Scenario Planning Extreme - Martin Gillo - E-Book

Scenario Planning Extreme E-Book

Martin Gillo

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Beschreibung

Wir leben in Zeiten tiefgreifenden Wandels. Wie bereiten wir uns auf eine Welt vor, die 25 Jahre in der Zukunft liegt? Eine geniale Antwort darauf ist Scenario Planning, das verschiedene mögliche Zukünfte mit Rückspiegelperspektive erkundet und für jede von ihnen Erfolgsstrategien entwickelt. Das hier vorgestellte Scenario Planning Extreme geht einen Schritt weiter und nimmt bewusst auch extreme Zukünfte mit schwarzen Schwänen in den Blick. Gemeint sind plötzliche Ereignisse, die immer wieder als unwahrscheinlich ausgeblendet werden und in Organisationen nicht selten zu katastrophalen Fehlentscheidungen führen. Dieses Buch ist sowohl Gebrauchsanleitung für Scenario Planning Extreme für alle Interessierten als auch Kaleidoskop des menschlichen Denkens, Wunschdenkens und Handelns, die ein erfolgreiches Meistern der Zukunft sowohl behindern als auch fördern können. Das Ziel: erfolgreich in jeder Zukunft. Zwei Kapitel über Migration nach Europa sowie Umgang mit psychoaktiven Substanzen zeigen, dass Scenario-Planning-Extreme-Analysen hilfreicher sind als Tabuisierungen.

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Seitenzahl: 250

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Spielerisch vorbereiten auf extreme Zukünfte

Wir leben in Zeiten tiefgreifenden Wandels. Wie bereiten wir uns auf eine Welt vor, die 25 Jahre in der Zukunft liegt? Eine geniale Antwort darauf ist Scenario Planning, das verschiedene mögliche Zukünfte mit Rückspiegelperspektive erkundet und für jede von ihnen Erfolgsstrategien entwickelt.

Das hier vorgestellte Scenario Planning Extreme geht einen Schritt weiter und nimmt bewusst auch extreme Zukünfte mit „schwarzen Schwänen“ in den Blick. Gemeint sind plötzliche Ereignisse, die immer wieder als unwahrscheinlich ausgeblendet werden und in Organisationen nicht selten zu katastrophalen Fehlentscheidungen führen.

Dieses Buch ist sowohl Gebrauchsanleitung für Scenario Planning Extreme für alle Interessierten als auch Kaleidoskop des menschlichen Denkens, Wunschdenkens und Handelns, die ein erfolgreiches Meistern der Zukunft sowohl behindern als auch fördern können. Das Ziel: erfolgreich in jeder Zukunft.

Kapitel über Migration nach Europa sowie Umgang mit psychoaktiven Substanzen zeigen, dass Scenario-Planning-Extreme-Analysen hilfreicher sind als Tabuisierungen.

Martin Gillo versteht sich als lebenslanger Lerner mit abwechslungsreicher Vita: Organisationsforscher, Unternehmensberater in Deutschland und den USA, Personalmanager im Silicon Valley in Kalifornien und in Genf, Geschäftsführer einer U.S.-Halbleiterfabrik in Dresden, Sächsischer Staatsminister für Wirtschaft und Arbeit, Gastprofessor für Sozialund Organisationspsychologie, Sächsischer Ausländerbeauftragter, Lehrender, Berater, Mentor und seit rund 20 Jahren in mehreren Ländern mit Scenario Planning befasst.

www.scenarioplanningextreme.com

Widmung

Für alle, auf deren Schultern wir stehen.

Inhaltsverzeichnis

Verwendete Begriffe

Einleitung

Teil I: Worte lehren. Beispiele überzeugen.

1.1 Wir Welterklärerinnen

Erfundene Wirklichkeit

Wir Wahrsagerinnen

Verführerisches Realitätsmodell Erfolg: AT&T, IBM, Nokia

Augen auf, Automobilbranche!

1.2 Das ist Scenario Planning Extreme

Fliegen mit einem Bein auf der Erde: Die Scenariomethode/-technik

Schwarze Schwäne: Große Veränderungen über Nacht möglich

Scenario Planning Extreme definiert

Extreme Zeiten. Extremer Wandel.

1.3 Chefsache Scenario Planning Extreme

Realitätsmodell MeLeO

Wenn bewährte Paradigmen verdrängt werden

Geheime Zutat Miteigentümerschaft

Scenario Planning Extreme: Eine Reise in zehn Schritten

Entscheidungsträgerinnen einbinden

1.4 Scenario Planning Extreme in der Politik

Gemeinnützige NGOs

1.5 Die Lernende Organisation

Denken in Systemen

An sich arbeiten

Erkenntnis als Hypothese

Gemeinsame Visionen

Lernen als Team

Wie schaffen wir uns eine Lernende Organisation?

1.6 Spielend lernen im Team

Gruppendynamik, Flow und FlowTeam Dynamics

Teil II: Scenario Planning Extreme für alle

Schritt 1: Das Team

Die Spielregeln des Seminars

Einstellungen der Teilnehmerinnen

Schritt 2: Die Klientin

Warum Werte wichtig sind

Das externe Seminar

Das unternehmensinterne Seminar

Das Pilotprojekt

Immer zwei Klientinnen in der Politik

Schritt 3: Die Schlüsselfrage

Schritt 4: Relevante Trends

Vorbereitung auf das Seminar

Im Seminar

Von Einzelbeobachtungen zur gemeinsamen Trendwand

Miteigentümerschaft auch bei Zeitbeschränkungen

Schritt 5: Von Trends zu Extremscenarios

Schritt 6: Storyboards

Auch Zukünfte haben eine Persona

Schritt 7: Strategien

Transformieren oder adaptieren

Strategien aus Rückspiegelperspektive

Drei Scenario-spezifische Strategien

Schritt 8: Scenario-Wecksignale

Die Unterstützerinnen unserer Strategien

Schritt 9: Die Klientin gewinnen

Die Klientin auch für Scenario Planning Extreme gewinnen

Scenarios mitgestalten

Schritt 10: Scenario Planning Extreme umsetzen

Teil III: Scenario Planning Extreme über unsere Welt

3.1 Karriereplanung für Extremscenarios

Karrieren in allen Zukünften

Am Anfang steht das Ich

Prototypen für Scenario-Karrieren

Nur das Tun zählt

Sinnvolle Scenariokarrieren für jedes Alter

3.2 Scenario Planning Extreme über Migration und Integration

Langzeitperspektive für erfolgreiche Integration in Europa

Die Situation 2015

Nachdenken über langfristige Lösungen

Vier Scenarios

Strategien zur Stärkung der europäischen Integration und Identität

Zusammenfassung

Ist politisches Nachdenken ohne Scheuklappen zu gefährlich?

3.3 Scenario Planning Extreme über Alternativen zu Drogenverboten

Mut zum Nachdenken über Extreme

Was wäre besser als Drogenverbote?

Angstfreies Nachdenken auch über andere kontroverse Themen

3.4 Scenario Planning Extreme: Gemeinsam in jeder Zukunft erfolgreich

Nachwort von Charles Hampden-Turner

Übersetzung

Anhänge

Ausgewählte Literatur

Dank

Quellenangaben mit zum Teil persönlichen Anmerkungen

Verwendete Begriffe

1926 ern: Die menschliche Tendenz, eine tiefe Überzeugung auch bei Beweis des Gegenteils nicht etwa aufzugeben, sondern an ihr noch überzeugter festzuhalten.

Assimilations-Kontrast-Effekt: Informationen, die der eigenen Meinung nahekommen, werden als Bestätigung dieser Meinung angesehen. Informationen, die von der eigenen Überzeugung zu weit entfernt sind, werden emotional abgelehnt.

Design Thinking: Wie eine Produktentwicklerin denken. Es beinhaltet das Verstehen, Beobachten, Standpunkt definieren, Ideen finden, Prototyp erstellen, Testen, Verbessern und Wiederholen, bis die Lösung erreicht ist.

Imaginieren: Das gemeinsame, kreative Vorstellen eines Teams von möglichen Zukünften in 25 Jahren, in der sich verschiedene gegenwärtige Trends exponentiell verstärkt und zu extremen Veränderungen geführt haben.

Die Lernende Organisation: Eine Organisation, die im ständigen Lernen der Organisation und ihrer Mitarbeiterinnen ihren Hauptkonkurrenzvorteil erkennt und danach handelt.

Das Menschliche Lebewesen Organisation (MeLeO): Es hilft, eine Organisation analog zu einem Menschen zu verstehen, die ihren eigenen Sinn und Zweck hat, ihr volles Potenzial erreichen und lange existieren will. Das gilt sowohl für Unternehmen, MeLeO(U) als auch für politische Organisationen MeLeO(P).

Miteigentümerschaft: Eine Person identifiziert sich als Miteigentü-merin einer Idee, wenn sie an deren Entwicklung beteiligt war. Miteigentümerschaft ist eine der stärksten Kräfte der menschlichen Motivation.

Positive Deviance: Positive Abweichungen. In jeder Gemeinschaft gibt es Individuen, deren unkonventionelle Verhaltensweisen zu Lösungen für scheinbar unlösbare Probleme geführt haben. Die gilt es, für die Gemeinschaft zu entdecken und zu nutzen.

Quantitative Scheuklappen: Die Gefahr, durch das Bestehen auf Berechenbarkeit von Tendenzen mögliche extreme Entwicklungen in der Zukunft auszublenden und deshalb später daran zu scheitern. Wer Extreme ausblendet, kann sich nicht auf sie vorbereiten.

Realitätsmodell: Wir erkennen nicht die Wirklichkeit, sondern nur das Modell, das wir uns mit Hilfe unserer eigenen Erfahrungen und den übernommenen Ansichten und Perspektiven aus unserem Umfeld von ihm gemacht haben. Realitätsmodelle sind nur Landkarten, nicht die Landschaft selbst.

Rückspiegelperspektive: Erfolgsstrategien sind leichter aus der rückblickenden Sicht der Zukunft auf die Gegenwart zu erkennen. Das macht sich das Scenario-Planning-Extreme-Team zunutze, indem es zuerst die Zukunft beschreibt und dann von dort aus Erfolgsstrategien entwickelt.

Scenario-Wecksignale: Unauffällige Hinweise darauf, dass ein bestimmtes Scenario im Begriff ist, Wirklichkeit zu werden und es Zeit ist, die dafür vorbereiteten Strategien umzusetzen.

Der Sinn des Lebens: Mein Selbstverständnis, dass sich aus meiner Vergangenheit, meinen Zuneigungen und Loyalitäten ergibt; aus der Menschheitsgeschichte, wie sie mir überliefert wurde; aus meinen Begabungen sowie meinen Einsichten und Erkenntnissen; aus den Dingen, an die ich glaube; aus den Dingen und den Menschen, die ich liebe; aus den Werten, für die ich bereit bin, Opfer zu bringen.

Schock-Doktrin: Naomi Kleins kontroverse These, dass der globale freie Markt nicht demokratisch gesiegt hat und dass uneingeschränkter Kapitalismus nicht automatisch zu Demokratie führt. Sie argumentiert, dass westliche Politik seit 70 Jahren konsequent auf Gewalt und Schock gesetzt hat, um die Welt zwangszubeglücken.

Schwarze Schwäne: Das Auftauchen unvorhergesehener Veränderungen, die bislang für unmöglich gehalten wurden; benannt nach der Überraschung bei der Entdeckung Australiens, dass Schwäne dort nicht weiß, sondern schwarz waren.

Die siamesischen Zwillinge: Unsere Realitätsmodelle sind mit unserem Lebenssinn untrennbar verbunden. Wer sein Realitätsmodell ändert, verändert damit auch seinen Lebenssinn und umgekehrt.

Stakeholderinnen: Interessengruppen; Personen, Gruppen oder Institutionen, die von den Aktivitäten eines Unternehmens direkt oder indirekt betroffen sind und versuchen, auf das Unternehmen Einfluss zu nehmen.

Storyboard oder Szenenbuch: Die Visualisierung eines Konzeptes oder einer Idee. Im Scenario Planning Extreme wird sie für die Visualisierung eines Scenarios mit seinen hauptsächlichen Trends und ihrer zeitlichen Entwicklung über 25 Jahre genutzt.

Wirklichkeit: Die Welt, so wie sie ist. Für uns ist sie nur indirekt erkennbar, und zwar wenn unsere Realitätsmodelle an ihr scheitern. Durch ständiges Lernen und Testen unserer Realitätsmodelle können wir ihr näherkommen.

Zeitkarawane der Zustimmung: Zeitliche Abfolge bei gesellschaftlichen und organisatorischen Veränderungen. Die Trendsetterinnen gehen voran, später gefolgt von frühen Trendaufgreiferinnen, noch später von der großen Mehrheit der Trendfolgerinnen. Das lange verzögerte zeitliche Schlusslicht bilden die Bedenkenträgerinnen.

Einleitung

Das Erfolgsgeheimnis besteht darin,

bereit zu sein, wenn sich

die Gelegenheit bietet.

Benjamin Disraeli

Unsere Welt ist gezeichnet durch radikalen Wandel1. Schwarze Schwäne2, also Veränderungen, die wir gestern noch für nicht möglich gehalten hatten, verändern heute unser Leben. Die Industriegeschichte der jüngsten 50 Jahre ist gefüllt mit Beispielen von Unternehmen, die ihren Markt beherrschten, aber exponentiellen Wandel darin nicht wahrhaben wollten, selbst wenn sie ihn miterlebten, bis sie daran scheiterten.

Scenario Planning Extreme ist eine überraschende Antwort auf die Frage, wie wir für die Zukunft auf lange Sicht von 25 Jahren planen sollen, wenn wir gar nicht wissen können, wie sie aussehen wird. Wir imaginieren, welche verschiedenen Zukünfte möglich sind, und bereiten uns auf jede von ihnen vor. Scenario Planning Extreme nimmt dabei bewusst extreme Zukunftsmöglichkeiten in den Blick, die wir oft aus verschiedenen Gründen ausblenden.

Quantitative Methoden sind gut für kurz- bis mittelfristige Planung. Doch auch die besten mathematischen Formeln versagen bei exponentiellen Veränderungen. Das trifft auch auf die im deutschsprachigen Raum bekannte Scenario-Technik/Methode zu, die sich auch auf quantitative Analysen stützt.

Unsere Antwort auf die Frage nach der Vorbereitung auf extremen Wandel ist das vorliegende Buch über Scenario Planning Extreme. Es zeigt, wie wir uns auf exponentielle Veränderungen in unserer Welt vorbereiten können, und setzt bewusst auf Imagination und Diversität der Perspektiven, die die Vielfalt der Welt widerspiegeln, in der sich Organisationen auf ihre Zukunft vorbereiten wollen. Der Ansatz arbeitet mit rein qualitativen Mitteln. Es ist frei von quantitativen Methoden, die bewusst oder unbewusst die Weite der in Betracht gezogenen Zukunftsmöglichkeiten einschränken und mit denen sich Organisationen selbst Scheuklappen anlegen. Das kann desaströse Konsequenzen für sie haben, wie wir sehen werden. Die Zukunft lässt sich nicht eingrenzen. Sie wird, wie sie wird, ob wir das wollen oder nicht.

Im Scenario Planning Extreme stellen wir uns den Raum aller möglichen Zukünfte vor und entwickeln in der Regel vier sehr verschiedene Scenarios als Orientierungspunkte. Das ähnelt der Triangulierung in der Geodäsie bei der Erstellung von Landkarten. Scenario Planning Extreme kann von allen interessierten, engagierten, neugierigen und unvoreingenommenen Teams in zehn verständlichen Schritten durchgeführt werden. Diese Vorgehensweise hat sich in über 15 Jahren immer wieder in Seminaren an verschiedenen Universitäten bewährt. Der Zweck von Scenario Planning Extreme ist die Erarbeitung von Strategien, mit denen die den jeweiligen Scenarios entsprechenden Chancen und Bedrohungen erkannt und genutzt werden können; denn auch in bedrohlichen Zeiten lassen sich sogar Milliardengewinne machen, wie George Soros3 immer wieder gezeigt hat.

Scenario Planning Extreme arbeitet mit ergebnisoffener Imagination, die sich durch qualitative Beispiele, Analogien und Metaphern erschließt. Die wechseln sich im Buch deshalb immer mit der Beschreibung der schrittweisen Entwicklung von Zukunftsscenarios und den dazu passenden Erfolgsstrategien ab.

Um das mit einer Metapher zu beschreiben: Die Lektüre unseres Buches ist wie eine abwechslungsreiche Skiabfahrt. In dieser Metapher ist die Scenario-Planning-Extreme-Vorgehensweise unsere Skiabfahrt. Der herausfordernde Berg, den wir dabei herunterfahren müssen, stellt unsere eigenen Realitätsmodelle von der Wirklichkeit dar; denn letztere können wir nur indirekt über Modelle imaginieren, die wir von ihr produziert haben. Unsere Realitätsmodelle haben vielerlei mentale Gletscherspalten, Klippen und Bäume, die unsere Abfahrt jäh beenden können. Statt den Berg unserer Realitätsmodelle in einer geraden Linie herunterzubrettern wie ein Schneepflug, gleiten wir ihn mit vielen S-Kurven hinunter und kommen dadurch wohlbehalten mit neuem Sachverständnis und einem wirklichkeitsnäheren Realitätsmodell im Tal der Zukunftschancen an, die wir uns dann zunutze machen können.

Dadurch ist unser Buch sowohl eine Gebrauchsanleitung für Scenario Planning Extreme als auch ein Kaleidoskop von Beispielen menschlichen Denkens, Wunschdenkens und Handelns. Das erstere betrifft die Frage: Wie führt man ein Scenario-Planning-Extreme-Projekt durch? Das zweite leuchtet aus, wie wir unsere Realitätsmodelle immer wirklichkeitsnäher machen können.

Teil I beschreibt die konzeptionellen Grundlagen von Scenario Planning Extreme und die Erkenntnisse über unsere Wahrnehmung der Welt. Wir sehen sie nämlich nur indirekt durch die Brille unserer Realitätsmodelle, die wir uns von der Wirklichkeit machen und die unsere Fähigkeit beeinträchtigen können, wichtige Veränderungen in der Welt frühzeitig zu erkennen.

Teil II beschreibt die Vorgehensweise des Ansatzes in zehn klaren und nachvollziehbaren Schritten. Wie realisiert man solch ein Projekt? Unsere Empfehlungen betreffen sowohl die Planung und Durchführung von Scenario-Planning-Extreme-Seminaren als auch die anschließende Umsetzung des Ansatzes in Organisationen. Sie reflektieren Erfahrungen in der Entwicklung, Organisation und Realisierung von Wandel in Deutschland, Europa und den USA aus den Perspektiven eines Beraters sowie Entscheidungsträgers in Wirtschaft und Politik.

Und doch ist jede Situation des Wandels neu und anders. Alle Innovationen haben ihre eigenen Chancen und Risiken und werden immer eine gehörige Portion Mut verlangen, den eigenen Weg zu finden und zu beschreiten, den wir unseren Leserinnen und Lesern wünschen. Unsere Zeit der schnellen Veränderungen hilft denen, die neue Chancen wollen, sie frühzeitig erkennen und etwas dafür wagen.

Teil III zeigt, wie Scenario Planning Extreme uns auch bei unserer individuellen Lebensplanung helfen kann zu erkennen, welche verschiedenen sinnvollen Karrieremöglichkeiten in ihnen für uns attraktiv sein können. Wir greifen auch zwei kontroverse Themen auf, die zu politischen Tabus geworden sind: die auf Dauer mögliche millionenfache jährliche Immigration aus dem Nahen Osten und Nordafrika nach Europa und unser Krieg gegen Drogen. Wir zeigen, wie Scenario Planning Extreme vielleicht gerade bei solch schwierigen Themen helfen kann, Vernunft in das Nachdenken zu bringen und konstruktive Strategiemöglichkeiten aufzuzeigen, statt den Kopf weiter in den Sand zu stecken und von den Entwicklungen überwältigt zu werden. Im Sinne des immer neuen Lernens schlagen wir vor, dass Interessierte bei ihrem ersten Scenario-Planning-Extreme-Projekt die Perspektive „Copy Exact“ anwenden, also unseren Ansatz genau kopieren und dann bei darauffolgenden Projekten sehen, wie sie den Ansatz immer besser an die Gegebenheiten und Bedürfnisse ihrer eigenen Organisation anpassen können. Jedes solcher Projekte sollte idealerweise wie ein Maßanzug sitzen und zur jeweils gegebenen Klientin und deren Zielsetzung passen.

Schließlich kann uns Scenario Planning Extreme auch im täglichen Leben helfen. Es hat etwas sehr Befreiendes, den Blick immer offen zu halten für mögliche Veränderungen und gleichzeitig über unsere verschiedenen Möglichkeiten im Umgang mit ihnen nachzudenken. Wir lernen auf diese Weise, dass es in fast jeder Situation mehr als nur eine einzige Möglichkeit gibt, mit ihr erfolgreich umzugehen. Menschen geben für diese Einsicht viel Geld bei Therapeuten aus.

Einige unserer Beispiele aus der Industrie sind aus der Sicht mitlernender und sympathisierender Beobachter beschrieben. Der Autor würde sich natürlich freuen, wenn die beschriebenen Unternehmen ihre firmeninterne Sicht dazu beitragen würden, die in eine zukünftige Neuauflage integriert werden könnte.

Dieses Buch hat einige Besonderheiten: Wenn es um Personen geht, verwendet es durchgehend die weibliche Form und meint natürlich immer alle; genauso, wie es früher üblich war, durchgehend die männliche Form zu nutzen. Zum anderen reflektiert es die Sicht des Autors und seine Erfahrungen in Wirtschaft und Politik. Schließlich beschreibt es die persönlichen Erlebnisse des Autors unter Nutzung seines Vornamens. Diese Verfremdung ermöglicht innere Augenhöhe zwischen Autor und Leserin. Mit dem „Wir“ im Text bezieht der Autor seine Leserinnen in eine gemeinsame Unterhaltung ein.

Das Buch versteht sich als Übermittlerin einer großartigen Idee. Es will Praktikerinnen Ideen und Anregungen geben sowie Mut machen. Es ist mit imaginativer Kunst näher verwandt als mit einer wissenschaftlichen Abhandlung. Auch mit 150 Quellennachweisen mit zum Teil persönlichen Anmerkungen überlasse ich die vollständige akademische Verortung des Themas gern zukünftigen Autorinnen.

Scenario Planning Extreme ist leicht und schwer. Es ist intellektuell leicht, den zehn logischen Schritten seines Ansatzes zu folgen. Es ist emotional schwer, weil wir dafür auch einige unserer für uns wichtigen Überzeugungen zur Seite stellen und unwahrscheinliche und sogar „unakzeptable“ Trends genauso ernst nehmen müssen wie solche, die uns bestätigen.

Scenario Planning Extreme arbeitet mit Imagination statt mit quantitativen Methoden. Das fühlt sich anfangs ungewohnt an. Alle Leserinnen sind herzlich eingeladen, sich darauf einzulassen, die Reise zu genießen und dabei den Wert dieses Ansatzes erkennen und schätzen zu lernen.

Teil I

Worte lehren. Beispiele überzeugen.

Man sieht nur mit dem Herzen gut.

Antoine St. Exupéry

...oder auch schlecht.

Martin Gillo

Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.

Antoine St. Exupéry

… bis wir es auch durch die Augen anderer sehen,

… auch denen unserer Feindinnen.

Martin Gillo

Wir alle sind überzeugt, dass wir die Wirklichkeit so sehen, wie sie ist. Doch da irren wir uns, wie uns schon Plato mit seinem Höhlengleichnis warnte. Denker aus dem Fernen Osten drückten das noch krasser aus mit dem Gleichnis der blinden Männer vor dem Elefanten, die jeder für sich nur einen Teil des Tieres ertasten und deshalb den Elefanten als Ganzes nicht erkennen.

Wir sehen oft nur das, was wir sehen wollen, z. B. Kausalzusammenhänge auch dort, wo es keine gibt, die aber gut in unsere Weltsicht passen. Das gilt auch umgekehrt. Wir sehen oft das nicht, was wir nicht sehen wollen, z. B. unsere eigenen Voreingenommenheiten auch dann, wenn wir darauf angesprochen werden.

Warum ist das so? Willkommen in der Welt der Ängste und Hoffnungen, der Zuneigungen und Abneigungen, der höchsten Weltanschauungen und der tiefsten Überzeugungen.

Das gilt für alle Menschen, auch für uns und unsere liebsten Überzeugungen, die für uns zu Wahrheiten geworden sind. Zwei Menschen mit unterschiedlichen Meinungen einigen sich auf einen Test, der zeigt, wer Recht hat. Und nach dem Test sind sich beide gewiss, das Testergebnis habe ihre Überzeugung bestätigt. Für uns Menschen ist dieser logische Widerspruch oft die Regel.

Worte lehren. Beispiele überzeugen. Wir beschreiben viele Beispiele im Buch. Warum? Jedes Mal, wenn wir uns in ein Beispiel hineinversetzen und das Handeln der beschriebenen Personen menschlich nachvollziehen, spüren wir, dass wir in ihrer Situation vielleicht ähnlich gehandelt hätten, und daraus können wir lernen. Jedes Beispiel bringt uns einen Schritt näher zur Selbstbefreiung von den eigenen Verzerrungen der Wirklichkeit.

Wenn wir im Leben erfolgreich sein wollen, dann haben wir keine andere Wahl, als der Wirklichkeit näherzukommen, auch indem wir unsere eigene Zerrbrille zu entzerren versuchen.

Kann uns Scenario Planning Extreme dabei helfen? Ja! Am besten mit den Perspektiven der Lebenden Organisation und der Lernenden Organisation.

1.1

Wir Welterklärerinnen

Alles beruht nur auf Annahme.

Marc Aurel

Scenario Planning Extreme reiht sich in die Mittel und Methoden der Vorbereitung auf die Zukunft und damit auch deren Nutzung ein. Wir beginnen mit einigen der historischen Wege und Mittel, mit denen wir Menschen in unserer langen Geschichte versucht haben, die Zukunft vorherzusagen, und die wir zum Teil immer noch nutzen. Daraus ergaben sich aus heutiger Sicht lustige Missverständnisse ebenso wie tragische Katastrophen. Wir beschreiben hier den Kontext aller strategischer Vorkehrungen. Er ist wichtig für das Verständnis der Unsicherheiten und möglichen Fehleinschätzungen bei jeder Planung.

Der Wunsch, die Welt zu erklären, ist so alt wie die Menschheit selbst. Wir wollen sie verstehen, sie nutzen, sie uns untertan machen und seit einiger Zeit auch mit ihr in Einklang leben. Damit einher geht der Wunsch, die Zukunft so erfolgreich wie möglich vorherzusagen, mit den verschiedensten Mitteln und Methoden.

Wir Menschen wollten immer schon wissen, wo und wie wir am besten zu Nahrung kommen bzw. sie produzieren können, wie wir die Natur einschließlich ihrer Tiere für uns nutzbar machen können, wo sich Bodenschätze befinden und wie wir mit ihnen unser Leben leichter machen können, wie wir am besten andere Menschen befreunden oder bekämpfen, wie wir uns selbst organisieren und so zu Weltreichen werden bzw. wie wir sie besiegen können. Seit einiger Zeit arbeiten wir nunmehr sogar daran, unsere eigene Intelligenz zu verstehen, um daraus künstliche Intelligenzen zu kreieren und sie für unsere Zwecke einzusetzen.

Damit ist die Geschichte der Menschheit auch die Geschichte des Vorhersagens … und sehr oft auch des Scheiterns. Woran liegt das?

Erfundene Wirklichkeit

Mit dem provokanten Buchtitel „Die erfundene Wirklichkeit“ konfrontiert uns Paul Watzlawick4 in den 1980er-Jahren mit unserem Unvermögen, die Wirklichkeit selbst zu erkennen. Was wir wahrnehmen, ist nicht die Wirklichkeit selbst, sondern nur ein Modell, das wir uns von ihr konstruiert haben und unser Leben lang konstruierend verbessern können – solange wir danach aktiv streben. Eine Generation später bezeichnet Thomas Metzinger5 das als unseren „Ego-Tunnel“, aus dem wir nicht entkommen können, ein sehr treffender Begriff. Wir finden im Kontext des Scenario Planning Extreme den Begriff Realitätsmodell besonders hilfreich, weil er herausstellt, dass es an uns liegt, unsere Realitätsmodelle stetig der Wirklichkeit anzunähern. Realitätsmodelle sind wie Landkarten der wahrgenommenen Realität. Die Wirklichkeit ist die Landschaft selbst. Wir sind nur in der Lage, entsprechend unseren Realitätslandkarten zu handeln und nicht entsprechend der wirklichen Landschaft.

Wir definieren das Konzept der Realitätsmodelle über den Umweg der Definition vom Sinn des Lebens, wie sie John W. Gardner6, inspirierend formulierte:

‚Über den Sinn meines Lebens stolpere ich nicht wie über die Lösung eines Rätsels oder die Beute bei einer Schatzsuche. Sinn baue ich selbst in mein Leben hinein. Er resultiert aus meiner Vergangenheit, meinen Zuneigungen und Loyalitäten; aus der Menschheitsgeschichte, wie sie mir überliefert wurde; aus meinen Begabungen sowie meinen Einsichten und Erkenntnissen; aus den Dingen, an die ich glaube; aus den Dingen und den Menschen, die ich liebe; aus den Werten, für die ich bereit bin, Opfer zu bringen. Die Bestandteile sind da. Nur ich kann daraus das einzigartige Muster meines Lebens stricken. Möge es ein Leben sein, das für mich Sinn hat. Dann verliert das jeweils erreichte Maß an Erfolg oder Misserfolg an Wichtigkeit.‘7

Die Definition des Realitätsmodells folgt dem fast wörtlich: Unsere Realitätsmodelle konstruieren wir selbst, und zwar

aus unserer Vergangenheit

unseren Zuneigungen und Loyalitäten

aus der Menschheitsgeschichte, wie sie uns überliefert wurde

aus unseren Begabungen, Einsichten und Erkenntnissen

aus den Dingen, an die wir glauben

aus den Dingen und den Menschen, die wir lieben

aus den Werten, für die wir bereit sind, Opfer zu bringen.

Wir stellen den individuellen Sinn des Lebens und das individuelle Realitätsmodell bewusst nebeneinander. Für uns sind sie siamesische Zwillinge. Dadurch wird erkennbar, warum unsere Realitätsmodelle immer eine Mischung aus Fakten und Vorstellungen, aus Wahrheit und Wunschdenken sind. Von den zehn Elementen in unserer Definition des Realitätsmodells beruhen nur drei auf faktischen Informationen. Wird unser Realitätsmodell durch einen Widerspruch mit der Wirklichkeit konfrontiert, wehrt sich auch sein siamesischer Zwilling Sinn des Lebens − und umgekehrt, wie wir an vielen Beispielen sehen werden.

Unser Realitätsmodell produziert schnell ein Zerrbild der Wirklichkeit, sobald es

unsere Loyalitäten infrage stellt

Dinge, an die wir glauben, in Zweifel zieht

Menschen, die wir lieben, in schlechtem Licht erscheinen lässt

Werte, zu denen wir uns bekennen, infrage stellt

unseren Sinn des Lebens zu erschüttern scheint.

Für solche Situationen hat unser Realitätsmodell viele für uns selbst oft unsichtbare Abwehrmechanismen entwickelt, die uns daran hindern können, Widersprüche zwischen Realitätsmodell und Wirklichkeit zu erkennen. Wer z. B. seine Arbeitswelt durch Trends bedroht sieht, der fällt es leicht, sie kleinzureden oder sie gar abzustreiten, wie wir zeigen werden.

Doch der Wirklichkeit sind unsere Realitätsmodelle egal. Die Wirklichkeit ist, wie sie ist. Es liegt an uns, ständig daran zu arbeiten, unsere Realitätsmodelle der sich verändernden Wirklichkeit anzupassen, damit wir in ihr erfolgreich sein können, egal wie sie sich entwickelt.

Glücklicherweise gibt es eine große Vielfalt der jeweils individuellen Realitätsmodelle. Es finden sich auch immer wieder Einzelne, die selbst in einer angepassten Gesellschaft den Mut haben, sich zu Wort zu melden, wenn aus ihrer Sicht des Kaisers neue Kleider eine Luftnummer sind. Die dem Kaiser Hörigen erreichen sie zwar damit nicht, aber viele andere fühlen sich dadurch befreit und in ihren eigenen Realitätsmodellen bestätigt.

Die meisten Menschen sind sich nicht bewusst, dass sie immer nur ihre Realitätsmodelle sehen. Es braucht Mut und lebenslanges Lernen, um sich ihres imperfekten Modellcharakters bewusst zu werden und zu bleiben und durch lebenslanges Erproben und Lernen daran zu arbeiten, der sich fortwährend ändernden Welt stetig näher zu kommen. Es hilft, sein eigenes Realitätsmodell als Arbeitshypothese zu betrachten, die ständig erprobt und durch Scheitern an der Wirklichkeit angepasst werden kann.

Zwei Beispiele mögen helfen, den Unterschied zwischen Realitätsmodell und Wirklichkeit, zwischen Landkarte und Landschaft zu verdeutlichen. In der Automobilindustrie wurden Navigationssysteme zuerst von den Luxusmarken eingeführt. Martin erinnert sich an einen Bericht, dass ein Autofahrer mit seinem BMW nachts in Norddeutschland in einen Fluss fuhr, weil in seinem Navigationsgerät eingezeichnet war, dass dort eine Brücke über den Fluss führte. In Wirklichkeit war es eine Fähre. Das Navigationsgerät entsprach nicht der Wirklichkeit. Der Fahrer beschwerte sich bei BMW und forderte Schadensersatz. Ein Sprecher der Firma antwortete darauf in etwa: Wir freuen uns über die Akzeptanz unserer Navigationsgeräte, gehen aber auch davon aus, dass die Fahrer auf die Straße achten. Ähnliches passierte einem Lastwagenfahrer 2010 in der Schweiz.8 In beiden Beispielen hielten die Fahrer die Karte für die Landschaft.

Wollen wir im Leben erfolgreich sein und bleiben, sollten wir unsere Realitätslandkarten durch Lernen in sicherem Umfeld immer wieder auf die Probe stellen, indem wir versuchen, sie bewusst zum Scheitern zu bringen und sie danach zu verbessern, um auf diese Weise in der wirklichen Landschaft erfolgreich zu sein. Um es vorwegzunehmen: Wir betrachten Scenario Planning Extreme als einen der besten Ansätze, um genau das zu erreichen.

Unsere Realitätsmodelle können der Wirklichkeit nahekommen, wenn es um wiederkehrende, wiederholbare Prozesse geht. Sie können schnell überall dort wirklichkeitsfern werden und bleiben, wo es um Bereiche geht, über die keine bis wenig Erfahrungen vorliegen. Das gilt besonders für die Vorhersage der ungewissen Zukunft.

Wir Wahrsagerinnen

Wie sieht die Zukunft aus? Gibt es Gesetze, nach denen sie sich entwickelt? Ist sie vorbestimmt? Wenn ja, wie? Wenn wir wüssten, wie die Zukunft wird, dann könnten wir uns auf sie vorbereiten und Nutzen aus ihr ziehen. Im Verlauf unserer Menschheitsgeschichte wurden verschiedene Modelle entwickelt, mit denen unsere Vorfahren die Zukunft erkennen und zu verstehen versuchten und mit denen wir es auch heute noch zum Teil tun. Hier sind drei davon:

I Der Lauf der Welt ist ein sich immer wiederholender Kreislauf: Füge Dich ein. Das gilt z. B. für die Natur und die Landwirtschaft. Die Menschen wollten und wünschen sich solch ein Ordnungsprinzip allerdings auch für alle anderen Bereiche ihres Lebens. Kein Wunder, dass die von uns Menschen entwickelte Astrologie sehr erfolgreich wurde und augenscheinlich immer noch ist.

In der chinesischen Astrologie gilt eine Jahresfolge von 12 Jahren, die sich ewig wiederholt. Jedes der 12 Jahre hat sein eigenes Tierzeichen und zugeordnete Eigenschaften, und die prägen auch je nach Geburtsjahr die Menschen. Als Martin davon zuerst hört, denkt er spontan an seine Einschulung zurück und an die anderen Kinder mit ihm in der ersten Klasse, mit ihren aus seiner Sicht sehr von ihm verschiedenen Eigenarten. Die Vorstellung, dass sie alle den gleichen Persönlichkeitstypus haben sollten wie er, ist für ihn schon als Teenager absurd. Über eine Milliarde Menschen sehen das aber immer noch ganz anders. Sie erkennen sich in den ihnen zugeschriebenen Tierzeichen wieder und sind überzeugt, dass es auf sie zutrifft. Wer hat Recht?

Ist Selbsterkenntnis der Beweis für die Wahrheit der Astrologie-Aussagen? Als Teaching Assistent an einer US-Universität wiederholt Martin mit seinen Studierenden ein psychologisches Experiment von Wolfgang Köhler9 aus den 1920er-Jahren. Im Ergebnis erhält jede von ihnen ein psychologisches Profil mit zehn Faktoren, jeweils auf einer Fünf-Punkt-Skala benotet. Neunzig Prozent der Studierenden sind erstaunt, wie gut das Profil mit ihrer Selbstwahrnehmung der Persönlichkeit übereinstimmt. Sie sind noch erstaunter, als sie erkennen, dass sie alle das gleiche Profil erhalten haben.

Auch unsere aus dem Nahen Osten stammende Astrologie arbeitet mit 12 Tierzeichen, die die Persönlichkeit des Menschen je nach Geburtsmonat bestimmen soll. Ist das glaubwürdiger? Als Student in den USA wird Martin bei einem informellen Gespräch von einer jungen Frau nach seinem Geburtsdatum gefragt. Sie versteht sich als professionelle Astrologin, die vielen Kommilitoninnen ihre Zukunft voraussagt. Sie erfreut sich eines so guten Rufes, dass sie für ihre Dienste ein Honorar verlangen kann und davon auskömmlich lebt. Martin ist davon fasziniert und schlägt ihr spontan ein kleines Experiment vor: ‚Wenn die Sterne die Persönlichkeit bestimmen, dann müsste es doch auch umgekehrt funktionieren: Wenn Du meine Persönlichkeit kennst, dann müsstest Du auch wissen, was mein Sternzeichen ist.‘ Sie stimmt zu. ‚Wie wäre es mit einem kleinen Experiment? Du stellst mir jede Frage, die du willst, und ich beantworte sie wahrheitsgemäß. Meine Freundinnen sind auch hier, und sie würden dir sofort sagen, wenn ich lüge.‘

Gesagt, getan. Eine Stunde später hat sie keine Fragen mehr, denkt eine Weile nach und nennt ein Sternzeichen. Falsch. Ein anderes Sternzeichen. Wieder daneben. Nach sechs Fehlversuchen nennt Martin ihr sein Sternzeichen. Und wie aus der Pistole geschossen sagt sie: ‚Wusste ich doch!‘

Aufgepasst. Der unternommene Test sollte zeigen, wer Recht hat. Martin sah sich in seiner Ablehnung der Astrologie bestätigt. Die sympathische Astrologin sich auch. Wie konnte sie das? Sie verdiente ihren Lebensunterhalt mit Astrologie. Da fällt es leichter, die Ergebnisse entsprechend der eigenen Interessen zu interpretieren, als den Lebensunterhalt zu verlieren. Seien wir mit ihr nachsichtig. Uns kann es genauso in Bereichen gehen, die für uns von zentraler Bedeutung sind.

Nicht nur in diesem Fall: Unsere Realitätsmodelle sind weitgehend gegen Widersprüche resistent, wenn sie unseren Sinn gefährden. Sobald es zu Glaubensfragen kommt, laufen hinterfragende Fakten ins Leere.

II Der Lauf der Welt hat ein Ziel. Die Welt bewegt sich auf ein sinnvolles Ende zu, und wir sollten uns in ihren Lauf einfügen. Beispiele dafür sind religiöse Endzeitlehren. Judentum, Christentum und Islam lehren solch einen Weltlauf nach göttlichem Plan. Gleichartige Überzeugungen gibt es aber auch in der Philosophie: siehe den Historizismus von Georg Friedrich Wilhelm Hegel, der Sinn in der Weltgeschichte zu erkennen glaubte. Hegel schlussfolgerte, dass wir in der bestmöglichen Geschichte leben. Hegel schreibt in der Zeit Preußens und so argumentiert er – welch Überraschung –, dass Preußen von der Geschichte zu Großem auserwählt und deshalb zu unterstützen sei. Dieses Modell stellt Karl Marx später auf den Kopf und postuliert den historischen Materialismus mit der Schlussfolgerung, dass das Endziel der Geschichte eine klassenlose Gesellschaft und durch eine Diktatur des Proletariats zu beschleunigen sei. Gegenwärtig macht die Last-Generation-Bewegung auf sich aufmerksam. Sie sieht ein baldiges Ende menschlichen Lebens auf der Erde voraus, wenn wir das nicht mit allen Mitteln verhindern, einschließlich immer weiterer, eskalierender Gewalt.

Selbst krasse Widersprüche zwischen Realität und Überzeugung sind keine Abhilfe. Ganz im Gegenteil: Eine sektenartige Glaubensgemeinschaft sagt das Ende der Welt für das Jahr 1925 voraus10