Schachgeschichten - Frederic Friedel - E-Book

Schachgeschichten E-Book

Frederic Friedel

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Beschreibung

Damengambit, Königsjagd und Springertour - das aktuelle Sachbuch über Schach mit einem Vorwort von Garri Kasparow. Schach fasziniert, und kein anderer als Frederic Friedel, die graue Eminenz der internationalen Schach-Welt, kann uns das königliche Spiel so lebendig näherbringen. Im Tandem mit dem anerkannten Schach-Experten Christian Hesse lässt er uns teilhaben an seinen Begegnungen mit Garri Kasparow, Magnus Carlsen und anderen Großmeistern und Weltmeistern wie Viswanathan Anand, Wladimir Kramnik und Wesselin Topalow. Friedel und Hesse gehen zurück in die 1970er-Jahre, als die Schach-Partien zwischen Bobby Fisher und Boris Spasski Weltgeschichte schrieben. Sie berichten vom Wettkampf gegen Deep Blue, an dem Friedel im Team von Garri Kasparow teilgenommen hat. Sie beschreiben faszinierende Choreographien aus umkämpften Partien und unterhalten mit ungelösten Schach-Problemen,Rätseln und mathematischen Knobeleien rund um König, Dame und Co. Nie wurde kenntnisreicher und anregender über Schach geschrieben - Friedel und Hesse wissen, warum Damengambit so viele Anhänger*innen fand! Ihre "Schachgeschichten" sind das perfekte Geschenk für alle Liebhaber*innen des königlichen Spiels zwischen 9 und 99 Jahren. Frederic Friedel ist ein Pionier des Schach-Computers und hat 1987 Chessbase mitbegründet. Das Unternehmen zählt heute ztu den weltweit führenden Unternehmen für Schach-Software. Christian Hesse ist Professor für Mathematik an der Universität Stuttgart und leidenschaftlicher Schach-Spieler. Bekannt wurde er als Autor populärer Sachbücher über Mathematik und Schach. 

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 330

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Frederic Friedel / Prof. Dr. Christian Hesse

Schachgeschichten

Geniale Spieler – Clevere ProblemeMit einem Vorwort von Schach-Legende Garri Kasparow

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Schach fasziniert, und kein anderer als Frederic Friedel, die graue Eminenz der internationalen Schachwelt, kann uns das königliche Spiel so lebendig näherbringen. Im Tandem mit dem anerkannten Schachexperten Christian Hesse lässt er uns teilhaben an seinen Begegnungen mit Garri Kasparow, Magnus Carlsen und anderen Groß- und Weltmeistern. Die beiden gehen zurück in die 1970er-Jahre, als die Partien zwischen Bobby Fisher und Boris Spasski Weltgeschichte schrieben. Sie berichten vom Wettkampf gegen Deep Blue, an dem Friedel teilgenommen hat, von faszinierenden Choreografien aus umkämpften Partien und unterhalten mit ungelösten Schachproblemen, Rätseln und mathematischen Knobeleien rund um König, Dame und Co. Nie wurde kenntnisreicher und anregender über Schach geschrieben!

Inhaltsübersicht

Zitate

Vorwort von Garri Kasparow

Einführung

Wie viele verschiedene Schachpartien gibt es?

Max Euwe – Schachlogik braucht keine Worte

Mikhail Botwinnik – der Beginn des Computerzeitalters

Mikhail Tal – Lösungen beim Spaziergang

Das erste Zen-Logical

Zen und der Weizen auf dem Schachbrett

Boris Spasski – Schachgeschichte live erleben

Bobby Fischer – ein tragischer Held

Das Brahmanen-Problem

Anatoli Karpow – unwiderstehliche Gesprächsthemen

Die Magie Magischer Quadrate und Springertouren

Die Kortschnois – Abschied in Rosa

Innenansicht vom Außenseiter

Die Parabel vom Gegenteil aller Gegenteile

Garri Kasparow – Schnelldenker mit großem Einfluss

Zen hoch Zen

Damen auf dem Schachbrett

Fermat im Schach

Wladimir Kramnik – Förderer junger Talente

Fibonacci, Magie und Schach

Vishy Anand – der Beginn des indischen Schachwunders

Alles Zufall, oder was?

Ein Fall von unbekannter Identität

Magnus Carlsen – immenses Talent und großer Kampfgeist

Die Logik aller Schachturniere

Judit Polgár und ihre Schachfamilie – bis heute unübertroffen

Unlogik des Umkehrens

Hou Yifan – Frauen auf dem Vormarsch

Wenn Unmögliches möglich wird

Der lauteste Flüsterer

Dank

Editorische Notiz

Verwendete und weiterführende Literatur

Bildnachweis

Zitate

Frederic Friedel ist eine Kultfigur in der Schachwelt. Es gibt ihn schon so lange, dass es mich nicht überrascht hätte, eine Geschichte über seine Begegnung mit Paul Morphy zu finden. Frederic ist freundlich und warmherzig, und es war mir in den dreißig Jahren, die wir uns kennen, immer ein Vergnügen, mich mit ihm zu treffen. Christian Hesse ist ein Mathematikprofessor mit großem Interesse am Schach. Seine unterhaltsamen Beispiele zeigen uns die Schnittmenge zwischen seinem Fachgebiet und dem königlichen Spiel, das wir alle so lieben. Ich habe dieses Buch mit Vergnügen gelesen und kann es jedem wärmstens empfehlen.

Vladimir Kramnik, 14. Schachweltmeister

 

Die Fähigkeit, Phänomene und Zusammenhänge zu erkennen und zu interpretieren, ist beeindruckend, und der einzigartige Schreibstil ist fesselnd. Dank der Autoren, die eine tiefe Leidenschaft für das Schachspiel hegen, bietet dieses Buch eine einzigartige Perspektive auf den Reichtum des Schachs und seine Weltklassespieler wie Fischer, Kasparow und Anand. Durch die Geschichten gibt uns Frederic einen Einblick in die Entwicklung der größten Schachmeister, wie sie sich mit der Technologie vertraut machten und wie sich das Schachspiel in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. Christian, ein großer Schachenthusiast, zeigt inspirierende Aspekte der schillernden Beziehung zwischen Schach und Mathematik. Dieses Buch ist eine faszinierende und unterhaltsame Reise durch die Schachwelt.

Judit Polgar, die beste Spielerin aller Zeiten

 

Ich habe Frederic Friedel zum ersten Mal getroffen, als ich dreizehn war, und wir genießen seitdem eine dauerhafte persönliche Freundschaft. Seine Fähigkeit, außergewöhnliche Talente zu erkennen, und seine Beschreibungen, wie er sie auf ihrem Weg zur Spitze der Schachwelt begleitete, sind einzigartig. Christian Hesses mathematische Schachprobleme waren für mich ganz neu und haben mich sehr fasziniert. So etwas hatte ich vorher noch nicht gesehen.

Hou Yifan, vierfache Frauenweltmeisterin im Schach

 

Die Begegnungen des Wissenschaftsjournalisten Frederic Friedel mit den größten Spielern der letzten Jahrzehnte und die faszinierende Gratwanderung zwischen Schach und Mathematik von Professor Christian Hesse zeigen uns die Wunderwelt des königlichen Spiels in seiner ganzen Schönheit.

Helmut Pfleger, Großmeister und ZEIT-Kolumnist

Vorwort von Garri Kasparow

So komplex und faszinierend mein geliebtes Schachspiel auch ist, die Schachwelt um es herum ist unendlich viel größer und reicher als die vierundsechzig Felder. Dank einzigartiger Beiträge wie dieses bemerkenswerten Buchs von Frederic Friedel und Christian Hesse wächst und gedeiht sie unaufhörlich weiter.

Schachgeschichten zeigt, wie zutiefst menschlich die Welt des Schachs ist. Es offenbart die Leidenschaft und Schönheit, die Schach seinen Fans und Spielern, vom Amateur bis zum Weltmeister, bietet. Das Buch zeigt die Bandbreite der Erfahrungen, die das Schachspiel beinhaltet, und wie es sowohl Verstand als auch Geist und Gemüt in höhere Sphären heben kann. Es zeigt, wie unsere Vorstellungen von Mathematik, Philosophie und Kunst durch ein uraltes Spiel repräsentiert und herausgefordert werden.

Frederic Friedel hat jeden Weltmeister seit Max Euwe getroffen und sich mit den meisten von ihnen angefreundet. Ich freue mich, sagen zu können, dass ich zu dieser Gemeinschaft gehöre. Wir kennen uns, seit es Dinosaurier gab. Mein Freund Frederic erzählt viele Dinge, die wir gemeinsam erlebt haben, einige davon zum ersten Mal. Von langen Zugfahrten zu den Wettkämpfen um die Weltmeisterschaft bis hin zu meinen Mensch-gegen-Maschine-Turnieren gegen den Computer Deep Blue. Frederics gesellige Persönlichkeit, seine Intelligenz und seine Schlagfertigkeit ziehen die Menschen an und sorgen dafür, dass sie gerne Zeit mit ihm verbringen. Er hat die Fähigkeit, aus jeder Begegnung etwas Unvergessliches zu machen, Material, das sich für Legenden eignet.

Christian Hesse ist ein international bekannter Professor für Mathematik mit einem Doktortitel von Harvard. Seit Jahrzehnten denkt er über die Beziehung zwischen Schach und Mathematik nach. Es ist faszinierend, wie tief die Verbindungen zwischen diesen beiden Herausforderungen des menschlichen Geistes sind, vom Damenproblem über die Springertour bis hin zu den atemberaubenden Zahlenwundern, die das Schachspiel in sich birgt. Die von ihm erfundenen Schach-Logicals verleihen den Schachstudien und der mathematischen Logik eine ganz neue Dimension. Wenn Sie Ihren Verstand auf das Thema einstimmen wollen, empfehle ich Das erste Zen-Logical in diesem Buch.

Frederic und Christian sind ein Dream-Team, dem es gelungen ist, ein Schachbuch wie kein anderes zu schreiben. Es ist voll von unterhaltsamen und herzerwärmenden Geschichten am und neben dem Brett, und es führt ein neues Genre von wunderbar unterhaltsamen logischen Schachrätseln ein.

 

Garri Kasparow13. Schachweltmeister

16. Mai 2022New York City

 

Einführung

Man hat uns schon lange gebeten, ein Buch mit Geschichten über Begegnungen mit berühmten Spielern, mit Rätseln und schachlichen Kuriositäten zu schreiben. Ein Teil des Materials im vorliegenden Buch ist auf der ChessBase-Nachrichtenseite erschienen, einige Geschichten vor Jahrzehnten in der Zeitschrift CSS (Computerschach und Spiele). Aber die Artikel sind fast alle in der Dunkelheit der Archive verschwunden. Deshalb fragten viele nach einer Sammlung in gedruckter Form. Zur Information und zur Unterhaltung.

Aber wie sollen wir dabei mit den Schachpartien und Zügen umgehen? Das gewohnte Schachbuch enthält eine große Anzahl von Partien und Zügen. Normalerweise schaut man sich die Diagramme an und versucht, die nächsten drei bis fünf Züge im Kopf nachzuvollziehen. Das war's dann aber auch schon. Es sei denn, Sie sind ein sehr starker Spieler: Großmeister lesen Schachbücher wie Agatha-Christie-Romane. Viswanathan Anand als Teenager zum Beispiel schnappte sich immer den neuesten Schachinformator, zog sich in eine Ecke zurück und verbrachte Stunden, kichernd und lachend, mit Partien, die er im Kopf nachspielte. Später wurde er fünf Mal Weltmeister.

Aber nicht einmal Schachenthusiasten verfügen über solche Fähigkeiten. Auch sie holen sehr selten das Schachbrett aus dem Schrank, um Partien nachzuspielen. Es ist also nur ein sehr kleiner Prozentsatz der Schachspieler, der tatsächlich ganze Schachbücher oder Schachzeitschriften liest.

Die Situation hat sich durch das Aufkommen von nachspielbaren Partien auf dem Computerbildschirm verschärft. Dieses neue Medium ist so einfach und so bequem, dass es schwer ist, einen angemessenen Platz für Bücher in der Schachlandschaft zu finden. Sind Schachbücher und -zeitschriften also auf dem absteigenden Ast? Weil man Züge nicht nachspielen kann, wie auf jeder guten Website? Nein, das glauben wir nicht, und dieses Buch ist ein Versuch, die Nachteile von gedruckten Schachpartien auszugleichen.

Jeder, der ein Schachbuch kauft, hat das ultimative Gerät zum Nachspielen in der Hosentasche oder auf dem Couchtisch. Es ist ein Smartphone oder ein Tablet. Mit ihnen lassen sich gedruckte Partien wunderbar nachspielen, ohne Fehler, ohne mühsame Versuche, zur Hauptvariante zurückzufinden, nachdem man sich die Analyse angeschaut hat. Alles läuft automatisch ab, genau wie auf einem Spielbrett auf dem Computerbildschirm. Und es funktioniert im Garten, im Bett, im Zug …

Das einzige Problem ist, wie man die gedruckten Partien und Stellungen in dem gedruckten Buch auf sein Handy oder Tablet bekommt. Wie können wir den Lesern sofortigen Zugang zu diesen Schachpartien geben? Die Antwort: mit QR-Codes.

Ein QR-Code ist ein Matrix-Barcode, ein maschinenlesbares optisches Etikett, das Informationen enthält, die Computer abrufen und ausführen können. Auf einigen Smartphones ist QR-Lesesoftware schon vorinstalliert. Falls Ihr Smartphone dies nicht hat, lässt sich das leicht beheben: Gehen Sie einfach in den App-Store und laden Sie eine der angebotenen QR- oder Barcode-Apps herunter. Das dauert nur ein oder zwei Minuten und verbraucht sehr wenig Speicherplatz auf Ihrem Gerät. Und es ist kostenlos. Sie brauchen keine zusätzliche Software zu installieren, um die Partien nachzuspielen.

Probieren Sie es aus: Starten Sie den QR-Code-Scanner und richten Sie Ihr Handy oder Tablet auf den folgenden QR-Code. Es zeigt Ihnen sofort, wie das funktioniert, wie eine Schachpartie auf Ihrem Gerät aussieht.

© Frederic Friedel

Sie können die Züge (und die Analyse) durchspielen, indem Sie auf die Wiedergabesymbole oder sogar auf die Notation tippen. Es wird ein anspruchsvolles Nachspiel-Programm verwendet. Dort können Sie sogar eine Engine (Ventilator-Symbol) starten, die Ihnen bei der Analyse hilft – um alle »Was wäre wenn...?«- und »Warum nicht...?«-Fragen zu beantworten, die Sie vielleicht haben. Es gibt sogar ein »!«-Symbol (auf der rechten Seite des Engine-Fensters), das Ihnen die Bedrohung anzeigt, die ein Zug darstellt. Das Programm wird sich in Zukunft verändern und verbesserte Funktionen erhalten. Sie müssen nichts tun, um Zugang zu den neuen Tools zu erhalten, wenn sie vorliegen. Durch einfaches Scannen des QR-Codes wird Ihnen jeweils die neueste Version mit allen Verbesserungen und Erweiterungen zur Verfügung gestellt.

Die QR-Links in diesem Buch werden nicht nur zum Aufrufen von Webseiten verwendet, sondern können auch zu YouTube-Videos mit Berichten und Interviews führen.

Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen dabei!

Frederic Friedel und Christian Hesse

Wie viele verschiedene Schachpartien gibt es?

Wie viele verschiedene Schachpartien sind möglich? Jeder kann sich vorstellen, dass das eine sehr, sehr große Zahl ist. Sie hat nur wenige Ziffern und ist trotzdem unvorstellbar groß. Unvorstellbar groß? Der berühmte Wissenschaftler Enrico Fermi meinte, man müsse zumindest versuchen, exorbitante Zahlen zu verstehen, um abzuschätzen, was sie bedeuten.

Enrico Fermi war einer der berühmtesten Physiker des 20. Jahrhunderts und arbeitete während des Zweiten Weltkriegs in Los Alamos an der Entwicklung der Atombombe. Er fand es wichtig, dass jeder gebildete Mensch in der Lage sein sollte, plausible Überschlagsrechnungen anzustellen. Weil so jeder Sachverhalt, egal welcher Größenordnung und Schwierigkeit, eingeordnet werden kann.

Er stellte seinen Studenten deswegen oft Fragen wie diese: Wie viele Sandkörner hat die Sahara? Wie viel wiegt der Mount Everest? Wie viele gestapelte Blätter Papier reichen bis zum Mond? Uns helfen seine Überlegungen bei der Beantwortung der Frage, wie viele unterschiedliche Schachpartien überhaupt möglich sind.

Partien mit mehr als 60 Zügen sind selten. Im Durchschnitt gibt es 30 zulässige Züge in jeder Stellung auf dem Brett. Das bedeutet, dass es 30120 mögliche Partien gibt. Natürlich ist die überwiegende Mehrheit dieser Partien völlig unsinnig. Aber es bleibt die Tatsache, dass es 10180 verschiedene Partien sind. Dies ist eine Zahl, die für unsere alltägliche Existenz absolut keine Bedeutung hat. Die Zahl der Elementarteilchen in den Hunderttausenden von Billionen von Sternen im bekannten Universum ist unvorstellbar viel kleiner.

Versuchen wir also, die Zahl zu modifizieren, um sie handhabbar zu machen. Zu diesem Zweck definieren wir, was wir unter einer »sinnvollen« Schachpartie verstehen. Wir nehmen an, dass es in einer durchschnittlichen Schachstellung nur fünf sinnvolle Züge gibt. In vielen Stellungen könnten es natürlich mehr sein und in vielen weniger. Der Durchschnitt von fünf Zügen pro Stellung scheint vernünftig.

Dann gehen wir davon aus, dass die überwältigende Mehrheit der vernünftigen Schachpartien nicht länger als 60 Züge ist, d.h. maximal 120 Halbzüge. Mit diesen beiden Annahmen kommen wir auf eine Zahl sinnvoller Schachpartien, die viel kleiner ist: 5 x 5 x 5 … x 5 mit 120 Faktoren. Multipliziert erhält man ein Ergebnis von 1080 sinnvollen Schachpartien. Mathematisch ausgedrückt, sind das hundert Tredezillionen Schachpartien.

Was bedeutet das? 1080 anstelle von 10180. Was für eine Erleichterung! Das ist sicherlich eine handlichere Zahl. Sie entspricht in etwa der Anzahl der Atome im beobachtbaren Universum, das aus schätzungsweise einer Billion Galaxien besteht, mit einigen Hundert Milliarden Sternen in jeder Galaxie.

Ist 1080 tatsächlich eine Zahl, die wir im Sinne von Fermi begreifen können? Lassen Sie es uns versuchen.

Warnung: Die folgenden Passagen könnten Schwindel und schwere geistige Erschöpfung hervorrufen. Daher ist ein wenig Vorsicht geboten. Vielleicht sollten Sie sie lieber auf dem Sofa lesen, falls Sie ohnmächtig werden sollten.

Inspiriert durch Fermi und moderne Datenanalytiker wie zum Beispiel Scott Czepiel, werden wir versuchen, die Anzahl plausibler Schachpartien etwas herunterzubrechen. Auf eine Größenordnung, die wir Erdbewohner gerade so begreifen können. Etwa auf die Anzahl der Sandkörner in der Sahara, das Gewicht des Mount Everest oder die Entfernung zum Mond.

Wir beginnen damit, einen Computer einzurichten, der eine Million Partien pro Sekunde durchspielen kann, und beauftragen ihn damit, hundert Tredezillionen (1080) Partien zu absolvieren. Nachdem wir ihn gestartet haben, machen wir uns auf den Weg zur Sahara. Dort heben wir ein Sandkorn auf. Dieses transportieren wir nach Arizona, überqueren den Atlantik in einem Ruderboot, und werfen das Sandkorn in den Grand Canyon. Wohlgemerkt, wir sind gemächliche Wanderer und nehmen uns für jeden Schritt die Zeit, die wir brauchen. Ebenso sind wir langsame Ruderer, und jeder Ruderschlag verbraucht viel Zeit und Kraft. Der Transport dieses einen Sandkorns dauert hundert Jahre.

Sobald wir mit dem Sandkorn beim Grand Canyon angekommen sind, beginnen wir mit einer zweiten Aufgabe. Wir gehen hinüber zum Mount Everest und schaben einen Teelöffel voll davon ab. Diesen transportieren wir mit der gleichen Geschwindigkeit (ein Teelöffel pro Jahrhundert) nach Kanada. Dort deponieren wir ihn auf dem Boden. Dann kehren wir zum Everest zurück und holen einen zweiten Teelöffel voll. Das wiederholen wir so lange, bis der gesamte Berg in Kanada steht. Danach kehren wir den Prozess um und bringen den Everest Teelöffel für Teelöffel zurück nach Nepal. Sobald das erledigt ist, kehren wir zu unserem Computer zurück. Hat er die 1080 Partien durchgespielt, die mit einer Million Partien pro Sekunde laufen? Nicht einmal annähernd!

Jetzt laufen und rudern wir mit der gleichen »atemberaubenden« Geschwindigkeit zurück nach Afrika. Wir nehmen ein zweites Sandkorn in der Sahara auf und transportieren es zum Grand Canyon. Danach kehren wir zum Mount Everest zurück und transportieren den gesamten Berg, Teelöffel für Teelöffel, nach Kanada und dann zurück nach Nepal. Erst dann sind wir bereit für das dritte Sandkorn. So machen wir weiter, ein Sandkorn nach dem anderen, und nach jedem Sandkorn transportieren wir den gesamten Mount Everest hin und her, bis der Grand Canyon mit Saharasand gefüllt ist.

Dann folgt die umgekehrte Reise: Wir bringen den ganzen Sand, Korn für Korn, zurück nach Afrika. Und immer zwischen zwei Körnern transportieren wir den Mount Everest mit einem Teelöffel nach Kanada und zurück. Das machen wir so lange, bis der Grand Canyon leer ist. Ich gebe zu, das dauert sehr, sehr, sehr lange.

Was die Sahara und den Everest betrifft, sind wir wieder in der Ausgangsstellung angekommen. Um dies zu notieren, nehmen wir ein Blatt Papier, einen Quadratmeter groß, und machen mit einem Bleistift einen Punkt in der linken oberen Ecke. Dann wiederholen wir den gesamten Zyklus: Wir füllen den Grand Canyon, Korn für Korn, leeren ihn wieder, und zwischen zwei Körnern bewegen wir den gesamten Everest, Löffel für Löffel, und bringen ihn dann an seinen ursprünglichen Platz zurück. Wenn der Zyklus beendet ist, machen wir einen zweiten Punkt auf dem Papier, direkt neben dem ersten. Danach wiederholen wir die Prozedur: wir holen ein erstes Sandkorn, den ganzen Mount Everest hin und her, ein zweites Sandkorn, usw. Das machen wir so lange, bis das ganze Papier mit Punkten gefüllt ist. Hat der Computer nun endlich mindestens ein paar Tredezillionen Spiele durchgespielt? Nein, hat er nicht!

Also wiederholen wir den ganzen Vorgang mit einem zweiten Blatt Papier, und wenn dieses voll ist, mit einem dritten und einem vierten, wobei wir ein Blatt auf das andere legen. Wir machen das so lange, bis wir einen Stapel Blätter haben, der bis zum Mond reicht.

Dann fangen wir an, die Punkte wegzuradieren, einen nach dem anderen, füllen und leeren den Grand Canyon, bauen den Everest nach jedem Sandkorn ab und wieder auf, bevor wir jeden Punkt entfernt haben. Langsam werden wir müde.

Sie fragen sich vielleicht, ob der Computer nun endlich alle 1080 Partien durchgespielt hat. Nein, aber wir nähern uns dem Ziel. Wir müssen den Vorgang wiederholen, mit einem neuen Stapel von Blättern, die bis zum Mond reichen, mit Punkten gefüllt und dann radiert werden – und das immer wieder. Wie oft? Zehnmal oder tausendmal? Nein, tatsächlich müssen wir 200.000 solcher Stapel bis zum Mond erbauen und herniederreißen, bevor wir fertig sind. Erst dann hat der Computer endlich seine Aufgabe erfüllt und alle sinnvollen Schachpartien durchgespielt, die möglich sind.

Was ist der Zweck dieser zutiefst abwegigen Geschichte? Sie soll Ihnen einen Eindruck davon vermitteln, was wirklich große Zahlen bedeuten. Die Vorstellung von 1080 möglichen Schachpartien ist wahrscheinlich eine größere Sache, als Sie erwartet hätten.

Max Euwe – Schachlogik braucht keine Worte

 

© picture alliance/Design Pics

Herausragende Schachspieler kommunizieren auf einer anderen Ebene. Das zeigt sich auch an den Erfahrungen, die ich mit vielen Schachspielern machte, zum ersten Mal mit Max Euwe.

Mit Professor Machgielis Euwe verbrachte ich nur einen einzigen Tag Ende der 1970er-Jahre. Er sagte mir, ich solle ihn Max nennen: »Wie alle anderen.« Als Präsident des Weltschachbundes FIDE besuchte Euwe damals ein Turnier in Hamburg. Als er entdeckte, dass ich mich in meinem Studium der Philosophie auf Logik und wissenschaftliche Methoden spezialisiert hatte, lud er mich in die Cafeteria ein und verbrachte den ganzen Nachmittag damit, entsprechende Themen mit mir zu diskutieren. Allerdings war ich es, der viel von ihm gelernt hat, und nicht umgekehrt.

Abends fuhr ich ihn nach Hause, und unterwegs sprachen wir über seine Schachkarriere. Vor seiner Wohnung saßen wir dann noch zwei Stunden im Auto, während er unser Gespräch fortsetzte. Max erzählte mir hauptsächlich von seinen Niederlagen gegen Capablanca und Bogoljubow. Nicht jedoch von seinem Sieg 1933 über Aljechin, der ihm den Titel des fünften Schachweltmeisters einbrachte. Mein Gesamteindruck war äußerst positiv: Was für ein freundlicher und kultivierter Mann!

Es gibt ein kleines Experiment, das ich bei dieser Begegnung durchgeführt habe. Zwei Jahre zuvor hatte ich den sechsmaligen US-Champion Walter Browne am Flughafen von Los Angeles getroffen. Aus einer Laune heraus zeigte ich ihm ein Schachdiagramm, in dem jede Seite die gleiche Anzahl von Bauern und Figuren hatte. Für mich sah alles ziemlich symmetrisch aus, perfekt ausbalanciert. Nach einem kurzen Blick auf die Stellung sagte Walter jedoch: »Weiß gewinnt.« Ich fragte ihn, warum, und er fing an, mir von möglichen Durchbrüchen für Weiß zu erzählen, von denen es mehr gab als für Schwarz, und von schwarzen Bauernschwächen.

Ich bat ihn, »Durchbruch« und »schwach« zu definieren. Ich wandte ein, dass Schwarz gemäß seiner Definition die gleichen Durchbruchschancen und Weiß die gleiche Anzahl von »schwachen« Bauern habe. Er erwiderte, dass es einen Unterschied in der Schwäche der schwarzen und weißen Bauern gebe, und führte andere Kriterien an, um seine Einschätzung zu rechtfertigen. Am Ende hatte ich das Gefühl, dass er sinnlose Dinge sagte, um mich samt meiner Fragerei loszuwerden.

Zurück zu Max Euwe. Ich hatte bei unserem Treffen mein Notizbuch mit der Stellung dabei und zeigte sie ihm. »Oh, Weiß gewinnt, eindeutig«, sagte der große Mann und erklärte das Ergebnis auf fast dieselbe rätselhafte Weise wie Walter.

Für mich war das eine wichtige Erkenntnis. Für einen viel schwächeren Schachspieler ist das, was die beiden sagten, unverständliches Kauderwelsch. Hätten sie miteinander gesprochen, wären sie sich sofort vollkommen einig gewesen.

Ich habe Schachgroßmeister erlebt, die keine gemeinsame Sprache sprechen und sich eine Stunde lang über ein Schachspiel unterhalten, Figuren bewegen und sich nur mit den Gesten »großartig« und »hoffnungslos« austauschen können. Es geht nicht um einfache Taktik, sondern um ihre Einschätzungen, die schwächere Spieler nicht verstehen. In diesen Einschätzungen sind sie sich vollkommen einig.

Übrigens stammte die Stellung, die ich den großen Spielern zeigte, aus einer Partie, die Weiß tatsächlich auf für mich unerklärliche Weise gewonnen hatte. Schach ist einfach ein wunderbar mysteriöses Spiel!

Mikhail Botwinnik – der Beginn des Computerzeitalters

© picture alliance/Sven Simon

 

Im Jahr 1979 war ich als frischgebackener Wissenschaftsjournalist an einer Dokumentarsendung des ZDF beteiligt, die zeigte, dass Computer inzwischen Schach spielen konnten. Als Teil des Projekts reiste ich zuerst nach Chicago, wo das damals fortschrittlichste Schachprogramm entwickelt wurde, und von dort nach Russland, um einen legendären Weltmeister zu interviewen. Mikhail Botwinnik war dabei, eine alternative Strategie zum Brute-Force-Ansatz zu entwickeln, den andere Teams bei der Schachprogrammierung verfolgt hatten.

Ich kam mitten im Winter in Moskau an und besuchte Botwinnik in seiner Wohnung. Das Zimmer, in dem wir saßen, hatte einen gemütlichen Kamin. Eine Decke und Kissen lagen daneben. Irgendwann wollte Botwinnik mir etwas zeigen, und ich folgte ihm in den angrenzenden Raum. Dort war es eiskalt, so kalt, dass ich dachte, es müsste unter null Grad herrschen. Aber flüssiges Wasser in einem Glas zeigte mir, dass das nicht stimmen konnte. Botwinnik sah mich zittern und meinte: »Wir haben nur Kohle für ein Zimmer.« Dabei war er ein privilegierter Bürger. Seine Wohnung hatte immerhin zwei Zimmer.

So führte ich mit ihm ein Interview über Computerschach, das später im deutschen Fernsehen gezeigt wurde. Nachdem wir fertig waren, saßen wir noch einige Stunden zusammen und diskutierten über Schach im Allgemeinen. Er erzählte mir Geschichten, und ich lauschte gebannt seinen Erzählungen über Lasker, Capablanca, Aljechin und die anderen großen Meister, gegen die er gespielt (und gesiegt) hatte. Dabei verfluchte ich meinen Kameramann dafür, dass er nach dem Interview das Gerät ausgeschaltet und diese unschätzbar wertvollen Erzählungen nicht aufgezeichnet hatte. Aber es war zu teuer. Damals haben wir noch mit Zelluloid gearbeitet.

Auf jeden Fall wurden Mikhail und ich lebenslange Freunde und trafen uns regelmäßig bei Veranstaltungen und Turnieren, bei denen er Ehrengast war. Eine unserer Begegnungen möchte ich im Detail beschreiben. Aber dafür bedarf es ein bisschen der Vorgeschichte.

Ken Thompson ist ein Computerwissenschaftler, der ein Jahrzehnt zuvor bei den New Jersey Bell Laboratories Unix und die Computersprache C entwickelt hatte. Ende der 1970er-Jahre baute er dann die weltweit erste richtige Schachmaschine. Dabei handelte es sich um einen Computer in Kühlschrankgröße, dessen Platinen noch von Hand verdrahtet worden waren. Diese Maschine konnte nur Schach spielen, war aber in der Lage, Züge schneller zu berechnen als alle Großrechner der damaligen Zeit. Belle war die erste Maschine, die im Schach Meisterniveau (USCF-Wertung 2250) erreichte und fünfmal die ACM gewann, die Nordamerikanische Computerschachmeisterschaft.

Dieser Erfolg zog die Aufmerksamkeit des Russischen Schachverbandes auf sich. Die Sowjetunion hatte das Schachspiel damals bereits jahrzehntelang dominiert. Sie hatte die stärksten Spieler – mit Ausnahme von Bobby Fischer. Der russische Staat unterstützte den Verband mit den neuesten Trainingsmethoden, Teams von Großmeistern, Bibliotheken voll mit Büchern und einer riesigen Sammlung von Schachpartien.

Die Russen hatten auch begonnen, sich mit Computerschach zu beschäftigen. Ihr Brute-Force-Programm Kaissa gewann 1974 die erste Computerschach-Weltmeisterschaft. Der Titel wurde ihnen anschließend 1977 von einem riesigen amerikanischen Mainframe-Programm namens Chess 4.6 abgenommen, das wiederum 1980 von Kens Belle besiegt wurde.

Man war ziemlich unglücklich darüber, in dieser Disziplin vom Westen überholt zu werden, und suchte nach Alternativen. Da kam Mikhail Botwinnik ins Spiel. Er war von Beruf Elektroingenieur und hatte versucht, einen Weg zu finden, die sowjetische Wirtschaft mithilfe künstlicher Intelligenz zu steuern. Irgendwann begann er zusammen mit einem Team von Informatikern, ein hoch selektives Schachprogramm zu entwerfen, das allgemeine Prinzipien (und sein eigenes Schachverständnis) nutzte, um die Baumsuche in ihrem Programm drastisch zu beschneiden.

Zurück zu unserer Geschichte. 1982 luden der sowjetische Schachverband und Botwinnik Ken ein, seine Maschine in Moskau vorzuführen. Als Freund von Ken und Botwinnik wurde auch ich eingeladen.

Bevor Ken aus New Jersey und ich aus Hamburg getrennt nach Moskau flogen, habe ich versucht, unseren Aufenthalt dort zu koordinieren. Wir würden im selben Hotel übernachten. Für den Fall, dass einer von uns woanders einquartiert werden würde, sollte Ken seine neue Adresse im ursprünglichen Hotel hinterlassen. Wenn wirklich alles schiefginge, sollte er am nächsten Morgen um zehn Uhr auf den zentralen Roten Platz gehen und dort vor einer Kathedrale warten, die wie eine Hochzeitstorte aussieht. Dort würde ich ihn treffen.

Nun ging in der Tat alles schief, und bei meiner Ankunft konnte ich Ken nicht in unserem Hotel finden. Das Personal kannte keinen Ken Thompson (und interessierte sich nicht dafür).

Am nächsten Morgen sagte ich meinem Intourist-Begleiter, dass ich zum Roten Platz gehen würde, um einen Freund zu treffen. Darauf sagte er: »Nein, das werden Sie nicht tun.« Ich war schockiert: »Ich bin Gast des Sowjetischen Schachverbandes. Ich kann, denke ich, gehen, wohin ich will. Niemand hat gesagt, dass es Einschränkungen gibt.«

Der Mann blieb unerbittlich: »Sie gehen nicht dorthin! Heute ist Gitler Kaput. Es werden eine Million Menschen auf dem Roten Platz sein.« »Hitler kaputt« nennen die Moskauer die jährliche Feier des Sieges über Deutschland im Zweiten Weltkrieg am 9. Mai. Der Rote Platz ist dann gefüllt mit Tausenden von Menschen, und es findet eine riesige Militärparade statt. Natürlich musste ich meinen Plan aufgeben.

Was tun? Ich versuchte, Botwinnik anzurufen, aber es antwortete eine Dame, die kein Englisch sprach. Also bat ich meinen Guide, für mich anzurufen. »Sie wollen, dass ich mit großem Champion Mikhail Botwinnik telefoniere?«, fragte er ungläubig. Ich überzeugte ihn davon, dass es in Ordnung sei, weil wir Freunde waren. Er meinte, er würde es tun, aber er müsse dazu Botwinniks otchestvo kennen. Seinen was? »Wie heißt sein Vater?«, fragte er zur Klarstellung. »Das weiß ich nicht«, sagte ich ungeduldig. »Rufen Sie ihn einfach an, bitte!«

Aber mein Guide war unnachgiebig. Er ging tatsächlich die Straße hinunter zu einem Buchladen und kam triumphierend mit der Information zurück, die er brauchte, um den Anruf tätigen zu können: Moissei. Ohne das könne er nicht mit Botwinnik sprechen. Es wäre zu unhöflich gewesen, ihn mit »Herr Botwinnik« anzusprechen.

So funktionierte das System: War man aus dem Westen, konnte man ihn Mr Botwinnik nennen. Aber als Russe musste man unbedingt Mikhail Moissejewitsch sagen. In Russland wäre ich Frederic Aloisowitsch.

Am Ende gelang es mir, Botwinnik und mit seiner Hilfe endlich auch Ken zu erreichen. Beide befanden sich im Krisenmodus. Der Computer Belle, der in den Vorträgen und Diskussionen die zentrale Rolle spielen sollte, war im Flugzeug aus den USA nicht aufzufinden. Ken hatte ihn in der Frachtabteilung des JFK-Flughafens von New York aufgegeben, aber Belle hatte es nicht bis nach Russland geschafft. Mikhail selbst war in den Laderaum des Flugzeugs geklettert, um absolut sicherzugehen.

Ken erzählte die Geschichte u.a. in einem Interview, das im Mai 2019 aufgezeichnet wurde. Scannen Sie mit Ihrem Mobiltelefon den QR-Code, um es anzusehen. Es gibt Ihnen einen Eindruck davon, wie interessant Ken ist, was er alles erlebt hat und wie er über diese Abschnitte aus seinem Leben spricht.

 

Aus Moskau haben wir dann Bell Labs und Joe Condon angerufen, den Co-Konstrukteur von Belle. So funktionierte das: Das Hotel teilte uns mit, dass es bis zu drei Stunden dauern würde und wir in Kens Zimmer warten sollten. Am Ende dauerte es vier Stunden. Währenddessen riefen sie alle fünfzehn Minuten an, um sicherzustellen, dass wir noch da waren. Am anderen Ende wachte Joe auf, ging im Pyjama in seine Küche, drückte ein Dutzend Nummern und konnte sofort mit uns sprechen. Es stellte sich heraus, dass die US-Behörden Belle am Flughafen beschlagnahmt hatten, weil der Export bestimmter Technologien nach Russland strengstens verboten war. Ken könnte bei seiner Rückkehr verhaftet werden.

Daraus ergab sich das Problem, dass uns in Moskau kein Schach spielender Computer zur Verfügung stand. Wir wurden in die Zentrale des sowjetischen Schachverbandes bestellt, wo uns dessen Präsident mit sehr ernstem Gesicht empfing. Nikolai Wladimirowitsch Krogius war ein berühmter Großmeister, der Spasski 1972 bei seinem Wettkampf gegen Bobby Fischer assistierte. Er erklärte uns, das Fehlen des Computers sei eine Katastrophe: »Können Sie sich vorstellen, was die sowjetische Presse daraus machen wird?«, sagte Krogius. »Ruhollah Khomeini hat Schach im Iran verboten. Versucht Ronald Reagan, dasselbe in Amerika zu tun?« Ken zuckte mit den Schultern. Krogius wollte darüber hinaus wissen, ob Belle tatsächlich für militärische Zwecke verwendet werden könnte. (Nach Kens Rückkehr in die USA stellte die Washington Post dieselbe Frage.) Kens Antwort: »Nun, man könnte vielleicht ein paar Leute töten, wenn man sie aus einem Flugzeug wirft.«

Also wurden die Vorführungen abgesagt. Stattdessen lud uns Botwinnik in seine Datscha außerhalb von Moskau ein, wo wir uns mit seinen Schachprogrammierern unterhalten konnten. Eigentlich wollten wir sie an ihrem Arbeitsplatz treffen und mit dem Computer experimentieren. Aber Mikhail bestand darauf, dass wir alle in seine Sommerresidenz kommen sollten.

Dort wurde uns ein reichhaltiges Buffet mit geräuchertem Fleisch und Fisch, Nudelsalaten, Brot und vielen Delikatessen serviert. Wir aßen, bis wir den ständigen Anweisungen: »Los, nimm noch ein bisschen«, nicht mehr nachkommen konnten. Danach wurde der Tisch abgeräumt – und das Hauptgericht gebracht. Große Braten, dampfende Kartoffeln, Gemüse und Salate. Wir waren dem Untergang geweiht!

Bei diesem Mittagessen lernten wir Botwinniks Programmierteam kennen. Am Nachmittag konnten wir dann endlich über ihre Arbeit sprechen, über ihre Bemühungen, eine selektive Suche anhand der vom Weltmeister definierten Kriterien zu implementieren. Damit sollte die Anzahl der Stellungen, die ein Schachprogramm generieren und auswerten musste, drastisch reduziert werden.

Die Mitarbeiter konnten uns keinen Computer oder Programmcode zeigen. Stattdessen haben sie uns ausführlich beschrieben, wie das Programm das berühmte Läuferopfer findet, das Botwinnik 1938 beim Avro-Turnier gegen den ehemaligen Weltmeister José Raúl Capablanca gespielt hat.

 

Das Läuferopfer erfolgte, als Botwinnik 30.La3!! spielte und die Partie elf Züge später bei tosendem Applaus vom Publikum im Spielsaal gewann.

Sie können die Partie nachspielen, indem Sie den QR-Code mit Ihrem Mobiltelefon oder Tablet scannen. In der App können Sie ein Schachprogramm starten (Ventilator-Symbol unter dem Brett). Sie werden sehen, dass die einfache Brute-Force-JavaScript-Engine heute das Läuferopfer in weniger als einer Sekunde findet.

Das damalige Programmierteam von Botwinnik erklärte uns sehr eloquent, wie ihre Algorithmen das Läuferopfer aus rein positionellen Gründen in wenigen Minuten finden würden. Es klang alles sehr überzeugend. Offensichtlich hatten sie es schon oft erklärt.

Anschließend fragte Ken das Team nach einer Stellung, die er Belle eingegeben hatte. Sie stammte aus einer Partie, die Alexander Aljechin 1913 in Paris gespielt hatte. Der spätere Weltmeister hatte seine Dame geopfert und ein Matt in zehn Zügen angekündigt:

 

22.Dh5+!! Nach 22…Sxh5kommt23.fxe6+, was zu Matt führt.

»Belle kann das Damenopfer fast in angemessener Zeit finden«, sagte Ken. Die russischen Programmierer machte sich sofort an die Arbeit und wandten ihre Algorithmen auf die Position an. Mit Papier und Bleistift.

Botwinnik sah dabei stolz zu. Sein Lächeln gefror erst, als er bemerkte, dass ich den weißen Bauern auf h2 heimlich entfernt hatte. Als einer der stärksten Schachspieler aller Zeiten erkannte er, dass es ohne diesen Bauern kein Matt gab und 22.Dh5+ stattdessen ein schrecklicher Fehler war, der die Partie verlor. Das störte sein Computerteam jedoch nicht im Geringsten. Nach intensiver Berechnung und begeisterter Diskussion kamen sie zu dem Schluss: »Unser Programm findet 22.Dh5+!! definitiv, in knapp zwei Minuten.« Es war die Dynamik in der Stellung, die dies ermöglichte.

Falls diese Leute überhaupt einen Computer und ein Programm hatten, dachten wir, war es in erster Linie ihr Ziel, es dazu zu bringen, das berühmte Botwinnik-Capablanca-Läuferopfer zu finden. Diese Schlussfolgerung behielten wir allerdings für uns.

Es gibt noch eine kleine Botwinnik-Geschichte zu erzählen. 1983 fand die Computerschach-Weltmeisterschaft in New York statt, und Mikhail Botwinnik war als besonderer Gast eingeladen. Eines Abends besuchten wir ein Broadway-Musical – Chorus Line. Es war eine ziemlich freche Aufführung und hat allen Spaß gemacht (einschließlich Botwinnik).

Nach der Show gingen wir zurück zum Hotel, als wir einen Schachtisch auf dem Gehweg stehen sahen, an dem ein afroamerikanischer Spieler saß und Passanten herausforderte: »Komm schon, spiel mit mir, fünf Dollar pro Sieg.« Ken Thompson war wie elektrisiert. Er sagte nur ein Wort: »Mikhail!«, und eilte voraus, um den ehemaligen Schachweltmeister zu einer Partie zu überreden. In der Zwischenzeit war es meine Aufgabe, den potenziellen Gegner bereitzuhalten.

Leider wollte Mikhail nicht – die Straße war dunkel und die Umstände etwas beängstigend. Der Freiluftspieler hat währenddessen mich herausgefordert: »Komm schon, setz dich, mach deinen Zug.« Ich entschuldigte mich: »Wir wollten den alten Mann dort zum Spielen überreden. Er mag nicht – Glück für dich.« – »Glück für mich?«, fragte er. »Hör zu, ich bin ein FM, und ich habe keine Angst vor einem alten Mann.« Ich verließ ihn und schloss mich den anderen an.

Wir gingen hundert Meter weiter, als plötzlich der Freiluftspieler vor uns auftauchte. »Ich weiß, wer Sie sind. Sie sind Botwinnik!«, rief er. »Ja«, nickte der Weißhaarige mit einem freundlichen Lächeln. »Mikhail [Kraftausdruck] Botwinnik! Ich kann es nicht glauben.« Dann zog er einen Zwanzig-Dollar-Schein heraus: »Bitte unterschreiben Sie das für mich. Ich werde ihn niemals ausgeben.«

In den Jahren danach ging ich manchmal in den Washington Square Park und nahm extrem starke Freunde mit, je jünger, desto besser. Bald wurde es schwierig: »Vorsicht, da ist er wieder, mit irgend so einem Großmeistertypen«, sagten die Spieler, wenn sie mich sahen.

Mikhail Tal – Lösungen beim Spaziergang

© picture alliance/ZB/Ernst Ludwig Bach

 

Den berühmten Weltmeister aus Lettland, den Mann, der für seinen wagemutig-aggressiven Spielstil bekannt ist, traf ich zum ersten Mal im April 1987 während eines Supergroßmeisterturniers in Brüssel. Diese Begegnung wurde für mich aus einem bestimmten Grund unvergesslich.

Die allererste Version unseres Datenbank-Programms ChessBase war drei Monate zuvor veröffentlicht worden, und wir führten es den Spielern beim Turnier vor. Es war, als würde man Süßigkeiten an kleine Kinder verteilen. Den größten Spaß machte es Mikhail Tal: Er kam immer direkt nach seinen Partien in den Presseraum, um die Züge in die neue Datenbank einzugeben.

Ein anderer Besucher des Turniers war der britische Großmeister James Plaskett. Im Presseraum zeigte mir Jim folgende Studie:

Gijs van Breukelen, Schakend Nederland

Weiß spielt und gewinnt

Wir verbrachten den Rest des Tages damit, nach der Lösung zu suchen. Gelegentlich kam einer der Top-GMs nach seinem Spiel herein und beteiligte sich an der Analyse. Niemand konnte den Weg zum Sieg für Weiß finden. Irgendwann erschien Misha Tal und schaute sich kurz die Position an. Dann machte er einen langen Spaziergang im Park. Als er zurückkam, rief er: »Wo ist Frederic?« Man fand mich, und er sagte zu mir: »Komm her, ich zeige dir die Lösung.« Er hatte sie gefunden und gab alle Varianten fehlerfrei an.

Werfen wir einen Blick auf diese bemerkenswerte Studie. Weiß kann seinen Bauern wegen der Springergabel auf f7 nicht umwandeln. Zieht der weiße König, kann Schwarz das Umwandlungsfeld d8 verteidigen, und danach seinen Materialvorteil einsetzen, um die Partie für sich zu entscheiden. Weiß musste also zu drastischeren Maßnahmen greifen:

 

1.Sf6+ Kg7!1…Kh82.d8D+ ist matt in vier Zügen. Und 1…Kg62.Lh5+ Kxf6 (oder …Kf5) 3.d8D gewinnt, da das Gabelfeld f7 vom Läufer verteidigt wird. 2.Sh5+ Kg6.2…Kf7 würde das Gabelfeld blockieren und die Umwandlung erlauben. 3.Lc2+! Schwarz wird gezwungen, den Springer zu nehmen. Es ist für Computer sehr schwierig, diesen Zug zu finden. 3…Kxh54.d8D!! (lässt die Gabel zu) Sf7+ 5.Ke6 Sxd8+ 6.Kf5.

Aha, Weiß hat ein Mattnetz ausgeworfen! Die Drohung lautet 7.Ld1+ e28.Lxe2 matt. 6…e27.Le4. Jetzt droht 8.Lf3#. Schwarz hat nur eine vernünftige Verteidigung: die Unterverwandlung! 7…e1S! 8.Ld5! Drohung: 9.Lc4 und 10.Le2 mit anschließendem Matt. 8…c29.Lc4 c1S! Wieder Unterverwandlung in einen Springer. Es verhindert 10.Le2 und Matt. 10.Lb5. Droht 11.Le8+ mit Matt in zwei. 10…Sc711.La4!

Sehen Sie sich die Stellung an. Schwarz hat vier Springer und einen Läufer, kann aber den einsamen weißen Läufer nicht daran hindern, in drei Zügen mattzusetzen, z.B. 11…Se212.Ld1 Sf313.Lxe2 und 14.Lxf3 matt.

Als ich diese Studie auf der Nachrichten-Seite von ChessBase veröffentlichte, konnte sie nur eine Handvoll Leser lösen – mit kräftiger Computerhilfe. Ein Leser sagte, er habe einen ganzen Tag gebraucht, um es mit Unterstützung eines Schachprogramms zu lösen. Ein anderer schrieb, er habe es ganz ohne Computerhilfe in zwei Tagen herausgefunden: »Es ist das längste Puzzle, das ich je gelöst habe, und auch das interessanteste.«

In der ChessBase-Engine-Cloud fand ich heraus, dass ein Computerprogramm die Lösung gefunden hatte, die einen klaren Gewinn für Weiß vorhersagte, nachdem es bis zu einer Tiefe von 62 Halbzügen gesucht hatte. Mikhail Tal hatte das alles im Kopf durchgerechnet, während er im Park spazieren ging!

Im Jahr 1988 reiste ich zu den Vorrunden eines Kandidatenturniers nach Saint John in New Brunswick, Kanada. Tal war dabei. Er war kein Kandidat, sondern Ehrengast und Teilnehmer der dort ausgetragenen Blitz-Weltmeisterschaft.

Ich genoss die Gesellschaft dieses kenntnisreichen und humorvollen Mannes, und wir gingen einige Male zusammen zum Abendessen. Er erzählte mir Geschichten über das Schachleben in der Sowjetunion (zu der sein Heimatland Lettland damals gehörte) und über seinen Umgang mit Mikhail Botwinnik, gegen den er kurzzeitig den Weltmeistertitel geholt hatte.

Die damals in New Brunswick ausgetragene Blitz-Weltmeisterschaft kann man wohl als das stärkste Blitzturnier aller Zeiten bezeichnen. Die Schlussphase war ein Knock-out mit 27 der besten Spieler der Welt, einschließlich Kasparow und Karpow. Tal erreichte das Finale gegen Raphael Vaganian.

Gegen Ende des Matches gab es eine kurze Pause, aber als die Partien wieder aufgenommen werden sollten, war Mikhail nicht am Brett. Alle gerieten in Panik: »Wo ist Tal? Wo ist Tal?« Ich machte mich auf die Suche und fand ihn in der Ecke des Restaurants an einem Tisch sitzen. Ich eilte hinüber und sagte: »Mikhail, deine Partie fängt gleich an, du musst dich beeilen.«

»O mein Gott«, rief er und kämpfte sich auf die Beine. Ich nahm seinen Arm und führte ihn. Wenn man mit jemandem geht, der beschwipst ist, merkt man das eindeutig. Ich brachte ihn zum Brett, und er plumpste auf seinen Platz. Mein erster Gedanke: »Das wird eine Katastrophe!«

Aber Mikhail besiegte Vaganian und gewann das Turnier! Er war der älteste Spieler und stand, zumindest in der Schlussphase des Turniers, deutlich unter Alkoholeinfluss. Aber erstaunlicherweise war der Teil seines Gehirns, der hervorragendes Schach spielte, hellwach. Ich hätte nie gedacht, dass so etwas möglich ist.

Es gibt noch eine kleine Randgeschichte zu diesem Turnier, und ich kann nicht widerstehen, sie zu erzählen. Nach der Hälfte des Kandidatenturniers, bei dem ich für das Bulletin zuständig war, sollte ich Hilfe von einem Kollegen aus Deutschland bekommen. Doch er kam nicht, und als er am nächsten Tag endlich erschien, erklärte er den Grund seiner Verspätung. Er war wie geplant eingetroffen und mit einem Taxi zum Hilton Hotel gefahren, wo das Turnier stattfand. An der Rezeption sagte man, sie hätten keine Reservierung für ihn, aber es seien Zimmer frei, also war alles gut. Er checkte ein, ging hoch auf sein Zimmer, packte seine Sachen aus, duschte, und kehrte anschließend in die Lobby zurück. »Wo ist das Schachturnier?«, fragte er. »Das was?« Keiner an der Rezeption wusste etwas von einem großen internationalen Schachturnier.