Schicksalsschwur - Frank Esser - E-Book

Schicksalsschwur E-Book

Frank Esser

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Beschreibung

Erst wird der Juwelier Michael Pfeiffer erschossen, dann stirbt ein Obdachloser unter mysteriösen Umständen. Kriminalhauptkommissar Karl Hansen arbeitet mit seinem Team unter Hochdruck daran, die Taten aufzuklären. Zu allem Überfluss sitzt ihnen auch noch der Aachener Bürgermeister im Nacken, der angesichts der anstehenden Reit-WM wegen der Morde einen Imageschaden für die Stadt befürchtet. Eine Entdeckung im Rahmen der Ermittlungen versetzt Hansen in Alarmbereitschaft und lässt ihn vermuten, dass die Morde möglicherweise nicht das einzige Problem sind, mit dem sie es zu tun haben …

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1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7 Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10 Kapitel
11 Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
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26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
33. Kapitel
34. Kapitel
35. Kapitel
36 Kapitel
37. Kapitel
38. Kapitel
39. Kapitel
40. Kapitel
41. Kapitel
42. Kapitel
43. Kapitel
44. Kapitel
Nachwort

Schicksalsschwur

Ein Aachen-Krimi

Hansens 5. Fall

 

 

 

Impressum

Texte: © Frank Esser Cover: © NaWillArt Coverdesign / www.nawillart-coverdesign.de

Lektorat: © Christine Weber - www.textomio.de

Korrektorat © Marion Kaster / Heidemarie Rabe

Verlag: Frank Esser

Am Römerhof 1

52477 Alsdorf

[email protected]

 

 

1. Auflage, 2021

© Alle Rechte vorbehalten.

 

 

 

 

 

Prolog

 

Aachen, Donnerstag, 18. Juni 2020

 

Es war ein einzelner Schuss, der kurz nach Ladenschluss im kleinen Büro des Juwelierladens in der Peterstraße fiel und das Leben des Ladeninhabers Michael Pfeiffer jäh beendete. Er hatte um Gnade gewinselt, ihn unter Tränen angefleht, ihn zu verschonen. Ihn wimmernd an seinen fünfjährigen Sohn erinnert, der sonst ohne Vater aufwachsen müsste.

Angelächelt hatte er den Juwelier, der plötzlich stocksteif vor ihm auf dem Bürostuhl saß, als er das kalte Metall des Schalldämpfers an der Stirn spürte. Was dann folgte, als er emotionslos abdrückte, war keineswegs ein infernalisch lauter Knall, aber auch kein dumpfer Plopp, wie die Fernsehmacher es einem immer vorgaukelten, nur weil man einen Schalldämpfer benutzte. Auf dem Weg, den sich das Projektil durch das vordere Schädeldach und den wässrigen Teil des Großhirns bahnte, hinterließ es in der hinteren Schädelplatte einen großen Krater. Die mitgerissene Hirnmasse, Knochenfragmente und das Blut auf der Wand gleich hinter dem Toten erinnerten an ein abstraktes Gemälde. Es hatte fast den Anschein, als ob sich irgendein durchgeknallter Maler durch wildes, unkontrolliertes Farbeauftragen an diesem Kunstwerk versucht hätte.

Zufrieden betrachtete der Schütze sein Werk. Dann steckte er die Knarre in den Hosenbund, klaubte die Patronenhülse vom Boden auf und begann damit, das kleine Notizheft mit dem roten Einband zu suchen, in das Pfeiffer beim letzten Treffen gekritzelt hatte. Unter keinen Umständen durfte es in die falschen Hände gelangen. Vor allem sollten es die Bullen nicht finden, es enthielt zu viele verräterische Eintragungen. Er wusste, dass der Juwelier die Namen, Daten und geheimen Treffpunkte niemals in digitaler Form festhielt. Das Heft war das wichtigste Beweismittel, das auf seine Identität hinweisen würde. Ein Grinsen zog sich über sein markantes Gesicht, als er mit der behandschuhten Rechten das Heft und das abhörsichere Handy aus der Innentasche von Pfeiffers Sakko zog. Er schnalzte mit der Zunge, als er das kleine Notizbuch aufklappte und durchblätterte – da, sein Name! Gut, dass Pfeiffer es nicht im Safe aufbewahrt hatte, dachte er, machte auf dem Absatz kehrt und drückte die schwere Sicherheitstür einen Spaltbreit auf.

Nachdem er sich überzeugt hatte, dass die Luft rein war, schlüpfte er zufrieden hinaus ins Treppenhaus. Als er kurze Zeit später den Bürgersteig betrat, atmete er kräftig aus und verschwand unerkannt in den Straßen der Domstadt.

 

 

 

1. Kapitel

 

Claudia Rothenbach arbeitete seit vier Jahren als Putzfrau im Juweliergeschäft Pfeiffer. Jeden Dienstag- und Donnerstagabend wischte sie das Büro und brachte sämtliche Glasvitrinen im Geschäftsraum auf Hochglanz, damit die Schmuckstücke, die sie sich vermutlich nie würde leisten können, perfekt zur Geltung gebracht wurden. Es war kurz vor acht. Nur noch eine Stunde, dann könnte sie endlich daheim ihre Mutter ablösen, die auf Sophie aufpasste.

Seufzend nestelte sie den Schlüssel für den Nebeneingang aus der Handtasche und trat kurz darauf ins Treppenhaus. Schilder wiesen den Weg zu den Etagen, in denen ein Architekturbüro und ein zahntechnisches Labor ihre Geschäftsräume hatten. Ausgepowert vom anstrengenden Arbeitstag legte sie die paar Schritte zur Sicherheitstür zurück, steckte den Schlüssel ins Schloss und stutzte.

Nicht abgeschlossen!Komisch.

Seit sie die Stelle angetreten hatte, war es noch nie vorgekommen, dass die schwere Eisentür nicht abgesperrt war. Pfeiffer hatte ihr stets eingebläut, bloß nicht zu vergessen, wieder abzuschließen, wenn sie ging.

Ein mulmiges Gefühl machte sich in der Magengegend breit, als sie die Tür ganz aufzog und den Raum betrat. Was dann folgte, war ein martialischer Schrei, der im gesamten Geschäftshaus zu hören war. Sie ließ ihre Handtasche fallen, deren ganzer Inhalt sich auf dem Boden verteilte. Die Leiche ihres Arbeitgebers saß zusammengesunken auf dem Schreibtischstuhl, die Wand dahinter war völlig besudelt. Claudia Rothenbach spürte, wie sich ihr Mageninhalt die Speiseröhre hinaufarbeitete. Raus, sie musste unbedingt hier raus!

Sie schaffte es gerade noch, wieder zurückzulaufen und die Haustür aufzureißen, bevor sie sich in hohem Bogen auf dem Gehweg erbrach. Den Schlüssel vom Juwelierladen hielt sie noch in der Hand. Irgendjemand eilte auf sie zu, als sie vornübergebeugt die Hände auf den Oberschenkeln abgestützt nach Luft japste.

»Kann ich Ihnen helfen?«

Sie erschrak sich fast zu Tode, als sich eine Hand auf ihre Schulter legte, und schaute den Unbekannten mit weit aufgerissenen Augen an. »Er ist tot … tot«, stammelte sie, richtete sich wieder auf und deutete mit ausgestrecktem Arm auf die Tür, die ins Geschäftshaus führte.

»Wer?«, fragte der junge Mann, der aussah wie ein weißer Rastafari: wilde Dreadlocks, ein schwarzes Shirt mit Hanfblattmotiv, bunt gestreifte Baumwollhose.

»Ich muss … die Polizei … Mein Handy ...« Na toll, das Ding war in der Handtasche auf dem Boden im Büro. »Könnten Sie … die Polizei anrufen, meine ich? Mein Chef, er … er ist ermordet worden, Herrgott! In seinem Büro!«

Jetzt starrte der junge Mann sie ebenfalls entsetzt an.

»Ermordet, sagen Sie?«, wiederholte er und zückte umgehend sein Handy. Sekunden später war er offenbar mit der Leitstelle der Aachener Polizei verbunden. In kurzen Worten schilderte er, was sie ihm gerade erzählt hatte.

Es dauerte keine fünf Minuten, bis die ersten Einsatzkräfte eintrafen.

 

 

2. Kapitel

 

Eine knappe halbe Stunde später stieg Kriminalhauptkommissar Karl Hansen, seit fast sieben Jahren Leiter der Aachener Mordkommission, aus dem Opel Grandland, seine neueste Errungenschaft. Der Mann mit den norddeutschen Wurzeln, Hansen senior hatte es vor fünf Jahrzehnten von Hamburg nach Aachen verschlagen, galt als ruhiger Stratege. Den trockenen Humor hatte er von seinem alten Herrn geerbt, der nach dem Tod der Ehefrau vor drei Jahren wieder zurück in die Hansestadt übergesiedelt war. Er besuchte ihn, so oft es die Zeit zuließ.

 

Hansen hatte es sich gerade auf der Couch gemütlich gemacht, als ihn der Anruf aus der Leitstelle erreichte. »Dann wollen wir mal«, murmelte er, als er die Straße überquerte. Zielstrebig steuerte er auf seinen KDD-Kollegen Sükan Ergun zu, der sich mit einer Frau unterhielt, die kreidebleich war. Der Name des Mannes war Programm, »Sükan« bedeutete im Türkischen so viel wie »kräftig« oder »tapfer«. Der gebürtige Istanbuler hatte ein Gardemaß von fast zwei Metern und überragte ihn somit um knapp zwanzig Zentimeter.

Etwas abseits von den beiden unterhielt sich sein Partner Stefan Riedmann mit einem Mann, der aussah, als ob er auf dem Weg zu einer Reggae-Party war. Riedmann wohnte mit seiner Freundin Laura Decker, der Leiterin der KTU, ganz in der Nähe des Tatorts. Kein Wunder also, dass er vor ihm in der Peterstraße eingetroffen war. Laura hatte mit ihrem Team der Spurensicherung vermutlich schon die Arbeit aufgenommen. Hansen räusperte sich, als er an Ergun und die zierliche Frau herantrat. Der KDD-Kollege hatte mit dem Rücken zur Straße gestanden und ihn nicht kommen sehen.

»Wenn das nicht der Leiter der Mordkommission mit der höchsten Aufklärungsquote ist«, meinte der Mann mit der bassartig tiefen Stimme, als er sich zu ihm umgedreht hatte und ihn anlächelte, wobei er die schneeweißen Zähne entblößte.

»Schön, dich mal wiederzusehen, Sükan. Wenngleich die Umstände eher unschön sind. Im Restaurant deiner Eltern wäre mir ein Treffen lieber gewesen.« Er trat neben den Kollegen. »Hauptkommissar Karl Hansen«, stellte er sich der Frau vor.

»Claudia Rothenbach«, erwiderte die Angesprochene mit zaghafter Stimme.

»Frau Rothenbach hat den Toten gefunden, den Inhaber des Juweliergeschäfts. Aber das hat man dir sicherlich schon gesagt«, schaltete sich Ergun ein. Hansen nickte, der KDDler fuhr fort: »Angerufen hat uns Peer Böttner, Maschinenbaustudent an der RWTH. Er hat gesehen, wie Frau Rothenbach schreiend aus dem Haus gelaufen kam und sich anschließend übergeben hat. Stefan spricht gerade mit ihm.«

»Dauert es noch lange? Ich muss nach Hause, bitte. Zu meiner Tochter«, unterbrach Claudia Rothenbach den Ermittler.

»Nur noch ein paar Fragen, wenn es in Ordnung ist«, erwiderte Hansen freundlich und betont mitfühlend.

»Aber ich habe doch Ihrem Kollegen schon alles erzählt«, antwortete sie leise.

»Ich würde es gern noch einmal von Ihnen persönlich hören. Sükan, ich übernehme jetzt.« Hansen nickte dem Kollegen zu und reichte ihm die Hand. Als der KDDler sie mit seiner Pranke schüttelte, dachte er, die Finger steckten in einem Schraubstock.

»Viel Glück«, meinte der Hüne, bevor er sich von der Zeugin verabschiedete und sich anschickte, seinen Kollegen einzusammeln, der ihn begleitet hatte.

»Erzählen Sie mir doch bitte, in welcher Beziehung Sie zu dem Opfer standen«, begann Hansen.

»Ich putze zweimal die Woche hier, dienstags und donnerstags. Versuche mich irgendwie über Wasser zu halten, seit Sophies Erzeuger das Weite gesucht hat«, schnaufte sie verbittert.

Hansen, der heute ein mintgrünes Hemd mit Brusttasche trug, hatte bereits sein kleines schwarzes Notizbuch gezückt und machte einen Eintrag. Riedmann zog ihn immer damit auf – er fand Notizbücher oldschool. Der deutlich jüngere Kollege benutzte lieber eine App auf dem Smartphone – wenn er überhaupt einmal etwas notierte. Aus dem Augenwinkel erkannte Hansen, dass Riedmann die Befragung abgeschlossen hatte und ins Gebäude gehen wollte, was er mit einem kurzen Kopfnicken quittierte.

»Und als Sie heute Abend hier saubermachen wollten, haben Sie Herrn Pfeiffer aufgefunden.« Es war eine Feststellung, keine Frage, dennoch nickte sie stumm. Eine Träne lief ihre Wange herunter, die sie mit dem Handrücken wegwischte. »Wo haben Sie den Mann gefunden?« Zwar kannte er die Antwort, wollte es aber trotzdem noch mal von ihr hören.

»In seinem Büro. Da war so viel Blut, das … es war furchtbar«, stammelte die junge Frau.

»Sie besitzen also einen Schlüssel für das Geschäft?«

Wieder ein Nicken. »Ich hatte gleich ein komisches Gefühl, als ich reinwollte, weil die Tür nicht abgeschlossen war. Sonst war immer abgesperrt.«

Vermutlich war der Täter auf diesem Weg geflohen, schoss es Hansen durch den Kopf. Ein erster wichtiger Hinweis, den er ebenfalls notierte. »Ist Ihnen noch etwas Ungewöhnliches aufgefallen? Vielleicht eine Person, die das Gebäude verlassen hat, als Sie ankamen?«

Claudia Rothenbach kniff die Augen zusammen, dabei bildete sich eine tiefe Furche auf der Stirn. Schließlich schüttelte sie den Kopf.

»Kannten Sie Ihren Chef näher?«

»Nein, wir sind uns auch nur selten persönlich begegnet. Ich war fast immer allein im Geschäft. Das Geld lag dann in einem Briefumschlag auf dem Schreibtisch im Büro. Aber er war sehr nett zu mir, wenn wir uns trafen.«

Hansen überlegte, ob er noch weitere Fragen hatte, beschloss dann aber, es erst einmal dabei zu belassen.

»Brauchen Sie ärztliche Versorgung oder psychologische Hilfe?«, wollte er wissen.

»Nein, ich will einfach nur nach Hause, meine Mutter passt auf meine Tochter auf.«

»Die Kollegen der Schutzpolizei werden Sie bringen, Sie sollten in diesem Zustand besser nicht allein heimfahren. Ich müsste Sie allerdings darum bitten, morgen früh aufs Präsidium zu kommen, damit wir Ihre Aussage noch protokollieren können. Wäre das möglich?«, fragte er die junge Frau.

»Wenn’s unbedingt sein muss«, seufzte Claudia Rothenbach.

»Muss es leider«, erwiderte Hansen.

»Ich fahr aber selbst nach Hause, wird schon gehen. Ich muss ja das Auto nehmen, sonst kann ich morgen nicht arbeiten. Kann ich meine Tasche wiederhaben? Hab sie fallen lassen, als … als ich Herrn Pfeiffer gefunden habe«, schniefte sie. »Ich brauche meinen Autoschlüssel.«

»Warten Sie bitte hier, ich kümmer mich darum. Wir sehen uns dann morgen auf der Dienststelle. Sagen wir um neun?«, fragte Hansen. Sie bejahte, und er verschwand ins Innere des Geschäftshauses.

Im Hausflur traf er auf Sven Kochs, einen leicht übergewichtigen Mitarbeiter aus Laura Deckers Team. Der Mann in dem weißen Schutzoverall trug gerade Rußpulver auf die schwere Eisentür auf, die ins Büro des ermordeten Geschäftsmannes führte, um sie auf Fingerabdrücke zu untersuchen. Als er ihn grüßte, sah er auf der Türschwelle die Handtasche, die Claudia Rothenbach dort hatte fallen lassen. Daneben stand ein gelbes Tatortmarkierungsschild mit einer schwarzen Eins. Hansen griff in den aufgeklappten Aluminiumkoffer der Spurensicherung und holte sich ein paar Einmalhandschuhe und Fußüberzieher heraus.

»Wie ich sehe, seid ihr schon fleißig«, meinte er, als er über die Handtasche stieg und den Raum betrat.

»Allzeit bereit, weißt du doch«, ertönte Laura Deckers Stimme. Die Chefin der KTU inspizierte gerade den Bereich rund um den Schreibtisch. Auch sie trug den obligatorischen weißen Overall, ihre lange braune Mähne war komplett unter der Kapuze verschwunden. Auf der anderen Seite des Möbelstückes war Sebastian Maurer, das dritte Mitglied des Teams, damit beschäftigt, Fotos vom Tatort zu schießen. Er war vor zwei Jahren zur Truppe gestoßen und mittlerweile festes Mitglied im Team.

»Ganz schöne Sauerei«, stellte Hansen lakonisch fest, als er einen Blick auf das Opfer und die Hirnfragmente an der Wand dahinter geworfen hatte.

»Das ist die Übertreibung des Monats. Wer immer das war, hat dem armen Mann aus nächster Nähe einfach die Birne weggepustet. Die arme Putzfrau, die ihn gefunden hat«, seufzte Laura Decker.

»Apropos, sie wartet draußen. Die Handtasche am Eingang gehört ihr.«

»Weiß ich, hab den Inhalt gecheckt und ihren Ausweis gefunden. Eine süße Tochter hat sie. Wir haben auch schon alles dokumentiert. Sven, kannst du der Zeugin bitte die Handtasche bringen? Die Frau wartet draußen«, bat Laura den Kollegen.

»Wie sieht sie denn aus?«, wollte er von Hansen wissen.

»Was glaubst du denn, wie viele Frauen draußen vor der Tür warten?«, erwiderte der Chefermittler genervt. »Zierlich, dunkelblond, verheultes Gesicht«, fuhr er fort.

»Man wird doch noch mal fragen dürfen«, brummte Kochs, der die Tasche aufhob.

»Schlechte Laune?«, fragte Laura.

»Wenn man das hier sehen muss, kann man doch nur schlechte Laune bekommen«, knurrte er. »Aber hast recht, mein Ton war unangemessen. Werd mich gleich bei Sven entschuldigen. Also, was wissen wir bisher?«

»Nicht viel, so lange sind wir ja auch noch nicht da. Bei dem Toten handelt sich’s zweifelsfrei um den Ladeninhaber, Michael Pfeiffer. Hab den Ausweis in seiner Brieftasche gefunden. Auf den ersten Blick würde ich schätzen, dass wir es nicht mit einem Raubmord zu tun haben. Auf dem Schreibtisch liegt Bargeld, nicht gerade wenig. Vermutlich war Michael Pfeiffer gerade dabei, die Tageseinnahmen zu zählen. Die Vitrinen im Laden sind intakt und die Auslagen machen nicht den Eindruck, dass sich da jemand bedient hat. Natürlich müssen wir noch eine genaue Bestandsaufnahme machen, aber dafür brauchen wir erst mal eine Inventarliste«, fasste sie zusammen.

»Vielleicht hatten es der oder die Täter ja auch nur auf ein bestimmtes Einzelstück abgesehen«, warf Riedmann ein, der gerade aus dem Geschäftsraum kam und das Büro betrat. Hansens Partner, der neuerdings herumlief wie Don Johnson in Miami Vice, wobei er im Gegensatz zu dem Schauspieler keine Espadrilles zum sportlich-modernen Anzug trug, sondern Sneaker, hatte offensichtlich den Ladenbereich inspiziert.

»Könnte natürlich sein«, räumte seine Freundin ein. Dann machte sie sich wieder an die Arbeit und wandte sich der Wand hinter dem Opfer zu.

»Weder die Tatwaffe noch Patronenhülsen hier am Tatort?« Hansen hatte einen Blick für Details.

»Korrekt. Um den Waffentyp bestimmen zu können, müssen wir also auf das Ergebnis der ballistischen Untersuchung warten. Wird wohl ’ne Herkulesaufgabe«, rief sie über die Schulter. »Da haben wir das gute Stück ja auch schon. Wie ich mir dachte: völlig verformt«, schnaubte sie, drehte sich um und hielt den Ermittlern das deformierte Projektil entgegen, das sie aus der Wand hinter dem Opfer gepult hatte. Sie verstaute es umgehend in einem Beweismittelbeutel.

»Kein guter Start in die Ermittlung«, sinnierte Hansen. »Vielleicht haben wir ja mehr Glück mit den Überwachungskameras. Wenn der Schütze vorn reinspaziert ist, wurde er möglicherweise aufgenommen.« Er deutete auf den Überwachungsbildschirm und das angeschlossene Aufnahmegerät darunter. Bildschirm und Festplattenrekorder standen auf einem kleinen Sideboard an der Wand neben der Durchgangstür zum Laden.

»Dann hoffen wir mal das Beste, hier im Büro scheint’s keine Kamera zu geben«, gab Riedmann zurück, der sich sofort an dem Aufnahmegerät zu schaffen machte. Im Gegensatz zu Hansen war er technikaffin, Hansen war diesbezüglich eher ein Dinosaurier. Der Chef hatte beim Neukauf seines Wagens sogar gegen einen horrenden Aufpreis auf den Einbau eines CD-Players bestanden, er hielt nichts davon, Musik über Bluetooth oder USB-Stick zu hören.

Es dauerte nicht lange, bis Riedmann die Aufnahme zu der Stelle gespult hatte, als Pfeiffer den Laden um Punkt halb sieben abschloss. Dann ließ er den Mitschnitt im Schnelldurchlauf bis 20:00 Uhr vorlaufen, als Claudia Rothenbach den Toten gefunden hatte. Hansen und Laura Decker starrten dabei genauso gebannt auf den Monitor wie er. Doch niemand betrat den Laden durch die Vordertür.

»Wäre ja auch zu einfach gewesen«, konstatierte der leitende Ermittler, als Riedmann die Aufnahme stoppte.

»Also hat Pfeiffer seinen oder seine späteren Mörder vermutlich selbst durch die Hintertür hineingelassen«, stellte Laura fest.

»Sieht so aus. Demnach hat er ihn oder sie gekannt«, schloss Hansen.

»Na, hier hat aber jemand ganze Arbeit geleistet«, ertönte die vertraute Stimme des Gerichtsmediziners Nils Bode aus dem Hintergrund.

Beide Ermittler drehten sich wie auf Kommando zu dem Mann um.

»Schickes Outfit«, stellte Hansen in Anspielung auf den schwarz-weißen Trainingsanzug fest, den der Gerichtsmediziner trug.

»Ich war gerade kurz davor, Professor Meinerzhagen seine allmonatliche Niederlage auf dem Tenniscourt beizubringen, als mich der Anruf ereilte.« Bode stellte seinen schwarzen Instrumentenkoffer auf den Boden, den er bei der Erstuntersuchung eines Opfers stets dabeihatte.

»Wenn ich bedenke, dass der arme Mann knapp fünfzehn Jahre älter ist als Sie, gleicht das auch eher dem Duell hüftkranker Boris Becker gegen Alexander Zverev«, scherzte Riedmann.

Bode rümpfte die Nase. Dann holte er einen Schutzanzug aus dem ledernen Koffer und zog diesen eilig über den Trainingsanzug. Sein pechschwarzes Haar, das zunehmend von silbergrauen Strähnen durchzogen war und allmählich im Bereich des Hinterkopfs lichter wurde, stopfte er unter die Kapuze. Anschließend schlüpfte er in Fußüberzieher und Einmalhandschuhe, bevor er sich daran machte, die Leiche zu untersuchen.

Hansen wollte gerade Riedmann bitten, sich in der Nachbarschaft umzuhören, ob jemand etwas Ungewöhnliches beobachtet hatte, als die beiden anderen Kollegen seines Teams am Tatort erschienen. Wie so oft tauchten Jens Marquard und Markus Beck erst spät auf, er regte sich schon lange nicht mehr darüber auf. Der zweifache Familienvater Beck, der den Kampf gegen die Pfunde schon lange verloren hatte, sah abgehetzt aus. Marquardt wirkte dagegen, als sei er gerade aus der Dusche gehüpft, das schwarze schulterlange Haar war noch feucht.

»Gutes Timing, dann könnt ihr gleich mal Stefan unterstützen«, verzichtete Hansen auf eine Begrüßung und kam sofort zur Sache.

»Lass mich raten«, fiel ihm Beck ins Wort. »Wir sollen uns in der Nachbarschaft umhören.«

»Richtig. Die beiden Häuser nebenan sind oberhalb der Geschäfte bewohnt. Vielleicht haben wir ja zur Abwechslung mal Glück und jemand hat was gehört oder gesehen.«

»Ich denke, das kannst du dir abschminken. Wenn die uns was zu sagen hätten, würden sie sich kaum an den Fenstern die Nasen platt drücken, um irgendwie in Erfahrung zu bringen, was hier unten passiert ist. Sah jetzt nicht gerade so aus, dass da jemand drauf erpicht war, mit uns zu sprechen«, stellte Marquardt mit einem Schulterzucken fest, wobei sein trainierter Bizeps unter dem dunkelblauen Longsleeve zuckte.

»Wie auch immer, macht euch an die Arbeit. Umso schneller seid ihr wieder zu Hause. Außerdem sollten wir die Mitarbeiter der Läden befragen, die werden kaum alle Punkt halb sieben weg gewesen sein. Da habt ihr für morgen früh direkt eine Beschäftigung. Vergesst nicht die Mitarbeiter des Architekturbüros und des Zahnlabors«, bat Hansen.

»Also los, Kollegen. Ihr habt den Chef gehört. Ran ans Werk!« Riedmann klatschte in die Hände und gab das Kommando zum Aufbruch, Hansen quittierte es mit einem müden Lächeln.

Die drei Ermittler hatten gerade den Raum verlassen, als sich Bode zu Wort meldete, der sich bis dahin mit der Untersuchung des Leichnams befasst hatte. Er kam auf den Hauptkommissar zu.

»Wie wir ja alle unschwer erkennen konnten, wurde das Opfer aus nächster Nähe oder, was noch wahrscheinlicher ist, durch einen aufgesetzten Schuss getötet«, begann der Gerichtsmediziner, dem feine Schweißperlen auf der Stirn standen.

Kein Wunder, dachte Hansen, in dem Büro war es warm wie in einem Brutkasten.

»Deutliche Anzeichen von Rigor mortis an den Augenlidern und dem Kiefergelenk, was es mir erlaubt, den Todeszeitraum auf die letzten zwei Stunden einzuschränken. Angesichts der Raumtemperatur, die natürlich Einfluss auf die Prozesse der frühen postmortalen Phase hat, vermute ich, dass der Mann zwischen 18:45 und 19:15 Uhr ermordet wurde«, erklärte Bode selbstsicher. Er streifte die Einmalhandschuhe und die Kapuze ab und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.

»Wenn man die Position des Opfers auf dem Stuhl und die des Einschussloches in der Wand berücksichtigt, sieht es fast so aus, als ob sich das Projektil nahezu horizontal seinen Weg durch den Kopf gebahnt hat«, stellte Hansen fest.

»Ist mir auch schon aufgefallen. Könnte darauf hindeuten, dass Pfeiffers Mörder relativ klein ist«, meinte Laura Decker.

»’tschuldigt die Störung«, sagte Sven Kochs, als er den Raum betrat. »Aber die Gnadenlosen scharren draußen mit den Hufen und fragen, wie lange es noch dauert.«

Hansen hasste es, wenn jemand die Bestatter so nannte. Er fand es respektlos all denen gegenüber, die diesen harten Job ausübten.

»Wenn Frau Decker keine Einwände hat, können die sterblichen Überreste des Opfers in die Rechtsmedizin gebracht werden«, erwiderte Nils Bode. Er hatte den weißen Schutzanzug mittlerweile ausgezogen und hielt ihn zusammengeknüllt in der Hand.

»Hat sie nicht«, ertönte es aus dem Hintergrund. Die Spurensucherin hatte bereits damit begonnen, den Schreibtisch genauer unter die Lupe zu nehmen.

Kochs nickte nur und verließ ohne ein weiteres Wort Pfeiffers Büro. Schon wenige Sekunden später betraten zwei Männer in schwarzen Anzügen mit einem Zinksarg den Raum. Sie machten sich sofort an die Arbeit.

»Meinen Bericht erhalten Sie umgehend nach Abschluss unserer Untersuchungen. Habe die Ehre«, meinte Bode, der kaum, dass er es ausgesprochen hatte, auch schon seinen Koffer nahm und hinausspazierte.

Hansen seufzte beim Blick auf die Uhr. Der Abend war für ihn noch lange nicht beendet, er würde noch die Witwe aufsuchen, um ihr die Hiobsbotschaft vom Tod ihres Mannes zu überbringen. Manchmal hasste er seinen Job.

»Ich schnapp mir deinen Liebsten, wenn er mit der Befragung im Nachbarhaus fertig ist, und fahre mit ihm zu Pfeiffers Frau«, informierte er Laura. Die Bestatter waren gerade dabei, den Sargdeckel zu schließen.

»Und wieder muss ein Kind ohne Vater aufwachsen«, sagte Decker nachdenklich. Sie hielt Hansen ein Foto entgegen, es zeigte Pfeiffer mit Frau und Sohn.

Die Aufnahme konnte höchstens ein paar Wochen alt sein, denn das Trikot vom FC Bayern München, welches der Junge trug, war erst vor kurzem auf den Markt gebracht worden. Darauf war eine große Acht zu erkennen, mit dem Aufdruck Deutscher Meister 2013 bis 2020. Der Kleine war höchstens vier oder fünf Jahre alt.

Die beiden Bestatter verließen indes sowohl mit betretener Miene als auch dem Sarg kopfnickend das Büro.

»Wir werden auch noch ’ne ganze Weile hier beschäftigt sein. Dann hat unser Chef wenigstens wieder einen Grund, sich wegen der Überstunden aufzuregen«, erwiderte Laura Decker mit frechem Grinsen.

»Wohl wahr«, meinte Hansen. »Obwohl die angesichts der anstehenden Reit-WM kaum ins Gewicht fallen dürften, so viele Überstunden, wie die Kollegen in den nächsten zwei Wochen kloppen werden«, schob er hinterher und verabschiedete sich. Die Stadt Aachen war bereits zum zweiten Mal nach 2006 Ausrichter der WM. Aufgrund der schlimmen Erfahrungen in den vergangenen Jahren – Organisationsmängel und finanzielle Probleme der Veranstalter waren keine Seltenheit – hatte sich der Weltverband noch einmal für die Kaiserstadt ausgesprochen. Die erneute Ausrichtung der Reit-WM war ein weiterer Meilenstein für Aachen als Pferdesport-Mekka. Schon seit Jahren war die westlichste Stadt der Republik dank des CHIO ein Begriff in der Welt des Pferdesports. Jahr für Jahr pilgerten Prominente aus Politik, Sport und Kultur zu dem Event.

Hansen trat gerade auf den Bürgersteig, als ihm Riedmann entgegenkam.

»Fehlanzeige.« Sein Partner schüttelte den Kopf, bevor Hansen etwas sagen konnte. »Zweimal hat erst gar keiner aufgemacht, und Kandidat Nummer drei, eine Frau um die neunzig, ist so schwerhörig, dass sie nicht mal den Trubel mitbekommen hat, der gerade hier herrscht. Ich hatte alle Mühe, mich überhaupt mit ihr zu verständigen. Sie wollte unbedingt ein Likörchen mit mir trinken. Scheint nicht viel Besuch zu bekommen.«

»Und – hast du?«

»Was?«

»Einen Likör mit ihr getrunken?«, meinte Hansen und verdrehte die Augen.

»Na, du hast Nerven. Als ob ich dafür Zeit gehabt hätte, noch dazu im Dienst. Willst du jetzt zur Witwe?«

Der Hauptkommissar nickte.

»Dann fahren wir jetzt zu den Pfeiffers.«

»Ich fahre, mein Wagen steht da vorn.« Hansen deutete auf die gegenüberliegende Straßenseite, wo er seinen Opel im Halteverbot abgestellt hatte. »Ich bring dich auch nachher wieder nach Hause, bevor es dunkel wird.« Er schickte ein Augenzwinkern hinterher.

 

 

 

3. Kapitel

 

Knapp zehn Minuten später erreichten sie ihr Ziel in der Laurentiusstraße im Stadtteil Laurensberg. Die Pfeiffers bewohnten eine stattliche Villa. Genau genommen war es ein moderner viereckiger Kasten mit zwei Etagen und Flachdach, auf dem eine Fotovoltaikanlage montiert war, weißer Putzfassade und großzügigen Fensterflächen. Nicht unbedingt Hansens Geschmack, er mochte den Charme alter Gebäude mehr. Dennoch war er beeindruckt.

»Bringen wir’s hinter uns.« Schwungvoll und entschlossen parkte er den Wagen und stieg aus. Wortlos folgte Riedmann ihm.

Es dauerte einen Moment, bis die anthrazitfarbene Haustür mit den drei quadratischen Glaselementen von einer Frau, die in etwa seine Größe hatte, aufgemacht wurde. Hansen schätzte sie auf Anfang bis Mitte dreißig. Sie hatte kastanienbraune Augen und langes dunkles Haar, das zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden war. Ihre Überraschung, als sie die beiden Männer erblickte, stand ihr ins Gesicht geschrieben. Hansens Magen verkrampfte beim Gedanken daran, ihr nun mitteilen zu müssen, dass ihr Mann ermordet worden war.

»Ja, bitte?«, sagte die Frau erstaunt, dennoch mit einem freundlichen Lächeln.

»Karl Hansen, Polizei Aachen«, begann er und zeigte seinen Ausweis. Auch Riedmann stellte sich vor.

»Polizei?«, wiederholte die Frau irritiert und sichtlich erschrocken. Ihr Lächeln erstarb.

»Dürfen wir vielleicht einen Moment hineinkommen?«, fragte Hansen behutsam.

»Worum geht es denn?«, erwiderte Stefanie Pfeiffer nach kurzem Zögern. Noch ehe er antworten konnte, fuhr sie fort: »Geht es um Michael?« Sie sprach den Namen englisch aus. »Mein Gott, ist ihm etwas passiert? So sagen Sie doch was!«, schrie sie jetzt fast schon hysterisch und schlug eine Hand vor den Mund. In ihren Augen stand blanke Angst.

»Vielleicht können wir erst einmal hineingehen und in Ruhe …«

»Ist … ist er …«, unterbrach sie ihn mit bebender Unterlippe, doch weiter kam sie nicht mehr, da ihr die Beine wegknickten und sie vor den Augen der Beamten zusammenbrach.

Es gelang Hansen gerade noch, sie aufzufangen, bevor sie auf dem Boden aufschlug. »Hilf mir mal, Stefan. Wir tragen sie rein.« Während er die Frau unter den Achseln packte, umschlang Riedmann die Bewusstlose an den Füßen.

Auch wenn Stefanie Pfeiffer gertenschlank war, kam es Hansen vor, als würde er einen Sack Zement schleppen. Als sie den Flur betraten, orientierten sie sich kurz. Da die untere Etage komplett in offener Bauweise konzipiert war, brauchten sie gar nicht erst lange nach dem Wohnzimmer suchen.

»Wir legen sie dort hinten auf das Sofa«, meinte Hansen und deutete mit dem Kopf in die entsprechende Richtung, während Riedmann mit dem Absatz die Haustür zukickte.

Vorsichtig legten sie die Bewusstlose auf die breite Ledercouch. Nur wenige Sekunden später kam Stefanie Pfeiffer zu sich und starrte Hansen an.

»Kannst du ein Glas Wasser holen«, bat der Hauptkommissar seinen Partner, der daraufhin in die Küche eilte.

»Es war also kein böser Traum«, wisperte die Frau mit dünner Stimme. Kaum dass sie es ausgesprochen hatte, liefen auch schon die Tränen.

Es dauerte einige Minuten, bis sie sich einigermaßen beruhigt hatte. Hansen saß mittlerweile neben ihr auf dem Rand der Couch, hielt abwechselnd ihre Hand oder reichte Papiertaschentücher. Riedmann hatte auf einem der beiden Sessel gegenüber Platz genommen und sah sich auf seinem Smartphone die Internetseite des ermordeten Juweliers an. Pfeiffer war offenbar nicht nur Inhaber eines Schmuckgeschäfts, sondern auch Gemmologe gewesen, ein Edelsteinhändler. Er hatte die ganze Welt bereist, um die begehrten Steine anzukaufen.

»Was genau ist passiert?«, fragte Stefanie Pfeiffer schließlich. Sie schniefte und nippte an ihrem Wasser.

Hansen nutzte die Gelegenheit und setzte sich gegenüber auf den freien Ledersessel. »Er wurde in seinem Büro erschossen. Frau Rothenbach hat Ihren Mann gefunden, als sie sauber machen wollte«, erklärte der Hauptkommissar, ersparte der Frau aber die weiteren Details zum möglichen Tatablauf, die auf eine regelrechte Exekution hindeuteten. Sie saß einfach nur da und starrte ihn mit leerem Blick an, die Tränen strömten ihr nur so über die Wangen. »Wann haben Sie Ihren Mann zuletzt gesehen?«, wollte Hansen wissen.

»Heute Mittag im Geschäft. Ich arbeite halbtags, bis ich Ben vom Kindergarten …« Sie schluckte, kämpfte offensichtlich wieder mit ihren Gefühlen. »Oh Gott, wie soll ich dem Jungen nur erklären, dass sein Vater nie mehr nach Hause kommen wird«, flüsterte sie mit bebender Unterlippe und vergrub den Kopf in den Händen.

Hansen spürte Mitleid aufsteigen. Er hatte den Satz in den vergangenen Jahren schon viel zu oft gehört und trotz aller Routine keine passende Antwort darauf. »Ich bin mir sicher, Sie werden die richtigen Worte zur gegebenen Zeit finden«, erwiderte er hilflos.

»Wissen Sie, ob Ihr Mann nach Ladenschluss noch einen Termin hatte?«, stellte diesmal Stefan Riedmann die nächste Frage.

»Im Kalender war keiner eingetragen, und erwähnt hat Michael auch nichts«, antwortete sie mit einem Stirnrunzeln.

»Wir gehen im Moment davon aus, dass Ihr Mann seinen oder seine Mörder gekannt und eingelassen hat. Es gibt am Tatort keinerlei Hinweise darauf, dass sich der oder die Täter gewaltsam Zutritt zum Geschäft verschafft haben«, erklärte der Ermittler.

Stefanie Pfeiffer starrte Riedmann mit weit aufgerissenen Augen an.

»Fällt Ihnen spontan jemand ein, der zu einer solchen Tat fähig wäre?«, wollte Hansen wissen.

Sie stutzte. »Sie glauben doch nicht, dass Michael … Nein, das ist Blödsinn«, meinte sie mit einem Kopfschütteln. »Aus unserem Freundeskreis wäre niemand …« Sie brachte den Satz nicht zu Ende.

»Was ist mit Geschäftspartnern? Ich habe eben gelesen, dass Ihr Mann auch im Edelsteingeschäft tätig war und selbst für Ankäufe gereist ist. Ist da jemand dabei, dem Sie solch eine Tat zutrauen würden?«, hakte Riedmann nach.

»Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen«, entgegnete sie nach kurzer Bedenkzeit. Sie nestelte an ihrer Armbanduhr.

»Ausschließen können Sie es aber auch nicht«, blieb er am Ball.

»Wie auch, ich kenne diese Leute doch nicht persönlich.«

»Wäre es möglich, eine Liste mit den Geschäftspartnern Ihres Mannes zu bekommen?«, fragte Hansen.

»Das sollte kein Problem sein, so eine Liste befindet sich vermutlich sowieso auf dem Computer in seinem Büro«, erwiderte die Witwe.

»Besaß Ihr Mann einen Terminkalender?«

»Nicht in Papierform. Er hat alle Termine ins Handy eingegeben und die mit dem Planer auf dem Computer synchronisiert.«

Hansen machte sich einen entsprechenden Vermerk ins Notizheft, um mit den Spezialisten der IT-Forensik zu sprechen. Der Computer war am Tatort sichergestellt und zur weiteren Untersuchung ins Labor gebracht worden. »Gab es in letzter Zeit irgendeinen unzufriedenen Kunden?«, fuhr er fort.

Sie wisse es nicht, räumte sie ein.

Noch ein Punkt, den Hansen festhielt. Er wollte eine Liste von Kunden erstellen lassen, die in den letzten zwölf Monaten hochpreisigen Schmuck oder Edelsteine bei Pfeiffer erstanden hatten.

»Hat es Sie nicht gewundert, dass Ihr Mann noch nicht nach Haus gekommen ist?«, fragte Riedmann beiläufig.

---ENDE DER LESEPROBE---