3 in 1: Hansen ermittelt: Der Racheengel - Sündenrächer - Phantomjagd - Frank Esser - E-Book
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3 in 1: Hansen ermittelt: Der Racheengel - Sündenrächer - Phantomjagd E-Book

Frank Esser

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Beschreibung

Band 1 - Der Racheengel Er ist auf der Jagd. Er ist gnadenlos. Und er wird nicht aufhören, bis er sein Ziel erreicht hat! Ein Mörder hält Aachen in Atem. Der Racheengel, wie ihn die Presse nennt, weil er am Tatort religiöse Botschaften hinterlässt, hat bereits zwei Menschen erschossen. Als der Krankenpfleger Mathias Bender tot aufgefunden wird, gibt es für Hauptkommissar Karl Hansen und sein Team keine Zweifel mehr. Sie haben es mit einem Serienmörder zu tun. Doch was ist sein Motiv? Zwischen den Opfern gibt es scheinbar keine Verbindung. Handelt es sich bei dem Mörder um einen religiösen Fanatiker oder steckt etwas ganz anderes hinter den Taten? Erst eine zufällige Entdeckung bringt die Ermittlungen in Schwung. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, denn Hansen ist davon überzeugt, dass der Mörder wieder zuschlagen wird. Und das möchte er um jeden Preis verhindern... Band 2 - Sündenrächer Der Wachmann Herbert Neumann und der Mediziner Michael Lessing werden innerhalb weniger Tage brutal gefoltert und anschließend ermordet. Doch die Todesumstände sind nicht die einzigen Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Männern. Schnell finden Hansen und sein Team heraus, dass die Opfer eine gemeinsame Vergangenheit in der DDR verband. Deshalb reisen Hansen und Riedmann nach Dresden, der Heimatstadt der ermordeten Männer, wo sie bei ihren Ermittlungen tatkräftig von Oberkommissar Marcus Dohms unterstützt werden. Die Indizien deuten darauf hin, dass das Mordmotiv mit einem Ereignis vor dem Mauerfall zusammenhängen könnte. Dann geschieht ein weiterer Mord ... Band 3 - Phantomjagd Innerhalb weniger Tage werden der investigative Journalist Jürgen Wolf und die renommierte Wissenschaftlerin Heike Berger erschossen aufgefunden. Zwei Morde, zwischen denen auf den ersten Blick kein Zusammenhang besteht. Doch schon bald finden Hauptkommissar Hansen und sein Team heraus, dass sich beide Opfer gekannt haben und dass für ihren Tod ein international gesuchter Auftragsmörder, den die Behörden „Das Phantom“ nennen, verantwortlich ist. Schnell verdichten sich die Hinweise, dass Wolf an einer brisanten Enthüllungsstory gearbeitet hat und Berger seine Informantin war. Für Hansen ist klar, dass die beiden deshalb sterben mussten. Doch dann geschehen weitere Morde und die Ermittler stehen vor einem Rätsel. Puzzleteil für Puzzleteil setzen sie zusammen und decken nach und nach eine Verschwörung ungeahnten Ausmaßes auf …

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Frank Esser
Aachen-Krimi-Sammelband
Buch 1
Der Racheengel
Ein Aachen-Krimi
Hansens 1. Fall
Prolog
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
33. Kapitel
34. Kapitel
35. Kapitel
36. Kapitel
37. Kapitel
38. Kapitel
39. Kapitel
40. Kapitel
41. Kapitel
42. Kapitel
43. Kapitel
44. Kapitel
Epilog
Nachwort
Buch 2
Sündenrächer
Ein Aachen-Krimi
Hansens 2. Fall
Prolog
45. Kapitel
46. Kapitel
47. Kapitel
48. Kapitel
49. Kapitel
50. Kapitel
51. Kapitel
52. Kapitel
53. Kapitel
54. Kapitel
55. Kapitel
56. Kapitel
57. Kapitel
58. Kapitel
59. Kapitel
60. Kapitel
61. Kapitel
62. Kapitel
63. Kapitel
64. Kapitel
65. Kapitel
66. Kapitel
67. Kapitel
68. Kapitel
69. Kapitel
70. Kapitel
71. Kapitel
72. Kapitel
73. Kapitel
74. Kapitel
75. Kapitel
76. Kapitel
77. Kapitel
78. Kapitel
79. Kapitel
80. Kapitel
81. Kapitel
82. Kapitel
83. Kapitel
84. Kapitel
85. Kapitel
86. Kapitel
87. Kapitel
88. Kapitel
89. Kapitel
90. Kapitel
91. Kapitel
92. Kapitel
93. Kapitel
94. Kapitel
95. Kapitel
96. Kapitel
97. Kapitel
98. Kapitel
99. Kapitel
100. Kapitel
101. Kapitel
102. Kapitel
103. Kapitel
104. Kapitel
105. Kapitel
106. Kapitel
107. Kapitel
108. Kapitel
Epilog
Nachwort
Buch 3
Phantomjagd
Ein Aachen-Krimi
Hansens 3. Fall
109. Kapitel
110. Kapitel
111. Kapitel
112. Kapitel
113. Kapitel
114. Kapitel
115. Kapitel
116. Kapitel
117. Kapitel
118. Kapitel
119. Kapitel
120. Kapitel
121. Kapitel
122. Kapitel
123. Kapitel
124. Kapitel
125. Kapitel
126. Kapitel
127. Kapitel
128. Kapitel
129. Kapitel
130. Kapitel
131. Kapitel
132. Kapitel
133. Kapitel
134. Kapitel
135. Kapitel
136. Kapitel
137. Kapitel
138. Kapitel
139. Kapitel
140. Kapitel
141. Kapitel
142. Kapitel
143. Kapitel
144. Kapitel
145. Kapitel
146. Kapitel
147. Kapitel
148. Kapitel
149. Kapitel
150. Kapitel
151. Kapitel
152. Kapitel
153. Kapitel
154. Kapitel
155. Kapitel
156. Kapitel
157. Kapitel
158. Kapitel
159. Kapitel
160. Kapitel
161. Kapitel
162. Kapitel
163. Kapitel
164. Kapitel
165. Kapitel
166. Kapitel
167. Kapitel
168. Kapitel
169. Kapitel
170. Kapitel
171. Kapitel
172. Kapitel

Frank Esser

Aachen-Krimi-Sammelband

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Autor:

 

Frank Esser, Jahrgang 1974, absolvierte nach dem Abitur eine Ausbildung zum Industriekaufmann und arbeitet seitdem in der Musikbranche. Er lebt in der Nähe von Aachen. Seine Liebe zu Krimis inspirierte ihn, seinen ersten Regionalkrimi zu schreiben, der in der Kaiserstadt spielt und 2017 veröffentlicht wurde. Mittlerweile veröffentlichte er neben seiner Aachen-Krimi-Reihe weitere Thriller und Krimis. Seit neuestem darf er sich stolzes Mitglied der Empire-Verlag-Familie nennen.

 

Buch 1

Der Racheengel

Ein Aachen-Krimi

Hansens 1. Fall

 

 

 

Impressum

Texte: © Frank Esser Cover: © NaWillArt Coverdesign / www.nawillart-coverdesign.de

Lektorat: ©Schoneburg. Literaturagentur und Autorenberatung

Prolog

Seit seinem zweiten Mord war er der Racheengel. Die Presse hatte ihn so genannt, weil er an den Tatorten eine Visitenkarte mit einem schwarzen Engel und Fragmenten eines bekannten Bibelzitates hinterlassen hatte. Die Journalisten behaupteten, dass es sich bei dem Mörder um einen Psychopathen handelte, der glaubte, im Namen Gottes zu töten. Diese Narren! Trotzdem hatte er Gefallen an seinem Pseudonym gefunden und sich gleichzeitig darüber geärgert, dass ihm das nicht selbst in den Sinn gekommen war. Racheengel wäre die perfekte Signatur für seine Botschaften gewesen, die er an den Tatorten hinterließ. Es hätte im Einklang mit dem Engel gestanden, der seine Karten zierte. Und ebenso war das Pseudonym Ausdruck seines Motivs für die Morde: Rache! Sie war per Definition des Lexikons eine dem modernen Rechtsempfinden nicht mehr entsprechende Extremform der Vergeltung für nach subjektivem Empfinden oder tatsächlich widerfahrenes Unrecht! Ihrer Intention gemäß ist Rache eine Zufügung von Schaden an der Person, die das Unrecht begangen hat. Das klang zwar ein wenig altbacken, aber es traf den Nagel auf den Kopf. Und er hatte sich für die extremste Form der Vergeltung entschieden: für Mord! So war er der Racheengel geworden. In Fleisch und Blut. Der schwarze Engel auf seinen Botschaften hatte eine ganz besondere Bedeutung für ihn. Er war ein Symbol. Er liebte seine Schönheit und sein Antlitz. Er symbolisierte zugleich Trauer und Melancholie und stand zudem für einen geliebten Menschen, den er verloren hatte! Eine mythisch-religiöse Bedeutung hatte das Symbol des Engels und das Bibelzitat dagegen nicht, wie die Presseleute spekuliert hatten. Er war alles andere als ein gläubiger Mensch. Er hörte auch keine Stimmen, die ihm die Morde auftrugen, wie er mancherorts gelesen hatte. Ganz im Gegenteil. Er hatte ein sehr persönliches Motiv für seine Taten. Die von ihm ausgewählten Männer hatten allesamt den Tod verdient. Die Reporter gaben sich zwar alle Mühe, um in ihren Artikeln eine plausible Erklärung für die Morde oder die Bedeutung der Visitenkarte zu finden. Aber sie lagen naturgemäß alle falsch. Erst wenn er sein Werk vollendet hatte, würde die Öffentlichkeit erfahren, dass seine Opfer ein dunkles Geheimnis teilten, das sie um jeden Preis zu verbergen versuchten. Alleine dieses Wissen verschaffte ihm Genugtuung. Und deswegen war es auch egal, ob die Polizei ihn am Ende fassen würde. Zum wiederholten Mal blickte er auf seine Armbanduhr, während er auf dem Rücksitz des alten Opel Astra lag und auf sein nächstes Opfer wartete. Dreiundzwanzig Uhr fünfundvierzig zeigte das Display seiner Digitaluhr an. Wo zum Henker blieb der Kerl? Mathias Benders` Schicht war doch schon vor knapp zwei Stunden zu Ende. Er überprüfte zum wiederholten Male die Walther P88 neun Millimeter mit fünfzehn Schuss, der Schalldämpfer war bereits aufmontiert. Die Waffe hatte er erst am späten Nachmittag gereinigt und geölt. Der Abzug ließ sich ohne Probleme betätigen. Das Magazin war komplett gefüllt, nach dem heutigen Abend würde es zwei Patronen weniger zählen. Wieder warf er einen kurzen Blick auf die Uhr. Dreiundzwanzig Uhr achtundvierzig. Eigentlich hätte Bender schon längst hier sein müssen. Plötzlich hörte er Schritte, die sich dem Wagen näherten. Ein kurzer Blick genügte, um sich davon zu überzeugen, dass es sich um die Zielperson handelte. Der Krankenpfleger hatte endlich Dienstschluss. Er hörte, wie der Wagen mit der Fernbedienung entriegelt und die Tür geöffnet wurde. Bender stieg ein. Bevor der Mann den Schlüssel in das Zündschloss steckte, um das Auto zu starten, hielt er plötzlich kurz inne und schaltete stattdessen erst einmal das Autoradio an. Aus den Lautsprechern dröhnte James Brown´s »I feel good«. Sofort stimmte Bender in den Song ein. Jetzt startete der Krankenpfleger endlich den Wagen und fuhr los. Er verließ singend den Parkplatz des Krankenhauses und steuerte in Richtung Aachener Innenstadt. Das war der Moment, auf den er gewartet hatte. Er richtete sich auf und drückte seinem Opfer den Schalldämpfer seiner Pistole in den Nacken. Mathias Bender erschreckte sich derart, dass der Mann fast das Steuer des Wagens verriss. Es gelang dem Krankenpfleger gerade noch, den Astra in der Spur zu halten. Auch er wurde kurz durchgeschüttelt, aber er hatte sich geistesgegenwärtig mit der freien Hand an der Kopfstütze festgehalten, während er mit der anderen weiterhin auf den Kopf zielte.

»Verfickte Scheiße, was ...?«

Doch weiter kam Bender nicht. Ein energisches »PST«, brachte ihn zum Schweigen. »Ruhig, ganz ruhig, dann wird dir nichts passieren. Hast du das verstanden?«, sprach er leise aber bestimmt. Er erkannte im Rückspiegel die Panik, die dem jungen Mann in den Augen stand. Es ließ ein kurzes Lächeln über seine Lippen huschen.

»Ja«, erwiderte Bender mit belegter Stimme und nickte zur Bestätigung.

»Gut, sehr gut. Dann fahren wir jetzt Richtung Sportpark Soers.«

»Was ... was wollen Sie von mir?«, stotterte der Krankenpfleger, den Blick angsterfüllt geradeaus auf die Straße gerichtet.

»Das wirst du schon früh genug erfahren.«

Mittlerweile hatte es angefangen zu regnen, genau wie der Wetterbericht es vorhergesagt hatte. Vom Rücksitz aus konnte er beobachten, wie Bender zum wiederholten Mal einen verängstigten Blick in den Rückspiegel warf.

»Sie werden mich töten, oder?« Die Worte kamen dem Todgeweihten nur schwer über seine Lippen.

»Kommt darauf an«, erwiderte er ruhig, obwohl das gelogen war. Er würde Bender auf jeden Fall erschiessen.

»Ich will nicht sterben«, flüsterte der Krankenpfleger. Tränen liefen ihm übers Gesicht. Seine Finger umklammerten das Lenkrad, wie er von der Rückbank aus erkannte.

Das Fahrzeug bog auf sein Geheiß hin in die Krefelder Straße ein.

»Natürlich möchtest du das nicht.« Er lachte höhnisch auf. Das wollte sie auch nicht, schob er im Geiste hinterher.

Die Pflegekraft schluchzte, für ihn klang es wie Musik in seinen Ohren. Von Zeit zu Zeit wischte sich Bender mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen. Er war felsenfest davon überzeugt, dass der Pfleger unentwegt darüber nachdachte, wie er unbeschadet aus der Nummer herauskommen konnte. Auch dieser Gedanke erfüllte ihn mit Freude – es gab kein Entrinnen für Bender. Sie fuhren am neuen Aachener Tivoli vorbei, dem Stadion der Alemannia, seiner heißgeliebten Kartoffelkäfer, die mittlerweile ein Dasein in der vierten Liga fristeten. Sie ließen die Arena links liegen und fuhren weiter. Mit jedem Meter, den Bender zurücklegte, umklammerten dessen Hände immer mehr den Lenker. Das Weiß seiner Fingerknöchel trat hervor, wie er selbst von der Rückbank aus erkennen konnte.

»Da vorne in den Eulersweg und direkt hinter der Kurve in den Sonnenweg abbiegen Richtung Autobahn«, gab er ihm die nächste Anweisung, während er weiterhin mit der Waffe auf den Kopf des Krankenpflegers zielte.

Bender folgte der Instruktion sichtlich angespannt. Ein Schweißtropfen rann ihm die Schläfe hinab und vermischte sich mit den Tränen, die zuvor geflossen waren.

Auf Höhe der Autobahn, knapp hundert Meter hinter einer Kurve, wo der Sonnenweg parallel zur A4 verlief, gab er den Befehl anzuhalten, woraufhin Bender auf die Bremse trat. Kein einziges Auto war ihnen bisher auf dem letzten Teilstück der Strecke begegnet, und er hoffte, dass das auch so blieb. Die Wahrscheinlichkeit, dass um diese Uhrzeit jemand auftauchte, schätzte er zwar als gering ein, aber man wusste ja nie. Diese Stelle war nicht unbedingt seine erste Wahl, aber durch das verspätete Auftauchen des Krankenpflegers war er gezwungen gewesen zu improvisieren und die Auswahl des Tatortes noch einmal zu überdenken. So waren sie am Ende hier gelandet.

»Wir gehen zu Fuß weiter. Die Scheinwerfer kannst du anlassen. Und keine Mätzchen!«, brummte der Mann von der Rückbank.

Bender nickte nur, bevor er die Wagentür öffnete und ausstieg. Auch er folgte ihm. Der Regen wurde stärker, als sie das Auto verließen.

»Da lang«, zeigte der Unbekannte mit der Waffe und wies auf eine Gruppe von Bäumen in unmittelbarer Nähe zur Autobahn. Er blickte sich um, immer noch niemand zu sehen.

Man konnte lediglich die Autos in kurzen Abständen auf der A4 vorbeidonnern hören. Hier unten gab es nicht die geringste Aussicht darauf, dass ihm jemand dazwischenfunkte, sofern in den nächsten Sekunden nicht noch ein Wunder geschah und doch ein Wagen hier auftauchte. Bender folgte seinen Anweisungen wie in Trance, der Krankenpfleger schien sich seinem unausweichlichen Schicksal widerstandslos zu ergeben. Wie ein Schaf, das zur Schlachtbank geführt wurde.

»Bitte, ich will nicht sterben«, wimmerte Bender, als er die Bäume erreicht hatte. Der junge Mann wagte es immer noch nicht, sich umzudrehen. Regentropfen mischten sich mit den Tränen, die ihm unentwegt über die Wangen liefen. »Was auch immer Sie von mir wollen, ich werde es tun«, schob der Krankenpfleger hinterher.

»Da bin ich mir sicher«, erwiderte er ruhig.

Nach wie vor war keine Menschenseele auf der Straße zu sehen. Da er nicht mehr die Zeit gehabt, den Mann irgendwo außerhalb der Stadtgrenzen ins Nirwana zu schicken, war die Autobahnböschung eine gute Alternative.

»Was habe ich Ihnen denn getan?« Die Verzweiflung, die in Benders Stimme zu hören war, rührte ihn nicht im Geringsten.

»Umdrehen und hinknien«, befahl er dem Krankenpfleger. Es machte ihm nicht ansatzweise etwas aus, den Opfern in die Augen zu blicken, bevor er ihnen das Licht ausknipste.

»Bitte«, ertönte die Stimme des Pflegers jämmerlich, als er sich langsam, wie in Zeitlupe, zu ihm umdrehte. »Ich ...«

»Hinknien habe ich gesagt!«, zischte er durch die Zähne. Bender folgte seiner Anweisung. Der Krankenpfleger weinte jetzt hemmungslos. »Du hättest eine faire Chance haben können, wenn du damals zur Polizei gegangen wärst.«

Die Verwirrung stand dem jungen Mann ins verweinte Gesicht geschrieben. »Wovon zum Teufel reden Sie da?«, brachte er mühselig hervor.

»Spielt jetzt auch keine Rolle mehr«, erwiderte er mit eisiger Stimme, bevor er einen Schritt zur Seite trat und abdrückte. Zwei Mal. Der Krankenpfleger Mathias Bender war tot. Damit war sein Auftrag erfüllt. Jetzt stand nur noch ein Name auf der Liste. Die Vorbereitungen für seine letzte Mission hatten schon längst begonnen.

1. Kapitel

 

Als das Telefon gegen drei Uhr in dieser Nacht klingelte, hatte die Nachtruhe für Kriminalhauptkommissar Karl Hansen wieder einmal abrupt geendet. Spätestens bei dem Wort Mord war er hellwach gewesen. Wenigstens hatte sich der Kollege vom Kriminaldauerdienst kurzgefasst. Seine Frau Christine hatte nichts von dem Anruf mitbekommen. Er beneidete sie darum, weiterschlafen zu können, während für ihn die Nacht beendet war. Er arbeitete seit über zwanzig Jahren für die Polizei in Aachen, davon alleine zehn in der Mordkommission. Vor knapp zwei Jahren war dem Siebenundvierzigjährigen die Leitung des K11, der Abteilung für Tötungsdelikte, übertragen worden. Er galt als ruhiger Stratege, der sich hin und wieder schon einmal gerne von seiner Intuition leiten ließ. Gelegentlich neigte er aber auch zu impulsiven Gefühlsausbrüchen, was seine Kollegen jedoch mit der nötigen Gelassenheit hinnahmen. Sah man von dem leichten Bauchansatz ab, den er mittlerweile nicht mehr kaschieren konnte, hatte er eine schlanke Figur, obwohl er selbst keinerlei sportlicher Betätigung nachging. Er war eher der gemütliche Typ. Er liebte gutes Essen und trank gerne schon einmal einen über den Durst. Abgesehen davon hatte er ein Faible für Geschichte. Wann immer es seine Zeit zuließ, steckte er seine Nase in irgendein Geschichtsbuch.

Hansen nahm seine Kleidung, die er am Vorabend auf dem Stuhl neben dem Bett abgelegt hatte, und schlich nahezu geräuschlos aus dem Schlafzimmer. Darin hatte er mittlerweile reichlich Routine. Er stapfte ins Badezimmer, wusch sich sein Gesicht, brachte seine zu allen Seiten abstehenden braunen Haare wieder in Form und putze sich die Zähne. Knapp zehn Minuten nach dem Telefonat verließ er die Wohnung in der Innenstadt und fuhr zum Tatort, der sich in der Nähe des Sportparks Soers - unter anderem Heimstätte des Fußballklubs Alemannia Aachen - befinden musste. »Sonnenweg, bei der Autobahnbrücke«, hatte der Anrufer gesagt. Hansen wählte die Zufahrt über den Soerser Weg. Er fuhr an der Rückseite des Reitstadions vorbei, in dem jährlich der weltberühmte CHIO stattfand, und folgte dem Straßenverlauf, bis er aus der Entfernung das Blaulicht diverser Einsatzfahrzeuge erkennen konnte. Das Team der Spurensicherung hatte bereits die mobilen Flutlichtstrahler aufgestellt, um den Tatort auszuleuchten. Aufgrund der Informationen, die ihm der KDD-Kollege durchgegeben hatte, musste er davon ausgehen, dass der Doppelmörder, der Aachen seit einigen Wochen in Angst und Schrecken versetzte, wieder zugeschlagen hatte. Der Wahl des Tatortes schien schon einmal ein Hinweis darauf zu sein. Bei dem Gedanken daran verkrampfte sich sein Magen. Als der Maschinenbaustudent Michael Kämper ermordet wurde, hatten Hansen und sein Team noch nicht die geringste Ahnung gehabt, dass dieser Tat weitere Morde folgen sollten. Kurze Zeit später fanden sie den Aachener Geschäftsmann Hans-Josef Körlings. Aufgrund der Spuren, die man am Tatort sicherstellen konnte, war schnell klar, dass der Unternehmer von der gleichen Person ermordet worden war, wie kurz zuvor der Student. An beiden Schauplätzen der Verbrechen hatte die SpuSi jeweils eine Nachricht in der Größe einer Visitenkarte gefunden. Auf der Vorderseite befand sich die Abbildung eines schwarzen Engels. Auf der Rückseite Fragmente eines Bibelzitats aus dem Neuen Testament, dessen Ursprung auf einen alten Rechtssatz in der Tora zurückging, dem ersten Teil der hebräischen Bibel. Bei Kämper »Auge um Auge«. Auf Körlings Karte hatte »Zahn um Zahn« gestanden. Und die Morde wiesen noch eine Gemeinsamkeit auf. In beiden Fällen gab es bisher keinerlei Hinweis auf ein Motiv. Die einzige Verbindung zu den Taten war der Modus Operandi und die verwendete Tatwaffe. Die Opfer hatten sich nicht gekannt.

Als Hansen die Absperrung des Tatortes erreicht und den Wagen abgestellt hatte, konnte er bereits Paul Mertens, den Leiter der kriminaltechnischen Untersuchung, und seine Kollegen in ihren weißen Overalls bei der Arbeit ausmachen. Der KTU-Chef war im gleichen Jahr wie Hansen zur Truppe gelangt. Es gab kaum einen Fall, in dem die beiden nicht zusammengearbeitet hatten. Mertens war fast immer der Erste, der an einem Tatort eintraf. Und meistens auch einer der Letzten, der ihn wieder verließ. Hansen schätzte die Arbeit seines langjährigen Weggefährten sehr. Mertens besaß eine ausgeprägte Kombinationsfähigkeit, und seine bisweilen unkonventionellen Methoden hatten schon oft wichtige Anhaltspunkte geliefert, die zur Aufklärung eines Falles beigetragen hatten. Während sich Hansen dem rot-weißen Flatterband näherte, mit dem der Tatort abgesperrt worden war, bereitete er sich schon innerlich darauf vor, was Mertens ihm wohl gleich erzählen würde. Für den Fall, dass der Racheengel tatsächlich wieder zugeschlagen hatte, konnte er sich schon einmal darauf einstellen, unangenehme Fragen beantworten zu müssen. Erst seinem Chef und später der Presse.

 

2. Kapitel

 

»Schöne Scheiße«, polterte Mertens gerade in dem Moment los, als Hansen die Absperrung passiert hatte und auf den Kollegen zusteuerte, der ihm bereits entgegenkam. Die schlechte Laune stand dem hochgewachsenen, schlanken Mann ins Gesicht geschrieben.

»Ich freue mich auch sehr, dich zu sehen!«, erwiderte Hansen.

Mertens ging nicht darauf ein. »Der Platzregen hat alle Spuren weggespült. Dieser Hurensohn hat so ein Glück!«, echauffierte sich der KTU-Mann.

»Hm«, brummte der Hauptkommissar. Auch bei den bisherigen Tatorten war es ihnen bisher nicht gelungen, Spuren sicherzustellen, die mit dem Killer in Zusammenhang standen.

»Mehr hast du dazu nicht zu sagen?«

»Was soll ich denn sonst sagen? Das mit dem Regen ist ärgerlich, aber nicht zu ändern, Paul. Ihr habt eine Visitenkarte bei dem Opfer gefunden?«

»Gut kombiniert, Sherlock. Ist schon im Beweismittelbeutel verstaut. Auf der Rückseite steht der dritte Teil des Bibelzitates. Hand um Hand. Das Opfer heißt übrigens Mathias Bender. Er hatte einen Personalausweis im Portemonnaie«, erwiderte Mertens. »Ich tippe bei der Tatwaffe auf eine neun Millimeter, wie bei den letzten beiden Morden auch. Wir haben bisher allerdings keine Patronenhülse gefunden. Hat der Täter vermutlich mitgenommen. Also können wir erst nach der Obduktion etwas über die Tatwaffe sagen.«

»Gleiche Vorgehensweise, wie bei Kämper und Körlings?«, wollte Hansen wissen.

»Genauso ist es. Ein sauberer Schuss in die Stirn und einer direkt ins Herz. Der Mörder tötet wie ein Profi, aber das wissen wir ja bereits. Auch ansonsten handelt es sich um die gleiche Handschrift. Tatzeit um Mitternacht herum, brutale Hinrichtung und nicht zuletzt die Visitenkarte.«

»Wo ist der Zeuge, der den Toten gefunden hat?«, wollte Hansen wissen.

»Die Kollegen haben die Personalien des Mannes aufgenommen und ihn dann nach Hause geschickt. Der war völlig fertig mit den Nerven. Ein Rentner, konnte keine Nachtruhe finden, hat eine Runde mit seinem Hund gedreht und fand schließlich den Toten.«

»Nachtruhe wir der arme Kerl vermutlich jetzt erst recht nicht mehr finden. Kann ich einen Blick auf das Opfer werfen?«, fragte Hansen nachdenklich.

»Ja, natürlich. Er liegt gleich dort drüben bei den Bäumen an der Autobahn«, zeigte Mertens in Richtung der Stelle. »Wo ist eigentlich der Rest der Truppe?«, fragte der KTU-Chef und setzte sich in Bewegung.

»Wahrscheinlich da, wo ich jetzt auch lieber wäre – im Bett. Ich hatte heute das alleinige Glück Bereitschaftsdienst zu haben, da Riedmann bis gestern Abend noch auf einer Fortbildung war«, erwiderte Hansen, der Mertens folgte.

»Marquardt und Beck werde ich gleich informieren. Wollte erst mal abwarten, was ich hier vorfinde, obwohl der KDD mich schon vorgewarnt hatte, womit wir es vermutlich zu tun haben.«

Sie erreichten den Fundort der Leiche, wo Mertens´ Kollegen damit beschäftigt waren, ein Schutzzelt aufzubauen. Weitere Schauer waren laut Wetterbericht angesagt. Auch wenn der Regen bereits ganze Arbeit verrichtet hatte, gab es immer noch die minimale Chance, irgendwelche Spuren zu entdecken, die der Täter möglicherweise hinterlassen hatte.

Hansen betrachtete die sterblichen Überreste von Mathias Bender. »Der Abstand, in dem unser Mörder zuschlägt, wird immer kürzer. Das bereitet mir Sorgen«, meinte er nach einigen Augenblicken.

»Das stimmt. Und wenn wir ihn nicht bald schnappen, fürchte ich, dass wir schon in Kürze an einem neuen Tatort stehen werden, um die Leiche eines weiteren Opfers zu untersuchen.« Mertens holte tief Luft, bevor er weitersprach. »Mensch Karl, wo soll das alles noch hinführen? Manchmal frage ich mich ernsthaft, warum ich diesen Scheißjob weiterhin mache? In den letzten Jahren ist es immer schlimmer geworden. Erreichen wir eigentlich überhaupt noch irgendetwas mit unserer Arbeit?«

Hansen sparte es sich, auf Mertens Worte einzugehen. Auch wenn er seinen Kollegen wirklich gut verstehen konnte. Aber jetzt war weder der richtige Zeitpunkt noch der passende Ort, um eine Grundsatzdiskussion über den Sinn und Zweck der Polizeiarbeit zu führen. Sie mussten einen Serienmörder schnappen.

»Wissen wir außer dem Namen des Opfers schon mehr über den Mann?«, fragte Hansen stattdessen.

»Nicht viel. Siebenunddreißig Jahre, wohnte in Monschau. Von Beruf Krankenpfleger im Luisenhospital. Wir haben einen entsprechenden Dienstausweis in seiner Brieftasche gefunden«, fasste der KTU-Mann die Informationen zusammen.

Nach seinem Gefühlsausbruch von eben hatte sich Mertens ganz offenbar wieder gefangen, stellte Hansen erleichtert fest. »Das ist doch schon mal ein Anfang. Bei dem Astra dort drüben handelt es sich vermutlich um den Wagen des Opfers?«, fragte Hansen, obwohl er im Grunde die Antwort bereits kannte. Schon bei Kämper und Körlings hatte man die Autos der Männer in unmittelbarer Nähe der Leichenfundorte entdeckt. Offensichtlich wurden die Opfer von ihrem Mörder gezwungen, in ihrem eigenen Wagen zu ihrer Hinrichtung zu fahren.

Mertens nickte. »Wir haben schon mit der Untersuchung begonnen«, murmelte er. »Wird das hier bald mal was mit dem Schutzzelt«, blaffte er die beiden Mitglieder seines Teams mürrisch an, die mit dem Aufbau beschäftigt waren, was Hansen mit einem Kopfschütteln quittierte.

»Explosive Stimmung hier. Ich gebe mal den Kollegen Bescheid und fahre dann ins Präsidium. An Schlaf ist jetzt ohnehin nicht mehr zu denken. Ich erwarte deinen Bericht so schnell wie möglich. Das kannst du übrigens auch dem Rechtsmediziner ausrichten, wenn der denn endlich mal hier auftaucht«, erwiderte Hansen und stapfte davon, ohne eine Antwort abzuwarten.

 

 

3. Kapitel

 

Etwa eine Viertelstunde, nachdem Hansen den Tatort in der Soers verlassen hatte, erreichte er das Präsidium in der Innenstadt. Er stellte sein Auto auf dem Präsidiumsparkplatz ab und betrat das geschichtsträchtige Gebäude aus dem Jahr 1891. Ursprünglich handelte es sich um das ehemalige Postgebäude, das die Polizei nach einer Sanierungsmaßnahme bezogen hatte, um über einen Standort in der Stadtmitte zu verfügen. Der Neubau eines neuen Gebäudes war schon länger in der Planung. Mittlerweile bezweifelte Hansen allerdings, dass er den Tag des Spatenstichs noch jemals erleben würde. Wie er nicht anders erwartet hatte, war außer dem wachhabenden Beamten niemand im Foyer zu sehen. Er nickte ihm zur Begrüßung zu. Hansen war dem jungen Kollegen dankbar, dass er ihm kein Gespräch aufdrängte, um sich nach dem Mord zu erkundigen, von dem er zweifelsohne bereits gehört haben musste. In seinem Büro in der zweiten Etage angekommen, rekapitulierte er die Faktenlage, wie sie sich seit Auffinden des ersten Toten ergeben hatte. Immer mit dem quälenden Gedanken im Hinterkopf, bisher eine wichtige Information übersehen zu haben: Das erste Opfer war der Student Michael Kämper gewesen, vierundzwanzig Jahre alt, ledig. Er wurde vor knapp drei Wochen erschossen in einem Waldstück in Aachen aufgefunden. Er studierte im siebten Semester Maschinenbau an der RWTH. Stabiles soziales Umfeld, keine Vorstrafen, keine finanziellen Probleme. Die befragten Kommilitonen hatten Kämper übereinstimmend als hilfsbereiten, sympathischen jungen Mann beschrieben. Er galt als fleißig, was nicht zuletzt dadurch unterstrichen wurde, dass er zwei Nebenjobs hatte, um sein Studium zu finanzieren. Er arbeitete in einem Café als Aushilfskellner und jobbte bei einer Speditionsfirma im Lager. Hansen legte den Stift beiseite und dachte nach. Keiner der Befragten aus dem familiären Bereich oder im Freundes- und Bekanntenkreis konnte sich erklären, warum jemand Michael Kämper hätte töten wollen. Auch die Ermittler hatten bisher nicht fündig werden können. Anfänglich hatten sie überlegt, ob sie es mit einem Auftragsmörder zu tun hatten. Die Vorgehensweise des Mörders sprach dafür. Der Racheengel tötete kaltblütig und professionell. Die Visitenkarten erinnerten an Mafiamorde, wo die Täter zuweilen eine Spielkarte bei ihren Opfern hinterließen. Zum einen, um zu zeigen, wer für den Mord verantwortlich war, zum anderen, um eine Warnung an all diejenigen auszusprechen, die sich gegen die Auftraggeber stellten. Also hatten sie in den Datenbanken nach ähnlichen Fällen gesucht, aber nichts gefunden. Hansen glaubte auch nicht, dass es die Taten eines religiösen Fanatikers waren, wie die Presse mutmaßte. Das zweite Opfer war der Geschäftsmann Hans-Josef Körlings, der eine Firma mit dem Namen Körlings CarSystem Technology besaß, in der Zulieferteile für die Autoindustrie hergestellt wurden. Achtundvierzig Jahre alt, ledig und tot in der Nähe der Panzersperren des alten Westwalls bei Oberforstbach gefunden. Sie hatten keine Hinweise für mögliche Hintergründe der Mordtat finden können. Weder im privaten Bereich - Körlings hatte einen festen Platz in den wohlhabenden Kreisen der Aachener Gesellschaft inne - noch im Geschäftlichen. Körlings galt als integrer Geschäftsmann. Darüber hinaus war er stark sozial engagiert. Neben seinen obligatorischen großzügigen Jahresspenden für in- und ausländische Hilfsprojekte hatte er in Aachen sogar ein eigenes Projekt ins Leben gerufen. Hier sollte straffällig gewordenen Jugendlichen und Straßenkindern geholfen werden, sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren. »Reborn e.V.« war der Name der Einrichtung. Die Recherchen hatten ergeben, dass der Verein beachtliche Erfolge feiern konnte, was die Resozialisierung junger Menschen anging. Jedenfalls lag die Erfolgsquote weit über dem Landesdurchschnitt staatlicher Institutionen. Dass der Täter aus den Kreisen der Jugendlichen stammte, konnte Hansens Team relativ schnell ausschließen. Natürlich gab es diverse Kandidaten, die schon in jungen Jahren so einiges auf dem Kerbholz hatten, aber ein Profikiller war ganz sicher nicht dabei gewesen. Ohne die Visitenkarte an den Tatorten und der Tatsache, dass beide Opfer mit der gleichen Waffe erschossen worden waren, wäre es dem Ermittlerteam wohl nie in den Sinn gekommen, eine Verbindung zwischen den Morden herzustellen. Es gab einfach nicht die geringsten Gemeinsamkeiten hinsichtlich sozialer Herkunft, Lebensstil oder anderer Aspekte! Der Täter hatte ihnen die Verbindung selbst liefern müssen. Unglücklicherweise waren unmittelbar nach der zweiten Bluttat Details bezüglich der Visitenkarte mit dem Bibelzitat an die Presse durchgedrungen. Eigentlich hatte Hansen diese Information aus ermittlungstechnischen Gründen geheim halten wollen, um Trittbrettfahrer auszuschließen. Aber irgendwie war diese Info nach außen gelangt. Die Boulevardpresse schien mit ihrem „Racheengel“ immerhin recht zu haben, was die Motivation der Taten anging. Dass es um Rache ging, hatte der Mörder von Anfang an klar gemacht. Aber Rache wofür? In welcher Verbindung stand der Killer zu Michael Kämper, Hans-Josef Körlings und jetzt Mathias Bender? Sie mussten die gesamten Ermittlungen noch einmal komplett von vorne aufrollen, daran führte kein Weg vorbei. Fast drei Wochen hatten sie bereits an den Fällen gearbeitet, und sie waren nicht weitergekommen. Und jetzt hatte man schon wieder ein neues Opfer zu beklagen. Wenn sein Team nicht schnellstmöglich einen Ermittlungserfolg vorweisen konnte, mussten sie jederzeit damit rechnen, dass sich das LKA in die Ermittlungen einschalten und sie an sich reißen würde. Die Zampanos könnten sich dann wieder aufspielen, und sie selbst ständen als inkompetent da. Der Kommissar erhob sich von seinem Schreibtischstuhl und öffnete das Bürofenster. Eine kühle Brise Frühlingsluft wehte ihm an diesem Märzmorgen ins Gesicht. Er atmete ein paar Mal tief durch und spürte, wie gut ihm der Sauerstoff tat. Ein Blick auf seine Armbanduhr verriet ihm, dass es kurz nach sechs Uhr war. Es blieb also noch reichlich Zeit, bis die Kollegen im Präsidium eintreffen würden. Deshalb widmete er sich wieder seinen Notizen. Aber so sehr er sich auch bemühte, irgendeinen neuen Ansatz für die Ermittlungen zu finden, es wollte ihm einfach nicht gelingen. Er starrte minutenlang auf sein Notizblatt und nickte schließlich ein. Als der Hauptkommissar wieder aufwachte, zeigte seine Armbanduhr bereits sieben Uhr an. Er hatte mehr als eine halbe Stunde geschlafen. Da das Fenster in seinem Büro immer noch offen stand, war es mittlerweile empfindlich kühl in dem Raum geworden. Hansen schloss das Fenster wieder und fasste den Entschluss, in die Stadt zu gehen, um zu frühstücken. Ein leerer Bauch studiert nicht gerne hatte sein Vater immer gesagt. Also machte er sich auf in Richtung Marktplatz, wo sein Stammcafé lag. Nach knapp zehn Minuten Fußmarsch hatte er den Platz vor dem altehrwürdigen Rathaus erreicht, das neben dem Dom das markanteste Bauwerk im historischen Stadtkern von Aachen war. Das im gotischen Stil errichtete Gebäude der Stadtverwaltung aus dem vierzehnten Jahrhundert hatte diverse Brände, Plünderungen und zwei Weltkriege - mal mehr oder weniger unbeschadet – überstanden und gehörte zu Hansens Lieblingsgebäuden in Aachen. Er betrat das Café direkt gegenüber von dem Gebäude und bestellte ein großes Frühstück, das die Grundlage für einen langen Arbeitstag bilden sollte. Er hatte keine Ahnung, wann er die nächste Mahlzeit zu sich nehmen konnte. Unregelmäßiges Essen gehörte leider zu den Nachteilen seines Berufes, den er im Grunde liebte. Gegen halb acht rief er Christine an. Seine Frau war vermutlich schon aufgestanden, da sie eine Stunde später ihren Dienst antreten musste. Sie war Sekretärin bei einer Firma, die Süßwaren herstellte. Christine ging sofort ans Telefon, hörbar erleichtert, dass es alles in Ordnung mit ihm war. Sie hatte immer noch Angst, wenn er so plötzlich das Haus verließ, um zu einem Tatort zu fahren. Diese Sorge konnte er ihr anscheinend nicht nehmen. Damit zu leben war wohl das Schicksal jeder Frau, die mit einem Polizisten verheiratet war. Hansen wusste, dass viele Ehen seiner Kollegen nicht zuletzt deswegen und wegen der Dienstzeiten gescheitert waren. Er selbst war aber davon überzeugt, dass er seine fünfzehn Jahre währende glückliche Ehe mit seiner Christine noch einige Zeit fortsetzen würde. Keine zwei Minuten später beendete Hansen das Gespräch und widmete sich wieder seinem Frühstück. Dabei dachte er über die Ermittlungen nach und vergaß darüber völlig die Zeit. Erst als die Kellnerin ihn ansprach, ob er noch etwas bestellen wolle, bemerkte er, wie spät es inzwischen geworden war. Bis zur Frühbesprechung war es keine Viertelstunde mehr. Hansen beendete das Frühstück, bezahlte und machte sich umgehend auf den Weg zurück ins Präsidium.

4. Kapitel

 

Gerade, als Hansen die Tür seines Büros aufschließen wollte, ertönte hinter ihm die sonore Stimme von Kriminalrat Richard Hellhausen. Der siebenundfünfzigjährige leicht untersetzte Mann trug wie immer einen tadellos sitzenden Anzug. Das dunkelbraune, von grauen Strähnen durchzogene Haar, war perfekt frisiert. Und im Gegensatz zu ihm selbst, war sein Chef rasiert und machte schon alleine deshalb rein äußerlich einen deutlich besseren Eindruck als er. Hellhausens Gesichtsausdruck verriet Hansen, dass der Kriminalrat schlechte Laune hatte.

»Morgen, Karl. Täuscht mich mein Gefühl oder hast du letzte Nacht wieder durchgearbeitet?«, fragte Hellhausen eher rhetorisch.

»Ich hätte ohnehin nicht mehr schlafen können, nachdem ich den Tatort verlassen habe. Also habe ich die Zeit genutzt und ein wenig gearbeitet«, antwortete Hansen.

»Und wo kommst du jetzt her?«, erkundigte sich der Kriminalrat skeptisch. »Ich habe dich mehrfach vergeblich in deinem Büro gesucht.«

»Nun hast du mich ja auch gefunden. Ich war in der Innenstadt. Frühstücken, wenn du es genau wissen willst. Das wird ja wohl noch erlaubt sein, nachdem ich mir schon die halbe Nacht hier um die Ohren geschlagen habe«, erwiderte Hansen leicht gereizt angesichts des scharfen Untertons in Hellhausens Stimme. »Ich wollte gerade meine Notizen für die Frühbesprechung holen. Warum hast du mich gesucht?«

»Das kannst du dir doch wohl denken, oder? Verdammt noch mal, Karl, wir brauchen langsam Ergebnisse bei den Ermittlungen. Der Staatsanwalt hängt mir im Nacken, von der Presse mal ganz zu schweigen.«

Sag mir mal was Neues, dachte Hansen. »Du klingst geradeso, als ob wir hier nur Däumchen drehen würden«, entgegnete der Hauptkommissar so ruhig, wie er nur konnte. »Du weißt ganz genau, dass das nicht der Fall ist!«

»Selbstverständlich weiß ich das. Aber mittlerweile haben wir es mit drei Mordopfern zu tun, und ihr habt immer noch keine brauchbare Spur. Heute Morgen um kurz nach sieben hatte ich bereits das Vergnügen unserem Polizeipräsidenten Rede und Antwort stehen zu müssen. Er erwartet, rate mal, vorzeigbare Ergebnisse. Und um ehrlich zu sein, erwarte ich das allmählich auch von euch! Menschenskind, drei Wochen und immer noch keine heiße Spur. Ich weiß nicht, wie lange ich euch da weiterhin den Rücken freihalten kann. Das LKA wartet geradezu darauf, dass es hier hereinspazieren darf.«

Man hatte seinem Chef ganz offensichtlich mächtig Feuer unter dem Hintern gemacht, vermutete Hansen, denn derartige Auftritte von Hellhausen gab es nur äußerst selten. »Sonst noch was?«, fragte der Hauptkommissar, ohne auf die Worte des Kriminalrats einzugehen. Stattdessen blickte er nur demonstrativ auf seine Armbanduhr.

»Um elf Uhr ist eine Pressekonferenz. Ich möchte, dass du daran teilnimmst.«

»Ich werde es einrichten, wenn du drauf bestehst. Obwohl ich weiß Gott Besseres zu tun habe.« Er hasste derartige Veranstaltungen, was Hellhausen auch wusste. »Und im Übrigen kannst du mir glauben, dass ich als leitender Ermittler genauso unglücklich über den Stand der Untersuchungen bin, wie du und wir absolut unser Bestes ...«

»Ich weiß, Karl, ich weiß«, schnitt der Kriminalrat ihm das Wort ab und hob beschwichtigend die Hände. »Ich fürchte nur, dass euer Bestes im Moment nicht gut genug ist. Ich erwarte dich um elf Uhr im Presseraum«, sagte Hellhausen und stapfte schnellen Schrittes davon.

»Euer Bestes ist nicht gut genug«, äffte Hansen seinen Chef leise nach, als er die Bürotür öffnete. Noch nie hatte er eine Standpauke auf dem Flur erhalten. Hellhausen musste das Wasser wirklich bis zum Hals stehen. Aber er wusste ja, dass der Kriminalrat recht hatte. Er holte seine Notizen und machte sich auf den Weg zum Besprechungsraum, wo sich außer seinem Partner Stefan Riedmann noch kein anderer Kollege eingefunden hatte. Er war das jüngste Mitglied des Teams und bekannt für seinen Ehrgeiz. Riedmann hatte es mit seinen gerade einmal vierunddreißig Jahren zu Hansens Stellvertreter gebracht. Die Beförderung zum Hauptkommissar war wohl nur noch eine Frage der Zeit. Mit seinen ein Meter zweiundachtzig überragte er Hansen um ein paar Zentimeter. Und im Gegensatz zu seinem Vorgesetzten war Riedmann eine Sportskanone. Er joggte und ging regelmäßig ins Fitnessstudio. Sein dunkelblondes, ehemals schulterlanges Haar war erst vor ein paar Wochen einer modischen Kurzhaarfrisur gewichen. Obwohl er sehr attraktiv war, fristete er sein Leben als Single, was Hansen nicht nachvollziehen konnte.

»Morgen, Stefan«, begrüßte er seinen jungen Kollegen, als der Hauptkommissar den Besprechungsraum betrat und Platz nahm.

»Moin, Chef«, entgegnete Riedmann. »Geht’s dir gut? Du siehst ein bisschen fertig aus, wenn ich das so sagen darf!«

»Ist das ein Wunder? Habe mir die halbe Nacht um die Ohren geschlagen, nachdem ich den Tatort am Sonnenweg verlassen habe. Hätte sowieso nicht mehr schlafen können. Gerade hat mir unser Chef dann auch noch einen Einlauf verpasst. Könnte der Tag besser anfangen?« Seine Stimme triefte vor Ironie. »Von Pünktlichkeit scheinen die Herren Beck und Marquardt sowie unser Chef der KTU auch nicht viel zu halten«, schob er hinterher. Der Zeiger der Uhr im Besprechungsraum war gerade auf 09:01 Uhr gesprungen.

»Ui, da ist aber jemand ganz schön gereizt.« Riedmann nippte an seinem Kaffee. Kaum, dass er den Satz ausgesprochen hatte, betrat das besagte Trio auch schon den Raum. Markus Beck setzte sich auf den freien Platz neben Hansen. Die beiden Männer kannten sich bereits seit mehr als zwölf Jahren. Der dreiundvierzigjährige verheiratete Beck war Vater von zwei Töchtern und galt im Gegensatz zu seinem Partner Jens Marquardt als grundsolide. Vier Jahre jünger, ledig und mit Hang zur Selbstüberschätzung war Marquardt ein Schürzenjäger vor dem Herrn. Ständig wechselten seine diversen Liebschaften. Außerdem trank er gerne einmal ein Glas Bier zu viel. Hansen war froh, dass er ihm den introvertierten Beck zur Seite stellen konnte und hoffte seit geraumer Zeit auf einen Lerneffekt bei Marquardt.

Nachdem Hansen auf die Ereignisse der vergangenen Nacht eingegangen war, informierte Paul Mertens das Team über die Erkenntnisse vom Tatort Soers. Tatsächlich war es der SpuSi gelungen, einen Fußabdruck sicherzustellen, der möglicherweise vom Täter stammte. Mathias Benders Mörder hatte demnach mutmaßlich einen Sportschuh mit der Größe vierundvierzig getragen. Der erste konkrete Hinweis auf den Serienmörder. Hansen schrieb die Information an die Dokumentationstafel, auf der alle wichtigen Fakten zu den bisherigen Recherchen zusammengetragen wurden. Als Mertens seinen Bericht beendet hatte, legte Hansen die neue Strategie fest, um die Ermittlungen neu aufzurollen. Riedmanns Aufgabe war es, den Fall von Michael Kämper neu anzugehen. Dabei sollte er sich vor allem auf das Umfeld des Studenten konzentrieren. Beck und Marquardt wurden angewiesen, sich mit dem aktuellsten Fall zu beschäftigen und Informationen über den Krankenpfleger Mathias Bender zusammenzutragen. Hansen selbst wollte sich noch einmal den Mord an dem Geschäftsmann Hans-Josef Körlings vornehmen.

Um zehn vor Elf machte sich der Hauptkommissar auf den Weg zur Pressekonferenz. Sein Team war zu diesem Zeitpunkt längst ausgeflogen, um sich auf die Suche nach neuen Spuren zu machen. Die leidigen Fragen der Reporter kannte Hansen schon vom letzten Mal. Dass man es mit einem Serienkiller zu tun hatte, war ein gefundenes Fressen für die Aasgeier der Presse, man hatte förmlich ihre Schnäbel klappern gehört. Als Hansen den Presseraum betrat, winkte Hellhausen ihm zu. Er setzte sich neben den Kriminalrat aufs Podium. Einige Reporter in der ersten Reihe kannte der leitende Ermittler bereits von der letzten PK. Vor allem die Lokalreporter. Aber da der Raum heute nahezu bis auf den letzten Platz gefüllt war, blickte er in eine ganze Reihe unbekannter Gesichter. Nachdem Hellhausen und er sich noch über einige Punkte verständigt hatten, eröffnete der Kriminalrat pünktlich um elf Uhr die Konferenz und gab den aktuellen Ermittlungsstand zum Besten. Er schmückte die wenigen Fakten, die den Ermittlern derzeit bekannt waren, wortreich aus und übergab dann das Wort an Hansen. Zunächst waren es vor allem die Reporter der ortsansässigen Lokalpresse, die sich nach den aktuellen Geschehnissen erkundigten. Erst als sich ein Journalist eines überregionalen Blattes zu Wort meldete, wurde es für Hansen unangenehm.

»Bremser vom Abendblatt«, stellte sich der Mann vor. »Soweit ich das verstanden habe, ist es Ihnen bisher nicht gelungen, eine Verbindung zwischen den mittlerweile drei Opfern herzustellen. Und ein Motiv für die Taten haben Sie auch noch nicht ermitteln können. Ohne jetzt Panik verbreiten zu wollen, aber das bedeutet für mich im Klartext, dass jeder aus der Bevölkerung ein nächstes potenzielles Opfer sein könnte?! Denn es liegt doch auf der Hand, dass der Racheengel sein Werk noch nicht beendet hat, das Bibelzitat ist ja längst nicht zu Ende.«

Hansen musste einen Moment innehalten, bevor er antwortete. »Sicherlich«, begann er, seine Worte vorsichtig abwägend, »besteht diese potenzielle Gefahr. Aber wir sind davon überzeugt, dass der Täter nach einem bestimmten Muster vorgeht und die Opfer keine Zufallsopfer sind. Wir haben diesbezüglich neue Erkenntnisse«, log Hansen. »Aber bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir aus gegebenem Anlass keine Einzelheiten an die Presse weitergeben können. Von daher besteht auch nicht der geringste Grund, dass Sie für eine verkaufsfördernde Schlagzeile Panik in der Bevölkerung verbreiten. Im Gegenteil, Herr Bremser. Ich möchte Sie und die anderen hier anwesenden Kollegen bitten, in Ihren Artikeln keine Spekulationen anzustellen, die unsere Arbeit nur unnötig erschweren würden. Das letzte, was wir nämlich jetzt brauchen können, ist eine hysterische Bevölkerung, die kein Vertrauen in die Polizeiarbeit hat.«

»Entschuldigen Sie bitte, Herr Hansen«, meldete sich der Reporter des Abendblattes erneut zu Wort. »Aber wenn drei Morde kein Grund zur Panik sind, was bitte dann? Sie haben nach drei Wochen Ermittlungsarbeit keinen Verdächtigen ermitteln können, wie Sie eben selbst eingeräumt haben. Sie wissen, so wie es für mich aussieht, nicht einmal, nach welchen Gesichtspunkten die Opfer vom Mörder ausgesucht werden. Und jetzt versuchen Sie die Gefahr herunterzuspielen und fordern mich und meine Kollegen auf, unsere journalistische Pflicht zu vernachlässigen, die Bevölkerung zu informieren!«

Hansen war klar gewesen, dass sich die Veranstaltung in diese Richtung entwickeln würde. Die Kombination aus Müdigkeit, grundsätzlicher Ablehnung gegen Pressekonferenzen und der Einsicht, dass der lästige Bremser im Grunde recht hatte, zerrte an seinen Nerven. »Es ist keinesfalls so, dass ich die Gefahr herunterspielen möchte. Aber Panik hilft uns ebenfalls nicht. Deshalb appelliere ich an Sie alle, sich in Ihren Berichten nur auf die Fakten zu beschränken, die wir Ihnen heute mitgeteilt haben. Alles andere wird eine Genugtuung für den Täter darstellen, weil man ihm diese Aufmerksamkeit schenkt. Ich bitte Sie lediglich, unsere Arbeit nicht zu behindern. Ich hatte nicht vor, die journalistische Meinungsfreiheit in irgendeiner Weise zu beschneiden. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich habe noch einiges zu tun. Weitere Informationen erhalten Sie bei Bedarf von der Pressestelle unserer Dienststelle.«

Damit beendete Hansen seinen Teil der Pressekonferenz und übergab das Wort wieder an Hellhausen. Wutentbrannt verließ er den Presseraum. Selten kam er sich so vorgeführt vor. Er schaute auf seine Uhr. Es war jetzt kurz vor halb zwölf. Er beschloss nach Hause zu fahren, um zu duschen. Anschließend würde er mit neuer Kraft an die Ermittlungen gehen und Bremser und allen anderen beweisen, dass sie sich irrten.

5. Kapitel

 

Es war genauso abgelaufen, wie er geplant hatte. Er hatte von Kämper kurz vor dessen Tod erfahren, welche Rolle Bender in der Geschichte gespielt hatte. Das war eines der wenigen Details gewesen, das ihm am Anfang in dem Puzzle noch gefehlt hatte. Er hatte ihn einfach nicht ungesühnt davonkommen lassen können. Er musste beenden, was er begonnen hatte. Und er war noch nicht am Ende seines Weges. Schon auf dem Heimweg von Benders Exekution waren seine Gedanken unentwegt um sein nächstes Ziel gekreist. Ein Gefühl des Ekels machte sich in ihm breit, wenn er an diesen Mann dachte. Dieses Schwein war von allen derjenige, den er am meisten verabscheute. Der Plan, wie er vorgehen wollte, existierte bereits in seinem Kopf. Jetzt galt es zu prüfen, ob er umzusetzen war. Er blickte auf seine Uhr. Seine Mittagspause war zu Ende. Er musste wieder zurück an seine Arbeit gehen.

Nachdem Hansen seine Wohnung frisch geduscht verlassen hatte, machte er sich auf direktem Weg zur Eigentumswohnung von Körlings. Er hatte zwar noch nicht die leiseste Ahnung, wonach er dort genau suchen sollte, aber irgendwo musste er ja anfangen. Sein Ziel lag nur etwa zehn Minuten von seiner eigenen Wohnung entfernt in der Lütticher Straße. Körlings hatte dort ein opulentes Apartment in einem schönen sanierten Altbau. Hansen konnte sich von seinem letzten Besuch noch genau daran erinnern, dass es von der Dachterrasse aus einen wunderschönen Ausblick bis hin zum Aachener Stadtwald gab. Er betrat das Wohnhaus und stiefelte die Treppen hinauf bis in die dritte Etage, wo er an der Wohnungstür das Polizeisiegel entfernte. Obwohl die Spurensicherung die Wohnung gründlich untersucht hatte, war sie in einem ordentlichen Zustand hinterlassen worden, was leider nicht immer der Fall war. Zunächst lief Hansen durch die einzelnen Zimmer der über hundertachtzig Quadratmeter großen Wohnung und ließ die Eindrücke auf sich wirken. Körlings hatte Geschmack besessen. Die Ausstattung war vom Feinsten. Wahrscheinlich von einem Innenarchitekten entworfen. Alleine der Parkettboden dürfte ein halbes Jahresgehalt seines bescheidenen Einkommens als Polizist verschlungen haben. Aber er hatte keine Zeit, sich mit der Schönheit der Wohnung zu beschäftigen. Er war hier, um nach verwertbaren Informationen zu suchen, die sie in der Mordserie weiterbringen konnten. Hansen gab die Hoffnung nicht auf, dass die Kollegen bei der Untersuchung der Wohnung etwas übersehen hatten. Es musste doch einen Hinweis darauf geben, warum der Täter es gerade auf den Geschäftsmann abgesehen hatte, der nach außen hin so integer erschien. Zwei Theorien hatten sie entwickelt: Körlings war bei seinen Geschäften in illegale Machenschaften verstrickt und hatte den Tod eines Menschen zu verantworten, wovon der Mörder offenbar gewusst hatte. Oder es musste abseits seiner Unternehmungen ein dunkles Geheimnis geben, eine schwere persönliche Schuld, die er auf sich geladen hatte. Für beide Theorien hatten sie bisher keine Anhaltspunkte finden können. Und dennoch hatte der Mörder dieses Gleichnis verwendet – Zahn um Zahn. Gleiches mit Gleichem vergelten. Körlings Tod, um einen anderen Tod zu rächen. Hansen seufzte bei dem Gedanken daran. Er begann mit der Suche im Arbeitszimmer des ermordeten Geschäftsmannes. Die meisten Unterlagen, die hier ursprünglich in den Schränken und Regalen gestanden hatten, lagerten bereits in der Asservatenkammer im Präsidium. Bisher hatten sie nichts darin finden können, was für die Ermittlungen relevant gewesen wäre. Er setzte sich an den Mahagoni-Schreibtisch im Kolonialstil und öffnete der Reihe nach die Schubladen. Aber außer einigen Versicherungsunterlagen, die für ihn ohne Belang waren, konnte er nichts finden. In einem Aktenordner fand er verschiedene Zeitungsartikel, die Körlings offensichtlich gesammelt hatte. Es handelte sich dabei ausschließlich um Berichte von karitativen Veranstaltungen, die der Unternehmer regelmäßig ausgerichtet hatte, um Geld für gemeinnützige Einrichtungen zu sammeln. Hansen legte sie wieder zurück. Nach zehn Minuten beendete er die Suche und schlenderte ins geräumige Wohnzimmer. Er setzte sie auf die große Ledercouch. Während er so dasaß und den Blick durch den Raum schweifen ließ, fiel ihm etwas auf, was ihm bei seinem ersten Besuch vor ein paar Wochen entgangen war. Es gab in der gesamten Wohnung keine Fotos. Weder von Körlings` Familie noch von Freunden. Nicht ein einziger Schnappschuss war in dem Penthouse zu sehen. Hansen wusste, dass Körlings´ Eltern bereits seit ein paar Jahren tot waren. Geschwister hatte er keine. Es gab auch keine Verwandten, die das beträchtliche Vermögen des Geschäftsmannes erbten. Stattdessen hatte er testamentarisch verfügt, dass mit dem Geld eine Stiftung gegründet werden sollte, um sozial schwachen Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Darüber hinaus hatten sie ermittelt, dass der Freundes- und Bekanntenkreis des Unternehmers eher überschaubar gewesen war. Körlings hatte abseits der gesellschaftlichen Verpflichtungen ein unauffälliges Leben geführt. Trotzdem fand Hansen es ungewöhnlich, dass es keine Fotos in der Wohnung gab. Er holte seinen Notizblock aus seiner Jackentasche. Er blätterte die Seiten bis zu der Stelle, wo er die ersten Einträge über Hans-Josef Körlings niedergeschrieben hatte. Fast alle Befragten hatten übereinstimmend angegeben, dass der Ermordete ein sympathischer Zeitgenosse gewesen sei, stets bescheiden und hilfsbereit. Während Hansen weitere Notizen überflog, fiel ihm ein anderer Eintrag im Zusammenhang mit Körlings auf. Mehrere Personen hatten ausgesagt, dass der Unternehmer eine Zeit lang in Begleitung einer jungen, gut aussehenden Frau gesehen wurde. Juliette Vermaelen. Die Ermittlungen hatten ergeben, dass niemand mit diesem Namen in Aachen oder der näheren Umgebung gemeldet war. Auch eine bundesweite Überprüfung hatte zu keinem Ergebnis geführt. Die Frauen mit gleichem Namen waren schlichtweg zu alt gewesen, um als die entsprechend Gesuchte infrage zu kommen. Und da sie auch in Körlings´ Wohnung keine Hinweise auf die Frau gefunden hatten, wurde die Spur nicht weiter verfolgt. Aber während Hansen darüber nachdachte, musste er sich eingestehen, dass dies möglicherweise ein Fehler gewesen war. Gleich mehrere Gründe fielen ihm jetzt auf Anhieb ein, warum sie die Frau nicht gefunden hatten. Ein falscher Name, den Juliette Vermaelen in Gegenwart von Körlings Bekannten benutzt hatte. Bliebe die Frage, warum sie das getan haben könnte? Denkbar wäre zum Beispiel, dass die Frau für einen Escortservice arbeitete. Oder was viel naheliegender war: Sie wohnte nicht in Deutschland, sondern im Grenzgebiet. Schließlich lebten sie im Dreiländereck in unmittelbarer Nähe zu Belgien und Holland. »Himmel noch mal, was sind wir für Hornochsen«, fluchte er leise vor sich hin und schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. Es war zwar nur ein Strohhalm, an den er sich klammerte, aber er wollte der Sache noch einmal nachgehen. Ein Phantombild von der Unbekannten erstellen lassen und dies in der Presse veröffentlichen war eine Option, die er in Betracht zog. Dann setzte er die Durchsuchung der Wohnung fort. Nach einer knappen Stunde brach er das Unterfangen ab – ergebnislos. Hansen war frustriert. Er versah die Wohnungstür mit einem neuen Polizeisiegel und machte sich auf den Weg zu seinem Wagen.

6. Kapitel

 

Nachdem Hansen das Wohnhaus in der Lütticher Straße verlassen hatte, war der nächste Punkt auf seiner Agenda Christoph Maas. Der Mann hatte Körlings seit der Schulzeit gekannt. Sie hatten die ganze Zeit über Kontakt gehalten und waren regelmäßig gemeinsam Tennis spielen gegangen. Maas´ Sekretärin teilte ihm mit, dass der Sparkassen-Angestellte diese Woche Urlaub habe. Also wählte Hansen die Nummer der Telefonauskunft, um sich mit dem privaten Anschluss der Familie verbinden zu lassen. Schon nach dem dritten Klingeln hatte Maas das Gespräch entgegengenommen und einem Treffen in einer halben Stunde zugestimmt. Laut Navi brauchte er knapp zwanzig Minuten für die Fahrt nach Roetgen im Norden des Naturparks Hohes Venn in der Eifel. Die Familie bewohnte einen modernen Bungalow mit gepflegtem Vorgarten, wie er feststellen konnte, als er den Wagen in eine Parklücke auf der gegenüberliegenden Straßenseite steuerte. Es war Hansens erste Begegnung mit Körlings´ Schulfreund, Riedmann hatte zuvor die Befragung durchgeführt.

Maas war ein hochaufgeschossener Mann mittleren Alters mit feinen Gesichtszügen. »Kommissar Hansen, nehme ich an?«, begrüßte er ihn freundlich, als der Hausherr die Tür öffnete.

Hansen nickte und zeigte seinen Dienstausweis.

»Ich muss zugeben, dass mich Ihr Anruf einigermaßen überrascht hat. Ich habe Ihrem Kollegen doch schon alles erzählt«, meinte Maas, als er ihn ins Wohnzimmer führte, wo er sie auf einer ausladenden Sitzgruppe in cremefarbigem, italienischem Lederdesign Platz nahmen. »Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Kaffee oder Tee vielleicht? Ich war so frei und habe bereits beides vorbereitet.« Er deutete auf das Tablett auf dem ovalen Glastisch.

»Ich würde gerne einen Kaffee nehmen, wenn Sie sich schon die Mühe gemacht haben«, antwortete Hansen freundlich. Verstohlen sah er sich in dem Wohnzimmer um. Ihm fiel sofort auf, dass das Haus der Familie Maas ebenso luxuriös eingerichtet war wie das Penthouse von Hans-Josef Körlings. Moderne Kunst zierte die Wände, eine Skulptur, die offenbar zwei kämpfende Leiber darstellte und teuer aussah, nicht aber unbedingt seinen Geschmack traf, war zentraler Blickfang im Erker an der Seite. Wenn er sich richtig erinnerte, arbeitete Maas in leitender Funktion bei der Sparkasse, von daher dürfte er auch über das nötige Kleingeld verfügen, dachte Hansen.

»Sie haben außerordentliches Glück gehabt, dass Sie mich überhaupt noch hier angetroffen haben«, meinte Christoph Maas, während er Hansen eine Tasse Kaffee einschenkte. »Ich habe mir nämlich ein paar Tage freigenommen und wollte mich gerade auf den Weg zu meiner Familie machen, die bereits im Urlaub weilt. Hat Ihr Besuch vielleicht mit dem neuen Opfer des Racheengels zu tun? Eine furchtbare Sache! Sind Sie denn schon mit Ihren Nachforschungen weitergekommen?«, fragte Maas interessiert.

»Darüber darf ich aus ermittlungstechnischen Gründen keine Auskunft geben. Aber es ist so, dass wir eine wichtige Spur verfolgen«, flunkerte Hansen. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich Ihnen gerne noch einmal einige Fragen bezüglich Herrn Körlings stellen.« Hier machte er eine kleine Pause und blickte Maas in die Augen. »Wie lange und vor allem wie gut haben Sie ihn gekannt?«

»Hans-Josef und ich kannten uns seit unserer Schulzeit auf dem Goethe-Gymnasium. Im Laufe der Zeit wurden wir beste Freunde. Wir haben später sogar die gleichen Studiengänge belegt. Aber wie das oft so ist, haben wir uns dann trotzdem irgendwann mehr oder weniger aus den Augen verloren.«

»Könnten Sie das bitte etwas konkretisieren?«, wollte Hansen wissen, obwohl er die Antwort schon aus dem Ermittlungsprotokoll kannte.

»Das war kurz nach Beendigung unseres Studiums«, setzte Maas seine Ausführungen fort. »HaJo, wie wir ihn immer nannten, bekam das Angebot ins Ausland zu gehen, um einen Job in den USA zu übernehmen. Da ich glücklicherweise direkt nach meinem Abschluss eine Anstellung in Aachen gefunden habe, haben sich in der Folgezeit unsere Kontakte doch erheblich minimiert. Gelegentliche Telefonate, mehr nicht. Aber das wurde mit der Zeit dann auch immer seltener. Ist ja nicht wie heute, wo man auf allen Kanälen vernetzt ist«, erklärte der Mann und nippte an seinem Tee. »Wenn HaJo in Deutschland zu Besuch war, haben wir uns auch getroffen, sofern es sich einrichten ließ. Aber ich hatte dann immer den Eindruck, dass wir schon lange nicht mehr auf einer Wellenlänge lagen. Er hatte sich verändert, ich mich natürlich auch.«

»Und wann ist Herr Körlings wieder nach Aachen zurückgekehrt?«

Maas überlegte kurz. »Das muss etwa vor neun Jahren gewesen sein. HaJo hat mich eines Abends völlig überraschend angerufen und mir erzählt, dass er seine Stellung in den USA gekündigt hat und wieder in Aachen lebt. Er berichtete mir von seinen Plänen eine eigene Firma zu gründen, die Autozubehörteile herstellen und vertreiben sollte. Hans-Josef hatte wohl in den USA gute Kontakte in der Automobilbranche geknüpft und wollte hier in Deutschland eine Firma aufbauen, die sich mit der Produktion spezieller Zulieferteile befasste. Da er wusste, dass ich im Vorstand der Sparkasse sitze, erhoffte er sich meine Unterstützung bei der Finanzierung. Die Bewilligung des Kreditvolumens erfolgte natürlich nicht aufgrund unserer langjährigen Bekanntschaft. Nicht dass Sie da einen falschen Zusammenhang herstellen«, sagte Maas lächelnd. »Sein Konzept hatte einfach Hand und Fuß, und der finanzielle Erfolg, der sich ziemlich bald eingestellt hatte, gab uns ja auch letztlich recht.«

Hansen, der inzwischen sein Notizheft herausgeholt hatte, schrieb fleißig mit. »Wie würden Sie Ihre Beziehung in den letzten Jahren beschreiben? So viel ich weiß, haben Sie sich regelmäßig getroffen. Das klingt so, als ob Sie die alte Freundschaft wieder aufgefrischt haben.«

Maas räusperte sich. »Von einer engen Beziehung konnte nicht die Rede sein. Wir haben uns hin und wieder bei seinen Wohltätigkeitsveranstaltungen getroffen und sind alle paar Wochen Tennis spielen gegangen. Aber von Freundschaft im eigentlichen Sinne würde ich nicht sprechen. Um das Verhältnis zu intensivieren, fehlte uns vermutlich auch letztlich die Zeit. Wir sind, Pardon, waren beruflich sehr eingespannt. Die wenige Freizeit, die mir bleibt, verbringe ich am liebsten mit meiner Frau und unseren beiden Kindern.« »Sie haben meinem Kollegen bei der ersten Befragung von einer jungen Frau erzählt. Juliette Vermaelen. Können Sie mir vielleicht etwas über sie erzählen?«

Maas schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, dass ich Ihnen auch jetzt nicht mehr sagen kann. Ich kannte sie ja kaum. Wenn es nicht so ungewöhnlich gewesen wäre, HaJo überhaupt in Begleitung einer Frau zu sehen, dazu noch einer so jungen und attraktiven, hätte ich das gar nicht erst erwähnt. HaJo war im Grunde ein überzeugter Junggeselle. Das hing mit einer alten Geschichte aus seiner Zeit in den Staaten zusammen, die er mir einmal erzählt hat. Er wollte vor Jahren eine Frau namens Susan heiraten. Aber es war wie in einem schlechten Hollywoodfilm: Sie hat ihn, noch bevor sie ihm das Jawort gegeben hat, einfach in der Kirche stehen lassen und ist abgehauen. Das hat ihn wohl so verletzt, dass er sich geschworen hatte, nie mehr einer Frau sein Vertrauen zu schenken. Er hatte zwar hin und wieder eine Affäre, aber nie eine feste Beziehung. Umso überraschender, dass er uns damals Juliette vorgestellt hat. Allerdings habe ich kaum ein Wort mit ihr gewechselt. Deshalb kann ich Ihnen wirklich nicht weiterhelfen.«

»Halten Sie es für denkbar, dass es sich um eine Dame von einem Escortservice gehandelt hat?«, fragte Hansen und hob die rechte Augenbraue.

»Das ist interessant, dass Sie das ansprechen«, erwiderte Maas. »Ein Bekannter von mir hat damals genau das Gleiche gemutmaßt.« Der Sparkassen-Angestellte zuckte mit den Schultern. »Aber ich persönlich glaube das nicht. Das war nicht HaJos Stil. Außerdem habe ich die beiden bestimmt noch zwei Mal bei anderen Gelegenheiten zusammen gesehen.«

»Man kann sich auch mehrmals mit einer Dame eines Escortservices verabreden«, überlegte Hansen laut. »Körlings hätte Ihnen doch sicherlich erzählt, wenn die junge Frau seine Freundin gewesen wäre? Immerhin kannten Sie sich bereits viele Jahre.«

»Ich sehe schon, Sie lassen nicht locker. Ihr Kollege war diesbezüglich nicht so hartnäckig«, sagte Maas und lächelte erneut. »Aber ich bleibe bei meiner Meinung, dass sie keine Prostituierte war. Ich denke eher, dass HaJo sich bezüglich dieser Frau Vermaelen einfach nicht sicher war und es deshalb vermieden hat, mir oder sonst einer Person mehr über sie zu erzählen. HaJo war nach der Erfahrung mit Susan dem anderen Geschlecht gegenüber grundsätzlich misstrauisch.« Maas sah ihn fast schon entschuldigend an.

»Würden Sie noch einmal kurz über den Abend nachdenken, als Sie Juliette Vermaelen kennengelernt haben. Was fällt Ihnen da spontan ein?« Hansen versuchte es ein letztes Mal. »Also gut«, seufzte Christoph Maas und dachte einen Moment nach, bevor er antwortete. »Um es mit wenigen Worten noch einmal zusammenzufassen: Diese Juliette war sehr jung, vielleicht Anfang zwanzig und hatte ein sehr hübsches Gesicht. Zart, kindlich, mit großen braunen Augen. Sie war nicht besonders gesprächig, ganz im Gegenteil. Ich hatte den Eindruck, dass sie darauf bedacht war, so wenig Konversation wie nur möglich zu führen.«

Hansen machte erneut einige Notizen. »Ich würde gerne mit Ihrer Hilfe ein Phantombild von Juliette Vermaelen erstellen, das wir in der Presse veröffentlichen können. Wäre es Ihnen möglich, aufs Präsidium zu kommen, um bei der Anfertigung des Bildes zu helfen?«

»Wenn wir das auf Anfang nächster Woche verschieben könnten? Wie schon erwähnt, wollte ich eigentlich gerade aufbrechen. Meine Frau ist mit den Kindern in Westkapelle, und ich würde sie dort gerne mit meinem Besuch überraschen, Herr Kommissar.«

Hansen wusste, dass er sich den Luxus kaum erlauben konnte, die Erstellung des Phantombilds aufzuschieben. Es war ohnehin schon fahrlässig gewesen, die Spur mit der unbekannten Frau nicht weiterverfolgt zu haben. »Ich weiß, dass das jetzt ungelegen für Sie kommt. Aber es wäre wirklich sehr wichtig, wenn wir das heute noch erledigen könnten, Herr Maas. Immerhin geht es hier um Menschenleben. Es dauert auch nicht lange, Sie wären schon am späten Nachmittag bei Ihrer Familie.«

»Ich fürchte, ich werde einem Kriminalhauptkommissar diesen Wunsch nicht abschlagen können«, erwiderte Maas zerknirscht.

»Ich weiß das wirklich sehr zu schätzen. Erlauben Sie mir bitte noch eine abschließende Frage. Sie haben doch sicherlich auch darüber nachgedacht, wer für den Tod von Herrn Körlings verantwortlich sein könnte? Ist Ihnen da in der Zwischenzeit irgendjemand eingefallen?«

Wieder ein Kopfschütteln. »Da muss ich leider passen. Ich habe nicht die geringste Ahnung. Von den Personen, die mir aus seinem Umfeld bekannt sind, ist meiner Meinung nach niemand zu solch einer Tat fähig. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass er Feinde hatte. Neider sicherlich, aber Feinde?«

»Dennoch wurde Herr Körlings ermordet«, sagte Hansen nur. »Die Adresse vom Präsidium haben Sie?« Ohne eine Antwort abzuwarten, legte er eine Visitenkarte auf den Tisch, bevor er sich von der Couch erhob. »Melden Sie sich bitte bei der Anmeldung und sagen denen, dass ich Sie zwecks Erstellung eines Phantombildes einbestellt habe. Ich werde den Kollegen gleich Bescheid geben, dass Sie später vorbeikommen.«

Maas nickte. »Alles klar. Ich werde mich beeilen«, erwiderte der Mann und begleitete ihn zur Haustür.

 

7. Kapitel

 

Im Anschluss an das Gespräch mit Christoph Maas fühlte sich Hansen bestärkt, die Suche nach Juliette Vermaelen zu intensivieren. Dabei vertraute er mehr seinem Bauchgefühl, als dass er einen konkreten Grund dafür hatte. Der Presseaufruf mit dem Phantombild war erst der Anfang. Ferner galt zu klären, ob diese Frau für einen Escortservice arbeitete. Sicherlich eine Aufgabe, die Marquardt begeistern würde. Und dann war doch noch die Ausweitung des Suchgebietes Richtung Belgien und Holland. Auf die Idee, die Frau dort zu suchen, hätten sie viel früher kommen müssen. Verärgert schlug er aufs Lenkrad. Er wollte gerade Riedmann anrufen, als sein Handy klingelte. Christoph Maas, wie er an der Nummer erkannte.

»Hallo, Herr Maas. Ist Ihnen noch etwas eingefallen?«, kam der Hauptkommissar gleich zur Sache, als er das Gespräch entgegennahm.

»Da wäre tatsächlich noch etwas, obwohl ich nicht weiß, ob es wichtig ist. Juliette Vermaelen hat mit einem Akzent gesprochen. Französisch, denke ich, nicht sehr ausgeprägt.«

Bingo, schoss es Hansen durch den Kopf. »Wie jemand aus der Deutschsprachigen Gemeinschaft?«, fragte er nach. Er selbst hatte Freunde, die in Kelmis, Sankt Vith oder Eupen lebten und fließend sowohl deutsch wie französisch sprachen. Ein leichter Akzent war bei einigen auf jeden Fall auch herauszuhören, wenn sie sich unterhielten.

»Ja, das könnte passen«, bestätigte Maas.

»Danke für den Hinweis, die Information hilft uns möglicherweise weiter«, antwortete Hansen, bedankte sich und beendete das Gespräch. Kaum dass er aufgelegt hatte, klingelte das Handy erneut.

»Hallo Stefan, wollte dich auch gerade anrufen«, begrüßte er seinen Partner. »Wo hängst du aus?«

»Ich bin noch an der Uni. Habe mit einigen Studenten aus Kämpers Semester gesprochen. Sieht so aus, dass ich einen brauchbaren Tipp bekommen habe. Wenn da etwas dran sein sollte, hat der Mann wohl doch nicht so eine weiße Weste, wie wir bisher gedacht haben.«

»Hat er nicht? Dann schieß mal los«, forderte der Kommissar seinen Kollegen auf.

»Wir haben uns doch gewundert, warum sich Kämper diese teure Wohnung leisten konnte? Wir haben uns das damit erklärt, dass er diese beiden Nebenjobs hatte und von seinen Eltern finanziell unterstützt wurde. Aber unter Umständen hatte er auch weitaus weniger legale, dafür aber lukrativere Nebeneinkünfte.«

»Du redest in Rätseln. Wie meinst du das?«

»Einer der Studenten, ein gewisser Lutz Meier, hat ausgesagt, dass es mehr oder weniger ein offenes Geheimnis war, dass Kämper mit Gras und Speed gedealt hat. Er war ganz schön überrascht, dass wir das nicht gewusst haben.«