Satt und sauber reicht nicht! - Anke Elisabeth Ballmann - E-Book

Satt und sauber reicht nicht! E-Book

Anke Elisabeth Ballmann

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Beschreibung

Gebt den Kindern, was sie zur Entwicklung brauchen

Frühe Bildung ist der Schlüssel für ein erfolgreiches Leben. Sie ist Voraussetzung für ein lebenslanges Lernen und das gilt speziell für Kinder im Alter von bis zu sechs Jahren. In vielen Kitas geht es mittlerweile jedoch überwiegend um Aufbewahrung und Versorgung. Da immer mehr Eltern diese aktuelle Entwicklung in Kitas besorgt wahrnehmen, tendieren einige bereits zu einer kitafreien Erziehung und Betreuung zu Hause. Doch das verlagert nur das Problem, löst es aber nicht. Die Frage ist, wie bekommen alle Kinder das, was sie in diesen wichtigen Entwicklungsjahren brauchen?

Was ist also wirklich das Beste für Kinder, für ihre Bildung, um ihnen eine optimale Entwicklung zu ermöglichen?

Die Expertin für frühkindliche Bildung und Bestsellerautorin, Anke Elisabeth Ballmann, greift dieses brisante Thema in ihrem neuen Buch auf und wählt dabei einen pragmatischen Ansatz. Sie zeigt, wie auch unter der aktuellen Personalnot in Kitas Bildung stattfinden kann. Sie gibt Antwort darauf, wie wir gemeinsam das Beste aus der aktuellen Situation machen und uns gleichzeitig für Reformen einsetzen können.

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Inhalt

Frühe Bildung ist Voraussetzung für ein lebenslanges Lernen und das gilt speziell für Kinder im Alter von bis zu sechs Jahren. Sie ist der Schlüssel für ein erfolgreiches Leben. In vielen Kitas geht es mittlerweile jedoch überwiegend um Aufbewahrung und Versorgung. Da immer mehr Eltern diese aktuelle Entwicklung in Kitas besorgt wahrnehmen, tendieren einige bereits zu einer kitafreien Erziehung und Betreuung zu Hause. Doch das verlagert nur das Problem, löst es aber nicht. Die Frage ist, wie bekommen all diese Kinder das, was sie in diesen wichtigen Entwicklungsjahren brauchen? Was ist also das Richtige für die Kinder, für ihre Bildung, um ihnen eine optimale Entwicklung zu ermöglichen?

Die Expertin für frühkindliche Bildung und Bestsellerautorin Anke Elisabeth Ballmann greift dieses brisante Thema in ihrem neuen Buch auf und wählt dabei einen pragmatischen Ansatz. Sie zeigt, wie auch unter der aktuellen Personalnot in Kitas Bildung stattfinden kann. Sie gibt Antwort darauf, wie wir gemeinsam das Beste aus der aktuellen Situation machen und uns gleichzeitig für Reformen einsetzen können.

Autorin

Dr. Anke Elisabeth Ballmann ist Pädagogin, Psychologin und Autorin. Sie setzt sich seit über 25 Jahren für kindgerechtes Lernen und gewaltfreie Pädagogik ein. 2007 gründete sie das Institut »Lernmeer« für die Beratung, Fort- und Weiterbildung pädagogischer Fachkräfte, 2020 die Stiftung »Gewaltfreie Kindheit«. Engagierte Vorträge zu ihren Kernthemen brachten der langjährigen Bildungsreferentin den Ruf einer innovativen Bildungsexpertin ein.

Anke Elisabeth Ballmann

SATTUND

SAUBER

REICHT

NICHT!

Sofortmaßnahmen

für Kitas und Eltern

gegen den Notstand

in der frühen Bildung

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten7 Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Copyright © 2023 Kösel-Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Dr. Daniela Gasteiger

Umschlag: FAVORITBUERO, München

Umschlagmotiv: Jamen Percy Shutterstock.com

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-30799-8V001

www.koesel.de

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

TEIL 1BILDUNG – (K)EINKINDERSPIEL

1. Chancengerechtigkeit – Kitas und das Recht auf Förderung

2. Das spielende Kind – Bildung als wertvollstes Nebenprodukt

TEIL 2BILDUNG – LERNENUNDAUFBLÜHEN

3. Wie funktioniert Entwicklung? – Theoretische Hintergründe und frühpädagogische Konsequenzen

4. Lernwelten – Das Wechselspiel von Anlage und Umgebung

5. Können alle Primaballerina werden? – Intelligenz, Begabung & Co.

TEIL 3BILDUNG – DIEBASISFÜREINGUTESLEBEN

6. Märchenwälder und Bildungspläne – Welche Pädagogik für welches Kind?

7. Familie oder Fremdbetreuung? – Risiken und Nebenwirkungen

8. Abenteuer Einschulung – Wie der Übergang von der Kita in die Schule gelingt

Nachwort

Dank

Anhang

Literatur

Quellen

Einleitung

Der Wert, den Kinder in einer Gesellschaft haben, bemisst sich auch an den Investitionen in frühkindliche Bildung.

Immer mehr zeigt es sich, dass Kitas an ihre Grenzen kommen – das System der frühen institutionellen Bildung ist in Gefahr zu kollabieren. Es gelingt noch, die Kinder zu beaufsichtigen und dafür zu sorgen, dass sie am späten Nachmittag satt und sauber von ihren Eltern in die Arme geschlossen werden können. Aber das reicht nicht und hat mit früher Bildung wenig zu tun. Im Gegenteil, wir nähern uns mit Siebenmeilenstiefeln Kitas, die zu reinen Aufbewahrungsstätten werden. Wir sollten entscheiden, wie lange wir das noch verantworten können und wollen.

Kinder lernen gerne. Sie tun nichts anderes, wenn man sie nicht aktiv davon abhält oder sie Bedingungen aussetzt, in denen es ihnen nicht gut geht. Je weniger Kinder sich wohlfühlen, desto mehr reduzieren sich ihre Bildungsmöglichkeiten.

Dabei hat kindgerechte frühkindliche Bildung nichts mit Ausbildung zu tun. Weder geht es darum, Fakten und Wissen zu vermitteln, noch, die Kinder didaktisch ausgeklügelt auf die Schule vorzubereiten – oder sie gar für den Arbeitsmarkt von morgen »fitzumachen«, von dem ohnehin keiner weiß, wie er aussehen wird und wie man junge Menschen darauf vorbereiten müsste, sollte oder gar könnte. Frühe Bildung ist in erster Linie Persönlichkeitsentwicklung. Die Bildung von Kindern beruht auf ihrem kreativen und fantasievollen Tatendrang, der angeboren ist und nicht von außen erzeugt oder motiviert werden kann. Kinder bilden sich selbst, indem sie sich, die Dinge um sich herum, andere Menschen und Lebewesen beobachten und erforschen. Sukzessiv eignen sie sich mit all ihren angeborenen Sinnen unzählige Fertigkeiten, Fähigkeiten und Wissen an. Ihre natürliche Neugier dient dabei als Antrieb. Kinder reagieren auf alles, was ihnen unbekannt ist. Sie untersuchen die Dinge bis ins kleinste Detail, die winzigste Veränderung erzeugt wie auf Knopfdruck ihre Aufmerksamkeit.

Kinder brauchen deshalb viele Möglichkeiten und viel Zeit, sich intensiv mit ihrer Umwelt auseinanderzusetzen. Sie sehen, hören, schmecken und entdecken mit ihrem ganzen Körper und verbinden einzelne Eindrücke zu einem großen Ganzen. Nie wieder lernen Kinder so viel wie in den ersten sechs Lebensjahren. Alles, was sie dafür benötigen, ist eine reichhaltige und anregungsreiche Umgebung. Sie brauchen keinen Unterricht, keine Programme und keine Lernspielzeuge. Sie brauchen vorrangig Zeit und die Möglichkeit, sich mit alldem zu beschäftigen, was ihr Interesse weckt. Und sie brauchen feinfühlige, liebevolle Bildungsbegleitung von Menschen, die ihnen Sicherheit geben. Im Idealfall finden Kinder diese guten Bedingungen zu Hause und in Kitas.

Gute Bedingungen in den Kitas sind derzeit leider Mangelware, denn Aushänge wie »Heute nur Notbetreuung« oder »Aufgrund des Personalmangels schließen wir leider schon um 13 Uhr« bis zu »Die Schneckengruppe muss heute zu Hause bleiben« sind in Kinderkrippen und Kindergärten Normalität geworden. Kurzfristige Kitaschließungen nehmen zu, weil die Aufsichtspflicht nicht mehr gewährleistet werden kann. Das geschieht zum Schutz der Kinder und des Personals, doch damit häufen sich die Notlagen vieler Eltern. Auch nach der Pandemie leiden Kitas unter dem hohen Krankenstand von Fachkräften. Sie leiden aber vor allem darunter, dass die Kinderbetreuung seit Jahren auf Kante genäht ist. Personalausfall ist nicht vorgesehen. Kommt es dennoch häufig dazu, wie oft in den vergangenen Jahren, beginnt ein fataler Dominoeffekt. Eltern müssen die Betreuung ihrer Kinder anderweitig organisieren und wissen oft nicht, wie sie das leisten können. Wer keine willigen Großeltern oder Freunde zur Verfügung hat, sitzt mit seinen Kindern im Homeoffice oder muss Urlaub nehmen. Zuverlässige außerfamiliäre Kinderbetreuung ist ein wachsendes Problem, und qualitativ hochwertige Bildungsumgebungen in Kitas sind nur in Ausnahmefällen vorhanden.

Ich berate seit dreißig Jahren Eltern und Fachkräfte rund um die Themen Lernen, Begabung, frühe Bildung und kindgerechte Pädagogik. Ich coache Kita-Teams, toure als Weiterbildnerin durch den deutschsprachigen Raum und suche bei alldem immer nach einer Lobby für Kinder. Ich kann sie nicht finden. Mir scheint, Kinder haben keine Lobby, auch wenn sie angeblich das Wichtigste sind, was wir haben. Allein wenn es um die Gewährleistung der Kinderrechte geht, ist das zu erkennen. Das Recht auf Bildung ist nur eines von vielen, das nicht erfüllt wird. Warum das so ist, erfahren Sie im ersten Kapitel.

Gerade angesichts der aktuellen Notlage in den Kitas erkenne ich keine Lobby für Kinder. In der Politik ist das Problem seit Jahrzehnten bekannt. Verändert hat sich wenig, Lösungen sind keine in Sicht. Es gibt nur viele Versprechen, viele Pläne und ein paar klitzekleine Initiativen. Ein paar Millionen für Sprachförderung, Programme für gesunde Ernährung und einige Schnellqualifikationen für zukünftige Fachkräfte. Je nach Bundesland wird mehr oder weniger Geld in die Hand genommen, doch angesichts der katastrophalen Lage sind all das nur wenige Tröpfchen Wasser in die vertrockneten Bildungsbeete der Kindergärten. Hinzu kommt: Mehr Geld allein reicht nicht. Wir brauchen andere Arbeitsbedingungen in den Kitas, wir brauchen reformierte Ausbildungen für Fachkräfte. Die Arbeit in Kitas muss insgesamt attraktiver werden und wesentlich mehr hoch qualifizierte Fachkräfte müssen eingesetzt werden, wenn wir uns für Kinder mehr als Aufbewahrung wünschen. Satt und sauber gelingt vielleicht gerade noch, doch mehr ist kaum möglich und das reicht nicht!

Derzeit fehlen 384.000 Betreuungsplätze1 und 308.000 Fachkräfte, wenn man den kindgerechten, von ausnahmslos allen namhaften Wissenschaftlern2 empfohlenen Personalschlüssel gewährleisten will.Schnell wird klar – das Betreuungs- und Bildungsversprechen der Regierung wird wesentlich teurer als die zusätzlichen vier Milliarden, die in den kommenden zwei Jahren durch das Kita-Qualitätsgesetz von 2022 bewilligt sind. Ich behaupte, das Versprechen, allen Eltern, die sich einen Kitaplatz für ihre Kinder wünschen, einen Betreuungsplatz zu gewährleisten, kann jetzt und auch in der Zukunft nicht gehalten werden. Und wie soll das erst funktionieren, wenn ab 2026 zusätzlich noch eine bundesweite Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder3 garantiert wird? Allein die zusätzlichen Personalkosten für das aktuell noch zu qualifizierende Kita-Personal liegen laut der im Jahr 2022 publizierten Bertelsmann-Studie4 bei 13,8 Milliarden. Es weiß auch noch niemand, wo die vielen Menschen zu finden sind, die sich für eine Aus- oder Weiterbildung zur Fachkraft interessieren. Nicht zu vergessen: Eine Ausbildung, die sich an den derzeitigen Standards staatlich anerkannter Erzieherinnen orientiert, dauert je nach Bundesland zwischen drei und vier Jahren. Es geht auch schneller, doch wie alles im Leben haben Schnellqualifikationen ihren Preis, und den zahlen in erster Linie die Kinder. Davon wird im zweiten Teil dieses Buches ausführlich die Rede sein.

Fakt ist: Es fehlt an allen Lernecken und Bildungsenden. Einerseits werden Familien, die kitafrei leben wollen, viel zu wenig finanziell und beratend unterstützt. Die Rolle der Familie als erster und damit wichtigster Bildungsort5 ist wissenschaftlich gut belegt. Institutionen spielen überraschenderweise für die Bildung der meisten Kinder eine eher untergeordnete Rolle. Im Kapitel 7 zur Betreuung inner- und außerhalb der Familie werde ich das ausführlich darlegen. Wenn man familiäre Bildungsorte finanziell berücksichtigte, würden aus den vom Staat zugesicherten vier Milliarden Euro innerhalb zwei Jahren, die für die Qualitätssteigerung von Kitas gedacht sind, vermutlich schnell vierzig Milliarden für Familien und für Kitas. Ein schöner Gedanke, wie ich finde.

Andererseits fehlen Kitas, es fehlen Betreuungsplätze, es fehlt Personal in den Kitas, es fehlen Ausbildungsplätze für Fachkräfte, für Ergänzungskräfte, es fehlen Studienplätze für Kindheitspädagoginnen, es fehlen qualitativ hochwertige Weiterbildungskonzepte für den Quereinstieg. Man muss nicht hellsehen können, um zu wissen, dass die Kombination alles Fehlenden zu Personalmangel führt – und letztlich zu mangelhaftem Personal. Einfach deshalb, weil die Fachkräfte, die in Kitas arbeiten, auch nur Menschen sind, obwohl sie seit Jahren Übermenschliches leisten. Viele leisten viel, gehen an und über ihre Grenzen. Sie brennen für ihren Beruf, und sie brennen aus.6 Erst sind die Fachkräfte in Gefahr und mit ihnen das ganze System.

Vielen Eltern und pädagogischen Fachkräften gelingt es nicht mehr, ihren eigenen hohen Ansprüchen an gute Pädagogik und liebevolle Bildungsbegleitung gerecht zu werden. Es kann ihnen nicht gelingen, denn die Anforderungen und die Belastungen steigen seit Jahren. Die Coronapandemie hat besonders Eltern und Kita-Personal stark zugesetzt. Während Schulen geschlossen hatten, waren die meisten Kitas offen, mit allen unerwünschten Konsequenzen, in erster Linie für die Kinder. Eltern war der Zutritt verboten, dem Virus auch. Die Eltern hielten sich daran, die Virenvarianten erwartungsgemäß nicht. Vielen Kindern ging es schlecht, weil sie sich am Morgen nicht wie gewohnt verabschieden konnten, stetiger Personalwechsel zur Normalität wurde und sicherheitsgebende Routinen kaum vorhanden waren. In den Kitas war der Notstand ausgebrochen. Er ist geblieben – und die Not ist größer denn je.

Können Sie sich vorstellen, wie es Kindern geht, wenn sie von allen Seiten Anspannung spüren? Ständiger Personalwechsel durch Krankheiten und Kündigungswellen in den Kitas. Eltern, die sich um ihre Jobs, ihre Gesundheit und ihre Kinder Sorgen machen. Malen Sie sich einmal aus, Sie sind ständig von Menschen umgeben, deren Nerven blank liegen, die keine Geduld haben, die permanent innerlich rotieren. All das ist zu viel für Kinder, das belastet sie. Wenn sie belastet sind, suchen sie nach Zuwendung und hören auf, neugierig zu sein. Und wenn Kinder nicht neugierig sind, entsteht keine Motivation, sie wirken uninteressiert und lernen nichts dazu. Kinder brauchen, damit sie sich bilden können und zu forschenden Weltentdeckern werden, Sicherheit, Zuwendung, Trost und Ermutigung von ihren Bindungspersonen. Das können Eltern und Fachkräfte sein. Aber was, wenn niemand da ist?

Leider können jedoch die meisten Kitas Kindern schon seit Jahren keine stabilen Bezugspersonen mehr garantieren. Das bedeutet, die psychischen Grundbedürfnisse der Kinder werden auf Staatskosten vernachlässigt. Grundrechte ebenso wie passgenaue, individuelle Bildungsbegleitung. Wie sollen Fachkräfte es schaffen, auf die Interessen jedes Kindes einzugehen, wenn eine von ihnen allein mit 25 Kindern ist? Das ist schlicht und ergreifend nicht möglich. Selbst eine begnadete Frühpädagogin, gesegnet mit himmlischer Engelsgeduld, reich an Erfahrung und angefüllt mit Wissen, kann das nicht leisten. Was also ist zu tun? Wenn unser Anspruch der ist, dass der Kita-Bereich mehr sein soll als Aufbewahrung unserer angeblich so wertvollen Nachkommen, und wenn Bildung tatsächlich die Grundvoraussetzung für ein erfülltes Leben, eine friedliche Gesellschaft und Chancengerechtigkeit ist, dann bleibt politisch und in den Strukturen viel Arbeit.

Es bleibt die Frage: Was tun wir jetzt? Im Titel verspreche ich Ihnen Sofortmaßnahmen. Deshalb finden Sie viele Tipps für Eltern und Tipps für Kitas, die Ihnen und damit den Kindern sofort helfen. Denn es geht nicht nur um die Gestaltung der Zukunft, es geht auch und ganz besonders um die Kinder, die jetzt klein sind, jetzt lernen, die jetzt darauf angewiesen sind, dass wir ihnen eine Welt kreieren, in der es ihnen gut geht und in der sie gut begleitet werden. Es geht mir jetzt, während ich diese Zeilen schreibe, bei allem Idealismus um die Kinder, die heute Kinder, morgen Jugendliche und übermorgen Erwachsene sind.

Damit das Hauptaugenmerk in Kitas den Kindern gilt, ist der wichtigste Schritt, den Eltern und Kitas zusammen gehen sollten, ein pragmatischer. Zum Wohle der Kinder brauchen wir Erwachsene, die zusammenarbeiten und nicht gegeneinander. Eltern und Fachkräfte sollten einander unterstützen, wertschätzen und versuchen, die jeweilige Lebenssituation des anderen zu verstehen. Es geht um ein Zusammenwirken für Kinder, nicht um ein Gegeneinander und auf keinen Fall um Schuld, Scham oder gegenseitige Versagensvorwürfe.

Lassen Sie uns eine Lobby für Kinder bilden und gemeinsam den Teufelskreis der schlechten Gewissen, der unausgesprochenen Feindschaften und der gegenseitigen Vorwürfe durchbrechen, die den Alltag in so vielen Kitas dominieren. Wenn noch viel mehr Eltern anerkennen, dass Kitas keine Dienstleistungsunternehmen, keine Aufbewahrungsanstalten und schon gar keine Babysitter-Zentren, sondern Bildungseinrichtungen sind, ist ein wichtiges Ziel erreicht. Und wenn Fachkräfte das Recht der Eltern anerkennen, Kinder – aus welchen Gründen auch immer – in Kitas zu bringen und sie nicht zu diskriminieren, weil beispielsweise sehr junge Kinder für viele Stunden in Krippen sind, ist ein weiteres Ziel erreicht. Eltern und Fachkräfte haben immer gute Gründe, warum sie tun, was sie tun. Was alle zusammen schaffen könnten, damit Kinder eine gute Bildungsumgebung haben, steht im Fokus dieses Buches. Die Prämisse, von der ich dabei ausgehe, ist, dass alle Eltern sich für das Wohl ihrer Kinder einsetzen. Welche Rolle Kitas für das Wohl der Kinder spielen, was sie leisten können, leisten wollen, leisten sollten und welche Bedeutung die Anlagen eines Kindes, die Bindungsqualität, die Entwicklung, das Spielverhalten und letztlich die gesamte Umwelt für die Bildung haben, auch darum soll es auf den folgenden Seiten gehen.

Wir sind uns vermutlich einig, dass es unfassbar ist, im derzeit viertreichsten Land der Welt7 keine qualitativ hochwertigen Bildungsmöglichkeiten für Familien und keine entsprechende außerfamiliäre Kinderbetreuung zu haben. Und vielleicht stimmen Sie mir zu, dass der unstillbare Hunger der Wirtschaft nach Arbeitskräften, der auf der Gier des Kapitalismus nach stetigem Wachstum basiert, eine große Rolle bei der Bildungsmisere spielt. Und nicht zuletzt die Idee, dass Kinder exklusiv die Angelegenheit von Eltern sind, die sich zu 100 Prozent kümmern müssen. Zuweilen könnte man denken, Kinder seien das Privatvergnügen ihrer Eltern, gewissermaßen eine Freizeitbeschäftigung, und Kitas der Ort, an dem man sie abgibt, wenn man gerade keine Zeit hat, sich um die lieben Kleinen zu kümmern. Kinder sind meines Erachtens eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, und wir alle sind für die Bildung unserer Kinder zuständig.

Die Revolution, die das System der frühkindlichen Bildung verändert, findet seit Jahren statt, aber sie geht noch, und das Noch sei betont, in eine falsche Richtung. Es ist derzeit eine stille Revolution, eine, die Eltern und Fachkräfte erstickt und besonders Frauen benachteiligt. Es kümmern sich nämlich nicht Eltern, es kümmern sich fast immer Mütter um Kinder, und in den Kitas sind 95 Prozent Frauen beschäftigt. Sie erinnern sich an die Coronakrise? Wer war bei den Kindern, als Schulen geschlossen hatten? Wer ist mit Kleinkindern zu Hause im Homeoffice monatelang am Rand der Belastungsgrenze entlangbalanciert?

Leider sind frühkindliche Bildung und die gesamte Carearbeit noch immer frauendominiert und mütterzentriert. Was mich an dieser Stelle aufregt, ist, dass niemand sich darüber offiziell aufregt. Es passiert nichts im Außen, was in Richtung Veränderung weist, und gleichzeitig passiert so viel im Inneren der Menschen, die oft verzweifelt sind. Kaum jemand geht auf die Straße und demonstriert für bessere Bildungsbedingungen und für Gleichberechtigung. Abgesehen von halbherzigen kleinen Kita-Streiks mit frühzeitig angekündigter Notbetreuung passiert seit Jahren nichts.

Durch zu viele fehlende Kita-Plätze wissen Eltern oft nicht, wie sie Familie und Arbeit vereinbaren können. Da die Lebenshaltungskosten steigen, müssen vielfach beide arbeiten, um Geld zu verdienen. Ich werde in diesem Buch keine Klischees bedienen und nicht bewerten, ob und warum Eltern arbeiten müssen oder wollen. Ich zeige auf, dass alle Entscheidungen, die wir im Laufe unseres Lebens treffen, Konsequenzen und damit einen Preis haben. Ich beschwöre in diesem Buch auch nicht das Ende des wirtschaftlichen Wachstums, das ist weder mein Kompetenzbereich noch meine Aufgabe. Ich halte es für wichtig, einige Zusammenhänge zu benennen, die zur aktuellen Kita-Katastrophe und damit zu einer Bildungskatastrophe geführt haben. Wenn nämlich die Formel heißt: Carearbeit und insgesamt die Arbeit von Frauen sind wenig wert, und junge Kinder sind allein der Job der Mütter, dann ist die logische Folge, dass junge Kinder wenig wert sind, was sich in politischen Lippenbekenntnissen, Sparsamkeit am falschen Ende und der allgemeinen Misere in der frühkindlichen Bildung und Betreuung deutlich zeigt. Es ist nicht genug, wenn Kinder nur beaufsichtigt werden – satt und sauber reicht nicht!

Wie befreien wir Kinder nun aus der aktuellen Bildungsmisere, welche Umgebungen brauchen Kinder zum Lernen, was können wir sofortfür Kinder tun, damit Bildung gelingt? Ich schreibe über Chancengerechtigkeit in der frühen Bildung, über den Einfluss der Anlagen und die Bedeutung der Umwelten. Es geht um die Magie des freien Spielens, die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben, verschiedene pädagogische Ansätze und Chancen, die Kinder in Kitas und Familien haben. Sie lesen von Risiken und Nebenwirkungen außerfamiliärer Betreuung, von den Möglichkeiten, die Kinder in institutionellen Bildungseinrichtungen haben können, und wie die Liebe zu lebenslangem Lernen wächst.

Mit diesem Buch lade ich Sie herzlich auf eine Bildungsreise ein und freue mich sehr, wenn Sie mich begleiten.

TEIL 1

Bildung – (K)ein Kinderspiel

1. Chancengerechtigkeit – Kitas und das Recht auf Förderung

Ein chancengerechter Zugang zu Bildung ist die Basis für Zufriedenheit, Frieden und Freiheit.

Seit August 2013 gibt es den bundesweiten Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz. Laut § 24 SGB VIII gilt: Alle Kinder ab drei Jahren bis zur Einschulung haben Anspruch auf Förderung in einem Kindergarten, die zwischen ein und drei Jahren haben Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Kinderkrippe oder in der Kindertagespflege. Kinder unter einem Jahr haben einen Anspruch auf Betreuung, wenn beispielsweise beide Eltern arbeiten, arbeitssuchend sind, studieren oder sich in einer Ausbildung befinden. Das bedeutet jedoch nicht, dass Eltern sich die Kita frei aussuchen können oder automatisch einen Platz in einer Einrichtung um die Ecke bekommen. Ein Anfahrtsweg von dreißig Minuten auf dem Land oder im städtischen Raum eine Entfernung von bis zu fünf Kilometern gilt als zumutbar. Die politische Idee dahinter ist unter anderem, mehr Chancengerechtigkeit zu schaffen, doch allein durch diese Regelung wird die Chancenungerechtigkeit fixiert. Das ist leider nur der Anfang.

Heute herrscht in der Entwicklungspsychologie die Auffassung vor, dass Kinder nicht nur reaktiv, sondern proaktiv lernen. Das bedeutet, sie handeln selbst und gestalten ihre Umgebung, indem sie sich mit ihr auseinandersetzen. Die Umgebungen, in denen Kinder aufwachsen, sind aber sehr unterschiedlich und definitiv nicht chancengleich. Wie stark die Elternhäuser die Bildungschancen beeinflussen können, werde ich in diesem Kapitel ausführlich beschreiben. Für die Pädagogik in den Kitas bedeuten diese unterschiedlichen Startbedingungen: Im Mittelpunkt steht die individuelle Förderung jedes Kindes und nicht das bloße Üben verschiedener Fertigkeiten wie in früheren Ansätzen, und auch nicht nur die weitgehend unbegleitete Selbstbildung durch Eigeninitiative. Die Entwicklung eines Kindes passgenau zu fördern, ist zentrale Aufgabe nicht nur in den Familien, sondern besonders in den Einrichtungen, die frühkindliche Bildung versprechen. Die Verantwortung ist groß, denn Entwicklungsdefizite erschweren nicht nur den Anschluss an die Peergruppe, also die gleichaltrigen anderen Kinder, sondern sind auch mit einem erhöhten Risiko für Verhaltensauffälligkeiten verbunden.8

Auf den folgenden Seiten blicke ich zunächst auf die historischen Wurzeln des Kindergartens und seine Aufgaben im Wandel der Zeit. Heute gehört er mit seinem Bildungsauftrag fest in das Betreuungssystem von Klein- und Vorschulkindern, und auch darum wird es gehen. Doch schon vor mehr als 180 Jahren entstand der Kindergarten mit einer Idee, die heute wichtiger ist denn je: Pädagogik sollte auch damals eine ökologische Perspektive einnehmen, also alle Lebenswelten der Kinder berücksichtigen und miteinbeziehen – und auch der Gedanke der Chancengerechtigkeit war bereits in Ansätzen vorhanden.

Die ganze Welt in klein – Geschichte des Kindergartens

Der deutsche Pädagoge Friedrich Fröbel (1782–1852) prägte den Begriff des Kindergartens. Er entlehnte den Namen den bisherigen Kleinkinderschulen, die zumeist auch einen Garten aufwiesen. Die Bezeichnung »Kindergarten« wird auch damit in Verbindung gebracht, dass das Kind im Schutze dieses »Gartens« wie eine kostbare Pflanze gehegt werden sollte. Der erste Kindergarten entstand 1840 auf Fröbels Initiative hin in Thüringen.9

Ein Kindergarten sollte nach Fröbel die ganze Welt in vereinfachter Form beinhalten.10 Mit anderen Worten, er sollte dem Kind die Zusammenhänge des Lebens schon von Anfang an vermitteln. Fröbels Hauptargument, warum möglichst viele Kinder einen Kindergarten besuchen sollten, war folgendes: Kinder sind neugierig und wollen ihre Umwelt erkunden. Sie agieren explorativ und verhalten sich experimentierend. Würde Fröbel noch leben, wäre er ein angesagter Wissenschaftler, der vermutlich ein begehrter Gast in Talkshows wäre. Schon zu seiner Zeit verstand er, was viele heute noch nicht verstehen – Kinder bilden sich selbst. Wir Erwachsenen bereiten die Umgebung dafür vor, sorgen für emotionale Sicherheit, begleiten und unterstützen.

Friedrich Fröbels Ansatz war deutlich vom Menschenbild der Romantik geprägt. Sein Blick unterschied sich von früheren pädagogischen Konzepten beispielsweise aus der Zeit der Aufklärung, die vom Kind als einem defizitären Erwachsenen ausgingen. Man sah im Kind ein unfertiges Wesen, das durch eine strafende Erziehung zu einem vernünftigen Menschen gemacht werden müsse. Von der Romantik beeinflusste Pädagogen hingegen erkannten Kinder als eigenständige und vollkommen reine Wesen an. Kinder galten als natürlich, unverdorben und dienten in ihrer schöpferischen Urkraft den Erwachsenen sogar als Vorbild.11 Ansatzweise finden sich diese Gedanken auch bei Jean-Jacques Rousseau und Johann Heinrich Pestalozzi, dem Lehrer Fröbels.

Fröbel gilt nicht nur als der Erfinder des Kindergartens in Deutschland, sondern auch als Begründer der Pädagogik der frühen Kindheit weltweit. Er wünschte sich frei denkende und selbsttätige Menschen. Insofern ist er ganz klar ein Kind seiner Zeit, die durch Demokratiestreben geprägt war. Entsprechend fanden seine Schriften großen Anklang. Er begriff ein Kind in jeder Lebensphase als Individuum, das in vielfältige Umgebungen eingebettet war, und betrachtete die bewusste »Pflege« der Bildung und Erziehung aller Kinder als eine notwendige und wichtige Aufgabe.12

Dem Spiel räumte Fröbel eine Sonderstellung innerhalb der frühen Bildung ein. Spielen war ihm zufolge die wirksamste Selbstbildungsmethode junger Kinder. Fröbel hat in seinem ganzheitlichen Ansatz bereits im 19. Jahrhundert beschrieben, was in der Psychologie und Erziehungswissenschaft heute empirisch nachgewiesen werden kann.13 Schon die antike Erziehung sah im Spiel ein wichtiges Mittel, das Gleichgewicht der persönlichen Kräfte im Kind zu erreichen.14 Die spätere Pädagogik wird ebenso die Wichtigkeit des Spiels betonen, gerade wenn es um die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern geht. Auch der Pädagoge Pestalozzi, der Arzt und Philosoph John Locke und der Aufklärer Rousseau sahen im Spiel effektive Möglichkeiten für Kinder, zu lernen und dabei für sich selbst den Grundstock für technisches Können, Wissen und die Ausbildung eines funktionierenden Moralverständnisses zu legen.

Fröbel erkannte im Spiel vor allem jenen Bildungsfaktor, durch den Kinder im Spielerleben als harmonisches Ganzes in die Welt hineinwachsen und sich selbst als Teil von ihr begreifen. Aus heutiger Sicht ging es Fröbel darum, den Kindergarten »kindgerecht« zu gestalten. Kinder sollten Zeit, Materialien und Möglichkeiten bekommen, ihre elementare Welt in Ruhe zu entdecken. Dabei war Aufgabe der Erziehenden, den Kindern zu einer inneren Konzentration durch von außen gesetzte Regeln und Strukturen zu verhelfen, damit sie Gesetzmäßigkeiten erkennen und sich darin frei bewegen. Ich denke, an dieser Stelle wird besonders deutlich, wie groß der Beitrag sein kann, den eine gute Kita zu leisten vermag. In diesem Buchteil finden Sie ein vertiefendes Kapitel über die besondere Bedeutung des Spielens, das Lebens- und Lernelixier der Kindheit. 

Die von Fröbel erdachten Kindergärten unterschieden sich deutlich von den damals reichlich vorhandenen »Bewahranstalten« für Kinder. Fröbel hat seinerzeit den Kindergarten als Glied des Bildungswesens angesehen, wie wir es heute von Kitas erwarten. Im Zentrum stand jedoch die schlichte Tatsache, dass der Kindergarten ein Beitrag zur Sozialfürsorge war, damit berufstätige Mütter eine gewisse Zeit des Tages einer Erwerbsarbeit nachgehen konnten.

Fröbels Erziehungsmaximen sind heute wieder sehr aktuell, denn seine Pädagogik bezieht das Kind mit seinen Eltern, die Öffentlichkeit und das aktuelle Lebensumfeld mit in die Erziehung ein. Er verlangte eine fundierte Ausbildung der Erziehenden, die sowohl Persönlichkeit und soziale Kompetenzen wie auch Sachkompetenzen umfasst. Sprachförderung vom Säuglingsalter an, die Bedeutung von Musik und Bewegung, Rollenspiele, Zeichnen, Malen, Gestalten, Sinnesförderung, Naturbeobachtung, Forschen und Experimentieren durch Selbsttätigkeit und in Kooperation mit anderen, das alles spielte bei Fröbel schon 1840 eine zentrale Rolle. Früher wie heute werden die Ansprüche der Kinder aber nur unzureichend erfüllt. Dafür trägt die Politik die Hauptschuld, denn sie bewilligt Finanzierungen oder auch nicht. Das Problem ist nicht nur, aber meistens Geldmangel. Das betrifft die Unterstützung von Familien und Kitas, die Ausbildungsplätze für Fachkräfte und den flächendeckenden Einsatz von Familienhelferinnen.

Schon Fröbel sorgte sich um die Entwicklung der Kinder, wenn diese nicht gemäß ihrem Wesen auf den Eintritt in die Welt vorbereitet würden. Er forderte ein, dass sich ein Berufszweig zu etablieren habe, der junge Männer und Frauen dazu befähigen sollte, im Kindergarten Sorge für Kinder zu tragen. Aus diesem Grund musste er sich zu seiner Zeit mit dem Vorwurf auseinandersetzen, die frühkindliche Erziehung der Familie zu entreißen und sie in gesonderten Institutionen unterbringen zu wollen. Auch damals gab es Stimmen gegen Kindergärten, die diese als »Nothilfeeinrichtungen«15 verdammten. Das Ideal war die ausschließliche Erziehung des Kindes innerhalb und durch die Familie. Er selbst argumentierte, dass der Kindergarten die Familien lediglich entlasten und keinesfalls entmachten sollte.

Mir kommen die Argumente beider Seiten bekannt vor. Inzwischen haben wir zwar verschiedene Berufsgruppen, die für die Bildung, Begleitung, Erziehung und Versorgung von Kindern mehr oder weniger gut ausgebildet sind, aber noch immer haben viele Menschen Kita-Ängste. Sie denken, dass die Kinder ihren Eltern weggenommen und verstaatlicht werden, andere sorgen sich um zu wenig Input für Kinder, und wieder andere haben große Not, weil sie nicht wissen, wo sie ihre Kinder betreuen lassen können, während sie den Lebensunterhalt verdienen müssen. Und wie so oft im Leben ist in jedem Argument ein Körnchen Wahrheit, wenn auch nur der eigenen. Sicher hingegen ist, dass es derzeit noch immer eine zementierte Chancenungerechtigkeit gibt, denn sowohl bei Eltern als auch bei Fachkräften sind Informationen über die kindliche Lernentwicklung und Wissen über frühe Bildung ungleich verteilt. Das aber führt Kinder oft in psychische Notlagen, wie Sie in Kapitel 7 lesen können.

Weil ich so viel über Fröbel schreibe, und weil seine Ideen jenen der modernen Bildung so sehr entsprechen, ist es mir wichtig zu betonen, dass der internationale Träger der »FRÖBEL-Gruppe« absolut nichts mit dem Pädagogen Friedrich Fröbel zu tun hat, sondern nur seinen Namen trägt. Im Gegensatz zu Montessori-, Pikler- und Waldorf-Pädagogen gibt es keine Qualifikation für eine Fröbel-Pädagogik. Im dritten Teil beschreibe ich die verschiedenen pädagogischen Konzepte, um Ihnen mehr Sicherheit bei der Wahl der richtigen Kita für Ihr Kind zu geben. Der Fokus auf Fröbel an dieser Stelle ist seiner alten und gleichzeitig so aktuellen Sicht auf Kinder und dem Auftrag von Kitas geschuldet.

Bildungsauftrag heute: Was sollen Kinder lernen?

Seit der Zeit Fröbels haben Kindergärten vielfältige Entwicklungen durchlaufen, und es haben sich unterschiedliche Ausrichtungen wie beispielsweise Montessori- und Waldorfkindergärten herausgebildet. Zudem hat sich ein allgemeiner Bedeutungswandel vollzogen: Kitas gelten heutzutage weniger als Betreuungs- und vielmehr als Bildungseinrichtung. Rechtlich sind Kitas in Deutschland den Sozialbereichen zugeordnet. Sie gehören zur Kinder- und Jugendhilfe und sind dort in einer sozialpädagogischen Ausrichtung mit Erziehungs-, Bildungs- und Betreuungsauftrag verankert. Der Begriff »Kita« bezeichnet generell vorschulische Betreuungseinrichtungen für Kinder, allerdings sind die Ansätze und Schwerpunkte unterschiedlich. Kindertageseinrichtungen sind in einer allgemeinen Definition familienergänzende, sozialpädagogische Einrichtungen, die von Kindern tagsüber oder während eines Teils des Tages regelmäßig besucht werden. Es gibt Kinderkrippen für Säuglinge und Kleinkinder bis zum Alter von drei Jahren, Kindergärten für Kinder von drei Jahren bis zur Einschulung. Der Besuch des Kindergartens ist freiwillig und je nach Bundesland, Träger und Betreuungsdauer mit unterschiedlich hohen Gebühren verbunden. Nicht zu vergessen sind die Horte, in denen Kinder bis zum zwölften Lebensjahr vor und nach der Schule betreut werden. In kombinierten Tageseinrichtungen wie »Häusern für Kinder« werden Kinder verschiedener Einrichtungsarten, wie beispielsweise Krippe, Kindergarten und Hort, auch in altersgemischten Gruppen zusammengefasst. Nicht zuletzt gibt es Sonderkindergärten, die speziell für schwer- und mehrfach behinderte Kinder, gemäß Bundessozialhilfegesetz §§ 39 ff., zuständig sind, weil deren Förderung in einem Regelkindergarten nicht ausreichend gewährleistet werden kann.

Seit gut zehn Jahren hat jedes Kind im Vorschulalter einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz. Praktisch ist dieser Anspruch aufgrund des teilweisen erheblichen Mangels an Betreuungsplätzen besonders in den alten Bundesländern aber nicht umsetzbar – dies gilt vor allem für die Jüngsten in den Kinderkrippen. Ich stelle deshalb in Frage, dass der Rechtsanspruch aktuell kindgerecht eingelöst wird. Durch fehlendes und mangelhaft ausgebildetes Personal besteht die Gefahr, dass Kitas zu reinen Aufbewahrungseinrichtungen verkommen, die keinerlei Bildungsauftrag mehr erfüllen können. Kitas sollen aber den Aktionsradius von Kindern über das familiäre Umfeld hinaus erweitern und umfassende Erfahrungs-, Entwicklungs- und damit Lernmöglichkeiten eröffnen. Es wäre ein Verbrechen an unseren Kindern, wenn wir ihnen die frühe Bildung in den Kitas verwehren, aber genau das geschieht gerade.

Ein bedeutender Schritt für den Kindergarten als Betreuungseinrichtung wurde in den 1970er Jahren gemacht, als der Deutsche Bildungsrat den Kindergarten als einen wichtigen Teil des Bildungswesens anerkannte. Bildungspläne, auf die ich noch zurückkommen werde, hielten in den 1990er Jahren Einzug in die Kitas.16 Sie gehen auf die gesellschaftlichen Veränderungen in dieser Zeit zurück, in der die Erwerbsquote von Frauen stieg, sodass die Nachfrage nach Kita-Plätzen stieg. Gleichzeitig wurden die Anforderungen an die frühkindliche Bildung und Erziehung höher, was eine stärkere Regulierung und eine Standardisierung der Arbeit in Kitas zur Folge hatte. 1996 schließlich wurde zunächst der Kindergartenbesuch durch einen rechtlichen Anspruch abgesichert.

Der Rechtsanspruch brachte neue Ansätze zur Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung mit sich.17 Im Zuge der öffentlichen Debatte um die internationalen Schulleistungsstudien, die auf die Veröffentlichung der PISA-Studie im Jahr 2000 folgten, wurde die Bedeutung früher Bildung für die kindliche Entwicklung und das kindliche Lernen erneut hervorgehoben. Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass die Leistungen der deutschen Schüler in Deutsch, Mathematik und in den Naturwissenschaften deutlich unterhalb des OECD-Durchschnitts lagen. Gerade die Länge des Kindergartenbesuchs scheint einen großen Einfluss auf die späteren Leistungen in Naturwissenschaft, Mathematik und Lesen zu haben. Tatsächlich gibt es Hinweise, dass ein höheres späteres Leistungsniveau stark mit der vorausgehenden Länge des Kindergartenbesuchs zusammenhängt.18

Die Politik hebt die bildende Funktion von Kitas zumindest theoretisch besonders hervor. Kitas werden als integraler Bestandteil der Kette von wichtigen Bildungsinstitutionen begriffen.19 Sie sollen kognitive, mathematische und sprachliche Fähigkeiten fördern und die Lernmotivation von Kindern steigern.20 Besonderes Augenmerk wird dabei auf den Spracherwerb gelegt. Neben der allgemeinen Sprachförderung für alle Kinder werden dabei besonders Kinder mit Förderbedarf in der deutschen Sprache in den Blick genommen. In Deutschland bestehen fast flächendeckend Initiativen zur Sprachförderung bei Kindern im Vorschulalter, und positive Effekte einer außerfamiliären Kinderbetreuung auf den Spracherwerb sind besonders bei mehrsprachigen Kindern deutlich nachweisbar.21 Konkrete Lernziele sind für diese Sprachförderung allerdings nicht formuliert, und die Qualität der Entwicklungsbeobachtungen wird auch nicht überprüft.22

Jedes Bundesland hat einen eigenen Bildungsplan für die Kitas. Das gemeinsame Ziel aller dieser Pläne ist, die Qualität der frühkindlichen Bildung und Erziehung zu verbessern und dadurch gleichzeitig mehr Bildungsgerechtigkeit zu ermöglichen. Die Bildungspläne legen die Anforderungen an die Bildung und Erziehung in den Kindertagesstätten fest und geben teilweise Rahmen für die Vermittlung von Wissen und Kompetenzen vor. Die Bildungspläne enthalten in der Regel gemeinsame Strukturen und Inhalte, die sich theoretisch an den Bedürfnissen und Interessen der Kinder orientieren. Obwohl die Pläne in Deutschland inhaltlich aufeinander abgestimmt sind, gibt es dennoch Unterschiede, beispielsweise in der Gewichtung bestimmter Inhalte oder Kompetenzen. Auch die Altersstufen, für die die Bildungspläne gelten, variieren von Bundesland zu Bundesland. Einige Bundesländer haben einen gemeinsamen Bildungsplan für Kindertagesstätten und Grundschulen, während andere über getrennte Bildungspläne verfügen. Einige Bundesländer haben auch spezielle Bildungspläne für bestimmte Einrichtungen oder Zielgruppen, wie zum Beispiel inklusive Bildungspläne oder Bildungspläne für Kinder mit Migrationshintergrund. Trotz dieser Unterschiede gibt es auch viele Gemeinsamkeiten. So sind jeweils ähnliche Bildungsbereiche definiert, wie beispielsweise Sprache, Mathematik, Natur und Umwelt, Musik, Bewegung und Gesundheit sowie soziale und emotionale Bildung. Nicht zuletzt geht es in der frühen Bildung darum, die körperliche Entwicklung zu fördern und die Gesundheit der Kinder durch gute Ernährung aufrechtzuerhalten.

All das geschieht im Idealfall nicht durch vorgefertigte Programme, die einzelne Kompetenzen trainieren, sondern im gelebten Alltag, in dem Kinder gemeinsam an Projekten arbeiten. Nur dann ist es möglich, dass jedes Kind sich individuell einbringt. Was das bedeutet und wie wichtig dabei die jeweiligen Lebenswelten der Kinder sind, erfahren Sie im zweiten Teil des Buches.

Ein weiterer wichtiger Aspekt, der in allen Bildungsplänen eine besondere Rolle spielt, ist die Zusammenarbeit mit den Eltern. Kurze Gespräche zwischen Tür und Angel, Elternabende, Entwicklungsgespräche, gemeinsame Aktionen mit Eltern, wie Feste, Vorlesetage und Hospitationen, sollten in jeder Kita regelmäßig stattfinden. Meist ist das auch der Fall. Wie so oft im Leben steht und fällt aber auch diese Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit der jeweiligen Haltung des Kita-Teams gegenüber den Eltern und andersherum. Leider beobachte ich in der Praxis gerade in diesem Bereich viel Unverständnis füreinander und eine durchaus ausbaufähige Zusammenarbeit. Klar ist, nur wenn Eltern und Fachkräfte zusammenhalten, können sich Kinder in Kitas wohlfühlen, und nur dann werden sie sich auf die Menschen und die Angebote, die in Kitas gemacht werden, einlassen können. Tun sie das nicht, weil sie nach Hause wollen, ihre Eltern vermissen, unter- oder überfordert sind, wird Bildung nicht gelingen, und die sozial-emotionale Bildung schon gar nicht.