Sündenrächer - Frank Esser - E-Book

Sündenrächer E-Book

Frank Esser

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Beschreibung

Der Wachmann Herbert Neumann und der Mediziner Michael Lessing werden innerhalb weniger Tage brutal gefoltert und anschließend ermordet. Doch die Todesumstände sind nicht die einzigen Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Männern. Schnell finden Hansen und sein Team heraus, dass die Opfer eine gemeinsame Vergangenheit in der DDR verband. Deshalb reisen Hansen und Riedmann nach Dresden, der Heimatstadt der ermordeten Männer, wo sie bei ihren Ermittlungen tatkräftig von Oberkommissar Marcus Dohms unterstützt werden. Die Indizien deuten darauf hin, dass das Mordmotiv mit einem Ereignis vor dem Mauerfall zusammenhängen könnte. Dann geschieht ein weiterer Mord ...

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Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
Kapitel 64
Epilog
Nachwort

Sündenrächer

Ein Aachen-Krimi

Hansens 2. Fall

 

 

 

Impressum

Texte: © Frank Esser Cover: © NaWillArt Coverdesign / www.nawillart-coverdesign.de

Lektorat: © Schoneburg. Literaturagentur und Autorenberatung.

Korrektorat © Marion Kaster / Heidemarie Rabe

Verlag: Frank Esser

Am Römerhof 1

52477 Alsdorf

[email protected]

 

Prolog

November 1988, Grenzfluss Werra an der deutsch-deutschen Grenze

 

Peter Dreschers war den Plan in seinem Kopf unzählige Male durchgegangen. Jetzt sollte auf die Theorie die Praxis folgen. Und das war etwas ganz anderes. Sein Herz pochte bis zum Hals. Der Schweiß stand ihm trotz der frühwinterlichen Temperaturen auf der Stirn. Es dauerte nicht mehr lange, bis die Wachpatrouille die Stelle passieren würde, wo er sich versteckt hielt. Die beiden Grenzsoldaten bereiteten ihm allerdings die geringste Sorge. Dreschers hatte weitaus mehr Respekt vor dem Wachhund, einem Deutschen Schäferhund, der die beiden Soldaten begleitete. Deshalb musste er seinen Plan jetzt in die Tat umsetzen. Er durfte nicht länger zögern. In gebückter Haltung lief er Richtung Grenzzaun los. Den Bolzenschneider hielt er fest in seiner rechten Hand. Kaum, dass er den Maschendrahtzaun erreichte, begann er den Draht zu durchtrennen. Glücklicherweise verzichtete die DDR an diesem Teil des Grenzabschnittes auf eine Selbstschussanlage. Einen Wachturm mit Soldaten gab es auch nicht in unmittelbarer Nähe. Das hatte er natürlich gewusst. Als er gerade so viel Draht durchtrennt hatte, dass die Stelle groß genug war, um hindurchzuschlüpfen, registrierte er plötzlich Stimmen, die sich näherten. Dreschers hielt kurz inne und lauschte. Dabei wagte er kaum zu atmen. Er hatte sich nicht geirrt. In der Nähe unterhielten sich zwei Männer. Offensichtlich hatten die beiden Grenzposten ihre Runde schon wieder beendet. Ausgerechnet heute hielten sie sich nicht an den sonst üblichen Zeitplan. Aber Dreschers blieb keine andere Möglichkeit, als weiter zu machen. Andernfalls würden sie ihn auf jeden Fall schnappen. Vorsichtig bog er den Zaun auseinander. Immer darauf bedacht, so wenig Lärm wie möglich zu machen. Er war fast hindurchgeschlüpft, als ihn plötzlich der Strahl einer Taschenlampe erfasste.

»Halt! Stehen bleiben! Oder ich schieße!«, schrie einer der Soldaten.

Dreschers verharrte für einen Moment. Panisch überlegte er, ob er seine Flucht abbrechen sollte. Aber in der Sekunde, als der der monströs große Schäferhund auf ihn zustürmte, nahm er seinen ganzen Mut zusammen und drängte sich durch das Loch im Zaun.

»Halt«, schrie der Wachtposten noch einmal.

Aber Dreschers lief weiter. In Richtung des kleinen Grenzflusses Werra, über die er in die Bundesrepublik Deutschland fliehen wollte. Der Fluss führte durch die ausgiebigen Regenfälle der letzten Tage Hochwasser. Deshalb waren die schwenkbaren Metallgitter, die sich in der Mitte des Flusses befanden, um eine Flucht über das Gewässer zu verhindern, hochgezogen, damit die Sperranlage nicht durch Treibgut beschädigt wurde. Er wusste das, weil er für die Instandhaltung der Anlage verantwortlich war. Nur ein guter Schwimmer konnte es wagen, die Flucht auf diesem Weg zu versuchen. Und das war er. Immerhin hätte er es fast in die nationale Auswahl der Schwimmmannschaft der DDR geschafft. Eine Schulterverletzung hatte seine Karriere letztlich verhindert. Er hatte das Ufer der Werra fast erreicht, als er die Schüsse eines Maschinengewehrs hörte. Instinktiv warf er sich auf den Boden. Er robbte immer weiter Richtung Uferzone. Salve auf Salve flog über seinen Kopf hinweg. Dann vernahm er ein Rascheln hinter sich. Es kam schnell näher. Der Schäferhund hatte offenbar die Verfolgung aufgenommen. Die Wachsoldaten mussten ihn durch das Loch im Zaun gelassen haben. Es waren mindestens noch elf oder zwölf Meter, die Dreschers vom Flussufer trennten. Ihm war klar, dass er das unmöglich vor dem Hund schaffen konnte, wenn er bis dorthin robbte. Also nahm er sein Herz in die Hand, stand auf und rannte los. Schon wieder wurde eine Garbe auf ihn abgegeben. Im Zickzack, um den Kugeln möglichst auszuweichen, lief Dreschers Richtung Grenzfluss. Er hatte vielleicht noch knapp vier Meter zu überwinden, als der Hund zuschnappte. Er erwischte ihn an der Wade und brachte ihn aus dem Tritt. Schließlich stürzte er und überschlug sich dabei. Ein stechender Schmerz durchfuhr sein linkes Bein. Auch der Schäferhund machte bei dieser Attacke eine Rolle vorwärts, verlor kurz die Orientierung, fiel dann aber umgehend über ihn her, als er ihn wiederentdeckte. Doch diesmal war er besser auf den Angriff vorbereitet. Auf dem Boden liegend, nahm er den ungleichen Kampf mit dem Wachhund auf. Nach einer kurzen Rangelei, in der er einige Male gebissen wurde, gelang ihm schließlich mit seinem rechten Fuß ein gezielter Tritt direkt gegen die Schnauze des Hundes, der sofort jaulend von ihm abließ. Dreschers rappelte sich wieder auf und lief weiter. Den Schmerz in seinem linken Bein ignorierte er, so gut es ging. Aber auch der Schäferhund hatte sich schnell wieder erholt und umgehend die Verfolgung aufgenommen. Außerdem kamen die Grenzschützer laut schreiend immer näher. Dreschers gelang es gerade noch so, in den eiskalten Fluss zu springen, als sie eine weitere Gewehrsalve abgaben. Er sah, wie um ihn herum die Kugeln das Flusswasser peitschten, und tauchte unter. Das bitterkalte Wasser raubte ihm den Atem. Seine Haut fühlte sich an, als ob er von tausenden Nadelstichen traktiert würde. Aber auch diese Schmerzen blendete er in diesem Moment aus. Er hatte jetzt nur noch ein Ziel: das andere Ufer. Die Strömung war trotz des Hochwassers glücklicherweise nicht allzu stark, aber stark genug, um ihn von den beiden Grenzposten wegzutreiben, die immer noch gelegentlich Richtung Flussmitte schossen. Als er die Grenzsperre in der Mitte des Flusses erreichte, holte er tief Luft und tauchte hinab in die Dunkelheit, wo er zunächst jegliche Orientierung verlor. Das kalte Flusswasser brachte ihn schnell an seine Leistungsgrenze. Hinzu kam die nasse, schwere Kleidung. Wollte er nicht ertrinken, musste er sich beeilen. Auch wenn er ein guter Schwimmer war, hatte er das Unterfangen zu dieser Jahreszeit erheblich unterschätzt. Endlich ertastete er das hochgezogene Eisentor und mit zwei kräftigen Schwimmzügen gelang es ihm, unter der Grenzsperre hindurchzutauchen. Als die Lungen schon anfingen zu brennen und ihm kaum noch Luft zum Atmen blieb, tauchte Dreschers auf der anderen Seite der Sperrvorrichtung wieder auf. Er war fast mit seinen Kräften am Ende, musste jetzt aber nur noch ein paar Meter bis zum westlichen Flussufer überwinden. Vor ihm leuchteten mittlerweile Suchscheinwerfer auf. Offensichtlich war der Bundesgrenzschutz durch die Schüsse aufmerksam geworden. Mit allerletzter Kraft schaffte es Dreschers, an das Ufer zu gelangen. Völlig entkräftet und durchgefroren blieb er an der Böschung der Werra liegen.

»Willkommen in der Bundesrepublik Deutschland«, waren die letzten Worte, die er wahrnahm, bevor er in Ohnmacht fiel.

Kapitel 1

Samstag, 16. September 2017

 

Herbert Neumann freute sich schon seit Tagen auf seinen freien Samstag. Den Ersten seit drei Wochen. Er arbeitete als Wachmann bei der WUSA, der Wach- und Schließgesellschaft Aachen. Er bevorzugte die Nachtschichten oder die Wochenenddienste, weil er dadurch mehr Geld verdienen konnte. Da seine Frau Sonja vor gut einem Jahr gestorben war und er seitdem alleine lebte, machte ihm das auch nicht viel aus. So konnte er immerhin den einen oder anderen Euro zurücklegen. Von dem Ersparten, der Rente seiner verstorbenen Frau sowie der eigenen Pension konnte er sich in ein paar Jahren sicherlich einen angenehmen Lebensabend gönnen. Den heutigen freien Tag hatte er bisher in vollen Zügen genossen. Er war früh aufgestanden, hatte seine Wocheneinkäufe erledigt und den Rasen gemäht. Nach dem Mittagessen war er dann in den Aachener Stadtwald gefahren, um einen langen, ausgedehnten Spaziergang zu machen. So wie er es bis zu ihrem Tod auch gerne mit Sonja getan hatte. Jetzt, am frühen Abend, freute er sich auf die Sportschau. Bis zum Beginn der Sendung hatte er noch knapp zehn Minuten Zeit. Die nutzte er, um sich schnell ein paar Butterbrote zu schmieren. Er hatte es sich in seinem Fernsehsessel gemütlich gemacht und eine Flasche Bier geöffnet, als die Sendung begann. Er wollte gerade in sein mit Salami belegtes Brot beißen, da glaubte er, ein Geräusch zu hören. Er hielt kurz inne, schaltete den Ton am Fernseher mit der Fernbedienung leiser und lauschte. Aber da war nichts. Offensichtlich hatte er sich geirrt. Neumann machte den Ton an seinem TV-Gerät wieder lauter und widmete sich aufs Neue der Sportsendung. In der ersten Werbepause brachte er das schmutzige Geschirr in die Küche. Im Flur stutzte er kurz. Er hätte schwören können, dass er die Küchentür vorhin geschlossen hatte. Aber vielleicht hatte er sich auch nur geirrt. Er wurde langsam vergesslich, wie er sich eingestehen musste. Als er die Küche betrat, nahm er aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr. Dann spürte er auch schon einen heftigen Schlag auf seinem Hinterkopf. Jäh wurde es dunkel um ihn herum.

 

Langsam kämpfte sich sein Bewusstsein wieder an die Oberfläche. Nur schemenhaft nahm er durch die flatternden Augenlider wahr, wo er sich befand. Er saß mitten in seinem Wohnzimmer. Sein Schädel schmerzte fürchterlich. Diverse Fragen schossen ihm durch den Kopf. Wie lange war er bewusstlos gewesen? Und was war überhaupt passiert? War er von einem Einbrecher niedergeschlagen worden? Erst jetzt bemerkte er, dass er an einen Stuhl gefesselt war. Mit Kabelbindern. Er spannte die Muskeln an und versuchte, an den Fesseln zu rütteln. Vergeblich, er war absolut bewegungsunfähig. Sein Mund war mit Klebeband zugeklebt. Und sein Oberkörper war nackt. Die Rollläden waren heruntergelassen. Nur die Leselampe neben der Couch spendete spärliches Licht. Und er war nicht allein. In seinem Fernsehsessel, etwa zwei Meter von ihm entfernt, saß ein Mann. Nicht älter als dreißig Jahre, schätzte er. Übergewichtig und irgendwie unscheinbar. Er hatte ihn noch nie gesehen. Der Fremde saß einfach nur da und beobachtete ihn. Nach schier endlosen Sekunden stand er langsam auf und kam einen Schritt auf ihn zu. Ihm fiel auf, dass der Eindringling nicht maskiert war. Auch wenn er den Mann nicht kannte, er würde ihn beschreiben und der Polizei genaue Angaben machen können. Kein gutes Zeichen. Neumann geriet allmählich in Panik. Er war kein reicher Mann. Das wenige Geld, das er angespart hatte, konnte den Unbekannten wohl kaum ernsthaft interessieren. Eine beängstigende Stille lag in dem Raum. Was immer der Eindringling von ihm wollte, er sagte kein Wort. Er stand einfach nur da und starrte ihn an. Es war offensichtlich, dass er seine Angst genoss. Dann nestelte der Mann plötzlich an seiner Hosentasche, holte ein Päckchen Zigaretten und ein Feuerzeug hervor und zündete sich eine Kippe an. Genüsslich zog er zweimal daran. Die Zigarettenpackung verschwand wieder in seiner Hosentasche. Das Zippo hielt er weiterhin in der Hand. Dann machte der Einbrecher einen Schritt auf ihn zu, beugte sich zu ihm herunter und blies ihm den Zigarettenrauch mitten ins Gesicht. Dabei lächelte er ihn an. Ein eiskalter Schauer lief Neumann über den Rücken. Noch einmal zog der Unbekannte genüsslich an seiner Zigarette und ohne Vorwarnung drückte er dann die glühende Zigarettenkippe ganz langsam auf dem Handrücken der rechten Hand aus, die an die Stuhllehne gebunden war. Ein wahnsinnig stechender Schmerz durchfuhr Neumann. Das Klebeband auf seinem Mund verhinderte, dass sein kehliger Schrei außerhalb des Wohnzimmers zu vernehmen war. Erst langsam klang der Schmerz ab und ging über in ein dumpfes, brennendes Gefühl. Aber viel Zeit zum Verschnaufen blieb ihm nicht, denn der Unbekannte hatte die Zigarette schon wieder angezündet und setzte erneut an, sie auf seiner Haut auszudrücken. Diesmal war es der Handrücken der linken Hand. Dieser Vorgang wiederholte sich mehrere Male, nun auch auf dem entblößten Oberkörper. Sobald eine Kippe abgebrannt war, zündete er schon die nächste an. Die Schmerzen, die Herbert Neumann auszuhalten hatte, waren unerträglich. Aber sein Peiniger kannte keine Gnade. Erst nach der vierten Zigarette hatte diese Tortur ein Ende. Noch ehe er gänzlich das Bewusstsein verlor, traf ihn ein harter Schlag mitten ins Gesicht. Die Nase brach mit einem lauten Knacken, Blut lief heraus und tropfte auf seinen nackten, geschundenen Oberkörper.

»Es wird nicht geschlafen, Neumann. Du sollst schließlich genießen können, was hier mit dir passiert«, verhöhnte ihn der Mann auf einmal.

Er versuchte zu antworten, aber wegen des zugeklebten Mundes kamen nur undefinierbare Laute über seine Lippen.

»Wirst du um Hilfe schreien, wenn ich das Klebeband entferne?« Herbert Neumann schüttelte den Kopf. »Also gut. Ich reiß es jetzt ab. Aber ich warne dich. Ein Mucks von dir und es knallt.«

Keine Sekunde später riss der Unbekannte ihm das Panzerband mit einer fließenden Bewegung vom Mund. Neumann schnappte nach Luft wie ein Fisch an Land. Schreien war ohnehin sinnlos, hier hörte sie niemand.

»Ich gebe Ihnen mein ganzes Geld, aber bitte hören Sie mit dieser Quälerei auf«, war das Erste, was Neumann flehend von sich gab.

Der Mann verfiel sogleich in ein langes, herzhaftes Lachen. »Du glaubst also ernsthaft, dass ich das hier wegen Kohle mache?«

Genau solch eine Antwort hatte Neumann befürchtet. Das, was hier mit ihm geschah, war geplant und nicht einfach nur spontane Willkür. Wie sollte er nur aus dieser Situation wieder herauskommen? Er setzte alles auf die Fortsetzung des Gesprächs. »Was wollen Sie dann?«

»Genugtuung.«

»Genugtuung wofür?« Neumann starrte ihn irritiert an.

»Für das Unrecht, das du mir und anderen Menschen vor langer Zeit angetan hast.«

»Ich kenne Sie doch nicht einmal. Das muss eine Verwechslung sein!«

»Oh nein. Ganz sicherlich nicht. Aber um deine Erinnerung aufzufrischen, habe ich hier etwas für dich.« Der Mann nestelte kurz an seiner Jackentasche. Dann warf er einen Gegenstand auf Neumanns Schoß. »Bist du nun immer noch davon überzeugt, dass wir uns nicht kennen?«

Er erkannte sofort, worum es sich handelte. Allerdings hatte er keine Ahnung, wie der Unbekannte in Besitz der Marke gelangt war. Sie lag doch seit Jahren unberührt in einer Schublade seines Schreibtisches im Arbeitszimmer! »Ich verstehe immer noch nicht, was das mit Ihnen zu tun haben soll? Das ist ein Relikt aus einer anderen Zeit.«

»Da hast du nicht ganz unrecht. Aber ich bin nicht hier, um zu plaudern. Schließlich habe ich heute Abend noch einiges mit dir vor.« Bevor Neumann antworten konnte, hatte der Mann ihm schon wieder den Mund zugeklebt. »Ich möchte nicht, dass du gleich die Nachbarschaft zusammenschreist«, bemerkte der Eindringling zynisch.

Dann holte er einen Hammer aus einer Sporttasche heraus, die zu seinen Füßen auf dem Boden stand. Nur einen kurzen Augenblick später sah Neumann mit aufgerissenen Augen, wie der Unbekannte mit dem Hammer zum Schlag ausholte und er spürte, wie die Kniescheibe seines rechten Beins brach. Beinahe wäre er vor Schmerz in Ohnmacht gefallen. Aber sein Peiniger hatte vorgesorgt. Ehe er kollabierte, hielt der Mann ihm ein Fläschchen Riechsalz unter die Nase. Statt in die Tiefen der Bewusstlosigkeit abzutauchen, war er wieder hellwach und musste zusehen, wie sich sein rechtes Hosenbein dunkelrot färbte. Dann wurde ihm die Kniescheibe des linken Beins zertrümmert. Anschließend das rechte und linke Handgelenk. Eine Schmerztsunami jagte den nächsten. Immer, wenn er drohte, bewusstlos zu werden, holte ihn der Unbekannte ins Hier und Jetzt zurück. Selbst wenn der Fremde ihn am Leben lassen würde, wovon er nicht ausging, würde er seinen Lebensabend wohl als Krüppel im Rollstuhl verbringen müssen, dachte er. Er wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, was ihm lieber gewesen wäre. Wenn er doch nur gewusst hätte, warum man ihm all das hier antat? Aber was auch immer der Grund des Überfalls war, das hatte niemand verdient! Und er ganz bestimmt nicht!

»Na, tut´s weh?«

Der Mann sah ihn höhnisch an. Neumann reagierte nicht, stöhnte nur vor Schmerz. Sein Kinn war auf seine nackte Brust gesunken. Plötzlich riss ihm sein Peiniger erneut das Klebeband vom Mund und schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht.

»Ich habe dich was gefragt!« Seine Stimme war jetzt voller Hass.

Aber mehr als ein leise gehauchtes »Ja, es tut schrecklich weh«, brachte Neumann nicht hervor.

»Das sollte es auch! Du sollst spüren, was es heißt, zu leiden!« An der Art, wie der Mann das sagte, erkannte Neumann, dass sein Martyrium noch lange nicht zu Ende war. »Und das Beste ist, wenn man glaubt, dass es gar nicht mehr schlimmer werden kann, hat man sich meistens getäuscht«, fügte sein Peiniger hinzu, so als ob er seine Gedanken lesen konnte. »Hast du vielleicht noch irgendetwas zu sagen, bevor wir weitermachen?«

Neumann nahm seine ganze Kraft zusammen, um zu antworten. »Ich will eigentlich nur wissen, warum Sie mir das alles hier antun?«, brachte er mühselig heraus.

»Darauf musst du schon alleine kommen. Aber ich werde dir einen Hinweis geben.« Dann holte der Mann ein Foto aus seiner Sporttasche und hielt es ihm direkt vor die Nase. »Und, erinnerst du dich?«

Schwerfällig betrachtete Herbert Neumann das Foto, das der Mann in seinen Händen hielt. Es dauerte einen Moment, aber dann erkannte er die Person auf dem Bild. Die Vergangenheit hatte ihn ganz offensichtlich eingeholt. Trotzdem begriff er den Zusammenhang noch nicht. Wieder sammelte er seine Kraft, um eine Frage zu stellen. »Wer sind Sie, und was haben Sie mit der Sache von damals zu tun?«

»Sagen wir jemand, der ein Interesse daran hat, dass das Unrecht nicht ungesühnt bleiben darf. Mehr musst du nicht wissen!«

Neumann hatte einen leisen Verdacht, wovon der Mann sprach, hätte aber gerne noch mehr erfahren, doch bevor er etwas sagen konnte, wurde ihm schon wieder der Mund zugeklebt. Dann verließ der Mann das Wohnzimmer.

Kurze Zeit später kam er zurück. Er trug einen Gegenstand. Bei genauerer Betrachtung erkannte Neumann die kleine Wanne aus seiner Küche, in der er immer seine Fußbäder nach anstrengenden Schichten machte. Der Unbekannte stellte sie vor ihm auf dem Boden ab. Der Bottich war zur Hälfte mit Wasser gefüllt. Er wusste zwar nicht, was der Mann als Nächstes vorhatte. Aber er hatte Todesangst. Vor lauter Panik entleerte sich seine Blase, woraufhin ihn ein harter Schlag in die Magengegend traf. Er keuchte und hatte das Gefühl sich übergeben zu müssen. Er kämpfte dagegen an, nicht das erste Mal, seit sein Martyrium begonnen hatte. Der Mann kniete sich vor seinem Stuhl nieder und zog ihm die Hausschuhe aus. Dann die Socken. So sehr sich Neumann auch mühte, er konnte sich nicht dagegen wehren. Zu fest saßen die Fesseln. Und zu geschwächt war er mittlerweile. Der Unbekannte löste die Fußfesseln und stellte Neumanns nackten Füße in die mit Wasser gefüllte Fußwanne. Es war eiskalt. Dann band der Peiniger seine Wadenbeine mit Kabelbindern so an die Stuhlbeine, dass es ihm unmöglich war, seine Füße aus der kleinen Schüssel zu heben. Der Unbekannte stand wieder auf und holte ein Elektrogerät aus seiner Sporttasche, das er ihm direkt vors Gesicht hielt. Es handelte sich einen großen Tauchsieder, 2000 Watt stark stand auf dem Haltegriff. Neumann musste mehrmals hintereinander schlucken, Tränen rannen ihm über die Wangen. Dann holte der Unbekannte ein Verlängerungskabel aus der Tasche, steckte es in eine freie Steckdose, schloss den Tauchsieder an und legte diesen in die Wanne. Dann setzte er sich wieder hin und wartete.

Neumann wusste, was das bedeutete. Seine Füße würden in dem stetig heißer werdenden Wasser verbrühen. Ihm war diese Vorgehensweise durchaus vertraut. Auch er hatte diese Methode in seinem früheren Leben schon einmal angewandt, um einer Person Informationen zu entlocken, die sie auf keinen Fall preisgeben wollte. Er wunderte sich nur, woher sein Peiniger davon wusste. Er versuchte, seine Füße aus dem Wasser zu heben, doch vergeblich. Während die Flüssigkeit immer heißer und heißer wurde, saß der Unbekannte einfach nur da und betrachtete sein Opfer lächelnd. Mehr als eine Viertelstunde lang. Er genoss Neumanns aufsteigende Panik in vollen Zügen.

»Keine Angst, mein Lieber«, sagte der Fremde plötzlich. »Das Schlimmste hast du jetzt schon hinter dir. Was dich nun erwartet, geht schnell.«

Das waren die letzten Worte, die Herbert Neumann in seinem neunundfünfzigjährigen Leben zu hören bekam. Der Unbekannte holte einen Strick aus seiner Sporttasche und stellte sich hinter ihn. Er legte das Seil um den Hals des gefesselten Mannes, dem immer wieder der Kopf nach vorne sank. Dann zog er die Schlinge mit aller Kraft zu. Der Todeskampf dauerte etwa drei Minuten. Neumann rüttelte zunächst noch vergeblich an den Kabelbindern, dann wurde er ohnmächtig. Nach weiteren sechzig Sekunden war der Wachmann tot. Der Fremde packte den Strick, den Tauchsieder und das Verlängerungskabel wieder in seine Sporttasche. Nach einem letzten verächtlichen Blick auf sein Opfer verließ er das Haus auf dem gleichen Weg, wie er es betreten hatte. Falls ihn jemand beobachtete, würde der- oder diejenige der Polizei einen übergewichtigen Mann beschreiben. Er hatte ein paar spezielle Körperpolster angelegt und auch sein Gesicht mit Silikonpolstern und ein wenig Theaterschminke verändert. Auf dem Weg zu seinem Auto, das er in der Nähe abgestellt hatte, kamen ihm unvermittelt ein paar Tränen. Es waren Tränen der Erleichterung, aber auch der Verzweiflung. Immerhin hatte er noch nie zuvor einen Menschen gefoltert und getötet!

Kapitel 2

Montag, 18. September 2017

 

Der Anruf ging am Montagmorgen gegen sieben Uhr in der Früh in der Zentrale der Aachener Polizei ein. Der Anrufer berichtete von einer grauenvoll entstellten Leiche, die er entdeckt habe. Der Polizist in der Leitstelle, der das Gespräch entgegengenommen hatte, wählte umgehend die Handynummer von Karl Hansen, dem Leiter der Mordkommission. Hansen, der gerade aufgestanden war, notierte sich die Adresse und informierte anschließend seinen Kollegen Stefan Riedmann sowie die Spurensicherung. Nachdem er sich gewaschen und angezogen hatte, machte er sich sofort auf den Weg. Vor dem Haus in der Rosenstraße in Aachens Norden standen schon mehrere Einsatzfahrzeuge der Polizei. Unter anderem entdeckte Hansen den Wagen der neuen Leiterin der KTU, Laura Decker. Sie hatte die Nachfolge seines ehemaligen Kollegen Paul Mertens angetreten, der einige Monate zuvor als Mörder in einer der spektakulärsten Ermittlungen in Aachen entlarvt wurde. Hansen war die Erinnerung daran immer noch unbehaglich. Er hatte Mertens seit vielen Jahren gekannt und am Ende selbst die Verhaftung durchgeführt. Gut einen Monat danach war die Stelle neu besetzt worden. Dass die Wahl auf Laura Decker fiel, war kein Zufall. Kriminalrat Hellhausen war ein Freund ihres Vaters. Dementsprechend skeptisch war Hansen von vornherein, was die Personalie betraf. Allerdings wusste sie diese Zweifel schnell durch ihre Kompetenz und ihr einnehmendes Wesen zu zerstreuen. Decker war mittelgroß, hatte eine sportliche Figur und war zumeist leger gekleidet. Ihre langen, braunen Haare waren fast immer zu einem Zopf zusammengebunden. Mit ihren fünfunddreißig Jahren sah sie nicht nur blendend aus, sondern schien Mertens in Sachen Kompetenz kaum nachzustehen, wie Hansen zugeben musste. Außerdem war sie durch und durch ein Öcher Mädchen, was sie nach ihren vier Jahren als stellvertretende Leiterin der KTU im Kölner Exil wieder zeigen konnte, in dem sie die Kollegen mit ihrem Öcher Platt immer wieder in den Wahnsinn trieb. Hansen war gerade im Begriff, durch die offene Haustür einzutreten, als ihm Decker entgegenkam.

»Morgen, Karl. Schon wieder zurück aus Hamburg? Wie war es denn?«, begrüßte sie den Hauptkommissar freundlich und zündete sich eine Zigarette an.

»Moin, Laura. Es tat gut, mal wieder norddeutsche Hafenluft zu schnuppern. Und Vater wiederzusehen war natürlich auch schön. Er hat Christine und mir zwar die üblichen Vorhaltungen gemacht, dass wir ihn nur zum Geburtstag und an Weihnachten besuchen. Aber daran habe ich mich mittlerweile gewöhnt. Und wie jedes Mal gab es bei unserer Abreise die altbekannten Diskussionen mit Hansen Senior. Er kann einfach nicht nachvollziehen, dass es mich immer wieder nach Aachen treibt. Seit Mutters Tod und seiner Rückkehr nach Hamburg hat er jeglichen Bezug zu unserer schönen Stadt verloren. Ich bin halt kein Fischkopf wie er. Aber lassen wir das. Erzähle mir lieber, was mich im Haus erwartet.«

»Eins kann ich dir auf jeden Fall schon einmal verraten. Es ist kein schöner Anblick. Man kann seinen Morgen auch angenehmer beginnen«, stellte Decker nüchtern fest.

»Was genau ist denn überhaupt passiert? Ich weiß bisher nur, dass ein Wachmann seinen Kollegen tot in dessen Haus aufgefunden hat.«

»Richtig. Der Tote heißt Herbert Neumann, neunundfünfzig Jahre alt. Er lebte alleine in diesem Haus, seit seine Frau vor zwölf Monaten gestorben ist. Er arbeitete als Wachmann bei der Wach- und Schließgesellschaft Aachen, kurz WUSA genannt. Der Kollege, der ihn gefunden hat, heißt Kai Paulus. Er wollte Neumann heute Morgen zur Arbeit abholen. Der hat aber nicht geöffnet und ist auch nicht ans Telefon gegangen, was laut Aussage von Paulus sehr ungewöhnlich war. Also ist er hintenrum durch den Garten und hat festgestellt, dass die Terrassentür nicht abgeschlossen war. Er ist dann hineingegangen und hat Neumann gefunden. Ich will gar nicht wissen, wie viele Spuren er dabei zerstört hat«, seufzte die junge Kollegin. »Er wartet übrigens drinnen auf dich!«

»Ich spreche mit ihm, wenn Stefan da ist. Ich frage mich ohnehin, wo er bleibt? Er hat doch einen viel kürzeren Weg als ich. Wie ist Herbert Neumann gestorben?«

»Doktor Bode meinte, dass er zu Tode gewürgt wurde. Wahrscheinlich mit einem Strick. Es gab aber eindeutige Hinweise wie petechiale Blutungen und einer leichten Zyanose des Gesichts«, sagte Laura Decker und hielt kurz inne. »Das ist leider längst nicht alles.«

»Was meinst du damit?«

»Das Opfer wurde an einen Stuhl gefesselt und vor seinem Tod brutal gefoltert. Ich habe schon lange keinen derart geschändeten Leichnam mehr gesehen.«

»Das Opfer wurde vor dessen Tod gefoltert, sagst du?«, wiederholte Hansen ungläubig.

»Ich sagte ja, dass das da drinnen kein schöner Anblick ist. Aber Doktor Bode kann dir sicherlich mehr zu den Einzelheiten sagen«, erklärte die KTU-Chefin.

»Der ist noch da?«

Laura Decker nickte. »Er hat auf dich gewartet. Da kommt übrigens gerade der Kollege Riedmann angefahren. Dann könnt ihr euch direkt selbst ein Bild von der Schweinerei machen. Ich habe nämlich noch einiges zu tun«, meinte Decker, drückte ihre Zigarette mit der Sohle ihres Schuhs aus und kehrte wieder zurück in das Haus. Hansen ging währenddessen auf das Auto seines Kollegen zu, der gerade im Begriff war auszusteigen.

»Morgen«, sagte Riedmann mürrisch, als er seinen Chef erblickte.

»Schlechte Laune?«

»Nein, schlecht geschlafen. Ist gestern spät geworden.«

»Dann wird das hier nicht gerade deine Laune steigern«, bemerkte Hansen ironisch.

»Was ist denn passiert?«

»Ich habe es selbst noch nicht gesehen. Ich wollte mir das Vergnügen aufsparen, bis du hier bist. Aber Laura hat mich gerade kurz aufgeklärt, dass der Hausbewohner zunächst misshandelt und dann allem Anschein nach erdrosselt wurde. Sein Kollege, ein gewisser Kai Paulus, hat ihn heute Morgen gefunden«, fasste Hansen kurz und knapp zusammen.

»Erst gefoltert und dann erwürgt. Hört sich nach etwas Persönlichem an, wenn da so viel Wut im Spiel war«, meinte Riedmann und runzelte die Stirn.

»Genau deshalb sollten wir keine weitere Zeit vergeuden und reingehen. Ich möchte mir gerne selbst ein Bild von der Sache machen und mit Doktor Bode sprechen«, meinte Hansen, als sie auf den Eingang zusteuerten.

Beim Betreten des Hauses registrierte er als erstes die Alarmanlage im Flur. Ein Kollege der Streifenpolizei wies ihnen den Weg in das Wohnzimmer. Hansen betrat den Raum und verharrte einen Moment im Eingangsbereich, um sich einen ersten Eindruck vom Tatort zu verschaffen.

»Du hast mit deiner Beschreibung nicht untertrieben Laura«, entfuhr es Hansen beim Anblick der Leiche. »Das sieht wirklich übel aus!«

»Das sieht nicht nur übel aus, Herr Kommissar. Das war auch ganz bestimmt mehr als schmerzhaft für das Opfer«, antwortete Nils Bode, der gerade dabei war, seine Instrumente einzupacken. Der trotz seiner achtundvierzig Jahre mit einem jungenhaften Aussehen ausgestattete Gerichtsmediziner war wie immer adrett gekleidet, wie Hansen feststellte. Den Schutzanzug hatte der Mediziner bereits abgelegt. Offenbar war er mit seiner vorläufigen Untersuchung des Leichnams fertig. Bode galt als akribischer Arbeiter mit wachem Verstand. Gleichzeitig war er im Institut als Feingeist bekannt, der schon einmal zur Ungeduld neigte, wenn man seinen mit Fachwörtern ausgeschmückten Ausführungen nicht folgen konnte.

»Können Sie uns schon Einzelheiten geben?«, wollte Hansen von dem Doktor wissen.

»Nun ja. Wie Sie unschwer sehen können, wurde das Opfer bestialisch gefoltert. Neumann hat diverse Hämatome am ganzen Körper, vermutlich durch Faustschläge beigebracht. Das Nasenbein ist gebrochen. Offensichtlich sogar mehrfach. Dem Mann wurden beide Handgelenke und die Kniescheiben mit einem schweren Gegenstand zertrümmert. Mutmaßlich mit einem Hammer. Außerdem wurde er gebrandmarkt. Der Größe der Wunden nach offenbar mit einer Zigarette oder einem Zigarillo. Ich habe an die fünfundzwanzig solcher kleinen Brandwunden entdeckt. Darüber hinaus wurden die Füße des Opfers, wie ich vermute, schwer verbrüht, wenn nicht sogar gekocht.«

»Moment«, unterbrach Hansen Bodes Ausführungen. »Sagten Sie gerade wirklich, dass seine Füße gekocht wurden?«

»Ja, so sieht es jedenfalls aus. Ich habe zwar zunächst gedacht, dass das Opfer von seinem Mörder bei einem Fußbad überrascht wurde, als ich die Fußwanne gesehen habe. Aber dann habe ich mir das einmal ganz in Ruhe angesehen. Bei dem schweren Grad der Verbrühung beider Füße vermute ich, dass dies ein Teil der Folter war. Er muss furchtbar gelitten haben vor seinem Tod«, fasste der Doktor seine ersten Eindrücke zusammen.

»Wer zum Teufel tut so etwas?«, fragte Riedmann völlig konsterniert.

»Jemand, der einen tiefen persönlichen Hass auf das Opfer hatte. Oder ein Mensch, der Spaß am sadistischen Töten hat«, kam Hansen dem Doktor mit einer Antwort zuvor.

»Oder beides«, bestätigte Bode mit einem Nicken.

»Können Sie uns schon etwas über den möglichen Todeszeitpunkt sagen?«, wollte Hansen wissen.

»Nicht länger als achtundvierzig Stunden. Genaueres dann nach der Obduktion.«

»Also am Samstag«, stellte Hansen fest.

»Richtig. Deshalb wurde er wohl auch nicht früher gefunden. Sein Kollege berichtete uns, dass Neumann am Wochenende frei hatte«, meinte Decker aus dem Hintergrund. »Und dass er ziemlich zurückgezogen lebte«, schob sie hinterher.

»Dann sollten wir uns jetzt einmal mit diesem Kollegen unterhalten, Stefan. Und sobald der Obduktionsbericht vorliegt, geben Sie uns bitte Bescheid, Herr Doktor«, meinte Hansen an Bode gewandt.

»Und das wie immer am liebsten gestern«, entgegnete dieser mit einem Lächeln, dann klappte er den Koffer zu, in dem die Gerätschaften für die Untersuchung der Leiche untergebracht waren.

»Wo finden wir eigentlich den Zeugen?«, wollte Riedmann von Hansen wissen.

»In der Küche«, rief Laura Decker, die seine Frage zufällig mitbekam, aus dem Hintergrund.

»Danke«, antwortete Hansen und ging schnurstracks auf eine Tür zu, hinter der er die Küche vermutete.

»Moment, Karl«, rief Decker ihnen hinterher. »Ich habe euch noch gar nicht erzählt, was wir bei der Leiche gefunden haben.«

»Nämlich was?«, fragte Riedmann neugierig.

»Diese Polizeimarke hier«, erwiderte sie und hielt ihnen das Beweisstück, das in einem Plastikbeutel verstaut war, unter die Nase.

»Das ist ja interessant«, stellte Hansen fest.

»Das ist eine Polizeimarke aus der DDR. Sie lag im Schoß des Opfers. Wohl vom Täter hinterlassen. Neumann wird sie sich eher nicht selbst auf die Beine gelegt haben. Auf der Rückseite steht sogar der Name des Opfers und das Dezernat, für das er anscheinend gearbeitet hat. Vielleicht kann uns der Zeuge ja etwas darüber erzählen.

»Danke, Laura!«, meinte Hansen und setzte sich in Bewegung.

»Stets zu euren Diensten«, erwiderte Decker mit einem Knicks und wendete sich wieder ihrer Arbeit zu.

Kapitel 3

Als die beiden Ermittler die Küche betraten, saß Kai Paulus zusammen mit Erwin Scholz, einem Kollegen der Streifenpolizei, am Tisch und rauchte.

»Guten Morgen, Herr Paulus. Ich bin Hauptkommissar Karl Hansen, und das hier ist mein Partner Stefan Riedmann.«

Scholz, den die beiden Ermittler kannten, begrüßte die Kommissare und verließ anschließend den Raum. Paulus hingegen reagierte auf die Begrüßung nur mit einem kurzen Nicken. Hansen setzte sich auf den freigewordenen Stuhl, während Riedmann es vorzog, stehenzubleiben. Es war offensichtlich, dass Paulus unter Schock stand. Die Hand, in der er seine Zigarette hielt, zitterte. Hansen schätzte den Mann auf höchstens Anfang dreißig. Trotz seines muskulösen Körpers sah er aus wie ein Häufchen Elend.

»Wir können Ihnen leider nicht ersparen, dass Sie uns einige Fragen beantworten. Ich hoffe, das ist in Ordnung für Sie?«, begann Hansen die Befragung. Er hoffte, dass seine Ruhe ein wenig auf den Befragten überging. Bevor er weitersprach, holte er seinen Notizblock aus seiner Manteltasche und legte ihn vor sich auf den Tisch.

»Natürlich ist das in Ordnung. Es ist nur so, dass ich wahrscheinlich keine große Hilfe für Sie sein werde«, erwiderte Paulus und zog an seiner Zigarette.

»Wie lange kannten Sie Herrn Neumann schon?«

»So etwa vier Jahre. Seit etwas mehr als drei Jahren haben wir zusammengearbeitet«, antwortete der Mann umgehend.

»Dann kannten Sie sich recht gut?«

»Das würde ich so nicht sagen.«

»Wie meinen Sie das?«

Paulus räusperte sich kurz. »Herbert war nicht gerade ein zugänglicher Typ. Ein Einzelgänger, wie man so sagt. Er legte keinen Wert auf private Kontakte. Selbst nach dem Tod seiner Frau war er lieber alleine, als zum Beispiel etwas mit den Jungs von der WUSA zu unternehmen. Wir treffen uns nämlich regelmäßig in unserer Stammkneipe, sofern die Schichten das zulassen.«

»Das heißt, dass Sie nicht befreundet waren, wenn ich Sie richtig verstehe?«, fragte Hansen nach.

»Wir waren definitiv keine Freunde, Herr Kommissar. Wir waren wirklich nur Kollegen«, antwortete der Befragte. Er unterstrich die Aussage mit einem Kopfschütteln.

»Sie erwähnten, dass Neumann Ihrer Meinung nach ein Einzelgänger war? Könnten Sie das vielleicht näher erläutern? Nur, weil er nichts mit den Kollegen unternehmen wollte, muss das ja nicht unbedingt der Fall gewesen sein.«

»Na ja. Man bekommt ja so Einiges mit, wenn man zusammenarbeitet. Er hat nie von Freunden oder von irgendwelchen Freizeitaktivitäten gesprochen.«

»Dann wissen Sie wohl auch nicht, ob Neumann Feinde hatte?«

»Nee, nicht wirklich.«

»Wie war er denn als Kollege?«, stellte diesmal Riedmann die nächste Frage.

»Man konnte gut mit ihm zusammenarbeiten. Vielleicht etwas überkorrekt, wenn man das so sagen kann«, meinte Paulus.

»Wie meinen Sie das?«, unterbrach Hansen den Wachmann.

Der Wachmann überlegte kurz, zog an seiner Kippe. »Wenn ich zum Beispiel außerhalb der regulären Pausenzeiten einmal eine Zigarette rauchen oder einen Kaffee trinken wollte, hielt er mir immer gleich eine Moralpredigt, dass wir zwischen Arbeits- und Pausenzeit unterscheiden müssen. Das nahm er sehr genau. Oder mal vorzeitig Feierabend machen, wenn wir mit unserer Runde früher fertig waren, war bei Herbert nicht drin. Aber ansonsten war er eigentlich ganz okay als Kollege. Ich kam jedenfalls immer gut mit ihm aus.«

»Er war also ein Pedant, der keine oder nur sehr wenige Freunde hatte«, resümierte Hansen und machte sich eine entsprechende Notiz. Jemand, der so korrekt durchs Leben läuft, macht sich mit Sicherheit nicht immerzu beliebt, dachte er. »Eine letzte Frage noch, Herr Paulus. Dann wären wir erst einmal fertig.« Hansen kramte in seiner Manteltasche nach dem Beweisstück, das ihm Laura Decker kurz zuvor gegeben hatte. Als er es gefunden hatte, zeigte er ihm die Polizeimarke. »Wir haben diese Marke bei dem Opfer sichergestellt. Wissen Sie zufällig etwas darüber?«

Paulus warf nur einen kurzen Blick auf das Stück Metall. Dann zog er ein letztes Mal an seiner Zigarette und drückte den Stummel im Aschenbecher aus. »Herbert war früher Polizist in der DDR. Hat er mir gegenüber mal erwähnt. War er wohl stolz drauf.«

»Das ist ja interessant. Können Sie uns mehr darüber erzählen?«

»Nee, nicht wirklich. Als ich ihn mal gefragt habe, wie das damals so war bei dem Bullen im Osten, meinte er nur, dass er nicht über die Vergangenheit reden wollte. Ich habe das akzeptiert. Aber Georg Fuchs wird Ihnen da mehr zu sagen können. Das war der erste Partner von Herbert. Soviel ich weiß, hat er dem Georg öfter von seinem Leben in der DDR erzählt.«

Hansen notierte sich den Namen in sein Notizbuch, das in Form und Größe an ein Notenheft erinnerte, wie es Lehrer nutzten. Nur dass sein kleines Büchlein einen schwarzen Einband hatte. »Wissen Sie, wo Georg Fuchs wohnt?«

»Keine Ahnung, so gut kannten wir uns nicht. Er ist in Rente gegangen, kurz nachdem ich bei der WUSA angefangen habe. Am besten fragen Sie mal den Chef.«

»Wissen Sie, wo Neumann früher gelebt hat, bevor er nach Aachen kam?«, fragte Riedmann.

Paulus zog die Stirn kraus. »Ich glaube, er hat mal erwähnt, dass er früher in Dresden gelebt hat. Aber ganz sicher bin ich mir nicht«, antwortete er schließlich.

Hansen klappte sein Notizheft zu. »Vielen Dank, Herr Paulus. Wir haben zunächst einmal keine weiteren Fragen. Sollte Ihnen noch etwas einfallen, können Sie mich jederzeit unter dieser Handynummer erreichen«, meinte Hansen und reichte Paulus seine Visitenkarte, bevor er sich von dem Mann verabschiedete.

Der Wachmann steckte die Karte ein und verließ sichtlich erleichtert das Haus des ermordeten Kollegen. Auch Hansen und Riedmann sahen keinen Grund dafür, dass ihre Anwesenheit am Tatort weiter erforderlich war. Sie gaben noch Laura Decker Bescheid und traten den Rückzug an.

»Wir müssen schnellstens klären, ob Neumann Polizist in Dresden oder einer anderen Stadt war, Stefan. Das könnte eine im Hinblick auf die Polizeimarke, die wir bei dem Toten gefunden haben, wichtige Spur sein«, meinte Hansen, als sie das Haus des Opfers verließen.

»Oder aber eine falsche Fährte«, erwiderte Riedmann.

»Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass es nur ein Zufall war, dass wir die Polizeimarke bei der Leiche gefunden haben? Wir müssen alles über seine Vergangenheit als Polizist zusammentragen, was wir nur finden können. Oder siehst du das anders?« Hansen war angesichts Riedmanns destruktiver Haltung, die er an den Tag legte, leicht genervt. Schlafmangel hin oder her.

»Ist ja schon gut. Du hast ja recht. Ich kümmer mich darum, sobald wir wieder im Präsidium sind«, gab Riedmann versöhnlich zurück.

Just in dem Moment, als die Ermittler auf den Bürgersteig traten, hielt das Auto der beiden Kollegen Markus Beck und Jens Marquardt vor dem Haus.

»Ach nee, der Rest des Teams gibt sich auch noch die Ehre. Ich wollte schon eine Vermisstenanzeige aufgeben«, sagte Hansen.

»Da können wir uns bei Jens bedanken«, erwiderte Beck genervt. »Dank seiner neuesten Bekanntschaft vom Wochenende, durfte ich einmal quer durch die Innenstadt und wieder zurückfahren, um ihn abzuholen, weil seine Karre nicht angesprungen ist.

---ENDE DER LESEPROBE---