieb er auf die Wand, daß der Prinz Venius von England dort gewesen sei und eilte aus dem Schloß fort. Es war auch höchste Zeit, denn kaum war er durch die Pforte gegangen, als alles aus seiner Betäubung erwachte; die Tiere brüllten, die Waffen rasselten, und das ganze Schloß wurde lebendig. Der Jüngling setzte sich schnell auf den Rücken des Walfisches, und schnell trug ihn dieser gleich dem Wind über die Wogen.

So reisten sie einige Zeit und kamen auf das wogende Meer hinaus. Da tauchte der Walfisch plötzlich unter das Wasser und zog den Prinzen mit sich hinab. Als sie wieder hinaufkamen, war der Reiter sehr erschrocken und dachte, daß sein Ende nahe wäre. Der Walfisch fragte: »Erschrakst du?« – »Ja«, antwortete der Prinz. Da sagte der Walfisch: »Ich ebenfalls, als du so viel Äpfel nahmst.«

Sie reisten noch eine Weile, und der Walfisch tauchte wieder in das Meer unter. Diesmal aber blieb er länger unter Wasser als früher, und als sie wieder herauf gekommen waren, fühlte sich der Prinz vor Schreck halbtot. Der Walfisch fragte: »Erschrakst du?« – »Ja«, antwortete der Prinz. »Ich ebenfalls, als du bei der jungen Frau schliefst.«

Sie schwammen nun wieder eine Weile, und der Walfisch tauchte zum drittenmal unter das Meer; diesmal so tief, daß der Prinz nie mehr das Tageslicht zu schauen glaubte. Als sie heraufgekommen waren, fragte der Walfisch: »Erschrakst du?« – »Ja«, antwortete der Prinz. »Ich ebenfalls«, sagte der Walfisch, »als du deinen Namen an die Wand des Saales schriebst.«

Hierauf setzten sie ihren Weg fort ohne ein weiteres Abenteuer, bis sie zum anderen Ufer kamen.

Der Prinz nahm nun von dem alten Walfisch Abschied und ging zum alten Weib, die neunhundert Winter gesehen hatte. Als ihn das Weib sah, freute sie sich, daß sein Abenteuer so gut abgelaufen war. Der Jüngling aber sagte, daß er ihr den guten Beistand wieder vergelten wolle und gab ihr einen Apfel vom Jugendland und einen Trunk von dem köstlichen Lebenswasser. Das Weiblein aß und trank und ließ es sich wohl schmecken. Da sah man ein großes Wunder, denn sie verwandelte ihre Gestalt, die Runzeln verschwanden von ihrem Gesicht, der Mund füllte sich mit frischen Zähnen, der Busen hob sich, und sie stand wie eine blühende Maid da, wie sie in ihren jungen Tagen gewesen war.

Die Fischkönigin konnte nicht genug die wunderbare Veränderung preisen, und sie dankte dem Königssohn über die Maßen für seinen großen Dienst. Hierauf schieden sie voneinander. Beim Abschied sagte die Frau:

»Ich will dich meinerseits für deine gute Gabe belohnen. Hier hast du einen Zaum, wenn du damit schüttelst, kommt ein Zelter hervor, der so schnell wie der Wind ist; er wird dich tragen, wohin du wünschst.«

Daraufhin rüttelte der Jüngling an dem Zaum, wie die Fischkönigin es ihm gezeigt hatte, und sogleich kam ein schöner Zelter hervor, der ihn zu dem alten Weib trug, die sechshundert Winter gesehen hatte. Als ihn die Vogelkönigin sah, freute sie sich, daß sein Unternehmen so gut abgelaufen war. Der Königssohn dankte für den Dienst und sagte, daß er ihr den guten Beistand wieder vergelten wollte. Er gab ihr daher einen Apfel vom Jugendland und einen Trunk von dem kostbaren Lebenswasser.

Die alte Frau aß und trank und ließ es sich schmecken. In demselben Augenblick sah man ein neues Wunder, denn das alte Weib verwandelte ihre Gestalt, die Runzeln wichen aus ihrem Gesicht, der Mund lächelte, der Busen hob sich, und sie stand da vor dem Jüngling wie eine Jungfrau in ihren jungen Jahren.

Die Vogelkönigin konnte nicht genug diese seltsame Veränderung loben, und sie dankte dem Jungen über Gebühr für seinen großen Dienst. Dann schieden sie sehr freundschaftlich voneinander. Beim Abschied sagte die Frau:

»Ich will dich für deine Gabe belohnen. Hier hast du ein Tuch; wo immer du es ausbreitest, wird sich der Tisch mit kostbaren Gerichten bedecken.«

Der Jüngling nahm das kostbare Tuch, setzte sich auf sein Füllen und ritt fort, bis er zu dem Weib kam, das dreihundert Winter gelebt hatte.

Als die Tierkönigin ihn erblickte, hatte sie eine große Freude und empfing ihn sehr freundschaftlich. Der Junge sagte, daß er ihr den guten Beistand wieder vergelten wolle und gab ihr einen Apfel vom Jugendland und einen Trunk von dem köstlichen Lebenswasser. Und auch jetzt sah man das große Wunder, wie bei den beiden Frauen zuvor. Sie war von neuem jung, ein Mädchen von seltener Schönheit.

Die Tierkönigin konnte sich nicht genug freuen, und sie dankte dem Prinzen für seinen überaus großen Dienst. Hierauf schieden sie sehr freundschaftlich voneinander. Beim Abschied nahm das Weib ein Schwert hervor, gab es dem Jungen und sagte:

»Ich will dich für dein Geschenk belohnen. Hier hast du ein Schwert. Wem du immer damit drohst, der wird entweichen, und wäre es auch das wildeste Tier.«

Der Königssohn schien nun aus allem gut davon gekommen zu sein und reiste daher weiter, bis er seine Brüder traf. Da war auf beiden Seiten große Freude. Als aber die älteren Königssöhne erfuhren, daß ihr Bruder in seinem Unternehmen glücklich gewesen, wuchs ein großer Neid in ihren Herzen, und sie überlegten miteinander, wie sie ihn überlisten und selbst den Preis bei dem Vater gewinnen könnten. Sie gaben nun manch schöne Worte und ließen ein prächtiges Gastmahl zubereiten. Nachts aber, als der Jüngling schlief, warteten die Brüder die Gelegenheit ab und vertauschten die Jugendäpfel und das Lebenswasser, ohne daß der Prinz es wußte oder auch nur eine solche Falschheit ahnte.

Der Junge nahm am nächsten Tag von seinen Brüdern Abschied, stieg auf seinen Zelter, und ritt zum Hof seines Vaters heim. Da war der alte König wohl zufrieden, daß er seinen jüngsten Sohn wieder erhalten, und der Prinz freute sich, daß sein Vater noch am Leben war. Er reichte seine Gaben dar und bat den König, von den Äpfeln zu essen und vom Wasser zu trinken, damit er wieder von neuem jung werde.

Es kam aber gegen die Erwartung, denn man gewahrte keine Veränderung, sondern der Greis war und blieb gleich alt und grau, wie früher. Nun konnte der König nichts anderes denken, als daß sein Sohn mit ihm Spott treiben wolle, und wurde darüber sehr erzürnt. Der Prinz aber merkte, daß er betrogen worden war, und dies ging ihm schwer ans Gemüt.

Nach einiger Zeit kamen die beiden ältesten Brüder zum Königshof heim. Die hatten viel von ihrer Reise zu erzählen und sprachen weitläufig von allen Gefahren, die sie auf dem Weg zum Jugendland bestanden hatten. Hierauf gingen beide Prinzen zu ihrem Vater und boten ihm die Äpfel und das Lebenswasser an, damit er von neuem jung werde.

Der König aß und trank und ließ es sich wohl schmecken. Nun sah man eine merkwürdige Erscheinung, denn der Greis veränderte seine Gestalt innerhalb von Minuten, sein graues Haar wurde sonnenblond, der Mund füllte sich mit weißen Zähnen, die Runzeln verschwanden, und er stand da wie der schöne Jüngling, der er einst gewesen war. Da herrschte eine große Freude über das ganze Reich, und der König pries die Treue und Tapferkeit seiner beiden ältesten Söhne, alle aber zürnten dem jüngsten Königssohn, daß er mit Lüge und Falschheit gekommen war.

Ein Urteil wurde gefällt: der Jüngling sollte in die Löwengrube geworfen werden, und das Urteil ging ohne Gnade in Wirklichkeit über. Als die wilden Tiere in der Grube den jungen Prinzen aber zerreißen wollten, drohte er ihnen mit seinem Schwert, und sie taten ihm nichts zuleide. Als der Prinz hungrig wurde, breitete er sein Tuch aus, und es füllte sich mit köstlichen Speisen. Er saß so sieben volle Jahre in der Löwengrube, und kein Mensch wußte, daß er noch am Leben war.

Die Sage wendet sich nun wieder zum Jugendland

Dort entstand ein großer Aufruhr, als der Prinz entflohen war, denn das Lebenswasser war fort, die Äpfel waren fort, und was noch schlimmer war, die junge Prinzessin hatte ihre Unschuld verloren. Nach Monaten kam die Prinzessin in die Wochen und gebar einen schönen Knaben. Der Kleine hatte in der linken Hand ein sonderbares Gewächs gleich einem Apfel, und der Apfel wollte nicht verschwinden. Da ließ die Königstochter alle weisen Frauen im ganzen Jugendland versammeln und fragte sie um Rat, wie ihr Sohn von seinem Gebrechen frei werden könnte. Die Frauen überlegten lange und sprachen hin und her. Der Beschluß aber war, daß der junge Prinz nicht gesund werden könne, bevor er nicht seinen Vater wieder gefunden habe.

Es verstrich so eine geraume Zeit; der Knabe wuchs heran und verriet mehr Verstand und Fassungsgabe als andere Kinder. Nichts war so künstlich, daß er nicht Rechenschaft davon zu geben vermocht hätte, und mit sieben Jahren konnte er den Namen seines Vaters buchstabieren, der auf der Wand des Saales geschrieben stand. Da bekam die Königstochter eine große Lust, fortzuziehen und den Prinzen Venius aufzusuchen. Die Prinzessin ließ ihre Schiffe in See stechen und rüstete sie auf das Allerbeste mit kostbaren Gütern und gewählter Mannschaft aus. Hierauf ging die Prinzessin mit ihrem jungen Sohn an Bord. Die Segel wurden auf den vergoldeten Mastbaum gehißt, und so schifften sie schnell über das Meer nach England.

Als die prächtige Flotte vor die Stadt London kam, herrschte viel Unruhe und Aufstand darin, denn alle glaubten, daß es eine feindliche Heeresmacht wäre. Die Königstochter aber landete an der Brücke und schickte eine Gesandtschaft an den König, daß sie den Prinzen Venius sprechen wolle.

Da wurde der König sehr unentschlossen, denn er erinnerte sich wohl, daß der Prinz den wilden Tieren vorgeworfen worden, obschon er keine Schuld bekennen wollte. Er hielt Rat mit seinen Leuten und überlegte, was zu tun sei; keiner wußte aber Hilfe in einer solchen Lage. Der Beschluß fiel dann dahin aus, daß der König seinen ältesten Sohn schicken solle, da er den jüngsten nicht schicken könne. Die Gesandten wurden mit der Botschaft an die Königstochter abgefertigt, daß der Prinz Venius den folgenden Tag kommen werde.

Frühmorgens ließ die Prinzessin goldene Decken über den Weg breiten und setzte sich selbst mit ihrem kleinen Sohn auf die Schiffsbrücke, um den Königssohn zu empfangen. Nach einer Weile kam er aus der Stadt geritten und wollte sich zum Schiff begeben. Als er nun sah, welche prächtigen Decken auf dem Weg ausgebreitet waren, konnte er sich nicht genug über all diesen Reichtum wundern und hielt sich an der Seite, daß sein Zelter nicht auf so kostbare Stoffe trete. Er kam auf die Schiffsbrücke, wo die Königstochter, umgeben von ihrer ganzen Mannschaft, auf dem Thron saß. Als ihn aber der Knabe so vorsichtig einherschreiten sah, rief er: »Das ist nicht mein Vater!« Der Apfel blieb in der Hand des Knaben, wie früher. Da mußte der Prinz mit wenig Ehren und unverrichteter Sache heimkehren. Die Prinzessin aber ließ verkünden, daß sie nicht fortfahren wolle, bis sie den rechten Prinzen Venius gesehen hätte.

Den anderen Tag schickte der König seinen anderen Sohn; es erging ihm aber ebenso. Der Prinz fürchtete sich, über die schönen Golddecken zu reiten, und als er zur Schiffsbrücke kam, wo die Königstochter am obersten Platz saß, rief der Knabe, der zwischen ihren Knien stand: »Dies kann mein Vater nicht sein.«